Haus- und Familienreden

1. »Willst Du glücklich sein, so sei's daheim!«

(Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. 1. Jg. Nr. 7. S. 54–55. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1875). Reprint in: Karl May (Hrsg.): Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. Mit einer Einführung von Klaus Hoffmann. Hildesheim, New York: Olms Presse 1979.

[54] 1.

»Willst Du glücklich sein, so sei's daheim!«

»Daheim,« 's ist doch ein traulich, schönes, liebes Wort, und wer von den Stürmen des Lebens auf lange Zeit hinausgetrieben worden ist in die Ferne oder in einer schneidigen, finsteren Wintersnacht auf freiem Felde sich verirrt und vergebens nach dem rechten Wege sucht, der fühlt die Bedeutung desselben wohl eher als Derjenige, welcher den größten Theil seiner Zeit auf dem Großvaterstuhle hinter dem Ofen verdämmert und den Frieden und die Ruhe der Heimath nie entbehrt hat.

Das Streben nach dieser Ruhe, diesem Frieden ist mit großer Weisheit einem jeden Menschenkinde in das Herz gelegt, und nur durch dasselbe entsteht die Familie, aus welcher sich die Gemeinde und der Staat entwickelt. Sie, die Familie, ist diejenige Lebensgemeinschaft, von welcher das Wohl und Wehe sowohl des Einzelnen als auch des Ganzen abhängig ist, und die Gründung eines eigenen Heerdes sollte deßhalb nie anders als nach ernster Prüfung und reiflicher Erwägung vorgenommen werden.

Und doch, wie viele Menschen springen ohne Ueberlegung in die Ehe hinein oder lassen sich gedankenlos oder gar widerwillig von den Verhältnissen zur Schließung einer Vereinigung bestimmen, von deren Bedeutung sie kaum eine nothdürftige Anschauung besitzen! Wenn man das junge Volk der Gegenwart beobachtet, so kann es Einem wirklich weh um's Herz werden über den Eifer, mit welchem man sich dem sogenannten »Genusse der Jugend« in die Arme wirft und in der Verschwendung seiner kostbaren Zeit, seiner Mittel und Kräfte. Das versäumt und vernachlässigt, was zum rechten, wahren Frieden dient.

»Seid fröhlich mit den Fröhlichen« ist ein sehr berechtigtes Wort, und es ist ein köstlich Ding um die rechte, [54] wahre Herzensfröhlichkeit; aber das Haschen nach dem Vergnügen, wobei die ernsten Zwecke des Lebens aus dem Auge verloren werden, hat mit dieser Fröhlichkeit Nichts gemein. Jedem Rausche folgt ein Katzenjammer; es ist hier nicht blos der angetrunkene Rausch gemeint, und gar Mancher hat für die ganze Zeit seines Lebens an dem Niederschlage zu leidenwelcher einer der Sinnenlust gewidmeten Jugend zu folgen pflegt. Und doch, wie Viele, Viele wissen das nicht zu beherzigen. –

Die erste Lebensaufgabe des Erdenbürgers ist, sich einen festen Punkt zu suchen, um daselbst seine Lanze in die Erde zu stecken und das Zelt zu errichten, unter welchem er in fröhlicher Arbeit »ruhig und sicher wohne im Lande des Lebens.« Wer in seinen jungen Jahren versäumt, diese Aufgabe zu lösen, dem wird ihre Lösung je später, desto schwieriger, und deßhalb haben wir so viele Familien zu beklagen, welchen es an einer »bleibenden Stätte« fehlt, und an einem Orte, an welchem sie »ihr Haupt zur Ruhe legen« können.

Schaffe daher ein Jeder mit Ernst und weiser Sparsamkeit an dem Baue eines eigenen Heerdes und bemühe sich, vorsichtig zu sein in der Wahl Derjenigen, denen er sich für die Zeit der irdischen Wanderschaft, anzuschließen hat; denn »Wohl dem Hause, welches fest steht auf seinem Grunde und Liebe und Eintracht wohnen unter seinem Dache. Der Mann ist glücklich, der es hat!«

[55]

2. »Was willst Du werden«

(Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. 1. Jg. Nr. 13–14. S. 102 u. 110. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1875). Reprint in: Karl May (Hrsg.): Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. Mit einer Einführung von Klaus Hoffmann. Hildesheim, New York: Olms Presse 1979.

