Karl Philipp Moritz
Andreas Hartknopf. Eine Allegorie

Non fumum ex fulgore
Sed ex fumo dare lucem.

Vorbericht

Vorbericht.

Der Buchstabe tödtet,

aber der Geist macht lebendig.


[1] Hier will ich still stehen – – sagte mein lieber Andreas Hartknopf, da er sich plötzlich, auf seiner Wanderschaft an einem breiten Graben befand, und weder Weg noch Steg sahe, der ihn hinüberführen konnte; und doch war es schon beinahe dunkle Nacht, und der Wind wehte scharf aus Norden ihm einen seinen Staubregen ins Gesicht, der schon seine Kleider bis auf die Haut durchnetzt hatte – – er hat nun ausgewandert, der gute Hartknopf – – aber mir däucht, ich sehe ihn noch da stehen mit seinem langen Knotenstocke, den messingnen Kamm in sein dickes schwarzbraunes Haar geschlagen, und seinen Rock mit den steifen Schößen von oben bis unten zugeknöpft –

Er war eine gute Seele – ob er gleich in der Gottheit vier Personen annahm, und glaubte, daß die ganze Welt aus alkalischem Salz geschaffen sey – Dieß öffentliche Zeugniß von seinem Charakter und seinem Herzen, das gewiß ein Unpartheiischer [1] fällt, möge ihn gegen die Beschuldigungen retten, womit Bosheit und Verläumdung seinen Nahmen oft gebrandmarkt haben.

Du guter Andreas Hartknopf magst wohl nicht gedacht haben, daß deine besten Freunde, die auch wie du an die Viereinigkeit, und an die Schöpfung der Welt aus alkalischem Salze glaubten, und mit dir, wie du meintest, ein Herz und eine Seele waren, daß diese dein Gedächtniß nach deinem Tode so schändlich verunglimpfen würden.

Ach, es war dir auch nicht bei der Wiege gesungen, wie es dir einmal in der Welt ergehen sollte – daß du verstoßen, verjagt, von aller Welt verlassen, umherirren, irgendwo ein freundliches Obdach suchen und es nicht finden solltest – daß du an die Thüren deiner Brüder, deiner Freunde klopfen, und sie dir nicht aufgethan werden sollten – daß du – o nichts weiter! meine Seele ergrimmt gegen die Menschen, wenn ich bedenke, daß sie den Edelsten unter sich ausstießen, den Diamant, der auf diese harten Kieselsteine seinen unnachahmlichen Glanz hätte werfen können, wodurch sie auch bemerkt worden wären, wenn man ihn unter ihnen gesucht hätte!

[2] Oft unterhält sich meine Seele in einsamen Stunden mit dir in Gesprächen; ich sehe dich in meine kleine Kammer treten; wir sehen uns und sehen den Himmel aus dem eröfneten Fenster an – und ob wir gleich nur gegen ein altes Gemäuer blicken, so erhebt sich doch unser Herz, wenn die Sonne darauf scheint, und unsre Seelen ergießen sich gegeneinander in Liebe und Wärme, in süßen Gesprächen von Zukunft und Vergangenheit – –

Ich soll von dir reden, mein Guter! und rede mit dir – Steh' ich muß wieder Abschied von deinem Geiste nehmen, wenn ich von dir reden soll – das wird mir schwer – o habt Geduld mit mir meine Leser! es ist mir schwer geworden, mich von meinem Freunde zu trennen – ich sprach mit ihm, da ich mit euch sprechen sollte – denn ich wollte euch doch seine Geschichte erzählen.

Hier will ich still stehen! sagte er also, da er plötzlich an dem breiten Graben stand, über den kein schmaler Steg ihn führte – er ging eine weite Strecke auf und ab, und fand keinen Weg hinüber – die Nacht brach immer tiefer herein – [3] der Wind ging immer schärfer, und jagte schon den Regen in großen Tropfen meinem Wandrer ins Gesicht – hinter ihm war ein meilenlanger Wald – Hier will ich still stehen, sagte er noch einmal – weil ich nicht weiter kann – und das will sagte er mit einem gewissen Trotz, aber auch zugleich mit einer Erhabenheit der Seele, womit er dem Regen und dem Sturmwinde zu befehlen und über die Elemente zu herrschen schien.

Ich will, was ich muß, war sein Wahlspruch bis an den letzten Hauch seines Lebens – Es war seine höchste Weißheit, der er bis zum Tode getreu blieb – die ihn über die Dornenpfade seines Lebens sicher hinleitete, die ihm am Rande des Grabes noch einmal ihre freundschaftliche Rechte bot.

Weil ich das nun alles weiß, und ich mich fast eben so in seine Seele hineindenken kann, als in meine eigne Seele – so genau waren wir miteinander verwebt – so kann ich nun auch das alles von ihm erzählen, was gewiß sonst niemand leicht von ihm würde erzählen können: wie seine ganze Seele dabe arbeitete, als er die Worte sagte – hier will ich still stehen bleiben! [4] Er fühlte dabei einen unwiderstehlichen Muth, womit er der Kälte, dem Regen, dem Winde, der Dunkelheit der Nacht, und der Ohnmacht der menschlichen Natur selbst Troz bot – er zog sich in sich selbst zurück, wie der Igel in seine Stacheln, wie die Schildkröte in ihr felsenfestes Haus; seine Brust war mit ehernem Muthe gestählt, sein Körper zum Leiden abgehärtet – die rauhen Elemente noch immer seine Freunde, denn sie behandelten ihn gütiger, wie die Menschen.

Legen konnte er sich nicht, denn der Boden war vom Regen durchnäßt – Er stand und ging am Graben auf und nieder, dann stand er wieder eine Weile, und pfiff die halbe Nacht hindurch im Winde sein Leibstückchen, daß es weit in die Ferne schallte, wo es der Wind hintrug – Ein paar Eulen auf den nahen Bäumen fingen an, statt der Nachtigall, ihn zu akkompagnieren, und ein paar Fledermäuse schwirreten statt der Lerchen ihm um den Kopf – und er ward nicht böse darüber, sondern ließ sich, da er es nicht besser haben konnte, den Wettgesang gern gefallen, und freute sich, daß selbst in der stillen Todten Nacht, die Natur noch Funken von Leben [5] sprüht – sie machte ihm itzt, seine sonst so getreue, liebevolle, zwar eine etwas saure Miene – und er hätte ihr in der Dunkelheit der Nacht, durch eine sehr unfreundliche Verzerrung seiner Gesichtszüge den Gruß sehr gut erwiedern können – aber das that er nicht – seine Stirne zog sich nicht in düstre Falten, sein Auge blieb so heiter, daß er sich vor der hellen Sonne nicht hätte schämen dürfen, wenn sie in diesem Augenblicke sein Antlitz beleuchtet hätte.

Indem er noch so da stand und pfiff, hörte er in der Ferne Menschenstimmen, und seine gute Laune, in die er sich hineingepfiffen hatte, erhielt beinahe einen kleinen Stoß – bald aber ermannte er sich wieder, und die Menschenstimmen klangen seinen Ohren beinahe wieder so lieblich, als der Gesaug der Eulen, mit denen er vorher in Gesellschaft des rauschenden Windes ein angenehmes Konzert aufgeführt hatte.

Die Menschenstimmen tönten wild in die Nacht – der Laut war wie von stammelnden Zungen, und ihr Ausruf war, wie der Ausruf derer, die voll süßen Weins sind. – Schon waren sie dicht heran, und es war doch schändlich! [6] die Eulen und Fledermäuse hatten meinem Hartknopf zur Gesellschaft mitgemacht – und diese Unmenschen – – es waren ihrer zwei – He da! Landsmann, stammelte der eine, was wankt er hier noch so spät umher? – Ich kann nicht über den Graben – – I Narr, so schwimm er durch, lachte jener laut auf, und stieß ihn in den Graben hinein – Hartknopf rafte sich im Fallen so gut er konnte zusammen, und siehe da, es war eine Grube, wie die, worin weiland Joseph von seinen mitleidigen Brüdern hinabgelassen wurde, es war ein Graben, worin kein Wasser war, und durch welchen er gleich anfangs trocknes Fußes hätte durchgehen können, wenn er statt seiner philosophischen Resignation, seine beiden Sinne Gesicht und Gefühl zusammengenommen hätte, um sich vermittelst seines Dornstockes und seiner gesunden Füße, erst einen Durchgang durch den Graben zu erproben, ehe er sich entschloß, die Nacht über disseits zu bleiben, und mit seinem Pfeiffen ein paar Eulen zu akkompagniren.

Hartknopf kam nun auf der andern Seite des Grabens wieder in die Höhe, und machte [7] auch nicht einmal in Gedanken seinem Beleidiger Vorwürfe, der ihm freilich wider Willen einen Dienst geleistet hatte, indem er ihn durch einen zwar etwas unsanften, Stoß durch einen Graben half, wodurch ihn vorher alle seine Philosophie nicht hatte helfen können. Was aber noch mehr war, so machte Hartknopf sich selber nicht einmal Vorwürfe, daß er wie mit Blindheit geschlagen gewesen war – das war nun einmal seine Art so – er hielt es für noch einen kindischen und läppischen Streich mehr, wenn man sich über irgend einen kindischen und läppischen Streich, den man einmal gemacht hatte, die Haare ausraufen wollte. – Ueberhaupt hatte er sich, seitdem er anfing, weise zu werden, die Reue abzugewöhnen gesucht, die er nur für ein Arzneimittel der Thoren hielt. Ich will, was ich muß! war sein Wahlspruch, wenn er von aussen her getrieben wurde, und ich muß, was ich will, wenn ihn etwas von innen trieb. Gefühl seiner Kraft, insbesondre der widerstrebenden, war seine höchste Glückseligkeit. – Darum mochte er zuweilen gern wider den Strom schwimmen, ob es ihm gleich sauer wurde, und [8] wider die Wand rennen, ob er sich gleich den Kopf zerstieß. – Darum war er auch die Nacht disseits des Grabens geblieben, als er nur einige Wahrscheinlichkeit hatte, daß er nicht würde durchkommen können. Und er gefiel sich nun einmal so; und weil ihm die Zeit nicht sehr übel verstrichen war, so würde er sich über jeden Aerger geärgert haben, den er über sich selbst hätte in sich aufsteigen lassen, darum ärgerte er sich dann am Ende lieber gar nicht.

Er verdoppelte seine Schritte, um sich warm zu gehen, und befand sich ungleich besser, da er wieder auf der Landstraße war, und mit Zweck und Absicht sich nach einer festern Richtung fortbewegen konnte, als vorher, da er gehen mußte um zu gehen, und immer wieder an denselben Fleck zurückkam – Dieß führte ihn zu tiefsinnigen Betrachtungen über die gerade und über die krumme Linie, und in wie fern die gerade Linie gleichsam das Bild des Zweckmäßigen in unsern Handlungen sey, indem die Thätigkeit der Seele den kürzesten Weg zu ihrem Ziele nimmt – die krumme Linie hingegen das Schöne, Tändelnde und Spielende, den Tanz, das Spatzierengehen [9] bezeichnet – – indem waren die beiden besoffnen Kerl schon wieder hinter ihm, und faßten ihn brüderlich, der eine unter dem rechten, der andre unter dem linken Arm – der unter dem linken Arm hatte ihn in den Graben gestoßen, und war wie der böse Schächer zur Linken am Kreutze, die Tugend und Weißheit ging in der Mitten.

Die beiden besoffnen Kerl aber waren ein paar Weltreformatoren und Kosmopoliten – und der zur Linken war der Anführer einer kleinen Kosmopolitenbande, die im Lande umherzog, und sich jetzt in einem kleinen Städtchen aufhielt, um ihr Gaukelspiel da zu treiben, und aus allen vier Enden der Erde Menschen hinzulocken, die sich vor ihrer großen Bude versammlen, und ihre Markschreier- und Taschenspielerkünste anstaunen sollten – –

Der Anführer zur Linken hatte große schwarze struppigte Augenbraunen, und borstiges Haar, und trug ein sammtnes Kleid vom Schweiß und Blut der betrognen Menschheit – Er kniff meinem guten Hartknopf in den Arm, daß es ihm blau wurde, da er ihn untergefaßt hatte, und [10] sagte: Du alter Kauz, wie ist dir denn das Schwimmen bekommen? – daraus war denn zu schließen, daß er ihn nicht in einen trocknen sondern mit Wasser angefüllten Graben hatte stoßen wollen, dieser Borstige.

Der Kosmopolit zur Rechten war der reuige Schächer, und sagte: Lieber Bruder, wir hätten dieses Menschen schonen sollen – – und hätten ihn nicht sollen in die Grube stoßen, worin kein Wasser war – der arme Mensch! – indem drückte er Hartknopfen sanft die Hand – und dieser sagte halb im Schlummer: Heute wirst du mit mir im Paradiese seyn! Er meinte aber den Gasthof in dem Städtchen, das vor ihnen lag, wo er immer einzukehren pflegte, wo die Zöllner und Sünder herbergten, und wohin jetzt sein sehnlichstes Wünschen ging. – Die Idee vom Paradiese schlug in den beiden Kosmopolitenköpfen, wie ein Feuerfunken an – – sie hatte so etwas Erhabenes und Feierliches in der dunkeln, schauervollen Nacht, so wenig Erhabenes sich auch mein guter ehrlicher Hartknopf dabei gedacht hatte – – Der Schächer zur Rechten und der Schächer zur Linken fühlten die ganze [11] Macht der Worte, die sie nun wirklich auf sich abgezielt glaubten. – – Ihre Seelen wurden zerknirscht, Thränen entströmten ihren Augen; sie fingen an, sich wirklich für ein paar arme Schächer zu halten, welche in ihrem verkehrten Sinn die hohe Würde der Menschheit beleidigt hätten: – –

Fühlst du das, lieber Bruder? sagte der zur Rechten – – Ich fühl' es! antwortete der Linke mit bebender Stimme – laß uns hier niederfallen im Staube, und den großen Allvater bitten, daß er uns vergebe die Sünden unsrer Jugend und die Sünden unsrer grauen Jahre; daß er nicht ansehe unsre Missethat, und uns nicht strafe, wie wir es verdient haben – denn wo will man einen Reinen finden, unter denen da keiner rein ist – Bewahre meinen Fuß – – und so lang wie er war lag der borstige Betende ausgestreckt da – denn sein Gebet war schwarze Heuchelei und verflog in den Lüften – er maß die Erde mit seiner Länge, denn er hatte sich an einem alten Stubben am Wege sein Schienbein zerstoßen, daß es ihn bis in den Wirbel hinauf schmerzte. – Das sanfte Erbarmen meines[12] Hartknopfs mit seinem Beleidiger hob den Gefallnen wieder auf – und der Gefallne dankte ihm nicht, denn sein böser Geist hatte dem Stubben Hartknopfs Gestalt gegeben – und der Gefallne sagte zu dem Schächer zur Rechten: mein Bruder, was meinst du, der Schurke da hat mir ein Bein untergeschlagen, um sich an mir zu rächen! Ei so soll ihn ja auch – – rief der reuige Schächer, und fing an tüchtig auf meinen Hartknopf loßzuschlagen, und der zur Linken war dabei sein getreuer Rath und Assistent – – aber das Blättchen fing sich bald an zu wenden. – – Die Weißheit in der Mitte nahm ihren Dornenstock in die Hand, und schlug damit rechts und links um sich, und die Thorheit taumelte an beiden Seiten von ihren wiederhohlten Schlägen zu Boden, und als mein Hartknopf die beiden Besoffnen nach Herzenslust durchgeprügelt hatte, so sagte er: Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun! – –

Und nun hob er sie beide wieder auf, und sie wanderten wieder einträchtig und brüderlich miteinander fort – darüber brach der Tag an, und der Rausch in den Köpfen der beiden Kosmopoliten [13] fing allmälig an zu verfliegen – ihr nächtlicher Zwist mit Hartknopfen verlohr sich in ein dunkles Schattenbild – und sie sahen jetzt seine offne Stirn und sein edles freies Auge, womit er sie im Glanz der aufgehenden Sonne anblickte, und schlugen beschämt ihre Augen nieder.

Alle drei schienen stillschweigend in einen Vertrag eingewilligt zu haben, alles in der Nacht vorgefallne in gänzliche Vergessenheit zu begraben. Sie unterhieltet sich miteinander über die Schönheit des Morgens, über die Pracht der aufgehenden Sonne, und über den herrlichen Anblick der wiedererwachenden Natur – und ließen ihren strafenden Unwillen gegen diejenigen aus, die den schönsten Morgen in ihren Pflaumfedern verschlafen könnten. – Dann fragten erst die beiden Kosmopoliten ihren nächtlichen Gefährten, wo er denn eigentlich herkomme, und wo er eigentlich hinwolle?

Beides wußte er nicht eigentlich zu beantworten. – Er kam aus dem Abend, und wanderte gerade gegen den Morgen zu; denn der Weg von Westen nach Osten hatte für ihn so etwas Reitzendes und Anziehendes, das sich zum [14] Theil mit auf seine besondern Meinungen gründete. – Da er nun in Süden und Norden eben so wenig Schätze zu hohlen hatte, als in Osten und Westen, so nahm er seine Richtung immer nach Osten zu, und richtete es gemeiniglich so ein, daß er den ersten frühen Strahl der Sonne mit seinem Morgengebet begrüßen konnte. Welche Städte und Dörfer nun hier auf seinem Wege lagen, durch diese ging er oft hindurch, ohne nur nach ihrem Nahmen zu fragen, und wenn man ihn denn auch nicht nach seinem Nahmen fragte, sondern wie irgend ein unbedeutendes Wesen, einen Hund oder eine Katze, ihn durchwandern ließ, ohne nur einen Blick auf ihn zu werfen, wie froh war er dann!

Als er aber durch das Land kam, wo man am Thore die Geheimnisse seines Herzens und seiner Taschen ausforschen wollte, ehe man ihn durchließ; so nahm er einen weiten, weiten Umweg, wenn er an eine Stadt kam, und mußte von seiner geliebten Direktionslinie nach Osten manche Abweichung machen, ehe er wieder in sein Gleis kam – dann schüttelte er den Staub von seinen Füßen über einer solchen Stadt, und [15] freute sich, wenn er in irgend eine dürre sandigte Heide kam, wo keine Spur von Taschendurchsuchenden und Geheimnisseerforschenden Menschen zu sehen war, und er nun wieder freier athmen konnte.

Damit der Leser auch keinen Augenblick länger etwa den Gedanken hege, als habe sich Hartknopf von Westen gegen Osten hingebettelt – so muß ich versichern – denn ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß man dieß auch nur von ihm denken könne – so muß ich den Leser versichern, daß Hartknopf sich lieber auf irgend einer Vestung oder in irgend einem Zuchthause würde von selbst angegeben haben, um zu karren oder zu raspeln, ehe er das gethan hätte. – Auch brauchte er es nicht: denn er war seines Handwerks ein Grobschmidt und ein Priester, und konnte sich also mit seiner Hände Arbeit sowohl, als vom Evangelium nähren, das er den Leuten gern verkündigte, die es hören wollten – aber von der Predigt des Evangeliums nährte er sich nicht, sondern vom Schmiedehammer; denn er dachte, umsonst habt ihrs empfangen, umsonst sollt ihr es auch wiedergeben. – Ein Arkanum [16] für die Schwindsucht, welches er besaß, will ich nicht einmal erwähnen; er besaß ein noch weit größres Arkanum, den Leib des Menschen durch die Seele zu heilen – wie oft hat er hiervon Gebrauch gemacht! er nährte sich aber eben so wenig davon als vom Evangelium, das er verkündigte – sondern der Schmiedehammer, den er mit seinem nervigten Arm wohl auf dem Ambos zu führen wußte, verschafte ihm Nahrung und Kleider; und wenn er dann mit dem Allernothwendigsten versehen war, so ließ er eine Weile seinen Arm wieder ruhen, um seinen Lauf gegen Osten fortzusetzen, und seinen Weg, den er nahm, durch wohlthätige Handlungen zu bezeichnen. Am heißen Mittage begegnete ihm dann die Sonne in ihrem Laufe, und schien, ihm, als ihrem großen Nachahmer, Beifall zuzulächeln.


Das Geheimniß des Erdenlebens meines Hartknopfs ist mir heilig. Mit Ehrfurcht wage ich es, allmälig den Schleier wegzuziehen, der große, der Ewigkeit werthe Thaten vor dem Auge der Welt verhüllte, die dermaleinst im höchsten [17] Glanze schimmern, und die Thaten der Könige verdunkeln werden. –

Du hörest sein Säuseln wohl, aber du weissest nicht, von wannen er kömmt, noch wohin er führet. – – Der Fromme geht seinen Gang vor sich hin, so lange er hienieden wallet, ist in sich gekehrt, und merkt auf jeden seiner Schritte, die er thut – seine Blicke schweifen nicht umher auf den Töchtern des Landes – denn eine ist seine auserwählte Braut, die verläßt er und sie ihn in Ewigkeit nicht, sie reicht ihm noch ihre sanfte Hand im finstern Thal des Todes, und geleitet ihn in beßre Welten hinüber, wo kein Kosmopolit den müden Wandrer mehr in einen Graben stößt, und kein böser Geist mehr einen Stubben in Hartknopfs Gestalt verwandelt, um ihm von zwei Weltreformatoren eine Tracht Schläge zuzuziehen.

Wohin er eigentlich ginge? – fragten ihn also die beiden Weltreformatoren – eigentlich habe er sich kein festes Ziel gesetzt, gab er zur Antwort, aber er wolle mir ihnen in das nächste Städtchen gehen – und dort im Paradiese einkehren, [18] wo der Gastwirth noch sein Herr Vetter sey –

Das Städtchen aber, auf welches sie nun zu gingen, hieß Gellenhausen, und war Andreas Hartknopfs Geburtsort – den er itzt besuchte, weil er auf seiner Direktionslinie nach Osten lag – denn er kam aus dem äußersten Ende von Westphalen, und ging durch ganz Niedersachsen und Obersachsen immer auf das jetzige preußische Pohlen zu, und nun war er bis an Gellenhausen gekommen, ohne bis itzt daran zu denken, daß er da gebohren war – bis er, noch den Abend vorher, ehe er an den breiten Graben kam, die hohe Thurmspitze in der Ferne schimmern sahe, welche die einzige in dem Städtchen war, und mit ihrer Pracht alle übrigen Häuser, die in einem Klümpchen zusammen gedrängt da lagen, verdunkelte und beschämte. –

Das Städtchen hatte sich auch in dem Thurme ganz verbauet, und der Magistrat von Gellenhausen wäre beinahe darüber bei den höchsten Landesgerichten in Inquisition gekommen. – Das war aber nun einmal die Art dieses Städtchens, daß es schimmern wollte, von jeher – [19] davon zeugten noch die Ueberreste eines alten Walles, worauf ein paar ungeheure Kanonen gepflanzt waren – und ein Prediger, der ein Buch geschrieben hatte unter dem Titel: die sich entknospende Frühlingsrose oder die Hoffnungen des Christen jenseit des Grabes, wo sie nicht eher ruhten, bis sie ihn in ihr Städtchen zogen, wo er auf dem Kirchhofe bei Mondschein Predigten hielt, und die Jünglinge und Mädchen des Ortes auf den Grabhügeln ihrer Väter um sich her versammelte, um ihnen die sich entknospende Frühlingsrose vorzupredigen.

