Johann Heinrich Merck
Geschichte des Herrn Oheims

[1212] [I]

Diesesmal, liebster Freund, erhalten Sie von meiner letzten Reise kein Geschenk mineralogischen Inhalts und Gewichts, sondern es ist eine andere Seltenheit womit ich Sie unterhalten will, die nicht so leicht sich auf den Landstraßen aufsammlen läßt. Es ist die Geschichte eines Mannes der die sonderbare Entschließung gefaßt, und die blendende Szene von Ansehn und Gewalt gegen das Leben des Landmanns vertauscht, und zwar freiwillig vertauscht hatte. Schon ehe ich Heilbronn verließ hörte ich von ihm reden, und zwar aus so verschiedenen Gesichtspunkten von seinem Charakter urteilen, daß ich bald merkte es müßte mehr als eine Alltagsgeschichte sein. Allgemein aber war doch die Sage, daß er ehedessen, Minister gewesen, das Vertrauen des Fürsten in einem sehr hohen Grade besessen, und nun auf dem Lande alsBauer lebte. Jeder kolorierte das Ding wie er's gut fand. Dem einen war's unbegreiflich. Der andere fand's lächerlich. Die Damen fanden's abscheulich. Die Herren, die sich die weisesten dünkten, sahen es als eine Sucht an, auf eine neue Art brillieren zu wollen, den Sonderbaren zu spielen, und nach Mönchenweise die Welt zu verlassen, weil sie uns verlassen hatte. Das Scheußlichste, was man am meisten ausstieß, war, daß er allen Umgang mit der honetten Welt aufgehoben hatte, selbst Bauernarbeit tat, sein Gesinde am Tisch essen ließ, usw. – Diese letzten Züge waren nun freilich ein wenig frappant. –

Weil ich diesmal fest entschlossen war, nicht durch das Gläschen aller dieser Herrn und Damen zu sehen, sondern mein Paar Augen selbst zu brauchen, so erkundigte ich mich eben wie weit es von meiner Straße nach Ulm bis an sein Dorf abwärts sein möchte, und sprach meinem Braunen zu. Ich kam den andern Tag, vormittags um neun Uhr an, und gab einen Brief des Herrn von Meyer, aus Heilbronn, an den Pfarrer des Orts ab, der sein Freund sein sollte. »Das hat Ihnen ein guter Geist eingegeben«, sagte der Pfarrer mit Lächeln, als er sah, warum ich an ihn rekommandiert war, »daß Sie erst bei mir anfragen, und nicht geradezu auf das Gut des Herrn Oheim losgeritten sind. Er hat seit langer Zeit so viel indiskrete Besuche erlitten, daß er seinen Unmut darüber zuweilen nicht hat bergen können. Die Leute haben's übelgenommen, wenn sie ihn inkommodierten. Alle kamen zu schauen, und er wollte nicht, oder hatte nichts für sie [1212] aufzuweisen. Es war also gerade als wenn man sie vor der Türe eines Raritätenkastens abgewiesen hätte. Er hat natürlicherweise immer zu tun, und kein Mensch wollte begreifen, daß man ihn von etwas abhielte. – Sein Sie indessen ruhig. Wir wollen beide zusehen, daß wir's heute besser machen.«

Sobald wir aus dem Dorfe waren, wies mir der Pfarrer das Haus, das eine gute Viertelstunde weit ablag. Als wir noch 100 Schritt von der Haustür waren, bat mich der Pfarrer ihm nur langsam zu folgen, und er ging voraus. Ich eilte nicht, und als ich ankam, fand ich meinen Begleiter im Hofe, neben einem langen Manne stehen, den ich von hinten her sogleich für den Herrn des Hauses ansah. Er wandte sich von ohngefähr um, kam auf mich zu, grüßte mich freundlich und gab mir die Hand. Ich fand hier, wie bei so vielen andern Gelegenheiten des Lebens, fürs schicklichste, nichts zu sagen. Denn war mein Besuch überlästig, so kammen alle Entschuldigungen zu spat, die ich hervorstottern mochte, und war er's nicht, so hatte er schon längst in meinem Gesicht gelesen, daß meine Neugierde von der gutherzigen Art war. Außerdem war ich von dem geraden Anstand des Mannes frappiert. Die edelste Bildung, in der simpelsten Darstellung enthüllt! Sein Haar war nach Bauern- oder Wiedertäuferart ganz gerade abgeschnitten; seine Kleidung ein grauer Frack und Hut, gelbe lederne Beinkleider, leinene Strümpfe und Schuhe mit Rahmen.

»Sie besuchen indessen meine Frau und Tochter«, sagte er zu mir: »ich muß auf das Feld, und die Saat selbst bestellen. Ich habe meinen Knecht kürzlich verheiratet, und dieser kann noch nicht, wie ich's wünschte, mit dem Säen umgehen. In anderthalb Stunden bin ich bei Ihnen.« Mit diesen Worten nahm er von dem Knecht den Sack um die Schultern und hieß ihn nachkommen.

Ich folgte dem Pfarrer in den Saal, wie er's nannte. Dies war eine große herrliche Küche, wo an einem Ende, nach ausländischer Art, das Feuer auf der Erde brannte und die Töpfe herumstanden. Weil die Jahrszeit schon etwas feucht war, so hielte sich Frau Oheim und ihre Tochter hier am Feuer auf, und warteten ihrer Arbeit. Sie schnitzten eben Äpfel als wir in die Tür traten. Ohne aufzusehen, grüßte sie uns freundlich und die Tochter rief: »Sie müssen uns helfen, Herr Pfarrer, daß wir heute früh noch fertig werden.« Wir setzten uns zu den Frauenzimmern, und die Bekanntschaft war so gut und geschwind gemacht, [1213] als wenn wir uns schon seit langer Zeit gesehen hätten. Nach einiger Anweisung ging mir die Arbeit auch vonstatten. Die Mutter sah mich von Zeit zu Zeit an, als wenn sie etwas an mir examinierte. Endlich sagte sie: »Es scheint, Sie gefallen sich bei uns, sind Sie nicht auch ein Landmann, mein Herr?« »Noch bin ich's nicht«, gab ich zur Antwort, »allein ich hoff's noch zu werden. Ich bin leider noch ein Kaufmann, und die liebe Sonne wird mir nicht eher zuteil, als wenn ich geschäftehalber auf Reisen gehe. Es ist ein Glück für mich, daß mein Kompagnon so ungern die Stadt, und sein Kollegium, Kränzchen, Zirkel, verläßt, und mich dafür in die Schweiz schickt. Ich gehe alle Jahr unsers Linnenhandels halber nach Langenthal, und besuche auch zuweilen die kleinen Kantons.« – »Da sind Sie ja ein recht glücklicher Mann«, rufte die Tochter, »daß Sie alle Jahre einmal nach der Schweiz gehen dürfen. Unser Papa erzählt uns den Winter durch so viel Gutes von diesem glücklichen Lande, daß ich alles drum geben wollte, wenn ich's einmal gesehen hätte. Aber sagen Sie mir, sind die Mädchen würklich so schön in der Schweiz, wie der Papa haben will?« – »Das sind sie gewiß«, sprach ich – »und man darf auch allzeit sicher vermuten, daß das Blut in einem Lande schön ist, wo die Sitten rein sind – und durchgehends wird der Reisende durch diesen Anblick in der Schweiz gelabt – wenn ich die große Städte vorbeireite, und nur das Land besuchen will. Sie dürfen da nicht lange suchen, um das Modell zur Sophie in Rousseaus ›Emile‹ zu finden.«

Das junge Frauenzimmer stutzte. »Meine Tochter kennet Rousseaus ›Emile‹ sowenig wie Schokolade und Kaffee. Wir haben zwar alles dies im Hause, allein weil unsrer Kinder Gaumen von Jugend an dafür bewahrt worden ist, so ist er jetzo zu gesund darzu, um davon zu kosten.« – Und so war der Diskurs auf einmal abgebrochen. Man ermunterte mich zum Frühstück, und versprach mir zum voraus, ich würde mir den Appetit damit nicht verderben, weil die Mittagskost sehr mäßig sein würde. – Weil ich von Rousseaus »Emile« gesprochen hatte, so bestund Frau Oheim sehr ernstlich darauf, daß ich Schokolade annehmen müßte. Und ich hingegen verlangte Erdäpfel. Endlich trat die Tochter ins Mittel und sagte, »ich bringe Ihnen Butter, mein Herr, und ich will doch gerne hören, ob die Butter in der Schweiz unsre Schwabenbutter schänden soll.«

In dem Augenblick kam der kleine Oheim, ein allerliebster Knabe von ohngefähr 5 Jahren, mit einem seiner Kameraden [1214] zur Küche hereingeritten, und stellte seine Pferde in die Ecke im Stall. Er hatte seine Schmitze an der Peitsche verloren, kam auf den Pfarrer zu, und verlangte, er sollte ihm eine andere Schmitze aus dem Bindfaden, den er aus der Tasche zog, zurechtbinden. Der Pfarrer, der seine Arbeit mit Schnitzen nicht aus der Hand lassen wollte, wies ihn an mich. »Der kann's nit!« sagte der Junge ganz ruhig, und als der Pfarrer darauf bestund, daß ich's besser verstünde, wie er, so sah er mich von Kopf bis zu Fuß an, und sagte noch einmal ganz ernsthaft:»Der kann's nit!« Ich ging darauf nach ihm hin, ergriff ihn bei der Hand, und führte ihn nach meinem Stuhl. Als er so zwischen meinen Knien stand, fragte ich ihn, wie lang er seine Schmitze haben wollte, wo ich sie anbinden sollte, kurz, ich brachte es dahin, daß er mich den Anfang machen ließ, allein doch immer gab er sehr sorgfältig acht, wie ich mich dazu stellte. »Sie haben wohl auch Kinder, weil Sie sich so gut mit dem Jungen abgeben können?« fragte mich Frau Oheim. »Die darf ich nicht haben, weil ich noch keine Frau habe«, war meine Antwort. »Das ist sehr kommod«, versetzte Frau Oheim, »wenn man oft auf Reisen ist, nicht wahr? Und außerdem hat's auch seine angenehme Seiten; man ist als ein lediger Mann überall besser aufgenommen.« »Darüber hab ich noch nicht Zeit gehabt zu reflektieren«, war meine Antwort. »Denn mit Willen bin ich gewiß so lang nicht im Hagestolzenstande geblieben.«

»Und wer hindert Sie denn herauszutreten, wenn's Ihr ernstlicher Wille ist?«

»Meine Umstände. Denn es will was sagen, wenn ein Handel wie der unsrige, der mehr auf Industrie als auf Fonds beruht, zwo Familien ernähren soll.«

»So muß Ihr Handel«, versetzte Frau Oheim, mit Lächeln, »weniger wert sein als ein tüchtiger Kohlgarten in Ihren Vorstädten, der Vater und Schwiegersohn oft reichlich mit ihren beiden Familien ernährt.« – »Ja, wenn wir mit unserm Gewerbe in den Stand der Kohlgärtner zurücktreten, und unsre Weiber und Kinder mit Buttermilch nähren könnten. – Glauben Sie wohl, daß mein Kompagnon, der eine etwas stärkere Familie hat, seiner Frau in meiner Gegenwart, die Anerbietung tat, ihr alle Abend einen Speziesdukaten zu geben, wenn sie ihn von allen Ausgaben freisprechen wollte, und es die Frau ausschlug? Und zwar hier Hausmiete und Holz nicht mitgerechnet.« –

»Ich begreife was Sie da sagen«, versetzte Frau Oheim ganz [1215] ernsthaft. »Ich weiß auch noch die Zeiten, wo wir mit Tausenden nicht leben konnten. Und jetzo leben wir mit wenigen Einkünften im Überfluß. Es kommt, wie die Alten sagten, alles auf eine gute Einrichtung an. Aber wär's denn unmöglich, diese bei Ihnen zu treffen? Sie leben ja in keinem öffentlichen Amt, sind freie Bürger, Privatleute!«

»Die Bemerkungen des Nachbars halten uns in so strenger Ordnung, als je einen Bedienten einer fürstl. Residenz die Klasse seines Amts. Wer's anders macht als andere Leute, kommt nicht fort, macht sich ridikül, verliert seinen Kredit. Klein und mäßig zu leben, ist beinahe in den jetzigen Zeiten so gefährlich, als es bei unsern Vätern war, Aufwand zu machen. Wer sich nur einen Artikel des bei uns eingeführten Luxus versagen wollte, kommt sogleich in Verdacht, daß es liebe Not sei, und daß seine Umstände nicht die besten sein, sonst würde er so was nicht tun.«

Hier ward die Konversation durch die Ankunft des Herrn Oheim unterbrochen, der vom Felde kam, und sich zu uns ans Feuer setzte. »Gebt uns zu essen Kin der«, rufte er, »mich hungert. Sonst war dies ein Glück«, indem er sich zu mir wandte, »das mir nur zuteil ward, wenn ich mit auf die Parforcejagd geritten war; jetzt hab ich's alle Tage ungerufen.«

Mutter und Tochter deckten sogleich den Tisch, und das Essen ward vom Feuer gehoben, und angerichtet. Mir war dies ein seltner Anblick von so schönen und reinlichen Händen bedient zu sein. Die blanken Teller und Schüsseln waren bald von der Wand genommen, kurz, es ging alles so fix als wenn's kommandiert wäre. Der Pfarrer ging nach Hause, weil er gleich nach Tische ein Kind erwartete, das man ihm zur Taufe aus einem benachbarten Orte bringen sollte. »Sie bleiben bei uns«, sagte Herr Oheim, »und dörfen nicht fürchten, daß Sie uns inkommodieren. Sie nehmen den Platz meines Sohns ein, der aufs Land gegangen ist, und heute abend erst zurückkommen wird.« Und nun kam der Knecht und die Mägde zum Essen herein. »Sie fürchten sich doch nicht, mit dem Gesinde zu essen«, sagte der Herr vom Hause; »es sind wenigstens so gute Menschen wie wir, und wenn sie für uns arbeiten, so denk ich, sie können auch mit uns essen.« Herr Oheim sprach mit wenigen Worten, aber mit wahrer Erhebung des Herzens das Tischgebet, und alles war so neu für mich, daß ich bis zu Tränen gerührt war. Darauf setzte sich der Herr und die Frau oben an den Tisch. Madame nahm den Kleinen neben [1216] sich. Ich hatte auf der einen Seite die Tochter und auf der andern Seite den Knecht. Die Mägde saßen unten.

Bei Tische fiel kein Wort lateinischen Inhalts, das nicht für die ganze Gesellschaft gewesen wäre, nichts aus dem bürgerlichen wissenschaftlichen Leben, auch nicht eine einzige allgemeine Reflexion über den Landbau. Der Knecht, ein junger roter Pursche mischte sich ins Gespräch, und versicherte seinen Herrn ganz dreiste, daß er im Säen seinen Zirkel von der Brust weg treffen wollte, so gut wie einer, wenn man's ihm nur anvertraute. Alles freute sich auf den Abend wenn der Sohn nach Hause kommen würde. »Ich habe nieine alte Pferde letzthin abgeschafft«, sagte Herr Oheim, »und heute ist mein Sohn aufs Land um andere zu kaufen. Es hat sie niemand gesehen als er, und ich bin sehr begierig wie sie ausfallen werden. Es sind zwei Fuchsstuten, die der Mann, dem sie gehören, selbst gezogen hat. Ich kenne ihn als einen vortrefflichen Landwirt, und also verspreche ich mir nichts Übels. Er hat ein paar traurige Fälle in seiner Familie, die ihn nötigen die Pferde abzuschaffen, um Geld zu machen. Sollten sie mir auch nicht behagen und ich muß sie wieder weggeben, so ist die Lektion für meinen Sohn soviel wert, als was am Hauptgeld verloren wird. Und schlagen sie ein, so ist das Eigentum, das mein Sohn durch seinen guten Einkauf darüber erhält, mir und der Familie ein wahres Kapital, das sich reichlich verzinsen wird.« »Herr Heinrich wird aber jetzo recht stolz sein mit seinen Fuchsstuten«, fiel der Knecht ein, »und ich werde nur mit den Ochsen fahren dürfen. Zum Putzen und Striegeln ist einer gut genug. Wenn er mir sie aber auch nicht in Acker gibet, so muß ich sie doch zu den Fuhren haben, und wenn ich in die Stadt zu Markte soll; denn da kann er doch nicht mit. Ich will doch sehen, ob er 's Füllen mitbringt; denn das, sagte er, das müßte mit in den Kauf, und die 24 Karolin wären umsonst nicht so blank.« – »Das Füllen, das Füllen«, rief der Kleine, »ach wann's nur ein Schimmelchen ist, daß ich drauf reiten kann. Nicht wahr, Papa, ich darf heute mit Philippen bis an den Wald, und dem Bruder entgegengehen.«

