Johann Michael von Loën
Der Redliche Mann am Hofe
Oder die
Begebenheiten des Grafens von Rivera
In einer auf den Zustand der heutigen Welt gerichteten Lehr- und Staats-Geschichte

Vorbericht

Vorbericht.

Gegenwärtige Blätter sind in gleicher Absicht, als die Begebenheiten des Telemachs, des Cyrus und des Gethos geschrieben; ob sie gleich in der Art des Vortrags so weit davon abgehen, als die jetzige Welt von der alten unterschieden ist. Der Verfasser beschreibet hier die Menschen, wie sie heut zu Tage sind, und wie er selbsten hat Gelegenheit gehabt, sie kennen zu lernen.

Er hat den Hof, als die gröste Schule der Welt, zu seinem vornehmsten Schauplatz gemacht; andere Stände und Lebens-Arten aber gleichsam als Zwischen-Spiele mit eingeführet; damit ein jeder Leser etwas finden mögte, das er sich zueignen könte. Die Laster und Thorheiten der Menschen haben nicht allein etwas trauriges, sondern auch etwas lächerliches. Ein Heraclytus hatte ehedessen solche beweinet und ein Democritus belachet. Der Verfasser scheinet hier bald der Ernsthafftigkeit des einen, bald der Munterkeit des andern zu folgen, und sich in Ansehung des letztern nach dem Geschmack solcher Leute zu richten, die nur zum blossen Zeitvertreib lesen, und denen auf eine andere Art keine Wahrheit nicht wohl beyzubringen ist.

Im menschlichen Leben kommen allerhand Um stände vor; der Verfasser hat hier meistens solche Personen aufgeführet, die durch ihr Exempel lehren. Der Graf von Rivera zeiget einer jungen Standes-Person, wie sie, bey den Erhebungen ihres Glückes, sich mässigen und ihre Begierden einschräncken soll. Er kan in einer so durchaus verdorbenen Welt vielleicht zum Muster der Unschuld und der Redlichkeit dienen. Dergleichen Menschen sind heutiges Tages rar. Man glaubet nicht mehr, daß sich die Tugend noch für artige Leute, am wenigsten aber, daß sie sich an Hof schicke; Es ist auch wahr, daß sie da insgemein eine gar schlechte Figur zu machen pflegt. Die Aufführung des Grafens von Rivera zeiget uns nichts desto weniger, daß sie allenthalben zu Hause sey; und daß, wo sie nur ein wenig Klugheit begleitet, sie alle und jede Menschen zu ihrer Verehrung zwinget.

Man siehet in dem Character der Gräfin von Monteras eine junge Dame von einer hohen und zärtlichen Gemüths-Art, die eine Crone verachtet, um einem Cavalier ihre Gunst vorzubehalten, welchen sie derselben seiner Tugenden halber am würdigsten schätzet.

Der Einsiedler giebt ein lebhafftes Beyspiel von einem ruchlosen Menschen, welcher durch eine ausserordentliche Gnade ist bekehret worden; und welcher dahero auch im Stand ist, die besten Lehren zu geben.

Der Herr von Riesenburg hat dem Ansehen nach etwas leichtsinniges und flatterhafftes; im Grund aber das beste Hertz, und eine würckliche Liebe zur Tugend.

Der Herr von Greenhielm hingegen zeiget etwas gründliches und ernsthafftes, welches zugleich mit einer besondern Anmuth und Lebhafftigkeit begleitet ist: man siehet in seiner Jugend einen Eifer die Welt und die Menschen zu kennen; und in seinen reiffen Jahren.

Inhalt

Inhalt des ersten Buchs.


Der Graf von Rivera wird an den Aquitanischen Hof beruffen: er entdecket darüber seine Zweifel dem Herrn von Bellamont, welcher ihm solche benimt, und durch die Erzehlung seines Lebens ein Beyspiel gibt, daß man auch durch die Auffrichtigkeit in der Welt sein Glück machen könte. Der Graf begibt sich darauf nach Hof; findet aber an demselben eine solche Unordnung, daß ihm darüber bange wird. Er verirret sich auf einem Spatziergang in einem Wald und kommt zu einem frommen Einsiedler.


Inhalt des andern Buchs.


Der Einsiedler erzehlet seinen Lebens-Lauf: Einige Bubenstücke, die er verübet, jagen ihn aus seinem Vaterland: er begibt sich nach Licatien in Kriegs-Dienste, ersticht einen im Zweykampf, und flüchtet nach Aquitanien: er kommt durch seinen Verstand bey Hofe empor, mißbrauchet ihn aber zu allem Bösen. Er vergiebt seiner Frauen mit Gifft und verliebt sich darauf in eine tugendhaffte Dame welche die erste Gelegenheit zu seiner Bekehrung ist. Er verläßt endlich den Hof, fällt in grosse Anfechtungen, wird von einem Franciscaner zurecht gewiesen, und gibt Anlaß zu Erbauung der Königlichen Einsiedeley.


Inhalt des dritten Buchs.


Der König von Aquitanien verliebt sich in die junge Gräfin von Monteras: Diese aber hatte sich schon von dem Grafen von Rivera einnehmen lassen: sie erzehlet diese Begebenheit ihrer Gesellschaffts-Fräulein: der Graf von Rivera, der auf gleiche Art sich von ihr gerühret fand, entdecket an dem König seinen Mitbuhler. Die Gräfin begibt sich auf ihr Land-Gut nach Prato: der König besucht sie daselbst in Begleitung des Grafens von Rivera. Die Hertzogin von Salona eröffnet einer listigen Frauen, Namens Corinna, ihre Liebe für den Grafen von Rivera; welche ihr verspricht denselben in ihre Hände zu spielen.


Inhalt des vierdten Buchs.


Der König sendet den Grafen von Rivera, als seinen vertauten, nach Prato zu der Gräfin von Monteras; der Graf aber wird von ihr auf die Erwehnung des Königs ziemlich verächtlich empfangen, und von einem Cammer-Diener des Königs ausgelauret: dieser verräth den Grafen bey dem König, daß er darüber in Ungnade fällt, und nach der Vestung Rozzomonte gebracht wird. Welchen Zufall die Gräfin von Monteras sich dergestalt zu Gemüthe ziehet, daß sie darüber hefftig erkrancket.


Inhalt des funfften Buchs.


Der Graf wird von dem Commendanten auf der Vestung wohl empfangen, und trifft allda eine lustige Gesellschafft an. Corinna thut unterdessen dem Hertzogen von Sandilien einen Vorschlag, den Grafen an die Hertzogin von Salona zu vermählen, um dadurch dem König die Eyfersucht zu benehmen: der Hertzog williget darein, und lässet dem Grafen durch den Herrn von Ridelo den Vortrag thun; welcher aber mit allen seinen Vorstellungen nichts bey ihm ausrichten kan.


Inhalt des sechsten Buchs.


Der Graf von Rivera kommt in Bekanntschaff mit dem Freyherrn von Riesenburg: dieser erzehlet seine Begebenheit, wie er auf der Reise nach Monaco sich in die Fräulein von Thurris verliebet, sie vom Closter abwendig gemacht, sich mit ihr versprochen; darauf aber ihren Bruder, der diese Heyrath nicht zugeben wolte, im Zweykampf erschossen hätte.


Inhalt des siebenden Buchs.


Der König wird von neuem auf den Grafen erzörnet, da er vernimmt, daß er sich zu der vorgeschlagenen Heyrath nicht verstehen will: er suchet deßwegen den Grafen heimlich aus dem Weg zu schaffen, und befiehlt dem Graf Lesbo, seinem ältesten Generalen, denselben im Krieg der grösten Gefahr auszusetzen: der Graf wirbt ein eigen Regiment, und führet darin eine treffliche Kriegs-Zucht ein. Der General Lesbo sucht ihm darauf allerhand Schlingen zu legen; aus welchen ihn aber die Vorsehung rettet: der General erstickt im Morast auf der Flucht. Der Graf im Gegentheil erhält die völlige Ehre des erfochtenen Sieges: Der Freyherr von Riesenburg rettet ihm das Leben, und der Graf dasjenige eines feindlichen Befehlhabers. Welche drey zusammen darauf sich nach Hof verfügen.


Inhalt des achten Buchs.


Unterwegs erzehlet der Herr von Greenhielm, als des Grafens Gefangener, seinen Lebens-Lauf: er findet bey einer seiner Basen eine Zusammenkunft der andächtigen Leute: seine Schwester eröfnet ihm ihre Liebes-Geschicht mit ihres Pachters Sohn: der Herr von Greenhielm störet deswegen die Versammlung dieser Schein-Frommen; er führet mit seiner Basen ein nachdenckliches Gespräch von der wahren Frömmigkeit; und erzehlet hernach seine gethane Reisen, seine Beforderung bey Hofe und seine mit einer Dame unglücklich ausgeschlagene Liebe.


Inhalt des neundten Buchs.


Der Freyherr von Riesenburg erzehlet die Begebenheit seines Hofmeisters. Der Graf von Rivera kommt nach Hofe, und findet den König kranck; er beredet ihn auf die Einsiedeley zu gehen, und bringet ihn durch die Mäßigkeit und durch die Bewegung wieder zurecht. Er führet dabey ein Gespräch mit dem alten Einsiedler über die Ergötzlichkeiten dieses Lebens. etc. etc.


Inhalt des zehenden Buchs.


Der Graf verreiset nach Licatien, um den Frieden mit dem König dieses Namens zu schliessen. Unterwegs kommt er auf ein Dorf, wo Kirchweyh ist, und findet daselbst die Gräfin von Monteras: die Umstände davon, wie auch die bisherige Begebenheiten dieser Gräfin werden erzehlet. Der Graf eröffnet seine Friedens-Vorschläge dem König von Licatien, welcher aber den Grafen damit an seinen Staats-Minister verweiset: der Graf kan bey diesem nichts ausrichten, und bedienet sich deßwegen anderer Wege, um zu seinem Zweck zu gelangen.


Inhalt des eilften Buchs.


Der Graf reiset, nachdem er den Frieden mit den Licatiern zu Stande gebracht, zu dem Fürsten von Argilia, und besiehet den, von ihm nach einer vernünftigen und Christlichen Policey errichteten neuen Ort Christianopolis. Der Graf findet im Gasthause einen verunglückten Kaufmann: er rettet ihn von der Verzweiffelung und komt darauf, als ein Artz nach Hof.


Inhalt des zwölfften Buchs.


Der Herr von Güldenblech, als ein verunglückter Kaufmann, erzehlet dem Grafen seinen Lebens-Lauf: er wird in aller Weichlichkeit erzogen, und hernach auf hohe Schulen geschickt. Seine Mutter, als eine adeliche von Geburt, beredet seinen Vater, ihm ein Rittergut zu kauffen; die wilde Aufführung der Land-Juncker ist ihm zu wider. Die Annehmlichkeiten des Stadt-Lebens bewegen ihn seines Vaters Handlung zu übernehmen; ohneracht aber, daß er mit seiner Frauen ein grosses Gut zusammen gebracht, so gehet solches doch in kurtzer Zeit durch seine kostbare Haußhaltung und durch die viele Mißbräuche, welche er weitläuftig erzehlet, dergestalt zusammen, daß er, nach einiger dabey gehabten Unglücks-Fällen, banckerut wird.


Inhalt des dreyzehenden Buchs.


Der Graf erscheinet als ein Königl. Abgesandter an dem Argilischen Hof, und gibt sich der Fräulein von Thurris als ein Vertrauter von ihrem Geliebten zu erkennen. Die Printzeßin und die Fräulein finden den Grafen den andern Morgen im Garten: diese erzehlet ihre Begebenheiten, und wie sie an den Argilischen Hof gekommen wär. Der Fürst hält einige nachdenckliche Gespräche mit dem Grafen, worauf ihm dieser seine Absichten, wegen der Printzeßin seiner Tochter entdecket.


Inhalt des vierzehenden Buchs.


Der Graf kommt wieder nach Aquitanien: er zeiget dem König verschiedene Bildnüsse; rühmet aber die Schönheit der Printzeßin von Argilia vor allen. Der König gehet nach Aquana, um solche zu sehen. Verrätherey eines Fürsten von Kön. Hauß, der dem Herzog von Sandilien mit Gift vergeben wolte. Dieser verspricht seine Base dem Grafen, welcher mit dem König nach Aquana verreiset: der König verliebt sich in die Printzessin von Argilia. Das Beylager wird auf dem Lande in einem gräfl. Schloß gehalten: und die Liebe des Hn. von Riesenburg und der Fräulein von Thurris wird dabey mit glücklich gemacht.


Inhalt des fünffzehenden Buchs.


Der Ritter von Castagnetta erzehlet dem Graf seine sonderbare Begebenheiten: dessen vernünftige u. tugendhafte Erziehung: die Zärtlichkeit seines Vaters für ihn vermehren die Mißgunst seines Bruders: er gehet nach Hof und wird in den Geschäfften des ersten Staats-Ministers gebraucht. Die großmüthige Neigungen in der Liebe und in der Freundschafft bringen ihm Unglück: er verwundet den Sohn des ersten Staats-Ministers in einem gezwungenen Duell: Kommt auf seines Vaters Schloß, da dieser eben seinen Geist hatte aufgegeben, und gehet nach Sicilien. Er bekommt ein Commando auf der See, wird als ein Gefangener nach Tunis gebracht, gewinnet die Gunst des Bay, unterredet sich mit ihm vom christlichen Glauben und erhält endlich dessen Tochter, welche aber kurtz darauf in Sicilien stirbt. Er verheurathet sich zum andernmahl, aber unglücklich, und verläßt darauf den Hof, seine Frau und Sicilien.


Inhalt des Sechszehenden Buchs.


Der König hält mit der neuen Königin in Panapolis einen prächtigen Einzug, und erblicket an einem Fenster die Gräfin von Monteras: der Graf hat eine starcke Parthey gegen sich, und entfernet sich deßwegen eine Zeitlang von Hofe: Er sucht die Alpiner, welche zu ihm ihre Zuflucht genommen hatten, in ihren innerlichen Mißhelligkeiten aus einander zu setzen, wobey die üble Rathschläge eines Bürgerlichen Regiments und ihre unglückliche Folgen vorgestellet werden.


Inhalt des Siebenzehenden Buchs.


Der Graf gewinnet bey Hof die zwey geschickteste Staats-Bediente, welche ihm bißher entgegen waren: dessen Heurath mit der Gräfin von Monteras wird fest gestellet: Ein lächerlicher Zufall zwischen ihr und dem König, beschleuniget solche. Der Graf bezeiget seine Großmuth gegen den jungen Edelmann welcher bißher in seinen Diensten gestanden hatte, und freiet ihm die Fräulein von Bellamont. Dieser Edelmann erzehlet dem Grafen die Geschichten seiner Vorfahren: Ihrer beyder Vermählung geschiehet zugleich auf einen Tag, und der Graf erhält die Würden, Güter und Titul des Hertzogs von Sandilien.

Erstes Buch

[3] Die Begebenheiten des Grafens
von Rivera.
Erstes Buch.

Es wohnte nächst an den Adriatischen See-Küsten ein junger Graf, Namens Menander von Rivera. Die Natur hatte ihm alle grosse Eigenschaften gegeben welche einen Menschen über andere erheben. Er war von einer überaus angenehmen Bildung, von einer etwas mehr als mittelmässigen Länge und durchaus schön gewachsen. Aus seinen Augen blitzte so viel Anmut als Ernst. Wer ihn sahe, der fand sich von etwas gerühret; er konte einem nicht wohl gleichgültig seyn. Man mußte mit ihm die Annehmlichkeiten theilen, wenn er vergnügt war und man empfand nicht minder eine gewisse Unruh, wenn man ihn leiden sah. So künstlich flößte die Natur dasjenige andern ein, was bey ihm die Gerechtigkeit und Liebe wirkten. Er war [3] nicht allein in den Wissenschaften des Staats, sondern auch in der Welt-Weisheit und schönen Künsten gründlich gelehrt. Sein Verstand war zu allem aufgelegt, er besaß so viel Witz, als Einsicht und Uberlegung: er hatte dabey das beste Herz, und dessen Neigungen waren um so viel reiner und tugendhafter, weil sie durch eine verborgene Gottesfurcht regieret wurden.

Nachdem er einige fremde Länder gesehen und darauf eine Zeitlang sich an dem Aquitanischen Hof aufgehalten hatte; zog ihn die Begierde zu den Studien wieder nach seiner Herrschaft zurück. Er hatte bereits ein Jahr darauf in süssester Ruhe zugebracht, als der König von Aquitanien sich seiner erinnerte, und ihn verlangte bey sich an Hofe zu haben. Er übersandte ihm zu dem Ende den güldnen Schlüssel, und machte ihn zu seinem wirklichen Cammer-Herrn.

Dieses war den Absichten des Grafens ganz entgegen. Er liebte die Freyheit, die Bücher und das Land-Leben. Die Göttliche Vorsehung aber lässet nicht leicht grosse Gemüter gebohren werden, ohne sich ihrer zu wichtigen Sachen in der Welt zu bedienen; Sie hatte den Grafen von Rivera zu einem Werkzeug bestimmet, einen lasterhaften Hof zu verbessern und ein ganzes Reich glücklich zu machen.

Doch wie der Graf wenig von sich selbsten hielt, so waren ihm auch dergleichen hohe Absichten von Seiten der Vorsehung verborgen. Er wurde also [4] über diesen unverhofften Beruf bestürzt, und konte sich nicht entschliessen, sein angenehmes Land-Leben zu verlassen. Was soll ich, sprach er bey sich selbst, am Hofe machen, wo man derjenigen Einfalt spottet, die ich liebe; und wo Man keine Sitten für verächtlicher hält, als die nach der Redlichkeit und Tugend schmecken? O nein! geliebtes Feld, du vergnügest mich mehr als aller unruhige Pracht des Hofs, und als alle gezwungene Hoheit deiner blinden Anbeter.

In diesen zweifelhaften Gedanken ließ sich der Graf ein paar Pferde sattlen, und ritt in Begleitung eines Dieners nach dem Schloß des Herrn von Bellamont, welches ungefehr zwo Stunden von dem seinigen entfernet lag. Dieser Cavallier war schier von Jugend auf bey Hofe gewesen, und besaß, nebst der dabey erlangten Erfahrung, alle Eigenschaften eines klugen und aufrichtigen Mannes. Der Graf liebte ihn als seinen Vater: er fand ihn längst dem Ufer des Meers in tiefen Gedanken. Er warf sich ihm um den Hals, da dieser ihn noch kaum hatte auf sich zukommen sehen. Der Herr von Bellamont empfand darüber einen angenehmen Schrecken: er gab dem Grafen seine Freude über dessen Ankunft mit den lebhaftesten Ausdrücken zu erkennen; und führte ihn darauf nach seinem Wohn-Sitz.

Man wird nicht leicht in der Welt ein so bequemes Land-Haus und eine so lustreiche Gegend finden; man komt dahin durch einen breit ausgehauenen Weg, der einen kleinen Wald durchschneidet. Sehr hohe Bäume bedecken den Hof von Seiten [5] des Mittags. In dessen Eingang zeiget sich ein zwar niedliches aber doch nicht gar kostbares Gebäude, welches von hinten nach der Abend-Seite, über einen abhängigen Lust-Garten, eine entzuckende Aussicht in die offene See entdecket.

Der Herr von Bellamont brachte den Grafen in einen Saal dessen Fenster bis zur Erden reichten, ein mit grünen Wasen und kraussen Bux zierlich durchschlungener Pomerantzen-Garten stieß hier bis an die breite Schwellen des Saals: das sprudelnde Geräusch einiger durch Kunst geleiteten Wasser-Röhren, welche sich theils in kleine Kumpen von Alabaster, theils in einen grossen Behälter mit einem süssen Gemürmel ausstürzten, schien diesen stillen Ort gleichsam zu beleben.

Hier entdeckte der Graf dem Herrn von Bellamont, daß ihn der König nach Hofe berufen, und zu seinem Cammer-Herrn ernannt hätte; und daß er deßwegen zu ihm gekommen war, in einer so wichtigen Sache sich seines guten Rahts zu bedienen. Der Herr von Bellamont schien über diese Nachricht verwundert zu seyn; der König, sprach er, hat bisher nur lasterhafte und wilde junge Leute geliebet; was ist ihm ankommen, daß er den Grafen von Rivera bey sich haben will? Er befahl darauf seinen Leuten, ihn mit dem Grafen allein zu lassen, und nur ein kleines Abend-Essen für sie beyde aufzutragen.

Die Sonne war bereits hinter den Gebirgen. Ein lieblich-falbes Grau schimmerte auf den unbegränzten [6] Tiefen des Oceans. Auf dem Lande war es finster; doch glänzte noch auf den Gipfeln der Berge ein Gold-gelbes mit Purpur vermengtes Licht, welches nach und nach in rothe Strahlen sich verwandelte und seine Klarheit auf der andern Seite des Horizonts abdruckte. Es wurde Nacht. Die Sterne loderten mit einem funckelnden Schein. Der Mond stieg als eine feurige Kugel aus dem weiten Busen des Meers, und warf seine auf den Fluten spielende Strahlen in einer schiessenden Länge bis an das Ufer.

Niemals hatte noch der Graf von Rivera einen lebhaftern Eindruck von der Schönheit der Natur bey sich empfunden. O mehr als angenehmes Land! fing er darüber seufzend an auszurufen; O süsses Feld-Leben! soll ich dich verlassen? Der Herr von Bellamont lachte über diese lebhafte Entzückung des Grafens. Meynen sie denn, Herr Graf, sagte er, der Hof habe nicht auch seine Annehmlichkeiten? Bilden sie sich ein, daß die Sonne dort nicht so schön unterging, oder daß der Mond mit weniger Anmut den dunklen Erden-Kreiß beleuchtete? Solten sie nicht noch andere Belustigungen allda finden, welche diejenige, die man auf dem Lande hat, noch weit übertreffen? Halten sie die schöne Künste und Wissenschaften, die daselbst bis zur Vollkommenheit getrieben werden; wie auch die Schauspiele, die Aufzüge, dem Umgang mit allerhand Menschen, nebst unzehligen Veränderungen und Lustbarkeiten für eitel solche Dinge, die ein Weiser verachten müsse? Ich glaube, fuhr der Herr von Bellamont fort, wir können [7] hierinnen leicht zu ernsthaft und zu gezwungen seyn; Man verschmähet insgemein aus Hochmut, was andere preisen. Man will sich über alle äusserliche. Dinge hinaus setzen, und dadurch die Grösse seines Geistes zeigen, dessen ganze Tugend doch öfters nur darin bestehet, daß er sich selbst gefällt und deßwegen alles andere gering schätzet, was nicht zu seiner eigenen Erhöhung dienet. Wie glücklich wären wir nicht, wenn wir in allen Dingen nur das Böse absonderten und das Gute allein uns zu Nutz zu machen wüßten?

Also rathen sie mir, fragte hierauf der Graf den Herrn von Bellamont, daß ich dem Beruf des Königs folgen, und mich nach Hof begeben soll? Allerdings, erklärte sich dieser. So sehr ich auch von den Annehmlichkeiten ihres bisherigen Umgangs eingenommen bin, und so wehrt mir auch ihre Freundschaft ist, deren Genuß ich einigermassen durch dero Abwesenheit verliehren muß, so kan ich doch mit gutem Gewissen ihnen solches nicht wohl abrathen. GOtt hat ihnen, allem Ansehen nach, so grosse und besondere Gaben, als sie besitzen, nicht zu dem Ende verliehen, daß sie solche auf ihren Gütern vergraben sollen; Ich merke allzu deutlich, daß sie zu etwas grösseres geschaffen sind. Es ist wahr, sprach der Herr von Bellamont weiter, das Land-Leben hat etwas überaus süsses für einen Geist, welcher die Unschuld, die Freyheit und die Ruhe liebet; Allein, wenn alle tugendhafte und geschickte Leute nur bloß auf ihre eigene Vergnügung denken und auf dem Lande leben wolten, wer würde in der Welt durch seine Beyspiele andere[8] erbauen? Wer würde den Ausbrüchen der wildesten Laster Einhalt thun? Wer würde den Hof, das Land und den Staat regieren helfen? helfen? Ich bin zwar nicht der Meynung, fügte der Herr von Bellamont hinzu, daß man sein eigenes Vergnügen dabey aus den Augen setzen müsse. Ich habe vielmehr gefunden, daß diese Art zu denken insgemein einen verborgenen Hochmut zum Grunde hat, und die sicherste Heuchler zu machen pfleget. Es ist nichts natürlicher und den Absichten des Schöpfers gemässer, als daß ein jeder Mensch seine Glückseligkeit zu befördern sucht. Es gibt aber auch zugleich einige grosse Gemüter die das mit für ihre Glückseligkeit halten, wenn sie andre können helfen glückselig machen. Man nennet solche Leute Helden, und es ist gewiß, daß ihr Eifer von dem Himmel selbst entzündet wird. Man siehet sie mit einem tapfern Muth wider die Bosheit und Tyranney sich waffnen, und für die Rechte der Menschheit streiten. Man siehet sie immer geschäfftig, den einreissenden Unordnungen zu steuren und den allgemeinen Wohlstand des Staats zu befördern. Sie thun desgleichen, mein werthester Herr Graf, sie gehen nach Hof, sie bewerben sich um die Gunst des Königs; Er hat sich von den Lastern einnehmen lassen, machen sie, daß er zurück kehre und die Tugend liebe. Mit diesen und dergleichen Gesprächen verbrachten diese beyde Herren den Abend mit dem grösten Vergnügen.

Nach einigen Tagen besuchte der Herr von Bellamont nebst seiner Gemahlin und dessen noch [9] unerwachsenen einzigen Sohn, den Grafen und dessen Frau Mutter zu Rivera. Der Graf war ihnen die Hälfte des Wegs entgegen gefahren; Er saß auf einem offenen Wagen den zwey Apfelgraue Hengste zogen, welche er selbst regierte. Es war noch nicht Mittag. Der Graf, nachdem er seine Gäste auf das freundlichste empfangen hatte, bat den Herrn von Bellamont, sich zu ihm auf sein leichtes Fuhrwerck zu setzen, und dessen Frau Gemahlin mit einem jungen Vettern, den er bey sich hatte, voraus fahren zu lassen.