Nun wird man sich auch leicht erklären können, wie sich in dem Städtchen eine Kosmopolitenbande einnisteln konnte – nachdem eine herumwandernde Truppe Komödianten schon die Hälfte von dem Haab' und Gut der armen Einwohner mit sich hinweggenommen hatte.

Das Philantropin in Dessau existirte damals schon seit einigen Jahren, und hatte in den Köpfen der Deutschen einen Schwindel hervorgebracht, der sie damals noch in vollem Wirbel umherdrehte – und so wie bei der Theaterepoche, die sich nun auch allmälig ihrem Ende nähert, mancher [20] ehrliche Handwerksmann sich mit in den Wirbel hineinziehen ließ, und den Leisten mit dem tragischen Kothurn verrauschte – so wären auch Hartknopfs beide Begleiter, der eine zur Rechten Nahmens Küster, wirklich ein Küster, und der borstige zur Linken Nahmens Hagebuck, ein ehrsamer Schuster gewesen, der eine höhere Flamme in sich lodern fühlte, und glaubte, daß er gar wohl fähig sey, in den Köpfen der Menschen ein Licht anzuzänden, deren Füssen er jetzt Schuhe anmessen mußte.

Denn er hatte seines großen HandwerksgenossenJakob Böhmens Schriften gelesen, dadurch war zuerst der Funke in ihm angefacht worden – denn es war ihm einmal, da er gerade den Pechdrath zog, als ob ihm eine Stimme vom Himmel zuriefe: Hagebuck! und er sagte: Herr, was ists? – Da rief ihm die Stimme weiter zu: Laß deinen Pechdrath liegen, und wirf deinen Pfriemen von dir, und gehe hin in ein Land, daß ich dir zeigen will!

Er nahm drauf plötzlich von seinem Meister Abschied, welcher seinen verstörten Minen nach zu urtheilen, glaubte, er sey toll im Kopfe geworden, [21] ihm seinen Lohn auszahlte, und froh war, daß er ihm loß wurde – denn er war manchmal des Nachts bei Mondschein auf dem Dache herumgeklettert, und hätte das Haue beinahe wegen eines Spuckes in üblen Ruf gebracht; dieß war aber ein Fehler, der ihm noch aus seiner Kindheit anklebte; denn er war einer der unheilbarsten Nachtwandler, die es je gegeben hat, und auch einer der geschicktesten: so daß er, wenn man ihn nicht bei seinem Taufnahmen rief, auf einer Dachspitze tanzen konnte. –

Hans Hagebuck schnürte also sein Bündel, steckte seinen Jakob Böhme in die Tasche, und wanderte auf Dessau zu. – Hier verkannte man seine Talente nicht, und er fand Gelegenheit, den Unterricht des Philantropins zu genießen, und studirte Basedows Elementarwerk in der deutschen Uebersetzung, daß ihm der Kopf rauchte; der Erfolg davon war, daß er binnen einem Jahre, sich schon stark genug fühlte wieder ein Lehrer der Menschen zu werden, und in dem Städtchen Gellenhausen, wohin er berufen wurde, ein Philantropin nach dem Muster des Dessauischen zu errichten.

[22] Sein Mitgehülfe war, wie schon gesagt, ein Küster, welcher zugleich Küster hieß – Er war aber wegen seines tumultuarischen Charakters seines Dienstes entsetzt worden – denn er wollte sich nicht in die gewöhnliche Ordnung der Dinge fügen, seinem Pastor nachzutreten, sondern er wollte ihm an der Seite gehen, und den Pastor, wie seinen Freund und Kollegen betrachten – er meinte, sie wollten zusammen in brüderlicher Eintracht auf ihr Zeitalter wirken, und dem alten Vorurtheil entgegen kämpfen. – Der Herr Pastor verstund aber keinen Spaß, und verbat sich dergleichen Familiaritäten von seinem Untergebnen; und da der Küster einmal andre Lieder in der Kirche anschlug, als der Pastor ihm gesagt hatte, so machte dieser einen Bericht aus Konsistorium, worin er diese nebst mehrern gröblichen Vergehungen gegen die Subordination anzeigte – und wovon die Folge war, daß dieser Küster, welcher zugleich Küster hieß, seines Dienstes entsetzt wurde – er hatte die Basedowschen Schriften gelesen, und die Weltreformirsucht spückte ihm auch im Kopfe – er reiste also geradesweges nach Dessau, und machte Bekanntschaft[23] mit dem Schuknecht Hagebuck, der so eben nach Gellenhausen abreisen wollte – ihre Seelen begegneten sich schon in ihren Blicken; sie umarmten sich schon, da sie kaum einander nennen konnten – und ihr Freundschaftsbündniß war auf ewig geschlossen; um es aber noch fester und feierlicher zu machen, ließen sie sich im Gasthofe zum goldnen Scepter, eine Bouteille Pontak geben, und tranken Brüderschaft – nachdem sie vorher aus dem Basedowischen Liederbuche das Lied über die Freundschaft gesungen hatten.

Und nun ging es denn geradesweges auf Gellenhausen zu – Da war nun viel aufzuräumen – da herrschte noch recht der alte Schlendrian im Schulwesen – da regierte noch der Stock und die Ruthe – da wurden noch Vokabeln auswendig gelernt – – Aber wie bald war das alles ganz anders! und Stock und Ruthe wie weggeblasen!

Bald wurde eine Meritentafel in der Kirche mit dem hohen Thurme aufgehängt, und jeder Junge in Gellenhausen, mochte er auch seyn, wer er wollte, bekam für jede edle That, die er [24] gethan hatte, einen goldnen Punkt darauf – und es kamen plötzlich so viel edle Thaten zum Vorschein, daß ganz Gellenhausen darüber erstaunte. –

Wer erst eine gewisse Anzahl solcher goldnen Punkte hatte, der bekam ein Ordensband, und da galt, wie billig, kein Ansehen der Person; mochte der Junge auch barfuß gehen, und die Schweine hüten, so bekam er ein Ordensband. –

Der Rektor des Städtchens nannte zwar die Hagebuck- und Küstersche Anstalt eine Klippschule, weil kein Latein darin gelehrt wurde, und schlug ein Schnippchen dazu, allein sein Beutel und seine Küche empfanden es – daß diese neue Klippschule in Gellenhausen etwas mehr sagen wolle – da flogen Braten und Weinflaschen, und Zuckerhüte den beiden Weltreformatoren ins Haus, als ob sie mit dem leidigen Drachen ein Bündniß gehabt hätten. –

Aber machten denn diese beiden allein die ganze Kosmopolitenbande aus? – nein, es gehörte noch ein Schneider und ein Friseur dazu, die sie unterweges aufgerafft hatten – der Friseur mußte ihnen alle Morgen auf philantropinische [25] Art ihr abgeschnittenes Haar im Nacken in runde Locken kräuseln, um der Natur getreu zu bleiben, und dann erklärte er zugleich den kleinsten Kindern die Kupfer des Basedowischen Elementarwerks – der Schneider flickte ihnen ihre Kleider mit seiner Nadel, und ihre Reden mit seinem Witz aus – er war zugleich ein großer Kinderfreund, und lehrte Kinder von vier Jahren lesen, ohne, daß sie erst buchstabiren lernten.

Es wurden nun Spatziergänge, Wettrennen, gymnastische Uebungen angestellt – Wie stauntest du Gellenhausen, da du zuerst deine hoffnungsvolle Jugend, unter den Augen ihrer vier Lehrer sich öffentlich balgen sahest! – da du sie zum erstenmal mit Knüppeln vor den Thoren exerzieren, und mit klingendem Spiel in deine Thore einziehen sahest! – Da du zuerst den Knaben mit dem Ordensbande auf der Brust hinter den Schweinen hergehen, und sie nun menschenfreundlich und liebevoll von ihm behandelt sahest! –

Aber wie stauntest du, mein Hartknopf, da du mit deinen beiden Gefährten in die Thore deiner Geburtsstadt eingingest, und die ganze nunmehro [26] philantropinisch gewordne Jugend deiner Vaterstadt, angeführt von ihren andern beiden Lehrern, dem Schneider und Friseur, in bester Ordnung dir entgegen kam, und deine beiden besoffnen Gefährten, mit einem lautgellenden Freudengeschrei bewillkommte; und wie deine beiden Gefährten umhalset und geliebkoset, und im Triumph durch die Straßen der Stadt, bis nach ihrer Wohnung in dem neuen Erziehungshause geführt wurden; das eines der ansehnlichsten Gebäude in der Stadt war.

Der Triumph, womit Hagebuck und Küster eingehohlt wurden, bezog sich auf eine Wette, die sie angestellt hatten, daß sie in Zeit von vier und zwanzig Stunden sieben Meilen zu Fuße hin und her gehen wollten. – Diese Wette hatten sie nun gewonnen, indem sie von dem Orte, der sieben Meilen weit von Gellenhausen lag, Brief und Siegel mitbrachten, daß sie da gewesen waren. – Solche Wetten wurden öfter angestellt, um dadurch einen edlen Wetteifer zu befördern – Und Hagebuck und Küster glaubten auch, schon des Beispiels wegen, solche Touren machen zu müssen, damit es nicht schiene, als ob [27] sie selbst ihren Körper nicht abzuhärten, und das nicht auszuüben suchten, was sie doch andern predigten. – Nun schien aber vorzüglich das zu Fuß reisen, so etwas philantropinisches Weltbürgermäßiges zu seyn, daß sie nicht mit Unrecht glaubten, es verdiene wohl durch ihr eignes Beispiel den Menschen angepriesen zu werden. –Hagebuck hatte von seiner Wanderschaft als Schuhknecht her noch eine große Geläufigkeit in seinen Füßen, ob er gleich mit den Knieen etwas einwärts ging, daß er noch ziemlich munter auf den Beinen war, da Küster schon anfing ziemlich schachmatt zu werden – endlich aber da es gegen Abend ging, konnten sie beide nicht mehr fort – und hatten doch noch beinahe fünf Meilen vor sich; war es nun diesen Leuten, die es sich um das Beste der Menschheit so sauer werden ließen, wohl zu verdenken, wenn sie, da sie sich mit ein wenig Wein erquicken wollten, des Guten zuviel thaten, und nun die übrigen fünf Meilen in einem weg auf die lustigste Art hintaumelten, die sie sonst auf die langweiligste Art hätten gehen müssen.

[28] Und hatten sie gleich im betrunknen Muthe den armen Hartknopf in einen Graben geworfen, so hatten sie ihm doch nachher brüderlich wieder unter die Arme gegriffen – und hatten sie ihm gleich für sein Mitleid gegen den Gefallnen mit Schlägen gelohnt; so hatten sie ihm doch auch wieder verziehen, da er ihnen doppelt und dreifach vergalt, was ihre blinde Nachsucht an ihm ausübte. –

Und Hagebuck – denn man muß doch auch dem Teufel Gerechtigkeit wiederfahren lassen – war, seine Heuchelei und Verstellung, und seine menschenfeindliche Gemüthsart abgerechnet, die aus seinen schwarzen Augenbraunen hervorleuchtete, ein Mensch, der niemanden leicht etwas zu leide that; ausgenommen wenn es ihm Nutzen brachte, oder er sich etwa einmal einen kleinen Spaß machen wollte, wie mit Hartknopfen, den er in den Graben stieß! –

Der einzelne Mensch war ihm, wie nichts – den unversehens in einen Graben zu stoßen, und in den Arm zu kneifen, indem er sich stellte, als ob er ihn brüderlich unterfaßte, daraus machte er sich nichts – aber die ganze Menschheit konnte [29] er liebevoll umfassen – gegen die schlug sein Herz, wie er sagte, mit mächtigen Schlägen; für die opferte er, indem er in vier und zwanzig Stunden sieben Meilen hin und zurück ging, seine Kräfte auf.

Demohngeachtet aber fehlte es ihm nicht an einem wirklich unternehmenden Geiste; und er pflegte sich deswegen auch oft mit Luthern, und seinen KollegenKüster mit Melanchton zu vergleichen; und als er auf der Reise nach Gellenhausen begriffen war, so dachte er sich alle die Schwierigkeiten, die dort seinem großen Reformationsgeschäfte von der Geistlichkeit des Orts würden entgegengesetzt werden, und konnte sich nicht enthalten, seinem großen Vorgänger Luther die merkwürdigen Worte nachzusprechen: wenn auch in Gellenhausen so viel Teufel als Ziegel auf den Dächern wären, so wolle er doch den Sieg behalten; er verstand aber unter den kleinen Teufeln, die Menge der Vorurtheile, die er nun in Gellenhausen besiegen, und was er sonst noch alles ausrichten würde, so daß sein Angedenken noch nach Jahrhunderten nicht verloschen seyn sollte.

[30] Küster war eine gute schwache Seele, der allem Beifall gab, und alles für Orakelsprüche hielt, was sein Herr und Meister, Hagebuck nur über seine weisen Lippen strömen ließ. – Wenn Hagebuck diktirte, so faßte Küsters Feder seine Worte, wie die Worte eines Heiligen auf, und brachte sie mit zitternder Hand zu Papier, daß ja nicht eine Silbe davon verloren ging – denn brach er oft in laute, freudige Ausrufungen über die hohe Weißheit aus, die inHagebucks Worten lag, welche er das Glück hatte niederzuschreiben –

Er war Hagebucks getreues Echo – wenn dieser diktirte, so schrieb er, und las ihm seine Worte wieder vor; wann dieser auf den Stock und die Ruthe schimpfte, so schalt er auf das Auswendiglernen und die Vokabeln; wenn dieser seinen undankbaren Zeitgenossen fluchte, daß sie ihn nicht zum allgemeinen Weltreformator mit einem Gehalt ernennen wollten, so seufzte er über das undankbare Gellenhausen, welches doch, wie ich vorher bemerkt habe, was Viktualien anbetraf, sich nichts weniger, als undankbar bewieß; wenn Hagebuck mit dem höchsten Pathos eine Rede [31] über Menschenglück und Menschenwohlfahrt hielt, und seine Hände fochten, und alle seine Muskeln angestrengt waren; so sahe Küster wie das Amen zu der Predigt dazu aus – und er war auch wirklich das Ja und Amen von allen Reden, dieHagebuck je in seiner Gegenwart gehalten hat.

Man wundre sich nicht, daß dieser Küster, da er noch wirklicher Küster war, sich gegen seinen Pastor so übermüthig betrug – das Herz des Pastors war ein noch stolzeres und verzagteres Ding, als das Herz seines Küsters – aber Hagebucks Genius war stärker als Küsters Genius – und sein Uebermuth verwandelte sich gegen diesen in Ehrfurcht und Anhänglichkeit, welche immer bei dem Schwächern gegen den Stärkern statt findet, wenn der Stärkere einmal sein Herr geworden ist.

Diese beiden Leute wurden nun, wie gesagt, im Triumph in Hartknopfs Vaterstadt eingehohlt, und um Hartknopfen bekümmerte sich keine Seele, als ein alter Pudel, der seinem Herrn Vetter dem Gastwirth Knapp im Paradiese gehörte, und auch vor Alter schon auf einem [32] Auge blind, und auf zwei Füßen lahm war. – Dieser sprang auf, und liebkoseteHartknopfen, da er vor der Thüre des Gasthofes stand, und das uralte Schild besahe, wo noch der Cherubim mit dem flammenden Schwerdte stand, und unsre beiden ersten Eltern nakt und bloß dem schönen Paradiese den Rücken zukehrten. Hier stand Hartknopf – denn die beiden Weltbürger mit denen er gewandert war, hatten nicht zu ihm gesagt: bleibe bei uns, denn es will Mittag werden, und dich wird wohl hungern; sondern sie sagten: behüt' ihn Gott, mein Freund! da sie von ihm Abschied nahmen, und gaben ihm nicht die Hand vor den Leuten, sondern nickten ihm nur ein wenig mit dem Kopfe, und Hagebuck nickte ihm bloß mit seinen schwarzen Augenbraunen zu.


Und Hartknopf kehrte nun nach einer langen mühseligen Wanderschaft in seinem Geburtsorte im Paradiese ein. Hier fand er doch Freunde und Bekannte wieder – erstlich den alten lahmen Pudel, und dann seinen Herrn Vetter Knapp, die ihn beide herzlich bewillkommten.

[33] Der Herr Vetter Knapp war ein Mann von kurzen Antworten, und seine Rede war im eigentlichen Verstande Ja! Ja! Nein! Nein! – wenn man ihn aber auf den rechten Punkt brachte, wo er zu Hause war, und wo ihm eine Sache am Herzen lag, so sprach er mit einem Fluß der Rede, wo er kein Aufhören finden konnte. Also:

H. Lieber Herr Vetter Knapp kennt er mich noch?

K. Ja! Ja! (indem er ihm die Hand-schüttelte.)

H. Lebt seine Frau noch?

K. Nein! Nein! (indem er sich die Augen wischte.).

H. Kann ich die Nacht hier herbergen?

K. Ja! Ja! (indem er ihn in seine beste Stube führte.)

Knapp besorgte zu essen und zu trinken für seinen Vetter, und beide setzten sich nun zu Tisch, und sprachen in zwei Stunden kein Wort miteinander, dennHartknopf kannte seinen Vetter noch voll Alters her. – Endlich fing Hartknopf an:

[34] Lieber Vetter, wer sind denn eigentlich die beiden, die mich da unterweges begleitet haben, derHagebuck und der Küster, und was machen diese Leute hier?

K. Ja! Ja! mein Freund, da ließe sich viel von reden – aber er weiß, das ist nun einmal meine Sache nicht – es thut einem in der Seele weh, wenn man der Narrethei und dem Unwesen so zusieht! – Erst hat sich der Magistrat in dem großen spitzen Thurm verbauet – was die Feldschlangen auf dem Walle sollen, das weiß der liebe Gott – und nun läßt er da ein paar Landläufer herüber kommen, die uns allen den Kopf toll machen – seh er einmal meine beiden Nachbarsjungen: – die Jungen sehen aus, wie die Narren, mit ihrem rochen Ordensbände, das sie um ihre schäbichten Kamisöhler hängen haben – der eine hat einmal einen gefangnen Vogel wieder fliegen lassen, und der andre hat für einen Hund gebeten, der Prügel haben sollte, dafür haben sie nun beide den Orden gekriegt – alles wohl gut – aber die Jungen wissen nun einmal, was für ein Aufhebens davon gemacht wird, wenn sie so [35] etwas thun; da werden ihnen nichts als kleine Geschichten erzählt, wo dergleichen edle Handlungen zu Dutzenden darinn vorkommen; anstatt daß sie nun denken sollten, das müßte schon so seyn, das verstünde sich schon von selbst, lernen sie etwas ganz besonderes daraus machen, und thun vor ihren Eltern und erwachsenen Leuten groß damit – Lieber Vetter, was soll das? – Die alten Tafeln, worauf die zehn Gebote standen, haben sie in unsrer Kirche abgenommen, und dafür eine Tafel mit Punkten hingehängt – sehe er nur, das heißt eine Meritentafel, da stehen die Nahmen der Jungen oben angeschrieben, und wer die meisten Meriten hat, der hat auch die meisten goldnen Punkte, nun sag' er mir, was kann so ein Junge wohl für Meriten haben? Wenn wir von Moral reden wollen, so sind doch die zehn Gebote auch eine recht kurze und nachdrückliche Moral – warum sollen wir denn die nun wegen der goldnen Punkte abschaffen? Der Mensch behält alles so leicht an den Zahlen, er zählt sich so gern etwas an den Fingern ab – Mit den zehn Geboten war man nun einmal so schön eingerichtet – man durfte nur sagen, du [36] mußt nicht wider das siebente, wider das sechste, wider das achte Gebot, sündigen, und jedermann verstand einen gleich – die neue Moral ist zu weitläuftig, Herr! für uns gemeines Volk! Wir müssen etwas Kurzes und Bündiges haben, das wir auf den Fingern abzählen können, und das uns immer zu rechter Zeit wieder einfällt, wenn wirs brauchen. – Wer die fünf Species rechnen kann, der hat so viel rechnen gelernt, als er fürs Haus braucht, und wer die fünf Hauptstücke von Luthers Katechismus im Kopfe und im Herzen hat, der hat auch so viel Christenthum und Moral gelernt, als er fürs Haus braucht – Was die drei Glaubensartikel anbetrift, so ist mir der von Gott den Vater immer der erbaulichste gewesen, der mich erschaffen hat, und noch erhält, der mir Vernunft, Augen, Ohren, und alle Sinne gegeben hat, und der ein Schöpfer Himmels und der Erden ist – die andern beiden Glaubensartikel lasse ich aber auch in ihren Würden, ob ich sie gleich nicht so ganz verstehe, wie den ersten.

Hier hatte nun Herr Knapp eine Saite auf Hartknopfs Seele berührt, die sogleich einen [37] hellen und sanften Ton von sich gab, welcher den, der ihn hörte, auf eine Weile in angenehme Schwärmereien einwiegte; bis auf einmal seine trockne Laune wieder da war, die den horchenden Träumer aus seinem Schlummer weckte, und ihn wieder auf den gegenwärtigen Lebensfleck zurückbrachte.