II

Den Nachmittag führte mich Herr Oheim hinaus auf seine Felder, weil er ohnedies nach seinem Knecht zu sehen hatte. Da das Haus auf einer ziemlichen Anhöhe stand, so bemerkte ich [1217] bald, daß weit und breit meist alle Felder mit lebendigem Haag eingefaßt waren, in welches alle zwanzig bis dreißig Schritte ein ziemlicher Stamm von Brennholz eingeflochten war. Ich erstaunte über diese nützliche Einrichtung, und hielt sie für sehr kostbar. – »Sie ist«, sprach Hr. Oheim, »bekanntlich nur in England allgemein, allein überall sehr leicht nachzuahmen, wo ein Gutbesitzer, wie hier mein Fall ist, seine Grundstücke auf einem Fleck beisammen liegend hat. Ich habe meine Hecken mit Gärtnersorgfalt und Baurenaufwand erzogen, und wer mir folgen mag, wird sich wohl dabei finden. Im Winter, wo es müßige Taglöhner, und wenig beschäftigtes Gesinde gibt, hab ich meine Hecken gepflanzt, Gräben aufgeworfen, im Frühjahr nachgesehen, und da ich vom Wasser Herr war, ihnen in den heißen Sommermonaten zuweilen reichlich Tagwasser zufließen lassen. Einfassungen von toten Holz sind in meinen Augen die kostbarsten Hof- und Stadtdekorationen, und wer nur je ein Krauthaupt gepflanzt hat, wird zu viel Respekt für die Vegetation haben, als daß er einen Baum unnützerweise fällen sollte. Außerdem ist's in unsern Gegenden auch die liebe Not. Ich ziehe aus dem Oberholz meiner in den Hecken stehenden Bäume, und dem Abfall der aus dem notwendigen Beschneiden der Hecke selbst entsteht ohngefähr 3/4 alles meines Brennholzes. In 4 Jahren sind alle meine Hecken groß und dicht genug, klein und großes Vieh abzuhalten, indem ich die Staude nicht gerade, sondern ins Kreuz pflanze, nichts als Kreuzdorn dazunehme, und mich für den zärtlichen Hammbuchen hüte. Hätte ich meinem Gesinde oder meinen Nachbarn von Anfang ein Wort davon gesagt, daß ich gegen 100 Morgen Feldes mit Gräben und Hecken versehen wollte, sie hätten geglaubt, es sei hier nicht richtig. Jetzo da's steht, hat kein Mensch was dagegen einzuwenden, und sogar die Leute aus der Stadt sperren das Maul mit Vergnügen darüber auf, weil's hübsch gekämmt aussieht. Überhaupt, wer da haben will, daß sein Werk stehen und fortgehen soll, der schweige und tue.« Ich fand an dem Abhange rechter Hand eine Menge Wiesen, die ohngeachtet der späten Jahrszeit wegen der trefflichen Ordnung, worin sie gehalten, und der Art und Weise wie sie gewässert waren, für den Kenner immer ein reizendes Schauspiel waren. Obenher floß ein Mühlenbach, der sie reichlich versah – Ich wunderte mich darüber wie der Eigentümer der Mühle, die auf der andern Seite stand, dieses erlauben könnte. – »Der bin ich selbst«, sagte Herr Oheim mit Lächeln. »Eh ich [1218] auf einen Morgen Landes in dieser Gegend dachte, war der Gedanke wie ich zu der Mühle kommen wollte der erste, der mir im Kopf herumging. Weil es keine Bannmühle war, und der Müller sich durch seinen Handel mit Weißgut, und durch seine ewige Fuhren nach der Stadt in die Schulden gestürzt hatte, und am Ende auf Betrügereien gegen jeden Mahlgast ausgegangen war, so hatte sie alle Nahrung verloren. Sie ward aufgesteckt, und ich war für ein billiges Gebot der dem sie zugeschlagen ward.

Als ich das Stadtleben verließ, merkte ich wohl, daß mir zu meiner neuen Hantierung das nötige Geschick fehlte. Ich kaufte also in dem nahliegenden Dorfe nur ein Bauernhaus mit den notdürftigen Nebengebäuden, und ohngefähr 20 Morgen Äcker, um nicht gar müßig zu sein, und erst von meinen Nachbarn zu lernen. Da ich keine Wiesen hatte, mußte ich anfangs alles mit Futterkräutern zwingen, im ganzen aber war's doch Spielwerk, weil mir's den Aufwand für Gesinde und Pferde und Geschirr nicht auswarf. Indessen trieb ich den Ackerbau auf Gärtnerweise, raffinierte mit Krapp-, Mohn- und Hirsenbau, damit ich mein Gesind beschäftigte – allein dies alles war zu mühsam, zu gefährlich, und eine andre Art von prekärer Existenz, als die, die ich eben verlassen hatte. Diese Stücke die ich jetzo in einer Flur besitze, waren ehedem sogenannte Außenfelder, die zum Teil der Gemeinde, zum Teil einzelnen Einwohnern zugehörten, allein weil kein Mensch seinen Mist so weit verschleppen wollte, eine wahre Wüstenei ausmachten. Sie wären wirklich auch jetzo noch mein Verderb, wenn ich nicht auf der Stelle wohnte, und die 30 Morgen Wiesen nicht hätte, an deren Möglichkeit vor zehn Jahren kein Mensch gedacht hatte. Da man im Dorf sah, daß ich noch Dünger dazu kaufen mußte, um meine 20 Morgen, davon 2/3 Samereien und Futterkräuter waren, instand zu erhalten, so dachten die Leute, ich sei verrückt, als ich ein Stück nach dem andern von dieser Wüstenei an mich handelte. Man überließ mir dies alles nach und nach um eine so kleine Summe, daß ich mich's jetzo zu sagen schäme. Sobald ich die Mühle kaufte, konnte man wieder nicht begreifen, warum ich mich von neuem in ein Gewerbe stürzte, das ich schlechterdings nur durch Knechte treiben konnte, und wo der gescheuteste unendlichen Betrügereien ausgesetzt ist. Man änderte indessen die Sprache, als man sah, daß mir's nur um das Wasser zu tun gewesen war. Ich führte den Bach, der unten plötzlich in die Tiefe gegangen war, oben über [1219] die Mitte der Anhöhe weg, und bekam sehr gern von Schultheiß und Gericht die Erlaubnis, den Kot ihrer Hintergasse, der keinen Abfall hatte, hineinzuführen. In zwei Jahren waren meine 20 Morgen Wiesen imstand, und im vierten mit Gräben und Hecken aufs beste versehen. Die Mühle hab ich einem alten Auszugsmann verpachtet, und da ich den Zins, um ohngefähr 40 fl. heruntergesetzt habe, blieb ich Herr von Wasser, wie ich's nötig finde, und habe dadurch die Unterhaltung meiner Wiese gewonnen, die das Hauptkleinod vom ganzen erworbenen Schatz ausmachen. Bei diesem Teil meiner Wirtschaft hat mir mein bißchen Mathematik und Botanik Dienste getan, und die Principia die ich aus meiner ehemaligen verfeinerten Lebensart herüberbrachte, haben mir Winke gegeben, mich bei Sachkundigen näher zu belehren, ihnen Antworten, auf Zweifel abzulocken, woran sie nie gedacht hätten, und haben mich überhaupt für tollen Projekten bewahrt.

Ich glaube, mein Herr«, fuhr Herr Oheim fort, »Sie sind nicht so weit außer der Straße geritten, um gerade einen wohlhabenden Bauern zu sehen, sondern Sie möchten gern schauen wie er's treibt, und wie er's geworden ist. Wär ich eines Landmanns Sohn, und hätt ich meine Jugend in diesem Berufe zugebracht, so wären Sie auch nicht gekommen mich zu besuchen. Allein weil ich ehmals die politische Trommel gerührt, und wohl oder übel Einfluß auf Tausende gehabt, und nun mich in das Schneckenhaus eines Landmanns zurückgezogen habe – darüber möchten Sie einige Erläuterung haben, nicht wahr? Und diese will ich Ihnen herzlich gerne geben, weil ich mich in Ihren Fall setzen kann. – Dies alles hab ich mir erworben, und wenn ich auf die Art und Weise zurückdenke, so gereut es mich eben nicht. Vergleichen Sie den Wert dieses Guts mit andern, so sinkt es in die Menge so vieler mittelmäßigen Besitzungen zurück, die keines Worts und keiner Zeile Beschreibung bedürfen. Sehen Sie's aber als den Zweck an, auf dessen Erreichung ein ehrlicher Mann seine Zeit und Fleiß verwandt hat, so ist's ein andres Ding. Wenn Sie wüßten auf welche vergängliche Dinge dies ziemlich massive Gebäude meiner Wohnung, meine Äcker und Wiesen gegründet sind, Sie würden von Herzen lachen. Der erste Fonds dazu ist was ich aus dem Ausruf meiner Stadtherrlichkeiten erlöste. Ehedem waren's Spiegel, Phaeton, Büros von Mohogany, Silbergeschirr, Stickereien, Spitzen, Porzellan, Bibliothek, Kupferstiche, Gemälde, Gemmen, Pasten, Vasen von Terrakotta, und wie alle [1220] die schöne Dinge heißen, die ich mit meinen Kindern jetzo entbehren kann. Sie stehen in meinem Gehirn neben dem Spielzeug meiner ersten Kindheit in einem Rang, und ich würde kaum mehr daran denken, daß so was in der Welt wäre, wenn mich nicht das Intelligenzblatt aus der Stadt zuweilen daran erinnerte. Die Landwirtschaft im großen, als eine Spekulation zu treiben, halte ich, unter uns gesagt, für ein so widriges Projekt, als wenn einer seine Küche aufs Bücherschreiben fundieren wollte. Allein es ist ohnstreitig, im kleinen getrieben, die würdigste Beschäftigung eines ehrlichen Mannes, der versuchen will, was eigener Fleiß und Verstand vermag, der seine Existenz der Einförmigkeit entziehen und seine Gesundheit durch freie Luft erhalten will. Ehedem lebte ich, wie sie's nennten, für den Staat, für die Welt, und ich glaube auch gar für die Nachwelt, jetzo lebe ich für meine Familie. Doch davon ein andermal.«

Die Nacht hatte uns überfallen, ehe wir's uns versahen. Wir eilten also nach Hause. Hier fanden wir im Hof alles mit Lichtern und Laternen erleuchtet. Die ganze Wirtschaft war beisammen, um die angekommene Pferde zu examinieren. Mitten innen hielten sie mit ihrem Füllen, und oben saß der kleine Oheim triumphierend mit einer Peitsche. Der Sohn war mit dem Knecht im Stall, und murrte, daß jener den Ankömmlingen die Streu nicht gut genug gemacht hatte. Er ging selbst mit seinem Besen unterm Arm, streute auf, und zeigte ihm, wie's ferner immer sein sollte.

III

»Das Abendessen wird heut etwas später werden als gewöhnlich«, sagte Hr. Oheim. »Wie ich höre, so hat kein Mensch auf das Füllen gerechnet, und dem armen Tier ist weder Krippe noch Reifen zurechtgemacht. Sie zersägen eben eine alte Krippe aus dem Kühstalle, und machen auch ein Gestell, das einen Reifen für diese Nacht vorstellen soll. Es war sogar keine Halfter da, und man darf doch den armen Narrn die ganze Nacht über nicht frei neben der Mutter stehen lassen, weil's ihm einfallen könnte die alte böse Milch von neuem einzusagen.« Wie wir uns so am Küchenfeuer wärmten, trat der Pfarrer herein mit einem großen weißen Reitermantel unterm Arm. Er war gekommen mich abzuholen, daß ich die Nacht in seinem Hause zubringen sollte. »Daraus wird nichts, mein lieber Herr Pastor«, rief ihm Mademoiselle[1221] Oheim entgegen. »Herr Müller bleibt bei uns, und Mama und ich haben schon oben weiß für ihn gedeckt. – Und wir tun nichts gerne umsonst – wissen Sie das?« – Ich folgte der gutherzigen Einladung, und der Pfarrer ließ sich auch bereden zum Abendessen zu bleiben. Endlich kam auch der junge Herr Oheim zur Gesellschaft, nachdem er für seine Tiere gesorgt hatte. – »Sie als ein Reitersmann«, sagte er zu mir, »werden es nicht übelnehmen, wenn das Essen heut ein wenig spät wird. Ich denke, Sie setzen sich wohl selbst nicht eher zu Tische, bis Ihr Roß versorgt ist.« »Sie haben heut einen guten Tag gehabt«, sagte der Pfarrer zu ihm – »So so –« war die Antwort. »Und hier hab ich auch für Sie gesorgt. Sehen Sie«, indem er etwas aus der Tasche zog das ich nicht sogleich erkennen konnte, »hier ist der wahre Lichen rangiferinus, den ich heute im Vorbeireiten auf den Felsen des Aschberges angetroffen habe. Und so ist denn nun die Sammlung vollständig. Sehen Sie in Ihren Speciebus nach, ob das nicht das wahre Rentierenmoos ist, das so gut bei uns wächst als in Lappland?« Der Pfarrer war wie von Freuden über den gefundenen Schatz außer sich – »Machen Sie hurtig«, sagte Fr. Oheim, »daß Sie Ihr Kleinod unbeschädigt nach Haus bringen. Da wird die arme Frau eine böse Nacht haben, weil der Herr für Freuden nicht schlafen kann.« Mademoiselle Oheim kam mit einem großen Becken Wasser herein: »Darf ich gehorsamst bitten, daß Ihr Kleinod zu saufen bekommt, so gut wie des Hrn. Heinrichs Füllen. Es könnte bis nach Tische Not leiden.« »Das ist diesmal nicht nötig, ihr Kinder«, sagte der Pfarrer; »ich sehe ihr wißt noch nicht, daß Lichen und Muscus wie Franzose und Engländer voneinander verschieden sind.« »Unser lieber Pfarrer«, sagte Hr. Oheim zu mir, »hat bisher keine Frau, und wenig Ackerbau gehabt; um sein bißchen Existenz loszuwerden hat er sich daher auf sieben Künste zugleich gelegt. Meinen Kindern hat er seinen Geschmack an der Naturgeschichte mitgeteilt, und wenn's bei diesen auch bisher nur Spielwerk gewesen ist, so ist's doch immer besser, als das Spielwerk mit bloßen Büchern. Es schärft wenigstens die Sinne, und gewiß auch das Judizium.«

Weil das Gesinde hineingekommen war, so klopfte Frau Oheim zum Essen. Über Tische war, wie man denken kann, der Hauptdiskurs von den neuen Pferden. »Ich habe heut im Nachhausereiten an Sie und an Ihre Philosophie gedacht, Hr. Pfarrer!« sagte der junge Oheim. – »Wieso?« – »Wenn Sie mich immer so gern überreden wollten, daß das Hoffen besser sei wie das Haben. [1222] Ich war heut im großen Triumph ausgegangen, wenn ich meinen Handel überlegte, und bin ganz capot nach Hause geritten, nachdem er geschlossen war.« – »Gereut Sie's denn schon?« – »Das wär zu frühe – und ich hoffe das soll auch wohl ausbleiben. Aber ich dachte es sollte mir Mühe kosten: und da ich alles so leicht fand, verdroß mich das. Wär mein Verkäufer ein Jude oder ein reicher Schultheiß gewesen, wie wollt ich ihm mit Vergnügen das Messer an die Kehle gesetzt haben! Aber so war's ein armer ehrlicher Teufel, den die Not dazu brachte. Da verging mir das Handeln. – Ich hätte ihm auch das Füllen nicht abnehmen können. Aber da war ein garstiger Jude da, der darum handelte, und es vielleicht für 8 oder 10 Taler erwischt hätte. Er wollte mir auch die Pferde verleiden, und sagte immer sie hätten keine Gestalt. Wenn sie nur brav sind, und die Arbeit tun, und Fresser sind – Wir fahren nicht spazieren damit. Als der gute Mann sahe, daß ich auf dem Füllen bestand, so sagte er mit Tränen in den Augen: ›Nehmen Sie's hin, ich weiß es ist doch gut bei Ihnen aufgehoben. Aber lassen Sie mir's sagen, wenn Sie's einmal verkaufen wollen. Vielleicht bin ich alsdann imstande, es Ihnen zu bezahlen.‹ Mir war's als wenn ich der Vormund über das Tier würde, und ich gab ihm die Hand darauf, daß es nie aus meinen Händen in andre als die seinige kommen sollte. Hab ich zuviel versprochen, Papa?« »Nein«, sagte Hr. Oheim. »Das Füllen ist dein, denn ich habe nicht drauf gezählt, und das Futter das es frißt will ich dir auch an deinem Heiratsgut nicht abziehen«, sagte er mit Lächeln. »Wenn's 3 Jahre alt ist, so wollen wir sehen, wie wohlfeil du das Herz hast es deinem Bauern wieder anzuschlagen.« – »Ich habe ihnen die Hufe besehen«, fiel der Sohn ein, »sie haben herrliche gesunde Wände – die Eisen halten auch noch. Wir können also, wenn Philipp fürs Futter sorgt, morgen mit der Dämmerung hinaus, und sehen was sie in der Arbeit vermögen. Ich denke wir reißen den Acker gerade vor der Mühle auf, und da wird sich's zeigen ob sie Kräfte in den Knochen haben. Ich fahre morgen selbst, und wenn Philipp sich gut aufführt und sie gehörig pflegt, soll er übermorgen auch mitfahren. Also, Mademoiselle, nur dafür gesorgt, daß morgen unser Frühstück gleich parat ist.«

Als der Tisch abgehoben war, ging der Pfarrer weg, und der junge Oheim beurlaubte sich auch. Die Tochter stand mit einem Licht da, und Madame Oheim präsentierte mir die Hand. »Kommen [1223] Sie, unsre Tochter soll uns leuchten, wir wollen sehen wo Ihr Schlafzimmer ist, und ob wir's Ihnen recht gemacht haben. Herr Oheim mag uns folgen wenn er will.« Ich ward die Treppe herauf in ein schönes geräumiges Zimmer geführt. Madame Oheim zog die Vorhänge des Betts auf, und sagte zu mir, »sehen Sie selbst, ob Sie auf diese Art oder anders gerne schlafen.« Ich war von der freimütigen Güte so betreten, daß ich nicht antworten konnte. »Wir haben Ihnen die Matratzen oben hingelegt, weil wir denken Sie schlafen in der Stadt nicht auf Federn. Sind Sie's aber anders gewohnt, so sagen Sie's frei heraus, denn wir sind beide noch da, und können's anders machen.« Ich wollte etwas zur Antwort stottern, aber Mutter und Tochter wünschten mir beide gute Nacht, und ließen mich mit dem Vater allein. Nun hatte ich Zeit mich umzusehen, und ich muß sagen, ich fand das Ameublement so sonderbar, daß ich's dem Herrn des Hauses nicht bergen konnte. Da war Kostbares und Gemeines so untereinandergemischt, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Die Vorhänge meines Betts waren linnen, und es schien, so artig es aussah, doch wie man sagt, Hausmacherzeug. Hingegen waren die Stühle und Lehnsessel die schönste Tapetenstickerei. Die Wände waren weiß, und mit Schmetterlingtafeln, und ausgestopften Vögeln unter Gläsern, auch mit einigen Handzeichnungen behangen. In der Tiefe des Zimmers brannte das Feuer in einem Kamin, das eine marmorne Einfassung zu haben schien. Auf dem Gesimse standen zwei gelbe Wachslichter.