[102] 2.

»Was willst Du werden?«

Es wird nur wenige Menschen geben, welche diese Frage nicht schon gehört und sie an Andere gerichtet haben. »Was willst Du werden?« sind Worte, deren Bedeutung nicht eine blos geschäftliche, blos wirthschaftliche, sondern wohl auch eine noch höhere ist, und die Natur, die Erziehung, die Verhältnisse haben sie zu beantworten.

»Was meinest Du, will aus dem Kindlein werden?« fragt die biblische Sage von dem Knaben Johannes, und wie in der frommen Erzählung, so sollte man diese Frage aller Orten schon an die zarte Jugend, an das Kind, ja an den Säugling richten, denn in ihm liegen die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Eigenschaften des zukünftigen Mannes im Schlummer und sollen nach bestem Vermögen geweckt, gepflegt und ausgebildet werden.

»Was willst, was sollst Du werden,« haucht es im ersten Athemzuge des Neugeborenen, und die einzig richtige Antwort lautet: »Ein guter Mensch, ein nützliches und brauchbares Glied der großen Gesellschaft, welche wir Menschheit nennen.« Die Erfüllung dieses Versprechens ist durch die Gaben, welche einen Jeden verliehen sind, ermöglicht, wird durch die Erziehung und den Unterricht vorbereitet und soll ausgeführt werden durch treuen Gehorsam gegen die Pflichten, welche das Leben Demjenigen auferlegt, der sich froh und glücklich fühlen will im Kreise der ihn Umgebenden.

Die unendliche Weisheit des Schöpfers hat die Gaben nicht gleich, sondern nach Art und Grad verschieden ausgetheilt, denn diese Verschiedenheit ist die erste Bedingung eines friedlichen und erfolgreichen Zusammenwirkens der nach Millionen zählenden Erdenbürger. Keiner von ihnen allen darf sagen, daß er von der Vorsehung ohne Schuld vernachlässigt worden sei und findet, wenn er es thut, eine strenge Zurechtweisung in dem unumstößlichen Gesetze, daß die Sünden der Väter an den Kindern heimgesucht werden bis in das dritte und vierte Glied.

Mit der rechten Würdigung dieses Gesetzes hat der Einfluß der Eltern zu beginnen, wenn er ein glücklicher sein und Segen bringen soll. Eltern, welche sich an Körper, Geist und Herz gesund erhalten, werden diese Gesundheit auch auf ihre Kinder vererben und mit derselben alle diejenigen Eigenschaften, welche die Erfordernisse einer nach göttlichen und menschlichen Gesetzen normalen Entwickelung bilden.

Hieraus folgt für alle Väter und Mütter die heilige Verpflichtung, nie aus den Augen zu lassen, daß nach dem biblischen Ausspruche der Leib ein Tempel des heiligen Geistes sei, der in ihm wohnet. Geschieht das, so wird sich der Erziehung stets ein fruchtbarer Boden bieten, welcher die auf ihn verwendete Pflege mit tausendfältigem Ertrage lohnt.

Sie, die Erziehung, muß vor allen Dingen die Art und Weise und die Triebkraft der zu entwickelnden Keime kennen lernen. Leider entgeht so vielen Erziehern der zu dieser Beurtheilung so nothwendige Scharfsinn, und wir dürfen uns daher nicht wundern, daß das Leben und die Thätigkeit so vieler Menschen als verfehlt und erfolglos zu bezeichnen sind, weil sie gleich von den ersten Stunden des Daseins an in eine falsche Richtung geleitet wurden.