Was die Glaubensartikel anbetrift, mein lieber Vetter – sagte Hartknopf – was die anbetrift, so scheint er mir darinn auf einem recht guten Wege zu seyn, daß er den von Gott dem Vater für den erbaulichsten hält, und die andern beiden doch auch in ihren Würden läßt. – Lieber Vetter! der Vater wäre nicht Vater, wenn der Sohn nicht wäre – der Vater muß durch den Sohn erkannt werden, wie der Gedanke durch das Wort – Das Wort ist das Kleid, das den Gedanken umhüllet – aber ohne das Wort wäre der Gedanke nichts – das Wort ist allmächtig – es war im Anfange, und war bei Gott, und Gott war das Wort, und durch das Wort ist alles gemacht, was gemacht ist – Lieber Vetter, unser ganzes Leben und Seyn drängt sich in ein großes Wort zusammen, aber ich kann [38] es nicht buchstabieren – dieß Wort hat den Himmel gewölbet, es hat aus der dunkeln Mitternacht die Morgensterne hervorgerufen – Es gehet aus vom Vater, Sohn, und Geist, so wie der Geist vom Vater und Sohn, und der Sohn vom Vater allein ausgehet – Viere sind, die da zeugen im Himmel: der Vater, der Sohn, der Geist, und das Wort, und diese viere sind eins – Das Wort aber ist Fleisch geworden, und hat unter uns gewohnet, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, als eine Herrlichkeit des eingebohrnen Sohnes Gottes, und – Vetter, wir können sie noch alle Tage sehen, und dürfen sie nicht weit suchen. – Die Weisheit stehet auf den Gassen und spricht: kommet her zu mir, und lernet von mir; ich will euch Worte des Lebens sagen! Die Worte des Lebens aber tönen sanft und voll, und wer sie einmal gehört und sein Ohr daran gewöhnet hat, dem tönen sie sein ganzes Leben hindurch in einem fort, und sind der harmonische Takt zu allem, was er denkt, und spricht, und thut. – – Wer auf diesen Takt horcht, dessen Blut fließt leicht in sei nen Adern, seine Seel' ist immer heiter, sein Auge beständig [39] offen für den Lichtstrom, der sich aus Gottes Schöpfung hinein ergießt; sein Schlummer ist sanft, sein Erwachen froh – sein Tod wie erwünschter Schlaf in der schwülen Mittagshitze – Vetter, wir sind ist das höchste, was wir sagen können – die Welt um uns her ist unendlich groß, und uns ist doch hier so wohl zwischen seinen vier Pfählen – nun laß' er uns auch eine Pfeiffe Toback stopfen, und hört er nicht, sein Junge schreit!

Hartknopf hatte gleichsam den ersten Buchstaben von dem großen Worte gesagt, und glaubte, sein Vetter würde vielleicht mit dem zweiten Buchstaben einfallen – weil er aber dieß nicht that, so lenkte er bald wieder ein, und sagte: laß er uns doch eine Pfeiffe Toback stopfen, und: hört er nicht wie sein Junge schreit?

Der Junge schrie aber erbärmlich, weil ihn einer von den barfüßigen philantropinischen Buben, der aber schon ein Ordensband trug, bei den Haaren herumzaußte. Er hatte diesen Burschen mit seinem Ordensbande ausgehöhnet, und der veestand keinen Spaß, sondern fing an von seinem gymnastischen Unterricht itzt die praktische [40] Anwendung zu machen, und baxte den kleinen zehnjährigen Knapp zur Erde nieder, welches ihm nicht schwer fiel, da er selbst schon ein großer Tölpel von sechzehn Jahren war.

Vater Knapp lief hinaus, und rettete seinen Sohn aus den Fausten des großen Hagebuckschen Zöglinges, den er mit einigen fühlbaren Verweisen entließ, und mit seinem zerzaußten und zerschlagnen Jungen zu seinem Vetter Hartknopf wieder in die Stube trat. – Da haben wir nun die Früchte, sagte er; so muß mein armer Junge es oft entgelten, wenn ich mich über die Albernheiten aufhalte, und ihn nach meiner eignen Weise ziehe. – Und wenn das Wesen noch lange so fortdauret, so werden wir doch am Ende noch alle zu Narren werden –

Auf einmal fuhr ein Geist des Eifers in Hartknopfen, als solle er die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel treiben, und er stieß mit seinem Dornstock heftig auf die Erde, und sagte: Vetter, das soll hier gewiß nicht so bleiben.

Nun pflegte aber Hartknopf nichts zu sagen, was er nicht halten konnte. – Als sie sich den Abend zu Tische setzten, wurden Rettiche aufgetragen, [41] wovonHartknopf ein Liebhaber war, und da man nun das Salzfaß brachte, rückte es Hartknopf vor sich hin, und fing darüber leise an zu beten, so daß sich sein Vetter darüber wunderte, und ihn um die Ursach dieses Beginnens fragte, worauf Hartknopf aber weiter nichts antwortete, als daß das Salz eine vorzügliche Gabe Gottes sey, wofür man ihn also auch vorzüglich mit einer aufmerksamen Hinsicht auf die Sache danken müsse – dabei schien es nun dem Vetter Knapp, als ob Hartknopf immer noch starr auf das Salzfaß hinsähe, und mit seinen Augen gleichsam in das Allerinnerste dieser ihm heiligen und geweihten Körner einzudringen suchten – Mit diesem Blicke noch immer auf das Salzfaß geheftet, fing er an von den gegeneinander wirkenden Kräften in der Natur, von Neuheit und Jugend, von ewiger Auffrischung des Alten und Vergangnen zu reden – und Knapp sahe auch aus einem sympathetischen Zuge bald auf das Salzfaß und bald wieder auf seinen Vetter, der mit einer Art von heiliger Ehrfurcht, das Salz auf die Rettigscheiben zu streuen schien, indem er sprach – und der in jedem Salzkorn auf [42] seiner Zunge einen hohen Sinn, eine wundersame Bedeutung gleichsam zu schmecken schien.

Da sie nun gegessen hatten, so gingen sie in der Stadt umher, und besahen die bekannten Plätze, woHartknopf als Kind gespielt hatte. – Die Hütte, wo zuletzt Hartknopfs Eltern wohnten, war eingefallen – sie gingen auf den Kirchhof, um ihre Grabhügel zu sehen – es war Mondschein – da stand der Verfasser der sich entknospenden Frühlingsrose und stellte auf den Gräbern der Tobten eine dramatische Uebung an. Es hatten nehmlich eine Anzahl Jünglinge und Mädchen, jeder eine von den Personen, die in Klopstocks Messjade vorkommen, als eine Rolle übernommen, und die Reden, welche sie sagt, auswendig gelernt: der Frühlingsrosenentknosper hatte dem Ganzen eine Art von dramatischer Form gegeben, und er selbst spielte denn natürlich die Hauptperson, den Auferstandnen, um den die Weiber weinen und klagen, und der ihnen dann plötzlich erscheinet. Diesen Abend wurden die Jünger von Emaus aufgeführt, wovon Hagebuck den einen und Küster den andern, der Stifter des Spiels selbst aber Christum [43] vorstellete. – Das Parterre war eine Reihe von Grabhügeln, worauf die Zuschauer saßen, und eine Reihe Lindenbäume, hinter welchen die spielenden Personen hervorkamen, waren die Kulissen. Die Erleuchtung machte, wie gesagt, der Mond. – Sie hatten nun die Reden aus der Messiade auswendig gelernt;Hagebuck machte den etwas lebhaftern und Küster den sanftern Jünger; und gerade da der eine sagt: bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget, kamen Knapp und Hartknopf auf den Kirchhof gewandert, und die beiden Jünger von Emaus erkannten Hartknopfen, mit dem sie die Nacht gewandert hatten, und ob sie ihn nun gleich in so unangenehmer Gesellschaft kommen sahen – denn der Gastwirth Knapp war ihnen immer ein Dorn im Auge gewesen – so nöthigten sie ihn doch, im Ernst bei ihnen zu bleiben, und mit ihnen vorlieb zu nehmen – denn es wurde wirklich, da es so weit kam, daß die beiden Jünger von Emaus ihren unbekannten Gefährten zum Essen einluden, ein artig besetzter Tisch unter einen der Lindenbäume gebracht, und Parterre und Theater [44] floß nun in eins zusammen; denn die bisherigen Zuschauer setzten sich alle mit an den Tisch, und waren also nun Personen mit im Spiele – Jesus brach das Brodt und dankte, aber er verschwand nicht, nachdem er sich zu erkennen gegeben hatte, sondern ließ es sich mit den übrigen recht gut schmecken, und Hartknopf mit seinem Vetter mußten sich auch mit an den Tisch setzen, ehe ließ man ihnen keine Ruhe. – Es war dieß eine Art von Pickenik, wozu ein jeder das seinige mit beitrug; die beiden Jünger von Emaus gingen frei aus; um desto herzhafter aber fingen sie an zu zechen; denn für gute Leute, sang Hagebuck, ist der gute Wein, und dabei machte er Hartknopfen ein schiefes Maul zu – denn so oft ihn Hartknopf ansahe, so war es immer, als wenn der Hahn zum zweitenmal gekrähet hätte – Der Blick durchschaute Hagebucks Geist und Seele, aber er war schon zu hart zum Schmelzen, er ging nicht hinaus, und weinte bitterlich, sondern, da er sich nicht anders mehr zu helfen wußte, machte er Hartknopfen ein schiefes Maul zu. – Die Verzerrung seiner Muskeln dabei war krampfhaft und fürchterlich [45] – Du wirst der Schlange den Kopf zertreten, aber sie wird dich in die Fersen stechen. – – Hartknopf saß erst da, still und unbemerkt und schwieg – Die Sonne war untergesunken, das Gespräch lenkte sich auf Tod und Unsterblichkeit Hartknopf sagte ein paar Worte darüber, die der einfältigste Bauer auch hätte sagen können, so kunstloß und ungelehrt waren sie – und doch ward eine allgemeine Stille, da er gesprochen hatte, und es getraute sich eine Weile niemand weiter zu reden. – So groß war die Herrschaft über die Gemüther, die Hartknopfen angebohren zu seyn schien.

Man stand nun vom Tische auf, die Gesellschaft zerstreute sich nach und nach – und ganz zuletzt taumelten denn die beiden Jünger von Emaus auch wohlbezecht von dannen.

Hartknopf und sein Vetter blieben auf dem Kirchhof allein – der Mond ging auf und beleuchtete die hohe Spitze des Kirchthurms und die alten langen Fenster der Kirche. – Die beiden Vettern suchten den Grabhügel, wo Hartknopfs Eltern lagen. Sie fanden ihn endlich unter vielen heraus – er war schon beinahe [46] durch die Zeit geebnet; der Staub darunter war eingesunken, und der Hügel mit –

Nahe dabei lag ein alter, abgehauener Baumstamm, sie wälzten ihn heran, und setzten sich darauf –

Nicht weit von hier sagte Knapp, und zeigte über zwei fremde Gräber weg, nicht weit von hier liegt meine Frau – funfzehn Jahre lang habe ich mit ihr glücklich gelebt, und von den funfzehn Jahren gereuet mich auch kein einziger Tag – ich habe sie doch gehabt, sagte er, sollte ich denn nun murren, daß ich sie nicht mehr habe?

Eben so wenig wie er murren kann, daß es heute nicht mehr gestern ist, antwortete Hartknopf. – Was heißt haben? – Wir haben den Tag nicht eher bis er vorbei ist. Niemand schätze sich glücklich, bis seine letzte Stunde da ist – Wohl dem, der denn sagen kann: ich habe gelebt – Seine Frau hat gelebt, laß er sie in Frieden ruhn!

Mir ist so wohl ums Herz, da ich mit ihm rede, erzähl' er mir doch nun auch seine Lebensgeschichte, wie es ihm zeithero gegangen ist, sagte [47] Knapp – er geht doch nun wohl schon stark in die Vierziger, – und in Zeit von zwanzig Jahren kann einem schon vielerlei begegnen – denn er mochte doch wohl ohngefähr ein Bursche von neunzehn Jahren seyn, da er als Geselle hier auswanderte – aber das muß ich sagen, viel Sorge und Kummer muß er die Zeit her nicht gehabt haben, sein Gesicht hat sich fast gar nicht verändert – ja! ja! ein Handwerk hat einen güldnen Boden, es läßt niemanden sinken, das habe ich immer gesagt, wenn sein Vater sich die Grille in den Kopf setzte ihn studieren zu lassen – hätte sein Vater weniger über Büchern gesessen, und das verwünschte Laboriren unterwegs gelassen, so wäre ihm Haus und Hof nicht mit in Rauch aufgegangen, so hätte er nicht zuletzt in der alten Hütte wohnen, und in Kummer und Elend sterben müssen. – Er hätte denn auch nicht auswandern dürfen, lieber Andreas, und hätte bei fremden Leuten nicht sein Brodt suchen dürfen. – Doch das ist im Grunde einerlei, – er hat sich doch nun was versucht, und wird sich schon durchgeschlagen haben. – Aber Jammer und Schade ist es, um die schöne Schmiede, die [48] sein Vater hier hatte – Gut war es, daß meine Schwester es nicht erlebte, wie sie verkauft wurde, es war ein schmuckes Mädchen, da sie seinen Vater heirathete.

Indem sie noch so miteinander sprachen, kam ein alter Greis gebückt auf einem Stabe im Mondschein daher geschlichen, bot ihnen einen guten Abend, gesellte sich zu ihnen, und setzte sich auf den Grabhügel bei ihnen nieder.

Es war der Rektor Emeritus von der lateinischen Schule in Gellenhausen, Hartknopfs ehemaliger Lehrer, der itzt von einem Gnadengelde von jährlich funfzig Thalern kümmerlich lebte. – Die Belohnung seiner treuen Dienste erwartete ihn dort oben, und nicht hienieden auf Erden. –

Er erkannte sogleich seinen ehemaligen Schüler, und eilte mit offnen Armen auf ihn zu: – so sehe ich dich denn wieder, mein Getreuer, und sehe dich weise und glücklich, das sagt mir dein Blick und deine Farbe! – »und dieser Händedruck!« sagte Hartknopf, und der alte Rektor Emeritus erkannte das Zeichen ihres ehemaligen Bundes der Weißheit und Tugend, den sie ohngeachter [49] der Verschiedenheit des Alters, zu einer ewigen Freundschaft geschlossen hatten – in dem Augenblick fühlte er sich hoch begeistert – die Vergangenheit stand mit diesem Zeichen plötzlich in ihrer ganzen Klarheit vor seiner Seele wieder da –

– Es ist voll Mittag! sagte Hartknopf und

– Es ist hoch Mitternacht! antwortete der Greis.

Und Knapp sagte: es ist Zeit, daß wir zu Hause gehen; denn die Luft fängt an, kühl zu werden.

Seine Geschichte, Vetter, ein andermal! Morgen Abend wollen wir uns hier wieder finden, sagte der Emeritus, und zu Knapp:

Gute Nacht Herr Gevatter! denn Knapps zehnjähriger Sohn war sein Pathe.

Darauf schieden sie voneinander.

Und Knapp und Hartknopf gingen zu Hause und legten sich nieder.

So ward aus Morgen und Abend Hartknopfs erster Tag in seinem Geburtsorte.

Hartknopfs erstes Erwachen in seinem Geburtsorte

[50] Hartknopfs erstes Erwachen in seinem Geburtsorte.

Als Hartknopf am andern Morgen die Augen aufschlug, stand ein kleines Kammerfenster offen, und er konnte durch dasselbe in der Ferne einen Hügel sehen, worauf das Gellenhausische Hochgericht stand. –

Von diesem Hügel hatte man in der ganzen Gegend umher die reizendste Aussicht – gleichsam als wenn man dem Verbrecher, der hier das Ende seiner Tage finden sollte, noch zur doppelten Strafe, vorher alle Herrlichkeit der Erde zeigen wollte, die er nun auf einmal mit gesundem Leibe verlassen mußte.

Auf diesem Hügel unter dem Galgen hatte Hartknopf oft gespielt, und mit den andern Knaben des Orts Ball geschlagen. – Von diesem Galgenhügel hatte er zuerst in Gottes schöne Welt geblickt, und seinen Vater oft gefragt, was [51] dieser offne Thorweg unter freiem Himmel bedeuten sollte, und wozu man die Lumpen und schwarzen Knochen darinn aufgehangen hätte? – Uebrigens diente ihm das Bild dieses Galgens in der Folge zum Kommentar über die Geschichte Simsons, und kam ihm vor die Seele, so oft er las, daß Simson ein Stadtthor ausgehoben, und auf einen Berg getragen habe.

Diese Eindrücke waren so fest bei ihm geworden, daß sich ihm, so oft er einen Galgen sahe, das Bild einer reizenden Gegend, und so oft er eine reizende Gegend sahe, das Bild eines Galgens unwillkührlich aufdrängte.

Itzt, da er nun denselben Galgen wiedersahe, an dessen Vorstellung sich alle die süßen Erinnerungen aus seiner Kindheit anknüpften, wurde er plötzlich mit einer unaussprechlichen Wehmuth erfüllt – was damals blühte, fing nun schon an zu welken – was damals welkte, war nicht mehr –

Er stand auf, schlug seinen messingnen Kamm in sein Haar, knüpfte seinen Rock von oben bis unten zu, sahe, ob sein Vetter noch schlief – und dann ließ er ihn ruhig schlafen, und wanderte [52] an seinem Stabe in der kühlen Morgenlust dem geliebten Hügel zu – und der alte einäugige Pudel begleitete ihn.

Es war noch früh am Tage – die Thüren waren alle verschlossen und Gellenhausen lag noch im tiefen Schlummer begraben – Da war ein Ziehbrunnen nicht weit von der ehemaligen Wohnung seiner Eltern. – Beim Anblick desselben war ihm sonderbar zu Muthe – Es war ihm plötzlich, als ob er einen Blick hinter den undurchdringlichen Vorhang gethan hätte, der irgend ein vergangnes Daseyn von seinem gegenwärtigen Daseyn trennte. – Er erinnerte sich an einen Zustand, der diesem ganz gleich war, und wußte doch diese Erinnerung nicht an Zeit und Ort zu knüpfen. –

Endlich fiel ihm ein, daß seine Mutter in seiner frühesten Kindheit, ihn, wenn er die Frage that, woher er gekommen sey, immer den Brunnen nicht weit vom Hause, als den Urquell seines Daseyns genannt habe. –

So oft er nun die Wörter Brunn oder Brunnquell hörte, entstand jene sonderbare Empfindung in seiner Seele, die man immer zu [53] haben pflegt, wenn man sich an etwas aus den Jahren seiner allerfrühesten Kindheit erinnert.

Nach Hartknopfs Meinung hatte es auch mit diesen Erinnerungen eine ganz eigne Bewandniß, und er hegte hierüber seine ganz besondern Gedanken –

»Die allerfrüheste Kindheit war ihm gleichsam der Lethefluß, aus welchem wir Vergessenheit aller unsrer vorigen Zustände trinken – Der Faden, der unser gegenwärtiges Daseyn an irgend ein vergangnes knüpfte, meinte er, sey hier so dünne gesponnen, daß ihn das Auge fast nicht mehr bemerken könnte; durch eine starke Hinsicht aber entdeckte man zuletzt doch etwas davon, so wie man oft am gestirnten Himmel, indem man seine Blicke fest drauf heftet, immer da einen Stern nach dem andern entdeckt, wo man vorher nur das Blaue sahe.« – Aber nun hat man einen Stern gesehen, und ist fest überzeugt, daß man ihn gesehen hat, und sucht allenthalben mit den Augen, ohne ihn wieder finden zu können. – So zählte Hartknopf viele Augenblicke in seinem Leben, wo ihm über gewisse Dinge ein plötzliches Licht in seiner Seele [54] aufging, aber es war auch eben so schnell wieder verschwunden – allein er wußte denn doch, daß er dieses Licht gehabt hatte – und wenn es gleich verschwand, so ließ es doch immer einen sanften Schimmer, ein in der Ferne dämmerndes Abendroth zurück, welches über jede Stunde seines Lebens einen stillen Reiz verbreitete, der ihn in süße Ahndungen und Träume einwiegte, das er sich denn gern gefallen ließ, weil er, wie er sagte, doch nichts damit zu versäumen hätte.

Aber das Wiedersehen dieses Ziehbrunnen ging ihm über alles – er betrachtete ihn lange und fest, ob es noch derselbe sey, und es war derselbe, wo er als ein Kind von zwei Jahren auf den niedrigen Rand geklettert war, und seine Mutter mit Geschrei und Schelten herzueilte, um ihn aus der Gefahr zu retten – dieser heilige Brunnen, den sich seine ersten Gedanken, als den Ursprung seines Daseyns gedacht hatten, in dessen Bilde gleichsam, alle die folgenden unzähligen Bilder seiner Seele zusammenströmten – Verkleinert schien sich zwar das Bild zu haben: der große Ziehbaum, der in der Luft schwebende [55] Eimer, hatten ihm Gegenstände geschienen, die beinahe bis an die Wolken reichten. – –

Mögen nun Hartknopfs Grillen hierüber gewesen seyn, welche sie wollen – ein Ziehbrunnen in einer Landschaft angebracht macht immer einen sonderbaren schwer zu erklärenden Effekt. Sey es nun das Einfache in dem Baue, oder sonst etwas, wodurch das Auge auf eine vorzügliche Art gerührt wird, so giebt es immer dem Ganzen das Ansehen des Ländlichen, des Alterthums, und der simplen Natur.

Eine Zugbrücke hat in der Wirkung für mich etwas ähnliches mit jenem Bilde. Ich denke mir dabei weite Reisen – – ferne Stadt – – Anfang, Ende – – Kurz es giebt einige körperliche Gegenstände, bei deren Anblick wir eine dunkle Uebersicht unsers ganzen Lebens, und vielleicht unsers ganzen Daseyns erhalten. – Diese Gegenstande mögen freilich immer bei einem jeden wieder andre seyn. – Was mir Hartknopf oft von Ziehbrunnen erzählt hat, das habe ich ihm wieder von der Zugbrücke gesagt, und unsre beiderseitigen Bemerkungen treffen in Ansehung [56] der Wirkung, die diese Gegenstände auf uns thaten, richtig zusammen.