Als ich meine Nachtmütze in den Nacken schob, und das ganze Arrangement noch einmal mit großen Augen überlief, sagte Hr. Oheim: »Kommen Sie und setzen Sie sich noch eine Viertelstunde zu mir ans Kamin. Sie können doch nicht ruhig schlafen, wenn ich Ihnen nicht sage, wie das alles hier zusammengekommen ist. Sehen Sie das alles, groß und klein, istHausmacherzeug, und das ist der Grund des schönen Ensemble, was Ihnen als Stadt- und Weltmann so ungern in Kopf will. Wenn man bei euch Herren Symmetrie und Harmonie, wie ihr's nennt, hervorbringen will, so muß man alle vier Weltteile dazu aufbieten. Wir haben das aber nicht nötig, sondern nehmen was uns vor der Nase liegt. Hier den Vorhang haben meine Leute gesponnen, und er ist im Hause gewebt. Die Stühle und Sessel haben ich und meine Frau und Tochter gestickt, wie wir, bei unserm ehmaligen kleinen Feldbau, im Winter nicht wußten, was wir mit den trüben Tagen anfangen sollten. Die Kamineinfassung ist [1224] nichts Bessers als der Stein wovon mein ganzes Haus gebaut ist. Vor ein paar Jahren hatte der Pfarrer den Furorem mineralogicum; er lebte und schwebte also über allen Steinbrüchen, und probierte mit seinem Magnet, seinem Stahl, und Fläschchen Scheidewasser, alle Steine auf Gottes Erdboden. Da fand sich's nun, daß der Stein, wovon ich von ohngefähr gebaut hatte, Gott weiß was für ein schöner Serpentino antico wäre. Er schliff ihn an, und beredete den Steinhauer des Orts, daß er ein paar große Stücke aussuchen sollte. Er wies ihn am Ende an, ihm sogar die letzte Politur mit simpeln Knochen zu geben, und so ward ich zu meinem Kamin beredt, damit der Pfarrer und sein System recht behielt. Das übrige was Sie an den Wänden sehen, sind die Spielwerke meiner Kinder. Und die Wachslichter, die hier brennen, wachsen hinter meinen Scheunen. Ich weiß nicht, ob's Ihnen so ist wie mir: ich bin mein Leben lang durch nichts als goldne Sprüche regiert worden, die mir statt alles Räsonnements dienten. Und so ist mir auch der goldne Spruch, der durch mein jetziges Leben zieht, der: Genieße nichts, als was du dir erworben hast. Ich glaube, ich würde von Haus und Hofe laufen, wenn ich's geerbt hätte. Aber so da ich's erworben habe, ist mir's in allen Teilen lieb. Alles, wohin ich mich setze, worauf ich ruhe, was ich berühre, ist mein, weil ich seine Geschichte weiß, und mit dieser die Geschichte des besten Teils meines Lebens mir vortritt. So vergleich ich immer alles in Gedanken mit dem was es war, und was es jetzo ist, und, nächst dem tiefen Gefühl von Gottes Segen, ist mir das Andenken an meine Arbeit wert. Sowenig ein vernünftiger Mensch wünschen wird, seine Kinder auf einmal groß und erzogen zu sehen, so wenig hat's mich vom Anfang an verdrossen, Fleiß und Sorge auf diese meine Habe zu wenden. So wie die Kinder nach vieler Mühseligkeit und langen Jahren endlich erwachsen, so ist auch alles um mich her groß geworden, und meine Hecken, meine Bäume und Bäche gehören alle zu meiner Familie.« – Ich sahe, daß der gute Mann warm ward, und ich hätte ihn in diesem Augenblick von Patriarchengefühl umarmen mögen, wenn mir seine Predigt die er mir eben hielt nicht die Furcht eingejagt hätte, als ob er glaubte, ich hätte von der Güte seiner Existenz noch eine Überzeugung nötig. – Er überließ mich bald meinen eignen Überlegungen; allein meine Seele war zu voll von allem dem, was ich Neues und Unerwartetes in dieser glücklichen Familie fand, als daß ich so bald ein Auge hätte zutun können. In den süßen Träumen, die mich [1225] auf meinem gastfreundlichen Lager besuchten, stand immer Mlle. Oheim mitteninne; und sowenig das liebe Kind sich mit mir zu tun gemacht hatte, so war doch dies Bild von Güte, Freimütigkeit, geschäftigem und munterm Wesen so nahe vor meinen Augen, daß ich noch nicht einmal Zeit genug gehabt habe, zu sagen, daß es auch von Figur ein allerliebstes blondes Mädchen war.

IV

Ich erwachte des Morgens früh und stund auf. Kaum war ich ans Fenster getreten, so ward ich des jungen Oheims gewahr, der an seinen Pferden zurechtmachte, die Stränge bald verkürzte, bald verlängerte, bis sie an seinen Pflug paßten. Endlich schwang er sich auf eine seiner Stuten, und zog mit langsamer Selbstzufriedenheit zum Tor hinaus. Ich bemerkte daß er gerade wie ein Bauer mit zwei Wämsern versehen war, vermutlich aus langer Erfahrung, daß man sich gegen die Morgentaue nicht genug verwahren könne. Ich warf mich voller Betrachtungen in einen Lehnstuhl, und ward über mich selbst böse, daß ich mich noch verwundern durfte, wie diese Simplizität bei einer größern Kultur des Geistes bestehen könne. Mir fielen die Helden Griechenlands und Roms, die neuern Helden Nordamerikas ein, die alle, vom Pfluge berufen, Wunder der Größe und Tapferkeit darstellen. – Ich rief endlich in einer Art von Entzückung aus: »Du Einfalt der Sitten, statt Hindernis der Kultur des Geistes, bist du vielmehr sein Element, seine eigenste Nahrung! Der Mensch, dessen äußere Organen durch sinnliche Beschäftigung gestärkt, erhalten und erhöht werden, soll da nicht schärfer denken, sich mutiger entschließen, nicht mehr Gegenwart des Geistes und des Augenblicks in seiner Gewalt haben – als derjenige, der mit spekulativer Weisheit getrödelt hat? In der Einsamkeit seines Kabinetts hat dieser niemand zum Zeugen, wieviel's ihm Mühe gekostet, bis er die Resultaten seiner Operationen ans Licht stellte. Niemand hat gesehen wie lang und einsam seine Materialien im Kopf schwammen, bis er sie in eins binden konnte; niemand weiß wieviel von fremdem ungerechten Gute jetzt unter dem Eignen zur Schau prangt!« – Hier ward ich in meinem Monologen unterbrochen. Der kleine Oheim von fünf Jahren trat eben nicht sehr sachte in die Stube, mit einer großen Gerte in der Hand, und ward mich nicht gewahr. Er ging nach dem Bette, und weil [1226] er die Vorhänge zugezogen fand, glaubte er, ich sei noch nicht aufgestanden. Er rufte mir herzhaft zu: »Der soll aufstehen!« und als er es noch einmal wiederholt hatte und keine Antwort erfolgte, schlug er mit seiner Gerte, daß es pfiff, auf den Sitz des Lehnstuhls mit einem drittenmal: »Der soll aufstehen.« Ich konnte mich nicht enthalten, den Jungen zu überfallen, und ihn vom Boden in meine Arme zu nehmen. Er machte mir weder eine Karesse, noch war er bestürzt, daß er mich an einem andern Ende fand, als dem wo er mich gesucht hatte, sondern sagte ganz gelassen: »Der Papa hat gesagt: Der Kaffee würde kalt.«

Ich ließ mich von meinem kleinen Führer leiten. Als wir an die Treppe kamen, begegnete mir Mlle. Oheim, die ihren ältern Bruder suchte, und mit wenigen Sprüngen die Treppe heraufgeflogen kam. Ihre schönen Haare hingen in allem ihrem Reichtum über den Rücken herab, und sie hatte noch nicht Zeit gehabt, ein Halstuch umzunehmen. Ich stand vor ihr, und war wie ein Mensch der nicht in die Sonne sehen mag, und seine Augen niederschlägt. Allein wenn ich sie auch erhob, so ward sie darüber weder bestürzt noch ungehalten. Mir rauschte ein Bild unsrer ersten Mutter durch die Seele. – »Nun, was hat Ihnen geträumt, Herr Müller? – es muß alles wahr werden«, sagte sie mit Lächeln; »denn es ist die erste Nacht, daß Sie in diesem Bette geschlafen haben.« – »Wollte der Himmel«, rief ich, »daß es je wahr werden könnte!« – »Das war also ein wahrer Traum, weil's so schön war, wie Sie's wünschen konnten?« – »Ach!« rief ich, »es war ein so heitrer herrlicher Traum, voll lauter Wonne, und sollte der im Leben nicht, wenigstens auf eine Zeitlang, möglich sein?« – »Also war gar kein Unglück drin?« fragte sie. »O da war's keine Liebesgeschichte, denn da muß ein Haufen Unglück sein, wenn's gut gehen soll.« Mit diesen Worten verließ sie mich und flog weg.

Ich traf den Vater unten vor dem Kamine im großen Saale, oder in der Küche, an. Hier war alles aufs reinlichste gescheuert und geputzt, und kein Anschein, daß gestern den ganzen Tag das geringste darin wäre hantiert worden. »Wir wollen heute mit Kaffee frühstücken«, sagte Hr. Oheim, »um doch auch ein wenig vom europäischen Luxus zu partizipieren, wie von den Welthändeln, wenn wir sie in der Zeitung lesen. Meine Frau hat ihre silberne Kanne und ihre Dresdner Tassen mit goldnen Ränden hervorgesucht, die wir als Memento mori unsrer ehmaligen Existenz aufbehalten haben. Außerdem tut mir's wohl in [1227] den Augen, die Würkungen des Lichts auf dem herrlichen Metall zu bewundern, und daß der Menschen Hände an dem Ton der Natur diesmal nichts verdorben haben.« Mademoiselle Oheim setzte sich auch zu uns, nachdem sie ihre besten Reize geordnet, oder vielmehr dem Auge des Zuschauers entzogen hatte; und ihr steinernes Näpfchen mit der eingebrockten Milch, und ihr Wesen und Gestalt machte den besten Kontrast zu unserm ausländischen Luxus und Palliativen!

Der Alte fing an: »Wenn ich so meine Familie am Feuer versammle, mein Junge hier in der Küche auf seinem Stecken im Kreise herumreitet, meine Weiber abends allesamt spinnen, und mein Sohn und ich hier, von dem was morgen getan soll werden, mit Philipp beratschlagen: so ist mir's immer, als ob ich das alles vom Schiffbruch auf eine gute Insel gerettet hätte, und da draußen das ungetreue Meer mit seinen großen Wellen wütete.«

»Ich denke mein Bruder wird nicht lange ausbleiben«, sagte Mlle. Oheim; »denn er hat nicht bleiben wollen, bis ich meine Milch zurechtgemacht hatte, und hat ein Stück Brot und Käse in die Tasche genommen.« Ich bat den Alten, daß er mich hinausführen sollte; denn ich wollte mir das Schauspiel nicht versagen, den herrlichen jungen Mann hinter seinem Pfluge arbeiten zu sehen. Allein ich fand auch hier, wie bei allen Dingen, daß, wer mit Nutzen reisen will, viel muß gelernt haben. Um zu fühlen, wie brav er pflügte, hätte ich's selbst versuchen müssen, und so war's eben mit mir diesmal wie mit allen unsern Reisenden, wenn sie eine Virtuosität sehen, die sie nicht selbst besitzen. Als wir in die Türe traten, fing es herzhaft an zu regnen, und ohngeachtet aller meiner Protestationen, wollte Hr. Oheim nicht gestatten, daß ich durchaus naß würde. Ich ließ mich endlich bereden, weil ich glaubte, der junge Mann würde wohl selbst nicht lange ausbleiben. »Darin irren Sie sich«, sagte der Vater; »denn unter uns Landleuten ist's eine Art von Ambition dem Wetter nicht nachzugeben, wenn wir schlechterdings zu tun haben, und meist ist unsre Arbeit an Tag und Stunde gebunden. Außerdem kostet's uns nicht viel, denn wir sind dazu angekleidet – bis der Regen durch unsre dreifache Bedeckung durchgeht – Gewohnheit tut auch viel – und selten spüren wir böse Folgen davon, weil uns der Regen nie in einer gewaltsamen Erhitzung überrascht. Kommen Sie mit mir in mein Kabinett, hier wollen wir die Zeit verschwatzen – denn wir hindern nur hier die Weiber mit unsern Stühlen und Reflexionen.«

[1228] Als wir uns gesetzt hatten, fing Hr. Oheim an: »Um Ihnen eine Idee zu geben, wie's jetzo mit mir steht, muß ich Ihnen sagen, wie's ehedem mit mir gestanden hat, und dann werden Sie begreifen, warum mir meine jetzige Art zu sein so sehr behagt. Mein Vater war Regierungs- und Justizrat in St., einer der brauchbarsten Geschäftsleute seiner Zeit. Er hatte in seiner frühen Jugend auf der Kanzlei gedient, nachher war er aufs Land als Beamter, und endlich wieder zurück in die Stadt berufen worden. Er kannte also die Landesverfassung vollkommen, wurde wegen seiner Tätigkeit von jeher zu allen außerordentlichen Geschäften gezogen, und bei seinem offnen Kopf und der Beschränktheit auf seinen Beruf war es notwendig, daß er sich diese außerordentliche Geschicklichkeit erwarb. Allein er hatte den einzigen Fehler, daß er, wie sie's nennten, schwer arbeitete, jede Sache als Abhandlung betrieb, und dadurch den Kollegen nichts zu erinnern übrigließ. Außer diesem wollte er beständig recht haben, und hatte auch meist recht. Dieses letztere war unverzeihlich; er wurde allen, die neben oder über ihn waren, nach und nach verhaßt oder gleich gültig. Dadurch ward er weniger zu Geschäften gezogen, und fiel in Untätigkeit, so daß er an seinem eignen Fleisch kauen mußte; und dies ist die gewisse Ursache seines frühzeitigen Todes, sowenig er es auch merken ließ. Indessen gestanden ihm Hohe und Niedrige, Freunde und Feinde, seine Verdienste zu. Er diente auch wo er konnte, so streng und unerbittlich er gegen Unrecht und Betrug war. In unserm ganzen Hause ertönte daher alles von dem Wunsche, daß ich, der einzige Sohn, auch dereinst ein so geschickter und geehrter Mann werden möchte als mein Vater. Sie wissen wie man in den kleinen Residenzen von allen andern Ständen und Verrichtungen urteilt und denkt, die nicht zum Herrndienst gehören. Der Landjunker ist ein Sprichwort, und ein Locus communis, den man den Kindern statt des Esels um den Hals hängt. Der Bauer kommt gar nicht, außer als Mastvieh für die Rechnung des Fürsten, in Anschlag. Keine Mittelleute geben sich mit der Landwirtschaft ab – oder sie verderben dabei, weil sie's nicht ganz durch sich selber treiben, wie man soll. Kommen die Diener des Fürsten in eine Handelsstadt, so sind sie sehr verlegen, daß sich nicht jeder vor ihnen bückt wie bei ihnen. Der Wohlstand, den sie hier sehen, drückt sie wie ein böses Gewissen, und sie helfen sich damit, daß die wohlgefütterten Köpfe und reichgekleideten Bäuche der Handelsstadt doch nur stupide Kerle wären, [1229] die keine Lebensart hätten und nichts verstünden. Wer auch mitten, wie wir, im festen Lande liegt, kann keinen hohen Begriff von der Handlung haben, weil alles meist große oder kleine Krämerei ist, und sich nur hie und da ein spekulativer Kopf blicken läßt, der auch nicht gedeihen würde, wenn er so viele Fonds wie die andern hätte. In unser Haus kamen keine Fremde, als Beamte, Ober- und Unterschultheißen von dem Lande. Ich ging ins Pädagogium und mein Vater auf die Regierung, und wenn wir beide uns präpariert und repetiert hatten, so dachten wir, es gäbe in der Welt weiter nichts zu tun. Wurde den Sonntag keine Partie Quadrille gespielt, so setzten sich Vater und Mutter hin und spielten Pikett oder zogen die Dame. An diesem Tage ward die Zeitung gelesen und erklärt. Der Papst und das türkische Reich ward nicht geschont, auch ärgerte man sich daran, daß die Rebellen in England ihren rechtmäßigen Oberherrn nicht gehorchen, und die hartnäckigen Schotten, die ihre von der englischen Regierung verordnete Hosen nicht an den Beinen, sondern an einer Stange tragen wollten.«

V

»Ich sah also keinen andern Weg vor mir, wie sie's nennen, ›mein Glück in der Welt zu machen‹, als wenn ich in meines Vaters Fußstapfen träte. Ich lernte fleißig, und in meinem 12. Jahre machte ich lateinische Verse, wußte aber nicht Körbel von Petersilie zu unterscheiden. Wir hatten keinen Garten, und weil man alles wohlfeiler kaufen als bauen konnte, so kam, wie man sagte, nichts dabei heraus. Von aller Herrlichkeit der Welt hatte ich nichts gesehen bis in mein sechzehntes Jahr, außer wenn ich mit meinem Vater gegangen war, an Galatagen die Herrschaft speisen zu sehen. Die Konditorarbeit, die zum Nachtische aufgesetzt ward, und seit zwanzig Jahren in einem Tempel Salomonis bestand, gefiel mir indessen sehr wohl, wenn nur die Offiziers von der Garde nicht gewesen wären, die uns alle, Krethi und Plethi, wenn wir eine Weile gegafft hatten, zur einen Tür hinaustrieben, um eine frische Herde zur andern hereinzulassen.