Bevor ich sie, sprach der Graf zu dem Herrn von Bellamont, zu meiner Frau Mutter bringe, wird es ihnen gefallen, mir noch eine Schwierigkeit zu benehmen, die mich zweifeln macht, ob ich noch bey dem Vorsatz, nach Hofe zu gehen, verharren soll. Bey Hofe muß man sich zu verstellen wissen. Ich kan solches nicht; ich mag mir auch die gröste Gewalt von der Welt anthun, meine wahre. Empfindungen zu verbergen; sie brechen aus meinen Augen, und ich kan mir nicht so viel Herz geben eine Umwahrheit standhaftig vorzubringen.

Dieses ist in der That, sagte der Herr von Bellamont, eine Gemüts-Art, die sich, nach der gemeinen Meynung nicht wohl nach Hofe schicket; allein, ich unterstehe mich zu behaupten, daß diejenige, die sich in der Welt der grösten Verstellungs-Künste gebrauchen, sich öfters noch in weit- verdrießlichere Umstände gebracht sehen, als diejenige, die gerad durchgehen, und sich der Aufrichtigkeit befleissen Mein eignes Exempel kan [10] solches einigermassen bezeugen. Ich hatte von Natur eine solche Gemüts-Art, die beynahe allen den Schwachheiten unterworfen war, durch welche die Menschen sich unglücklich machen. Mein Herz stunde allen Leidenschaften offen; ich war empfindlich, leichtsinnig, wollustig und ein grosser Plauderer; ich urtheilte frey von allen Dingen, ich mogte sie verstehen oder nicht. Ich liebte einen muntern Scherz und den Umgang mit allerhand Leuten. Ich hielte jedermann für aufrichtig, und hatte keine Geheimnisse. Wer mit mir umging, der wußte schier alles, was ich dachte, was ich liebte und was ich suchte. Bey allem dem verrieth ich niemalen, was mir andere vertraueten, und aller meiner Leichtsinnigkeit ungeacht, so war niemand, der besser sein Wort hielt und ehrlicher zahlte. Viel Leute bedienten sich dieser meiner Redlichkeit zu ihrem Vortheil; doch, da meine Sachen so beschaffen waren, daß ich mehr Hülfe bey andern suchen mußte, als andere von mir erwarten konten, so war mein Verlust selten von einiger Bedeutung.

Solten sie wohl glauben, daß eine so einfältige und bis zur Schwachheit getriebene Aufrichtigkeit mein Glück gemacht hätte? weil ich nach den auf hohen Schulen, erlernten Wissenschaften keine meiner Geburt anständige Bedienung für mich finden konte; so entschloß ich mich Kriegs-Dienste zu nehmen. Polemon, ein so grosser General, als geschickter Staats-Mann, nahm mich auf, und schenckte mir eine Fahne. Ich war nicht lang unter seinem Regiment, als er von mir auf [11] eine Art sprechen hörte, die ihn neugierig machte, mich näher zu kennen; Er nöthigte mich deßwegen öfters bey sich zur Tafel, und ich hatte noch kein Jahr gedienet, so bekam ich schon mit der Stelle eines Unter-Hauptmanns, die Anwartung auf eine Compagnie. Dises war nicht genug: Polemon, so klug er auch immer war, wurde dennoch von seinen Leuten sehr hintergangen; dieses verdroß ihn überaus. Er meynte wenn er nur einen redlichen Menschen bey sich hätte, dem er seine Sachen anvertrauen könte; er wolte ihn wie sein eigen Kind halten.

Ich hatte das Glück ihm zu gefallen: meine Redlichkeit schien ihm keinen Argwohn zu geben: Er nahm mich zu sich. Ich hatte an ihm einen grossen Wohlthater, aber auch zugleich einen scharfen Zuchtmeister. Er ließ mich wenig von sich, befahl mir schweigen zu lernen, und junger Leute Umgang, so viel es der Wohlstand litte, zu meiden. Er besorgte immer, sie mögten meiner Gemüths-Art mißbrauchen, und mich zu allerhand Ausschweifungen verleiten.

Ich bekam bald darauf eine Compagnie, und endlich, nachdem ich in die funf Jahr bey ihm gewesen war, seine einzige Tochter zur Ehe. Es wurde Frieden: mein Schwiegervatter begab sich auf sein Land-Gut, welches ich noch jetzo mit meiner Frauen bewohne. Er hatte damahlen einen Bruder bey Hofe: er wolte durch ihn mein Glück befördern: er schickte mich mit seiner Tochter dahin: Kinder, sagte er zu uns gehet, suchet [12] noch dem König und dem Staat zu dienen, es ist noch zu früh für euch die Ruh zu wehlen. Wir reisten also nach Hof. Unser Vetter war schon alt: empfing uns freundlich: und weil er keine Kinder hatte, so nahm er uns zu sich ins Hauß.

Es währte nicht lange so bat er den König, ihn seiner Dienste zu entlassen, und mir dessen Stelle zu geben. Der König bewilligte solches. Ich wurde also Ober-Aufseher der Königlichen Gebäude und Lust-Häuser: Ich verwaltete dieses Amt biß in die zwanzig Jahr: Ich bediente mich dabey keiner andern Politic als meiner natürlichen Aufrichtigkeit: ich entbehrte lieber etwas an meinen Einkünften, als daß ich mich im geringsten durch den Genuß gewisser Vortheile hätte in Verdacht setzen sollen. Meine Feinde, deren ich wenig hatte und solche weniger noch kante, fanden also keine Gelegenheit mir zu schaden. Ich mengete mich in keine fremde Händel ich schlug mich zu keiner Partie: ich diente dem König allein: ich schmeichelte keinem Menschen und zeigte öfters gewissen Leuten eine etwas rauhe Stirne, wenn sie mich in ihre Banden mit einflechten wolten und ich ihrer nicht anders als durch mein trockenes Bezeigen loß werden konte.

Sie sehen hier mein werthester Herr Graf, einen Hofmann, der durch eine den Höfingen so ungewöhnliche Aufführung, sich, an einem sonst schlüpfrigen Hof, länger in Günst gehalten hat, [13] als andere mit allen ihren Verstellungen und Künsteleyen. Ich verheyrathete endlich meine älteste Tochter an den Herrn von Ridelo, und erhielte für meinen Tochtermann eben diejenige Vortheile, welche mir ehedessen der alte Vetter übertragen hatte.

Ich geniesse nunmehro der Ruh aus dem Lande, allwo ich gleichsam zwischen der Welt und dem Himmel einen Mittel-Stand finde: Ich suche mir darinnen die Angelegenheiten der einen gering, und die Bestrebung nach dem andern desto wichtiger zu machen. Meine Feinde haben mich vergessen, und meine Freunde haben meiner nicht mehr nöthig. Meine Frau und mein noch unerwachsener Sohn nebst seinem Lehrmeister sind mir zur Gesellschaft genug; meine beyde Töchter werden sie zu Panopolis antreffen. Wenn man alles in der Welt hätte, was man wünschte, so würden sie so weit nicht reisen müssen, ihnen diejenige Freundschaft zu erkennen zu geben, damit sie bisher ihren Vatter beehret haben.

Der Graf von Rivera war durch diese Erzehlung des Herrn von Bellamont in seinen redlichen Absichten nicht wenig gestärket; er umarmte denselben, indem er ihm und seinem Haus eine beständige Freundschaft schwur.

Sie waren nicht weit mehr fortgefahren, so kamen sie in eine Gegend, wo die Natur schiene ihre seltsamste Schönheiten vereiniget zu haben: Man sah von der einen Seiten hohe Gebirge, [14] welche unten mit wilden Sträuchen und Gebüschen bewachsen waren, und oben einen kahlen mit allerhand färbigten Steinen bedeckten Wipfel zeigten. Man entdeckte darzwischen tiefe Abgründe und fürchterliche Hölen, wo hin und wieder grose überhängende Stücke Felsen sich abzureissen und in Grund zu werfen droheten. Auf der andern Seiten stürzte sich ein Wasser-Fall, von einer steilen Höle, als ein lichter Strahl herunter, der hernach über verschiedene Abhänge mit einem sanften Rauschen sich fortwälzte; und endlich nach einem schlänglichten Umschweif in ein liebliches Thal sich ergosse; wo man in einer halbstündigen Entfernung den schönen Wohn-Sitz des Grafens von Rivera auf einem flachen Land-Strich liegen sahe.

Der Graf hatte hier am Fuß der Gebirge unter den weit sich ausstreckenden Aesten einer alten Ulmen, ein offenes Gezelt aufschlagen lassen; wo dessen Frau Mutter und beyde Gräfinnen Schwestern, der neu ankommenden Gesellschaft erwarteten. Die Gemahlin und der junge Sohn des Herrn von Bellamont waren bereits da angekommen. Die alte Gräfin, nachdem sie diese ihre Gäste auf das freundlichste empfangen hatte, gab darauf dem Herrn von Bellamont ihr Mißvergnügen zu erkennen, daß er ihren Sohn beredet hätte, nach Hof zu gehen. Er entschuldigte sich darüber so gut er konte. Ich erkenne mich, gnädige Frau, sagte er, in so weit straffällig: ich habe dem Herrn Sohn den Rath gegeben, der wahren Ehr und dem Trieb seiner eigenen Tugend zu folgen; ich leide aber selbst darunter, weil mich dessen Entfernung der angenehmsten Gesellschaft beraubet, [15] die ich bißher bey meinem Land-Leben genossen habe.

Hierauf kamen auch die beyde junge Gräfinnen und baten den Herrn von Bellamont, mit denen beweglichsten Gebehrden, ihrem Herrn Bruder einzureden, daß er sie nicht verlassen mögte. Er wußte sich nicht anders von ihnen loßzuwickeln, als daß er ihnen sagte, sie hätten ihren Herrn Bruder nicht recht lieb, weil sie ihm sein Glücke nicht gönneten. Das ist wohl ein grosses Glück, versetzte darauf die älteste Gräfin, mit einem verächtlichen Ton, hier ist mein Bruder sein eigener Herr, und bey Hof muß er einen Diener abgeben; hier steht ihm alles zu Gebott, und dort muß er selbst gehorsamen; hier ist er sicher und von uns allen geliebt, und dort schwebet er in täglicher Gefahr, gehaßt und verfolgt zu werden. Nein, nein, geliebter Bruder, sezte sie mit Thränen in den Augen hinzu, wir lassen euch nicht weg; unser Vergnügen ist mit dem eurigen so genau verbunden, daß wir nicht ruhig seyn können, so lange wir wissen, daß ihr in Gefahr lebet. Der Graf schien von den lebhaften Vorstellungen seiner Schwester gerührt; er veränderte aber deßwegen sein Vorhaben nicht, seinem Beruf zu folgen und nach Hofe zu gehen.

Das Gespräch wurde darauf allgemein; Man sezte sich zur Tafel; zwey Jäger stiessen in ihre krumme Hörner, wo der Wiederhall ihre Töne nicht allein nachsti te, sondern auch halb verlohren wieder zurück brachte: Sie verwechselten, solche mit einer neu erfundenen Art von Feld-Schalmeien, derenheller [16] Laut zugleich zärtlich und durchdringend war. Ein sanftes Murmeln des nah vorbeyfliessenden Bachs, welcher zwischen Rohr und Steinen durchrieselte, schiene die gekünstelte Töne der Blasenden noch zu übertreffen. Die stille Bewegungen der hier sich selbst belustigenden Natur verdienten noch mehr Aufmerksamkeit. Von weitem braussete der von den Bergen sich herabstürzende Wasser-Fall. Die in den Gebüschen versteckte Vögel vermengten damit ihre muntere Kehlen, und besangen gleichsam die Ehre des Schöpfers und die Schönheit der Natur. Unsere Zuhörer vergassen nicht ein so unschuldige Ergötzlichkeit zu preisen; sie beklagten nur die Entfernung ihres geliebten Grafens, welche sie nun als unvermeidlich vor sich sahen.

Man verbrachte auf solche Art nach dem Mittagsmahl noch einige Stunden in dieser angenehmen Einöde. Endlich brach die Gesellschaft auf, und begab sich zusa en nach Rivera. Der Herr von Bellamont, seine Gemahlin und sein Sohn hielten sich daselbst einige Tage auf, und genossen bey der höflichsten Bewirthung, alle Lustbarkeiten und Veränderungen, die man sich an einem so angenehmen Ort und in der besten Gesellschaft von der Welt, versprechen konte.

Endlich kam die Zeit herbey, da der Graf von Rivera seine Reise nach Panopolis antrat. Der Abschied war beweglich; er kostete so wohl der alten Gräfin, als ihren beyden Töchtern mehr als tausend Thränen. Der Herr von Bellamont begleitete ihn bis auf das erste Nachtlager. Sie schieden voneinander, nachdem sie sich nochmahlen die verbindlichste Versicherungen [17] einer immerwährenden Freundschaft gegeben hatten.

Der Graf kam glücklich nach Panopolis und trat bey dem Herrn von Ridelo, dem Schwieger-Sohn des Herrn von Bellemont, ab. Dieser sowohl als dessen Gemahlin empfiengen den Grafen, als ob er einer ihrer nächsten Anverwandten wär. Der Herr von Ridelo war kein Mann von grossem Ansehen; er war einfältig von Gemüt, aber durchdringend von Verstand; er redete wenig; was er aber sagte, war voller Geist und Nachdenken. Er kam nicht nach Hofe, als wann ihn seine Geschäffte dahin forderten. Seine Frau hingegen war von einem sehr aufgeräumten Gemüth. Sie liebte die Gesellschaft und alle erlaubte Belustigungen; sie schien für die Menschen, ihr Mann aber nur für weise Menschen geschaffen zu seyn. Ihre Schwester, die junge Mariana, war eine von den wachsenden Schönheiten, die bey einem stillen und eingezogenen Wesen doch weder Mangel an Feuer noch Geist hatte.

In dieser angenehmen Gesellschaft sahe sich der Graf von Rivera beständig, so lang er zu Panopolis war; die verschiedene Gemüths-Art dieser dreyen Personen vereinigte sich für denselben in einerley Hochachtung.

Der Graf begab sich gleich nach seiner Ankunft zu dem König: er küßte mit Demuth den Saum seines Rocks, dankte ihm für die Gnad, daß er ihn zum Cammerherrn ernennet hatte und wünschte, [18] daß demselben seine Dienste angenehm seyn mögten. Der König empfing ihn mit der grösten Leutseligkeit: er sagte, daß er sich selbst seiner erinnert und geglaubt hätte, daß eine Person von seinen Verdiensten, so wohl ihm als dem Staat nützlich seyn konte.

Der König war von Natur nicht ganz bösartig; Er war zu keinem Tyrannen gebohren: Er hatte viel gute Eigenschaften; sie waren aber durch eine üble Erziehung verdorben worden: er war der Unordnung, der Schwelgerey und den Wohllüstigen ergeben; Er meynte nur deswegen König zu seyn, um seinen Begierden desto freyer nachzuleben. Die Regierungs-Last schien ihm zu beschwehrlich: Wenn er in einem Morgen zehen bis zwanzigmal seinen Namen unterzeichnen solte, so waren dieses allzugrosse Bemühungen für einen König, der in den Gedanken stunde, die Lust der Crone sey für ihn, und die Last der Regierung für seine Räthe.

Der Herzog von Sandilien, dessen oberster Staats-Minister, hatte alle grosse Eigenschaften, die ins Auge fallen und bey andern Ehrfurcht und Hochachtung erwecken. Er war von einer ansehnlichen Gestalt, und hatte etwas großmüthiges und glückliches in seiner Bildung: seine Gebehrden waren edel und ungezwungen; er war dabey überaus prächtig und wußte sich ungemein wohl zu kleiden. Es mangelten ihm aber diejenige Wissenschaften, die zu einem grossen Staats-Minister erfordert wurden; Er erhielte sich auf diesem hohen Posten [19] durch seinen Eifer für den König und durch seine Gefälligkeiten für andere. Er ließ einen jeden thun, was er wolte; wo zwey Staats-Bedienten sich über einige Vortheile entzweyten, da wurde die Sache durch ihn, auf Unkosten des Staats, beygelegt. Er lenkte sich zu keiner Parthey; sondern suchte das Haupt von allen zu seyn: Auf solche Weise war einer jeden an seiner Erhaltung gelegen.

Die Kriegs-Leute liebten ihn, weil er ihnen viel Freyheit und Muthwillen verstattete. Die Staats-Räthe und Hof-Bedienten waren durchgehends mit ihm wohl zufrieden, weil er von ihnen keine Rechenschaft forderte und einem jeden in seiner Verrichtung freye Hand ließ. Die Geistlichkeit verehrte an ihm einen guten Christen, weil er in ihre Glaubens-Händel sich nicht mischte: Die Gelehrten auf hohen Schulen fanden auch nichts an ihm auszusetzen, weil er ihnen gute Besoldungen gab; und die Dichter, die von der Schmeichelei leben müssen, reimten sich ihm zu Ehren fast zu tode, weil er ihnen für ihre Lob-Sprüche stattliche Geschenke reichen ließ.

Nur der Staat litte allein; das Land wurde bey Hof verzehret, und der Landmann, durch die schwere Geld-Erpressungen ganz entkräftet, begunte an etlichen Orten den Pflug zu verlassen, und sich theils aufs Plündern, theils aufs Bettlen zu legen. Die Pachter und Beamten aber, welche das arme Volk wie die Blut-Igeln aussogen, schleppten ihre feiste Wänste und gefüllete [20] Beutel in die Städte und wurden zu des Landes Verderben vornehme Herren. Schifffahrt und Handlung lagen darnieder: Die Schulden wurden nicht bezahlt: der Kauffmann muste seine Waaren borgen, und die Handwerker verpraßten auf den Sonn- und Fest-Tägen, was sie an den Werktägen verdienten.

Den Soldaten war die Zeit und sie dem Staat zur Last; sie waren blosse Müßiggänger, und wenn sie etwas thaten, so geschahe solches zu ihrem und anderer Leute Verderben. Der junge Adel lebte in der grösten Uppigkeit: wer das Herz hatte wider alle Gesetze zu handeln und mit der Religion sein Gespött zu treiben, der wurde für den besten Edelmann gehalten.

In den Gerichts-Höfen sah es jämmerlich aus: viel tausend Wortfechter und Causenmacher nährten sich auf Unkosten der unglückseligen Partheyen: das Recht selbst wurde durch sie in eine unendliche Verwirrung gebracht: das Geld und die Geschenke trieben allein auf einen günstigen Spruch.

In den Tempeln regierte die eingebildete Weisheit der Schriftgelehrten bis zum Aberwitz; an statt das Volck zu erbauen und zu GOtt zu führen, zankte man darinn um Meynungen und Auslegungen, die niemand verstunde. Einige unlehrsame Köpfe, welche diese Mängel sahen, wolten es besser machen, sie warfen sich selbst zu neuen Aposteln auf und verliessen [21] deßwegen als widerspenstige Schafe ihre stolze Hirten: sie schimpften und schmähten auf die äusserliche Kir che, nannten solche einen Götzendienst, versammleten sich in ihren Häusern und gaben Gelegenheit zu allerhand Unordnungen und Schwärmereyen. Kurz, die Unordnung herrschte in allen Ständen; es war schier weder Treu, noch Tugend, noch Glauben mehr unter den Einwohnern von Panopolis.

Der Graf von Rivera sahe dieses; er wurde darüber tiefdenkend: ein angstliches Grauen überfiel seinen sonst standhaften Muth. Warum, sprach er bey sich selbst, hab ich mein ruhiges Landleben verlassen? was soll ich hier bey Hofe machen? Soll ich mich auf diesem gefährlichen Strohm mit fortreissen lassen? Soll ich meinen Eifer für das gemeine Wesen, soll ich meine Unschuld und Liebe zur Tugend zeigen? Armseliger Graf! was würdest du damit ausrichten? man würde deiner spotten. Du bist noch zu jung andere zu unterrichten und dem König Rathschläge zu geben. Wirst du auch den süssen Reizungen der Lüste an einem Hof widerstehen können: wo man nur darauf sinnet, die Begierden recht anzufeuren und ihnen alle Nahrung zu geben? Wird dich deine Ehrsucht nicht verleiten? wird sie nicht alles entschuldigen und gut heissen, was dem König gefällt, damit du bey ihm dich einschmeicheln und in Gunst setzen mögtest? Ach! in welcher Gefahr finde ich mich allhier? O Bellamont, Bellamont, wer wird mir hier Rath ertheilen.

[22] Der Graf von Rivera war in diesen Betrachtungen aus einem der Königlichen Lust-Gärten in den daran stossenden Wald gegangen; er hatte sich darinn so sehr als in seinen Gedanken vertieft. Er wurde gewahr, daß er sich in den Gebüschen verirret; er rief seinen Leuten; allein, sie hörten ihn nicht: der Graf verdoppelte deßhalben seine Schritte, um wieder auf den rechten Weg zu gelangen, er gerieth aber immer tiefer ins Gehölz; die Nacht überfiel ihn: es leuchteten diesem verirrten Wanderer weder Mond noch Sterne: er konte den Himmel, die Erde und die Bäume kaum mehr unterscheiden; doch setzte er seinen Fuß beständig fort: er ließ gleich einem Blinden seinen Stab den Weg suchen, und folgte demselben in sachten Tritten nach.

Endlich erblickte er durch das Gebüsche ein schimmerendes Licht: er gieng darauf zu, und fande ein kleines Haus; er klopfte an; ein alter Greiß, dessen Angesicht mit einem langen Bart bewachsen war, öffnete ihm die Thüre. Verzeihet mir, Ehrwürdiger Alter, war des Grafens Anrede, daß ich euch in eurer Einsamkeit stöhre: ich habe mich in diesem Wald verirret: ihr werdet so gut seyn und mir bey euch einen Aufenthalt vergönnen, bis der Tag mir verstatten wird, wieder nach Panopolis zurückzukehren. Wer sie auch sind, mein Herr! antwortete der Alte, so haben sie hier bey mir zu befehlen. Er nöthigte ihn darauf sich an ein Feuer zu setzen, welches im Camin brante, und ließ ihm durch einen jungen Menschen, den [23] er bey sich hatte, verschiedene Erfrischungen reichen, welche der Graf hier anzutreffen sich nicht vermuthet hatte: sie kamen ihm ganz zu rechter Zeit: sein ungewöhnlicher Spatziergang hatte ihm solche doppelt-annehmlich gemacht.

Der Alte konte den Grafen nicht genug ansehen; so viel Jahre er auch in der Welt gelebet hatte, so dünkte ihm doch kein Mensch von solcher Gestalt noch vorgekommen zu seyn. Er betrachtete ihn mit einer solchen tiefen Aufmerksamkeit, daß der Graf, der solches wahrnahm, ihn fragte, für wem er ihn hielte. Mein Herr! antwortete jener ganz lebhaft, ich halte sie für mehr, als sie sich selber halten: ihre Kleidung gibt mir wohl einen vornehmen Herrn zu erkennen, ihre Gesichts-Bildung aber saget mir noch weit mehr. Wie! fragte der Graf, mein guter Vater, ihr verstehet euch auf die Gesichts-Bildung? In meiner Jugend, sprach der Alte, hab ich mich stark auf die verborgene Wissenschaften der Natur, den Himmels-Lauff und die Astrologiam judiciariam gelegt, und dabey viel besonders, was die Veränderung der Reiche und die Begebenheiten der Menschen betrifft, wahrgenommen. Meine langwierige Erfahrung hat auch in vielen Stücken meine Anmerkungen bekräftiget; allein, auch dieses mich gelehret, daß ein GOtt sey, der oft selbst ins Mittel tritt, und sich an die Gesetze der Natur, davon er selbsten HErr ist, nicht jederzeit bindet. Man muß aber eine erhabene und Göttliche Seele haben, wenn man nicht mehr dem Einfluß der Gestirne [24] und dem Zusammenhang der natürlichen Ursachen will unterworfen seyn. Wahre Weisen ziehen sowohl ihre Kraft zum Guten, als ihre ganze davon abhangende Glückseligkeit, aus GOtt selbst; doch ist niemand mehr als sie darauf beflissen, die Ordnung, welche GOtt in die Natur gelegt hat, zu beobachten; weil sie erkennen, daß der Beherscher der Welt darinn am deutlichsten seinen Willen ausgedruckt habe.

Dergleichen weise Leute, fragte der Graf, werden sich wohl schwerlich an der Königen Höfen befinden? warum nicht, antwortete der Alte; die äusserliche Umstände machen dabey nichts; GOtt gebraucht sich dieser Leute in allen Ständen, und wenn er ein ganzes Reich will glücklich machen, so bedienet er sich öfters in dieser Absicht nur eines einzigen Weisen.

Solte aber ein solcher Weiser, fragte der Graf weiter, bey Hofe nicht lächerlich werden? Mit nichten, sprach der Alte; die Tugend hat etwas so grosses und erhabenes, daß sie alle Menschen ehren müssen; sie hat eine geheime Macht über alle Geschöpfe; ihre Einflüsse sind Göttlich und ihre Wirkungen begleitet ein gewisses Ansehen, welches auch die Boshaften schrecket; nicht anders wie die Thiere, die sich vor den Menschen fürchten, und sich unter ihrer Herrschaft schmiegen. Ich rede aber hier von einer solchen Tugend, die aus einer hohen Weisheit stammet, die mit Uberlegung handelt, und die sich nicht in solchen Dingen suchet, welche [25] ihr eigentliches Wesen nicht ausmachen. Die wenigste Menschen haben einen rechten Begriff von der Tugend; sie nehmen insgemein dafür einen falschen Schein; dieser Schein ist ein blendendes Gewand, worunter sich die Heucheley verhüllet. Man hat der Tugend ein rauhes, unfreundliches und abgeschmacktes Wesen angedichtet; man hat ihr die Augen Catonis und die Gebehrden der Stoiker gegeben: dieses ist ein schädlicher Irrthum: nichts hat uns mehr von der Einfalt im Guten und von der wahren Aufrichtigkeit abgezogen.