Wenn wir oft so miteinander aus dem Innersten unsrer Seelen heraus sprachen, so war es eine Zeitlang, als ob wir unsre Ichheit miteinander vertauscht hätten, wir fühlten uns ineinander – die innerste Folge der Gedanken des einen war für den andern nicht mehr verschlossen. –

Auf diese Weise unterhielten wir uns ohne Sprache – Es herrschte zwischen uns ein bedeutendes geistvolles Stillschweigen, das der Engländer a Silent Conversation nennt – und welches man aus unsern faden Gesellschaftszirkeln immer mit Gewalt zu verscheuchen sucht – indem man dieses heilige Stillschweigen für eine Beleidigung des Wohlstandes hält. –

O mein Hartknopf, wenn ich einst aus diesem fieberhaften Traume des Lebens zu deiner Umarmung wieder erwache, durch was für unbekannte geheimnißvolle Wege werden dann unsre Gedanken zueinander gelangen, und sich miteinander unterreden? wenn das Gewölbe des Ohrs in Staub zerfallen, dieser feuchte Crystall des Auges vertrocknet, und diese Lippe verweßt ist? – [57] Wenn diese Brust nicht mehr athmet um mit dem sanften Hauche der Luft den Gedanken zu bekleiden, daß er sich mittheilt von außen, und in dem Geiste des Hörenden sich vervielfältigt? – Sollte dann eine ewige Kluft zwischen unsern Gedanken befestigt seyn? – sollte es unmöglich seyn, daß sie unmittelbar zu einander gelangen könnten – o mein Hartknopf, dann wärest du für mich verlohren, und für mich wäre eine ewige melancholische Einsamkeit – – aber wir haben uns einst ohne Sprache verstanden, da selbst unsre Augen verschlossen waren – – diese Minuten sollen mir heilig seyn, an der Stütze will ich mich festhalten, wenn manchmal in trüben Stunden meine Zuversicht und mein Glaube wankt! –

Hartknopf eilte nun weiter dem Thore zu, welches auf den Galgenberg führte – er sahe die breite Heerstraße vor sich, auf welcher er seine erste Wanderschaft, als Schmiedeknecht, angetreten hatte. – Hier fühlte er sich in seiner ganzen jugendlichen Stärke wieder – die weite Welt lag wieder vor ihm, wie damals – auch führte der Weg zum Galgen gerade nach Osten zu – [58] er war auch auf seiner ersten Wanderschaft schon einige Meilen nach Osten fortgerückt, hatte sich aber nachher wieder weit gegen Westen geschlagen – da ging ihm denn die Sonne seines Glücks unter, aber sie ging in seiner Seele desto herrlicher wieder auf. –

Das Erdreich fing sich an zu heben, der Horizont wurde immer weiter – Thürme von Dorfkirchen und einzelne Häuser, die Hartknopfen alle bekannt waren, stellten sich nacheinander seinem Auge wieder dar; die ganze Gegend schien ihn, wie ihren alten Freund und Bekannten wieder zu begrüßen – Gellenhausen lag tief im Thale, und er konnte bis in die Straßen hinabsehen –

Endlich wälzte sich die Sonne mit einem Feuerberge umgeben, am Himmel herauf, und röthete zuerst die Spitze des Galgens auf dem Hügel, und dann die Spitze des hohen Thurms in Gellenhausen – Endlich kam sie nun gerade hinter den Galgen zu stehen, derHartknopfen wieder, so wie ehemals in seiner Kindheit, wie Simsons großes Thor vorkam, und eine Ehrenpforte [59] zu seyn schien, wodurch die majestätische Sonne ihren feierlichen Durchzug halten wollte.

Gerade unter dem Galgen war der weiteste Prospekt, und mit welchen Entzücken nun Hartknopf da stand, und die Wonne des Wiedersehens und der Wiedererinnerung genoß, vermag ich nicht zu beschreiben. – Er faltete seine Hände zu Gott empor, der ihn bis hieher geführt habe. –

So stand Hartknopf und betete, sein Gesicht gegen Osten gekehrt, zu dem Erhalter des Weltalls – in der stillen Einsamkeit, unter dem Hochgerichte bei Gellenhausen – Dieser Hügel war sein Altar, und die ganze Natur sein Tempel.

Auf den Altären in den Kirchen, die mit Menschenhänden gebauet sind, steht zum Schmuck ein Creutz; diesen großen Altar schmückte ein Galgen, an welchem vielleicht schon mancher, als ein Opfer der unerbittlichen strafenden Gerechtigkeit, unschuldig gelitten hatte. Und hätte auch nur ein einziger unschuldig daran gelitten, so war dieß Holz dadurch schon eingeweiht.

Ach, und die Schuldigen – die hier einen schmählichen und schändlichen Tod fanden – wer [60] hat das Labyrinth ihrer von Kindheit auf verflochtnen Schicksale durchschaut? welcher Richter in die innersten Falten ihres Herzens geblickt? wer den Uebergang von dem Gedanken zur That bemerkt? bemerkt, von welchen Gegenständen, während dieses Uebergangs, Lichtstrahlen ins Auge, Töne ins Ohr sich stahlen? ob der Himmel heiter oder trübe war, die Sonne sich hinter einer Wolke verbarg oder sanft dem noch nicht gewordnen Verbrecher ins Auge glänzte? – Wie manchen hat der Anblick der vollen Natur, der Anbruch des Morgens von einer That zurückgehalten, worüber seine Seele in nächtlicher Stille gebrütet hatte? – – Ja, wer hat sein eignes Herz durchschaut, um ein Richter seiner eignen Handlungen seyn zu können? – Verzeihe mir, Herr, die verborgnen Fehler! sagte Hartknopf, indem sahe er sich um, und hinter ihm stand sein aller Vektor Emeritus, der sich eben von einem Husten erhohlte, den ihm das Aufsteigen auf den Berg, und die kühle Morgenluft verursacht hatte. – Sie setzten sich nieder, und fingen, ihr Antlitz gegen Osten gekehrt, folgendes Gespräch an:

Hartknopfs Unterredung mit seinem alten Lehrer

[61] Hartknopfs Unterredung mit seinem alten Lehrer unter dem Galgen von Gellenhausen.

Der Emeritus. Ich glaubte dich hier zu finden, mein lieber Andreas, und ich sehe, daß ich mich nicht geirrt habe – mit Entzücken lese ich heute noch wie gestern, in deinem Auge, in deinen blühenden Wangen, auf deiner heitern Stirn, daß unser Bund der Weißheit und der Tugend noch fest steht, und daß er fest stehen wird, wenn diese meine morsche Hütte längst zerfallen ist – Sonnen sind aufgegangen und Sonnen sind untergegangen, seit ich dich nicht gesehen habe, Menschen sind in Staub gesunken, und Menschen sind geworden, der Schnee hat oft diese Hügel and diese Thäler bedeckt, und ist wieder von den Strahlen der Sonne hinweggeschmolzen, seit ich dich nicht gesehen habe – dennoch ist der Faden, womit sich meine Gedanken an die deinigen knüpften, nicht abgerissen – wir sprachen, da wir vor ein und zwanzig Jahren zuletzt auf diesem Hügel voneinander [62] Abschied nahmen – von meiner alten messingnen Studierlampe mit dem grünen Schirm – da wollen wir also wieder anfangen: – wie doch so ein Ding ausdauren kann – die Lampe steht dir noch unversehrt auf dem Schrank hinter der Thüre, und meine alte Haushälterinn scheuert sie alle acht Tage so blank, daß sie wie ein Spiegel glänzt, und doch ist sie noch wenig oder gar nichts abgenutzt – wie manchen Abend hat sie uns beiden, Weißheit und Wahrheit durch das Auge in die Seele geleuchtet, und der grüne wohlthätige Schirm milderte ihren Schein, daß unser Auge nicht ermüdete – Du hast nachher wohl bei mancherlei Lampen gesessen – aber ich bin dieser einen getreu geblieben – Du sollst sie auch wieder sehen! – Lieber Andreas, was ist diese Hülle von Staub? Dieser hinfällige Körper, den eine alte Studierlampe überlebt – Es ist doch Schade, daß dieser kunstreiche Bau des Auges, durch welches Licht und Wahrheit in die Seele strömt, eher wieder in Staub versinken soll, als die Lampe, die ihm leuchtete – Diese Hand ließ es ihr nie an Oehl und Tacht gebrechen, und in kurzem wird sie verweßt seyn – was wären wir, [63] lieber Andreas, wenn das, was wir unsre Hülle nennen, unser ganzes Ich wäre? – Aber es kann nicht so seyn, und es ist nicht so – du sollst mich auf meinem Todtbette beobachten, wenn meine Augen brechen, und meine Lebensgeister hinsinken, und indem meine Brust zu athmen aufhört, werd ich dir noch einen Druck mit der Hand geben – der soll dir sagen, daß ich noch bin, in dem Augenblick, da ich aufhöre zu leben. (Er gab drauf Hartknopfen die Hand auf die Art, wie er sie ihm auf dem Todbette geben wollte – und Hartknopf vergoß keine Thräne, da er den Emeritus so reden hörte, sondern es leuchtete vielmehr eine himmlische Heiterkeit und Zuversicht aus seinem Auge hervor – Der Händedruck hatte etwas Erhabenes, Nerven- und Seelenerschütterndes, und eine überzeugende Kraft, die mehr als der bündigste Syllogismus wirkte.)

Hartknopf. O mein Elias! – dieß war sein Taufnahme, und da sie den Bund schlossen, hatte der Rektor Hartknopfen, ihn immer so zu nennen befohlen – laß deinen Geist zwiefach auf mir deinem Jünger ruhn, wenn du auffährest! – Ich will dir nachblicken, so weit ich kann, [64] aber laß auch deine Gedanken mit meinen sich zusammen finden! – wenn du noch bist, so muß das geschehen, – wenn ich dich nicht mehr höre und nicht mehr sehe, so muß doch mein Geist mit deinem Geiste noch Umgang pflegen – wenn ich rede, mußt du mir antworten, wenn ich dich rufe, mußt du nicht ferne seyn – –

Der Emeritus. Ja, um wieder auf die Lampe zu kommen, weißt du auch, wie wir einmal beim Shakespear saßen – der schönen Shakespearabende hast du dich gewiß oft erinnert – wir lasen den Othello. – Wir sahen eine Welt von Leidenschaften vor unsrer Seele aufsteigen – und unsre Erwartung der schrecklichen Katastrophe war aufs höchste gespannt, als plötzlich die Lampe verlosch – und wir konnten sie nicht wieder anzünden – das ganze erhabne Zauberwerk war verschwunden, bloß weil eine armseelige Lampe verlosch – wir legten uns mißvergnügt zu Bette. – Und wenn nun das Oehl in dieser Lebenslampe versiegt, und der Tocht vertrocknet ist, und die leuchtenden Sterne dieser Augen auf immer verloschen sind – dann ist auf einmal der sonst feste Zusammenhang [65] so vieler Dinge für uns abgeschnitten – wir legten uns damals mißvergnügt zu Bette, als die Lampe verloschen war – weil wir den Zusammenhang einer bloßen Phantasie, einer Schöpfung der Einbildungskraft nicht weiter verfolgen konnten. – O mein Freund, wie gut ist es, sich nicht zu tief in den Lebenstext hereinzulesen – immer auf der Warte zu stehn – um bereit zu seyn, sobald die Ordre zum Aufbruch gegeben, und das große Feldsignal aufgesteckt wird, daß wir kennen. –

Ist es dir nicht oft im Traume gewesen, mein lieberAndreas, als ob du das Erwachen fürchtetest; und wenn du erwachtest, wünschtest du denn nicht manchmal wieder einzuschlafen, um nur den Faden von dem abgerißnen Traume wieder anzuknüpfen – aber wenn du recht erwacht, und deiner selbst dich völlig wieder bewußt warest, mußtest du da nicht über dein Beginnen lächeln?

Sieh, so lange, bis wir erst recht und vollkommen von diesem Lebensschlaf erwacht sind, werden wir auch noch immer wünschen den schönen Traum wieder anzuknüpfen, der durch den [66] Tod unterbrochen wird – aber wenn uns erst die Schlummerkörner aus den Augen gewischt sind – dann werden wir ins Freie schauen – dann werden wir uns in der Wahrheitswelt erst wieder zu orientieren suchen, so wie wir beim Erwachen aus dem Schlafe nach irgend einem Fenster oder einer Thüre fest hinblicken, und uns die Gegenstände rund um uns her merken, um uns zu überzeugen, daß wir nicht mehr träumen sondern wachen – dann wird der Zusammenhang der Dinge, den wir durchschauen, den gegenwärtigen eben so sehr übertreffen, als wie der Tag die Nacht an Klarheit übertrift. –

Warum sollte diese Stufenfolge nicht statt finden, mein Lieber? – mir hat oft geträumet, daß ich aus einem Traume erwacht sey, und ich habe im Traume über meinen gehabten Traum nachgedacht – und beim Erwachen konnt' ich über beides nachdenken. – Der Traum war wegen seiner größern Deutlichkeit eine Art von Erwachen gegen den ersten – dieß anscheinende Erwachen aber war doch wieder nur ein Traum gegen das ordentliche Erwachen – und dieß ordentliche Erwachen, wer sagt uns, daß es gegen [67] eine noch deutlichere Einsicht in den Zusammenhang der Dinge, uns nicht wieder wie ein Traum dereinst vorkommen wird. –

Jemehr Zusammenhang, jemehr Wahrheit – jemehr Ordnung, jemehr Licht. – Wie vieles ist uns hier noch dunkel und verwirrt – es kann unmöglich das rechte Wachen seyn. – –

Indem der Emeritus noch so sprach, wurde auf einmal sein Auge starr, und seine Lippen bewegten sich nicht mehr – Hartknopf erschrak – allein der entzückte Greis kam bald wieder zu sich, drückte Hartknopfen die Hand, und sagte:

Das war eine sonderbare Empfindung – indem ich eben itzt so lebhaft dachte, daß dieß unmöglich das rechte Wachen seyn könnte – so war es mir gerade als wenn einem im Traume einfällt, daß man träumt; man pflegt denn zu erwachen – mir däucht, ich war itzt auf dem Wege zu erwachen, aber well ich dich vor mir sahe, so war mir der Traum zu süß; ich mochte ihn noch nicht fahren lassen, und der Faden, welcher zu zerreissen drohte, ist noch einmal wieder angeknüpft – – Ich gab dir aber doch die [68] Hand, wenn er etwa reissen sollte – bald wird er reissen, das fühl' ich wohl, mein Lieber!

Hartknopf vergoß wiederum keine Thräne, da er dieß hörte, sondern sein Antlitz schien sich bei diesen Gesprächen zu verklären, so wie das Antlitz seines Lehrers und Meisters –

Hier war wohl ein rechtes Tabor – obgleich ein Galgen die höchste Spitze des Berges schmückte; so hätte man doch wohl sagen können, hier ist gut seyn, hier lasset uns Hütten bauen – denn das Verweßliche war hier im Begriff anzuziehen das Unverweßliche – und der unsterbliche Geist durchbrach hier seine Hülle, und strahlte aus Auge und Stirn hervor – Der Emeritus schwieg, und Hartknopf hub mir halb gedämpfter Stimme an zu singen:


Wenn ich einst aus jenem Schlummer,

Welcher Tod heißt aufersteh,

Und von dieses Lebens Kummer

Frei, den schönern Morgen seh –

O, dann wach' ich anders auf,

Schon am Ziel ist dann mein Lauf,

Träume sind des Pilgers Sorgen,

Großer Tag, an deinem Morgen!


[69] Dieß war schon seit einiger Zeit Hartknopfs Morgenlied gewesen – und dieß Lied war nun gleichsam die Musik zu dem großen Text, den der Emeritus so eben abgehandelt hatte. Darum schlug es in dessen Seele Feuer – er ließ es sich zu dreienmalen vonHartknopfen wieder vorsingen – da war es seinem Gedächtniß eingeprägt, das lange schon Neues zu fassen aufgehört hatte, um nur das Alte noch mühsam zusammen zu halten. –

Die erhabne Melodie zu diesem Gesange scheint wie das Feuer des Prometheus einer andern höhern Sphäre entwandt zu seyn, mit solchen unbekannten Empfindungen füllt sie die Seele, und macht das Herz zerschmelzen. –

Erst hebt sie sich sanft und stuffenweise, bis sie sich bald in höhern Regionen zu verlieren scheint, aus denen sie nun beruhigt, gestärkt, und getröstet mit festem Tritt wieder herabsteigt, um sich aufs neue im höhern Fluge mit Jauchzen emporzuschwingen – sanft hinwegzugleiten über diese niedre Welt – mit Lächeln herabzuschauen auf die Sorgen und mühevollen Arbeiten der Bewohner dieser Erde – und dann in einem[70] einzigen großen Gefühl der erweiterten Ichheit allen Kummer des Lebens mit einemmal zu versenken.

O es liegt ein großes Geheimniß in dem Fall dieser melodischen Töne, die, so wie sie auf und absteigen, die Sprache der Empfindungen reden, welche Worte nicht auszudrücken vermögen – Welch ein weitläuftiges Gebiet von Ideen liegt hier außer den Grenzen der Sprache: wo ist der neue Kolumbus, der diesen bisher noch leeren und unbeschriebnen Raum auf der großen Charte der menschlichen Kenntnisse, durch neue Entdeckungen ausfüllt? – –

Wo ein Aas ist, versammeln sich die Adler

[71] Wo ein Aas ist, versammeln sich die Adler.

Indem Hartknopf und der Emeritus noch im tiefen Gespräch begriffen waren, hörten sie Fußtritte den Berg herauf, und wunderten sich, daß sie schon so früh Gesellschaft bekamen – als sie von der westlichen Seite die beiden Weltreformatoren Küster undHagebuck hinaufklimmen sahen, welche mit einem Trupp der Gellenhausischen Jugend die Sonne wollten aufgehen sehen – sie waren aber ein wenig zu spät gekommen.

Sie kamen mit viel Geräusch und Lerm, und Hartknopf und der Emeritus zogen sich in eine kleine Bucht am Abhange des Hügels zurück – und überließen ihren Platz den Weltreformatoren – diese nahmen ihn denn auch feierlich in Besitz; Hagebuck ließ seine Zöglinge sich im Kreise umherstellen, und zeigte ihnen von dieser Höhe alle Herrlichkeit der Welt – darauf stellte er sich hin, und hielt eine Rede an den ganzen [72] Erdkreis, den er aufforderte, das Licht, welches ihm nun so wohlthätig aufgesteckt würde, willig anzunehmen, und die Nacht der Vorurtheile fahren zu lassen – hierauf redete er von dem Berge die Stadt Gellenhausen an, daß sie doch ihr wahres Wohl nicht verkennen, und sich dem wohlthätigen Einfluß der allgemein sich verbreitenden Aufklärung nicht widersetzen möchte – dann redete er die Gellenhausische Jugend an, daß sie dieß erhabne Schauspiel des Aufgangs der Sonne doch recht empfinden sollten – Und nun fing er an, ein Gedicht in Hexametern auf den Sonnenaufgang vorzulesen, welches sich anhub:


O seht, wie die blitzende Sonn' im Strahlengewande emporsteigt,

In majestätischer Pracht, ihr Völker grüßt ihr entgegen,

Jud', und Türke, und Christ, und selbst der schwärzeste Neger,

Sey von Danke belebt, daß ihm der Sonn' Antlitz zulächelt –


Indem nun Hagebuck noch weiter fortlesen wollte, zog sich auf einmal ein trüber Nebelschleier [73] vor die Sonne, der schon lange im Aufsteigen begriffen war, und sie nun ereilte; dadurch war Hagebucken sein ganzes Koncept verdorben – denn das Gedicht war ganz lokal, und es sollte nun eins nach dem andern daran kommen; Hügel, Bäche und Thäler, wie sie allmälich vom Strahl der Sonne vergoldet wurden, und wie nun der Thau auf den Blumen blitzte – Das war nun alles vergeblich – der Thau blitzte nicht mehr auf den Blumen – die Spitzen der Hügel wurden nicht mehr vergoldet – Hagebuck machte eine lange Pause, und wartete, daß der Nebel sich wieder wegziehen sollte – aber der Nebel zog sich nicht wieder weg – Darüber wurde Hagebuck verdrießlich, und als ihm der alte lahme Pudel des Gastwirths Knapp, derHartknopfen begleitet hatte, zu nahe kam, so gab er ihm mit dem Fuß einen Stoß, daß das arme schwache Thier nach einem lauten Schrei verschied – Das war also an diesem Morgen des Pudels letzter Gang gewesen –

Daß er von Hagebuck den unsanften Stoß erhielt, kam bloß daher, well er dem Gastwirth Knapp angehörte, der Hagebucken beständig [74] ein Dorn im Auge gewesen war – denn er warnte das Volk – und so oftHagebuck mit ihm reden wollte, war seine Rede beständig ja! ja! nein! nein! gewesen.


Hartknopf hatte in seiner Bucht den Schrei des Hundes vernommen, und der Emeritus hatte den Stoß gesehen – Da ergrimmte Hartknopf im Geiste, und sprang auf, pakte den erschrocknen Hagebuck bei der Brust und sagte: »Unmensch, was hat dir der Hund gethan, daß du ihn todtgetreten hast?« – Er ist mir zu nahe gekommen – – er hat mich gebissen – stammelte Hagebuck zitternd und zagend – »Er ist dir nahe gekommen, aber er ist dir nicht zu nahe gekommen und hat dich auch nicht gebissen« – erwiederteHartknopf und schüttelte ihn noch stärker – Um Gottes willen laß mich, flehte Hagebuck, und mach mich nicht zu Schanden vor dem Volk! Ich will dir für den Hund ein Stück Geld bezahlen – mußte er denn nicht so bald verrecken – »Daß du verdammt seyst mit deinem Gelde!« sagte Hartknopf, und stieß ihn von sich, daß er einige Schritte rückwärts taumelte, dann seinen [75] Haufen um sich her versammelte, und schnell mit ihnen den Berg herunter eilte. –

Und als er unten am Fuß des Berges war, mußten sich alle niedersetzen, und er hielt ihnen eine Vorlesung, von der boshaften Nachsucht, und stellte Hartknopfen zum Beispiel auf – und von der Großmuth und der süßen Pflicht zu verzeihen, wozu er die Beispiele größtentheils aus seinem eignen Leben hernahm. –

Oben auf dem Berge war nun das Feld wieder rein – Hartknopf und der Emeritus nahmen noch eine Weile ihren Platz wieder ein – und der Nebel verzog sich, sobald Hagebuck verschwunden war, und die Sonne glänzte wieder in aller ihrer Klarheit.

Dieß wäre nun freilich so etwas zufälliges, das kaum bemerkt zu werden verdiente – wenn nicht in den Seelen der Menschen eine gewisse Harmonie und Disharmonie mit der sie umgebenden Natur statt fände – so daß bei dem einen alle äußere Veränderungen in der Natur, in die natürlich auseinander folgenden Veränderungen seines Ichs harmonisch eingreiffen – und hingegen bei dem andern eine ewige Dissonanz [76] aller äußern Umstände mit seinen innern Wünschen und Bestrebungen statt findet. –

Hartknopfs Seele traf immer wie eine richtig gestellte Uhr mit dem Lauf der Sonne, mit Abend und Morgen, mit der Abwechselung der Jahrszeiten, mit Sturm und Regen sowohl, als mit dem Säuseln des Westwindes, auf einen Punkt zusammen – und eben so war es auch bei dem Emeritus Elias – sie gaben wie nicht zu schlaff und nicht zu stark gespannte Saiten in dem großen Konzert der Schöpfung immer den rechten Ton an – ihnen konnte nichts mehr unerwartet kommen, nichts den Frieden ihrer Seelen stören – sie waren in dem großen Zusammenhange der Dinge, und in sich selbst gesichert. –

Als hingegen Hagebuck seine Hexameter deklamiren wollte, so zog sich auf einmal ein Nebelstreif vor die Sonne – und es war auf einmal zwischen ihm und der Natur eine gänzliche Dissonanz, die der arme lahme Pudel noch vermehrte, den er auch dafür in den Staub darnieder trat – Was hätte er wohl mit der ganzen Natur gethan, wäre er in diesem Augenblick ihr Herr gewesen? [77] – aber er fühlte seine Ohnmacht, daHartknopf ihn schüttelte – und knirschte in der Tiefe seiner Seele, daß er die Obermacht des Gerechten anerkennen, und vor ihm wieder in Staub versinken mußte. –

Wohl dem, wer sich mit der großen Natur so steht wie Hartknopf und der Emeritus! – der darf nicht Pest, nicht Theurung, nicht Ueberschwemmung fürchten – nicht Krankheit, nicht Verwesung – er schlummert so sicher auf dem Schooß und in dem Schooß der Erde, wie das Kind im Schooß der Mutter – –

Der alte lahme einäugige Pudel lag nun da in süßer Ruhe – er mußte in seinem Leben oft Hunger und Kälte ausstehen, mußte manchen Fußtritt erdulden – – aber keiner war ihm doch so hart gefallen, als der von Hagebuck, welcher seinem sinkenden Alter den Rest gab. –

Eine Leichenpredigt auf einen alten lahmen und einäugigen Pudel

[78] Eine Leichenpredigt auf einen alten lahmen und einäugigen Pudel.