Ich hatte Gefühl für die Natur, es schlief aber und ward nicht entwickelt. Ich erinnere mich noch, wie eines lieblichen Morgentraums, der Zeiten die ich auf dem Lande zubrachte. Mein Vater hatte eine Schwester, eine Pfarrwitwe, die ihr notdürftiges Auskommen hatte, um ihre drei Söhne aber zu erziehen, schon[1230] manche Lücken in ihre kleine Kapitälchen gemacht hatte. Diese Frau hatte mich besonders liebgewonnen, weil ich so viel lernte; und ich mußte die Feiertage, und die Oster- und Herbstmesse, wenn's möglich war, die Ferien bei ihr zubringen. Ich denke noch immer der schönen Sommerabende, wenn wir weit vors Dorf mit unserm großen Kruge gingen, Wasser zu holen, und an dem Brünnchen unter dem Schatten des herrlichsten Nußbaums sich die Mädchen und Jungen versammleten, und man aus dem Dunkel über die Hecken auf die noch herrlich erleuchtete Wiese sehen konnte; wenn wir in der Scheune die hohe Schaukel befestigten, und bis oben an die Torschwelle fuhren, uns im Garten mit Äpfeln warfen, oder auch abends draußen mit Pulver allerlei Feuerwerk anstellten das man in der Stadt nicht treiben durfte, die Kürbisse aushöhlten, Gesichter darein schnitten, und beinahe uns selber vor dem Licht fürchteten, das so schrecklich aussah. Besonders war mir der Herbst nicht allein angenehm, sondern höchst einträglich, weil es hier umsonst so viel zu schmausen gab, das man in der Stadt so teuer erkaufen mußte. Auch gefiel mir's sehr für einen gescheiten Menschen zu passieren, wenn mir hier mit so viel Achtung begegnet ward, und ich ihnen beim Nüßausmachen Gellerts Fabeln rezitierte. Die Küche war auch ein herrlicher Ort in meinen Augen, weil hier keine Köchin war, die uns wegtrieb, und wir Jungen unsre Kartoffeln und Kastanien selber braten, auch auf den Pfannkuchen warten, bis er fertig war, und ihn selber in die Stube tragen durften.

Indessen konnte die Liebe zum Landleben nie zur Leidenschaft werden. So wohl mir's tat, wenn ich in die freie Luft kam, so wenig spürte ich doch, daß mir was fehlte, wenn ich wieder in meinen Stadtkarch gesperrt war. Allein es ging natürlich zu: nie hatte ich auf dem Lande eigentlichen Wohlstand bemerkt, sondern alles seufzte unter der Last der Abgaben und dem Mangel des Geldes. Auch hatte von allen Leuten, die ich je gesehen, nie einer etwas Merkwürdiges weder an einem Baum, einer Feldblume, einem Gräschen, einem Insekt oder einer Erdschichte bemerkt. Das Land schien mir also nur hübsch grün, und in der Ferne hübsch blau. Von merkwürdigen Menschen konnte auf dem Lande gar nichts vorkommen; denn sie wsren augenscheinlich alle weniger als die Leute in der Stadt. Denn die größten Menschen unter allen waren diejenigen, die viel Bücher in der Stube hatten, d.i. von der Feder Profession machten. Außer dem Griechischen und Latein ward nichts auf dem Pädagogio [1231] getrieben als ein wenig Geographie und Historie; und zwar diese in ebendemselben Geschmack von den Kindern Israel an bis aufs Habsburgische Haus. Immer war's ein Regent und ein regierendes Haus oder Volk, für das uns Ehrfurcht eingeprägt ward, und so wie wir dieses liebten, haßten wir alle andre Völker, wie die Moabiter, Amalekiter und übrige heidnische Völker, die eine Vorhaut hatten. Von der ganzen praktischen Philosophie war nicht ein Fünkchen im ganzen Lande zu spüren, außer was hier und da bei den Gliedern der medizinischen Fakultät unter der Asche loderte. Außer dem Leibmediko hatte kein Mensch eine Luftpumpe oder Elektrisiermaschine gesehen. Wenn bei der Untersuchung eines Sauerbrunnens die Herrn Kommissarii sahen, daß die Dinge bald grün, bald rot, bald schwarz wurden, so wußten sie wohl, daß der Teufel nichts dabei zu tun hatte; allein wie es zuging, dafür ließ man den Stadt- oder Landphysikus sorgen. Ich las indessen den Virgil und Horaz und Cicero, d.i. ich explizierte die Leute, allein keiner machte die geringste Würkung auf meine Imagination. Es war mir wohl, wenn ich sie absolviert hatte. Im 15. Jahr hielt ich eine Oration über den Charakter des Tertullian, und untersuchte, inwiefern das afrikanische Klima Einfluß auf seinen Stylus gehabt hatte. Sechs Monate drauf stellte ich eine öffentliche Vergleichung zwischen Cäsar und Alexander an. So präpariert ging ich auf die Universität, hörte was zu hören war, schrieb nach was der Professor fallenließ, und kam nach drei Jahren, mit vielen tausend Ideen bereichert, wohlbehalten nach Hause. Ich ward durch den Kredit meines Vaters sogleich employiert. Ich applizierte mich, und ob ich gleich merkte, wie himmelweit der Gang der Geschäfte von dem akademischen Wörterkram ablag, so tat mir doch meine wohlerlernte Topik herrliche Dienste. Ich konnte jeden begreifen und auch mich wieder begreiflich machen; kurz ich erhielt bald den Ruf, daß ich ein brauchbar und fleißiges Subjektum sei. Als mein Vater starb, nahm mich einer der Geheimen Räte, der das Ohr des Fürsten hatte, unter dem Titel eines F. Geheimen Sekretarii zu sich ins Haus, um die Akten für ihn zu lesen, und auch meist die Extrakte zu machen. Ich ward oft zum Fürsten mit geheimen mündlichen Aufträgen geschickt. Der Fürst lernte mich hierdurch kennen, und da kurz nachher eine große Veränderung im Ministerio vorging, nahm er mich zu sich ins Schloß unter dem Charakter eines Geheimen Referendarii. Das Jahr darauf ging ich mit ihm auf Reisen. Ich ward ihm notwendig, [1232] ohne sein Liebling zu sein, und von dieser Zeit fängt eigentlich die Epoche an, die mich zu meiner jetzigen Lebensart bestimmte. Doch davon ein andermal.«

VI

Als der junge Oheim vom Acker kam, tat er mir den Vorschlag heute mittag bei dem Pfarrer zu essen. »Wir wollen nach dem Dorfe«, sagte er: »Sie müssen doch einmal nach Ihrem Braunen sehen, und nach Tische nehmen wir den Pfarrer mit zu uns zurück, damit er Ihnen seine Pflanzungen auf unserm Gute zeigt.« Unterwegs fielen allerlei Gespräche. Ich fragte ihn: ob er wohl das Herz hätte auf diese Art sein Leben auf dem Lande zuzubringen? – »Das ist ohngefähr ebenso, als wenn Sie den Fisch fragten, ob er sein Leben im Wasser zuzubringen gedächte.« – »Sie haben, dünkt mich, die Annehmlichkeiten des Stadtlebens noch nicht gekostet«, versetzt ich ihm, »und ich wollt es Ihnen auch in Ihrem jetzigen Alter nicht raten. Es könnte auf Ihr ganzes künftiges Leben gefährliche Folgen haben.« »Ob ich sie je kosten werde, das, dünkt mich, ist entschieden«, gab er zur Antwort. »Mein Vater muß nicht ganz Ihrer Meinung sein, dann sonst hätt er mich nicht, und zwar gerade in der Karnevalszeit nach der Stadt geschickt. Vergangenen Winter noch hab ich meine letzte Probe bestanden.«»Und wie lief diese ab?« »Das kann ich Ihnen kurz erzählen. Meiner Mutter Bruder ist Geheimer Hofrat in S., lebt auf einem sehr glänzenden Fuß, und hat zwei Söhne, und auch zwei erwachsene Töchter, mit denen ich Bekanntschaft machen sollte. Als ich ankam, war es Nacht. Ich stellte meine Pferde ins Wirtshaus, und ließ mir durch Philippen meinen Mantelsack nachtragen. Wir suchten lange im Hause, bis wir endlich an die Gesindestube kamen. Hier fanden wir Kutscher, Lakai, Hausmagd und Köchin, nebst einigen andern Purschen aus der Nachbarschaft über einer Art von Gastmahl, und erfuhren, daß die junge und alte Herrschaft auf einen großen Bal paré sei. Der Bediente stürzte aus der Stube, führte mich und meinen Mantelsack in einen sehr schön möblierten Saal, der kein Feuer, aber viele herrliche Malereien und Kunstwerke zeigte. Er verließ mich mit vielem Respekt, und versicherte mich, daß er seiner Herrschaft sogleich Nachricht von meiner Ankunft geben würde. Nachdem ich während einer Stunde Zeit gehabt hatte alles bis auf die Fußteppiche zu bewundern, und indessen [1233] meines Philipps Schicksal beneidete, der in der warmen Gesindestube seine Residenz aufgeschlagen hatte – kam ein junger Herr angefahren in einem schwarzsamtnen Kleide mit rosenfarbnem Atlas gefüttert, und einer reichen goldnen gestickten Epaulette – der mich mon Cousin nannte. Er embrassierte mich mit einer sonderbaren Wärme, versicherte mich, daß ich Esprit hätte, gerade zu der besten Zeit gekommen zu sein, daß man schon seit acht Tagen auf mich gewartet habe, und daß ich ja recht lange bei ihnen bleiben sollte. Er bestand darauf, daß ich mich chaussieren, und mit ihm zurück auf den Ball fahren sollte. ›Sie sind auf einmal an den ganzen Beaumonde präsentiert, und eine solche Gelegenheit Connoissancen zu machen kommt nicht so bald wieder.‹ Ich hatte indessen so viel Besinnung, daß ich blieb wo ich war, und daß ich um nichts bat, als um ein Zimmerchen, wo ich die Erlaubnis hätte, die Nacht zuzubringen. Als mon Cousin sah, daß nichts mit mir anzufangen war, ging er mit ebenderselben Wärme von Embrassaden zurück auf seinen Ball, und ich blieb zu Hause. Man führte mich in ein artiges Zimmerchen unterm Dache, das geheizt war, und nach einer guten Stunde kam der Bediente mit zwei Wachskerzen und sagte: ›Monsieur est servi.‹ Ich mußte ihm zwei Treppen hinunter in den Speisesaal folgen, wo ein sehr artiges Souper für mich fertig stand. Der Bediente stellte sich mir gegenüber, um auf das Winken meiner Augbraunen achtzuhaben; da ich aber nur von einem Gerichte aß, so hatte er auch nicht einmal Gelegenheit, seine Schuldigkeit zu tun, und Monsieur zu bedienen. Mir fiel auf einmal in dem weiten Saal meine Einsamkeit aufs Herz; meine Phantasie verwandelte den Lakaien in einen Kammerherrn, und ich sah das Elend das den Fürsten drückt. Öde um sich, niemand seinesgleichen neben sich, und die Aussicht in ein Dienergesicht –

Als ich wieder zurück auf mein Zimmer war, schien ich mir von der ganzen Welt abgeschnitten, und niemand zu haben als meinen Mantelsack. Die Pferde aufzusuchen war's zu dunkel, und zu weit nach dem Wirtshaus, und Philipp war längst zum Abfüttern weggegangen. Ich legte mich zu Bette, konnte aber nicht schlafen, ob ich gleich Bewegung gehabt hatte, wie die Stadtleute sagen. Ich konnte den Tag nicht erwarten. Als er endlich kam, stand ich auf, zog mich an. Mein zurückgestrichnes Haar war bald in Ordnung; ich puderte es auch diesmal, und als ich mich im Spiegel erblickte, mußte ich über dies erste Opfer lachen, das ich dem Stadtwohlstande brachte. Nachdem ich lange [1234] mein Zimmerchen in die Breite und in die Länge mit großen Schritten gemessen hatte, kam mein Oncle. Ich hatte ihn ehedem als Knabe gekannt, er empfing mich auch ganz freundschaftlich soweit es die große Kluft erlauben wollte, die zwischen seiner Art zu leben und der unsrigen befestigt war. Er führte mich zu meiner Tante, deren Figur ich mir aber nicht sogleich wieder erinnern konnte, weil sie in den 12 Jahren, seit ich sie nicht gesehen hatte, ungleich jünger geworden war. Denn sie war ganz wie ein Mädchen von 17 Jahren angezogen, und wenn es nicht heller Tag gewesen wäre, so hätte ich sie als eine meiner Cousinen bewillkommt. Ob es gleich gegen 10 Uhr war, so wartete man doch mit dem Dejeuner auf die jungen Damen, die endlich doch nicht erschienen, und sich auch nicht entschuldigen ließen, weil sie noch schliefen. Von den Vettern kam noch der Lieutenant, der sich nach einem tiefen Kompliment gegenüber an den Tisch setzte, und sein Filet, das er in der Hand gebracht hatte, zu arbeiten anfing. Der andere, den ich gestern gesehen hatte, der Regierungsassessor, war auf die Reitbahn gegangen. Man überlegte hin und her, wie man mir den Tag über angenehm machen wollte. Erstlich sollte ich in der Donnerstagssozietät präsentiert werden. Nachher aber entschied mein Oncle, daß ich den Nachmittag dem Leibmedikus S–l eine Visite machen, sein Naturalienkabinett sehen, und den Abend mit in die Komödie gehen sollte. Ich protestierte vergebens, daß ich nur gekommen wäre, meine Verwandten zu sehen, daß es mir nirgends besser sein könnte als bei ihnen. Es half nichts, man wollte so viel Lustbarkeit in mich pfropfen, als das Zeug halten mochte; und man hielt es für sündlich, mich als einen Stockfisch wieder nach Hause zu schicken. Kurz vor Tische erschienen die jungen Damen. Sie waren chaussiert und angezogen wie Solotänzerinnen. Allein superbe hatten sie ihre Reize noch nicht entfaltet. Ich hatte mein Leben nicht so viel Puder und Pomade beisammen gesehen, und ihre Wangen sahen aus wie der Himmel an einem schönen Frühlingsabend, wenn er mit langen Purpurstreifen spielt. Der Essig von gestern abend hatte sich etwas verlaufen, und man hatte aus Raffinement, oder Gott weiß warum, noch keinen neuen aufgelegt. Die Älteste trat dichte auf mich zu, und fragte mich: ob sie nicht abscheulich aussehe? Indes die Jüngste hinten um mich herumschlich, um auszuspähen, ob ich nichts vom Stallgeruch an mir hätte? Man fragte mich nach meiner Schwester, und ob ihr denn mein Vater gar keine Maîtres geben wollte? [1235] Ob sie nicht melancholisch würde? Und ob wir denn gar keine Sozietät hätten? Der Lieutenant fragte mich: ob wir auch die hohe Jagd hätten? was mein Pferd für ein Landsmann wäre? Meine Tante fragte: was wir für Lektür hätten? ob mein Vater auf die ›Physiognomik‹ subskribiert habe? ob wir auch den ›Teutschen Merkur‹ und das ›Museum‹ hielten?

Bei Tische hatte man mich zwischen die beiden jungen Damen gesetzt, die mich mit Höflichkeiten obruierten. Ich verstund nicht das mindeste davon, konnte also auch nicht betreten darüber werden, wie sie berechnet hatten daß ich's sein würde. Aus den Bemühungen der Brüder, die Schwestern zu bedienen, merkte ich doch am Ende so viel, daß ich sehr gefehlt, und den Senf, und die Gurken, und den Salat usw. nicht zu rechter Zeit an meine Nachbarinnen präsentiert hatte. Man war indessen ernstlich bemüht, wie jeder Höhere den Niedern, mich à mon aise zu setzen. Man sprach wenig vom gestrigen Ball, und der Regierungsassessor berührte, nur im Vorbeigehn, den Springer, und den Siebenbürger Wildfang, den er heute geritten hätte. Hingegen war von nichts als der Landwirtschaft die Rede, vom reinen Ertrag, u. dergl. Der Assessor fand unsern Viehstand viel zu klein, und wunderte sich sehr, daß wir nicht Klee und Krapp bauten, und warum wir nicht des Herrn Ellis Säepflug eingeführt hätten. Ich machte verschiedene Versuche hierauf zu antworten, und wollte von dem Vorteil und Nachteil jeder Bauart etwas vorbringen: allein man gab so wenig acht auf das was ich sagte, und tat nach Herrenart so schnell wiederholte Fragen an mich, daß ich wohl sahe, es war ihnen nicht um meine Antwort, sondern um Gelegenheit eine neue Frage anzubringen, zu tun.