Sie haben, mein Herr, fuhr der Alte fort, indem er dem Grafen scharf unter die Augen sah, dasjenige Wesen, worinnen sich die Tugend insgemein zu kleiden pflegt; sie haben etwas munteres und doch auch etwas ernsthaftes an sich: und wenn mich meine Wissenschaft in Beurtheilung der Menschen nicht betrügt, so werden sie auch davon die Regungen in ihrem Gemüthe verspühren. Zeit, Anfechtung und Gelegenheit aber werden solche bey ihnen noch deutlicher entwickeln, und durch die Erfahrung auf einen sichern Grund setzen. Sie werden sodann auch erkennen lernen, daß die blosse Gaben der Natur uns weder recht weise, noch recht glückselig machen können; sondern, daß ein höherer Einfluß solche beleben und uns die Kraft zur Ausübung des Guten ertheilen müsse.

Der Graf bewunderte die hohe Weisheit dieses Verehrungs-würdigen Greises; sein Herz [26] wurde ihm gleichsam durch dessen Reden aufgeschlossen. Er begriff nun deutlich, daß sich die Tugend an alle Oerter schicke, daß sie etwas grosses, erhabenes und göttliches sey, und daß sie folglich allen Dingen in der Welt müsse vorgezogen werden.

Der Graf fragte darauf den Alten um die Beschaffenheit dieser Einsideley; worauf ihm derselbe berichtete, daß dieses ein Werk von der ehmahligen alten Königin, des Königs Frau Groß-Mutter, sey. Man siehet hier, fuhr er fort, die angenehmste Gegend von der Welt; sie werden, wenn es Tag ist, unweit von hier eine kleine Capelle finden, in welcher so wohl der König, als dessen vornehmste Bediente, ihre Andacht verrichten, wenn sie sich, wie im Sommer öfters geschiehet, hier aufhalten. Der Herr von Ridelo, unser Ober-Aufseher, gönnet mir auch zum öftern die Ehre seines Zuspruchs. Hiernechst an dieser Capelle ist ein kleines Lust-Schloß, welches längst dem Wald hin auf jeder Seiten sechs kleine Zelten-Gebäude hat, die auf Chinesische Art sehr artig eingerichtet sind. Hier hatte ehedessen auch unsere letztverstorbene hochselige Königin ihren verborgenen Aufenthalt, wenn sie von der Unruh des Hofes und der Last der Geschäffte ermüdet, sich ein wenig zu ergötzen suchte, und gern für sich allein seyn wolte. Ich bin aber derjenige, der zu diesem ganzen Werk durch eine Wunder-volle Schickung GOttes Anlaß gegeben hat. Der Graf bezeigte hierauf ein [27] Verlangen, diese besondere Umstände zu wissen. Der Alte ließ sich darzu willig finden, und erzehlte dem Grafen seinen Lebens-Lauf, wie folget.

Das zweyte Buch

Das zweyte Buch.
Die Begebenheiten des Einsiedlers
Pandoresto.

Mein Leben ist sowohl ein Spiegel der grösten Unordnungen, als einer ausserordentlichen göttlichen Gnade. Ich wurde zu Bessala von vornehmen, aber ruchlosen Eltern gebohren. Weil sie immerdar mit einander haderten und eines dem andern nur das Leben recht sauer zu machen suchte, so hab ich wohl nicht ihrer Liebe, sondern dem allerunreinesten viehischen Trieb meinen Ursprung zu danken.

Man gab mich gleich nach meiner Geburt einer Frauen auf vom Lande zu säugen; denn meine Mutter wolte sich mit mir keine Mühe machen: vielweniger mir selbst ihre Brüste reichen, die sie noch zum Dienst ihrer Lüste gewiedmet hatte.

[28] Ich war ein einziger Sohn, und meine Eltern besassen ein grosses Gut, welches sie aber sehr übel verwalteten. Man verzärtelte mich überaus, und ließ mir in allen Dingen den Willen; man übergab mich einigen Lehrmeistern, die mir wohl zuweilen etwas von GOtt und der Tugend vorsagten; durch ihre Lebens-Art und Beyspiele aber, mich überzeugten, daß sie selbst davon nicht viel glaubten.

Ich war von Natur sehr gelehrt böses zu thun, und ich kan sagen, daß ich recht viel Verstand hatte, die Laster bis auf einen gewissen Grad zu treiben, daß man meine Scharfsinnigkeit dabey bewundern mußte.

Es war keine so unordentliche Haushaltung in der Welt, wie die unsrige. Mein Vater und meine Mutter speisten selten zusammen an einer Tafel; beyde hatten ihre eigene Gesellschaften und ihre besondere Zimmer: sie kamen schier nie zusammen, als wenn sie sich einander ausschelten und ihre Untugenden sich vorrücken wolten. Wenn mein Vater betrunken war, welches wenig Tage nicht geschahe: so schalt und fluchte er alles zusammen. Meine Mutter im Gegentheil war dem Putz, dem Spiel und der Galanterie ergeben; und weil ich mehr ihr, als dem Vater schien nachzuschlagen; so wurde ich als ihr Günstling gehalten. Ich mußte bey ihr frühzeitig die Carten helfen mischen und dabey manche unzüchtige Reden mit anhören, die ihre Aufwärter, ohn alle Scham, ihr als Artigkeiten vorsagten.

[29] Ich war noch kaum in einem Alter, da man den Trieb der Begierden empfindet, als ich schon allen Weibs-Bildern nachlief, und ihnen die unverschämteste Dinge vorsagte. Meine Mutter hatte nicht das Herz mich darüber zu bestrafen, weil ich ihr sonsten ihre eigene Freyheiten hätte vorwerfen mögen.

Ich verfiel darauf in das allerunordentlichste Leben von der Welt: ich that alles, was mir gelüstete, und wußte dabey nichts vom sündigen; weil mir die Pflichten des Christenthums und der Tugend unbekannt waren. Ich gieng wol zuweilen in die Kirchen, aber nur um darinnen die Musiken zu hören und die schöne Weibsbilder aufzusuchen. Was geprediget wurde, das hielte ich für eine Unterhaltung gemeiner Leute, darüber ich mein Gespött hatte, und glaubte von göttlichen Dingen so viel als nichts. In dieser Sicherheit war mir nichts eine rechte Freude, wann es die Sünde nicht abscheulich machte. Es wäre theils zu weitläuftig, theils zu unerbaulich, von allen meinen verübten Bosheiten hier Nachricht zu geben: ich will nur derjenigen erwehnen, die zu den Haupt-Veränderungen meines Lebens Anlaß gegeben haben.

Es war Winter, man hielte Carneval, die Masken wurden in der ganzen Stadt erlaubt; vier eben so freche junge Edelleute, wie ich, machten zusammen eine Bande, um die leichtfertigsten Händel miteinander anzustellen, wir steckten uns, als der Abend eingebrochen war, in ganz [30] gräßliche Teufels-Larven; einen aber kleideten wir, wie des Königs Beicht-Vater: er saß auf einem Schlitten, ein anderer hinten drauf; ich vorn auf dem Pferd; zwey andere ritten neben her mit brennenden Fackeln in der Hand: Wir ranten in diesem Aufzug mit der grösten Geschwindigkeit durch die vornehmsten Strassen der Stadt, und als wir den Kirchhof erreichet hatten, löschten wir die Fackeln aus und warfen den Schlitten in den nah daran stossenden Stadt-Graben. Niemand hatte uns erkannt, noch gesehen, wo wir hingekommen waren.

Wir giengen hierauf noch denselbigen Abend mit unsern Teufels Masken hin und wieder in die Häuser. Wir jagten damit manche Sechswöchnerin vor Schrecken aus ihrem Bette, nahmen den Leuten ihr Essen und Trinken weg, entführten in der Geschwindigkeit die junge Mägdgens und machten es allenthalben so bunt, daß man uns endlich die Wache auf den Nacken schickte. Weil wir aber wider die Faschings-Freyheit heimlich mit Waffen versehen waren, so stiessen wir ein Paar von der Wache darnieder und schlugen uns also durch. Wir hatten damit diesen Abend noch nicht ausgeraset; sondern versamleten uns wieder, nachdem wir unsere Larven abgelegt hatten, in einem Spiel-Haus, tractirten dabey einige Weibsbilder so übel, daß eine davon den Geist aufgab. Die Wache kam abermahl herbey und besetzte unten die Thüre vom Haus: ich entschloß mich also kurz, und sprang oben ein ganzes Stockwerk zum Fenster herunter; [31] ich beschädigte mich ein wenig an der rechten Hand und hatte das Glück auf solche Weise mich zu retten. Meine Cameraden aber wurden von den Bürgern, die der Wach zu Hülf gekommen waren, schier todt geprügelt; sie wurden darauf eingezogen und gefangen gesetzt, weil sie aber Söhne aus den vornehmsten Häusern waren, so kamen sie mit einer starken Geld-Busse davon.

Ich empfand hier das erstemahl ein gewisses Grauen über mein bisheriges Leben. Ich reiste heimlich von Bessala weg, und nahm unter dem König von Licatien Kriegs-Dienste. Ich hatte mir vorgenommen hinfüro ehrbarer zu leben, und mich vor Schand und Schaden zu hüten. Allein, weil ich nicht die geringste Regungen zur GOttesfurcht und zur Tugend bey mir verspürte; so suchte ich nur äusserlich den Wohlstand zu beobachten, und dadurch mein Glück in der Welt zu machen. Ich gieng mit lauter Practiken um, und weil ich sahe, daß es andere auch so machten, so hielte ich den für den Klügsten, der den andern am besten hinter das Licht führen konte. Ich legte mich insonderheit auf das Spielen; und weil ich alle geheime Vortheile der Cartenmischerey verstunde, so gewann ich viel Geld: ich kaufte mir eine Compagnie, und thate darauf einen Feldzug mit gegen die Battaver: ich wurde auf einen Posten commandirt, da ich überaus brav thate, und mir deßwegen vest einbildete, die Obrist-Wachtmeister-Stelle, welche ledig wurde, zur Vergeltung meiner Dienste davon zu [32] tragen; alleine, weil ich der jüngste Hauptmann war, so wurde mir darin der älteste vorgezogen. Dieses brachte mich in eine solche Wuth, daß ich ihn zum Zweykampf herausforderte und ihn darin entleibte. Ich muste darauf flüchtig werden, und begab mich hieher an den Aquitanischen Hof.

Ich legte mich allhier auf die Erlernung der Wissenschaften, und brachte es dadurch in kurzer Zeit so weit, daß ich nicht nur Cammer-Junker bey dem König, sondern auch Beysitzer im Hof-Gericht wurde. Ich war damals noch nicht gar dreyßig Jahr alt. Ich lernte nebst andern Wissenschaften, den Schlendrian in den Processen gar bald. Ich sahe, daß es dabey mehr auf eine Causenmacherey und leeres Wortfechten, als auf die Gerechtigkeit einer Sache selbst ankam. Ich machte mir diese Wissenschaft zu Nutz und ließ es also derjenigen Partey geniessen, die am besten spendiren konte.

Ich bildete mir dabey vieles auf meine Klugheit ein: ich konte plaudern und den Leuten weiß machen, was ich wolte. Ich hatte die munterste Einfälle von der Welt, und niemand war sinnreicher als ich, einen Menschen lächerlich zu machen und aufzuziehen. Ich sahe, daß man solche Leute, wie ich war, an den Höfen hervor zog, und beförderte; und diejenige im Gegentheil für einfaltig schalt und sitzen ließ, die sich der Unschuld und Aufrichtigkeit beflissen. Ich nahm[33] mich dahero wohl in Acht, in dergleichen Schwachheiten nicht zu verfallen. Man gebrauchte mich zu den verwirrtesten Händeln: ich wurde an verschiedene Höfe versandt; wo ich alles, zum Dienst des meinigen, mit List und Betrug glücklich ausmachte. Ich bediente mich darzu bald der herrschenden Sultanin, bald eines geizigen Ministers, bald eines hochmüthigen oder abergläubischen Beicht-Vaters, nachdem nemlich die Geschäfte waren, die ich zu tractiren hatte; und nachdem die Personen, davon ich rede, mir darinnen behülflich seyn könten.

Ich hatte mich gleich Anfangs, als ich in Diensten kam, ziemlich vorteilhaft geheyrathet; die Gesetze des Ehstands aber banden mich an nichts; ich glaubte, daß solche nur für den Pöbel wären. Ich half dem ungeacht manchen wacker strafen, wenn er in diesem Punct ein wenig über die Schnur gehauen hatte; ob er mir gleich weit grössere Verbrechen vorrücken konte. Ich dachte noch nicht daran, daß ein GOtt wär, der das Böse strafte und das Gute belohnte; es gieng mir viel zu wohl, als daß ich die Wirkungen des Bösen bey mir hätte wahrnehmen sollen.

Ich wurde bey Hof für einen Edelmann gehalten, der sich zu allen Ergötzlichkeiten am besten schickte, ich war deswegen von allen Parthien, wo es lustig hergehen solte, geliebet: Unter den frechsten Damen hatte ich den grösten Beyfall; [34] weil ich sie frey nach ihren Neigungen urtheilte und solche durch keine angenommene Ehrbarkeit in Zwang setzte.

Meine Frau kam wenig nach Hofe, sie wuste nichts destoweniger alles, was daran vorgieng; sie hatte von allem, was ich thate, und so gar auch öfters von meinen Gesprächen genaue Nachricht. Ich fande mich einsmahl auff einer Maskerade. Eine Dame von überaus schönem Gewächs und einer sehr wohl ausgesonnenen Kleidung fiel mir dabey ins Gesicht: ich hielte sie für fremd, weil ich kein Merkmahl hatte, sie unter ihrer Larve zu erkennen: sie hatte einen schlanken Leib und ihre Gebehrden waren durchaus edel und ungezungen: ihre Maske gab ihr dabey ein holdes und reitzendes Ansehen. Sie tanzte mit der grösten Anmuth: ich hatte selbst sie zweymahl darzu aufgefordert: ich fande mich von ihr gerührt: ich sagte ihr die gröste Schmeicheleyen: ich schätzte den Menschen über alles glückselig, der von einer solchen Schönheit geliebet würde: sie druckte mir dafür die Hand, und gab mir solche Antworten, daraus ich urtheilte, daß ihr meine Reden gefielen. Ich brachte sie endlich unter dem Schein ihr einige Erfrischungen reichen zu lassen, in ein Neben-Zimmer. Hie nahm sie die Larve vom Gesicht und zeigte mir meine Frau. Undanckbarer! redete sie mich an, ist dieses die Aufführung eines verehligten Mannes? ich erschrack; doch erhohlte ich mich eben so bald. Ich wolte euch Madame, sprach ich, dieselbige Frage [35] thun: es schicket sich nicht wohl für eine so fro e Frau, als ihr seyn wollet, auf einem öffentlichen Ball die Liebkosungen einer fremden Maske anzunehmen: sie sagte, daß sie mich wohl gekant hätte, und daß sie deswegen sich auf diesen Ball gewaget, um meine Aufführung selbst mit anzusehen; ich behauptete, daß solches nicht wohl seyn könte, weil ich mich unter einem Domino versteckt hätte. Sie bewies mir, wie sie davon die vollkommenste Nachricht gehabt habe: ich setzte ihr meine Gründe dargegen; der Proceß blieb endlich unentschieden und wir musten uns in der Güte vergleichen. Meine Frau bildete sich unterdessen viel darauf ein, daß sie auf diese Weise mir gezeiget hätte, wie sie noch solche Annehmlichkeiten besässe, die sie könten beobachten machen; und bildete sich vest ein, daß ich sie lieben würde, wenn sie meine Frau nicht wäre.

Dieser Zwang wurde mir in die Länge unerträglich: ich konte mich durch keine Gesetze binden, vielweniger mir durch eine Frau, die mir so abgeschmackt als die meinige schien, Lebens-Regeln vorschreiben lassen. Ich sann also auf Mittel ihrer bald los zu werden. Sie war sehr zum Zorn geneigt: sie konte sich über die kleinste Dinge dermassen ärgern, daß sie öfters sich dabey nicht mehr kante. Ihr Geblüt wurde darüber entzündet und die Galle in alle Glieder getrieben: da musten nun die Aerzte rathen. Diese gaben ihr allerhand niederschlagende Pulver und zertheilende Artzneyen, welche sie öfters wieder zurecht brachten, und mir die Hoffnung benahmen, [36] meiner Frauen bald los zu werden; ich brachte ihr deswegen bescheiden bey, es wäre bey ihr nichts anders, als Hypochondrie; und müste sie deswegen etwas wider die Wind und Blähungen gebrauchen; darzu sey nichts dienlicher als gute abgezogene Luft-Wasser und Magenstärkende Essenzen. Sie machte sich ohnedem schon eine Verrichtung daraus, dergleichen Wasser selbst zu brennen, und sie als Arzneyen an die Armen zu verschencken: Sie ließ sich meinen Rath gefallen, und nahm, wiewohl heimlich, wenn sie in ihrem Laboratorio war, ziemlich starke Proben von ihren destillirten Wassern. Als ich dieses merkte, spielte ich ihr die starkste Chymische Processe in die Hände, darüber sie erkrankte und durch ihren darauf erfolgten Tod, die Zahl meiner Missethaten vergrössette.

Niemand war froher als ich: ein alter Franciscaner, der zu mir gekommen war, um mich über das Absterben meiner Frauen zu trösten, stöhrte dieses Vergnügen. Diese Leute haben in der Welt wenig zu verliehren. Die Strengigkeit ihres Ordens setzen sie gegen die Begierden, reich und vornehm zu werden, in Sicherheit. Sie haben demnach nicht solche Maaß-Regeln zu beobachten, wie andere Geistlichen, die öfters den Mantel nach dem Wind hängen und durch ihre Gefälligkeiten, damit sie andern schmeicheln, gute Pfründen und hohe Kirchen-Aemter ertangen. Der Franciscaner wuste nichts von diesen Dingen: er war gewohnt einem die Wahrheit trocken unter die Augen zu sagen. Ich sehe, mein [37] Herr, sagte er mir, sie sind über den Verlust ihrer Gemahlin gar nicht betrübt; da sie solches zu seyn doch so grosse Ursach hätten. Wann werden sie dann einmahl in sich selbst gehen, und anfangen ihre Sünden zu bereuen, damit sie bisher den Hof die Stadt und die gantze Christenheit geärgert haben? Sie gebrauchen die Gaben ihres Verstandes denjenigen damit zu entehren, von dem sie solche bekommen haben; Es ist hohe Zeit, daß sie ihren Sinn ändern; sonst dürfte ihnen der HErr bald zeigen, was er für eine Macht über solche Geschöpfe habe, die seiner zu spotten vermeynen.

Diese beherzte Rede hatte etwas, das mich verwirrt machte: ich wuste bey aller meiner Lebhaftigkeit ihm nichts darauf zu antworten: ich betrachtete diesen Anachoreten mit Bestürzung: die Augen lagen ihm so tief im Kopf, daß man solche kaum sehen konte; seine ganze Gesichts-Bildung bestunde aus blossen Knochen, die auf der Stirne mit einigen Runzeln bezeichnet waren: ich erschrack je mehr ich ihn ansahe. Diese Leute, dachte ich bey mir selbst, müsten doch wohl greuliche Narren seyn, wenn sie sich das Leben so sauer machten, nur um andere Menschen zu betrügen, und ihnen eine Religion zu predigen, davon sie selbst keine Uberzeugung hätten. Ich gedachte also bey mir selbst, daß es noch wohl der Mühe werth seyn mögte, diesen Sachen ein wenig nachzudenken. Ich fragte deswegen den Pater, was er mir riethe vor Bücher zu lesen? er antwortete mir, die Bücher der Evangelisten und [38] Apostel. Dieses befremdete mich: ich nante ihm verschiedene geistliche Schriften, die mir ehedessen meine Frau angepriesen hatte und die damals unter den andächtigen Leuten stark Mode waren; er sagte mir, diese Bücher waren zwar gut, doch müste der Grund des Glaubens zuvor in der Unterweisung des Heylands selbst geleget werden.

Ich las darauf ein wenig in den Büchern des Neuen Testaments; allein ich blieb darüber zwischen den Meynungen der vielen Ausleger hängen. Diese versperrten einander durch ihr stets anhaltendes Gezank den Himmel, nachdem sie sich einander widersprachen. Der gröste Böswicht, der in der Bekanntnis ihrer Aufsätze starb, der wurde selig gesprochen, und der frömmste Mann im Gegentheil gieng nach ihrem Ausspruch verlohren, wann er einer anderen Parthey zugethan war. Dieses verwirrte mich ungemein.

Ich war bey allem dem noch in meinen besten Jahren und hatte dabey die Welt sehr lieb: ich gedachte mir dieselbe nach meiner Frauen Tod erstlich recht zu Nutz zu machen. Ich setzte also mein leichtsinniges Leben weiter fort: ich spührte aber dabey in meinem Herzen gewisse unruhige Bewegungen, welche sich nicht wolten abweisen lassen, und die gleich den Wellen, wenn sie auf der See durch einen Wirbel-Wind in die Höhe gezogen werden, darinn einen Sturm nach dem andern verursachten.

Es lebte damahls eine sehr tugendhafte Witwe [39] onsern Panopolis auf dem Lande: die Königin besuchte sie und nahm mich mit zu ihr: ich sahe nicht so bald die Frau von Dusemon, so nante sich diese Dame, als ich mich erinnerte, daß ich sie ehedessen, als eine der lebhaftesten und grösten Schönheiten, am Hofe gekant hatte. Ihre Sittsamkeit rührte mich dismahl noch mehr, als ihre reitzende Gestalt. Ich betrachtete sie mit der grösten Verwunderung. Ein ungewöhnliches Stillschweigen band mir gleichsam die Zunge: ein tieffes Nachdencken hatte mich ganz eingenommen.

Die Königin, welche eine dergleichen Eingezogenheit an mir nicht gewohnet war, fragte mich, was mir wär. Sehet doch, fügte sie im Scherz hinzu, wie das eitle Welt-Kind heute sich so ernsthaft stellet: ich denke, Pandoresto wird sich bekehren wollen. Die Frau von Dusemon sah mich darüber an: es wäre wohl zu wünschen, sagte sie mit einem durchdringenden Auge, daß ein so verständiger Cavalier auch ein wenig Gottesfurcht haben mögte. Ich erkühnte mich nicht anders, als mit Ehrerbietung ihr darauf zu antworten.

Ich fuhr damit wieder mit der Königin zurück: einer von meinen guten Freunden sagte mir darauf, daß diese Dame sehr gute Meynungen von mir hegte, daß ich ihr nicht so gottlos vorkäme, als man mich ihr beschrieben, und daß sie an mir gewisse Merkmahle entdecket hätte, die sie versicherten, daß ich noch ein gottsfürchtiger Mann werden würde.

[40] Diese Reden machten mir allerhand Gedanken. Ich empfand für diese Dame eine mit Liebe und Ehrerbietung vermischte Neigung. So eitel ich auch war, so konte ich mir doch nicht einbilden, daß ihr an mir etwas solte gefallen haben: ich spürte bey dieser Gelegenheit eine mir ganz unbekante Demuth: ich begriff mich selbst nicht recht: ich wolte gern tugendhafter seyn, wenn ich dadurch dieser Dame gefallen könte. Solches wär in der That eine schlechte Beweg-Ursach, mich zu bessern; ich erkante aber daraus daß die Tugend etwas ungleich Liebens-würdigeres an sich hatte, als das Laster.

Ich bekam hierauf die Frau von Dusemon öfters zu sehen: meine Aufführung gegen sie war so eingezogen, als ehrerbietig: ich war mit mir selbst mißvergnügt, daß ich meinen wilden Geist nicht gleich so bändigen und meine innerste Regungen nach den Empfindungen einer wahren Tugend einrichten konte. Ich wuste noch nicht, daß darzu eine höhere Kraft erfordert wurde.

Die Frau von Dusemon hatte sich endlich durch die Königin sowohl als durch meine heftige Liebe bewegen lassen, mich zu ehligen, so bald sie meinen Ernst sehen würde, hinfort ein rechtschaffenes Christliches Leben zu führen: sie hoffte auf diese Weise ein Kind des Verderbens aus den Klauen des Satans zu reissen und also ein gutes Werk zu thun.

Ich gedachte nun erstlich der glückseligste Mensch auf der Welt zu werden: ich schmeichelte [41] mir der zeitlichen Güter auf eine erlaubte Art zu geniessen; allein, der HErr menschlicher Schicksale, dessen Gesetze und Ordnungen ich bisher auf das abscheulichste übertretten hatte, führte mit mir andere Absichten. Ein solcher Abschaum menschlicher Bosheit und Laster solte nicht ohne wirkliche Empfindung seiner Sünden, und ohne rauhe Busse gerettet werden. Ich muste zum wenigsten die Strafen des Bösen tragen, zu welchen mich selbst das Gesetz der Natur verdammte.

Ohneracht ich bisher, meiner Geliebten zu Gefallen, ein ordentliches und eingezogenes Leben führte; so hatte ich doch das mir von Jugend auf angewöhnte Fluchen noch nicht ganz lassen können. Ich war selbst einer von denenjeniden Leuten gewesen, die darinn etwas sinnreiches suchen und die Kunst zu fluchen mit neuen Erfindungen bereichern.