Wohl dir! sagte Hartknopf, da er mit untergeschlagenen Armen, den Kopf gesenkt, auf die Leiche herunter sahe – und: wohl dir! stimmte der Emeritus ein –

Sie scharrten darauf mit ihren Stäben, so gut sie konnten, ein Loch in die Erde, legten den Pudel sanft hinein, und scharrten mit den Füßen einen kleinen Hügel von Erde über ihn zusammen – darauf gingen sie Hand in Hand den Berg herunter, und wanderten wieder dem Thore zu, und als sie nun bald am Thore waren, kam ihnen der Gastwirth Knapp entgegen, und fragte, ob sein Pudel nicht bei ihnen wäre; denn er pflegte sonst immer des Morgens vor sein Bette zu kommen, und ihn durch ein sanftes Bellen zu wecken – und heute habe er die Zeit verschlafen –

[79] Sey er unbekümmert, sein Pudel verschläft auch die Zeit, sagte Hartknopf, er liegt in guter Ruhe – der Scharfrichter Hagebuck hat ihn auf dem Galgenberge durch einen sanften Stoß vom Leben zum Tode gebracht – und wir haben ihn ehrlich begraben, daß kann er versichert seyn – will er ihm auch ein Epitaphium setzen, so will ich ihm den Fleck zeigen, wo er liegt.

Ja, ja! sagte der Gastwirth Knapp, er hat gut Reden – der Pudel ist ihm wohl freilich nicht so aus Herz gewachsen – aber er wird doch auch zurückdenken können, daß ich und der Pudel ihm noch das Geleite gaben, da er auf die Wanderschaft ging, und das ist doch keine kleine Zeit her – wodurch wächst einem denn eine Sache ans Herz, als durch die Zeit? – Zwar er hat während der Zeit mit dem Pudel weiter keinen Umgang gehabt, und hat auch durch Briefe nichts von ihm erfahren – – mich aber hat er alle Morgen frühzeitig geweckt, indem er vor mein Bette kam, und sanft bellte. – Lieber Vetter, der Hund ist meine Uhr gewesen – ich konnte mich nach ihm richten, wenn es Essenszeit war; dann scharrte er an der Thüre, und ich [80] fand immer, daß es gerade die rechte Zelt zum Essen war – daß er mir zweimal das Leben gerettet hat, wird er wissen, oder weiß er es nicht, so will ich es ihm erzählen. –

Ich weiß es, er hat es mir gestern erzählt, sagteHartknopf – Nun so wird er doch auch wissen, daß er dabei das erstemal lahm wurde, und das zweitemal ein Auge verlohr – darum laß' er meinen Pudel in Frieden ruhen, und spotte er nicht mit dem Epitaphium! –

Ich spotte nicht, sagte Hartknopf – sondern wenn er will, so will ich ihm selbst eine Grabschrift machen helfen, die wollen wir aufschreiben und wie eine Fahne an einen Stock heften, daß sie Hagebuck morgen früh mit seinen Zöglingen lesen kann:


Der einäugig und lahm

Hier sein Ende nahm,

War einäugig und lahm,

Weil er zweimal seinem Herrn

In Todesnoth zu Hülfe kam.

Ein Schuft erschlug ihn,

Sein Herr beweint ihn,

Die Erde deckt ihn,

Sie deck' ihn leicht!


[81] Schreib' er mir doch das auf Vetter, sagteKnapp – und Hartknopf schrieb es ihm auf –

Drauf tröstete der Emeritus seinen GevatterKnapp, über den Verlust seines Pudels, und sagte, der Pudel sey gleichsam ein Emeritus, oder ein ausgedienter gewesen, der denn doch auch einmal in Ruhe zu seyn wünschte. –

Aber er war auch gewiß ein sehr meritirter Emeritus, erwiederte Knapp – war er es nicht?

Allerdings, sagte der Emeritus – das verlohrne Auge war sein Stern, und das lahme Bein sein Ordensband –

Das Gleichniß hinkt! – sagte Hartknopf – Laß er es hinken! erwiederte der Emeritus.

Der hohe Beruf eines Gastwirthes

[82] Der hohe Beruf eines Gastwirthes.

Während diesen Gesprächen waren sie wieder bis an den Gasthof zum Paradiese gekommen – der Emeritus nahm Abschied – und ging zu Hause – er wohnte aber nicht weit um die Ecke nach der Kirche zu, in einem alten Schulhause, wo ein kleines Fenster in seiner Kammer auf den Kirchhof zu ging; aus diesem Fenster hatte er den Abend vorher, die dramatische Uebung mit angesehen, und drauf hatte er Hartknopfen mit seinem Vetter Knapp kommen sehen, und war zu ihnen heruntergeeilt.

Man wird sich wundern, daß Hartknopf nicht gleich bei seiner Ankunft nach dem Emeritus fragte – aber er war nicht von vielen Fragen – und der Emeritus war ihm in seinem Herzen sicher genug, er mochte nun leben oder todt seyn.

Seinen Vetter Knapp aber fragte er jetzt, wie er denn gelebt hätte, und ob er auch den [83] hohen Beruf eines Gastwirths nach allen seinen Kräften zu erfüllen gesucht hätte – Knapp meinte, er hätte noch weit mehr thun können, er wollte aber das Versäumte noch so viel wie möglich wieder nachzuhohlen suchen. – Weiter sagte er nichts. –

Da nun des guten Knapps Bescheidenheit ihn so stumm machte, so muß ich wohl das Wort für ihn nehmen, und etwas weniges von seiner Lebensweise beibringen, das ihn dem Leser bemerkenswerther macht, als er ihm bisher vielleicht geschienen hat.

Ich habe schon bemerkt, daß im Gasthofe zum Paradiese die Zöllner und Sünder, die Niedrigsten aus dem Volke herbergten – wer zu Roß oder zu Wagen kam, der kehrte schwerlich im Paradiese ein, wenn nicht die drei Kronen oder der goldne Hirsch schon besetzt waren – aber der ermüdete Wandrer, fand hier eine sichre und wohlfeile Herberge – Der Handwerksbursch der mit seinem Felleisen belastet, oft mit leerem Beutel und leerem Magen, bloß wandert um zu wandern, und den strengen Zunftgesetzen ein Gnüge zu leisten, die ihn aus seiner süßen Heimath, [84] von seiner verlobten Braut, und von den Gespielen seiner Jugend auf eine Anzahl Jahre verbannen – damit er einst bei seiner Zurückkunst von der großen Glocke in Erfurt, von dem Münster in Strasburg, und dem großen Fasse zu Heidelberg zu erzählen wisse. –

Diese, und höchstens etwa einmal ein Fuhrmann, oder irgend ein in Fortunens Ungnade gefallner Erdensohn, den vielleicht in bessern Tagen selbst der goldne Hirsch und die drei Kronen eine zu schlechte Herberge gewesen wären, kehrten itzt hier im Paradiese ein, und nahmen willig mit einer Streue vorlieb, die ihnen der Gastwirth Knapp, so gut und bequem, wie irgend einer, machen ließ, und ihnen, wenn der Schläfer nicht zu viele waren, gern noch ein Kopfküssen dazu gab.

In welchem Lichte aber wird der Gastwirth Knapp erscheinen, wenn ich sage, daß von allen denen, die je bei ihm herbergten, keiner war, der nicht besser wieder aus dem Paradiese ging, als er hereingekommen war – Da war kein Bettler, kein Zigeuner, den Knapp nicht mit liebevollen Augen sahe; keiner, den er als einen wildfremden [85] Menschen nicht seiner Aufmerksamkeit werth geachtet hätte. –

Knapp hätte nicht dürfen ein Gastwirth werden, wenn er nicht gewollt hätte; es standen ihm in seiner Jugend tausend Wege offen – auch fehlte es ihm nicht an Kopf – er hatte die lateinische Schule besucht – der Emeritus, der jetzt Gevatter zu seinem Sohne war, war auch sein Lehrer gewesen – und mit dem hatte er überlegt, was er für eine Lebensart wählen wollte –

Und sein Hang floß über von Mitleid gegen den armen verachteten Wandrer, gegen den herumziehenden Erdensohn, um den sich niemand bekümmert – dem niemand mit Rath und Trost zu Hülfe eilet; gegen den Bettler am Wege, dem der mitleidige Vorübergehende eine Gabe in den Hut wirst, aber ihn seines Zuspruchs nicht würdigt, oder nicht Zeit hat, sich aufzuhalten, weil seine Geschäfte ihn zu etwas andern rufen, als der im Elend versunknen Menschheit wieder aufzuhelfen. –

Mögen andre für die Glücklichen sorgen, sagteKnapp zu sich selber, daß sie noch glücklicher [86] werden, durch schöne Gemählde, schöne Statüen, und schöne Gedichte – wenn ich nur etwas dazu beitragen kann, daß die Unglücklichen nach ihrer Art ein wenig glücklicher werden, durch Gesundheit, Zufriedenheit, und Arbeit – Das große Gebäude der menschlichen Glückseligkeit müssen doch auch einige von unten angreifen, wenn es nicht einmal plötzlich zertrümmern soll. –

Gesundheit, Arbeit, und Zufriedenheit sind doch die große feste Basis, worauf alle die leichtern Zierrathen von schönen Gemählden, Statüen, und Gedichten ruhen müssen, wenn wir uns ihrer mit gutem Gewissen freuen sollen –

So dachte Knapp oft in einsamen Stunden, und so hatte ihn der Emeritus denken lehren. – Nun faßte er bald seinen Entschluß, kaufte sich den Gasthof zum Paradiese, dessen voriger Eigenthümer gestorben war, und mit dem sich keiner gern wieder befassen wollte, weil er gemeiniglich die Bettelherberge genannt wurde – und hier stellte er sich nun freudig an seinen Posten, fing das große Geschäft seines irrdischen Lebens an, und wartete den täglichen Zufluß der verworfensten [87] und verachtetesten Menschenklasse, mit der Treue und Gewissenhaftigkeit eines vom Himmel bestellten Wächters der menschlichen Glückseligkeit ab –

Wo er noch einen Funken nicht ganz erstorbenen Menschengefühls entdeckte, den suchte er wieder aufzublasen – und durch Uebung brachte er es in dieser Kunst gewiß sehr weit; ob er gleich noch kein Adept war, wie Hartknopf und der Emeritus, und die andere Hälfte zu dem großen Worte nicht deutlich hatte buchstabieren können – und obgleich seine Rede ja! ja! nein! nein! war, so bald er nicht mehr Worte nöthig fand – – das Wort war ihm so heilig, wie esHartknopfen nur immer seyn konnte, ob er es gleich nicht, als die vierte Person in der Gottheit verehrte – darum war er so sparsam mit seinen Worten, um sich gleichsam alle Kraft und allen Nachdruck der Rede zu dem Augenblicke aufzusparen, wo er in der Seele eines Menschen gleichsam eine neue Schöpfung bewirken, und das Licht von der Finsterniß scheiden wollte. –

Wie es bei einem Meisterwerke, wenn es vollkommen seyn soll, fast mehr darauf ankömmt, [88] daß der Künstler die wenigen Flecken, die etwa noch darinn sind, auszutilgen wisse, als daß er noch immer mehr neue Schönheiten hinzufügt, wodurch vielleicht das Ganze mehr verliert, als gewinnt, so scheint derjenige auch den sichersten Weg gewählt zu haben, dessen Bemühung in seinem Leben dahin geht, in dem großen Meisterstücke des größten Künstlers, mehr dem entgegen zu arbeiten, wodurch das Ganze entstellt zu werden scheinet, als neue künstliche Verzierungen zu demselben hinzuzufügen. – Denn was ist Pracht und Zierrath gegen Reinlichkeit? – heißt doch Mundus nicht umsonst die Welt. –


Wer auf die Weise bloß negativ zu Werke gehet, wird freilich nicht den Ruhm eines Weltreformators davon tragen – aber ihn wird das selige Gefühl beglücken, daß er mit seinen Bestrebungen in den Plan der ewigwürkenden Liebe harmonisch einstimmt – Er fühlt es, daß jeder Stein des Anstoßes, den er weggeräumt hat, Gewinn für das Ganze ist – und weiß es, daß ein einziger ausgetilgter Fleck aus diesem großen Gemählde es der Vollkommenheit näher bringt, [89] als der zierlichste Rahmen, worinnen es eingefaßt wird.

O ihr Menschenfreunde, die ihr den Willen und die Kraft habt, ausser euch zu wirken, stellt euch doch wie Knapp, und Hartknopf, und der Emeritus, und wie der gute Pestalozze in der Schweitz, unten an, wenn ihr wirken wollt – das sinkende Gebäude braucht Stützen, und nicht Statüen. – Wollt ihr anders wirken, so ist es um den wahren Frieden eurer Seele, und den schönen Takt eures Lebens, wodurch ihr allein in das große Ganze eingreift – es ist um euren ächten innern Werth geschehen! –

Knapp hatte sich in dieser Welt unten an gestellt, und es wird ihm in jener Welt gewiß nicht gereuen.

Er hat hier unten im Paradiese manchen Hungrigen umsonst gespeiset, manchen Durstigen umsonst getränket, und manchen Bekümmerten getröstet und aufgerichtet; dafür wird er einst in jenem Paradiese dort oben wieder getröstet werden. –

Durch die tägliche Uebung hatte sich Knapp eine solche Fertigkeit in der Beurtheilung der [90] Menschen erworben, daß er immer nach wenigen Minuten mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit schliessen konnte, ob an einem Menschen noch was zu thun sey oder nicht – aber wie ungern, gab er dennoch gänzlich alle Hoffnung zur Beßrung auf – mußte er sie aufgeben, so machte ihn das auf viele Tage traurig und niedergeschlagen; er schob die Schuld immer mehr auf den Arzt, als auf die Krankheit. – Er verzweifelte nicht daran, selbst für den Seelenschaden, der am unheilbarsten scheint, noch ein bewährtes Heilungsmittel zu finden. –

Darauf ging sein Tichten und Trachten sein ganzes Leben lang – denn er fühlte es nur allzuwohl, daß nicht Hunger und Durst, nicht Lahmheit oder Blindheit, die wahren Uebel des Lebens ausmachen; sondern daß eingewurzelter Neid, eingewurzelter Eigennutz, die eigentlichen Flecken sind, welche diese schöne Schöpfung Gottes entstellten. –

Diese Flecken, wo er nur konnte, auszutilgen, daß war ihm mehr werth, als große Schätze zu gewinnen. – Und unter lausenden ist es ihm bei zwei Menschen gelungen, wovon der eine [91] taub und stumm, und der andre ein verarmter holländischer Seelenverkäufer war, der in seinem Alter in Deutschland sein Brodt betteln mußte, und nun auch nach Gellenhausen kam, wo er im Paradiese einkehrte, und der GastwirthKnapp seine Seele vom Verderben rettete.

An diesen beiden Menschen machte aber auch Knapp ein wahres Meisterstück – denn er hielt selbst ihre Krankheit für unheilbar – den Tauben und Stummen, weil er nicht durch die Sprache auf ihn wirken konnte, und den ehemaligen Seelenverkäufer, weil er schon ein Greiß war, und in seinem Alter die schwere Hand des Schicksals, die ihn darnieder drückte, sein hartes Herz nicht hatte erweichen können.

Knapps unaufhörlichen Bemühungen gelang es, den Seelenverkäufer so weit zu bringen, daß er sich nicht freute, da dem Nachbar ein Haus abbrannte; über einen Dachdecker, der den Tag vor seiner Hochzeit vom Dache herunter stürzte, und sich den Kopf zerschmetterte, sogar eine mitleidige Thräne weinte; und anfing, ein Vergnügen daran zu finden, mitKnapps einäugigen [92] und lahmen Pudel zuweilen sein Brodt zu theilen.

Der Taube und Stumme war sehr verhärtet; ohngeachtet nie in sein Ohr die Sprache des Verführers ein dringen konnte, so hatte doch Neid und Eigennutz so tiefe Wurzel bei ihm geschlagen, daß er der Blume den Sonnenschein, und der Heerde die sich unter einen Baum gelagert hatte, den Schatten mißgönnete – Alle seine Mienen und Bewegungen waren widerwärtig und liefen auf Zerstörung und Verderben hinaus. –

Es war rührend anzusehen, wie Knapp sich oft Stunden lang mit einer eiserner Geduld damit beschäftigen konnte, diesem Taubstummen durch die Zeichensprache nur erst einigen schwachen Begriff von Sanftmuth und Menschenliebe beizubringen, die sein Herz bis itzt noch gar nicht gekannt hatte.

Dieß waren denn die beiden unheilbarschelenden, an deren Herzen Knapp gleichsam eine Art von Wunderkur verrichtet hatte – – Die Art nun, wie er mit ihnen zu Werke gegangen ist, verdiente freilich wohl allgemein bekannt zu werden – allein die Beschreibung davon wütde [93] ein eignes Buch erfordern, und doch vielleicht unvollkommen und unverständlich bleiben – denn wer kann Knapps Mienen, Knapps Auge, und jede seiner Bewegungen beschreiben, und den sanften liebevollen Händedruck, womit er seine Reden begleitete? –

Wenn in einer bessern Welt dereinst des Taubstummen Zunge gelößt seyn wird, mit welchem lauten Jubel wird er da noch seinem Erretter danken; und der Seelenverkäufer, dessen Seele durch Knapp vom Verderben gerettet wurde, wo wird er Worte hernehmen, um seinen Dank zu stammeln!

Und alle die getrösteten Betrübten, die traurig und niedergeschlagen in dem Gasthofe zum Paradiese einkehrten, und vergnügt und fröhlich wieder von dannen gingen; wenn sie einst auftreten und sagen werden: dieser hat unsre Thränen auf Erden abgetrocknet; – mit welchem gekrönten Haupte würde dann der Gastwirth Knapp wohl tauschen?

Wenn die gekrönten Häupter nun da stehen werden, beschämt und niedergeschlagen, und Millionen um sie her, die auf Erden von ihnen [94] mit eisernem Scepter beherrscht, und um alle die unschuldigen natürlichen Freuden des Lebens, um die Rechte der Menschheit gebracht; und wie eine in ihren einzelnen Theilen unbedeutende Masse, in ein Ganzes umgeformt wurden, wie etwa Holz und Steine, behauen und beschnitten werden, um zusammen ein Gebäude auszumachen, wodurch jedes einzelne erst brauchbar wird.

Weh euch dann, die ihr den Menschen ihren einzelnen ächten Werth raubtet, um Lücken mit ihnen auszustopfen; wenn ihr es nöthig fandet, Moräste mit ihnen auszudämmen, damit dem stampfenden Roß ein Weg zum Feinde gebahnet sey – die ihr um einer Chimäre, um eines allgemeinen abstrakten Begriffs willen, den ihr Staatskörper nennt, den Menschen nicht mehr um sein selbst, sondern bloß um dieser Chimäre, um dieses abstrakten Begriffs willen, wollt existiren lassen!

Also damit es einen Staat gebe, müssen so viele tausende auf alle Ansprüche Verzicht thun, wozu sie ihre angestammte Menschenwürde berechtiget?

[95] Sie müssen sich für bloß nutzbare Wesen halten, wie das Korn, das gemähet, und der Baum, der gefällt wird, damit der eine dem Menschen Wärme und Obdach, und das andre ihm Nahrung gebe.

Tausende müssen sich von Jugend auf gewöhnen, zu denken, daß sie nur um andrer willen, keiner aber um ihrentwillen da ist, und daß sie keinen eignen für sich bestehenden Werth haben. O wenn einst alle dieser willkürlich angenommener Unterschied verschwunden ist, und nun wieder jene allgemeine natürliche Gleichheit herrscht, wodurch ein jeder in seinem wahren Lichte erscheint, nachdem aller Flitterstaat von Titeln und Ordensbändern hinweggenommen ist; wie wird alsdann der Gastwirth Knapp, unter vielen tausenden hervorleuchten!

Wer wird dann wohl zweifeln, daß dieser getreue Knecht über vieles wird gesetzt werden, nachdem er hier über weniges getreu gewesen ist. –

Dazu war Knapp ein Pädagoge, wie es wohl weniges auf Erden giebt – ohne den Emil und Basedows Elementarwerk gelesen zu haben, [96] war er auf gewisse Geheimnisse in der Erziehungskunst gefallen, welche dicke Bünde von Erziehungstheorien unnöthig machen würden, wenn sie bekannt wären – aber sie lassen sich eben so wenig vollkommen beschreiben, als seine Methode, einen eingewurzelten Schaden der Seele zu heilen – Knapps zehnjähriger Sohn aber wird einmal aufstehen, und wirken, und alle Philantropine beschämen, wenn er anfangen wird, das im Großen auszuüben, was sein Vater im Kleinen that –Knapps Sohn wird einst seines Vaters Andenken durch seine Thaten auf die Nachwelt fortpflanzen, wenn es schon längst in Gellenhausen verloschen ist.

Des Gastwirth Knapps Pädagogik

[97] Des Gastwirth Knapps Pädagogik.

Knapp erzog seinen Sohn auf seine eigne Weise, und nicht nach der Weise Hagebucks des Weltreformators.

Sobald er gehen konnte, setzte er ihm ein Ziel, und setzte ihm allerlei Hindernisse, als Blöcke, Stühle, und dergleichen, in den Weg, wodurch er sich denkürzesten Weg zum Ziele durcharbeiten mußte.

Wenn er ein Kartenhäuschen bauete, so hielt er ihn an, es immer wieder zu bauen, wenn es auch zehnmal umfiel, und am Ende belohnte er ihm seine Geduld mit einem wurmstichigen Apfel.

Als er etwas mehr heranwuchs lehrte er ihn die große Kunst, nicht zwei Wege nach etwas zu thun, das man auf einem Wege hohlen kann; oder, was man mit einem grausamen Sprüchworte nennt, mit einer Klappe zwei Fliegen schlagen.