Nach Tische merkte ich beim Kaffee, aus der Kälte womit man mir begegnete, daß man mich für ein ganz unbrauchbares Subjektum hielt, aus dem nicht einmal ein Ridiküle zu ziehen wäre. Kurz, ich hatte die Ehre für stupid zu passieren, und man hielt des Vaters Einfall doppelt für herrlich, mit mir zuerst in der Komödie zu debütieren, wo es weiter nicht viel zu sagen hätte. Der Assessor begleitete mich indessen mit freundschaftlichem Mitleiden zum Leibmedikus S–l. Ich kam bald mit diesem verdienstvollen Manne von unserm Pfarrer zu sprechen, und er versicherte mich, daß er vielleicht sowenig als andre gewußt hätte, daß ein solcher Mann in der Nähe existierte, wenn ihn Hr. Scopoli, mit dem er in Korrespondenz steht, ihm nicht von Padua aus bekannt gemacht hätte. Er hat eine treffliche Kräutersammlung, [1236] besonders an Moosen, Flechten und Farnkräutern alles was seine Gegend hervorbringt. Er wies mir verschiedne, wo er den Ritter Linné und unsern Dillenius nicht miteinander vereinigen konnte. Ich gab ihm nach meinen Kenntnissen recht, und bestärkte ihn in seinen Zweifeln gegen den Ritter. Der gute Mann ward warm, und embrassierte mich zu verschiednen Malen. Mein Herr Vetter der Assessor saß ganz betäubt, da er hörte, daß ein Pfarrer auf dem Lande ein großer Mann sein sollte, daß sein Vetter etwas wußte das er nicht verstund, und daß der alte rechtschaffene Leibmedikus sich über meine Erscheinung so herzlich freuen konnte.

Ich ging sehr ungern zur Komödie: allein es gefiel mir besser als ich vermutet hatte. Es war eine Art von weinerlicher Komödie mit Gesang. Die große Versammlung Menschen von allen Ständen und Altern beisammen zu sehen, tat meinen Augen wohl; und sie schienen mir meist alle recht gutherzige Leute zu sein, wenn ich sah, wie sie auf einen Locus communis lauerten, und das dürftigste Sentiment mit lautem Händeklatschen bewillkommten. Es geht dabei zu wie bei ihren Dejeuners und Kollationen – nach dem Hunger zu urteilen, sollte man denken, sie hätten in 24 Stunden nicht gegessen; und so ist auch kein Volk wie sie, das sich von morgens bis in die Nacht mit Gefühl vollpfropft, und immer doch so leer davon ist daß es zu allen Zeiten darnach schnappt. Bei Tische ward ich sehr examiniert, wie mir die Komödie gefallen hätte. Das Stück, so schlecht es war, war wie mich deuchte von den Akteurs nach bestem Wissen und Willen gespielt worden. Gut konnt ich's nun einmal nicht finden; allein es interessierte mich auch wieder zu wenig, als daß ich's hätte für schlecht ausgeben sollen. Die beiden jungen Damen hatten erstaunend viel über die Aktion zu sagen, wovon ich aber nichts verstund, weil mir die ersten Begriffe dazu fehlten. Ich saß da, und aß eben über Vermögen von allem, was mir angeboten ward, aus Angst ich möchte etwas Unziemliches über die dramatische Kunst vorbringen. Die älteste Tochter behauptete, die Liebhaberin hätte ganz und gar ihre Rolle verfehlt, und nach Tische wollte sie zeigen, wie's eigentlich hätte anders sein sollen. Bis das Dessert aufgehoben war, unterhielt mich indessen meine Tante von allen Stücken, die die letzten zwei Winter von ihrer Familie waren aufgeführt worden, und nannte mir von dem Fürsten bis auf den Kabinettssekretär alle Kavaliers, die jedesmal Zuschauer gewesen waren. Ich muß gestehen, ich erstaunte [1237] als meine Cousine auftrat. Sie hatte kaum das letzte Stückchen Biskuit hinunter, so geriet sie in eine Leidenschaft von verzweifelter Liebhaberin, daß mir die Tränen über die Backen liefen, und ihr Bruder, der Lieutenant, der das Buch in der Hand hatte und den sie anredete, störte mich im geringsten nicht in der Illusion. Sie ging von Angst und Wut zur Schmeichelei über, als wenn sie einen Teller gewechselt hätte; es fiel mir aber doch ein paarmal heiß aufs Herz, wenn ich bedachte, was das Mädchen für ein angebornes Talent zur Verstellung haben müßte. In dieser meiner Dumpfheit ging ich auf mein Zimmer, und war so voll von allem was Geist und Leib für diesen Tag, über die Gebühr, empfangen hatte, daß ich nicht schlafen konnte.

Den andern Morgen ward ich zu einem andern Schauspiel heruntergerufen, das nicht weniger neu für mich war. Jedermann war früh frisiert, und mit ganz besonderm Geschmack zum Dejeuner gekleidet. Denn jede Tageszeit hat hier ihre Art sich zu kleiden. Es hieß wir wollten in meines Oncles Garten frühstücken. Der Wagen mußte zu drei verschiednen Malen abgehen, um uns alle abzuholen, denn es stellten sich noch einige Frauenzimmer aus der Nachbarschaft ein. Ich stellte mir nichts weniger vor, als daß die Fete meinthalben gegeben würde. Es war indessen nicht anders. Man führte mich und meine Gesellschaft in ein artiges Gartenhaus, aus dem ich einen schönen Prospekt entdecken konnte. Ich hörte von allen Seiten, lachen, rufen usw. ohne daß ich jemand sah. Indem kam mein Vetter gesprungen, riß die Fensterläden von der andern Seite des Gartens auf, und entdeckte mir das Geheimnis. Hinter dem Haus war eine Laube von jungen lebendigen Fichten zusammengeflochten, in der eine große Gesellschaft Frauenzimmer bei Kaffee, Schokolade und allem was zu einem Stadtdejeuner gehört, laut wurden. Vor sich hatten sie eine sogenannte Winterwiese, die aus einem Stück Pimpernell bestund, und sich hinten in einem großen gefrornen Teich endigte, der mit einem Dutzend der besten Schrittschuhlaufer von allen Seiten befahren ward. Ich muß gestehen, das Schauspiel kam mir ganz unerwartet. Man nötigte mich die Gesellschaft zu besuchen. Als ich hineintrat, bewunderte ich den Tisch, wo man durch Vorhänge die Feuerkästchen und Fußsäcke maskiert hatte, um die Illusion aufrechtzuerhalten. Aus dem Aufmerken aller beobachtete ich sogleich, daß ich und meine Gestalt das große Gerichte war, das heute zum besten gegeben wurde. Sie schlichen um mich her, besahen mich von oben bis [1238] unten, machten mir alle beinahe dieselben Fragen und dieselben Höflichkeiten. Am Ende ließ ich mich bereden Schrittschuh anzubinden. Dies war eine Natur, die sie noch nicht gesehen hatten, und es lief zu ihrer großen Satisfaktion ab. Meine Ungeschicklichkeit war komplett; da mich's aber in Schweiß setzte, und sie mich mit Fragen auf dem Eis nicht inkommodieren konnten, ließ ich's gehen. Als ich meine Schuldigkeit getan hatte, rief mich eine ältliche Dame zu sich, und bat mich, zu ihr und ihren Töchtern in den Wagen zu steigen, der an der Seite hielt, damit ich mich nicht erkälten möchte. Ich ließ mich bereden, dachte aber nicht was mir bevorstund. Als die Gläser aufgezogen waren, befand ich mich unter drei zärtlichen Verehrerinnen der schönen Natur und des Landlebens. ›Was sind Sie vor ein glücklicher Mann, Herr Oheim‹, rufte die älteste Tochter aus, ›daß Sie Gottes Natur rund um sich haben, da wir armen Menschen um ein Stückchen Himmel zu sehen, eine halbe Meile vors Tor müssen? Was muß der Mondschein an Ihren großen Eichen und Buchen für Wunderwerke hervorbringen, da er uns schon an unsern viereckten Häusern und den geschornen Lindenbäumen dahinreißt! – Ach Ihre Schwester muß ein zärtliches Herz haben! Sie haben doch auch Teiche und Bäche? Ach wer doch unter dem Schatten der herüberhangenden Weiden ein Liedchen an den Mond singen dürfte! Aber eine sympathetische Seele muß man dabei haben – Da ist doch Ihre Schwester sehr zu bedauren wie ich höre, so ganz einsam!‹ Ich antwortete: ›Sie hat ihren Vater und Mutter, und wenn wir nichts zu tun haben, sitzen wir eben alle beim Feuer in der Küche beisammen. Die Weiber spinnen, und der Vater und ich lesen auch zuweilen eins.‹ ›Kommt denn kein Mensch‹, fragte die andre Demoiselle, ›den ganzen Winter über zum Veillieren bei Sie?‹ – Ich wollte eben antworten: ›Der Knecht und die Mägde‹ – als ein junger Herr den Schlag öffnete, und, als die vierte Person, zu uns in den Wagen sprang. Dieser war von meinem Vetter instruiert worden, daß ich ein großer Naturkündiger sei, und, da er selbsten ein großer Physikus war, so freute er sich, in mir einen zweiten zu finden. Er fragte mich: ob ich schon die große Elektrisiermaschine auf dem Observatorio gesehen hätte? ob wir uns des Hygrometers des Herrn de Lui nach der neusten Verbesserung bedienten, und mit welcher Art von Elektrophore wir unsre Experimente machten? ›Wir machen alle unsre Experimente mit der Schaufel und mit der Hacke‹, gab ich zur Antwort, ›und sehen's sehr gerne wenn die andern in der Zeitung stehen. Bei [1239] uns gibt's alle Tage die Hände voll zu tun. Der Pfarrer hat die Dinge ehedem nachgepfuscht; allein da er jetzt eine Frau und ein bißchen mehr Ackerbau hat, will's auch nicht mehr damit fort.‹ – Ich war froh, wie zum Abzug geblasen wurde, denn in einer Karosse bei so zärtlichen, vielwissenden Menschen war ich wie gebraten. Den Nachmittag schleppten sie mich noch in eine große Assemblee, wo alle Leute so wie sie angekommen waren, sich still zum Spiel setzten, und so lange spielten, bis es Zeit war auseinanderzugehen. Ich hatte indessen die Zimmer vor mir, und da zum Glück ein paar Kinder da waren, die ebensowenig zu tun hatten wie ich, so tummelte ich mich mit diesen herum. Den Abend aber kam ich ganz erschöpft nach Hause, bestand ernstlich darauf, daß ich nicht länger bleiben könnte, und erhielt's, daß man mich gehen ließ. Wie ich das Glacis hinter mir hatte, bemerkte ich erst wo ich gewesen war, aus der Leichtigkeit womit ich atmete, und ließ mich in ein freundliches Gespräch mit Philippen und mit meinem Rappen ein. Diesen Geschöpfen war's indessen auch nicht besser gegangen. Sie hatten, so gut wie ihr Herr, Futter angetroffen das sie nicht mochten, und sahen ganz betrübt, und dünnleibigt aus.«

Unter dieser langen launichten Erzählung waren wir bis an des Pfarrers Türe gekommen. »Gestehen Sie nun selber«, rief der junge Oheim aus, indem er mir mit Lächeln auf die Schulter klopfte, »ob mir das Stadtleben sehr gefährlich werden könne. Sowenig dächt ich, wie das Zigeunerleben, zu dem ich vielleicht noch mehr Geschicke hatte. Mein Vater fürchtete, die Bücher und andrer Leute Beschreibungen möchten mich einmal zur Unzeit lüstern darnach machen, und so glaubt' er, es könnte von Nutzen sein, wenn ich das Ding mit meiner eignen Nase röche.« – Als wir uns der Stalltüre näherten, wieherte mein Brauner. »Gehen Sie nur hinauf zum Pfarren«, sagte Hr. Oheim, »ich will nach Ihrem Kameraden sehen, und Ihnen schon Bescheid geben wie er aussieht.« Ich ging die Treppe hinan. Die Stubentüre stand offen, und ich erblickte ein Gemälde, das sich der reichste Finanzier von Paris nicht besser bei Herrn Greuze bestellen kann. Die Suppe stand auf dem Tisch, und Vater und Mutter hatten sie verlassen, um dem schreienden Kleinen zu Hülfe zu kommen. Die junge frische Frau mit zerstreutem langen blonden Haar und offnen fleischichten Armen kniete auf der einen Seite der Wiege, und reichte dem Kleinen die Brust, den sie nicht hatte aufheben wollen. Er hatte eben die Warze verlassen, und antwortete [1240] mit süßem Lächeln dem Vater, der über der Wiege hing, und ihn mit seinen Fingern amüsierte. »Treten Sie herein«, rief mir der Pfarrer zu, »und sehen Sie, wie glücklich man sein kann, wenn man will.« Die schöne Frau bedeckte mit dem Kopfe ihres Lieblings ihren Busen, und ich näherte mich. »Was hat Herr Sophist Jean Jacques zu verantworten«, rufte der Pfarrer aus, »der da sagt, die Kinder wären in ihren ersten Tagen Maschinen! Kann ein Meister diese feine Seelenbewegungen, dies verständige süße Lächeln der Augen ausdrucken? Mein Kleiner antwortet mir seit der vierten Woche beinah auf alles, ist in der sechsten auf Bewegung der Schatten, endlich auf Farben, und nun in der neunten schon auf Formen und Conture aufmerksam. Ich denke so sind sie fast alle, wenn man achthaben wollte.« Der Kleine ward bald befriedigt, der junge Oheim kam aus dem Stall zurück, tat Rapport, und nun setzten wir uns zu Tische. »Sie sollen heute wie bei einem Einsiedler traktiert werden«, sagte der Pfarrer: »eine große Schüssel Milch, ein schöner Pfannkuchen, ein Teller Nüsse, und der beste Käse, wie ihn keine Frau auf 10 Meilen besser macht, von meiner Frauen Hand, steht Ihnen zu Diensten; auch eine alte Flasche Rheinwein für den Herrn Stadtbewohner!«

Wir eilten sogleich von Tische nach Hause. Des Pfarrers Gegenwart war hier nötig. Der alte Oheim hatte Gräben ziehen lassen, um neue Umzäunungen anzulegen, und die Setzlinge zu den Hecken hatte der Pfarrer unter seiner Aufsicht. Ehe wir weggingen, zog er eine Brieftasche hervor, wovon er mir den Schlüssel anvertraute. »Da es Ihnen daran liegt, unsers Freundes Oheims Geschichte zu wissen, so haben Sie hier einige Urkunden aus der ersten Zeit seiner jetzigen Lebensart. Erbauen Sie sich daran, wenn Sie alleine sind.« Ich fand, als wir anlangten, den Alten in voller Arbeit, der an der Spitze seiner Taglöhner, mit der Schaufel in der Hand, arbeitete. »Die Herren erscheinen gerade zur Zeit des Vesperbrots«, rief er uns entgegen; »nur schade daß Ihnen die Milch nicht schmecken wird, wie unsereinem, weil Sie nichts getan haben. Kommen Sie mit, und sehen Sie, daß es nicht so leicht ist, wie es scheint, sich im Stande der Unabhängigkeit von seinen Nachbarn zu erhalten. Auch fürs Geld würde ich keine Setzlinge zu meinen Umzäunungen finden, weil niemand in der Nachbarschaft so ein Tor ist wie ich, für die Zukunft zu arbeiten.« Mit diesen Worten führte er mich an das eine Ende seines Pflanzgartens, und hier fand ich eine Pflanzschule [1241] nicht allein von guten Obstbäumen, sondern lange Beeten mit Pappeln, Weiden, Schleen, Vogelkirschen, Kreuzdornen, Hagbuchen u. dgl. von eins, zwei, drei Jahren; untermischt mit allerlei nordamerikanischen Hölzern und Gesträuchern, mit denen der Pfarrer Proben angestellt hatte. Ich bemerkte auf den hohen und niedern Wiesen, an den Rainen, den Hügeln, den sumpfigten, den schattigten und freien Plätzen überall einen gewissen Wohlstand und Reichtum der Pflanzen und Grasarten, der mich in Verwundrung setzte. »Das kostet nichts, als ein wenig Sorgfalt«, antwortete mir der Alte, »und daß man die Natur um Rat fragt. So wie die neuern Ökonomen ihre Kleearten und ihr Raigras allein pflanzen, so hab ich's im ganzen mit allen Wiesenpflanzen versucht, und nichts getan, als jeder ihren eignen Platz angewiesen. So muß ich dem bleichgelben Weizenklee und dem Lolchgras mit der fortdaurenden Wurzel nur einen lettichten Boden anweisen, und den tauben Haber und das Fuchsschwanzgras den dürren Anhöhen überlassen usw. Weil ich meinen Nachbarn vorgegangen bin, und weder gegen noch für den Ackerbau geschrieben habe, so lassen sie sich's am Ende gern gefallen, daß meine Güter besser stehen als die ihrigen. Sie kommen schon und handeln meinen Kindern die Setzlinge ab, und die Vogelkirschen- und Kreuzdornstauden bestreiten uns alle Ausgaben für die neuern Haushaltungsschriften.«