Ich war schon wirklich mit der Frau von Dusemon versprochen, und der Tag unserer Vermählung war bereits auf die nächste Woche festgestellet, als wir uns Abends bey Hofe, in einer sehr grossen Gesellschaft, befanden. Mein eitles Herz hatte hier, was es vergnügen konte: Liebe, Ehre, Hoheit, Pracht, Reichthum, Lust; alles schien mich mit ausserordentlicher Glückseligkeit anzulachen. Nur die Carten waren mir zuwider. Ich saß und spielte und verlohr Spiele, die erstaunlich waren: man sah mir zu und schloß einen Creis um mich herum: man sagte, es wäre [42] nicht natürlich, dergleichen Spiele zu verliehren. Ich gerieth darüber in einen ungemeinen Eifer: ich vergaß mich ganz. Ich hatte bey nah schon alle meine Adeliche Fluche nach einander ausgestossen; doch hatte ich meinen gewönlichsten noch ziemlich lang zurück gehalten, welcher war: daß mich GOtt verdammen solte.

Kaum war mir auch dieser vom Munde geflogen, so überfiel mich ein todkalter Angst-Schweiß: ich erblaßte: mir bebeten alle Glieder: das Herz fieng mir an zu schlagen und zu pochen, als ob es mir die Brust durchstossen wolte: ich wuste vor Bangigkeit nicht mehr zu bleiben. Ich schmiß die Carten weg, stunde schnell auf, hielte mein Schnupptuch vor die Nase, durchstrich die Königliche Vor-Zimmer und lief zu Fuß nach Haus.

Hier schloß ich mich in mein Zimmer, warf mich bald auf die Knie, bald auf mein Bette nieder: ich schrie, ich seufzete: ich fande, daß ich ein abscheulicher Mensch war; ich hatte ein Grausen vor mir selbst: ich bate GOtt, er mögte sich mir zu erkennen geben, und mich im übrigen strafen, wie es seine Gerechtigkeit erforderte. Ich hätte in diesem Zustand gern alles thun und leyden wollen, wenn ich nur die geringste Uberzeugung von GOtt hätte haben können; denn was mir am unerträglichsten schien, war mein Unglaube.

Ich sahe wohl, daß mich diese Regungen nicht [43] von ungefehr überfielen; ich urtheilte aber zugleich, daß sie auch natürlich seyn, und von einer aufgebrachten Phantasie herrühren könten. Gleichwohl hatten sie keinen Grund in meiner bisherigen Lebens-Art, noch in der Unterweisung, die man mir von Jugend auf gegeben hatte: sie kamen auch von keinen Vorurtheilen. Denn alle meine bisherige Anmerkungen von dem Zustand dieser Welt, und über die Sitten der Menschen, waren vielmehr eitel Vorurtheile zum Unglauben. So leicht man auch aus der Natur und aus einer richtig schliessenden Vernunft GOtt erkennen kan; so war mir doch damahls auch dieser gerade Weg verschlossen: Ich konte mir nicht einbilden, daß ein gütiges und allweises Wesen eine Welt solte geschaffen haben, die nur nach meiner damahligen Meynung, von lasterhaften und unglückseligen Geschöpfen bewohnet würde; denn ich hatte noch so wenig tugendhafte und fromme Leute gekant, daß ich schier zu zweiflen begunte, ob es auch solche Leute wirklich gäbe. Ich litte grausam unter diesen Vorstellungen: meine Vernunft nahm die beste Gründe an, um mich zu verwirren, und mein Herz war voll der heissesten Begierden einen GOtt zu lieben, der sich mir nicht zu erkennen geben wolte. Ich verbrachte auf solche Weise die unruhigste Nacht von der Welt. Mit anbrechenden Tag ließ ich den alten Franciscaner kommen, und entdeckte ihm, was mir begegnet war, und in welchem Zustand ich mich befand.

[44] Dieser heilige Mann, denn er war solches in der That, vergoß darüber Freuden-Thränen; er pries die Hand des Allmächtigen; die, wie er sagte, mich gerühret hätte, um an mir ein neues Wunder-Werk seiner Gnade zu zeigen. Sie erkennen nun, sprach er, auch wider ihren Willen, daß ein GOtt sey, dessen Gesetze und Ordnungen sie auf die schmählichste Art übertreten haben, und daß sie deswegen ohne alle Hülfe und Trost müsten verlohren gehen, wo er sich ihrer nicht erbarmen würde; sie ergreiffen deswegen ohne Anstand den Heyland, als das Sühns-Opfer für ihre Sünde; denn darzu ist Christus in die Welt gekommen, um die Sünder zu GOtt zu bringen.

Ach! rief ich hier bekümmert aus, ihr redet mir von Christo, da ich noch kaum erst anfange einen GOtt zu glauben? Wir haben Christum bald, sagte der Geistliche, wenn es uns einmal ein rechter Ernst ist GOtt zu lieben und seine Gebotte zu halten. Es sind hier keine Sachen, die sich einander widersprechen; GOtt offenbaret sich an unsern Herzen durch Christum, wenn wir dieses Geheimniß gleich nicht verstehen. Das Reich Christi ist in der ganzen Welt; er nähret, er erhält und schützet seine Unterthanen; und sie wissen und begreiffen nicht, wie es in dieser göttlichen Haushaltung zugehet; aber dieses können sie leicht wissen, daß Christus der Heyland sey. Kein Weiser hat uns noch bessere Lehren und Lebens-Regeln gegeben, welche der Vollkommenheit eines göttlichen Wesens anständiger und [45] der Glückseligkeit der menschlichen Natur zuträglicher sind. Hier wird der Mensch nicht allein von der Ausübung der Laster abgehalten, sondern auch in seiner inwendigen Gestalt gereiniget; und so gar zu den erhabensten göttlichen Tugenden zubereitet. Dessen Geschichten, wie man solche aufgeschrieben findet, haben alle Kennzeichen der Wahrheit, und sind durch so viel Zeugen und Wunderwerk bekräftiget worden, daß man von den alten Geschichten gar keine glauben müste, wo man diese in Zweifel ziehen wolte. Könte man sich auch wohl als eine Wahrscheinlichkeit einbilden, daß solche einfältige, ehrliche Leute, wie die Evangelisten und Apostel waren, es mit einander solten abgeredet haben, die Menschen zu betrügen, und mit ihren falschen Legenden die ganze Welt zu erfüllen? Zu einer Zeit, da der Witz und die Scharfsinnigkeit des menschlichen Verstandes bey den Römern, Griechen und Juden aufs höchste getrieben wurde; und da man genau verstunde, was zum Beweiß einer Sache gehörte. Da nun, in dem Verfolg der Zeiten, die Menschen von der Wahrheit des Evangelii dergestalt überzeuget und eingenommen wurden, daß sie nicht allein alle Vortheile des Lebens für die Erhaltung derselben willig hingaben; sondern auch mit ihrem Blute, unter den grausamsten Verfolgungen und Martern besiegelten; so ist es eben so wenig wahrscheinlich, daß dieses lauter im Kopf verrückte Leute gewesen wären, als wenig glaublich es ist, daß ein blosser Wahn, der die menschliche Begierden mit einem so unangenehmen[46] und harten Zwang beleget, sich durch alle Völcker und Zeiten, bis auf die heutige Welt, beständig solte fortgetrieben haben.

Ja, wenn alle diese Vernunft-Schlüsse nicht zulänglich wären, sie der Wahrheit unseres Glaubens zu überzeugen, so waren davon allein die unter uns allenthalben zerstreuete Juden die lebendigste Zeugen: sie tragen noch alle die Mahlzeichen des über sie und ihre Nachkommen ausgestossenen gräßlichen Fluchs auf ihrer Stirne, wenn sie sagten; Sein Blut komme ůber uns und ůber unsere Kinder: sie sind die einzige Nation, die von derselben Zeit an, nirgend das Bürger-Recht haben, sondern allenthalben, als ein unglückseliges verhaßtes Volk verjagt, zerstreut, verfolgt und geschmähet werden; da sie doch zuvor, in dem alten Bund, als das auserwehlte Geschlecht, vor andern erhaben, durch die gröste Wunderwerke von GOtt selbst sind erhalten und geschützet worden; sie sollen auch vor dem Ende der Zeiten wiederum zu ihrer vorigen Gnade gelangen. Bis dahin aber müssen sie uns und der ganzen Welt das Evangelium auch wider ihren Willen predigen. Wir sehen keine Juden, die uns nicht gleichsam zurufen: Christus lebet: Christus ist auferstanden: Wir tragen den Fluch, um euch solches zu lehren.

Diese Nachricht von Christo gab mir einen [47] starken Eindruck. Ach! seufzete ich, mögt ich doch auch diesen liebreichen Heyland kennen! Er läßt sich sonst nicht lange suchen, sprach der Geistliche, er ist bald da, wenn man nach ihm verlanget: ein rechter bußfertiger Sünder ist der wichtigste Vorwurf seiner Liebe und eine Freude der Heiligen; allein, sie haben noch Berge zu übersteigen, diese Berge sind die Höhen ihrer Vernunft: kämen sie zum Heyland in der Einfalt, wie das Weib bey Luca am 8. so würden sie alsobald die Kraft, die aus ihm gehet, an sich gewahr werden, und solten sie auch nur den Saum seines Rocks berühren. So aber weiß sich ihre Vernunft noch in diese Einfältigkeit nicht zu schicken, sie haben bißher ihre Stärke nur gebraucht, um allen Eindrucken und Empfindungen des Glaubens bey sich zu widersprechen, und ihren Lüsten und Begierden das Wort zu reden: sie dürfte ihnen deswegen noch wohl etwas leiden machen, ehe sie zur rechten Glaubens-Einfalt gelangen werden.

Es geschahe mir, wie mir der Geistliche gesagt hatte, ich fiel in eine tiefe Melancholie: ich suchte die Einsamkeit und floh den Umgang mit allen Menschen. Ich mietete mir an einem abgelegenen Ort nah an einem Wald, ein kleines Haus. Niemand wuste etwas von meinem Aufenthalt als mein Franciscaner, der von seinem Closter zu mir nicht über drey Viertel-Stunde zu gehen hatte. Ich gedachte in dieser Einsamkeit an nichts mehr, als an meine Bekehrung. Je mehr ich aber GOtt suchte, je mehr schien [48] er sich von mir zu entfernen. Ich wurde endlich aller Andacht, aller Hofnung und alles Trostes beraubet. Meine täglich überhand nehmende Schwermuth quälte mich mit den allergräßlichsten Vorstellungen: alles, was mich sahe drohete mir mit einem abscheulichen Tod: ich zitterte wann ich nur Menschen sahe, der ich sonst unter allen der verwegenste war. Ich floh in die Einöden und in die dickste Wälder. Ich schrie, ich seufzte, ich wimmerte, wie ein Mensch, der alle Augenblick verzagen wolte. O welche Abgründe der Verzweifelung sah ich hier! Ich hatte Tag und Nacht keine Ruh: die greulichste Larven und Schrecken-Bilder erfüllten auch im Traum meine aufgebrachte Phantasie. Ich war darüber öfters ganz erstarrt, wann ich aufwachte. Nur das Herz, als die Quelle des Lebens, bewegte sich noch allein, und trieb, durch die nahe Angst des Todes, das Leben wieder in die schon erkalte Glieder. Ich fiel endlich ganz vom Fleisch und wurde so unbesorgt um mein Leben, daß ich solches vielmehr tausendmahl wünschte aufzugeben, wann ich nur die geringste Empfindung des Glaubens, als den einzigen Trost, den ich suchte, dadurch hätte erlangen können.

Mein Geistlicher, der mich noch immer fleißig besuchte, wünschte mir zu allen diesen grausamen Anfechtungen und Glaubens-Ubungen Glück. Sie haben, mein Herr, sprach er, den HErrn der Weisheit und der Liebe so oft und vielmahl von sich abgewiesen und seiner Allmacht Sohn gesprochen. [49] Er zeiget ihnen nun, daß er sich kan Recht schaffen; wiewohl diese Ahndung nichts anders ist, als eine Vorbereitung zu derjenigen Uberzeugung, welche sie suchen. Sie sehen jetzt deutlich, was der Mensch vor eine elende und jämmerliche Creatur ist, so bald GOtt die Hand nur ein wenig von ihm abziehet, und ihn in seinem eigenen unreinen Grunde wühlen lässet. Sie empfinden jetzo den Schrecken der Natur, wenn der Geist, der in dem Menschen ist, seinen Ursprung verläugnen und gegen den Schöpfer sich empören will. Wollen sie noch mehr Uberzeugungen haben? worauf warten sie noch? wollen sie, daß GOtt die ganze Natur verkehren und ihre Ordnungs-Kette zerreissen soll, um sie durch neue Wunder-Wercke zu überzeugen? oder warten sie bis GOtt selbst mit ihnen aus einem feurigen Busche, unter dem Krachen und Blitzen der Elementen reden, oder ihnen unter der Gestalt eines alten Manns, oder eines sichtbaren Geistes erscheinen wird? O wie übel würden sie sich dabey finden: ihre Vernunfft würde es für ein Gauckelspiel der Phantasie halten, oder für eine androhende Verrückung des Gehirns, oder für einen Betrug der Geistlichen, wie sie dessen öfters beschuldiget werden. Dieses alles würde sie und ihre grüblende Vernunfft noch lange nicht überzeugen.

Laßt uns deßwegen fuhr der Geistliche fort, ein wenig aufrichtiger und einfältiger mit GOtt handeln. Laßt uns in unser eigen Herz eingehen, und darinn die Wirkungen des Göttlichen Geistes [50] wahrnehmen. Was ist dasjenige, das uns, da wir von Natur ganz elend und verdorben sind, das Gute wünschen und lieben macht? woher kommt die Regung, die uns ein Verlangen nach einem unendlichen Gut einflöset? diesen innern Bewegungen müssen wir Raum lassen, und ihrem Ursprung nachspüren. Da findet die Seele bald, was sie suchet. Hier sind keine blosse Phantasien und Hirn-Bilder; die Liebe zu GOtt ist das deutlichste Kennzeichen, daß er uns liebet; wo er sie nicht liebte, so hätte er sie auch in ihrer vorigen Sicherheit lassen hingehen; sie würden wenig sich darum bekümmern, ob ein GOtt wär, der die Welt regierte, oder sonst ein etwas von ungefähr: ob die Tugend etwas guts, oder das Laster etwas böses sey: Ob sie Vergebung der Sünden hätten, und glaubig wären, oder nicht: dieses alles würde sie eben so wenig anfechten als zuvor.

Ja, unterbrach ich hier mit einer ausserordentlichen Bewegung, ich wolte herzlich gern in diesem Augenblick sterben, wenn ich nur der Gnade GOttes in Christo bey mir recht versichert werden könte. Wohlan, sagte hierauf der fromme Mönch zum Beschluß, wenn sie dann solches mit einer so lebhafften Begierde wünschen, so sterben sie mit einmahl der Welt ab: dieses ist der Tod, durch welchen sie dasjenige erlangen werden, was sie so sehnlich suchen. Dieser Tod wird sie versichern des Todes ihrer Sünden und ihrer Vergebung bey GOtt. So wenig sonst GOtt von uns verlanget, daß wir [51] um seinetwillen uns der Welt und der weltlichen Geschäfften und Güter entschlagen sollen, so nöthig finde ich solches für sie.

Ich meynte, der ehrliche Franciscaner würde mir auflegen, daß ich mich in einen strengen Orden begeben solte. Allein, er sagte mir, daß man in den Clöstern selten diejenige aufrichtige Andacht fände, die man darinnen anzutreffen vermeynte: es gäben so viel böse Mönche in den Clöstern, als böse Menschen in der Welt. Der beste Gottesdienst wär, daß ein jeder seines Berufs wartete und darinn GOtt und Menschen treu wäre. Was aber mich anbelangte, so hielte er dafür, daß, wie ich ein ausserordentlicher und mit den grösten Verbrechen beladener Sünder wär; so muste auch meine Busse ausserordentlich und von einer sonderbaren Erweckung seyn. Ich würde demnach wohl thun, denjenigen Menschen, die ich durch meine grausame Missethaten geärgert hätte, an mir ein Exempel der wahren Bekehrung und Sinnes-Aenderung zu zeigen. Ich solte mir zu dem Ende nah bey der Stadt ein kleines Haus erbauen, mich aller Eitelkeiten entschlagen, und mein übriges Gut den Armen geben.

Ich folgte diesem Rath. Sie sehen hier, mein Herr, den glückseligen Platz meiner Ruhe, welchen viel tausend Büß- und Freuden-Thränen mir zu einer andern Schekina eingeweihet haben, wo ich stets die Gegenwart GOttes, sowohl in seinen herrlichen Werken, als in meinem [52] armen Herzen finde; und wo ich getrost meine alte Hütte verfallen sehe; weil ich durch Ablegung derselben, dasjenige von Angesicht schauen werde, was ich hier nur mit den Augen des blosen Glaubens erreichen kan.

Die Königin, sowohl als die Frau von Dusemon wurden durch mein Exempel gerühret: Jene ließ nahe hiebey die schöne Einsideley erbauen, wo sie die meiste Zeit sich aufhielte; und wurde aus einer ganz eitlen Dame, eine sehr eifrige Christin: diese aber, als meine Verlobte, begab sich in die Abtey Gnaden-Thal, und starb darinn vor einigen Jahren in dem Geruch der Heiligkeit.


* * *


Der fromme Einsiedler hatte auf diese Weise kaum seine sehr nachdenkliche und erbauliche Erzehlung zu Ende gebracht; als man das Trappeln einiger Pferde hörte, die vor dem Hause stille hielten. Der Herr von Ridelo trat darauf ins Zimmer. Ich dachte wohl, redete er den Grafen an, ich würde sie bey unserm Einsiedler antreffen: sie haben uns unterdessen zu Hause keinen geringen Schrecken verursacht, da ihre Bedienten bey später Abends-Zeit allein wieder kamen, und ihren Herrn nicht mit zurück brachten. Der Graf entschuldigte sich darüber bey seinem höflichen Wirth so gut er konte: es scheinet aber, fügte er hinzu, ich habe durch eine besondere Schickung mit diesem ehrwürdigen Greiß bekant [53] werden sollen; um mich, durch die Befolgung seiner weisen Lehren, ihrer Freundschaft würdiger, und zum Dienst des Königs desto fähiger zu machen.

Der Graf gab sich darauf dem alten Pandoresto zu erkennen, und nach einigen wenigen Reden nahm er von demselben Abschied: er dankte ihm für seine gute Bewirthung, und versprach ihn hinfort nicht mehr aus Irrthum, sondern mit gutem Vorsatz zu besuchen. Er setzte sich damit nebst dem Herrn von Ridelo in die Gutsche: die 6. Pferde, die vorgespannt waren, ranten aus allen Kräfften: es war Morgens um 3. Uhr, als diese beyde Herrn in ihrem Pallast abstiegen: die Frau von Ridelo war noch auf: sie kam ihnen entgegen, und fragte ihren Gemahl, ob er das verlohrne Schaf wieder gefunden hätte. Der Graf sprang damit eilends aus der Gutsche, küßte ihr die Hand, und bat sie, wegen der Unruh, die er in ihrem Hause verursacht hatte, um Vergebung.

Man begab sich darauf zu Bette. Dem Grafen wolte die Gestalt des alten Eremiten nicht aus dem Sinn, er bewunderte sowohl dessen sonderbaren Lebens-Lauf, als seine ihm gegebene Lehren: er wiederholte solche bey sich selbst und schlief darüber ein. Als er des Morgens wieder erwachte, fand er sich in seiner gefaßten Entschliessung ungemein stark, sowohl einen redlichen Hofmann, als guten Christen abzugeben.

Das dritte Buch

[54] Das dritte Buch.

Der König hatte bereits die drey und zwanzig Jahr zurück geleget: er wolte sich noch nicht bereden lassen dem Reich eine Königin, und der Crone rechtmäßige Erben zu geben. Er hatte sich bißher von den Lüsten seiner Jugend und einer trägen Sorglosigkeit dergestalt einnehmen lassen, daß er sich um nichts bekümmerte, als wie er sich täglich neue Veränderungen und Ergötzlichkeiten machen mögte. Er verabscheute deswegen alle Verbündnisse einer ordentlichen Liebe: er bildete sich ein, der Zwang und die Ordnung schickten sich für keinen König, der wohl andern Gesetze geben könte, selbst aber solche zu halten nicht verbunden wäre.

Gleichwohl erforderte es des Reichs Wohlstand, daß der König sich vermählen solte. Er hatte sich um diese Zeit in die Gräfin von Monteras, eine Base des Hertzogs von Sandilien, und eintzige Tochter seines verstorbenen Bruders, verliebet, welche sich seit einigen Monathen in dem Pallast ihres Vettern aufgehalten hatte.

Diese Neigung war bey dem König von einer solchen Heftigkeit, daß sie denselben auf einmahl von seinem wanckelmüthigen Herumschweifen zurück zoge. Die Gräfin von Monteras war eine von denen lebhaften und glänzenden Schönheiten, [55] die gleich im ersten Anblick gefallen; und welche sowohl durch ihren ungemeinen Verstand, als durch die holdseligste Sitte diejenige Eindrücke am längsten erhalten, die sie so hurtig zu geben wissen. Ihre Gestalt hatte alle Reizungen der Liebe, und in ihrem Gemüthe herrschten die stärkste Empfindungen einer wahrhaftig hohen und tugendhaften Seele.

Der König wurde Anfangs bey ihr blos allein durch die Annehmlichkeiten ihrer Gestalt gerühret. Diejenige Schönen, welche er zuvor geliebet hatte, waren von einer solchen eigenschaft, daß sie bey ihm wohl die sinliche Lust rege machten; das Herz aber selbst unempfindlich liessen. Er wuste noch nicht, daß in dem Geist des Menschen etwas verborgen war, welches hauptsächlich seinen Einflus in das Gemüt hatte, und welches eigentlich nur allein den Namen der Liebe verdienet.

Hier hätte also der König eine ihm noch unbekante Neigung gefast; er meynte, die Base seines ersten Ministers müste es sich gleich andern zur Ehre rechnen, wann er sich für ihren Liebhaber erklären würde; er suchte Gelegenheit sich ihr als ein solcher zu erkennen zu geben. Die vornehmste Damen des Hofs hielten eine um die andere ihre Gesellschaften. Der König fande sich insgemein mit dabey. Die Gräfin von Monteras konte sich aus Wohlstand nicht entbrechen bey diesen ordentlichen Zusammenkünften mit zu erscheinen. Hier suchte der König Gelegenheit sie [56] zu sprechen, um ihr seine Neigung zu offenbahren. Die Gräfin aber entzog sich mit der grösten Sorgfalt sowohl seinen Blicken, als seiner Unterredung.

Endlich fand er sie einsmahl gantz allein, in ihrem an den Sandilischen Pallast stossenden Garten; sie hatte ihre Augen auf einer mit allerhand Blumen und raren Gewächsen besetzten Gallerie nach dem unten vorbeyfliessenden Strohm gerichtet; und war dabey in so tiefen Gedancken, daß sie des Königs nicht eher gewahr wurde, als bis er ihr die Hand ergriff und solche zum Munde fuhrte: sie erschrack darüber heftig; doch faßte sie sich bald, und begegnete dem König als eine Fraulein, die vollkommen wohl zu leben wuste.

Hier muste sie sich es gefallen lassen, des Königs Liebes-Erklärung anzuhören; sie antwortete ihm darauf mit untermengter Schamröthe, daß sie für denselben alle schuldige Ehrerbietung hätte; daß sie aber dabey nicht absehen könte, worzu demselben ihre Liebe dienen solte; denn ihre Geburt setzte sie zu weit unter den Königlichen Thron, und ihr Gemüth zu weit über das Glück seiner Königlichen Buhlerin.

Die Gräfin brachte diese Worte mit einem so edlen und großmüthigen Wesen vor, daß der König so geschwind nicht wuste, was er ihr darauf antworten solte. Je mehr er dieselbige betrachtete, je mehr fand er an ihr Reizungen sie zu lieben, und ernsthafte Gebehrden, sie zu ehren. Schönste Gräfin! brach er endlich heraus, [57] sie würden meine Neigungen nicht verdammen, wenn sie ihre reine Absichten betrachten wolten; sie schenken mir nur ihr Herz: es wird mich niemand hindern, ihnen als meiner Gemahlin die Hand zu geben, und als meiner Königin die Crone aufzusetzen. Die Gräfin, die sich auf einen so wichtigen Antrag von Seiten des Königs nicht versehen hatte, schlug darüber die Augen schamhaftig nieder, und suchte mit einer demüthigen Bescheidenheit das Anerbieten einer so hohen Liebe von sich abzulehnen; sie sagte, daß sie darzu viel zu gering wäre; daß sie der Himmel nicht hätte zu Cron und Scepter lassen gebohren werden, und daß sie ihm nothwendig mißfallen müste, wann er sehen solte, daß sie sich durchaus dazu nicht schicke.

Der König schmeichelte ihr ganz mit dem Gegentheil: er rühmte ihren ungemeinen Verstand; er sagte, daß ihre Tugenden und Vollkommenheiten sie schon allein des Thrones würdig machten; und daß er noch keine gebohrne Prinzeßin gesehen hätte, die denselben mehr zieren könte. Allein diese Reden, so verbindlich sie auch waren, vermochten die Gräfin nicht zu rühren: eine vorgefaste Neigung war bey ihr viel stärker, als die Ehrsucht Königin zu werden: sie hatte über ihr eigen Herz nicht mehr zu befehlen: der König kam zu spät, um solches in Besitz zu nehmen.

Der König war nicht gewohnt die Damen an seinem Hofe so kaltsinnig für ihn zu finden: die [58] Crone hat allzuschimmerende Eigenschafften, als daß sie nicht die Augen der Schönen verblenden solte: Er fande sich darüber beleidiget: er konte sich aber deswegen nicht entschliessen etwas zum Nachtheil seiner Liebe zu thun. Er suchte den Herzog von Sandilien. Dieser war nicht weit; er fand ihn in seinem Pallast.

Mein lieber Herzog! redete er ihn an, ich komme von eurer Base; ich habe ihr gesagt, daß ich sie liebte; sie hat mir aber kein Gehör geben wollen, ob ich ihr gleich sagte, daß ich sie zur Königin machen wolte. Ew. Majestät, versetzte hierauf dieser verschmitzte Hofmann, belieben mit meiner Basen zu schertzen. Es muß eine Printzeßin aus Königlichem Geblüt, es muß die vollkommenste Fürstin von der Welt das Ehbett meines Königs und dero Thron besteigen; und es wird ein Glück für meine Base seyn, wann sie derselben als eine Magd wird aufwarten können.

