[5] Schätze und Schatzgräber

Je mehr das Licht der Wissenschaft die Finsterniß, welche Jahrtausende lang auf den Geistern ruhte, durchdringt, desto mehr schwindet der Aberglaube, und eine vorurtheilsfreie Weltanschauung bricht sich mehr und mehr Bahn.

Ein besonders gern gehegter Zweig des Aberglaubens war der Glaube, daß man vergrabene Schätze mit Hilfe gewisser Geister heben und sich erringen könne. Viele Opfer sind ihm gefallen, und noch heute giebt es ganze Provinzen, in denen er trotz aller Aufklärung von einem großen Theile der Bewohner festgehalten wird.

Doch nicht solche mehr als zweifelhafte Schätze sind es, an die ich gegenwärtig denke, sondern ich meine jene wirklichen, reellen Reichthümer, welche die Erde in ihrem Innern birgt und nach denen die geschäftige Industrie ihre nimmer ruhenden Hände streckt.

Nur sechs Meilen stark schätzt man die feste Kruste, unter welcher das Centralfeuer seine glühenden Wogen schlägt; von Fuß zu Fuß nimmt die Hitze zu, welche dieser Hölle entströmt, und tausenderlei Gefahren grinsen dem Sterblichen, welcher sich einen Weg in jene Tiefen bahnt, entgegen. Aber der Herr der Schöpfung kennt kein Hinderniß, welches er nicht endlich doch noch zu bewältigen vermöchte, und wie der Maulwurf seine Gänge durch die Krume des Ackers und den Rasen der Wiese gräbt, so wühlt sich der Bergmann als Pionnier der Industrie hinab in das Dunkel der Tiefe und entreißt den dort herrschenden Mächten Reichthümer, für die weder Maaß noch Zahl zu finden ist.

Ja, ein Schatzgräber par excellence ist der Bergmann, und keiner seiner Rivalen darf sich mit ihm messen. Der Lavadore Süd- und Mittelamerika's, der Arbeiter der kalifornischen und australischen Golddistrikte, der indische und brasilianische Diamantenwäscher, sie fördern Schätze zu Tage, mit deren Kaufwerthe der Ertrag des gesammten Bergbaues der Erde sich nicht vergleichen läßt; suchen wir aber nach dem Segen, den diese leichterworbenen Schätze über die Bevölkerung jener Länder gebracht haben, so werden wir meist nur betrübende Erfahrungen machen.

Welch' ein erfreuliches lebensvolles Bild dagegen bieten z.B. diejenigen Länder, in denen man das unscheinbare Eisen, die schwarze, häßliche Kohle bergmännisch gewinnt und beide, Eisen und Kohle als König und Königin der Industrie vermählt, um ein Reich zu schaffen, in welchem der Bergmann als erster Held und tapferster Ritter die höchsten Ehren erndtet!

Im dunkelen Kleide, dessen Farbe die Gefahren versinnbildlicht, mit denen er zu kämpfen hat, mit übergeschnalltem Hinterleder, das kleine Lämpchen vorn am Gurte, so verschwindet er im Mundloche des Schachtes, um erst nach vollendeter Schicht wieder an das Licht des Tages empor zu steigen. Aber so unspruchslos sein Wesen erscheint, er weckt mit dem Schlage des Fäustels tausend Industrieen, giebt Millionen von Menschen Arbeit und Erwerb, begründet das häusliche Glück unzähliger Menschen, befördert das große Werk der Wissenschaft und ebnet die Bahn, auf welcher Bildung und Gesittung ihren Lauf vollenden.

Er ist der einzige und rechte Schatzgräber, und wo ich ihm begegne, treibt mich die Anerkennung immer zu einem herzlichen


»Glück auf!«


Notizen
(Mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May verfaßt). In: Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. 1. Jg. Nr. 1. S. 5. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1875). Reprint in: Karl May (Hrsg.): Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg- Hütten- und Maschinenarbeiter. Mit einer Einführung von Klaus Hoffmann. Hildesheim, New York: Olms Presse 1979.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). May, Karl. Schätze und Schatzgräber. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2DD7-3