[153] Eitelkeit des Weltglücks und des Hoflebens

Du Wetterhahn der Welt, du Fallbret unsers Lebens,
Du Gaukelspiel der Zeit, o Glücke, gute Nacht!
Die Menschen zünden dir den Weihrauch an vergebens;
Dein taubes Ohr giebt nie auf Wunsch und Andacht Acht.
Wenn du einmal dein Rad, wir eine Hand umdrehen,
Sehn wir Colossen fall'n und schweres Erz verwehen.
Ich aber schätze dich weit über Ganges Schätze,
Du ird'sches Paradies, du Hafen süßer Ruh',
Weil hier kein Wütherich giebt knechtische Gesetze,
Weil die Natur uns hier läßt allen Willen zu,
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Wo die Begierde nie aus dem Geschirre schläget,
Vergnügung und Vernunft sich in ein Bette leget.
Verdammter Heirathsschluß! unselige Vermählung!
Wo Geiz ein gülden Nichts bebrütet Tag und Nacht,
Wo der sonst todte Schatz nur lebt zu unsrer Quälung,
Wo Ueberfluß uns arm und unersättlich macht,
Wo wir, wie Tantalus, beim Reichthum Hunger leiden,
Des Nachbars dicke Saat und fettes Euter neiden.
Die güldnen Berge sind kein Merkmal güldner Länder;
Wo Gold in Flüssen schwimmt, da rinnt auch Ueppigkeit;
Dies Erz heckt aus den Geiz, der Geiz gebiert Verschwender;
Wo man das Gold nicht kennt, da ist die güldne Zeit,
Und da die eiserne, wo man schärft Stahl und Degen
Und nicht das Eisen schmelzt zu Pflugschaar und zu Eggen.
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Wie herrlich lebt man hier, wenn dort der Tisch der Fürsten
Das kaum erschwitzte Brot oft halb verschimmelt giebt,
Wenn oft selbst Könige bei voller Tafel dürsten,
Aus Sorge, daß Jemand wo ihnen Gift einschiebt,
Wenn man vor eigner Wach' und Sklaven sich erschüttert
Und als ein Espenlaub vor Schatten bebt und zittert!
Hier aber wohnt die Ruh' und sicheres Vergnügen;
Die Einfalt weiß von Mord und von Vergiften nicht.
Die Tiger sind hier zahm, der Wolf spielt mit den Ziegen,
Und keine Natter kann hier bleiben, welche sticht.
Betrug und Arglist heißt bei Hof' ein Meisterstücke;
Hier weiß man Nichts von List, als, wie man's Wild berücke.
Bei Hofe weiß ein Greif zur Taube sich zu machen,
Ein Fuchs ist mit der Haut der Lämmer angethan,
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Der Panther scheint ein Schaf, die Geier und die Drachen
Sieht man für Vögel oft des Paradieses an;
Alleine dieses Fell, die Federn, diese Sitten
Sind Angeln nur, wovor sich Niemand weiß zu hüten.
Oft wenn das Auge weint, da kitzelt sich das Herze;
Ein Todfeind macht sich dort die Freundschaftslarve für;
Der Morddolch wird versteckt in eine Hochzeitkerze,
Und im Liebkosenden steckt oft ein Tigerthier.
Uns schwimmt das Innerste des Herzens auf dem Munde;
Dort geußt man Oel in Gluth, hier aber in die Wunde.
Die Liebe selber wird bei Hof' ein Ungeheuer,
Die Tochter der Natur zur Mißgeburt der Welt.
Geiz, Ehrsucht, Wollust macht da nur ein todtes Feuer,
Das nicht zum Herzen dringt und selten Farbe hält;
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Denn Niemand frei't die Braut, die ihm, er ihr entgegen;
Der buhlet um ein Amt, ein Andrer um's Vermögen.
Hier aber weiß man Nichts von so verfälschtem Lieben,
Gestalt und Tugend ist hier nur das Heirathsgut.
Die Ehberedung wird dort auf's Papier geschrieben;
Das Herz ist hier der Brief, die Tint' ihr Beider Blut;
Ja, man vergräbet hier auf einmal und zusammen
Die Asche der Gebein' und auch der Liebesflammen.
Laßt Fürsten im Palast auf glattem Marmor gleiten,
Von Sammet und Damast früh ohne Schlaf aufstehn,
Wozu sie dennoch sich Mohntränke zubereiten!
Wir woll'n auf Kräutern ruhn, auf weichen Rosen gehn,
Mit der itzt müden Sonn' uns froh zu Bette machen
Und mit der Morgenröth' erst wiederum erwachen.
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Bei Hofe trinkt man Gift aus kostbaren Krystallen;
Wir süßen Wein aus Thon, rein Wasser aus der Hand.
Die Mißgunst schenkt dort ein der Tugend ärgste Gallen;
Auf unsern Wiesen ist auch Wermuth unbekannt.
Dort sticht der Skorpion des Neides; hier nur Bienen,
Wofür ihr Honig uns doch muß zum Labsal dienen.
Der Wind ist nicht so sehr veränderlich im Märzen,
Als sich des Hofes Gunst, des Glückes West verkehrt.
Wenn er mit Zweigen scheint zu spielen und zu scherzen,
Sieht man, daß er, wie Blitz', in Cedernstämme fährt.
Die früh des Pöbels Gott, der Fürsten Schooßkind waren,
Die schleppt ein Henkersknecht des Abends bei den Haaren.
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Der Rosen Purpurhaupt, der edeln Lorbeern Wipfel
Entgehn des Hofes Sturm, des Glückes Wettern nicht;
Denn dies sucht Ruhm daraus, wenn's himmelhohe Gipfel
Zerschmettert, Riesen fällt und große Maste bricht,
Wenn's denen, die sich hüll'n in Gold und Edelsteine,
Giebt Ruder in die Hand, legt Ketten an die Beine.
Ja, wem gleicht sich der Hof mehr, als gemalten Schiffen?
Die Fesseln scheinen Gold, die Ruder Elfenbein.
Ob diese gleich von Schweiß, auch oft von Blute triefen,
Meint Jeder doch ein Herr, kein Ruderknecht zu sein,
Ob dessen Fuß gleich nur von Banden wird gekränket,
Ein Höfling aber liegt an Seel' und Geist umschränket.
Bei uns ist Jedermann sein Herr, sein Fürst, sein König;
Man dringet uns kein Joch, auch wir Niemandem auf;
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Jedweder ist vergnügt und Keiner uns zu wenig;
Der Tugend lassen wir den Preis, der Zeit den Lauf.
Wer für's gemeine Heil will Schweiß und Witz verwenden,
Dem hilft man selbst an's Bret und trägt ihn auf den Händen.
Dort tobet Glück und Neid auch auf die Ehrenmale,
Zermalmt Erz und Porphyr, wirft Bilder in den Schach.
Der Schutzherr gestern war, der steckt heut' auf dem Pfahle,
Der ihn jüngst segnete, ruft jetzt »du Schelm!« ihm nach.
Hier weiß man Nichts von Fluch, der Andrer Ruhm versehre;
Die Andacht klimmt zu Gott, die Tugend strebt nach Ehre.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lohenstein, Daniel Casper von. Gedichte. Gedichte. Eitelkeit des Weltglücks und des Hoflebens. Eitelkeit des Weltglücks und des Hoflebens. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-1D44-8