Als der Abend herbeikam, führte mich der Alte zum Kamin in meiner Schlafstube, und sagte: »Ich bin Ihnen noch die Fortsetzung meiner Geschichte schuldig. Sie verließen mich neulich als einen angehenden Liebling des Fürsten. Dieser junge würdige Herr hatte einen seinem Stande sehr gewöhnlichen Hang zum Reisen, allein auf eine Art, die nicht die gewöhnlichste ist. Er wollte sich das Schauspiel verschaffen, alle Menschen und alle Stände in der Nähe zu sehen, und dazu wählte er den sichersten Weg. Er reiste beinahe ohne alle Bedienung, und ich war sein einziger Begleiter. Dadurch wiesen wir uns alle demütige Diener – in Verbeugungen und Meinungen – vom Leibe; jedes Menschenkind, das uns begegnete, zeigte sich in seiner wahren Gestalt, und wir durften uns in der unsrigen zeigen. Schon als wir nach Straßburg kamen, schien uns das Menschengeschlecht eine freiere Luft zu atmen. Der Soldat vorm Tor kam an den Schlag, und unterhielt uns freundschaftlichst, indessen wir visitiert wurden. Die Schildwache schien Sentiments zu haben, und ich sah's dem Fürsten an seinen glänzenden Augen an, wie wohl ihm diese [1242] Erscheinung tat. In der Schweiz zogen wir von einem Landhaus zum andern, und fanden immer, daß dies ein Land sei, wo man langsam reisen müsse. In den Hauptstädten hatte der ausländische Dienst und der von da mitgebrachte Luxus freilich vieles verdorben: allein auf dem Land wurden wir reichlich dagegen entschädigt. Überall sahen wir heitre Gesichter, feste Charakter, sichres Eigentum, verhältnismäßigen Aufwand, Trotz und Kühnheit gegen Vorurteil, Haß gegen alle Sklaverei in Worten und Werken. Wir sahen oft in den reichsten Häusern den Herrn des Abends beim Küchenfeuer unter seinen Domestiken sitzen, frei mit ihnen spaßen, diese hinter seinem Stuhl am Tisch das Wort nehmen, und Vater und Kinder einander wechselsweise auf eine anständige Art raillieren – in den kleinen Städten Weiber und Kinder an allen öffentlichen Begebenheiten Anteil nehmen, über Straßen- und Kirchenbau, Magistratsbesetzungen und Armenanstalten groß und klein räsonieren – wie bei uns über Shakespeare, Romanzen und Musenalmanachs, und Filets, und Journals. – Kurz, ich sah ein Volk, das vom Morgen bis in die Nacht lebte, sich seiner Existenz freute; und nicht, wie bei uns, so viele Leute, die gähnen, klagen und kriechen. – Dies gab meinem Geist eine andre Wendung, die aber für meine damalige Umstände nicht die passendste war. Mein Ansehen beim Fürsten ward von Tage zu Tage fester, ohne daß ich's gesucht hätte. Er gewöhnte sich an mich; und das war der ganze Schlüssel zu dem Geheimnis, das so vielen Leuten die Köpfe verrückte. Anfangs gefiel es mir, manchem ehrlichen Mann seinen rechten Platz angewiesen, manchem Gebrechen abgeholfen, manches Elend verhütet zu haben. Allein meine Freude war von kurzer Dauer, wenn ich sah, wie der böse Wille oder die Ungeschicklichkeit so manches Subalternen die besten Anstalten vereitelte, und ich, wider besser Wissen und Wollen, das Instrument eines Unwürdigen geworden war. Besonders kränkte es mich, daß ich nicht berechnen konnte, ob das freundliche Gesicht mir oder meinem Platz gemacht wurde. Ich fürchtete mich am Ende vor jeder Attention, für jedem freundschaftlichen Bezeigen auch des besten Menschen wie vor einer Schlange. Denn unter jeder Blume, jeder Melone, die mir zum Präsent geschickt war, lag eine Bittschrift im Hinterhalt; und wenn ich mich bei einem Abendessen in meiner guten Laune nur ein wenig vergaß: so hielt's einer von der Gesellschaft jetzo für Zeit genug, mich beiseite zu ziehen und etwas zu verlangen. Ich sah damals ein, wie es möglich ist, daß man die Fürsten des [1243] Menschenscheues und der Härte beschuldigen kann; denn die Menschen machen's ihnen darnach. Alles was ich für die Leute tat, war so geschwind vergessen, als wenn's unser Herrgott für sie getan hätte. Besonders konnt ich's meinen Anverwandten und guten Freunden nie recht machen. Der Geringste, dessen unbescheidnes Gesuch ich nicht geradewegs unterstützte, ward mein abgesagter Feind, und jeder Subalterne klagte, daß man das Verdienst verkenne. Den Projektmachern war ich zu träge, und die Anhänger des Schlendrians beschwerten sich über meine Neuerungssucht. Oft versucht ich's mich in den Armen meiner Familie vor dem Elend der öffentlichen Anbetung zu schützen. Allein auch dahin verfolgten mich die Aufwartungen; und wenn ich nach Hause kam, fand ich ein halb Dutzend Spieltische, oder ebensoviel Einladungen auf morgen und übermorgen. Mein Junge, wie Sie ihn kennen, war auf dem Punkt, im siebenten Jahr als ein Solotänzer bewundert zu werden, und mein Mädchen im vierten Jahre im Whistspiel zu glänzen.

Um allem diesem Übel abzuhelfen, und zuweilen ein paar Stunden Existenz dem ekelhaften Gedränge zu entreißen, hatte ich eine halbe Stunde von der Stadt eine kleine Meierei angelegt. Allein ich sah bald, ich hatte mir eine Natur in der Stube geschaffen. Ich wollte mich schlechterdings an die keusche Einfalt der Natur halten. Mein Vieh sollte nicht ausländisch, sondern nur wohlgehalten, meine Wiesen geebnet und vom Moose gereinigt, meine Hecken dichte und ohne Lücken, meine Bäume gesund und gerade, und meine Kleeäcker freudig aussehen. Allein wie schwer war auch dies zu erhalten? Wie konnte ich einem Mietling, den ich dahin setzte, das Hausvatergefühl für ein fremdes Eigentum einpflanzen? Wenn ich mich in diese meine Einsiedelei flüchtete, um den Sorgen des öffentlichen Lebens zu entgehen, so warteten andre auf mich. Mein Hofmann hatte so viel Stroh gebraucht, und so wenig Mist gemacht; da waren Forderungen von Brennholz, Handwerkszettel für schlechte Arbeit, Taglöhnerlisten von übersetzter Anzahl usw. Bald waren meine jungen Bäume nicht bedornt, und die Hasen hatten sie abgefressen; oder die Stangen für die Pfropfreiser nicht gehörig angebunden, daß der Wind alles abgerissen hatte. Es war nicht tief genug gegraben, der Dünger nicht gehörig verbreitet. Manchmal war auch offenbar gestohlen. Meine Frau klagte zu Hause über den schlechten Rahm, und der Hofmann über das Futter; meine Kinder fanden auch oft das Obst gegessen, ehe sie kamen. Ob [1244] ich gleich meine eigne Pferde zum Einführen brauchte, so waren doch immer so viele Leute dabei nötig, als wenn ich's mit Mietfuhren getan hätte. Kurz, die unaufhörliche Ausgabe ohne Einnahme vergällte am Ende allen Genuß, und jeder Spaziergang, jede Nacht, die ich da schlief, war so teuer, als wenn ich sie in Richters Garten zugebracht hätte. Zuweilen empfand ich den seligen Vorschmack meines jetzigen Lebens, wenn ich in Gesellschaft ein paar armer Kerle die Schaufel ergriff, mich langsam müd arbeitete, unterm weiten blauen Himmel schwitzte, meine Beeten abtrat, meine Samen der Erde anvertraute, sie bedeckte, stillschweigend segnete, und nun gewiß wußte, daß diesmal nicht ohne Frucht in der Welt gearbeitet war. Was war mir dies für Wollust, mit den Leuten aus einer großen Schüssel die saure Milch zu speisen, das harte Brot langsam und mit Geschmack zu kauen wie sie! Wenn ich denn sah, wie ihr Kopf heitrer war als der meinige, ihr Herz ruhiger und zufriedner, und ich aus ihnen herauslocken konnte – wie sie den Gebrechen der Sozietät begegneten, sich der Dürftigkeit entwandten, ohne Geld alles hervorbrachten was sie bedurften: so pries ich den Himmel, daß der größere Teil der Menschen nicht elend war. Allein das waren Blitze in der Nacht, die alles um mich herum noch dunkler machten wie zuvor. Ich sah, der erste Beruf der Menschen, der Erde sein Brot abzuverdienen, war zu ernsthaft, als daß es ein Herr in seidnen Strümpfen als Liebhaberei treiben dürfte.

Ich sah meine besten Jahre in undankbarer Arbeit verstreichen. Ich lebte für meinen Herrn, aber nicht für meine Familie. Es vergingen Wochen und Monate, wo ich weder Frau noch Kinder sah; oder wenn ich mich zu ihnen sammlete, so war's mit einem von Geschäften düstern Kopfe, und mit einem von fremden Sorgen und Angelegenheiten zerrißnen Herzen. Auch meine häusliche Umstände litten darunter. Meine Einkünfte waren ergiebig, allein lange nicht zureichend den meinem Stande gemäßen Aufwand zu bestreiten. Der Fürst glich hierin allen seinesgleichen, daß er nicht gab, wenn man nicht verlangte; und ich hatte diese leidige Gabe vom Himmel nicht empfangen. Unvorhergesehene Ausgaben, oder Liebhabereien, die einander verdrängten, und womit ich das Leere meines Herzens auszufüllen suchte, zerrütteten mein Hauswesen. Der Einfluß und die Gewalt, womit mich das große Zutrauen des Fürsten bekleidete, ward mir nach und nach zur Last, und die Anbetung war mir ekelhaft. Ich merkte [1245] auch allmählich, daß es den Leuten, besonders denen die mir nahestanden, zu lange währte, mich in einem Posten zu sehen wornach sie alle trachteten. Man kabalierte, erfand Märchen gegen mich, die mir anfangs unglaublich schienen, die ich mir aber aus dem großen Haß nachher leicht erklären konnte. Endlich brach ich das Eis, und als der Fürst mir seine Unzufriedenheit zu erkennen gab, daß ich das Interesse der Landstände mit zu großer Hitze gegen ihn verteidigt hatte, nutzte ich diesen Umstand, und forderte meinen Abschied. Ich erhielt ihn, wie billig, auf der Stelle. Da ich indessen mit niemand darüber gesprochen hatte, und der Fürst auch zu unzufrieden war, als daß er ein Wort darüber verloren hätte: so war natürlich das erste und laute Gerüchte, ich sei in Ungnade gefallen. Es verbreitete sich die Nachricht davon mit der größten Freude und Schnelligkeit durch das ganze Land, und jeder glaubte nun, daß die Geschäfte einen neuen und erwünschtern Gang nehmen würden. Ich ward bald in der Vermutung gestärkt, daß ich wohlgetan hätte, einen Posten beizeiten zu verlassen der für mich nichts als Haß und Neid eingebracht hatte, wenn ich die Art sah, wie mir Hohe und Niedrige begegneten. Man floh mein Haus, als wenn's von der Pest angesteckt wäre; und wer noch kam, und mich aus Neugierde oder Erstaunen besuchte, der kam wohl bedächtlich bei Nacht. Für meine Frau war mir's angst, wie sich diese bei dem Umstand nehmen würde: allein sie betrug sich mit einer Liebe und Standhaftigkeit, die weit meine Erwartung übertraf. Ich hatte sie mit den Kindern auf die Meierei geführt, um ihr die Eröffnung davon zu tun. Sie hatte, wie gewöhnlich, das Amt der Köchin versehen, und uns einige Milchspeisen selbst bereitet. Wir saßen im Grase, die Kinder spielten um uns herum, und genossen des schönsten Abendrots. Sie drückte mir die Hand, und seufzte, daß diese seligen Stunden öfter an sie kommen möchten. ›Dafür ist gesorgt, meine Liebe‹, gab ich zur Antwort, und zog das Billett des Fürsten aus der Tasche. ›Du wirst künftig wieder meine Hausfrau sein, und diese liebe Geschöpfe unsre Gehülfen.‹ Sie schluchzte vor Freudentränen, und überhäufte mich mit Liebkosungen, die ich jahrelang entbehrt hatte. ›Also hab ich dich wiedergefunden‹, war alles was sie vorbringen konnte; aber sie wiederholte es zu tausend Malen. – Sie führte mir meine Kinder zu – ›Ihr habt euren Vater wieder, meine Kinder‹ – Die lieben Geschöpfe fielen mir um den Hals, und wußten nicht wie ihnen geschah. Sogleich ward beschlossen, nicht nach der Stadt zurückzukehren. [1246] Dies war einer der glücklichsten Abende meines Lebens – Wir verschwatzten ihn bis in die tiefe Nacht, voll lauter Projekten unsers künftigen Lebens – wovon immer ein Stück reizender ausgemalt ward als das andere. Den andern Morgen kam der Hofmeister meines Sohns, seinen Eleven zu besuchen. Ich sah aus der gezwungenen Miene, womit sich der Tropf bückte, daß ihm etwas vom Gerüchte zuteil geworden war. Seine Schlösser aus dem Schlaraffenlande von künftiger Beförderung waren zertrümmert, und er konnte sich kaum enthalten grob zu sein. Da er vorher alles auch in den geringsten Anlagen trefflich gefunden hatte: so strich er jetzo gähnend in den Gängen des Gartens herum, sah in die Luft, und nahm am Ende einen Teil der ›Allgemeinen Teutschen Bibliothek‹ aus der Tasche, um sich zu erholen.

Als wir nach Hause kamen, waren alle unsre Bedienten vornehmer geworden; nur der einzige Kutscher wartete nach wie vor mit gleicher Treue und Ergebenheit. Die Chefs von den Kollegien ließen mich nun ex speciali commissione um Herausgabe der Akten durch sehr trockne Reskripte mahnen; und man machte Anstalten, mich über eine jede Resolution, wo der Fürst von dem Antrage seiner Räte abgegangen war, in Person zu belangen. Ich bekam Besuche von Hoflakaien deren Gesuche registriert worden waren, die von Schelmerei und von unterschlagnen Memorialien sprachen.

Ich fing nun an meine Bilanz zu ziehen, und wunderte mich, wie alle Leute deren Umstände krebsgängig werden, wie ich es nicht eher hatte tun können? Ein Teil meines Vermögens und meiner Frauen Mitgabe war eingebrockt; ich sah mich natürlich von dem Fürsten vergessen, von allen Menschen gehaßt, verbannt; es blieben mir keine Freunde übrig, als die, die meiner bedurften, meine Frau und Kinder. Mein ganzes Haus, von oben bis unten, mit allem Geschmack und Gefühl möbliert, war mir eine traurige Modeboutique, wovon ich nichts mehr anrühren konnte. Ich fing also an mich alles dessen zu entledigen. Mein städtisches Landgut mußte zuerst an den Reihen, und ich hatte das Vergnügen, daß mein ärgster Feind, der mir in meinem Posten zu folgen gedachte, gerade derjenige war, der am meisten bot, aus der lächerlichen Eitelkeit, etwas zu besitzen das ich nicht behaupten konnte. Ich verlor wenig von meinen Auslagen, und die Lücke, die ich in meinen Briefschaften fand, ward dadurch ziemlich ausgebessert. Von meinem Hausrat stellte ich einen öffentlichen Ausruf an. Zum Glück für mich war ich für einen [1247] Mann von Geschmack bekannt, und jeder wollte etwas von dem Meinigen, entweder um auch einen Anfang mit dem Geschmack zu machen, oder als eine Reliquie von dem mächtigen Menschen, der das ganze Land regiert hätte, und nun, andern zum Exempel, gestürzt wäre. Ich saß selbsten am Tische, notierte das Verkaufte, und nahm das Geld ein. Diese Sonderbarkeit verbreitete sich bald in der Stadt, und es erschienen Karossen mit Damen von Qualité, die mich so wenig wie ich sie erkannten; kurz, die sich hier mit einer Freimütigkeit und ungezwungnem Wesen betrugen, als wenn's auf dem besten Jahrmarkte gewesen wäre. Meine Frau embrassierten sie indessen herzlich, und hatten sie nie, nach ihrer Aussage, reizender gefunden, als da sie in die Stube trat, und ihr Kästchen Juwelen zum Verkauf brachte. Diese Freundlichkeit machte aber bald einer sehr ernsthaften Stille Platz, als es an das Bieten ging, und zwischen den Damen und den Juden ein edler Wettstreit entstand. Wie erstaunten aber die Herren Gelehrten, als ein Katalogus erschien, wo meine Gemmen, Vasen, Münzen, Bücher, Manuskripte, Gemälde, Kupferstiche, und der ganze Kram, womit man das Elend des Stadtlebens zu maskieren sucht, in öffentlichem Druck erschien! – Hieraus erhellte nun offenbar, daß es die liebe Not sein müßte, die mich zu dem letzten Schritte nötigte. Man kalkulierte sich das Kapital vor, das in allen diesen unnützen Dingen steckte, und begriff nicht, wie ich so töricht hätte handeln können. Den Leuten vom Stande war es eine unverzeihliche Eitelkeit, und die Leute von Genie erstaunten, wie ich nicht hatte voraussehen können, daß es so ein Ende nehmen würde. Die Hofleute zuckten insgesamt die Achseln, wie man sich so ein Dementi geben könne. Überhaupt glaubte man, wer eines solchen Schritts fähig wäre, dem stünde nichts weiter übrig, als allem Umgang mit der honetten Welt zu entsagen – und allenfalls nach Amerika zu gehen. Die Leute von Geschäften sagten sich einander ins Ohr: daß es unbegreiflich sei, wie man's versäumen könnte, das Eisen zu schmieden, solang es heiß wäre – aber niemand machte die Reflexion, daß ich ein ehrlicher Mann sein müsse – der das Vertrauen des Fürsten nicht mißbraucht hätte.

Ich wußte indessen was ich tat, und sah nach und nach das verlaufene Wasser sich sammlen, das meine künftige Mühle treiben sollte. Aus dem Verkauf dieser Armseligkeiten entstand der Fonds von meinem jetzigen Gute, und das Vermögen meiner Kinder liegt als ein Heiligtum in der Stadt bei einem meiner[1248] Freunde im Handel angewandt, von dem ich bisher keinen Pfennig angerührt habe. Ich komme zuweilen in die Stadt mit ihm abzurechnen, und meine Kinder wissen sowenig davon, als die Schweizer was ihre Gebürge für Schätze enthalten können. Diese selige Unwissenheit hält sie in ihrem Berufe fest, und sie begreifen noch zur Stunde nicht, wie man etwas haben darf, das man nicht erworben hat.