Was habt ihr aber dargegen, fragte der König wenn ich eure Base selbst zu meiner Gemahlin verlange? Allergnadigster König! antwortete der Hertzog, mit einer ganz demüthigen Gebehrdung, ich suche keine andere Hoheit und keine andere Glückseligkeit, als diejenige von Ew. Majestät. Der Glanz, welcher davon durch dero mir geschenkte Gnade auf mich und mein Haus abstrahlet, ist mir genug; und ich werde als ein getreuer Diener von meinem König, nimmer zugeben, daß derselbe etwas zum Nachtheil seiner Crone thun solte, wann es auch gleich zur grösten Ehre meines Hauses gereichen würde.

[59] Auf diese Weise, fuhr der König im Eiffer heraus, bin ich mehr dem Zwang unterworfen, als der geringste meiner Unterthanen. Allzubeklagens-würdiger Fürst! der nicht einmahl die Freyheit hat, sich eine Gemahlin nach seinem Wohlgefallen zu wehlen. Meynet ihr dann nicht, sagte der König zu dem Hertzog, daß ich im Stand war, euch und euer Haus zu schützen? Ich habe euch zum Herzogen gemacht, warum solte ich eure Base nicht auch zu einer Königin machen können? Eure Geburt ist edel, und eure Ahnen sind ehedessen durchlauchtig gewesen: welche grosse Niederträchtigkeit solte ich demnach begehen, wenn ich mich an eine Fräulein aus eurem Hause vermählen solte, deren Tugenden des Thrones so würdig sind? Es ist wahr, fuhr der König fort, ihr seyd mein Unterthan: alleine, mehr die Gewohnheit, als ein vernünftiges Gesetz haben bisher die Könige bewogen, mit auswärtigen Fürstinnen sich zu verloben. Die Folgen davon, wie ihr mir oft selbst erzehlet habt, sind mit nichten allezeit so glücklich gewesen, besonders in diesem Reich, wo die ausländische Prinzeßinnen die Land-verderblichste Kriege und das gröste Unheil verursacht haben.

Der Herzog konte sein Vergnügen nicht genug bergen, da er den König also reden hörte; er schrieb solches den glücklichen Unterweisungen zu, womit er bißhero sich hatte angelegen seyn lassen, dem jungen König einige Begriffe von den Sachen des Staats beyzubrigen. Er suchte sich nichts destoweniger bestens zu verstellen, und den König [60] zu bereden, daß er sich mit der ältesten Prinzeßin des Königs der Arbaten vermählen und zu dem Ende einige Gesandten an dessen Hof abschicken solte.

Der Herzog hatte nicht so bald von dieser Heyrath Meldung gethan, so gerieth der König darüber in einen ungemeinen Eiffer. Ich, sprach er, voller Verachtung, soll eine Printzeßin zur Gemahlin nehmen, deren blose Vorstellung mich mit Eckel erfüllet, und deren Vater mir als ein Hofmeister vorschreiben würde, wie ich meine Regierung einrichten solte? Gedenket nicht mehr daran, Herzog, suchet die Sache mit diesem Hof auf eine andere Weise zu schlichten, und wann ihr mich liebet, so beweget eure Base, den Thron so ich ihr anbiete, nicht auszuschlagen.

Der Herzog war hierinn dem König gehorsamer, als er sich darzu hatte verbindlich gemacht: Wertheste Base, redete er die Gräfin an, als sie aus dem Garten wieder in den Pallast zurück kame ich hoffe, ihr liebet mich ein wenig: ihr wisset, daß ich mir aus eurem Glück das gröste Vergnügen mache, und daß ihr dermaleins, weil ich keine Kinder habe, die einzige Erbin aller meiner Güter seyn werdet. Darf ich mir nicht in einer wichtigen Sache euren Gehorsam versprechen? die Gräfin erblaßte über diesen Vortrag: ihr Herz sagte ihr sogleich den Inhalt der ganzen Rede, welche ihr Vetter aus einem so rührenden Ton angefangen hatte. Sie antwortete deswegen nichts, und erwartete[61] von demselben die Erklärung des Gehorsams, welchen er von ihr forderte.

Der Himmel, fuhr er fort, hat euch ein tugendhaftes Gemüth, und eure Frau Mutter eine recht glückliche Erziehung gegeben: eure Aufführung hat euch bisher die Hochachtung des ganzen Hofs erworben; der König selbst liebet euch. Nun komt es auf euch an liebste Base, eurem Haus die höchste Ehr und den grösten Glanz beyzulegen. Der König bietet euch seine Crone an: ich habe ihm diese Gedanken suchen auszureden; alleine, ich hoffe, ihr werdet solche durch euren klugen Verstand und durch eure liebreizende Gestalt noch nehr zu befestigen wissen: last mich auf eine angenehme Art gezwungen werden, dergleichen Bündniß dem König einzugestehen, so sehr ich auch äusserlich ihm solches werde wiederrathen müssen.

Die Gräfin schien über diesen Vortrag des Herzogs verwundert zu seyn; sie schlug die Augen nieder, und wuste nicht was sie darauf antworten solte. Ihr schweiget, liebste Base, sagte er zu ihr, was habt ihr vor einen Anstand euch zu erklären? rühret euch die Ehre eures Hauses nicht? Macht euch die Liebe eines jungen und huldreichen Königes nicht empfindlich? Ach, gnädiger Herr, ließ sich endlich die Gräfin vernehmen, was soll ich ihnen antworten? ich bin voll Verwirrung: ich bin ihnes allen schuldig: ich liebe, ich verehre sie als meinen Vater; allein, darf ich mich erkühnen denenselben mein Gemüt [62] frey zu entdecken? ich bin von Natur zu einer stillen und ruhigen Lebens-Art geneigt. Ew. Gnaden haben mich zu sich genommen und mit unzehligen Wohlthaten überschüttet. Sie haben mir öfters selbst den Verdruß entdecket, welchen ihr Gemüt über die Unordnungen des Königs empfunden hat. Dessen Ausschweiffungen und Schwelgereyen haben solchen täglich erneuert. Ich habe dadurch mein Gemüt gewöhnet, den König nicht anders als einen lasterhafften Menschen zu betrachten. Ich habe mich gefürchtet ihn anzusehen; und wann ich mir seine böse Neigungen zusamt seiner Hoheit und Gewalt vorstellte, so erzitterte ich in dem innersten meines Herzens. Ich beklagte die Menschen, die seine Unterthanen waren: ich beklagte sie, liebster Herr Oheim, daß sie das Verhängniß zu dessen ersten Staats-Rath erhoben; und nun beklag ich uns beyde zusammen, daß meine wenige Gestalt die unglückliche Reizungen gehabt, dem König zu gefallen. Ich mögte gern aus tiefster Ehrerbietung und Liebe für sie in alle dero Absichten eingehen. Allein, sie verzeihen mir: ich kan mich nicht verstellen; ich liebe den König nicht; er würde solches bald merken: er würde bald die Liebe in Haß verwandeln, und unsere Feinde solten sodann leicht die Gelegenheit finden uns beyde zu stürtzen.

Der Herzog ließ seine Base ganz ruhig ausreden. Seyd ihr fertig? mein liebes Kind, fragte er sie darauf. Ich finde euch sehr klug: ihr habt alles wohl überlegt; allein, je mehr ihr mich durch eure Vorstellungen von meinen Anschlägen [63] abzubringen suchte, je mehr befestiget ihr solche: euer Verstand überzeuget mich, daß ihr euch vollkommen zu einer Königin schicket. Ihr werdet dem König solche Neigungen einzuflösen wissen, die sowohl mit den Absichten eurer Tugend, als mit der Aufnahm eures Hauses überein stimmen. Liebt ihr den König nicht, so habt ihr doch keine Ursach ihn zu hassen. Der Thron, den er euch anbiethet, hätte auch Annehmlichkeiten genug, wenn ihn gleich kein so Liebenswürdiger Fürst, als unser König ist, begleitete. Dessen bißherige Ausschweifungen sind nur Kleinigkeiten und allgemeine Fehler der Jugend, vor welchen euch so sehr nicht eckeln muß. Man verzeihet solche dem jungen Adel, warum nicht einem noch jungen König, dem niemand zu befehlen hat. Ihr meynet, die Verstellung würde euch zu viel kosten; besinnet euch doch, setzte er scherzend hinzu, daß ihr von einem Geschlechte seyd, dem die Verstellung so natürlich ist.

Dieses Gespräch wurde durch den Hofmeister unterbrochen, der dem Herzog meldete, wie man bereits zur Tafel gedienet hätte. Dieser gab also der Gräfin die Hand und führte sie in den Speise-Saal. Bey dem Abend-Essen muste die Gräfin von dem Hertzog sich noch wegen ihrer Unschuld und Redlichkeit aufziehen lassen; wozu eine gewisse Dame, welche der Gräfin ihre Gesellschaffts-Fräulein besucht hatte, und sich bey der Tafel befande, das Ihrige mit beytrug, Die Gräfin, verdroß solches heimlich; doch ließ [64] sie ihrem Oheim zu Gefallen sich solches nicht merken.

Dieses Weib hies Corinna: ob sie gleich ihre Jugend schon vorlängst zurück gelegt hatte, so wolte sie doch noch gerne gefallen; weil ihr aber ihr bejahrtes Fell darinn zuwider war, so suchte sie dieses Unglück auf eine andere Art zu ersetzen: sie legte sich auf lauter Practiken und meynte dadurch die Vortheile ihres Verstandes gelten zu machen: sie hatte einen verschmitzten Kopf, und konte mit ihrer schnellen Zunge hundert Leute ineinander verwirren: sie war eine lebendige Chronik von allem, was sich bey Hofe und in der Stadt zutrug: sie hatte dabey einen starken Brief-Wechsel, und gab sich dadurch das Ansehen eines geheimen Staats-Mercurii. Sie lies sich zu allen Händeln gebrauchen und war eine ungemein schädliche Frau für diejenigen, die ihre Klugheit nicht bewundern, noch ihren Rathschlägen sich anvertrauen wolten.

Der Herzog konte sich nicht wohl ihres Umgangs entschlagen, so eine grosse Verachtung er auch heimlich für sie hatte. Er muste ihren Bottschaften Gehör geben, und sie selbsten öfters als eine Ausspäherin gebrauchen. Solchem grausamen Zwang sind öfters diejenige unterworfen, die das Glück über andere Menschen so weit erhoben hat, daß es scheinet, als ob sie mehr ihnen zu befehlen, als sich vor ihnen zu fürchten hätten.

Die Gesellschafts-Fräulein, Namens Asmenie, [65] liebte ihre Gräfin aus einer natürlichen Neigung: sie war bey zehen Jahr älter, als sie, und hatte einen guten Antheil mit an ihrer Erziehung: sie war von Hertzen vergnügt, daß ihre Gräfin keinen Gefallen an der Corinna fande; sie nahm deswegen Gelegenheit, dieselbe vor dergleichen schwatzhaften und gefährlichen Weibs-Bildern zu warnen: wobey sie zugleich ihr mit anrieth, solchen doch jederzeit höflich zu begegnen, um sich dadurch gegen ihre giftige Zungen-Bisse einigermassen in Sicherheit zu setzen.

Von der Corinna kamen sie auf den König zu sprechen. So viel ich bishero wahrgenommen, sagte Asmenie zu der Gräfin; so haben dieselbe an dem König einen Liebhaber bekommen; und wenn ich mich nicht betrüge, so ist er bey ihnen in seiner Neigung nicht gar glücklich. Ich sehe sie, meine liebste Gräfin, seit einigen Tagen immer in Gedanken; sie seufzen heimlich, sie haben ein verborgenes Anliegen, welches sie mir verhölen; sie lieben, und schämen sich es mir zu sagen: ich mögte sie gerne wieder ruhig sehen: ich leide mit ihnen, und weiß gleichwohl die Ursach ihres Leidens nicht. Die Gräfin erröthete über diese Worte, sie fiel der Asmenien um den Hals, und hielte mit Gewalt die Thränen zurück, die ihr in den Augen stunden. Liebste Asmenie, rief sie dabey aus, was soll ich ihnen sagen? etwas, das ich mir noch selbst nicht gestehen mag? doch, es ist billig, daß ich ihnen entdecke, was in meinem Herzen vorgehet.

[66] Es sind noch keine vierzehen Tage, da ich in der Gesellschafft bey der Herzogin von Salona einen Cavallier fande, den ich zuvor an unserm Hofe nie gesehen hatte: man spielte: ich kam an einen Tisch zu sitzen, der einem mit Lichtern erhellten Spiegel-Glas gegenüber stund. Der Fremde war an einer andern Spiel-Tafel und kehrte seitwärts das Gesicht ebenfalls nach diesem Glase: er sah mich, und ich sah ihn; doch keines von beyden sah sich darinnen selbst: so offt wir die Augen aufschlugen, so offt traffen auch unsere Blicke auf einander: ich erröthete darüber, und wuste endlich nicht vor Verwirrung, wo ich meine Augen hinwenden solle. Ich verlohr dabey die gröste Spiele, und diejenige, die mit mir spielten, beschuldigten mich nicht ohne Wahrscheinlichkeit, daß ich mit meinen Gedancken abwesend wär. Dieses verursachte, daß ich einem Cavallier mein Spiel gab und mich zu der Hertzogin verfügte, welche ebenfalls ihr Spiel einer von ihren Fräulein gegeben hatte. Ich wolte mich bey ihr nach obgedachtem Fremdling erkundigen; allein sie wuste gleichsam alle meine dahin gehende Fragen mit Vorsatz abzuleiten, und sprach mir so viel von andern Dingen, daß ich darüber hätte mögen ungedultig werden. Das Spiel gieng damit zu Ende und die Gesellschafft auseinander. Der Fremde führte die Dame, mit welcher er gespielet hatte, auf ihren Wagen, und ich sahe niemand mehr, bey dem ich mich nach demselben mit Wohlstand hätte erkundigen können.

[67] Ich schäme mich, ihnen zu bekennen, liebste Asmenie, daß mir der Anblick dieses Cavalliers einige Unruh gemacht, und daß ich darüber in meinem Hertzen eine mir nie zuvor bekante Regung empfunden. Allein, wenn sie wüsten, wie sehr ich solche bey mir bestritten, und welche harte Gesetze ich mir darüber vorgeschrieben hätte, so würde ich dadurch nichts von ihrer Hochachtung verliehren.

Wie gros aber war meine Bestürtzung, da ich den andern Tag darauf diesen Fremdling bey der Frau von Ridelo antraf. Ich konnte ihr kaum, als ich zu ihr ins Zimmer trat, die gewöhnliche Höflichkeiten sagen; das Blut drang mir mit einer schnellen Gewalt ins Gesicht, und das Hertze schlug mir in der Brust, daß ich meynte, man müste es hören können. Die Frau von Ridelo möchte meine Verwirrung nicht wahrgenommen, oder meine Erröthung dem geschwinden Gehen, damit ich die Treppen aufgestiegen war, zugeschrieben haben. Sie hatte sich nicht sobald mir in die Arme geworfen, so sagte sie zu mir, indem sie den Fremden bey der Hand fassete; ich habe die Ehre, der schönsten Gräfin auch den vollkommensten Cavallier hier vorzustellen: Es ist der Herr Graf von Rivera, der beste Freund meines Vaters: Der König hat ihn zum Cammerherrn gemacht, und wir werden das Glück haben ihn an unserm Hofe zu behalten.

Mittlerweile, daß mir dieses alles die Frau [68] von Ridelo mit ihrer gewöhnlichen Lebhaftigkeit sagte, und der Graf mich begrüste, hatte ich Zeit mich wieder zu erhohlen. Ich antwortete ihnen beyden, daß ich schon die Ehre gehabt hätte, diesen Cavallier gestern in der Gesellschaft bey der Herzogin von Salona zu sehen, und daß es mir lieb wär an ihm einen Freund des Herrn von Bellamont kennen zu lernen, von dem ich jederzeit so viel rühmliches gehöret hätte, daß man von seinen Freunden nichts anders als gute Meynungen haben könnte.

Der Graf schien vergnügt zu seyn, daß ich mich seiner erinnerte: er sagte mir mit der verbindlichsten Art von der Welt, daß er sich nimmer so viel geschmeichelt hätte, von einer Person, wie ich wär, beobachtet zu werden: er hätte nichts so sehr beklagt, als daß er keine Gelegenheit gehabt, mir seine Ehrerbietung zu erkennen zu geben. Kurtz, ich sah, oder schmeichelte mir wenigstens damit, daß ich ihm nicht gantz mißfiel. Wir sprachen darauf von allerhand Dingen. Ich fand, daß der Graf nicht weniger Verstand, als äusserliche Annehmlichkeiten besaß: seine Reden hatten etwas freyes und doch bescheidenes: er widerlegte unsre Meynungen, und sagte uns gleichwohl alles, was wir gern hörten; die Art, womit er eine Sache vorbrachte, zwang uns zum Beyfall, wo wir solches am wenigsten gedachten. Ich gab ihm deswegen in meinem Hertzen einen gewissen Rang vor andern Manns-Personen: ich fühlte bey mir ein heimliches Verlangen, ihm so sehr zu gefallen, als er mir gefiel.

[69] Ich hatte ihn darauf nur einmahl wieder allein gesprochen, als wir vor einigen Tagen, auf des Königs Geburts-Fest, bey Hofe uns antraffen. Er tantzte mit mir und zog mich darauf an ein Fenster, um ein wenig Kühlung zu schöpfen: er hatte mir kaum einige Schmeicheleyen vorgesagt, die mir eine Neigung für mich zu erkennen gaben; als zu meinem Unglück der König zu uns trat. Er hatte schon vorher, wenn ich mich in Gesellschafft fand, mir etlichmahl scharf unter die Augen gesehen und mich allein zu sprechen gesucht; dißmahl konnte ich ihm nicht ausweichen: er betrachtete mich mit der grösten Aufmercksamkeit, und gab mir sehr deutlich zu verstehen, daß er etwas an mir fand, so ihm gefiel; Er forderte mich zum Tantz auf: der Graf schien mir darüber betrübt zu seyn: er fliehet seit dem meine Gegenwart, da im Gegentheil der König mit seiner Liebe mich verfolget.

Ach Asmenie! fuhr die Gräfin seuffzend fort, was macht mir diese Kaltsinnigkeit des Grafens vor Unruh? ich mag den König nicht ansehen: meine Augen suchen nur den Grafen, die Seinigen aber verweisen mich an den König. Diese Aufführung verschmähet mich ungemein: ich wolte ihm bey verschiedener Gelegenheit wieder um meine Kaltsinnigkeit zeigen, aber er thut nicht einmahl, als ob er solches merckte.

Ich bin deswegen auf nichts mehr bedacht, als diese Thorheiten mir aus dem Sinn zu schlagen und den hochmüthigen Grafen zu vergessen.

[70] Es wird ihnen dieses, meine liebste Gräfin, antwortete Asmenie, schwerer fallen, als sie sich solches einbilden: dergleichen Leidenschaften gehen nicht so hurtig weg, als sie kommen. Der Graf von Rivera hat etwas greiffendes und an sich ziehendes in seinem Wesen: sie erkennen schon allzuviel, daß er Liebens-würdig ist: wär der König nicht mit ins Spiel gekommen, so würde ich ihnen selbst rathen, ihrer Neigung für ihn Gehör zu geben: er könte sie allem Ansehen nach glücklich machen, und sie könten an unserm Hofe keine Manns-Person würdiger lieben; allein, der König ist eine wichtige Hindernüs, und wenn er für sie, meine liebste Gräfin, eine wahre Zuneigung heeget, so können sie ihm nicht entgegen seyn.

Ich glaube, offenherzig von der Sach zu reden, erklärte sich hierauf die Gräfin, wenn ich den Grafen von Rivera nicht gesehen hätte, so würde ich vielleicht so viel Ehrsucht haben, den König zu lieben; nun aber ist mein Hertz von einer andern Neigung eingenommen: Cron und Scepter scheinen mir nicht so annehmlich, als die Zuneigung, die der Graf für mich hat spühren lassen.

Die Gräfin, als sie auf solche Art der Asmenien ihr Geheimnüs gestund, wurde darauf voller Scham und Verwirrung: sie wolte es nicht gesagt haben, sie bat, ihr nichts mehr davon zu reden: sie nahm sich gäntzlich vor, den Grafen zu vergessen; sie umfieng darauf Asmenien und begab sich zur Ruh.

[71] Der Hertzog von Sandilien war unterdessen mit der Aufführung seiner schönen Base nicht wohl zufrieden; weil er sie aber sehr liebte, so wolte er auch ihre Neigung nicht zwingen; er schmeichelte sich viel mehr, der König würde durch die Kaltsinnigkeit seiner Basen desto mehr Feuer fangen, und sich um so vielmehr angelegen seyn lassen, derselben zu gefallen.

In der That gab der Gräfin ihr ernsthafftes Bezeigen dem König einen neuen Lieb-Reitz: Er wurde durch ihre Sittsamkeit weit hefftiger gerühret, als durch die freche Gefälligkeiten anderer Schönen. Seine Hoheit fand hier noch etwas zu übersteigen, das ihn niedriger machte. Die großmüthige Tugend der Gräfin bewegte denjenigen selbst zur Ehrerbietung, den sonst alle Menschen mit der grösten Ehrfurcht betrachteten. Alle Lustbarkeiten bey Hofe wurden ihr allein zu Ehren angestellt. Der König richtete sich darinn gantz nach ihrer Gemüths-Art: man sah in den Schauspielen eine gewisse Ehrbarkeit herrschen, die man zuvor darinn nicht wahrgenommen hatte. Der König selbst lebte eingezogener und mäßiger. Die Gräfin merkte bald, daß der König ihr durch diese Aufführung zu gefallen suchte: sie litte darunter, und wünschte oft selbst etwas für den König zu empfinden, welches seinen Absichten gleichförmig seyn möchte; allein, die Liebe hat ihre Eigensinnigkeiten: sie herrschet, wo sie einmahl sich eingeschlichen, und bindet sich an nichts.

[72] Der Herzog quälte die Gräfin täglich mit den wichtigsten Vorstellungen, daß sie die Liebe des Königs nicht ausschlagen solte; täglich sah sie sich deswegen von dem König selbst verfolget: er that alles in der Welt, um sich ihr gefällig zu machen; er rührte ihr Mitleyden: dieses war alles: zu mehr konte er sie nicht bewegen.

Ein solcher Zustand war beydes für sie als für den König unerträglich: der Gräfin ihre Gesundheit litt darunter: ihr verborgenes Anliegen beunruhigte sie noch mehr: sie wurde unpäßlich: die Aertzte brauchten ihr gegen allerhand Ubel, die sie nicht hatte, und ihr neue zuzogen: sie verlangte deswegen zu ihrer Frau Mutter auf das Land, um aus allen diesen Verwirrungen sich zu retten. Ihr Oheim vermogte sie nicht länger davon abzuhalten, sie nahm von ihm Abschied und verreiste.

Der König empfand ihre Abwesenheit mit vieler Unruh. Das Land-Gut ihrer Frau Mutter war nur eine Tag-Reise von Panopolis. Der König sandt schier täglich dahin, sich ihrer Gesundheit halben zu erkundigen: diese hatte sich gebessert, so bald sie von der Hof-Luft entfernet, und den Aerzten aus den Händen gekommen war. Weil sie aber besorgte, der König mögte ihren ruhigen Aufenthalt auf dem Lande zu bald wieder stöhren, so hielt sie sich noch immer auf ihrem Schloß sehr eingezogen.

Doch, da sie in der Länge ihre Gesundheit vor[73] ihren Leuten nicht konte verborgen halten, so hatte der König auch bald davon Nachricht; er machte sich auf den Weg, bey ihr einen Besuch abzulegen, und sandt einen Edelmann voraus, um solchen bey ihr anzumelden.

Er hatte niemand als den Grafen von Rivera bey sich: dieser war in kurtzer Zeit bey dem König zu solcher Gunst gelanget, daß er ihn immer um sich hatte. Des Königs Liebe für die Grafin war ihm kein Geheimnüs: der König vertraute ihm alles, und wolte, daß er ihm auch hierinn rathen solte. So sehr der Graf allhier von gleicher Neigung eingenommen war, so hielt er doch nicht für geziemend, seines Königs Mitbuhler zu seyn; er gab deswegen seiner Vernunfft alle Stärke, deren sie fähig war, um seine Neigung für die Gräfin zu unterdrucken, und die Gewogenheit seines Herrn mit äusserster Treu zu erwiedern. Er sah mit einer vergnügten Bewunderung die glückliche Veränderungen, welche diese Liebe bey dem König verursachte: er urtheilte daraus, daß die Vorsehung hier etwas würken wolte, die Laster des Königs und seiner Höflinge zu verbessern. Dieses bewog ihn um so vielmehr, dieser tugendhaften Neigung des Königs beyzupflichten, und ihm selbst die beste Anschläge zu geben, wie er der Gräfin Gunst erlangen mögte.

Die Gräfin, als sie den König, von dem Grafen von Rivera begleitet, auf sich zukommen sah, konte darüber ihre Bestürzung nicht bergen. [74] Diese beyde Personen waren ihrer Ruh bisher allzunachtheilig gewesen, als daß sie ihren Anblick ohne grosse Bewegung hätte vertragen können. Sie empfieng nichts destoweniger den König mit aller Wohlanständigkeit: Er sagte ihr bey dieser Gelegenheit alles, was die heftigste Leidenschaft demselben in den Mund legte: die Gräfin suchte im Gegentheil allen ihren Verstand zu gebrauchen, um dem König diese Neigung auszureden: sie versicherte denselben der allerehrerbietigsten Hochachtung: sie sagte, daß sie sich für unglücklich hielt, weil sie nicht diejenige Eigenschafften besässe, die nothwendig darzu erfordert würden, einen so grossen König zu vergnügen: sie fügte hinzu, daß sie demselben gern ihren äussersten Gehorsam bezeigen wolte; allein, ihr Hertz litte keine Verstellung, sie könte sich nicht überwinden, noch diejenige Furcht sich benehmen, die ihr bey Annehmung einer Crone, zu welcher sie nicht gebohren wär, mit der grösten Gefahr drohete.