[98] Er lehrte ihn fünf Weingläser in der Hand zwischen den Fingern tragen, und beim An- und Ausziehen lehrte er ihn zu gleicher Zeit beide Hände brauchen, so daß er sich mit einemmal beide Schuh aufschnallen konnte.

Sein Haar mußte er zuweilen lange unausgekämmt lassen, und es sich denn am Ende selbst auskämmen, wenn es ganz ineinander gerathen war – sobald er dann ungeduldig wurde, riß er sich und verursachte sich selber Schmerzen; wenn er aber geduldig einen Schopf Haar nach dem andern vornahm, und das Verwirrte auseinander zu bringen suchte, so konnte er den Schmerz vermeiden – auf die Weise mußte er sich in der Geduld üben.

Er lehrte ihn bei jeder Gelegenheit die Kürze des Lebens empfinden, und machte ihn aufmerksam auf den Seigerschlag – Er machte ihn allmälig mit dem Tode in der ganzen Natur bekannt, von dem kleinsten verwelken Grashalm, bis zum verdorrten Eichbaum, und von dem zertretnen Wurme, bis zu den ehrwürdigen Ueberresten des zerstörten Bau's menschlicher Körper.

[99] Und wie oft hat dieser Sohn seinem Vater diese Lehre nicht verdankt! Diesem von Kindheit auf seiner Seele fest eingeprägten Bilde des Todes, verdankt er den sichern und ruhigen Genuß, aller der Freuden seines Lebens – dieß ist es allein, was ihn standhaft in Gefahren, muthig und unerschrocken bei allen Vorfallenheiten seines Lebens gemacht hat. – Dieß ist die Ursach, warum er auch nie eine Viertelstunde lang den quälenden Ueberdruß der Langenweile schmeckte – Wie kann ein Mensch Langeweile haben, dem der Tod zur Seite steht?

Dieser feste Gedanke heiterte ihm die trübsten Stunden seines Lebens auf – denn wenn kein Wechsel ihm mehr bevorzustehen schien, so blieb ihm doch diese einzige große Veränderung gewiß.

Der feste Gedanke an den Tod war es, der ihm den Genuß jeder Freude verdoppelte, und jeden Kummer ihm versüßte. – Der wollustreiche Gedanke des Aufhörens drängte seine ganze Lebenskraft immer in den gegenwärtigen Augenblick zusammen, und machte, daß er in einzelnen Tagen mehr, als andre Menschen in Jahren, lebte. – –

[100] Niemand hat wohl mehr in ihrer Fülle, und ungetrübter alle einzelne Vergnügungen des Lebens, die jedem Alter zukommen, genossen, als der Sohn des Gastwirths Knapp – weil er wußte, daß er keinen Augenblick zu versäumen hatte, weil ihm jeder Tag, jede Stunde, ein Ganzes war. –

Besonders war ihm immer die gegenwärtige Stunde lieb, und der Seigerschlag das angenehmste Getön in seinen Ohren – denn es wurde ihm dadurch merklich, wie er immer den Lebensstrom hinunterschifte, und alles in unaufhörlicher Bewegung blieb – durch jeden Seigerschlag wurde der Reiz des Lebens wieder aufgefrischt – und wenn ein Tag, eine Woche, ein Jahr verflossen war, so empfand er die Wonne des Lebens in immer größern Maße – Er kannte keinen Verlust der Zeit, denn für jede Minute seines Lebens hatte er Weisheit und Selbstzufriedenheit eingekauft. –

So wie ohne Tod kein Leben ist, so ist ohne wahres Gefühl des Todes auch kein wahres Gefühl des Lebens – aus der dunkeln Mitternacht bricht das Morgenroth hervor – und aus dem [101] Schatten der Nacht bildet sich der schöne Tag –

O pflanzt den Gedanken an den Tod fest in die jungen Seelen, ihr Pädagogen unsrer Zeiten, und ihr werdet wieder Männer statt Knaben ziehen – Euer ganzes Gebäude wird sich fester auf diese Basis stützen; wenn die Menschen erst wissen werden, daß sie leben, dann erst werden sie jeden Augenblick ihres Lebens nutzen – und wenn sie jeden Augenblick ihres Lebens nutzen, dann erst ist Euer Werk gekrönt.

Denn hin und wieder eine wohlangewandte Stunde oder ein wohlangewandter Tag ist mehr ein Werk des Zufalls, als ein Werk der Kunst. – Die Lebenskunst muß durch alle Stunden und Minuten durchgehen, wie die Regel durch das Werk. –

Dazu ist nöthig, daß der Mensch in jedem Augenblick wisse und empfinde, daß er lebe, welches ohne den festen Gedanken an den Tod unmöglich ist. – Wer sich aber den einmal zu eigen gemacht hat, der kann sein

memento mori


mit eben so unumwölkter und heitrer Stirne [102] sagen, womit er im Kreise seiner Freunde ein fröhliches Trinklied singt.

Hierin bestand also vorzüglich Knapps Pädagogik, und denn auch noch darin, daß er seinen Sohn empfinden lehrte, wie thöricht es sey, einen Stein, an den man sich gestoßen hat, mit dem Stocke zu schlagen, oder sich gegen den Regen, die Kälte, und den Sturmwind aufzulehnen – er lehrte ihn früh die Nothwendigkeit, sich der unvernünftigen Stärke zu unterwerfen. – –

Am meisten aber suchte er seine Lebensgeister beständig in Bewegung zu erhalten, und war in den Augenblicken am aufmerksamsten auf ihn, wo er mit dem Finger Figuren in den Sand zeichnete, oder mit Kreide auf den Tisch mahlte, oder die Gestalt der Wolken am Himmel zu aufmerksam betrachtete.

Das ABC ließ er ihn lernen, da er zehn Jahre alt war, und vor dem vierzehnten Jahre durfte er den Nahmen Gottes nicht aussprechen.

Etwas von Nägeln und Schlössern

[103] Etwas von Nägeln und Schlössern.

Was Wunder nun, daß Hartknopf seine Wanderung gegen Osten eine Zeitlang unterbrach, da er hier solch einen Vetter und solch einen Freund an dem Emeritus wiedergefunden hatte – obgleich Hagebuck und Küster, und der empfindsame und aufgeklärte Prediger ihm nicht so sehr behagen konnten, daß er um ihrentwillen länger in Gellenhausen geblieben wäre.

Mit der Erzählung seiner Schicksale aber, die er seinem Vetter Knapp versprochen hatte, hielt es etwas hart – hie und da einmal ein Stück aus seinem Leben, wo er es nützlich und schicklich fand, das war alles, was man aus ihm herausbringen konnte.

Ich werde also wohl auch für ihn nur das Wort nehmen müssen, wenn der Leser etwas erfahren soll.

Woher ich nun aber mehr von ihm weiß, und erfahren habe, als Knapp und der Emeritus, [104] und in was für Verhältnissen ich mit ihm gestanden habe, und wie es mir gelungen ist, mir seine Freundschaft in dem Grade zu erwerben, daß er mich in das Innerste seiner Seele hat blicken lassen; davon sollte ich wohl ein Wörtchen beibringen – es wird aber zu seiner Zelt geschehen.

So viel habe ich schon verrathen, daß Hartknopf seines Handwerks ein Priester und ein Grobschmidt war – seiner leiblichen Geburt Nach war er nehmlich ein Grobschmidt – seiner geistlichen Geburt nach aber ein Priester, von Kindheit auf geweiht, kein Unheiliges anzurühren, um einst in Unschuld und Reinigkeit des Herzens in dem großen Tempel des Heiligen und Wahren als ein Priester Gottes zu dienen.

Thubalkain war sein großer Ahnherr – man fand diesen Nahmen in sein Petschaft eingegraben, und auf dem Taschenmesser stand er auch, das er sich selbst geschmiedet hatte – denn Messer konnte er auch schmieden.

Da er noch ein Kind war, lernten seine zarten Hände zuerst mit dem großen schweren Hammer spielen, der er kaum zu heben vermochte – aber sein Arm wurde früh nervigt, [105] und stark; bald mußte unter seinen wiederhohlten Schlügen der Ambos seufzen, und das glühende Eisen geschmeidig werden. – Der Nagel war das erste, was durch seine Hände aus der unförmlichen Masse Bildung und Form erhielt, die Fugen des losen zu befestigen, das zertrennliche unzertrennbar zu machen, und auf die Weise eine Schöpfung neuer Wesen zusammenzuzwängen, worüber die alte Natur erstaunt, wenn sie aus der Tiefe der grauen Vorzeit auf die neuen Geburten emporschaut, die in ihrem Schooß erstanden sind –

Daß der Mensch, von ihr gezeugt, in ihre Eingeweide herabstieg, und das Eisen hervorgrub, womit er sie zu einer neuen Geburt beschwängerte; daß aus den Wäldern und Steinbrüchen Städte mit Pallästen und Thürmen sich erhuben, Schiffe auf dem Rücken des Meeres emporstiegen; der aufgerißnen Erde der Saamen eingestreut, und volle Erndten aus ihrem Schooß hervorgezwängt wurden; daß der zersägte Eichenstamm sich zum Stuhle krümmte, und zum Tische erhub, auf dessen glatter Fläche Auge und Hand sanft hingleitet.

[106] Das mächtige Schloß verwahrt und schützt das Eigenthum, und hat Gemeinschaft und Absondrung in des Menschen Willkühr gesetzt. –

Ist es nicht Thubalkain, der verschloßne Thüren eröfnet? – –

Ihm klingt auch das frohe Spiel der Sensen an schwülen Erndtetagen – ihm tönet das Gehämmer vor den dampfenden Feueröfen – ihm das Leben und Wirksamkeit athmende Geräusch, aus den Werkstätten der Künstler und Arbeiter in allerlei Stein und Erzt –

Ihn preisen die Chöre der arbeitsamen Sänger mehr als den Flötenspieler. – –

Aber ach, die Schärfe des Eisens wendet sich – die Geister der gefällten Eichstämme seufzen durch die Lüfte, und verkündigen Unheil über das Menschengeschlecht –

Das Spiel der Sensen ertönt nicht mehr – Feuerschlünde eröfnen sich – die Bombe kracht – Schwerster wühlen in menschlichen Eingeweiden – Ketten klirren laut – Despoten lachen, Sklaven heulen. –

Die Chöre der arbeitsamen Sänger stehen einsam und weinen, in das Gewand der Trauer [107] gehüllt, und singen Klagelieder – und seufzen: Thubalkain! –

Was soll ich aus dem Jungen machen? fragte Hartknopfs Vater den Emeritus: – nichts anders als einen Grobschmidt, war des Emeritus Antwort, und Hartknopfs Vater schüttelte den Kopf: er hat doch so ein vortreffliches Ingenium! – desto besser! sagte der Emeritus.

Der Emeritus kam alle Tage in des alten Hartknopfs Schmiede – sie wurde von ihm zum Heiligthum der Weißheit und hoher Geheim, nisse eingeweiht – der junge Hartknopf saß da zu seinen Fußen und sog die süßen Lehren von seinen Lippen ein – unter ihm bildete sich sein Geist, und wuchs mit seinem Körper, den die Arbeit abhärtete und gesund erhielt. –

Aber leider, wich der alte Hartknopf von der rechten Straße ab – nur noch einen Schritt, so wäre er vor dem gefährlichen Abgrunde vorbei gewesen – aber er that ihn nicht, und nun konnte nichts ihn retten. – Er eilte unaufhaltsam seinem Verderben zu – Gold, Gold, Gold! war sein einziger Gedanke, vom frühen Morgen [108] an bis in die späte Mitternacht, und das edle Eisen war verdrängt –

Mitleidig streckte der Emeritus noch seine Hände nach ihm aus, und wollte ihn retten, aber vergeblich, er versank in dem Abgrunde, vor dem ihn sein Freund so oft gewarnt hatte.

Der Unglückliche mußte im Elend sterben – sein Vermögen war im Rauch aufgegangen, die Schmiede verkauft – und in einer armseeligen Hütte mußte er seinen Erlöser, den Tod, erwarten. – Dieser kam, und er empfing ihn mit freudigem Entzücken, nachdem der Emeritus vorher noch seine Beichte gehört, und ihm im Nahmen Gottes die Absolution ertheilet hatte.

Da der Emeritus den Vater nicht hatte retten können, so hatte er doch den Sohn zu retten gesucht, und sobald der Vater anfing zu laboriren, trieb er, daß der Sohn auf die Wanderschaft gehen mußte, da er erst neunzehn Jahr alt war – und dieß war auch hohe Zeit, wenn er nicht an eben der Klippe scheitern sollte, woran sein Vater gescheitert war. – –

Auri Sacra Fames

[109] Auri Sacra Fames.

Schrieb der Emeritus mit ein wenig Bleistift auf des alten Hartknopfs Leichenstein.

O du verfluchter Durst nach Gold! von welchem Satan stammst du her? War es nicht jener gefallne Geist, der statt sein Auge zu Gott seinem Urheber emporzuheben, nur immer auf das goldne Estrich des Himmels seine Blicke heftete, ehe die Hand des Ewigen ihn in den Abgrund hinunter schleuderte?

Ein jeder, der die ächte Weißheit suchte, kam an diesen Scheideweg – wenige vermieden den zur Linken –

Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwähler.

Hier liegt der Grenzstein, der die Weißheit von der Thorheit scheidet – ein ungeheurer Klumpen Gold – wer ihn mit Gleichmuth betrachtet und vorübergeht – den hat die Weißheit schon in der Wiege angelächelt, und ihn zu ihrem Schüler eingeweiht – den leitet sein guter Genius zum Ziele hin, und läßt ihn den ächten Stein der Weisen finden, den Hartknopfs [110] Vater vergeblich gesucht hatte, weil sein Sohn ihn einst finden sollte.

Der den Vater verworfen hatte, der hatte den Sohn erwählet – es mußte ein solcher Vater seyn, um einen solchen Sohn zu zeugen! – aber auch eine solche Mutter, wie Hartknopfs Mutter war – saust und mild, wie das Abendroth – sie welkte dahin, nachdem sie diesen einzigen Sohn gebohren hatte – sie hatte mit ihm ihr Ziel erreicht:


Denn nach Unsterblichkeit sehnet sich nur der Himmelgebohrne,

Aber Vernichtung ist süß dem müden Waller im Staube


Wäre Hartknopfs Vater den Goldklumpen vorbeigegangen – – Doch er ist es nun einmal nicht – seine Asche ruhe im Frieden!

Tausende sind wie er von der rechten Bahn abgewichen, und welchen noch täglich davon ab – denn blendend und lockend ist die Frucht des Baumes, von dem da nicht essen sollst, wenn du nicht willst eines doppelten Todes sterben.

Gold siegt über die Kraft des Eisens – sprengt Schlösser auf; hält Schwerdter in den [111] Scheiden – löset das Verbundne auf, und bindet das Gelößte wieder – bildet Armeen – bauet Städte; läßt Palläste himmelan steigen – befestiget Könige auf ihren Thronen und stürzt sie herab – welch ein allmächtiges Spielwerk ist das Gold in der Hand des Sterblichen!

Was Wunder, daß Thoren bis zu ihrem letzten Athemzuge darnach die Hände ausstrecken, und Weisen Mühe haben, hier nicht Thoren zu seyn! Was Wunder daß oft selbst der mißverstandne Bund der Weißheit und der Tugend im Chor der arbeitsamen Sänger, nach diesem höchsten Gute zu streben heischt, wie ein Irrlicht durch seinen falschen Schimmer auch zuweilen das Auge des vorsichtigen Wandrers blendet, und ihn in Sümpfe und Moräste führt, wo sein Fuß keinen Grund mehr findet, und er ohne Rettung versinken muß.

Verstopfet eure Ohren, ihr Schüler der Weißheit, vor dem heisern Geschrei der falschen Wegweiser, die euch zu dem Quell führen wollen, woraus Gold unter dem dreifach gestalteten röthlichen Quaderstein in hellen Strömen hervorquillt –

[112] Horcht nicht auf ihre Stimme – der Goldstrom ist nicht rein – die Quelle ist getrübt – und der röthliche Quaderstein ist mit falschen Farben angestrichen – ein Betrüger hat ihn hingewälzt – den rechten hat eine unsichtbare Hand hinweggenommen.

Hartknopfs Gesellenjahre

[113] Hartknopfs Gesellenjahre.

Als Schmiedeknecht wanderte Hartknopf in Erfurt ein, als Kandidat der Theologie wanderte er wieder aus, ohne daß er deswegen aufgehört hätte, ein Schmidt zu seyn.

In einem halben Jahre hatte er sich so viel gespart, daß er füglich ein halb Jahr ohne Arbeit leben konnte – und diese Zeit über befriedigte er den brennenden Durst nach Wissenschaft, der ihn schon so manche Thräne gekostet hatte

Freilich hatte er vom Emeritus in Gellenhausen mehr gelernt, als ihn alle Doktoren in Erfurt lehren konnten – aber es war ihm doch auch nun um Ausbreitung des Geistes, es war ihm um das Extensive zu thun, da er es in dem Intensiven schon ziemlich weit gebracht hatte.

Er hörte Mathematik, Geschichte, Naturlehre, u.s.w. – Aber er las mehr, als er hörte – Die Erfurter Universitätsbibliothek mag wohl lange ihren geringen Schatz nicht so sorgfältig [114] gebraucht gesehen haben, als es von Hartknopfen geschahe.

Hartknopf machte erstaunliche Fortschritte; denn zu allem was er begann, brachte er ein Licht mit, das ihm der Emeritus angezündet hatte, und wodurch es ihm da schnell Tag wurde, wo es andern oft lange Nacht bleibt, ehe sie sich durch die Finsternisse durchgearbeitet haben.

Er lebte übrigens in Erfurt sehr verborgen – und ich habe ihn dort im Jahr 177*, bei einem gewissen Doktor Sauer, der nun todt ist, kennen lernen.

Möge die Asche des Doktor Sauers in Frieden ruhen; er verdiente wohl von Hartknopfen gekannt zu werden; ob ihn gleich die Welt nicht gekannt hat. – Welche herrliche Talente, welch ein Umfang von Kenntnissen sind mit diesem Manne begraben worden, der die Bewunderung seiner Zeitgenossen hätte seyn können, wenn der edle Sprößling nicht in der Jugend zerknickt worden wäre.

Solch ein Kopf mit solch einem Herzen vereinigt, mußte ohne eine Spur hinter sich zu lassen, unrühmlich in die Verwesung übergehen. – [115] Er wohnte in einer kleinen Ggsse, in eines Schusters Hause, und da man seinen Sarg heraustrug, fragte nicht einmal ein Nachbar: wen begräbt man da? Und keine Thräne wurde ihm nachgeweint.

Hier lernte ich Hartknopfen dem Leibe nach und zum Theil auch dem Geiste nach kennen – die eigentliche Bekanntschaft unsrer Seelen aber fällt in das Jahr 178*, zwei Jahr vor seinem Märtyrerstode.

Als ich ihn nun beim Doktor Sauer zuerst erblickte, war es mir, als sähe ich einen Unsterblichen hereintreten – Er kam aber in der Dämmerung, da es Feierabend war, und hatte sein Schurzfell vor – denn es war damals gerade sein Arbeitshalbesjahr. – Da er dem Doktor Sauer die Hand gab, so war es, als wolle er mit seinem starken nervichten Arm, das zerknickte Rohr wieder aufrichten; jedes seiner Worte goß neuen Muth in die Seele des darniedergebeugten – dem die Führer seiner Jugend, da sie ihn Bescheidenheit lehren wollten, unglücklicher Weise das Selbstzutrauen, diese unentbehrliche Stütze des schwachen Sterblichen aus den Händen entwunden [116] hatten – Hartknopf wollte sie ihm wiedergeben, aber auch die Hände waren schon gelähmt, die sie ergreifen und festhalten sollten.

Unaufhaltsam sank der Hülflose hinab; die Kräfte seines Geistes und seines Körpers verzehrten sich in sich selber. – Um nicht vor Hunger umzukommen, mußte er das elende Geschmiere eines marktschreierischen Arztes für ein Spottgeld ins Lateinische übersetzen; und dieser erwarb sich dennoch, bei der Welt, die einmal betrogen seyn will, Ruhm und Ehre damit, und wurde mit einem ansehnlichen Gehalt irgendwo, als Brunnenarzt befördert, während daß der ehrlicheSauer die Zöllner und Sünder heilte, und für das Geld, was er mit dem Uebersetzen verdient hatte, noch die Arzeneien anschafte, die er statt Bezahlung von den Kranken zu nehmen, ihnen noch unentgeldlich dazu gab.

Der Schwung seines Geistes in einigen vortrefflichen Gedichten wurde einem elenden Geschmiere von Wochenschrift zu Theil, das ein Buchdrucker in Erfurt herausgab, für welchen Sauer zuweilen als Korrektor Tagelöhnerarbeit verrichtete.

[117] Endlich schien ihm die Glückssonne ein wenig zu lächeln; der Stadthalter von Dahlberg lernte ihn kennen, und dachte auf seine Beförderung, als der Tod ihn weit schneller und besser beförderte, wie alle Fürsten und ihre Stadthalter hätten thun können.

Ok..rd, wo du auch seyst, der du von ohngefähr dieses liesest, erinnere dich mit mir des guten Sauers, mit dem wir manche frohe Stunde verbrachten, der dich auch Weißheit lehrte, und laß uns seinem Andenken noch eine freundschaftliche Thräne weihen!

Hast du je den Schmiedegesellen bei ihm gesehen, so erinnere dich, wenn du kannst, seiner Gestalt und seiner Rede, und wisse, daß dieser mein Hartknopf war.

Nachdem ich ihn das erstemal beim Doktor Sauer gesehen hatte, sprach ich ihn nur noch einigemale; denn er verließ bald darauf Erfurt, wo er sich eine geraume Zeit aufgehalten hatte, ohne daß man sich um ihn bekümmerte – da es sonst in Erfurt, weil die Universität sehr klein ist, für einen der sich mit den Wissenschaften beschäftigt, schon ziemlich schwer hält, ganz unbemerkt [118] zu bleiben; nun war aber Hartknopf ordentlich als Student inskribirt – weil er jedoch nach dem ersten halben Jahre nur noch selten die öffentlichen Vorlesungen besuchte, in keine Studentengesellschaft ging, und überhaupt sich nicht viel öffentlich sehen ließ, so betrachtete man ihn, als ob er gar nicht da gewesen wäre.

Der Doktor Froriep stellte damals mit einigen Studenten Predigtübungen in der Universitätskirche an, die in der Woche bei verschloßnen Thüren gehalten wurden. – Hier hat auch Hartknopf, wie ich weiß, einmal gepredigt, ich glaube aber schwerlich, daß sich der Doktor Froriep seiner erinnern wird; denn wenn er in sich zurückgezogen da stand, so hielt man ihn für einen äußerst unbedeutenden Menschen.