Noch eine Szene muß ich Ihnen erzählen, die mir aus der damaligen Zeit einfällt. Der Fürst war kurz nach dem, was zwischen uns vorgefallen war, zehn Meilen von der Stadt ins Gebürge gereist, um dort die Hirschbrunst abzuwarten. Er kannte die Menschen zu wohl, als daß er ihnen über sein Betragen hätte Rechenschaft geben sollen. Sein Stillschweigen machte aber einige Tröpfe dreiste genug, ihm, wie sie's glaubten, nach dem Munde zu schwatzen, und allerlei vorzubringen, was ihm bekräftigen sollte, daß er recht gehabt hätte, sich von mir loszumachen. Der Kanevas der Märchen war indessen zu grob, als daß er nicht hätte sehen sollen, was der Zettel und der Einschlag des Gespinstes wert wäre. Man glaubte ihn hauptsächlich dadurch zu unterhalten, wenn man ihm er zählte, wie desperat meine Umstände seien, und wie viel heimliche Gläubiger ich haben müßte. Besonders bemerkte man, daß ich willens wäre aus dem Lande zu gehen, weil ich alles versilberte, was ich seiner bisherigen Gnade zu danken hätte.

Als er in die Stadt kam, fiel's ihm ein, sich mit eignen Augen zu überzeugen, was an der Sache wäre. Es war gegen das Ende meines Ausrufs, als er abends ins Zimmer trat, in Begleitung einiger seiner Kavaliere. Ich ging ihm mit Ehrerbietung entgegen, er winkte aber, daß er nicht stören wollte, und setzte sich mitten unter die andern Käufer. Ich fuhr in meinem Geschäfte fort; man rief aus, und er tat auf einige Stücke Hausrat ein ansehnliches Gebot. ›Ich sehe wohl‹, sagte er, ›daß ich nicht von unten anfangen darf zu bieten, weil man die unzeitige Höflichkeit haben wird, mich nicht abzutreiben.‹ Unter andern war ein Schreibpult von Mohoganyholz da, den er ansehnlich bezahlte. ›Da hab ich sehr wohlfeil gekauft‹, rief er aus, ›wenn es anders Ihr Arbeitspult war, mein lieber Oheim, wie ich vermute.‹ Er trat hierauf auf mich zu, nahm mich bei der Hand, und führte mich in ein Nebenzimmer. Er war gerührt, als er in einer Stube nach der andern nichts als die leeren Wände fand. – ›Ich sehe‹, sprach er, ›Sie haben mich eher entbehren können, als ich Sie, [1249] mein Freund! Sie handeln nicht ohne Plan, das weiß ich aus der Erfahrung; und es kümmert Sie auch nichts, was die Leute dazu sagen.‹ – Ich entdeckte ihm offenherzig, was mich bewogen hätte, den Schritt zu tun, und daß seine Unzufriedenheit mir eine günstige Gelegenheit dargeboten hätte, dem Vorwurf des Undanks zu entgehen. – Er verstand mich, wie sich Männer verstehen sollen, und verzieh mir, daß ich meine übrige Jahre der Unabhängigkeit und meiner Familie weihen wollte. Als er wegging, umarmte er mich herzlich vor allen Anwesenden, und ich mußte ihm in die Hand versprechen, ihn künftige Woche auf seinem Jagdschlosse Mon Repos zu besuchen. Seine Hofkavaliere, die mich vorher nicht erkannt hatten, folgten seinem Beispiele, und alle versicherten mich: ›Qu'il y avoit un siècle, qu'on n'avoit pas eu le plaisir de me voir.‹

Ich hatte«, fuhr Herr Oheim fort, »nun alle Bande zerrissen, die mich ehedem mit der Sozietät vereinigt hatten. Ich stand allein da, und es kam nun darauf an, wie ich die Unabhängigkeit, worein ich mich geworfen hatte, unterhalten sollte. Es war bekannt worden, daß ich das Landleben aller andern Beschäftigung vorziehen würde. Jedermann, der nur glaubte je etwas über Ökonomie gelesen oder gehört zu haben, kam zu mir, und behauptete ich müßte meine erste Einrichtungen nach seinem guten Rat treffen. Einstimmig fiel der Vorschlag dahin, daß ich einen gewissen Herrn von Wüttgenau besuchen müßte, der auf zwanzig Meilen weit als der größte Landwirt berühmt war. Ich gab endlich dem Ungestüm meiner Freunde nach, und ging hin, um mit eignen Augen zu sehen, was an der Sache war. Dieser Landedelmann war würklich eine seltne Art von Menschen, ein Polyhistor und Pansophus in der Landwirtschaft, wie's wenige geben mag. Er hatte beinahe alles versucht, was zu versuchen war, bis auf die Büffel- und Kamelzucht, die er dem Herrn von Brenkenhof nicht nachmachen mochte. Für die Armen war's ein trefflicher Mann, denn er gab jedem vollauf zu tun, der arbeiten wollte. Er war der Almosenierer, und Hospitalmeister aller seiner Untertanen; allein sein Beutel befand sich nicht wohl dabei. Er hatte seine Pachter abgedankt, und Knechte auf die Höfe gesetzt. Dadurch ging freilich alles nach seinen Prinzipien, allein alles auch auf seine Rechnung. Da die Landwirtschaft sich ohnmöglich in eine Fabrik verwandeln läßt, und man ein gegrabenes oder geackertes Stück Feld nicht wie einen gesponnenen Faden beurteilen kann; so war aller Schaden, der aus Untreu, Vernachlässigung [1250] oder Unwissenheit entstand, immer auf seiner Seite. Seine Leute hatten ihr Tagewerk und ihre Handarbeit zu leisten, übrigens schliefen sie ruhig, und ließen für alles, was in der vierten Bitte stand, Gott und den Herrn von Wüttgenau sorgen. Es ist wahr, sein Dorf war ein Muster der Polizei: alle Menschen waren nach ihren Kräften und Vermögensumständen berechnet, und in Tabellen gebracht: jeder arbeitete nach Grundsätzen; allein der Umstand war, daß es für einen Dritten geschah. Und keine Ordnung in der Welt konnte es dahin bringen, daß das Tagewerk eines Knechtes in die Arbeit eines Hausvaters verwandelt wurde, der sich bei jedem Tropfen Schweiß segnet, weil er ihn für seine Frau und Kinder vergossen hat. Nirgends wurde Brot und Salz und Schmalz und Grütze jedem mit mehrerer Genauigkeit zugemessen, als bei der Frau von Wüttgenau. Das Haus glich einem trefflich eingerichteten Kommissariate, und der Hof war wie eine Feldbäckerei und Kriegsmagazin anzusehen, wenn Brot, Fourage und Stroh ausgegeben ward. Alles ward zu gleicher Zeit im großen gebaut: Ölgewächse, Futterkräuter, Pflanzgemüse, Röte, Tabak, und Getreide und Wein; daher ging immer an dem einen verloren, was durch günstige Witterung an dem andern war gewonnen worden. Die Auslagen aller Art waren immer dieselbigen: immer jeden Tag so viele Mäuler zu stopfen, und doch war der Erfolg sehr verschieden. In Mißzeiten drückte der ganze Fluch des Jahrs den Herrn allein. Der Hauptfehler lag aber darin, daß sich unser Herr von Wüttgenau in nichts Schranken zu setzen wußte: immer an dem Fieber nach Wissenschaft und Erfahrung siech lag, und mit nichts zufrieden war, das ein-oder zweimal geglückt hatte. Daher nahm er jedes Jahr entweder weniger ein, als er ausgegeben hatte; oder er hatte wenigstens, genau berechnet, keinen reinen Ertrag, der die Mühe und das Risiko der ganzen Zeit über wert war. Ich habe nie einen Menschen geiziger nach Land gesehen, als diesen. Nicht allein das gute, nahgelegne und längst bearbeitete Feld reizte seine Begierde. Da er schon an alle Mittel dachte jedem Fehler abzuhelfen, und es auch würklich verstand; so war kein Sandbuckel zu dürre, und kein Rain so mager, der nicht in Gefahr stand, in seine Hände zu geraten – bloß zu versuchen, was Kunst und Fleiß der Natur abnötigen könne. Er hatte viele Güter seiner Vorfahren mit Schulden geerbt, und gewiß wär's für seine Familie besser gewesen, ein Drittel davon ganz zu vermissen, oder an die Untertanen auf Zinsen auszugeben, um die andern [1251] frei zu machen; allein er kaufte immer neue dazu. Er führte seine Prozesse selbst, und daher war es eben keine schlimme Rekommendation für ein Gütchen, das ihm zum Verkauf angeboten ward, wenn es hieß: daß ein paar schwere Prozesse darauf hingen. Die Beobachtung der Fatalien überließ er den Prokuratoren; allein die Verfertigung der Hauptschriften, die allzeit wie Deduktionen ausfielen, behielt er sich zu seinem Winterzeitvertreib vor. Ich hatte große Mühe in das Wohnzimmer dieses wackern Landwirts zu geraten; denn der ganze Hof war ein einziger Dünghaufen. Der Anblick dieser Wirtschaft, so viel Ordnung und Einsicht auch damit verbunden war, hatte die Wirkung, mich mehr vom Landleben abzuschrecken, als dazu zu reizen. Ich war der Sklaverei der Großen und der fremden Geschäfte entgangen, ich hatte daher wenig Lust mich in die Dependenz des Gesindes zu stecken. Ich suchte Ruhe, und leichte, von mir selbst abhängende Beschäftigung, und diese konnte ich ohnmöglich in einer Lebensart erwarten, die einer Entreprise gleichsahe. Mein Plan war also, wie man sagt, im kleinen anzufangen, und gerade nicht mehr zu treiben, als wozu mir die Kräfte gewachsen waren. Ich hatte längst ein Auge auf dies nahgelegene Dorf geworfen; weil es etwas von der Landstraße ablag, und ich hier unbemerkter leben konnte. Ich hatte gehört, daß der Förster gestorben war, und daß nunmehr seine Witwe das Haus, das ihr Mann gebaut hätte, mit den Gärten und Feldstücken, für sich zu groß fände. Ich ließ also anspannen, und fuhr mit meinen Rappen, die mir aus meiner Verlassenschaft allein noch übrig waren, hieher. Es war an einem schönen heitern Sonntagsmorgen, als ich vor dem Hause der Witwe ankam. Ich wollte meine Pferde ins Wirtshaus schicken; allein es war keins zu finden. Der Nachbar nahm sie also gutwillig auf, das meinem Kutscher nicht recht in Kopf wollte, daß sein Herr künftig an einem Ort wohnen würde, der nicht einmal ein Wirtshaus hätte. Die gute Frau kam mir mit einer ihrer Töchter entgegen, das Tor aufzumachen, und ich schien mir ebensowohl von ihrer Reinlichkeit, als von ihrer Gutmütigkeit bewillkommt. Als die Frau hörte, weswegen ich gekommen war, so führte sie mich überall herum, und zeigte mir, mit einer gewiß seltnen Gewissenhaftigkeit, nicht allein alle Vorzüge, sondern auch die ihr bekannte Gebrechen ihres Hauses. Ebenso unterhielt sie mich von den Brandflecken des Gartens, wo die Bäume und die Fütterkräuter nicht hatten fortkommen wollen, und sagte mir aufrichtig, welche von ihren Äckern und[1252] Wiesen zuweilen von den Fluten der Berge notlitten. Die Tochter, ein schönes schlank gewachsnes Mädchen von 18 Jahren, begleitete uns überall, und schien in dem Augenblick keinen andern Beruf zu haben, als die Schlüssel nachzutragen, und auf- und zuzuschließen, wo's ihr befohlen wurde. Ohne unter sich noch um sich zu sehen, ging sie, in sich gekeht, vor sich hin, und die Gegenwart eines Fremden schien nicht den geringsten Eindruck auf sie zu machen. Sie antwortete mir auf alle meine Fragen mit einer Deutlichkeit, die mich frappierte, ohne den geringsten Blick oder Wert auf das zu legen, was sie sagte: was bei einem jungen und schönen Mädchen etwas Seltnes ist. Sie sah mir nicht ins Gesicht, und vermied mich auch nicht; kurz es waren ein paar Mädchenaugen, die niemals schienen gebraucht worden zu sein. Die Mutter hatte mich von dem ersten Moment an eingeladen auf den Mittag mit ihr vorliebzunehmen, und weder Mutter noch Tochter hatten mich die Zeit über verlassen, um Anstalten zum Essen zu machen. Im Rückweg fand ich den Tisch nächst der Küche in einer Laube von fruchttragenden Bäumen bereitet, wo die hereinhangende Pfirschen und Pflaumen uns sogleich entdeckten, wo wir unsern Nachtisch zu suchen hatten. Es war nur für drei Personen gedeckt, und ich nahm den Platz der jüngern Tochter ein, die diesmal die Küche zu versorgen hatte. Als das Essen, das in Zugemüse und Milchspeise bestand, hineingebracht war, und ich darauf bestand, daß die schöne Köchin uns Gesellschaft leisten sollte, kam das liebe Mädchen mit ihrem Teller und ihrer Serviette in der Hand herein, sich zu uns zu setzen. Sie war nicht völlig so ruhig und frei in ihrem Betragen als ihre Schwester. Das überflüssige Rot auf ihren Wangen ließ mich zweifelhaft, ob das Küchenfeuer oder die Besorgnis schuld daran sein möchte, daß sie ihre Schüsseln nicht zum besten bereitet hätte. Die Mutter unterhielt mich von der Einrichtung ihrer Wirtschaft, von dem Ertrag ihres Gütchens, und von dem Plan ihrer künftigen Lebensart. Während dieser Erzählung ward mir bei jeder Bedürfnis des Lebens, die diese gute Leute der Erde abgewannen, leichter ums Herz, und so wie ich sah, daß sie nichts bedurften oder mangelten, war es, als wenn's mich selbst anginge; denn ich setzte mich schon in Gedanken an ihre Stelle, und war nie reicher als damals. Wir hatten aus der Laube die Aussicht auf ein Stücke Feld von ohngefähr anderthalb Morgen, das auf den Garten stieß, und wo an einem Ende ein Hüttchen stand. Ich fragte von ohngefähr: ob dies Stück feil werden [1253] könnte? Die Antwort war: Es gehört einer armen Frau, die mit ihrer Tochter und ihrem Kühchen davon lebt: man wird es wohl nicht unter 200 Fl. haben können, weil sich die Frau davon nährt, und das Hüttchen darauf steht. – Als ich dies hörte, daß ein Mensch sich mit 200 Fl. Eigentum vorm Mangel schützen könnte, wenn er sonst arbeiten wollte, fing das Haus an, worin ich war, viel zu groß für mich zu werden, und die Hütte bekam tausend Annehmlichkeiten für mich. Sosehr ich mich den Morgen, als ich aus der Stadt fuhr, für ausgestoßen aus der Sozietät gehalten hatte, so fest sah ich mich nun befestigt, und ich war mit meinen Habseligkeiten unter diesen guten Leuten wie ein Mensch, der aus Indien zurückkommt, und unter Lord Clive sein Glücke gemacht hat. So gewiß ist's, daß nicht die Meinung die Menschen reich oder elend macht, sondern das Verhältnis worin sie mit andern stehen, die sie umgeben. Ich würde mit aller meiner Philosophie in Londen oder in Paris ein Bettler gewesen sein; hier war ich mehr als bemittelt. Und um es zu werden, hatte ich nicht nötig gehabt, nach Ungarn, oder in ein anderes geldarmes Land zu flüchten.

Als wir abgegessen hatten, verließ mich meine Gesellschaft, um für den Kaffee zu sorgen, und ich blieb in der Laube meinen Träumereien überlassen. Es war der schönste Septembertag. Die Sonntagsstille, die Heiterkeit der Luft, die Wärme der Sonne, die Reine des Himmels über mir, und das Rauschen eines benachbarten großen Nußbaums wiegten mich in eins der süßesten Nachdenken über das Bild meines künftigen Lebens, das mir ganz in die Farbe dieses Tags tingiert vorkam. Ich ging nachher spazieren, und fand vorm Dorf eine Gesellschaft junger Pursche von 20 bis 24 Jahren, die mit Marbeln nach Kreuzern schossen. Die Alten und die Mädchen saßen herum, und nahmen Anteil an dem Erfolg des Spiels. Niemand schien mich zu bemerken, sondern jeder fuhr fort, als wenn ich einer von ihnen gewesen wäre. Die Unschuld dieser großen Pursche, die sich noch als Kinder belustigten, hatte in ihrer Einfalt etwas sehr Anziehendes für mich. Als ich durch das Dorf zurückging grüßten mich die Weiber vor ihren Türen auf den Bänken, und nannten mich mit Namen. Es schien, als wenn sie schon wüßten, daß ich künftig einer von ihren Nachbarn sein würde. Ich wurde bald mit der Alten des Handels einig, und sie überließ mir auch das ganze Inventarium ihres Viehstandes und Feldgerätes. Es wurde ausgemacht, daß ich so bald als möglich noch den Winter einziehen [1254] sollte, und sie indessen mit ihren Töchtern in dem untern Stocke des Hauses, bis in der Mitte des künftigen Sommers, bleiben würde. Dieser Umstand erleichterte meiner Frau ihre künftige Einrichtung, und wir waren um so viel sichrer, alle die kleinen Vorteile der Wirtschaft von ihnen zu erfahren, die wir vielleicht zu unserm Schaden erst spät gelernt hätten. Als ich nach Hause kam, fand man für nötig eine neue Säuberung des alten Sauerteigs vorzunehmen. Wir hatten noch verschiednes von unsern Mobilien zurückbehalten, um es dort zu nutzen; allein wir fanden alle unsre Vorhänge zu breit und zu lang: die Spiegel waren ungleich größer, als unsre dermalige Fenster, und die vergoldeten Rahmen wollten auf die weißen Wände auch nicht passen. Es ward also von neuem versteigert. Ich hatte Willens gehabt, die Pferde zum Acker und den Kutscher als Knecht zu behalten; allein auch dies paßte nicht zu unserm Haushalt. Die Pferde mußten auch an den Reihen, und der Kutscher ward entlassen. Das wenige übrige Silbergeräte ward versiegelt, mit dem heiligen Vorsatz, nie wieder Gebrauch davon zu machen. Nachdem wir alle unsre Notwendigkeiten unsrer guten Witwe vorausgeschickt hatten, folgten wir an einen heiterm Dezembermittag nach, und ich setzte meine Kinder auf einen guten Bauerwagen in eine Flechte mit Stroh verwahrt, und meine Frau und ich nahmen hinten unsern Platz. Ich stieg vor der Tür meines ehemaligen Hauses unter den Augen meiner alten Bekannten ein, und glaubte, daß ich nicht verstohlnerweise mein Glaubensbekenntnis an die Einfalt der Natur ablegen müßte, der ich den Rest meiner Tage unter der süßesten Hoffnung eines schuldlosen Lebens gewidmet hatte.