Der König muste sich mit dieser Erklärung begnügen er konte mehr nicht aus ihr bringen. Er erzehlte dem Grafen unterwegs, da sie wieder nach Panopolis zurück kehrten, seine mit der Gräfin gehabte Unterredung. Der Graf, welcher die Gräfin, ohneracht aller Gewalt, die er sich anthat, noch immer heimlich liebte, fand ihre Reden mit nichten so hart, als der König sich solche vorstellte. Nur noch ein wenig anhaltende Beständigkeit, sprach er, so haben Ew. Majestät gewonnen. Die Gräfin bekennet für dieselbe [75] die gröste Hochachtung: sie ist um nichts mehr besorgt, als daß sie dieselben nicht vergnügen mögte, wann sie Dero Gemahlin werden solte: sie ist darinn mehr demüthig als kaltsinnig; ja, wo ich nicht irre, so ist sie mehr in Sorgen, sich die Gunst ihres Königs beyzubehalten, als die ihrige demselben strittig zu machen.

Man muß selbst lieben und von einer verborgenen Eifersucht eingenommen seyn, so sinnreich, die Antworten einer geliebten Schönen zum Vortheil eines Mitbuhlers auszulegen. In der That waren solches nicht die Meynungen der Gräfin: sie ehrte den König und gedachte nur durch diese verbindliche Reden sich von demselben loszuwickeln. Der König merckte es auch wohl; wie man aber leicht zu bereden ist, etwas zu glauben, was man wünschet, so ließ sich auch der König von dem Grafen mit dieser Hoffnung schmeicheln.

Bisher war alles für den Grafen von Rivera sehr gut gegangen: er sah sich nicht allein in des Königs Gnade; sondern wurde auch schier von jederman geehret und geliebet. Der Neid knirschte darüber heimlich die Zähne, und suchte Gelegenheit, sich öffentlich gegen ihn heraus zu lassen. Keine Vorsichtigkeit, keine Unschuld und keine Tugend kan dessen Nachstellungen entgehen. Einem Menschen, den man will fehlen sehen, kan man leicht eine Sache zum Verbrechen machen. Hier muste auch so gar [76] die Treue des Grafens dessen Würckung erfahren.

Die Hertzogin von Salona hatte so gute Augen, als die Gräfin von Monteras: sie fand an dem Grafen von Rivera alle die Annehmlichkeiten, welche diese Gräfin an ihm entdecket hatte; sie stund damahls eben gegen über dem Grafen, als er seine Augen so beständig nach ihrem grossen Spiegel-Glas hinwarf, welches diese schier auf die Gedancken brachte, daß er, als ein andrer Narciß, in seine eigene Gestalt verliebt seyn müste. Wie sehr aber war sie nicht verwundert, da sie, als sie sich darauf hinter ihn stellte, nicht ihn, sondern die Gräfin von Monteras im Spiegel erblickte: sie sah, wie diese Schöne ihre Augen, bald mit einer Entzündung auf dieses Glas hefftete, bald aber mit einiger Schamröthe wieder niederschlug.

Die Hertzogin von Salona war in der That damahls die beste Parthie in Panopolis: sie besaß noch eine frische Schönheit, ohneracht sie bereits die dreyßig Jahr zurück geleget hatte. Sie war noch nicht lang Wittbe, und hatte kaum noch ihren Trauer-Flor mit einem bunten Aufsatz verwechselt. Ihre Einkünffte sowohl als die Stelle eines Obristen Feldherrns, die ihr verstorbener Gemahl begleitet hatte, gaben ihr den ersten Rang bey Hofe. Es fehlte ihr weder an Feuer noch Verstand; allein, von den Empfindungen, die eine edle Seele ausmachen, hatte sie wenig. Ihre Art zu dencken war gemein. [77] Wie ihr die Sachen am ersten vorkamen, so glaubte, so faßte sie solche. Weiter durchdrang sie nichts. Die Liebe gab ihr noch ein wenig Geist; ihr Stand und ihre Aufführung aber machte, daß man ihr noch weit mehr, als sie hatte, zuschriebe.

Sie hatte seit dem den Grafen öffters bey Hof und in den Gesellschafften gesehen; er schien ihr noch immer Liebens-würdiger zu seyn; sie suchte deswegen alle ihre Reitzungen ins Feld zu stellen, um ihn ins Garn zu locken. Der Kopf wurde auf die sinnreichste Art geschmücket: Ihre Haar-Locken spielten auf ihrem blancken Hals, um welchen bald eine Schnur der auserlesensten Perlen, bald ein köstliches Geschmeide von doppelt-geschliffenen Diamanten, bald aber ein anders von flammigten Rubinen und Saphyren gläntzete. Die halb entblöste Brust schien von den geheimen Regungen aufgequollen, damit sie das Hertz ihres Geliebten zu entzünden suchte: in ihren Augen brannte das stärckste Feuer, wann sie auf den Gegenstand ihrer Liebe traffen: sie hatten mehr Beredtsamkeit, als ihre Lippen, welche noch eine gewisse Schamhafftigkeit verschlossen hielte.

Der Graf erkante bald die Neigung der Hertzogin; durch dessen demüthige Bescheidenheit aber hielt er sie zurück, sich ihm näher zu erklären. Er sagte ihr alles, was die Höflichkeit einen artigen Hofmann kan sagen machen. Der Hertzogin aber schienen alle seine Reden kaltsinnig: [78] sie waren ihr nicht verbindlich genug: sie beobachtete, daß er dergleichen auch andern Damen sagte: sie empfand darüber alles, was eine verschmähte Liebe einem hochmüthigen Herzen kan empfindlich machen.

Corinna wurde endlich in dieser Angelegenheit zu Rath gezogen. Kluge Corinna, sprach sie zu ihr, wer solte denken, daß ich die Schwachheit hätte, in dem Grafen von Rivera einen Undankbaren zu lieben? Ich schmeichelte mir sein Glück zu machen; allein, weder mein Stand, noch meine Liebe, noch die ansehnliche Güter, die ich besitze, vermögen ihn zu rühren: meine Augen haben für ihn keinen Liebreitz: er fliehet meine Blicke, die ihm das Geheimnüs meines Herzens zu entdecken suchen, und ausser einigen Höflichkeiten, die ihm der Wohlstand abnöthiget, würde ich sagen, daß er mich verachte.

O gnädige Herzogin, unterbrach hier die mitleidige Corinna; sie sehen mir eben so aus, als ob man sie verachten könte. Wie! eine Herzogin, wie Ew. Durchl. sind, die alle Vollkommenheiten in der Welt besitzet, und welche die gröste Fürstin um sich könte seufzen machen, die solte sich einbilden, daß man sie verachte? O das gehet zu weit.

Ich hatte mir selber geschmeichelt, fuhr die Herzogin fort, der Graf von Rivera würde meine Gunst-Bezeugungen für ein Glück halten: allein, ich komme zu spät; sein Herz ist bereits von einer [79] andern Schönheit eingenommen. Er liebet die Gräfin von Monteras, und scheuet sich nicht einen Mitbuhler seines Königs abzugeben.

Wie, fieng Corinna an, der Graf von Rivera liebet die Gräfin von Monteras? O was hör ich? sonder Zweiffel wird er auch von ihr geliebet? die Herzogin erzehlte hierauf der Corinna, was sie ehedessen in der Gesellschafft bey ihr mit eigenen Augen wahrgenommen hatte. Dieses waren für ein Weib, wie Corinna, ungemeine Neuigkeiten: sie schienen ihr so wichtig, daß sie dafür hielte, sie könte ihren Verstand nicht würdiger beschäftigen, als wenn sie sich mit in dieses Spiel mengte.

Die Gräfin von Monteras, ließ sich ihre plauderhafte Zunge vernehmen, ist eben keine Närrin. Der Graf ist ein schöner Herr; er ist artig, und kan schwätzen, was er will; wenn ich noch jung wär, so gefiel er mir auch. Denn wenn man es recht betrachtet, was ist doch eine Crone? wie war nicht unsre Hochselige Königin eine geplagte Frau? muste sie nicht ihr Leben in stetem Zwang, in tausend Sorgen und Unruh zubringen? dann waren einheimische, dann auswärtige Händel: bald muste sie mit Geistlichen, bald mit Weltlichen zu Rathe geben. Sie muste sich immer verstellen; Leuten freundlich seyn, die sie nicht leiden konte, und mit denen, die ihr lieb waren, verbot ihr die Hoheit vertraulich umzugehen. Sie hatte zwar alles in Uberfluß; aber dieser Uberfluß machte ihr [80] mehr Sorgen als andern Dürfftigkeit. O, man schencke mir keine Crone! aber ein solcher Graf wär mir recht. Doch besann sich endlich das schwätzhaffte Weib, wo gerath ich hin? was red ich? ich wolte sagen, die hochmüthige Gräfin von Monteras schicke sich besser für den König. Ew. Durchlaucht aber, welche die Güte und Freundlichkeit selbsten sind, besser für den Grafen; und ich muß nicht Corinna heissen, wenn ich ihn nicht in ihre Hände spiele.

Mit dieser lebhafften Versicherung nahm die dienstfertige Corinna ihren Abschied von der Hertzogin, welche sich fest einbildete, sie würde durch die Geschicklichkeit dieses Weibes in ihrem Wünschen glücklich werden.

Corinna stund mit dem ersten Cammerdiener des Königs und mit dessen Frau in naher Bekantschafft. Diese waren gleichfalls von der Art Leute, die ihr Glück durch lauter Praticken zu machen pflegten. Corinna erzehlte ihnen die Muthmassungen, welche sie von der Gräfin von Monteras und dem Grafen von Rivera hatte: man beschloß derowegen, diesen beyden allenthalben auf den Dienst zu lauren. Gefährliche Ausspäher, die allenfalls, wo sie nur einen Schatten fanden, etwas wesentliches daraus zu machen wusten.

Das vierte Buch

[81] Das vierte Buch.

Die Frau von Ridelo hatte unterdessen die Neigung des Grafens ausgeforscht: er konte ihr solche nicht länger verbergen: das Frauenzimmer hat insgemein in solchen Sachen besondere scharfe Einsichten. Die Angelegenheiten der Verliebten sind demselbigen die wichtigsten: es entdecket solche leicht, und menget sich auch gerne mit hinein; doch hatte der Graf die Vorsichtigkeit, nicht eher der Frau von Ridelo sich zu vertrauen, als bis er sowohl ihrer Verschwiegenheit als ihrer Redlichkeit versichert war.

Diese Dame hatte viele von den guten Eigenschafften ihres Vaters; sie war vernünftig, liebreich und von einem immer gleich aufgeräumten Wesen; sie brachte die Annehmlichkeit und die Freude mit sich, wo sie hinkam. Niemand wüste etwas artiger zu erzehlen, und sinnreicher auszudrucken: sie war dabey aufrichtig und verschwiegen; welche Tugend man nicht immer diesem Geschlecht zuzuschreiben pflegt.

Die Freundschafft ihres Vaters für den Grafen von Rivera hatte sich auch ihrem Gemüthe mit eingedruckt: sie liebte ihn als ihren Bruder; und wünschte nichts mehr, als denselben durch eine Heyrath mit der schönen Gräfin von [82] Monteras glücklich zu sehen. Sie wuste sich zu dem Ende auf eine sehr anständige Art in die Vertraulichkeit dieser Schönen zu bringen, und den Grafen dermassen fest in ihre Gunst zu setzen, daß sie demselben ihr gantzes Herze wiedmete; allein, in diesen schmeichelenden Umständen für den Grafen, äusserte sich die Liebe des Königs für die Gräfin; der Graf muste demnach einem so mächtigen Mitbuhler aus dem Weg gehen, als er eben im Begriff war, mit der Gräfin sich völlig zu erklären.

Eine heimliche Schwermut hatte denselben eingenommen, seit dem er mit dem König zu Prato bey der Gräfin von Monteras gewesen war. Er sah, daß nun für ihn keine Hoffnung mehr übrig wär, weil die Liebe des Königs begunte ernsthafter zu werden. Er fand die Gräfin allzureitzend und seinen Verlust allzuempfindlich. Er kam in dieser traurigen Verfassung seines Gemüts zu seiner lebhaften Wirthin. Wie! Herr Graf, redete ihn diese an, wie hängen sie den Kopf? wo ist die Welt-Weisheit? ich meynte, der Graf von Rivera wär über alle Empfindungen starker Leidenschaften schon weit hinaus.

Ach! gnädige Frau, lies sich der Graf vernehmen, wir sind insgemein gute Welt-Weise, wenn wir keine Versuchungen haben: die gut Lehren und Lebens-Regeln machen sich im Kopf, bis Leidenschaften aber im Herzen. Ich find mich in den verwirrtesten Umständen von der Welt der König raubet mir die Gräfin von [83] Monteras, und macht mich zugleich in dieser Angelegenheit zu seinem Vertrauten: dieses ist noch nicht genug: Graf, spricht er, ihr habt die Gabe, die Leute zu bereden, die Gräfin scheinet euch gewogen zu seyn, gehet, reiset nach Prato und macht derselben alle ersinnliche Vorstellungen, daß sie meine Liebe annehmen und meine Gemahlin werden mögte. Ich hatte gut ihm dargegen vorzustellen, daß ich mich zu einem solchen Geschäfte am allerwenigsten schickte; daß die Gräfin sich mir darinn nicht anvertrauen würde; daß er sich darzu am besten ihres Oheims, des Herzogs von Sandilien, bedienen würde; der König blieb einmahl bey seiner Meynung, ich solte nach Prato gehen und das Gemüth seiner Geliebten gegen ihn auszuforschen suchen.

Ew. Gnaden, fuhr hierauf der Graf fort, urtheilen, wie mir hierbey zu Muth seyn müsse. Die Frau von Ridelo konte nicht läugnen, daß der Graf sich in schlüpfrigen Umständen gesetzt fände; sie suchte ihn aber um desto mehr aufzumuntern. Grosse Gemüter, sprach sie, haben auch grosse Anfechtungen. Man hat in der Welt nicht, was man will: die stärkste Neigungen sind nicht allezeit die glücklichsten: sie treten deswegen dem König dasjenige mit guter Art ab, was sie doch gegen ihn nicht behaupten können: die ganze Welt hat noch Schönen für sie: ihr Herze ist nicht allein für die Monteras geschaffen. Erinnern sie sich nur bey ihrer jetzigen Neigung, daß der König ihr Mitbuhler ist, und daß das geringste, was sie ihm aufzuopfern haben, ihre Liebe sey.

[84] Der Graf verreisete hierauf nach Prato: so bald aber war derselbe nicht vor den Thoren der Stadt; so hatte sich auch Silon auf den Weg gemacht, und kam vermittelst seines guten Pferds, und weil er die Fußsteige ritte, noch vor dem Grafen daselbst an; er hatte sich in einen Forst-Knecht verkleidet und mit falschen Haaren bedecket, daß ihn also niemand, auch von des Grafens Leuten, erkante. Er nahm sogleich bey seiner Ankunfft das Schloß in Augenschein und bemerkte alle dessen Zugänge: er fande hinten an dem Garten, der mit einem trockenen Hayn-Graben umgeben war, in dem Zaun eine kleine Oeffnung, da man mit leichter Müh durchbrechen, und sich den Fenstern des Schlosses unvermerkt nahern konte.

Es war Winter, der Abend hatte alles mit Dunkelheit überzogen, und auf dem Schloß herschte eine so tieffe Stille, daß es schien, als ob es unbewohnet war. Nur von Seiten des Gartens sahe man unten zur Erden einige Zimmer erhellet. Die alte Gräfin war eine Gottsfürchtige Dame, sie unterhielt sich mit ihrer Tochter und Asmenien in einem erbaulichen Gespräch, als ein Diener ins Zimmer trat und die Ankunfft des Grafens von Rivera meldete. Sowohl die Gräfin als ihre Tochter waren darüber erschrocken. Asmenie aber stund hurtig auf und suchte das nöthige zu diesem Besuch zu veranstalten.

Man ließ dem Grafen wissen, daß er würde angenehm seyn. Asmenie empfieng ihn und führte ihn in ein Neben-Zimmer, wo sich gleich [85] darauf auch die junge Gräfin einfand; weil jene sich bald wieder weg begab, so sahen sich der Graf und die Gräfin allein. Sie waren beyde zusammen in ziemlicher Verwirrung, und wuste der Graf lange nicht, wie er der Gräfin seinen Vortrag thun solte.

Welchem Zufall, fieng endlich die Gräfin an, haben wir denn das Glück zu danken, den Herrn Grafen bey uns in unserer Einsamkeit zu sehen? Ew. Gnaden, antwortete dieser, können sich nicht wohl einen Ort in der Welt zu ihrem Aufenthalt erwehlen, wo sie nicht die Menschen nach sich ziehen werden, und wenn sie auf solche Weise die Ruhe suchen wolten, so müsten sie zuvor alle die Annehmlichkeiten ablegen, welche anderen ihre Ruhe stören. Die Gräfin erröthete über diese verbindliche Worte des Grafens: ihre Augen gaben ihm darüber ihr heimliches Vergnügen zu erkennen; dann sie glaubte nicht anders, als er wolte hier von sich selbst reden. Ich dachte nicht, Herr Graf, war ihre Antwort, daß sie so viel nach meinem jetzigen Aufenthalt fragen würden: weil ich mich erinnere, daß sie eine Zeither sich meiner Gegenwart, gleichsam als mit Fleiß entzogen haben. Gnädigste Gräfin, versetzte der Graf, wo Könige hinkommen, da darf sich kein Unterthan melden. Was hat aber unterdessen, fragte der Graf, derjenige von Ew. Gnaden zu hoffen, der dieselbe mit der grösten Beständigkeit verehret? Ich glaubte, erklärte sich die Gräfin mit einem liebreitzenden Blick, daß ihnen meine Meynung bekant seyn [86] werden. Der König aber, fuhr jener fort, ist damit nicht zufrieden: er hat gehofft, seine für dieselbe hegende ganz ausnehmende Liebe verdiene ein wenig mehr Erkänntlichkeit. Darüber, unterbrach die Gräfin, haben sich ja der Herr Graf von Rivera nicht Ursach zu beklagen. Der Graf von Rivera, wiederholte dieser, hat nun nichts mehr zu hoffen: es bleibet ihm nichts übrig, als die tiefste Ehrerbietung für die Geliebte seines Königes; er vergisset bey dieser grausamen Pflicht alles dasjenige, womit die Hoffnung eines allzuhohen Glücks bisher seinen Neigungen geschmeichelt hat. Ich komm, und bitte Ew. Gnaden, meinen König zu lieben.

Wie, undanckbarer Graf! fuhr hier die bestürtzte Gräfin voller Bewegung heraus, soll meine ihnen bezeigte Freundschafft darzu dienen, daß sie mich zu einem mir verhaßten Bündnüß bereden wollen? Solcher Niederträchtigkeit hätt ich mich von dem Grafen von Rivera nicht versehen. Die Gräfin wolte damit von ihrem Stuhl aufstehen und suchte mit einem Tuch die Thränen zu verbergen, die ihr darüber in die Augen drangen. Der Graf aber warf sich zu ihren Füssen, küste ihr die Hände und wuste vor empfindlichen Schmertzen nicht, was er ihr sagen solte.

Ach! schönste Gräfin; waren endlich seine Worte, hören sie mich doch: ich bin wenigstens so unschuldig, als unglücklich. Sie erinnern sich, welcher grausame Wohlstand damahls [87] noch ihre Zunge band, sich völlig für mich zu erklären, als der König kam, und uns in unserem Gespräch verstöhrte. Die Neigung des Königs blieb nicht lang verborgen, der gantze Hof merckte solche: mein Hertz empörte sich dargegen; allein, ich sah bald, daß mein Seufzer vergebens waren, und daß Könige nur zu gebieten haben. Das Vertrauen, so mir unterdessen in dieser Sache mein König bezeiget, gibt mir gleichsam einen Antheil mit an dero würdigsten Erhöhung. Solches gehet so weit, daß er mir anbefohlen hat mich anhero zu verfügen, um dieselbe durch meine aufrichtige Vorstellungen, zur Annehmung der Crone zu bewegen. Ich will also mich für glückselig achten, wann ich nur meinen König und meine Gräfin vergnügt sehen werde.

Die Gräfin hörte alle diese Reden des Grafens mit einer kaltsinnigen Verachtung an: ich bin nicht so ehrsüchtig, sagte sie mit einer verstellten Gelassenheit, eine Crone zu verlangen, noch so scharfsinnig, allhier die Großmuth des Herrn Grafens zu bewundern. Sie würdigte ihn schier darauf keiner Antwort mehr: und gieng etlichmahl nach der Thür des Vorgemachs, um ihre Leute zu fragen, ob es noch nicht bald Zeit wäre zur Tafel zu gehen, und ob Asmenie nicht bald wieder kommen würde?

Diese erschien endlich, und fand ihre Gräfin in einer gantz andern Stellung, als sie solche verlassen hatte: sie fragte dieselbe, was ihr wäre; [88] die Gräfin aber schützte eine kleine Unpäßlichkeit vor, und nöthigte darauf den Grafen, das Gespräch in Gegenwart der Asmenien zu verändern, bis man ihnen andeutete, daß die Tafel bereit wär.

Der andere Tag wurde meist bey der alten Gräfin zugebracht, welcher der Graf die Absichten des Königes in Ansehung ihrer Gräfin Tochter entdeckte. Sie hatte Anfangs vieles darwider einzuwenden, welches aber hauptsächlich dahin auslief, daß ihre Tochter in der Einsamkeit wär erzogen worden, und sich besorglich deswegen nicht allzuwohl für eine Königin schicken möchte; und hernach, daß der König nicht ihres Glaubens wär.

Auf das erste antwortete der Graf, daß ihre Gräfin Tochter alle hohe erforderliche Eigenschafften besässe, welche den Thron zieren und eine vollkommene Königin ausmachen könnten. An Ansehung der Religion aber sey der Unterscheid nicht so groß, als man meyne. Der Streit wär nur unter den Gelehrten, da immer einer es besser als der andere wissen wolte. Die verschiedene Ceremonien und Kirchen Gebräuche, machten auch keinen wirklichen Unterscheid in dem Glauben selbst, welcher keinen andern Grund hätte, als die einfältige Lehren Christi, die von beyden Theilen angenommen würden. Der Hertzog von Sandilien, nebst vielen andern vornehmen Herren seyen ebenfalls ihrer Kirche [89] zugethan und litten deswegen doch nicht die geringste Beeinträchtigung. Wie vielmehr, fügte der Graf hinzu, wurde es ihren Glaubens-Genossen zu statten kommen, wenn sie erstlich eine ihrer Religion zugethane Königin haben solten.

Wenn man endlich noch dieses zu hoffen hätte, ließ sich die für ihren Glauben eiffrende alte Gräfin hierüber vernehmen, so wäre die Sache wegen meiner Tochter noch zu überlegen. Ach gnädige Frau Mutter! unterbrach allhier die junge Gräfin gantz erschrocken: wäre mir dann dabey nicht auch erlaubet, meine eigne Neigung mit zu Rath zu ziehen? allerdings, antwortete der Gräfin Frau Mutter, mit einem liebreichen Wesen; ich bin aber der Meynung, es dürffte euch, meine Tochter nicht schwer ankommen, den König zu lieben und den Thron zu besteigen. Die Gräfin erröthete über diese Worte, und warf mit einem tiefgehohlten Seufzer einen durchdringenden Blick auf den Grafen.

Die Könige, lies sich dieser darauf vernehmen, haben allzuviel Eigenschafften, die sie können lieben machen, und man wird wenig Exempel finden, daß eine Schöne ihr Hertz einem Monarchen solte verweigert haben. Ich weiß nicht, versetzte die junge Gräfin, ob sich Könige und Fürsten dessen mehr als andere zu rühmen haben: unser Geschlecht ist ein wenig eitel und liebet insgemein an hohen Häuptern mehr den äusserlichen Glantz und ihre Erhebung, als derselben ihre eigene [90] Personen. Ich wolte sagen, gnädige Gräfin, erwiederte der Graf, beyde Stücke wären allhier dergestalt mit einander verbunden, daß man das eine nicht wohl ohne das andere lieben könte. Ew. Gnaden, fuhr er deswegen fort, machen davon die Probe und lassen mich kein unglücklicher Bote eines liebens-würdigsten Königs seyn.

Man gieng darauf zur Tafel: der Gräfin Hof-Prediger speiste mit an derselben: er war ein sachtsinniger und frommer Mann. Die Gräfin erzehlte demselben, wie sich der Graf bey ihr so gleichgültig über die Religion erkläret hätte. Sie begleitete diese Erzehlung mit demjenigen Eiffer, der ihr natürlich war, wenn sie von Religions-Sachen redete. Der Geistliche, an statt ihre Parthie gegen den Grafen zu nehmen, billigte mit einer demüthigen Bescheidenheit dessen Meynungen: er fügte hinzu, daß nur eine wahre Kirche sey: diese gründete sich auf einen einfältigen Glauben und auf die Treu, mit welcher man Christo im Leben und Wandel zugethan wär. Diese Kirche, als die unsichtbare, hätte ihre Glieder und Bekenner in der gantzen Welt; sie sey weder an das alte noch neue Rom gebunden. Hieraus aber folge nicht, daß nicht auch eine äusserliche Kirche in der Christenheit start finden müste: solche wäre zur Unterhaltung guter Zucht und Ordnung, auch notdürftiger Unterweisung ganz unentbehrlich: er wünschte nur, fügte er hinzu, daß solche mehr nach Apostolischer Lehr eingerichtet [91] und in eine reinere und den Absichten GOttes gemasere Verfassung möchte gebracht werden; so wurde um so viel leichter das anhaltende Gezänck darinn gehoben, und die durch so viele Spaltungen getrennte Gemeinen unter ihrem eintzigen Herrn und Haupt vereiniget werden können.