Tausende von Ehen werden geschlossen, ohne daß Diejenigen, welche auf die Bezeichnung Vater und Mutter Ansprüche machen, auch wirklich Vater und Mutter zu sein verstehen. Sie kennen weder ihre Pflichten, noch besitzen sie die Befähigung, dieselben zu erfüllen. Eine Menschenseele ist ein köstlich Ding und darf ihr Dasein nicht einem Augenblicke bloser sinnlicher Erregung, einer Handlung des Leichtsinnes zu verdanken haben. Fragen solche Eltern ihr Kind: »Was willst Du werden?« so wird die Zukunft wohl nur in Ausnahmefällen die erwünschte Antwort ertheilen: »Etwas Rechtes.«

[102]

[110] Sind die im Kinde gebotenen Kräfte erkannt worden, so müssen dieselben in der rechten Art und Weise behandelt und zur Entwickelung gebracht werden. Hier ist ein fester Plan nothwendig, nach welchem gehandelt und jeder einzelne Fall beurtheilt werden muß. Aber in wie viel Familien ist dieser Plan zu finden!

Es ist nicht zu viel gesagt mit der Behauptung, daß leider die meisten Eltern vollständig planlos handeln, und wenn trotz dieses Umstandes das junge Bäumchen fröhlich emporwächst und zu seiner Zeit zum Blühen und Früchtetragen kommt, so ist dieses Gedeihen wohl der Gesundheit des Keimes, einem glücklichen Instincte der Eltern und der günstigen Einwirkung zufälliger Verhältnisse, wenn nicht gesagt werden soll, dem Schutze der Vorsehung zu verdanken.

Selbst der beste Plan wird erfolglos, wenn er nicht mit der gehörigen Energie durchgeführt wird, und hier begegnen wir unzähligen Nachlässigkeits- und Schwachheitssünden, welche sich ganz besonders die falsche Liebe der Eltern oder der Mangel an rechter Einigung zu Schulden kommen läßt. Der meiste Zwist zwischen Ehegatten kommt von den Kindern her und hat um so nachtheiligere Folgen, als dergleichen Uneinigkeiten in so vielen Fällen vor den Augen der Kinder ungenirt verhandelt werden.

»Was willst Du werden?« Diese Frage wird gewöhnlich nur in Beziehung auf den gewerblichen Beruf ausgesprochen, und die Entscheidung ist dann nicht allein von der Neigung und Begabung des Kindes und der Meinung der Eltern, sondern auch von dem Stande und Einflusse der Verhältnisse abhängig.

Die Neigung zu irgend einem Berufe ist, wenn sie nicht absichtlich von den Eltern geweckt wurde, eine Stimme der Natur, welche sich schon in den frühesten Kinderjahren bemerklich macht und die aufmerksamste Beachtung verdient. Ganz besonders ist sie in den Spielen der Jugend, den Lieblingsbeschäftigungen des Knaben, der Leichtigkeit, mit welcher er das Eine bewältigt und der Schwierigkeit, welche ihm das Andere verursacht, zu erkennen, und es ist natürlich einleuchtend, daß ein Beruf nur dann den möglichsten Segen und Erfolg bringt, wenn ihm mit Lust und Liebe obgelegen wird, was nur der Fall ist dann, wenn man Neigung und Begabung für ihn besitzt.

Freilich muß man bemerken, daß der Einfluß der Verhältnisse fast stets die bedeutendste Stimme bei der Berufswahl besitzt. Was der Großvater war und der Vater ist, das muß der Sohn auch werden, gleichviel, ob er Lust dazu empfindet; die Gewohnheit, die Armuth, die Beschränktheit des Arbeitsgebietes erfordern es, und daher kommt die Ueberfüllung gewisser Bezirke und Berufsarten mit Arbeitskräften, welche bei den herabgedrückten Löhnen kaum das nackte Leben zu fristen vermögen und seit des Ueberganges ihrer Arbeit an die Maschine auch keine Hoffnung hegen dürfen, daß sich ihr immer mehr aussterbender Beruf wieder heben werde.

[110]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). May, Karl. Aufsätze, Reden, offene Briefe und Sonstiges. Haus- und Familienreden. Haus- und Familienreden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2FD9-2