Da es mitten im Winter war, so prophezeiten uns die Stadtleute wenigstens ein Fieber aus Ennui. Allein die guten Leute vergaßen, in welcher Stimmung wir waren, und liehen uns in Gedanken die ihrige. Dies ist in Berechnung der Vorfälle des Lebens bei andern, als bei uns, immer der Hauptirrtum. Wir hatten alle Hände voll zu tun, uns einzurichten. Da war erst alles Neue in Besitz zu nehmen, und das Alte zu stellen und zu legen. Des Tages über beschäftigte ich mich mit Ausbesserung der Zäune und Gräben, und Ebenung der Wiesen, wo es nötig war. Abends saß ich mit einigen alten Nachbarn zusammen, gab meinen Kindern Unterricht, oder erzählte den guten Landmädchen, die bei uns wohnten, von den Vergnügungen und Sitten des Stadtlebens. Ich hatte öfters das Vergnügen zu bemerken, [1255] daß den guten Kindern die Torheiten und Ausschweifungen der großen Welt abenteuerlicher und ungeheurer vorkamen, als wenn es Löwen und Riesen und Greife aus der Tausend und eine Nacht gewesen wären.«

Der Alte verließ mich, als er seine Erzählung geendigt hatte. Ich ging in meine Stube, warm von den Empfindungen, die er mir mitgeteilt, und voller Ekel über meinen jetzigen Beruf, der auf nichts hinausging, als ewig Geld zu machen; und vor dem Geldmachen, dachte ich, hat man kaum so viel Zeit übrig, daran zu denken, wie man's nützen will. Ewig verfolgt uns das Gespenst mit seiner Peitsche, daß wir Schurken wären, nicht einmal soundsoviel zu besitzen. Und darüber werden so viele von uns Schurken, oder fallen als marode um, ehe die Kampagne zu Ende ist. Und dem ehrlichen Bauer, der nichts hat als das bißchen Leben, fällt's niemals ein, daß er ein Herr sein muß; daß es eine Schande ist, nicht mit Kutsch und Pferden zu fahren. Ich verschloß mich in mein Zimmer, und verbat mir das Abendessen, um meine Gedanken wiederzukäuen. Dabei kam mir die Brieftasche wieder zu Sinn, die mir der Pfarrer anvertraut hatte. Ich teile Ihnen hier einige Auszüge davon, aus den ersten Zeiten der Wirtschaft des Hrn. Oheim, mit. Das Bessere behalt ich Ihnen auf ein andermal vor.

Auszüge aus Briefen des Herrn Oheim an seinen Freund S. in M.
1

Ich denke, Sie halten dafür, ich sei diese Wintertage über beschäftigt, mich auf meine künftige Lebensart zu rüsten, und Anstalten zu einer ruhmvollen Kampagne zu machen. Den Tisch sehen Sie vor mir voller Risse von Avenuen, Alleen, Bosketts u. dgl. und Bauanschläge von Zimmerleuten, Maurern, Stukkaturarbeitern, Wasserleitern, und wie alle die Künste heißen, die der Reiche seinem Überfluß fronen läßt, er mag in der Stadt oder auf dem Lande leben. Fürs erste bin ich nicht reich, und fürs zweite mag ich nicht leben, als ob ich reich wäre. Ich habe darum diese Klasse verlassen, in der ich vielleicht als ein ganz ehrlicher Mann, nach dem groben Sinne des Worts, eine brillante Rolle hätte fortspielen können. Ich mag auch mein mir übriges Vermögen nicht in Güter stecken, die ich verpachten oder um die Hälfte bauen lassen muß, damit mir die Erlaubnis übrigbleibt, das Maul aufzusperren, zum Fenster hinauszusehen, spazierenzureiten [1256] und gegen fünf Uhr Quadrille zu spielen und Tee zu trinken. Mir ist drum zu tun, ein andres Wesen zu beginnen, meine Knochen zu brauchen, weil mir Gott sie gegeben hat; mir, durch Arbeit, Gesundheit, Mut und Hunger und Durst zu erwerben, und kurz das Leben nicht zu genießen sondern zu verdienen.

Das alles stellen sich die Leute in der Stadt so schlimm vor, wie ein Weibchen, das in seinem tiefgepolsterten Kanapee bei einem stürmischen Wintertage berechnet, was der Mann zu Pferde auf der Landstraße ausstehen müsse, der indessen dem Frost und Sturm mit lachendem Herzen entgegenreitet.

Ehedem arbeitete alles für mich, und ich arbeitete alles für andere. Was ich empfing, ward bezahlt, und die Gaben Gottes waren mir eine Ware. Mein Berufsgeschäfte drehte ich ab wie eine Schale, oder feilte sie, wie einer ein Rad feilt. Ich konnte nichts erwerben als Geld und Gewalt, und für beides war mein Herz noch nicht enge genug. Die stille und lebende Natur war mir eine Camera obscura, und die Tiere und Menschen Staffage auf dem schönen Teppich. Jetzo soll's anders werden mit mir, wenn Gott will. Ehedem schliefen Mann und Frau und Kinder, ein jedes in seinem Appartement, und gingen auch jedes seine Straße. Jetzo sind wir in einer Stube zusammengerottet, und es heißt wohl nicht umsonst: Ein Bette,ein Glaube, und ein Gott. Mein Junge ist allzeit um mich, und mein Mädchen immer um ihre Mutter; sie laufen, holen, tragen, und tun was wir ihnen sagen, und dadurch fällt schon der Fluch reicher Leute Kin der von ihnen, daß sie ihren Eltern zur Last sind. Ich hoffe, daß ich noch einmal mit eignen Pferden werde zu Acker fahren dürfen. Bis dahin lerne ich bei einem meiner alten Nachbarn, der endlich Zutrauen in mich gesetzt hat, und selbst glaubt, daß noch etwas aus mir werden kann. Heuladen und Strohbinden hab ich schon begriffen; aber mit dem Pflügen will's nicht fort. Ich halt's für ein schwerer Ding, wie den Stylus. Entweder greift das Eisen nicht, oder es greift zu tief: die Pferde stutzen, und wollen nicht fort. Man dächte die Tiere hätten so feine Nasen wie die Bauren, und begriffen von weitem ob einer ein Pinsel ist oder nicht. Das Säen halt ich vollends für eine Hexerei – mein Nachbar verzweifelt indessen nicht, daß ich doch am Ende werde Takt halten lernen. Wenn dies vorbei ist, hab ich Hoffnung übers Jahr dreschen zu lernen.

Ich kann eben nicht sagen, daß es das Nützliche ist, was mir [1257] Interesse für alles das gibt; sowenig wie der Junge beim Zimmermeister sich bewußt ist, daß ohne ihn und seinesgleichen die Menschen nicht wohl bestehen könnten. Es ist mir auch noch kein Schauder von Merveilleux über die Haut gefahren, daß ich hier den Q. Cincinnatus vorstellte. Sondern ich befinde mich wohl und ruhig dabei, meine Kräfte wachsen, und ich kann heute tun was ich gestern nicht vermochte. Wir glauben alle diese Dinge seien höchst mechanisch, ich sehe aber sehr viel savoir faire dabei. Man mag es nun Übung oder Vorteil nennen, wie's der gemeine Mann nennt, so ist's die Frucht von so viel Zeit und Jahren; und dies ist immer eine Vorlage, die gemacht werden muß, ehe man an die Einnahme denken kann.

2

Vom 27. März an denselben. 176..


Ich denke Ihr kämt jetzo zuweilen auch in die frische Luft, Ihr Leute in der Stadt, ungefähr so wie Ihr Gott dient, alle vier Wochen einmal. Wir leben wie die Fische in unserm Element. Unsere Gräben sind rein gemacht, unsere Häge beschnitten, unsere Bäume geputzt, schon so viel geackert, gedüngt, so viel Same der Erde anvertraut. Und was habt Ihr wohl die Zeit über getan? das Karneval beschlossen, den Arlequin glücklich begraben? Haben Eure Weiber ihre Abende auch so lustig verschwatzt, wie die unsern bei ihrem Spinnrade? die haben doch noch was fertig zu machen bis Ostern. Ein groß Stück Leinwand für mich, damit ich meine holländischen Hemden in Kasten legen kann, und die Manschetten dazu; denn ein Mensch, der seine Fäuste braucht und Manschetten anhat, sieht aus, wie ein Hanswurst auf dem Katheder. In ohngefähr vier Wochen kommt zu uns, alsdenn wird unsere kleine Haushaltungsmaschine im vollen Schwingen sein; unser Vieh vollauf Futter haben, und wir unser volles Tagewerk. Alsdenn könnt Ihr mir auf dem Fuße nachfolgen, und sehen was ich tue; oder Ihr könnt Eure Empfindungen kleinschneiden, und etwas ans Morgen- oder Abendrot zu Papiere bringen. Mir ist, seitdem ich mitten in der Natur lebe, kein Wort noch zum Lobe der Natur eingefallen, und ich mag ebenso lieb erbauliche Betrachtungen am 20. oder 30. März lesen, als einen von Euern neumodischen Hymnen. Wenn einer den Frühling besingt, so kommt mir's vor, als wie einer, der ein Carmen auf seine Frau machen will.

[1258] Wollt Ihr indessen Gott innerhalb vier Mauren dienen, so findet sich auch Gelegenheit dazu bei uns, und vielleicht besser wie bei Euch. Denn in unsrer kleinen Kirche sitzen doch die Menschen wie in einer Stube beisammen, wenn's bei Euch wie ein Amphitheater aussieht; und die Menschenköpfe die man vor sich hat, sind auch genießbarer wie die Eurigen. Da sitzen im Chor neben mir ein paar Dutzend Greise und Männer mit hellen Augen und geraden Haaren, die wohl etwas mehr bedeuten, als Eure alten Perücken mit ihren Lorgnetten und Tabatieren. Und die Jungen vor uns auf den Knieen mit ihren runden Köpfen, und die Mädchen mit den niedergeschlagenen Augen, und den ins Gesangbuch gefalteten Händen. Wenn unser Pfarrer schmält, so können wir's doch hören; aber bei Euch fürchten sie sich laut zu reden. Bei Euch ist eine Leichenpredigt was Unschickliches; bei uns ist's immer das Beste. Wir sehen auch noch unsre Toten begraben, und wissen wo man sie hingelegt hat; aber bei Euch gehn sie stillschweigends aus der Welt, als wenn sie alle Schelme wären.

3

Sosehr ich's wünschte, Ihnen von meiner jetzigen Lebensart Nachricht zu geben, so schwer wird mir's. Meinem Nachbar, der seine zwei Säcke Getreide auf den Speicher trägt, soll's wohl ebenso schwerfallen, zu erklären, wie und warum er so stark ist. Wer von seiner Ehrlichkeit und Gesundheit, und von deren Herkommen und Abkunft viel Antwort und Rechenschaft geben kann, mit dem mag ich's nicht teilen. Kurz und gut mir ist wohl, und wenn ich ja etwas erklären sollte, so wär es dies, warum's einem andern nicht auch so wohl ist. Die liebe einfache Nahrung, und die freie Luft, die wir hier atmen, mag auch das Ihrige dazu beitragen. Aber das meiste, was nämlich meine arme Seele zur Ruhe bringt, ist der Taglohn, worin ich arbeite. Gottlob! ich weiß nun daß ich mich zu Tische setzen, und meine Lampe mit gutem Gewissen anstecken darf. Vorher wußt ich wahrlich oft nicht am Abend, ob die Arbeit, die ich tat, das Stümpfchen Wachslicht wert war, das dabei herunterträufelte. Aber das ist nicht genug, daß ich unserm Herrn Gott sein Taglohn abverdiene; ich weiß auch daß ich ihm nicht mehr abnehme als ich soll, und daß ich alles übrige in Kassa lasse, was mir nicht zukommt. Des mögen sich wohl wenige von den Herrn rühmen, die, wie man sagt, ihr Glück gemacht haben, und noch viel weniger diejenigen, die es [1259] noch machen wollen. Das ist heutzutage die nobelste Ambition, so viel von Geld und Ansehen unter dem Schein Rechtens zu sich zu packen, als in die Tasche gehen will; und wer vollends recht klug ist, der steckt den Kindern die Schubsäcke von dem voll, was der Papa nicht tragen kann. Das aerarium publicum kömmt ihnen vor, wie die Elbe, die nach Hamburg fließt, und wovon ein jeder Mittelmann sein Tönnchen, dem Strom unbeschadet, wegschöpfen kann. Indessen sollen irgendwo alle Tropfen gezählt sein, und wer mehr genommen hat, als er soll, mag sich's selber zuschreiben. Hierzu kommt, lieber Freund, daß ich alles öffentlich tun darf, was ich tue, ohne zu sorgen, wie es wird aufgenommen werden. Wenn ich meine Hecken beschneide, und meine Bäume pfropfe, so bin ich gewiß, man wird keinen Gift daraus saugen. Ich darf allen meinen Witz aufbieten, meine Wiesen zu wässern, oder mir neue anzulegen, und man wird es dem Fürsten nicht auf der schwarzen Seite vorstellen. Vorher hätten sie mich gern der öffentlichen Untreue beschuldigt, wenn sie mich hätten überführen können, des Jahrs hundert Taler zurückgelegt zu haben. Nun darf ich mein Fuder Heu und Korn öffentlich einführen. Wenn ich auf meinem Polsterstuhle unter meinen Hausgenossen obenan sitze, so wird niemand auf diese Ehrenstelle Anschläge machen; und hinter mir wird kein gepuderter Lakai seinen Kameraden über mich Gesichter zuschneiden, wenn ich einen guten Bissen in Mund stecke.

Solange sich noch das Wetter ändert, werd ich nicht leicht über Einförmigkeit zu klagen haben. Denn es sind wenig Wolken und Winde, die ich nicht nötig hätte. Sie interessieren mich samt und sonders, und der Krieg und Friede den sie respektive führen, ist ein so weitläufiges Feld für mich, wie ehedem das Interesse der mächtigsten Häuser. Sie tun mir auch würklich mehr Schaden oder Nutzen, als die andern großen Herren, die mir als Dii minorum gentium unter jenen zu stehen scheinen.

Die Edukation meiner Kinder wird mir in keinem Betracht teuer zu stehen kommen; denn ich wüßte nicht, was ich hier zu verbergen hätte. Sie dürfen in alles sehen. Weit und breit, ist, gottlob, kein Buch und kein Schelm, den ich zu fürchten hätte. Mein Mädchen wird in die Höhe schießen, ohne Inklinationen gehabt zu haben; und, ohne zu wissen wo ihr Cœur und ihre Couleur sitzt, wird sie zur Hausfrau geschickt werden. Mein Junge wird mit Pferd und Geschirr umgehen lernen, und wenn [1260] er 20 Jahr alt ist, seine Fäuste wahrscheinlich besser brauchen können, wie sein Vater.

Vorher war meine Liebhaberei ein Ding, das ich treiben mußte, wie einer, der eine Mätresse unterhält. Wenn's herausgekommen wäre, daß ein Mann, der das Referat beim Fürsten hatte, sich mit einer verdorbnen Stelle im Aristophanes eine ganze Stunde herumgeplackt hätte; oder wenn einer der Räte, die ich zuweilen ausputzen mußte, den Pollux unter meinen Papieren aufgeschlagen gesehen: so war's um mein ganzes Ansehen getan. Jetzo darf ich meine Liebhaberei öffentlich sehen lassen, wie eine angetraute Hausfrau; ich kann mit jedem davon reden, und jeder versteht mich. Da ich nicht mehr im Empyräo des Intellektuellen wandle; so darf ich nicht mehr, wie ehedem, monatelang auf einen vernehmlichen Menschenlaut harren; sondern, wo Erde ist, sammlen sich Menschen zu mir, und ich sehe alle Tage mehr, sie sind Fleisch von meinem Fleisch, und Bein von meinem Bein. Viele sind ebenso gut, wie ich, und gar viele gescheuter. Dies ist ein Trost, der einem nicht eher zuteil wird, bis man ihn wenigstens zur Hälfte wert ist. An einer Tafel mit drei Servicen lernt man nicht langsam kauen, und der Handwerkspurschenmut läßt sich nicht in einer Berline à ressorts erjagen. Man muß hübsch zu Fuße mit dem Bündel auf dem Buckel reisen, wenn man auf der Landstraße singen lernen will.

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TextGrid Repository (2012). Merck, Johann Heinrich. Erzählung. Geschichte des Herrn Oheims. Geschichte des Herrn Oheims. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3396-2