Nachdem ich ihn nur erst einmal beim DoktorSauer gesehen hatte, saß ich an einem Sontagabend einmal oben am Steigerwalde, und las in Klopstocks Messiade – Der Steiger ist ein Wald nahe bei Erfurt, auf einer Anhöhe, von welcher man die ganze Stadt übersehen kann, die mit ihrer unbeschreiblichen Menge Gärten rund umher einen sehr schönen Prospekt macht – [119] Hier lag ich also im Grase hingestreckt, und erwartete, indem ich in Klopstocks Messiade, die Erzählung von den beiden Jüngern von Emaulas, den Untergang der Sonne.

Indem kam Hartknopf den schrägen Abhang herausgegangen, seinen blauen Sontagsrock mit gelben Knöpfen und steifen Schößen von oben bis unten zugeknöpft, und seinen Dornstock in der Hand – grüßte mich, und setzte sich neben mich –

Und ich machte schnell mein Buch zu, und wollte es einstecken, denn es war mir, als ob ich mich, ich weiß selbst nicht aus was vor Ursachen, vor ihm schämte. – Ich fühlte mich auf einmal so klein, so schwach in seiner Gegenwart – da ich mir noch kurz vorher gar nicht so vorgekommen war – sein Blick durchdrang mein Innerstes, und schlug mich nieder.

Aber heilig soll mir dieser Abend seyn, so lang ich lebe –

Das Gespräch lenkte sich von der Schönheit des Abends, bald auf die Schönheit und Aufrichtigkeit der Seele, die einen solchen Abend nur allein empfinden kann, wenn sie von allen Schlacken [120] der Eitelkeit und Selbsttäuschung gesäubert, die schöne Natur wie ein reiner und heller Spiegel in sich darstellt.

Es war ja wohl recht schön am Steiger die Sonne untergehen zu sehen, und dabei in Klopstocks Messiade zu lesen – aber die Scene mußte nicht gleichsam herbeigezwungen werden, bloß um denn nachher, auch nur zu sich selber, sagen zu können: ich habe am Steiger die Sonne untergehen sehen, und Klopstocks Messiade dabei gelesen – ich bin doch gewiß kein gemeiner Mensch – so etwas läßt doch schön im Leben, wenn man so zurückschaut. –

O unbegreifliche Eitelkeit! nicht genug daß du andre durch falschen Schimmer zu täuschen suchst, willst du vor dir selbst mit Zwang eine dir nicht abgemessene Rolle spielen – Die Sonne mit dem Buche in der Hand untergehen zu sehen, ist dir Arbeit nicht Genuß – Du machst die Scene, sie fügt sich nicht von selbst; deine Seele ist nicht aufrichtig, deine Empfindungen sind erkünstelt, der Abdruck der schönen Natur in dir ist verfälscht!

[121] Dieß ist ohngefähr der Inhalt von dem, was ich an dem Abend von Hartknopfen gelernt habe. – Es ist ein sehr angenehmer Spaziergang bei Erfurt nach den sogenannten drei Brunnen, wo sich der Weg zwischen Gärten und Gebüschen in mancherlei Krümmungen hinschlängelt, indeß sich von allen Seiten her kleine Bäche ergießen, an deren schmalen Ufern man hinwandelt – Hinter sich sieht man denn die alten hohen Klöster und Thürme der Stadt, die mit der erstaunlichen Menge blühender Gärten umher einen so angenehmen Kontrast machen –

Hier trafen wir uns einmal um Mitternacht, da der Vollmond am Himmel stand – und Hartknopf war doch gewiß keiner der empfindsamen Nachtwandler, die über dem Anschauen des Mondes ihr Tagewerk versäumen. – Er hatte seit einiger Zeit angefangen, die Kunst des grossen Saumeisters in dem gestirnten Himmel bewundern zu lernen.

Er hatte sich wirklich astronomische Kenntnisse erworben, und kam itzt, mit einem kleinen Tubus in der Hand, eine Anhöhe herunter, auf welcher er einige Stunden zugebracht hatte. – [122] Er hatte eine besondre Gabe, dergleichen Kenntnisse mitzutheilen – Seine Astronomie war keine leere Nahmenkenntniß von Sternbildern – Es war ein mächtiges Eingreifen der Gedanken in den großen Weltplan, wovon nur so ein kleiner Theil von unsern Sinnen gefaßt wird.

Ich sitze im Zimmer – ein Strahl der Sonne fällt hinein, und macht einen Strich der Staubwolke sichtbar, die sich auf und niederwälzt – in dem erleuchteten Striche schwimmen unzählige Sonnenstäubchen, und drehen sich theils umeinander, theils ein jedes um seine eigne Axe – der Bewohner eines solchen Sonnenstäubchens schaut über sich, und sieht eine unzählbare Menge ähnlicher kleiner Körper, die sich alle in einem und ebendemselben Lichtstrahl drehen, und ruft mit Verwunderung und Erstaunen aus: o du unendliches Weltgebäude, wer misset dich?

Ich eröfne das Fenster, und sehe den Himmel an, der nächtlich mit Millionen Sternen besäet ist, die sich alle, wie unser Erdball in einem, großen Lichtmeer wälzen; und rufe mit Verwunderung und Erstaunen aus: o du unendliches Weltgebäude, wer misset dich – Und ein höheres [123] Wesen lächelt vielleicht, indem es alle diese Welten mit einer Hand zusammen faßt, über meinen Ausruf; so wie ich über den Ausruf des Weltbürgers auf einem Sonnenstäubchen. –

Man denke nicht daß Hartknopf lehrte, wenn er so sprach – nein, Lehren, das war gewiß seine Sache nicht – er warf nur Vermuthungen hin, gab Winke – hüllte die herrlichen Wahrheiten in demüthige Zweifel ein – ließ aus der Dunkelheit der Zweifel allmälich das Licht hervorbrechen – und wußte Empfindung und Gedanken auf eine so wunderbare Art zu verflechten, daß man kaum mehr zu unterscheiden wußte, ob man die Wahrheit aus Liebe zu ihr, oder aus fester Ueberzeugung annahm.

War ich je in einem Augenblick meines Lebens fest und unerschütterlich von der Fortdauer meines Geistes überzeugt, so war ich es in jener Nacht, wo ich mit Hartknopfen spazieren ging – Und oft habe ich mich noch nachher an der Erinnerung von jener Ueberzeugung, die ich doch damals wirklich hatte, festgehalten, wenn meine Zuversicht wieder wanken wollte.

[124] Ich habe oft Youngs Nachtgedanken gelesen, aber keinen Schatten von her Empfindung haben sie in meiner Seele hervorgebracht, welche damals Hartknopfs kurzes Gespräch in mir erweckte.

Young ist in vielen Stellen erhaben auch zuweilen rührend und seelenschmelzend; aber er war nur in den Zelten der Lieblingsdichter meines Herzens, wo meine Seele selbst verstimmt war – Er hat die Nacht aus der Natur herausgeschnitten, und sie einzeln aufgestellt – er hat die Finsterniß vom Lichte gesondert – er hat uns in einem vollen gerüttelten Maße die Schrecken des Todes aufgetischt, daß wir auf einmal den Gaumen unsere Geistes daran laben sollen.

Hartknopf lehrte mich die Nacht lieben ohne den Tag zu scheuen, und den Tag ohne die Nacht zu scheuen. – Finsterniß und Licht – Tod und Leben – Ruhe und Bewegung – mußten in sanfter Mischung sich ineinander verschwimmen. –

Der Blick zum Himmel gekehrt, mußte sich von neuem Lichte gestärkt, wieder zur Erde senken – um Dort und Hier Gegenwart und Zukunft [125] in schöne Harmonie miteinander zu vereinen. –

O wie ich damals an seinen Lippen hing – es war eine warme Sommernacht – wir saßen auf einem Rasenhügel – zu unsern Füßen rauscht' ein Bach, über uns hing ein grünes Gesträuch – in der Ferne sahe man das Kartheuserkloster – Der Himmel umschloß uns von oben –

So war alles zusammen bis auf den innersten Gedanken in unsrer Seele ein vollendetes Ganze.

Ich fühlte mein Daseyn zum erstenmale; fühlte mich in dieser großen Kette eingezwängt; sicher, fest, und unerschütterlich –

Ich ward zum erstenmal auf den rechten Lebensfleck geführt –

Ich lernte die große Weißheit:


Des Alles im Moment.


Ich ward zum neuen geistigen Leben gebohren.

Von dem Augenblick an war es ruhig in meiner Seele – Die tobenden Stürme des Ehrgeizes legten sich – die Furcht verschwand, die Hoffnung ward Zuversicht.

[126] Die Stille der Seele hatte einen wohlthätigen Einfluß auf meinen Körper; mein Pulsschlag war wieder sanft und regelmäßig – leicht und ungehindert strömte das Blut in frohen Kreisen fort –

Mein kränklicher Körper ward durch die Seele geheilt; ich fühlte mich an Leib und Geiste neugebohren.

Diese Nacht war es, wo ich Hartknopfen dem Geiste nach kennen lernte. – Das heißt, sein Geist war mir nun gesichert, er mochte abwesend oder gegenwärtig, todt oder lebend seyn – Ich blickte durch den Geist in seine Augen, so wie ich vorher durch das Auge in seinen Geist geblickt hatte.

Unsere Zusammenkunft in dieser Nacht schien ein Werk des Zufalls – aber sie war es nicht – denn ich möchte doch nicht gern die nothwendige Glückseligkeit meines Lebens an etwas schuldig seyn, das sich eben so leicht nicht hätte fügen können, als es sich gefügt hat.

Nein, in eben dem ewigen Zusammenhange, worin mein ganzes Daseyn gegründet ist, worin ich mich so gesichert fühle – war auch jener Augenblick [127] meines Lebens fest gegründet, wo sich Hartknopfs Seele gegen die meinige aufschloß; und ich weiß es gewiß, daß er mir nicht entgehen konnte.

Hartknopf fand mich der Mittheilung seines Geistes werth; welches er gewiß nicht gethan haben würde, wenn seine erste Lektion am Steigerwald bei mir nicht angeschlagen hätte – aber er sahe, daß meine Seele aufrichtig war; daß ich mich der thörichten Verstellung, und des thörichten Zwanges schämte; daß ich die Nacht nicht herausgegangen war, um zwischen der Natur und mir gleichsam eine feierliche Scene zu veranstalten; sondern daß ich dießmal einem lockenden Rufe gefolgt war, und daß mein Herz sich willig eröfnete, um den reinen Lichtstrohm aus ihr aufzunehmen.

Ich war so gestimmt, daß ich mich an der Figur eines Blattes auf den Wipfeln der Bäume ergötzen konnte, und alles aus meinen Gedanken verbannt war, was diese schöne Ordnung der Natur, die sich jetzt unverfälscht in mir abdrückte, hätte stören können.

[128] Diese wohlthätige Stimmung bemerkte Hartknopf sogleich, und nutzte sie mit solcher Macht, daß er, ehe ich es noch selbst wußte, eine neue Schöpfung in mir hervorgebracht hatte.

Das Licht hatte sich von der Finsterniß gesondert, der Morgen war angebrochen.

Das verwirrte Chaos der Ideen, die von Jugend auf in meine Seele geströmt waren, ordnete sich plötzlich zu einem schönen Ganzen.

Selbst das, was ich glaubte unnütz und umsonst gelernt, und in Büchern gelesen zu haben, fand hier seinen angewiesenen Platz – und da war nichts mehr, das nicht in den schönen Plan gehört hätte.

Die Fluthen, die vorher sich mit dem Erdreich vermischt, und es schlammicht und bodenloß gemacht hatten, sonderten sich jetzt in Meere und Flüsse, und stellten das Antlitz des Himmels dar, der sich darin spiegelte, und die Erde ward fest und hart, daß Menschen und Thiere drauf wandeln, und Bäume und Pflanzen drauf emporschießen konnten.

Wahrlich ich sage dir, es sey denn, daß jemand gebohren werde, aus dem Wasser [129] und Geist, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Wer nicht den ganzen Nutzen von dem, was er gelernt, gethan, gedacht, gelebt hat, in einen Moment zusammen ziehen kann, bei dem ist die neue Schöpfung noch nicht vorgegangen, und noch nicht alles so geordnet, wie es soll. –

Der Moment ist und bleibt der letzte Punkt, wohin alle Weißheit der Sterblichen streben kann und muß – alles andre ist Chimäre und Einbildung.

O wer leihet mir Hartknopfs Sprache, womit er in meine Seele rief: es werde Licht!

Wer lenkt meine Feder, daß sie nur ein schwaches Bild jener unnachahmlichen Sprache durch gemahlte Töne auf dem Papier entwerfe.

Göttliche Kunst, die du die Gedanken des schwachen Sterblichen auf kommende Geschlechter hinüber trägst – wenn sein Mund schon lange im Grabe verschlossen ist – o, wie engst du den Geist ein, der sich dir hingiebt; der den zusammengedrängten Lichtstrahl schwächt, damit er sich weit umher verbreite!

[130] Der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig.

Hartknopf nahm seine Flöte aus der Tasche, und begleitete das herrliche Recitativ seiner Lehren, mit angemeßnen Akkorden – er übersetzte, indem er phantasierte, die Sprache des Verstandes in die Sprache der Empfindungen: denn dazu diente ihm


die Musik.


Oft, wenn er den Vordersatz gesprochen hatte, so bließ er den Nachsatz mit seiner Flöte dazu.

Er athmete die Gedanken, so wie er sie in die Töne der Flöte hauchte, aus dem Verstande ins Herz hinein.

Bewafnetes Auge, bewafneter Mund, bewafnete Hand, pflegte er wohl zu sagen:


Der Tubus, die Flöte, und der Hammer.


Auf dem Klavier hat er sich manche verworrne Idee herausgespielt, und ins klare gebracht –

Sein Studium aber ging darauf, die Musik zur eigentlichen Sprache der Empfindungen zu machen, wozu sich die artikulirten Töne nicht so wohl schicken, als die unartikulirten, die das Ganze nicht erst zerstücken, um es dann wieder [131] zusammenzufassen, sondern die es gleich, so wie es ist, ganz und in seiner Fülle lassen.

Er verstand die Kunst, durch die Musik auf die Leidenschaften zu wirken – darum trug er immer seine Flöte bei sich in der Tasche – und durch unablässige Uebung hatte er es so weit darin gebracht, daß er oft durch ein paar Griffe, die er, wie von ohngefähr that, aufgebrachte Gemüther besänftigen, Bekümmerte aufrichten, und den Verzagten neue Hoffnung einflößen konnte.

Es war weiter nichts künstliches bei der Sache, als daß der gewählte Ton grade eingreifen mußte, wo er sollte. – Und denn war es oft eine sehr simple Kadanz, oder Tonfall, welche die wunderbare Wirkung hervorbrachten.

Ein jeder wird einigemale wenigstens in seinem Leben die Bemerkung an sich gemacht haben, daß irgend ein sonst ganz unbedeutender Ton, den einer etwa in der Ferne hört, bei einer gewissen Stimmung der Seele, einen ganz wunderbaren Effekt auf die Seele thut; es ist, als ob auf einmal tausend Erinnerungen, tausend dunkle Vorstellungen mit diesem Tone erwachten, die das [132] Herz in eine unbeschreibliche Wehmuth versezzen. –

Da hatte nun Hartknopf der Natur auf die Spur zu kommen, und das in Kunst zu verwandeln gesucht, was sich sonst nur zuweilen wie durch Zufall ereignet.

Freilich mußte er den schon etwas kennen, auf welchen seine Töne dergleichen Wirkung hervorbringen sollten – aber er lernte auch wieder durch die Wirkung, welche diese Töne machten, allmälig das Herz dessen immer besser kennen, mit dem er umging.

Das höchste in der Musik liegt in der Kenntniß ihrer einfachsten Elemente.

Hartknopf wäre ein großer Musikus gewesen, wenn er gleich nie hätte die Flöte blasen, und das Klavier spielen lernen.

Er verband aber mit Fleiß ein Blaseninstrument, mit einem Seiteninstrumente. – Das Blaseninstrument ist ganz Ausdruck der Empfindung, das Seiteninstrument schon zum Theil den Ideen geweiht – durch das Seiteninstrument entwickelte sich Hartknopf, was er[133] durch Blaseninstrumente im Ganzen empfunden hatte.

Die Blaseninstrumente sind dem Herzen näher. –

Die Violine ahmet durch die geschleiften Töne die Blaseninstrumente nach, und macht gleichsam den Uebergang zwischen ihnen, und den mit immer wiederhohlten Unterbrechungen vibrirenden Seiteninstrumenten.

Daß durch gleiche Takttheile Ernst und Würde – durch ungleiche lebhafte Empfindungen – durch drei oder vier kurze Töne zwischen zwei längern, Frölichkeit – durch einen oder zwei kurze Töne vor einem langen Wildheit, Ungestüm – durch

das Schwerfällige ausgedruckt wird – wie geht das zu? Worin liegt hier die Aehnlichkeit zwischen den Zeichen und der bezeichneten Sache?

Wer das herausbringt, der ist im Stande ein Alphabet der Empfindungssprache zu verfertigen, woraus sich tausend herrliche Werke zusammen setzen lassen. – Ist nicht die Musik der Sterblichen eine Kinderklapper, sobald sie sich [134] nicht an die große Natur hält, sobald sie die nicht nachahmt?

Musik und Astronomie war Hartknopfen nahe miteinander verknüpft – Er lehrte mich in jener Nacht einen Theil der Astronomie bloß durch die unnachahmlichen Töne seiner Flöte – die eines Kenners Ohren gewiß würden beleidigt haben, weil sie sogar einfach waren.

Eigentlich geschahe dieß aber nur, well er das Klavier nicht zur Hand hatte, durch das lehrte er sonst die meisten Wissenschaften und vorzüglich auch Lebensweißheit und Moral.

Noch ein sehr merkwürdiger Gegenstand seiner Beobachtung, in Ansehung der Musik, waren die verschiedenen Veränderungen des Pulsschlages bei den verschiedenen Veränderungen der Leidenschaften.


Mit der Musik verband er aber auch

die Dichtkunst


im hohen Grade – und nahm seine Zuflucht oft zu ihr, wenn er kranke Seelen heilte. O dann flossen die Worte im metrischen Silbenfall, wie Balsam von seinen Lippen –

[135] Nicht, daß er so ein Wunderdichter gewesen wäre, der gleich aus dem Stegereif auf jeden Vorfall in Versen etwas Vortreffliches hätte sagen können – sondern alles, was er von andern vortrefflich gesagtes auswendig wußte, hatte er sich in seiner Seele so gemerkt, daß er es immer zur rechten Zeit in Bereitschaft hatte. –

Und so wie fleißigen Bibellesern manchmal ein auswendig gelernter Spruch, gerade zur rechten Zeit einfällt, wo er ihnen, mitten in der Verzweiflung Trost und neuen Muth einflößt – so brauchte Hartknopf auch die Dichtkunst, wozu sie eigentlich da ist, zur Veredlung und Erhebung des Geistes, zur Beruhigung der Leidenschaften – sie diente ihm oft nach vielen mißlungenen Versuchen zu einer heilsamen Seelenarzenei, wo alles andre fehlschlug. –

Darum war auch unter den Alten Horaz sein Lieblingsdichter, weil er mit wohl abgemeßnen, reizenden Silbenfall den rechten Takt des Lebens lehrt – und sein Lieblinsgedicht unter den Neuern war – Wielands Musarion.

Hartknopf machte zwar selbst auch Verse – allein er that es nur, um irgend eine Pflicht zu [136] erfüllen, wie Sokrates einst kurz vor seinem Tode sich noch durch den Genius, der ihm immer zur Seite war, gedrungen fühlte, einige Aesopische Fabeln in Verse zu bringen.

Seine größte Stärke aber bestand in der Deklamation; diese hatte er so in seiner Gewalt, daß er sich des Fremden, was er vorlaß, gleichsam bemächtigte, und es sich zu eigen machte.

Es war ihm auch im Grunde nichts fremd, was irgend ein unverfälschtes Produkt des Geistes war – sondern so wie die Strahlen der Sonne ein gemeinschaftliches Gut sind, dessen sich alle Sterblichen freuen, so schienen ihm auch die Strahlen des Geistes, sie mögen sich nun ausbreiten, wie und wo sie wollen, ein gemeinschaftliches Gut denkender und vernünftiger Wesen zu seyn, dessen sie alle ohne Rückhalt froh werden sollen – Dieser Gedanke machte, daß Hartknopf auch nie einen Funken von Neid empfand, so oft er etwas las, was ihm Bewunderung und Erstaunen einflößte, indem er sich nicht zutrauere, daß er es selbst würde haben hervorbringen können.

[137] Er nahm demohngeachtet an der Ehre des menschlichen Geistes Theil, und vergaß, wie ein achter Republikaner, sein eignes Individuum, in der Vorstellung von der großen Geisterrepublik, mit welcher verbunden er nur sich selber schätzte, und seiner eignen Existenz einen Werth beilegte.

Denn unter allen sogenannten philosophischen Systemen, war ihm das der Egoisten das abgeschmackteste von der Welt – ob er gleich als Knabe einigemal Anfälle von dieser subtilen Raserei gehabt hatte – da es ihm einfiel, alle die Wesen ausser ihm, wären eigentlich nur Traumbilder, die in ihm da wären, und er wäre das einzige einsame Wesen in dieser weiten öden Welt; die denn, wie eine Schaumblase mit ihm aufgestiegen sey, und auch mit ihm wieder in ihr Nichts versinken würde.

Wie gesagt, er hatte nur als Knabe diese Anfälle, und da er ein Mann geworden war, dachte er wie ein Mann, und drückte seinem Nachbar freundschaftlich die Hand, und blickte seinem Freunde getrost ins Auge, ohne sie nur eine Minute [138] lang für Traumbilder oder Wesen seiner Einbildungskraft zu halten.