Der Abend wurde hierauf von dieser Gesellschaft theils mit allerhand Gesprächen, theils auch mit einem kleinen Spiel vergnügt zugebracht. Der Graf von Rivera unterhielte sich die meiste Zeit mit der jungen Gräfin bey einem Camin-Feuer allein. Nachdem er derselben wegen des Königs Liebe alle nur mögliche Vorstellungen gethan hatte, und die Gräfin in keinerley Vorschläge sich einlassen wolte; so fragte sie endlich der Graf, was dann ihr Befehl wär, daß er dem König ihrentwegen sagen solte? Sagen sie ihm, Herr Graf, war ihre Antwort, daß ich sehr eigensinnig wär? daß ich mich zu nichts weniges als zu einer Königin schickte, und daß sie deswegen Sr. Majest. riethen, seine hohe Neigungen auf einen würdigern Gegen stand zu lenken.

Der Graf hatte sich keiner andern Erklärung von der Gräfin vermuthet. Seine Beredtsamkeit blieb hier ohne Nachdruck, seine Gegenwart selbst half ihre sonst gewöhnliche Wirkung hintertreiben. Ach! kommen sie doch lange nicht wieder, Herr Graf! sagte sie zu ihm, wenn sie mir nur immer von der Liebe des Königs reden wollen. Mein Gemüt ist für solche hohe Dinge [92] viel zu niedrig gestellt; wann dieses ein Zeichen ihrer Freundschaft seyn soll, daß sie mich darzu bereden wollen, so erlaub ich ihnen, mich ein wenig zu hassen. Wie nun der Graf sah, daß die Gräfin durchaus auf ihrer Meynung beharrte und sich nichts mehr wolte einreden lassen; so nahm er, wiewohl nicht ohne lebhafte Empfindung, von derselben Abschied, und reiste den andern Tag wieder nach Panopolis.

Man hatte unterdessen dem Grafen bey Hofe die gefährlichste Netze gestellet. Silon war zu gleicher Zeit mit dem Grafen zu Prato gewesen, und hatte in dem Schloß-Garten sich an die Fenster des Unter-Saals geschlichen, worinnen der Graf und die Gräfin sich befanden: er hatte nicht allein ihr gantzes Gespräch mit angehöret, sondern auch durch eine kleine Oefnung im Vorhang die Gräfin in der äussersten Bewegung und den Grafen zu ihren Füssen gesehen. Dieses war seinem Bedünken nach genug, dem Grafen seinen Fall zu bereiten. Er säumte sich nicht länger, sondern gieng nach dem Wirths-Haus, das im Flecken war, zurück, ließ sich eilends sein Pferd sattlen, und ritte damit bey dunkler Nacht wieder nach Panopolis zurück.

Er kam des Morgens bey guter Zeit nach Haus; sogleich wurde mit der Corinna und seiner Frauen Rath gehalten. Silon elzehlte ihr, was er zu Prato gesehen und gehöret hatte. Die Sache schien der Corinna für den Grafen gefährlich: sie hatte denselben der Herzogin von Salona [93] versprochen; deswegen war sie allhier darauf bedacht, wie sie den Grafen aus dieser Schlinge ziehen, und die Sache dahin vermitteln mögte, daß sie der Hertzogin ihr Wort halten könte. Silon aber, der solche Maaß-Regeln nicht zu beobachten hatte, und den Grafen zu stürzen suchte, wolte sich hierinn nichts einreden lassen: er nahm die Treue für seinen König zu seinem Vorwand, und vergiftete alle Umstände von dieser Begebenheit. Corinna bat ihn, so sehr sie immer konte, seinem Eifer gegen den Grafen ein wenig Einhalt zu thun: sie stellte ihm vor, daß derselbe bey Hofe einen grossen und mächtigen Anhang hätte, daß er des Königs Liebling wäre, daß man ihm die Sache läugnen könte, daß alles, was er gesehen und gehöret hätte, eine gantz unschuldige Auslegung litte; und endlich, daß, indem er den Grafen um den Kopf bringen wolte, er den seinigen dabey in Gefahr setzen würde; allein, alle diese Vorstellungen wolten bey dem falschen Silon nichts verfangen: er hielt den Grafen für seinen Feind, weil er dem König gute Rathschläge gab, und die Unordnungen bey Hof abzuschaffen suchte, worinn dieser seinen grösten Nutzen fand. Er blieb demnach auf seinem wilden Kopf, der König müste alles wissen, es mögte auch daraus entstehen, was da wolte.

Es war Nachmittag, als Silon nach Hofe gieng: er lauerte die Gelegenheit ab, dem König bey der Tafel vor das Gesicht zu kommen. [94] Der König sah ihm bald, und weil er denselben Tag bey ihm nicht die Aufwartung hatte; so fragte er ihn, wo er herkäme, und warum er so sträubig um den Kopf herum aussähe? Ich bin, gab er dem König zur Antwort, diese Nacht mit Erlaubnis des Herrn Ober-Cämmerers, einige Meilen von hier auf dem Lande gewesen, und wann es Ew. Majestät nach der Tafel allergnädigst erlauben, so werde ich deroselben von meinen Verrichtungen unterthänigsten Bericht abstatten. Der König war nicht so bald von der Tafel aufgestanden, so gieng er mit Silon in sein Cabinet, da dieser ihm alles erzehlete, was er zu Prato gesehen und gehöret hatte.

Der König war in diesem Punct, wie alle grosse Herren, mehr als empfindlich: er gerieth darüber in eine Wuth, die dem guten Grafen, wenn er wäre zugegen gewesen, das Leben würde gekostet haben. Zu gutem Glück kam gleich darauf der Hertzog von Sandilien nach Hofe. Der König fragte ihn voller Eiffer bey dem Eintritt ins Zimmer, was wohl ein Cavallier verdienet hätte, dem er bisher die höchste Gunst erwiesen, und der sein ihm bezeigtes Vertrauen mit der grösten Verrätherey belohnte? Der Hertzog war über diese Frage sowohl, als über das aufgebrachte Wesen des Königs sehr bestürtzt: ich wüste, antwortete derselbe, keinen solchen in Euer Majestät Diensten, und ich fürchte billig, demjenigen die gröste Beleidigung anzuthun, den ich darüber argwohnen solte. Es [95] ist der Graf von Rivera, brach der König mit einem entflammten Zorn heraus. Ich bitte Ew. Majestät allerunterthänigst, warf der Hertzog dargegen ein, sie wollen sich nicht übereilen, und dero Eiffer bis zu näherer Untersuchung der Sache mäßigen: der Graf von Rivera wird für den klügsten und aufrichtigsten Cavalier des Hofes gehalten: man kan Ew. Majestät unrecht berichtet haben. Was, unrecht berichtet? fuhr der König heraus: Der Untreue, der Verräther! ich habe mich durch seinen lebhafften und schmeichelenden Verstand einnehmen lassen: ich habe geglaubet, wie er alle Leute bereden könnte, was er wolte; so würde er auch eure Baase dahin bringen können, mich zu lieben und meine Gemahlin zu werden. Ich habe denselben in dieser Absicht nach Prato gesandt; Silon aber, der einige Spuren entdecket hatte, daß der Graf mit der Gräfin von Monteras ein geheimes Verständnüß haben solte, suchte in dieser Sache eine nähere Gewißheit zu erlangen, und reißte zu gleicher Zeit in verstellter Kleidung, dem Grafen nach: er schlich bey dunckler Nacht sich vor die Fenster eines Saals, worinn sich eure Baase mit dem Grafen allein befand: Der Graf nöthigte sie zwar Anfangs, sich für mich zu erklären; als ihm aber dieselbige ihr Mißfallen mit einigem Eiffer zu erkennen gab, und ihn einen Undanckbaren schalt, so warf der Graf sich zu ihren Füssen, küste ihr die Hände und gab ihr alle Merckmahle einer äussersten Liebe.

Indem der König dieses also dem Hertzog erzehlte,[96] sah er mit einem ergrimmten Blick nach dem Cammerdiener. Silon, sprach er, Silon, es kostet dir den Hals, wo du mich hier mit einiger Unwahrheit berichtest. Dieser zitterte vor dem Hertzog, bekräftigte aber gleichwohl vor demselben dasjenige, was er dem König gesagt hatte, indem er jenen deswegen zugleich auf das demüthigste um Verzeihung bat.

Der Hertzog war über diese Nachricht so voller Bestürzung, daß er nicht gleich wuste, was er sagen solte. Der Graf von Rivera war einer der angenehmsten und liebens-würdigsten Cavallier; und seine Base schien ihm eben kein Herze zu haben, das unempfindlich wär. Er urtheilte hieraus, daß die Begebenheit, die man dem König hinterbracht hätte, wol wahr sein könte. Dem Grafen Gewalt anzuthun und die Sache dadurch ruchtbar zu machen, hielt er nicht für rathsam: seine Base, dacht er, würde auf solche Weise beschimpfet, der Anhang des Grafens wider ihn aufgebracht und sein Vorhaben um so vielweniger erreichet werden.

Nach dieser kurzen Uberlegung bat er den König, ihm diese ganze Sache zu überlassen, mit der Versicherung, daß er darunter seines Königs Ehre schon würde zu retten wissen. Der König fiel ihm darauf um den Hals, nannt ihn, seiner Gewohnheit nach, seinen Vater: gehet, sprach er, denket, daß man mich beleidiget, daß ich König bin, und daß ich eure Base liebe. Damit gieng der König wieder in [97] sein Cabinet, und wolte niemand weiter vor sich kommen lassen.

Als den folgenden Tag darauf der Graf von Rivera wieder von Prato nach Panopolis kam, so fuhr er alsobald nach Hofe, um dem König noch bey dem Abend-Essen die Aufwartung zu machen. Er war nicht wenig verwundert, da er alle Zimmer auf der Burg dunkel und leer von Menschen fand: er fragte den Hauptmann von der Leib-Wach, was dieses zu bedeuten hätte? dieser berichtete ihm, daß der König sich nicht wohl auf befänd, und daß er deswegen heute niemand würde zu sich lassen. Der Graf wolte dem ungeachtet sich dem Schlaf-Gemach des Königs nähern, als Silon, der nebst einem Cammer-Junker vor der Thüre stund, demselben entgegen kam, und ihm andeutete, daß er diesen Abend den König nicht sprechen könte. Den Grafen verdroß die hochmüthige Art, womit dieser Mann ihm solches anzeigte; er fragte ihn, ob er ausdrücklichen Befehl vom König hätte, auch ihn nicht einzulassen? der Cammer-Junker bekräftigte solches: dieses machte dem Grafen einiges Nachdenken: er begab sich also, ohne ein Wort weiter zu reden, wieder nach Haus.

Den andern Morgen meldete sich bey ihm ein Befehlshaber von des Königs Leib-Regiment, und kündigte ihm an, daß er, ohne fernerer Erlaubnüs, nicht aus dem Haus gehen solte. Dem Grafen war dieses ein Räthsel: er war [98] sich nicht des geringsten Verbrechens bewust: er tröstete sich also mit seiner Unschuld: er gedachte, daß er keiner bessern Vertheidigung als dieser würde vonnöthen haben: er bildete sich ein, daß ein blosses Mißverständnüs hierunter verborgen seyn müsse, und daß eine nähere Untersuchung alles klar machen würde.

Nachmittag kam ein Königl. Geheim-Schreiber und befahl dem Grafen im Namen des Königes, sich fertig zu machen, um, so bald es Nacht seyn würde, von Panopolis aufzubrechen, und sich, als ein Staats-Gefangener, nach der Vestung Rozzomonte bringen zu lassen. Ihro Majestät der König, setzte der Geheim-Schreiber hinzu, wolte nicht gern mit dieser Gefangennehmung des Grafens ein Aufsehen machen, weil er dessen, was er beschuldiget würde, noch nicht überführet wär, der König auch solches selbst nicht glaubte; gleichwohl aber wären die Umstände also beschaffen, daß der König nicht anders könnte, als bis zu der Sachen näheren Untersuchung, ihn nach besagter Vestung zu schicken: woselbst er mittlerweile alle die Bequemlichkeiten, wie in seiner eigenen Behausung, finden würde. Ein Befehlshaber von der Leib-Wache würde mit einigen Reutern vor dem Thor seiner warten und ihn begleiten.

Der Graf von Rivera, so verwundert er auch war, sagte zu allem diesem nichts, als, er würde seines Königes Befehl wissen nachzuleben; [99] und solten Ihro Majestät seinetwegen sich nur nicht beunruhigen lassen.

Die Nacht kam herbey: die Post-Pferde wurden vor des Grafens Reis-Wagen gespannt, und der Graf nahm von seinem bisherigen lieben Wirth, dem Herrn von Ridelo, wie auch von dessen Gemahlin und der jungen Marianen Abschied.

Die Frau von Ridelo konte, nach ihrer natürlichen Lebhäfftigkeit, ihren Schmertzen über diesen Unfall des Grafens nicht zurück halten: Die Thränen flossen ihr aus den Augen: Sie rung die Hände: sie schrie: Ach, mein Vater! wie wird ihm zu Muthe seyn, wenn er dieses Unglück vernehmen wird, welches seinen liebsten Freund betrifft? wie sehr wird er sich betrüben, daß er ihm den Rath gegeben hat, nach Hofe zu gehen? Ach Hof! Ach unglückseliger Hof! fuhr sie mit gleicher Bewegung fort, du kanst keine tugendhaffte, du kanst keine redliche Gemüther leiden. Es sind kaum noch zehen Monathe verflossen, daß der Graf sich hier befindet, und derselbe muß bereits die Falschheit deines so wanckelmütigen Glückes erfahren! O Verhängnüs! wie kanst du so viel Bosheit dulden?

So lebhafft wuste die würdige Töchter des Herrn von Bellamont denjenigen Kummer auszudrücken, welchen sie bey dem Unrecht, so der Graf leiden muste, empfand. Die junge [100] Mariane war bey diesem Abschied gleichfalls sehr bewegt: sie sagte nichts, sie weinte nur. Der Herr von Ridelo wolte den Grafen begleiten: dieser aber bat ihn, solches nicht zu thun, weil sie beyde die Ursach seiner Ungnade noch nicht wüsten: er umarmte sie damit alle drey, als ob sie seine leibliche Geschwister wären, setzte sich damit in seinen Wagen, und hinterließ sie alle sehr traurig.

Der Hertzog von Sandilien hatte den Tag zuvor schon einen geschwinden Boten nach Prato gesandt, mit dem Befehl, daß seine Base sich eilends wieder bey ihm einfinden möchte, weil ihre Gegenwart in Panopolis unumgänglich erfordert würde. Der Bote kam eben des Morgens an, als kurtz vorher der Graf von Rivera aufgebrochen war.

Sowohl die Gräfin als ihre Frau Mutter, waren über diesen so gemessenen Befehl erschrocken; es ahndet mir nichts Gutes, sagte die alte Gräfin mit Seufzen: wolte GOtt! ihr hättet, meine Tochter, den Hof nie gesehen; Diese stille Triften wären genug gewesen euch zu einem glücklichen Aufenthalt eines unschuldigen und vergnügten Lebens zu dienen. Worzu nutzet doch der Pracht und die Hoheit des Hofes, als daß er denjenigen, die darinn ein Vergnügen suchen, nur destomehr Sorgen verursacht, und sie zu allerhand Sünden und Thorheiten verleitet? wohl dem, der davon entfernet, bey einem GOtt-gefälligen eingezogenen [101] Wandel, seine Tage in Ruh und Zufriedenheit hinbringen kan.

Der jungen Gräfin war diesesmahl eine solche Sitten-Lehre nicht völlig nach ihrem Geschmack: es sey, daß die Hoffnung ihren geliebten Grafen desto eher wieder zu sehen, ihr schmeichelte, oder daß die Jugend bey ihr noch ihr Recht behauptete: als welche ihr die Welt und ihre Eitelkeiten noch nicht so sehr, als ihrer Frau Mutter, verleitet hatten. Es kam ihr zum wenigsten dismahl leichter an als zuvor, sich nach dieser Reise nach Panopolis zu entschliessen.

Es war bey dunckler Abends-Zeit, als sie in der Vorstadt von Panopolis anlangte. Ihr begegnete allhier gleich vor dem Thor eine mit sechs Post-Pferden bespannte Gutsche, welche mit Reutern umgeben war: ein Bedienter, der neben her ritt, und eine brennende Fackel in der Hand hatte, gab ihr des Grafens Reis-Wagen und einen vornen auf sitzenden Liberey-Diener von demselben zu erkennen: sie wurde über diesen Anblick nicht wenig bestürtzt. O Himmel! was seh ich? rief sie hier voller Schrecken aus, dieses ist der Graf von Rivera. Asmenie, die bey ihr in dem Wagen saß, suchte ihr diese Einbildung auszureden; allein, sie waren nicht so bald in dem Sandilischen Pallast abgestiegen, so vernahmen sie davon die Gewißheit.

Noch mehr aber vermehrte sich der Gräfin ihre Bestürtzung, als ihr der Hertzog sagte, daß [102] der Graf von Rivera gefangen, und daß sie daran Ursach wär. Diese Nachricht, setzte ihr Gemüt in solche grausame Bewegung, daß ihr alle Glieder zitterten. Der Herzog wolte ihr dieses Räthsel erstlich nach der Tafel erklären; Die Gräfin aber, an statt sich ein wenig umzukleiden, und bey der Tafel zu erscheinen, legte sich zu Bette, und empfand einen heftigen Anstoß vom Fieber.

Der Herzog, als er solches vernahm, begab sich alsobald zu ihr; und weil er glaubte, die eingezogene Nachricht von des Grafens Gefangenschaft mögte sie zu sehr aufgebracht haben; so suchte er ihr die Sache viel gelinder beyzubringen: er erzehlte derselben die Begebenheit des Grafens mit den allergleichgültigsten Umständen: er fügte hinzu, daß es alles nichts zu sagen hätte, und daß die ganze Sache, bey näherer Untersuchung; bald ein anderes Ansehen gewinnen würde.

Die Gräfin aber, die leicht muthmassen konte, das man einen Cavallier, wie den Grafen von Rivera, nicht ohne die wichtigste Ursachen gefangen führen würde, geriet darauf in die allerheftigste Bewegungen: welcher Verräther, brach sie heraus, hat hier den Grafen in dieses Unglück gestürzet? wem solt ich eine so abscheuliche Bosheit immermehr zutrauen?

Ach! der Graf, fuhr sie mit gleichem Eifer fort, ist unschuldig. Ich allein, gnädiger Herr! ich allein, sagte sie voll rührender Zärtlichkeit, [103] und indem sie sich im Bett aufrichtete, ich bin an allem schuld: ich, nur ich, habe wider den König gesprochen: der Graf hat mir seinetwegen alle ersinnliche Vorstellungen gethan ... der König hat keinen getreuern Diener als ihn ... er ist allzuredlich für einen solchen König .... Ach grausamer König ... gehen sie doch, liebster Herr Oheim, gehen sie doch, und retten dem armen Grafen das Leben. Ich sterbe, wann er solches meinetwegen verliehret.

Der Herzog erkannte aus dieser bangen Sprache seiner Basen mehr als zu viel, welche Leidenschaft ihr solche in den Mund legte. Er furchte, die Hitze mögte bey ihr überhand nehmen; er suchte ihr deswegen alles dasjenige, was solche vermehren konte, aus dem Sinn zu reden, und ihr Gemüt so viel als möglich zu beruhigen. Allein, es war bereits zu spät, die Krankheit nahm bey ihr überhand, und der Herzog gerieth darüber in den äussersten Schrecken.

Das fünffte Buch

[104] Das fünffte Buch.

Mittlerweile, daß die Gräfin von Monteras zu Panopolis sich so übel befand, war der Graf von Rivera binnen vier und zwanzig Stunden, vermittelst beständiger Abwechselung der Post-Pferde, glücklich auf der Vestung Rozzomonte angekommen. Er sah hier mehr ein irrdisches Paradies, als ein Gefängnüs.

Die Vestung liegt auf einem ziemlich hohen Felsen, dessen obere Fläche man in einer halben Stunde kaum umgehen kan: rings umher entdeckte man ein weit offenes Land, und in der Ferne einen breiten Arm von der Abendländischen See, welchen ein daran stossendes blaue Gebürge in einen unvergleichlichen Schatten setzte: ein breiter Strohm, der unten an dem Fuß des Bergs vorbey floß, zertheilte sich durch das platte Land in viele kleine Gewässer. Man bemerkte hier die angenehmste Himmels-Gegend: man sah allenthalben bebaute Felder, grüne Weyden, fette Triften, lustige Gehölze und schöne Gärten; das ganze Land war voller Einwohner: wo ein Flecken sich endigte, da fieng ein andrer an: eine Hof-Städte, eine Meyerey lag hier bey der andern. Kurz, es war gleichsam dieses die einzige Landschaft von dem ganzen Königreich, welche die allgemeine [105] Noth nicht mit empfand, und deren Einwohner sich dargegen durch ihren Acker-Bau und durch ihre gute Wirthschaft noch geschützet hatten.

Auf der Vestung selbst war ein vortrefflicher Garten: er umringte den Hof und die Gebäude, ihn selbst aber bedeckten die Vestungs-Werke. Auf den kleinen Wällen sah man die schönste Baum-Alleen.

Die Gemächer waren meist Königlich ausgezieret, und schien mehr für die glücklichste Menschen, als für Gefangene zu seyn, welche in des Königs Ungnade gefallen waren. Was noch mehr, so beherrschte diese Vestung ein General, welcher alle Eigenschaften besaß, seinen Gefangenen die Wiederwärtigkeiten ihres Glückes auf die angenehmste Weise zu versüssen: er war schon alt, er hatte aber einen desto munteren und aufgeweckten Kopf, je schwächer bey ihm die Füsse waren.

Er empfieng den Grafen von Rivera, als ob er ihm längst wäre bekant gewesen; er fiel ihm um den Hals: Ihr Unglück, mein Herr, redete er ihn an, welches sie sonder Zweifel hieher bringet, ist mir leid: doch, haben sie nur einen guten Muth: ich werde suchen, ihre Gefangenschaft ihnen nicht beschwerlich zu machen.

Der Officier, welcher den Grafen begleitet hatte, überreichte hierauf diesem Obersten Befehlshaber [106] ein Schreiben von dem Hertzog von Sandilien.

Als der General solches gelesen, umfieng er den Grafen aufs neue, und konte ihm seine Freude nicht bergen, die er hatte, ihn kennen zu lernen; zumahl, da er aus dem Brief des Hertzogs von Sandilien so viel ersehen konnte, daß dessen Verbrechen von gantz keiner Bedeutung seyn müsse.

Der General stützte darauf seinen baufälligen Cörper auf seinen Stecken, und führte den Grafen, mit halb-gebrochenen Schritten, durch die vornehmste Gemächer des Schlosses; unter welchen er denselben bat, die annehmlichsten sich zu seinem Quartier zu wehlen. Der Graf that solches, und als er darauf etwas von Speisen zu sich genommen hatte, begab er sich mit einem gelaßnen Sinn zur Ruh.

Die arme Gräfin von Monteras hatte keine so gute Nacht, als der Graf. Man hatte ihr zur Ader gelassen; dem ungeacht war die Hitze bey ihr dergestalt gestiegen, daß sie irrte. Der Hertzog schien darüber untröstbar, und Asmenie konte nichts als weinen: man schickte eilends nach ihrer Frau Mutter; sechs der besten Pferde, aus dem Hertzoglichen Stall, wurden ihr mit einem Gutscher und Reit-Knecht nach Prato gesandt: die Pferde liefen bis dahin in einem Traben, die alte Gräfin warf sich voller Schrecken, auf die erhaltene Nachricht von dem Zustand [107] ihrer Tochter, in ihre Gutsche: sie fuhr in einem Rennen und so schnell die Pferde lauffen konten, nach Panopolis. Auf der Helffte des Wegs wurden sie mit einem frischen Gespann verwechselt, die eben so hurtig vom Weg trabten als die vorige.

Die Gräfin fand ihre Tochter noch abwesend; die Aertzte hatten ihr ein gewisses Pulver beygebracht, welches die unordentliche Hitze und Wallungen im Geblüt zu dämpfen pflegte: solches that seine Wirckung: Sie ruhete darauf einige Stunden; und da sie die Augen wieder aufschlug, war sie wieder bey sich selbst. Hier wurde sie mit innigster Freude ihrer Frau Mutter gewahr, die unten bey ihr auf dem Bette saß: sie ergriff alsobald derselben ihre Hand, führte sie nach dem Mund, und wolte sich aufrichten; allein ihre Mattigkeit ließ solches nicht zu: ihre Frau Mutter küste sie auf das zärtlichste: woher kommt euch, liebste Tochter, redete sie dieselbe an, ein so hefftiger Zufall? man hat mir gesagt, eine ausserordentliche Gemüths-Bewegung habe solchen bey euch verursacht? ach! setzte sie hinzu, Hab ich euch nicht immer ermahnet, euch davor in acht zu nehmen?

Aber, liebste Frau Mutter, ließ diese sich mit schwacher Stimme vernehmen, wenn ich daran Ursach ware, daß der unschuldigste Mensch von der Welt um sein Leben kommen solte? Lasset, euch mein Kind, diese Furcht aus den Gedancken [108] reden, antwortete der Gräfin Mutter. Man bringet einen Cavallier, wie der Graf von Rivera ist, so hurtig nicht ums Lebens: Euer Oheim, der Hertzog, hat ihn bereits der ersten Wuth des Königs entrissen, und denselben in völlige Sicherheit gebracht: Ach! gnädige Frau Mutter, versetzte darauf die beängstigte Gräfin, ich kenne die Eifersucht des Königes; ich habe Ursach alles von ihm zu fürchten.