Ich begreife auch kaum, wie man den Gedanken des eigentlichen Egoismus nur einen Augenblick lang, ohne sich der Raserei zu nähern, ertragen kann. – Es ist das allerfürchterlichste und schrecklichste; ohne Hülfe, ohne Rettung bin ich mir selbst, als einem sich verzehrenden, sich selbst mit tausend Gefahren und dem Untergang drohenden Ungeheuer, überlassen. – Ich kann mir selbst nicht mehr in den Arm eines Freundes entfliehen – denn der Arm des Freundes ist eine Täuschung meiner Sinne, ein mir verhaßtes Selbst – und doch – wer rettet mich von den fürchterlichen Gedanken? – Doch kann ich in alle Ewigkeit von dem wirklichen Daseyn irgend eines Wesens überzeugt werden, so wie ich es von meinem eignen bin – keinen Augenblick lang kann ich das Ich eines Wesens ausser mir seyn – wie kann ich da wissen, ob dieß Wesen auch ein Ich ist, ob es je den Gedanken Ich gehabt hat –

Das waren die Anfälle von Egoismus in Hartknopfs Knabenalter – Seit jenem feierlichen [139] Tage aber, da er sich in die große Republik der Geister aufgenommen fühlte, verschwanden alle diese Zweifel, wie Nebel vor der Sonne – Es war ein Geist, der durch ihn, und den Emeritus, und Knapp auf die Menschen wirkte, eine reine Flamme, die den Erdkreis erleuchtet, aber verschieden in tausend Farben und Gestalten der Dinge, die unter ihrem wohlthätigen ununterbrochnen Einfluß erst Bildung und Form erhalten –

Diesen seinen eignen Geist fand Hartknopf im Emeritus, und dem Gastwirth Knapp, nicht aber in Hagebuck und Küster wieder – diese reine Flamme, die ihn selbst durchglühte, grüßte er in Wielands Musarion, in Homers Gesängen, in Horazens Briefen, in Rousseau's Emil, in Mendelsohns Phädon, und würde sie in Lessings Nathan den Weisen gegrüßt haben, hätte er ihn je gelesen. – In Youngs Nachtgedanken hatte er sie nicht gefunden; auch würde er sie nicht in dem Buche über Irrthümer und Wahrheit gefunden haben, wenn es ihm je zu Gesichte gekommen wäre.

[140] Dieß Wiederfinden desselben Geistes, der ihn durchwehte, in andern, war der erhabne Egoismus zu welchem er sich emporschwang, der die Seele seiner Freundschaft war, und ihm zugleich seine Unsterblichkeit sichern half: denn er fühlte, daß er sich nie selbst verlieren konnte – Er fand sich wieder, wohin er blickte.

Meine Zusammenkunft mit Hartknopfen in einem Karthäuserkloster

[141] Meine Zusammenkunft mit Hartknopfen in einem Karthäuserkloster.

Das war das letztemal, daß ich ihn in Erfurt sahe, und hier war es, wo er mir das letzte memento mori in die Seele rief, das seitdem nie wieder durch irgend einen Freudenschall daraus verdrängt ist.

Ob es denn etwa Karthäuser in der Welt geben mag, damit wir, weil doch alles vollständig seyn soll, auch ein lebendiges Bild des Todes vor uns haben, woran wir uns spiegeln sollen? – denn ein solches Bild ist ein Karthäusermönch, so wie sein Kloster das klare Bild des Grabes.

Es war am Festtage des heiligen Bruno, da wir uns von ohngefähr und doch auch nicht von ohngefähr, so wie die Nacht in den grünen Gängen nach den drei Brunnen, hier zusammentrafen. – Es war des Nachmittags – die Sonne schien hell ins Kirchfenster, und beleuchtete den [142] Kranz des Altarblattes, und die grünen Blätter der duftenden Citronenbäume, womit die kleine Kirche an diesem hohen Feste geschmückt war – Die Mönche saßen in zwei Reihen auf ihren erhabnen Sitzen, und vor jedem Sitze stand ein grüner Orangebaum in einem mit Erde gefüllten Behältnisse – Die Mönche saßen noch, ihre weiße Kappen über das Gesicht gezogen, in feierlicher Stille da, und die Bäume warfen einen sanften Schatten auf ihr langes weisses Gewand, dessen weite Ermel herunter hingen. –

Dumpf und traurig, in tiefen Tönen hub darauf ihr Gesang an – dann warfen sie sich auf ihr Antlitz nieder, und zogen indem sie anbeteten ihre Kappen über das Gesicht herunter. –

Da standen Greise mit kahler Scheitel, und Jünglinge mit blassen Wangen, die einst geblühet hatten. –

Vor dem Altar hängt von oben ein Seil herunter, woran die Glocke gezogen wird, und so wie der erste Mönch hereintritt, thut er den ersten Zug an dem Seile, und überreicht es denn seinem Nachfolger, der den zweiten thut, so daß alle an dem Läuten Theil nehmen, und alle in [143] diesem Tempel dienen, ohne sich dienen zu lassen. – Eben so ist es auch wieder beim Weggehen. –

Hartknopf war nicht umsonst hier, er besuchte einen neunzehnjährigen Jüngling, dem der Freund seiner Jugend an seiner Seite vom Blitz erschlagen war – und der dadurch einen Ekel an allen Freuden des Lebens bekommen hatte, welcher ihn hieher trieb, wo er dem Grabe entgegen welkte.

Bei ihm gelang es Hartknopfen das zerknickte Rohr wieder aufzurichten – er erhielt auf sein dringendes Anhalten, vom Prior die Erlaubniß, den Jüngling in seiner Zelle zu besuchen: und dieser ließ sich durch den erhabnen Ton seiner Stimme, durch seinen mitleidsvollen Blick, bewegen, ihn anzuhören – und da er ihn erst anhörte, so fesselte ihn Hartknopf schnell mit starken Banden der erbarmenden Liebe und Freundschaft. – Solch ein Ton war noch nie in des armen Jünglings Ohr gedrungen, seit er seinen Freund verlohren hatte. – Hartknopf brachte ihm diesen wieder, und sicherte ihm sein Daseyn, und nun wurde der Jüngling allmälig ruhig – [144] aber Hartknopf hütete sich wohl, bei den lebend Begrabnen den Reiz des Lebens zu sehr wieder anzufrischen – Er lehrte ihn, in sich selber, in tausend kleinen Beschäftigungen seine Glückseligkeit finden, die er vorher nicht gekannt hatte. –

Hartknopf folgte in der Behandlung dieses Jünglings der Natur, welche den Mangel des einen Sinnes dadurch einigermaßen zu ersetzen sucht, daß sie die ganze Kraft desselben in einen andern Sinn zusammendrängt, der dadurch bis zu einem ausserordentlichen Grade erhöhet wird – so suchte Hartknopf bei diesem Jüngling den Mangel des Entzückens, welches nur die Mittheilung gewährt, in dem Umgang mit seinem edlern Ich, in die großen Beschäftigungen mit seinem eignen Geiste zurückzudrängen – er lehrte ihn in sich eine Welt finden, da die Welt ausser ihm, auf immer vor ihm verschlossen war.

Trauben von den Dornen und Feigen von den Disteln lesen, war Hartknopfs Wahlspruch, so oft er etwas bemerkte, was aus dem großen Plane der Natur hinweggerückt zu seyn schien – Hier ist das Künsteln nöthig, sagte er, um das Verdorbne wieder gut zu machen. – Was ein [145] Unvernünftiger zu einem schlechten Endzwecke hervorgebracht hat, kann der Vernünftige immer noch zu einem bessern Endzwecke nützen – Die Unvernunft kann nichts so sehr verderben, daß die Vernunft es nicht sollte wieder gut machen können – Die Unvernunft reißt nieder, damit die Vernunft wieder etwas zu bauen habe, so bleibt alles in Thätigkeit.

Wer sich einmal lebendig begraben will, der thur doch immer noch am besten, wenn er sich in ein Karthäuserkloster begräbt, wo er sich doch sein Grab selbst nach Gefallen ausschmücken, und sich, wenn es ihm beliebt, darin umwenden kann, ob er gleich auch nicht wieder heraus darf.

Oft wenn ich aus meinem Stubenfenster über die alte Stadtmauer nach dem Karthäuserkloster hinüberblickte, fühlte ich eine geheime Sehnsucht nach diesen stillen Hütten – die ihren sehr guten Grund in meinem damaligen Verhältnisse gegen die Welt, und gegen die Menschen hatte.

Die Karthäuser wohnen nicht, wie andre Mönche in einem Hause, wo ein jeder seine besondre Zelle hat, sondern ein jeder Mönch hat hier sein eignes kleines Haus, das nur ein Stockwerk [146] hat, und mit einer hohen Mauer umgeben ist, innerhalb welcher ein kleiner Garten bei jedem dieser Häuser befindlich ist. Die einzelnen Häuser sind durch die hohen umgebenden Mauern so voneinander abgesondert, daß man durch keine Thüre aus einem ins andre, wohl aber aus allen gemeinschaftlich in die Kirche und den Speisesaal kommen kann. Auf diesen Gängen ist es also allein wo sich die Mönche begegnen, und sich durch ihr unverbrüchliches memento mori miteinander unterhalten.

Ein jeder hat in seinem Hause seine eigne kleine Einrichtung, bauet selbst seinen kleinen Garten, spaltet sich selber sein Holz zum brennen, hat auch wohl eine Drechsel- oder Hobelbank, womit er sich die Zelt verkürzt, und seinem Körper eine heilsame Bewegung giebt. Sein Lager ist auf der bloßen Erde, zu seinen Füßen steht ein Todtenskelet, und ein harter Block dient ihm zum Kopfküssen. Dreimal die Nacht über muß er sich des süßen Schlafs erwehren, wenn ihn bei vollem Einbruch der Finsterniß, um Mitternacht, und gegen Morgen die Stunde zum Gebete weckt –

[147] Einmal im Jahr am Fest des Ordensstifters bekömmt er Fleisch zu essen, und Wein zu trinken, der sonst nie seine Lippen berühren darf Ueber Tische herrscht ein unverbrüchliches Stillschweigen.

Keiner, der sich aus der Welt innerhalb dieser geweihten Mauern geflüchtet hat, darf eine Erlösung daraus hoffen, wenn ihn je sein Entschluß wieder gereuen sollte. Und wer es wagen wollte, diese Mauern zu überspringen, den würde, wenn man ihn ergriffe, ein schreckliches Schicksal erwarten, und wäre er vorher noch nicht lebend begraben gewesen, so würde er es dann seyn.

Hartknopf hatte sich diesen Karthäusermönch ausgesucht, um an ihm seine Weißheit zu versuchen – denn hier war es, wo sie die Probe halten mußte. – Wenn es eine wahre Weißheit giebt, so muß sie lehren, wie man auch als Karthäusermönch, sobald man es einmal ist, auf seine Weise glücklich seyn kann.

Freilich ist es besser, wenn sie einen vorher schon gelehrt hat, daß man nie ein Karthäusermönch [148] werden müsse – aber was hilft das besser, wenn das schlechter nun einmal da ist. –

Das Schlechtere was da ist, muß doch wohl mehr die Aufmerksamkeit des Weisen an sich ziehen, als das Beßre, was nicht da ist. – Aber die Afterweisen, die Weltreformatoren, die Hagebucks, schwärmen in den Zaubergefilden des Bessern was nicht da ist, mit ihrer müssigen Phantasie umher, und lassen indes auf dem verwilderten Acker des wirklichen festen Erdbodens, auf den sie treten, Dornen und Disteln wachsen.

Das that nun Hartknopf nicht – der suchte die Dornen und Disteln auszujähren, wo er sie nur fand; und aus der Seele des Jünglings hatte er einen sehr schmerzenden Dorn gezogen, indem er ihm seinen vom Blitz erschlagenen Freund wiedergab, und ihm in sich eine Welt zeigte, die ihn für die Ausschließung der äußern Welt schadloß hielt.

Dieser junge Mensch konnte nun mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit berechnen, daß er sein ganzes Leben hindurch keinen einzigen Tag Langeweile haben würde, wenn er den Weg verfolgte, den ihmHartknopf vorgezeichnet hatte.

[149] Ja er mußte sich sogar ein ziemlich langes Leben wünschen, wenn er in diesem Leben einige beträchtliche Fortschritte thun wollte, die ihm dort zu statten kommen könnten.

Und das war es, was ihm fast immer Angst und Furcht gemacht hatte, nicht der Gedanke des Todes, der war ihm süß und erquickend, sondern der Gedanke an die unerträgliche Last des Lebens – an alle die leeren Stunden, die er mit nichts auszufüllen wußte, oder wo doch die Quellen mit denen er sie auszufüllen strebte, immer sobald versiegten.

Ach, in das einsamste voll der Welt abgeschiedenste Leben, das der Nacht des Grabes am nächsten kömmt, läßt sich noch, wie mich Hartknopf gelehrt hat, eine unnennbare Seligkeit des Genusses legen. –

Eben so wie dem die Ewigkeit nie zu lang werden könnte, der von den Millionen Welten, die aus dem Firmamente leuchten, eine nach der andern im ungehemmten Fluge bereiste, und die unendliche Verschiedenheit des Wesens der Bewohner aller dieser Welten nach und nach kennen lernte – eben so wenig kann dem die Dauer seiner [150] irrdischen Tage zu lang scheinen, der nur einen Blick in sich selbst, in seine innere Welt gethan, und die unermeßlichen Gefilde des Denkens überschaut, die sich da vor seinem Blicke eröfnen.

Und diese Wonne des Denkens, des in sich Blickens kann doch auch der dunkelste Kerker dem unsterblichen Geiste nicht rauben –

Selbst der Verlust des süßen Augenlichts kann den Tag nicht verfinstern, der noch immer in der Seele des Weisen und des Denkers strahlt –

Nicht den Tag, der in Homers, und Miltons, und Ossians Seele glänzte, da sie die Geschichte der Vorwelt sangen.

Hartknopf sprach: es werde Licht! und es ward Licht in der trüben Seele des Jünglings. Die Morgendämmerung des reinen Denkens brach hervor: die Nebel der Vorurtheile wälzten sich allmälig von dem hellen Horizont hinweg – und bei dem allen blieb feste Resignation in Ansehung dessen, was einmal nicht zu ändern war. Hartknopf lehrte den Jüngling die Reue überwinden – er ließ ihn einen Blick in die nothwendige [151] Verbindung der Kette der menschlichen Schicksale thun, welcher Trost in seine Seele goß. – Er sprach sich selber frei, ohne das Schicksal anzuklagen. – Er unterwarf sich der Nothwendigkeit, und lernte sie lieben. – –

Und Hartknopf sahe an, alles, was er hervorgebracht hatte, und siehe da es war sehr gut –

Darum glänzte sein Auge so heiter, da ich ihn am Feste des heiligen Bruno in der Kirche des Karthäuserklosters traf. – Er sahe in der Miene des Jünglings, edle Lebenslust, Entschlossenheit und Standhaftigkeit nicht nur auf den kommenden Tag, sondern auf kommende Jahre – und nun sahe er mich da stehen, in dem er seine neue Schöpfung angefangen, aber noch nicht vollendet hatte.

Er fand diesen Ort zu einem wichtigen Fortschritt schicklich – er sagte mir mit einer so kalten, festen, und trocknen Miene, daß ich sterben – sterben müsse – wie es mir noch nie in meinem Leben gesagt war, wie ich es mir selbst noch nie gesagt hatte – es war, als hätte er mich mit diesem Blick von Haut und Fleisch entblößt –

[152] Und indem er meine Hand dabei anfaßte, und schnell wieder fahren ließ – – –

Fuhr mir der Gedanke an die Verwesung durch die Seele, und erschütterte mein Innerstes –

Also – Staub, wie der, auf dey ich trete – ohne Gestalt, ohne Form, ohne Umriß – in der ganzen weiten Welt gleich – und eins die Todtenasche aller Sterblichen, wenn sie sich zusammen mischt –

Die Schaumblase ist zerplatzt – dem Bilde ist sein Umriß genommen –

Abgeschieden von der Welt, stehen sie hier die geweihten Opfer des Todes, in das weiße Sterbegewand gehüllt, und singen sich selbst ihren Grabegesang –

Hinweg mit dem täuschenden Schleier! Hier ist nicht der Jüngling mit der umgekehrten Fackel – hier ist schreckliche, schändliche Verwesung – das Meisterstück der Schöpfung liegt zertrümmert da, und der Wurm nagt an seinen Ueberresten – sind denn Augen, wodurch der Geist geblickt hat, weniger werth, als Augen von Glaß geschliffen? daß diese modern, wenn jene dauern?

[153] Ist es möglich, daß dieser Körper, den ich an mir trage, der so nahe in mein Ich verwebt ist, einst ein Auswurf der Schöpfung werde? – Nicht nur möglich, sondern gewiß; so gewiß, daß es itzt schon wirklich ist – und ich sollte nicht vor mir selber zurückbeben? vor mir selber?

Wer bin ich? Wo bin ich selber? Wo nimmt mein eigentliches Ich seinen Anfang? Wo hört es auf? Wo verschwimmt es sich in die umgebende Welt? Kann ich nicht alles mit in den Kreis meines Daseyns ziehen, und kann ich nicht alles wieder heraus denken? Wo nimmt mein Ich seinen Anfang?

Hartknopf faßte meine Hand, und ließ sie schnell wieder fahren, wie die Hand eines Todten. – –

Eins muß mir heraus helfen, oder ich bin auf ewig in diesem Labyrinthe verloren.

Das höchste Studium des Psychologen sind:


die Verba Auxiliaria.


Hab' ich denn eine Hand? Hab' ich einen Körper, so wie ich ein Kleid, und eine Wohnung habe? –Hab' ich eine Denkkraft?

[154] Wo hört denn das Haben auf? wo nimmt das seyn seinen Anfang?

Ich habe – ich bin.

Was hab' ich? was bin ich?

Das ist der Aufschluß:

Ich habe alles, was ich bin; aber ich bin nicht alles, was ich habe. – –

Haben ist der mehrumfassende Begriff – Haben bezeichnet: zusammenhängen; seyn bezeichnet denstärksten Grad des Zusammenhanges – den letzten Knoten, worin sich alles zusammenschlingt.

Das Haben nähert sich dem Seyn, je stärker der Zusammenhang wird –

Alles was ich mein nenne, oder was ich besitze, nenne ich deswegen mein, weil es in nähern Zusammenhange mit mir, als mit sonst irgend etwas in der Welt steht.

Das Kleid, das ich trage ist mehr mein, schmiegt sich näher an mein Ich, als das Haus, worin ich wohne, und der Körper wieder mehr, als das Kleid, das ich trage, und die Gedanken, womit ich mir meinen Körper vorstelle, wieder mehr als der Körper selbst.

[155] Der Zusammenhang wird immer fester, immer in sich gedrängter. –

Das Haben verliert sich unmerklich ins Seyn.

Das Seyn ist der Stift in dem Wirbel. Ohne Mittelpunkt ist kein Cirkel, ohne Seyn ist kein Haben.

Ich kann nicht so gut mehr sagen: ich habe eine Denkkraft oder ein denkendes Wesen, als ich sagen kann: ich habe einen Körper – Ich bin ein denkendes Wesen.

Könnte je der innere feste Zusammenhang meiner Gedanken aufgelößt werden, so wie der Bau meines Körpers zerstört wird, dann würde ich aufhören zu seyn –

Hartknopf faßte meine Hand, und ließ sie wieder fallen, wie die Hand eines Todten – – und ich schauderte nicht mehr zurück vor der Verwesung, denn ich fühlte mich in mich selbst zurückgedrängt, fest und unerschütterlich, mein Körper war ausser mir; war ein gleichgültiger Gegenstand meiner Betrachtung.

Je enger der Cirkel von aussen her um mich wird, je mehr diese Denkkraft in sich selber zurück, gedrängt wird, desto fester wird der innere Zusammenhang [156] meiner Gedanken in sich selber; desto fester und unerschütterlicher das Gefühl meines Daseyns.

Der Karthäusermönch, den Hartknopf die Weißheit des Lebens lehrte, war fast bis aufs Grab umschränkt, so wenig Zusammenhang mit der äussern Welt blieb ihm übrig, und er fand dennoch Fülle des Daseyns in sich selber.

Zu guter letzt lehrte mich Hartknopf noch ein Lied an die Weißheit, bei welchem Worte und Melodie so wahr, so passend, so aus der Seele gehoben; der sanfte Gang der Töne ein so lebhaftes Bild des ruhig abgemeßnen Lebensschrittes; und die Harmonie des Ganzen so Herzeindringend ist; daß einige Verse aus diesem Liede gesungen, gleich einem wohlthätigen Zauber, manchmal eine plötzliche Veränderung in meinem Gemüth hervorgebracht; und meine empörten Leidenschaften wieder besänftigt haben. Denn an jedes Wort, an jeden Ton in diesem herrlichen Liede, war mir irgend eine von Hartknopfs großen Lehren geknüpft, die nun alle mit einemmale in meiner Seele erwachten, und durch die einfache und doch gedankenvolle Melodie, in [157] ein simples System gebracht, so leicht und ohne Mühe von mir umfaßt werden konnten, wie die Wölbung meines Ohrs jeden sanften Ton auffing, den die berührte Saite meines Herzens, wie ein getreues Echo wieder gab –


Das Lied in die Weißheit, was mich Hartknopf lehrte, und das jetzt auch in einer wohlbekannten Sammlung steht, hieß:


O du, durch die wir auf der Bahn des Lebens

Zum großen Ziele freudig gehn,

Und einst am Grab, in Aussicht, nicht vergebens,

Den steilen Pfad erstiegen sehn.


Durch die ein beifallgebendes Gewissen

Uns Glück und stillen Frieden beut,

Und Blümchen lockt hervor zu unsern Füßen,

Und auf die Dornenpfade streut;


Geleite mich die Dornenbahn des Lebens

Getrost und muthig fernerhin,

Und lehre mich, daß ich zu Licht vergebens

Durch Licht nicht auserkohren bin!


[158]

Mein Leben sey ein steter sanfter Friede

Und Wohlklang, wie das Saitenspiel!

Nie meine Hand zum Bau des Tempels müde

Vollendung meiner Arbeit Ziel!


Geordnet sey mein Leben nach dem Maße

Des simplen Ganzen der Natur,

So wird die Müh auf dieser Wanderstraße,

Zur Freude einer Blumenflur.


Hell vor uns her blickt schon im Morgensterne

Elysium aus Mitternacht,

Auf meine Brüder, schaut froh in die Ferne,

Dir lohnend uns entgegen lacht!


Senkt nie den Blick auf die Beschwerden nieder

Dort ist der Quell, und dort ist Heil!

Der Geist streb' auf, kehr lichterhellter wieder

Und nehm' verklärt am Lichte Theil!


Die Weißheit, welche Hartknopf seine Schüler lehrte, ist einzig, fest, und unerschütterlich;
sie heißt:

Resignation.


[159] Der diese Weißheit lehrte, erprüfte sie, da er den Emeritus und den Gastwirth Knapp zu ihrer Hinrichtung auf den Rabenstein von Gellenhausen begleitete, den sie auf Satan Hagebucks Anstiften besteigen mußten.

Er versiegelte sie fünf Jahre nachher mit seinem Märtirertode. – –


Mors ultima linea rerum est.


Notes
Erstdruck: Berlin (Unger) 1786. Fortsetzung: Andreas Hartknopf Predigerjahre, 1790.
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TextGrid Repository (2012). Moritz, Karl Philipp. Andreas Hartknopf. Eine Allegorie. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-4360-A