Als die Gräfin dieses sagte, trat der Hertzog ins Zimmer; und da er sah, daß sie sich besser befand, kont er ihr seine Freude darüber nicht genugsam ausdrucken. Er berichtete ihr, um sie völlig zu beruhigen, daß dem König seine Ubereilung mit dem Grafen von Rivera leid wäre; daß er ihm bekannt hätte, wie er sich in dieser Sache zu hurtig habe aufbringen lassen. Noch mehr sey ihm die Nachricht von ihrer Unpäßlichkeit an das Hertze gedrungen. Er hätte deswegen seinen Leib-Aerzten befohlen, für dieselbe so viel Sorgfalt, als für sein eigen Leben zu haben. Auch solte der Graf von Rivera, wo sie es verlangen würde, wieder auf freyen Fuß gesetzt werden: es wär aber, fügte er hinzu, nicht rathsam, sich dieser Gefälligkeit des Königes, zum Vortheil des gefangenen Grafens zu bedienen; denn die Ehre und Majestat des Königes litte darunter, wenn der Graf so bald wieder solte frey gesprochen, und die Gerechtigkeit des Monarchens gleichsam dadurch eines Fehltritts beschuldiget werden. Der Hertzog versicherte dabey seine kranke Base, daß er den Grafen an einen [109] so guten und sichern Ort hätte bringen lassen, daß er nirgendwo besser seyn könnte.

Diese Nachrichten waren der betrübten Gräfin so angenehm, daß solche ihr besser, als alle bisherige Arzneyen zuschlugen: ihre Augen wurden munterer, ihre schier erblaßte Wangen durchzogen wieder ein wenig Farbe: ihre Lippen rührten sich zu einer holden Schmeicheley: sie ergriff den Hertzog bey der Hard und führte solche mit einer zarten Bewegung nach dem Mund. Der Hertzog beantwortete ihr diese Liebkosung, indem er ihr Haupt mit einem durchdrungenen Gemüt an seine Brust drückte: Ach! werdet nur wieder gesund, wertheste Tochter, sprach er zu derselben, das übrige soll sich alles geben.

Die schlaue Corinna war unterdessen, daß die Gräfin ihrer Unpäßlichkeit halber nicht aus dem Zimmer kam, auf allerhand Streiche bedacht, wie sie den Grafen wiederum in Freyheit setzen, und ihn der Hertzogin von Salona zuspielen möchte. Sie kam deswegen zu dem Hertzog von Sandilien: sie entdeckte ihm mit einer listigen Bescheidenheit, wie sie von allen Begebenheiten des Grafens von Rivera Wissenschaft hätte; und wie sie auf einen Anschlag gekommen wär, den König mit guter Art von einem so gefährlichen Mitbuhler zu befreyen. Der Herzog wolte sich anfänglich gegen dieses Weib nicht heraus lassen, noch dieselbe glauben machen, als ob seine Absichten mit seiner Basen bis auf den Thron giengen: allein, Corinna [110] sah hier dem Herzog tiefer ins Herz, als er solches meynte: sie erklärte sich deshalben so schmeichelhaft: daß gleichwohl die ganze Welt die würdige Wahl des Königs billigte, und daß es endlich ihm selbst von dem König dürfte übel genommen werden, wenn er sich darinn seiner Neigung wiedersetzen wolte. Kurz, der Herzog ließ sich mit ihr ein: sie offenbarte ihm ihre Anschläge, den Grafen der Herzogin von Salona zu freyen. Der Herzog fande solches wohl ausgedacht: er versprach ihr eine reiche Belohnung, wenn sie diese Heyrath zu Stand bringen würde.

Die verschmitzte Corinna hatte ihm nicht gesagt, daß die Herzogin von Salona des Handels bereits einig wäre: sie ersann hundert Schwierigkeiten, um die Verdienste ihres Verstandes desto grösser zu machen, wenn sie die Herzogin darzu würde bereden können. Der Herzog im Gegentheil zweifelte gar nicht, der Graf würde ein solches Glück, welches das gröste wär, so er in der Welt machen könte, mit beyden Händen ergreiffen; er hoffte dadurch die gröste Hindernüs zu heben, welche seine Base bishero noch gehindert hätte, ihre Liebe dem König zu wiedmen.

Corinna kam nach einigen Tagen wieder zu dem Herzogen, und berichtete ihm, daß die Sache mit der Herzogin von Salona so gut als richtig wär: dieselbe hätte zwar Anfangs, sagte sie, ihren Vortrag sehr verächtlich angehöret: [111] sie hätte ihren hohen Rang, den Wohlstand ihres Geschlechts, nebst andern Schwierigkeiten vorgeschützet; dem ungeachtet aber war sie doch so glücklich gewesen, dieselbe zu bereden, daß sie sich entschlossen hätte, den Grafen von Rivera zu ihrem Gemahl anzunehmen: wenn nur der König ihm die Gnade thun würde, demselben eines von den Ober-Aemtern bey Hof zu geben; weil sie sonst, als eine Dame, die den Vortritt bey Hofe hätte, sich ohne Verletzung des Wohlstandes an einen blossen Cammerherrn nicht vermählen könte; sie zweifelte auch nicht, der König würde solches, in Betrachtung der ganz besonderen Verdiensten dieses Cavalliers, gar leicht gewähren; wo anders ihre Durchlaucht, der Herzog von Sandilien, sich dieser Sache annehmen wolte.

Wenn wir sonst keine Schwierigkeit werden zu heben finden, als diese, antwortete hierauf der Herzog, so soll unser Anschlag bald einen guten Fortgang gewinnen. Er befahl damit der Corinna die Verschwiegenheit, und versicherte sie nochmahls aller Erkentlichkeit.

Der Herzog verfügte sich darauf zum König. Dieser war nicht zum besten auf: seine Leib-Aerzte hatten an seiner Gesundheit angefangen zu künsteln, und bey den rauhen Winter-Tagen ihm verboten nicht aus seinem Zimmer zu gehen. Dem König fiel damit die Zeit lang: diese Langeweile machte ihn immer an seine Liebe denken, und dieses stete Denken, worinnen sich [112] Argwohn, Eifer und Sehnsucht mischten, verursachte ihm allerhand Beschwerlichkeiten.

Der Herzog fand den König in einem solchen Zustand, da er ihm seinen Vorschlag eröfnete: Er hatte aber kaum noch ausgeredet, als der König, voller Zorn und Unmut, heraus fuhr: wie, Hertzog! solt ich mich noch des Treu-losen Grafens von Rivera annehmen, und seine Verrätherey mit den höchsten Aemtern meines Hofs vergelten? wo denket ihr hin? würde dieses nicht auch andere hinfort verleiten, mich ohn alle Scheu und Ehrfurcht zu beleidigen?

Ich habe alles wohl überlegt, allergnädigster König, antwortete hierauf der Hertzog. Meine Base hat mir aufrichtig das ganze Gespräch, welches sie mit dem Grafen zu Prato gehabt, erzehlet. Sie ruft den Himmel zum Zeugen an, daß der Graf nicht allein unschuldig; sondern, daß er auch Ew. Majestät eifrigster und getreuster Diener wär. Der Herzog berichtete bey dieser Gelegenheit dem König den eigentlichen Verlauf dieser Sache, worauf der König sich zwar etwas ruhiger bezeigte; gleichwohl aber daraus auch so viel erkante, daß, wo der Graf ihn nicht hintergangen hätte, derselbe wenigstens doch von der Gräfin geliebet würde. Dieses machte ihn den Vortheil erkennen, den er durch die vorgeschlagene anderwärtige Vermählung des Grafens mit der Herzogin von Salona erlangen würde: er gab deswegen dem Herzog von [113] Sandilien freye Macht, dieses Geschäft so bald als möglich, hinaus zu führen, und dem Grafen nicht nur die vorige Königliche Gnade, sondern auch die Ober-Falkenirer-Stelle anzubieten; im Fall er sich entschliessen würde, die Herzogin von Salona zu heyrathen.

Der Herzog, als er wieder in seinen Pallast zurück kam, wuste lange nicht, wem er sich in diesem Geschäfte anvertrauen, noch durch wen er dem Grafen von seinen Absichten die Eröfnung solte thun lassen: er sann hin und her: endlich fiel er mit seinen Gedancken auf den Herrn von Ridelo. Vielleicht, sprach er bey sich selbst, ist dieses Herrn seine Freundschaft für den Grafen so groß, daß er, ihm zu gefallen, sich wohl entschliessen dürfte, diese Reise anzutreten: er fuhr deswegen zu ihm, nach seinem Pallast. Herr Intendant, redete ihn der Herzog an, nachdem ihn dieser in sein Cabinet geführet, ich weiß, daß sie ein aufrichtiger Freund von dem Grafen von Rivera sind. Sie können ihm davon eine neue Probe geben, wenn sie sich wolten gefallen lassen, zu ihm nach der Vestung Rozzomonte zu reisen und demselben einen gewissen Vortrag zu thun, den ich sonst niemand wohl als ihnen anzuvertrauen wüste.

Ich und mein Haus, erklärte sich hierauf der Herr von Ridelo, sind dergestalt dem Grafen von Rivera mit Hochachtung und Freundschaft verbunden, daß ich keine Gelegenheit verabsäumen werde, demselben alle nur möglichste Dienste zu erweisen, und dieses um so viel mehr, wenn [114] Ew. Durchlaucht selbst darzu mich auffordern solten.

Sie wissen, mein Herr Intendant, fuhr darauf der Hertzog fort, daß unseres Grafens Ungnade von einem unglücklich gefaßten Argwohn des Königs herrühret: und daß, wo ich ihn nicht noch dem Eifer des Königs zu rechter Zeit entzogen hätte, es übel mit ihm würde ausgesehen haben. Ich muß gestehen, fuhr er fort, daß ich etwas an diesem jungen Cavallier gefunden, das mir gleich im ersten Anblick für denselben eine besondere Hochachtung gab. Ja, wann ich es sagen darf, so hätte ich niemand lieber, als ihm, meine Base gegönnet, wo nicht, zu meinem Verdruß der König darzwischen gekommen wär. Indessen wurde mir von sicherer Hand entdeckt, daß die Hertzogin von Salona ihm nicht ungeneigt wär: ich hab es auch bey ihr durch eine geheime Unterhandlung so weit gebracht, daß sie sich wirklich erkläret hat, ihn zu ihrem Gemahl anzunehmen. Der König giebt darzu seine Einwilligung; und damit er dieser hohen Parthie nicht unwürdig scheinen mögte, so will ihn derselbe zum Ober-Falkenier ernennen, welche Stelle von unsern Hof-Aemtern den vierten Rang führet. Niemand, als sie, mein Herr, kan dieses Geschäfte besser zu Stande bringen. Und weil wir den Grafen von Rivera beyderseits hochschätzen, so wird es ihnen, mein Herr Intendant, auch hoffentlich nicht misfallen, daß ich in die ser Angelegenheit mich niemand anders, als ihnen, anvertrauen mag.

[115] Der Herr von Ridelo bezeigte sich dafür dem Hertzogen verbunden; und ob er gleich des Grafens Meynung wuste, und in dieser Sache wenig bey ihm auszurichten hofte; so begab er sich doch dem ungeacht gleich den folgenden Tag darauf nach Rozzomonte.

Der Graf von Rivera war auf das angenehmste bestürzt, als er den Herrn von Ridelo bey sich sah. Er fragte ihn, nachdem sie sich einander zärtlich umarmet hatten, wo er herkäme, und ob er einen Gefangenen besuchen wolte, deme seine Gefangenschafft so süsse gemacht würde, daß er schier seiner Freyheit darüber vergässe; ob man gleich sonst zu sagen pflegte, daß es keine schöne Gefängnüsse gäben. Es mag leicht seyn, antwortete ihm der Herr von Ridelo, daß sie allhier ruhigere Stunden geniessen, als ihre Freunde zu Panopolis, die bisher ihrentwegen nicht wenig in Sorgen leben. Ich bring ihnen unterdessen viel Gutes, Herr Graf, sprach er zu demselben; ich furchte nur, sie mögten nicht alles annehmen: sie sind frey, und wieder in voriger Gnade bey dem König: er erkläret sie zugleich zum Ober-Falkenier: ja, sie sollen so gar die erste Heyrath bey Hofe thun, und die Hertzogin von Salona zur Gemahlin bekommen. Der Hertzog von Sandilien, fügte er hinzu, hält dieses letzte vor das eintzige Mittel, die Eifersucht des Königes zu besänftigen, und das Glück des Herrn Grafens vollkommen zu machen.

Der Graf fand sich durch dieses Anerbieten [116] äusserst beehrt: er dankte dem Herrn von Ridelo, daß er sich die Mühe genommen hätte, deswegen zu ihm zu reisen; und erklärte sich dahin, daß er noch zur Zeit seiner Ehrsucht wüste Gränzen zu setzen, und daß es ihm eine grosse Last seyn solte, sich schon zu verheyrathen; ob er gleich gestehen müste, daß solches nicht vortheilhafter geschehen könnte, als es ihm vorgeschlagen würde. Was aber des Königs Eifersucht beträffe; so müste er zwar aufrichtig bekennen, daß er sich von der Gräfin von Monteras habe einnehmen lassen; so bald aber der König gleiche Neigung für sie hätte blicken lassen, so wär er darinn seinem Verhängnüs gewichen und hätte alle Pflichten der Ehrerbietung, des Wohlstandes und der Aufrichtigkeit gegen seinen König beobachtet.

Was wird also, fragte der Herr von Ridelo, bey dieser Sache zu thun seyn? schlagen der Herr Graf diejenige Parthie aus, welche man ihnen als das gröste Glück, so sie an unserm Hof erwarten können, anbietet; so wird dadurch des Königs auf sie geworfene Eifersucht, dem Schein nach, gerechtfertiget, und auf das höchste getrieben werden: dessen Ungnade ist ihnen sodann gewiß. Wohlan, sprach der Graf, er lasse mich auf dieser Vestung, oder verweise mich auf meine Herrschaft, und verbiete mir auf Lebenslang den Hof: die Strafe wird für mich süsse und der Gerechtigkeit des Königs gemäß seyn. Ach! die Gefahr, liebster Herr Graf! redete ihm der Herr von Ridelo ein, [117] ist für sie grösser, als sie sich solche einbilden: der König ist ein junger jäh-zorniger Herr; die Verschmähung der ausserordentlichen Vortheile, die er ihnen anbieten lässet, wird dessen Argwohn auf das grausamste vermehren, und ihnen vielleicht gar das Leben kosten.

Er ist Herr darüber, antwortete der Graf mit Gelassenheit; ich bin sein Unterthan: Könige können thun, was sie wollen, wenn sie keinen GOtt und keine Gerechtigkeit über sich erkennen. Ach! verfolgte der Herr von Ridelo, sie lassen sich doch besser rathen, und geben den Regungen ihrer feurigen Jugend nicht allzuviel Gehör: es ist öfters die großmüthigste Standhaftigkeit mit einem gewissen Eigensinn verschwistert, der zwar unsrer Tugend schmeichelt; aber alsdann nicht mehr zu entschuldigen ist, wenn er uns blos deswegen unglücklich macht, weil wir uns vorgenommen haben, darinn nichts nachzugeben: ihr Leben ist viel zu edel, als daß sie es nicht höher achten solten: sie sind solches den Wünschen ihrer Freunden, der Liebe ihrer Angehörigen und der Erwartung eines ganzen Volkes schuldig.

Was rathen sie mir dann, fragte hierauf der Graf, das ich thun soll? Ich würde, wann ich an ihrer Stelle wär, die Gnade des Königs annehmen, antwortete jener, und darinn der Schickung des Himmels folgen. Wann die Vermählung mit der Hertzogin, unterbrach dieser, nicht davon die Bedingung machte, so würde[118] ich es selbst glauben, und ihrem Rath folgen; alleine, ich halte nicht dafür, daß dergleichen blose Staats-Heyrathen GOtt wohlgefällig seyn können.

Man sagt aber, erwiederte der Herr von Ridelo, daß die Herzogin von Salona tugendhaft und Liebens-würdig wäre: es kan seyn, versetzte jener, ich liebe sie aber nicht; was kan ich dafür, daß mein Herz so unartig ist? Sie sehen sich vor, Herr Graf, redete der Herr von Ridelo weiter, daß eine unglückliche Liebe sie nicht dahin verleite, eine allem Ansehen nach glückliche auszuschlagen. Wo ist der kluge Welt-Weise? würde meine Frau wieder ausrufen, wann sie hier zugegen wär, Heist dieses seine Affecten beherrschen und von der Liebe sich nicht einnehmen lassen?

Ach! was sagen sie mir? mein werthester Herr Intendant, war hierauf des Grafens Antwort: heist dieses von der Liebe sich einnehmen lassen, wenn man dasjenige, was man mit der grösten Zärtlichkeit verehret, der allergrausamsten Schuldigkeit aufopfert? So bald hatte ich nicht die Liebe des Königes für die Gräfin von Monteras wahrgenommen; so that ich meinem Herzen alle nur ersinnliche Gewalt, die für sie gefaste Neigung noch in ihrer ersten Geburt zu ersticken. Ich vermiede mit der grösten Sorgfalt alle Gelegenheit sie alleine zu sprechen: ich sah, daß mir ihre Augen, wann ich sie in Gesellschafft fand, einen verborgenen Kummer entdeckten: [119] sie schien mir damit meinen Wankelmut vorzuhalten: sie seufzete, wenn ihr ungefär meine Blicke begegneten: ich entschuldigte damit gleichsam bey ihr meine Aufführung, indem ich sie auf den König wiese: sie that, als ob sie mich verstünde, und als ob sie deswegen betrübt wäre. Dieses war nicht genug: ich muste zu Vermehrung meiner Pein nicht allein das Unglück haben, daß der König mein Mitbuhler wurde; sondern er machte mich auch zum Vertrauten seiner Liebe, was sag ich? gar zu seinem Unterhändler. Ich habe geglaubt, ich hätte meiner Pflicht damit ein Genügen gethan, daß ich meine eigene Regungen unterdruckte, und die Gräfin dahin zu bewegen suchte, den König zu lieben. Ach, grausame Pflicht! was hast du meinem Herzen nicht vor unsagliche Marter gekostet? solte man mich auch noch verbinden wollen, einer Person die Hand zu geben, welche ich nicht lieben kan?

Sie sind, mein werthester Herr Graf, antwortete hierauf der Herr von Ridelo, bey allen ihren grossen Eigenschaften nicht wenig zu beklagen: sie machen, daß man sie lieben muß: sie gefallen der vollkommensten Dame an unserm Hofe: ihre Tugenden haben bey ihr mehr Reizungen, als die Königliche Crone: sie bewegen sie auch wider ihren Willen, daß sie dem König kein Gehör giebt: der König weiß um die Ursach dieser Kaltsinnigkeit: er muß denjenigen nothwendig hassen, dem die Gräfin von Monteras in ihrem Herzen einen solchen empfindlichen Vorzug [120] giebt: Könige sind gewohnt über alles zu herrschen, und wer ihrer Gewalt etwas in den Weg leget, oder vor ihnen sich einigen Vorzug erwirbet, der ist ihr Feind, und der hat sich allenthalben in acht zu nehmen, daß er nicht das Opfer ihrer beleidigten Hoheit werde.

Ich verstehe sie, hochgeschätzter Freund! erklärte sich hierauf der Graf; ich beklage von Herzen, daß ich meinem König, dem ich sonst mit äusserster Treu und Liebe zugethan bin, Anlaß gegeben habe, auf mich ungnädig zu werden: Bitten sie doch deswegen den Herzog von Sandilien, daß er, zur Beruhigung des Königes, mich auf dieser Vestung lasse: sagen sie ihm, daß ich ihm für eine so süsse Gefangenschaft verbunden wäre, und daß ich, so lang ich lebe, ein aufrichtiger Diener von ihm und seinem ganzen Hause bleiben werde: oder will man einen Unschuldigen nicht mit dem Verlust seiner Freyheit strafen, so verbiete man mir auf allezeit den Hof, und lasse mich davon entfernet, in der Verborgenheit, auf meinen Gütern leben: ich werde dem König auch abwesend meine Ehrfurcht, meinen Gehorsam und meine Redlichkeit zeigen.

Nach dieser Erklärung des Grafens, trat der alte General ins Zimmer, und bewillkomte den Herrn von Ridelo nach seiner gewöhnlichen Höflichkeit. Meine Herren, sprach er darauf zu ihnen, es ist bald Mittag; gefällt es ihnen, allein, oder mit der Gesellschaft zu speisen? Der Herr [121] von Ridelo wolte das erste wehlen; allein, der Graf fiel ihm in die Rede: Nein, werthester Herr Intendant, sagte er zu ihm, sie müssen sich dismahl nach unserer Weise bequemen und auch sehen, wie hier die Gefangene leben. Auf dieser Vestung, fuhr er fort, herschet ein eigner Stern, der lauter muntere und angenehme Einflüsse hat; die unglückseligste Menschen vergessen hier ihren Kummer: die Strafe der Gefangenschaft, womit sie die Gerechtigkeit, oder ein widriges Schicksal beleget, verwandelt hier ihre sonst gewöhnliche Härte in eine ganz vergnügte Lebens-Art. Sie werden sich gefallen lassen, davon einen Zeugen abzugeben.

Der General muste von Herzen über des Grafens Einfälle lachen: dieser alte Soldat hatte denselben binnen den vierzehen Tagen, als er sein Gefangener war, ungemein lieb gewonnen: es schienen gleichsam seine Kräfte sich zu verjüngen, um sich nach dessen Jugend einzurichten und ihrer Anmut sich mit theilhaftig zu machen. Der König hätte keinen sinnreichern Mann finden können, diejenige aufzumuntern, welche den Verlust ihrer Freyheit beklagten, und öfters fürchten musten, um alle Vortheile dieses Lebens zu kommen.

Der General führte darauf seine beyde vornehme Gäste in einen grossen Speise-Saal, welcher eigentlich eine Art des Gewächs-Hauses war, wohin im Winter die Pomeranzen-Bäume gebracht wurden. Dieser hatte viel merkwürdiges [122] in sich: die vier Jahrs-Zeiten waren darinn auf eine besondere sinnreiche Art entworffen. In der Mitten zeigte sich der Winter mit einem grossen Camin, darinn, weil noch die Kälte regierte, ein starkes Feuer brante. Die Aufsätze auf den Gesimsen bestunden aus verschiedenen kleinen Figuren, welche die kalte Nord-Länder vorstellten, die theils mit Rennthieren auf Schlitten fuhren, theils mit Schritt-Schuhen schliffen, theils Holz, theils Felle von allerhand Thieren trugen, in der Umfassung stunden verschiedene Geschirre von feinem Porcellan; und das darinn enthaltene Gemähld zeigte auf eine sehr künstliche Art die vornehmste Beschäftigungen und Kurzweile, die man zu Winters-Zeit vorzunehmen pfleget.

Zur Rechten Seiten dieses Saals sah man den Frühling in einem ordentlichen Winter und Lust-Garten vorgestellt, welcher mit einer zierlichen Balustrade von dem Saal unterschieden war. Man sah hier das schönste Blumen-Stück mit untermengten Taxis, Lorbeer, Pomeranzen, und Citronen-Bäumen; welche theils zwischen kraus-gezogenen Bux, und einem von Muscheln, Sand und Kohlen bundfärbigten Grund aus der Erden wuchsen; theils in Kasten und Geschirren nach der Ordnung mit eingeschoben waren, und durch verborgene eiserne Röhren, welche der Rauch aus geheitzten Oefen warm hielte, vor der Kälte geschützet wurden. In der Mitten dieses in vier Ländergen eingetheilten Stuben- und Winter-Gartens, sah man ein [123] Springwerk, welches mit einem schlorfenden Zischen in die Höh spielte, und mit einem schallenden Rausch in einen kleinen Behälter niedersprudelte.

Der Sommer zeigte sich auf der andern Seiten in einer kleinen Landschaft, welche eine feine Drat-Arbeit von dem Saal absonderte. Es war hier alles grün: die Bäume bestunden aus Tannen, Fichten, Taxis und Wachholder-Gesträuchen: in der Vertiefung sah man ein künstlich erhabenes Gebürge, mit Sand, Steinen und Mos bedecket, von dessen Höhe ein kleiner Wasser-Fall herunter lief, der hernach auf einem von Bley verfertigten Canal, als ein klarer Bach, zwischen den Gesträuchen und einem frisch belegten Wasen-Grund durchfloß. Das Zwitsern und Singen der hier unter einander fliegenden Vögel belebten diesen durch die Kunst verfertigten Wald auf eine Art, daß man auch die Schönheit der Natur in der blosen Abschilderung bewundern muste.

Der Trink-Tisch, welcher dem Camin gegen über stund, war eine Abbildung des Herbsts: man sah in der Mitten Bachum mit Epheu und Trauben-Blättern becränzet und sich auf Silenen stützen: um ihn herum waren die Wald-Götter mit den kleinen Bachus-Kindern, welche theils Trauben und Trinck-Geschirre trugen, theils auf Sackpfeifen und Dudelsäcken spielten. Unten zeigte sich ein kleines Grottenwerk mit einem alabastern Kumpen, worinnen zum [124] Ausspülen der Gläser aus einem Kranen beständig das Wasser spritzte.

Mitlerweile der Graf von Rivera alle diese Erfindungs-reiche Seltenheiten den Herrn von Ridelo hatte beobachten machen; kamen nach und nach auch die Kostgänger des Commendanten herbey, welche als Gefangene von einem gewissen Rang, von demselben gewöhnlich mit zur Tafel gezogen wurden.

Der erste war ein vornehmer Geistlicher: er kam mit abgemessenen Schritten, und einem steif-zurückgeschlagenen Haupt in den Saal getreten: seine Stirne zeigte einen stolzen Ernst, und aus seinen Augen leuchtete ein Feuer, welches allen denjenigen Zorn und Rache drohete, die seinen Meynungen sich widersetzen wolten. Nachdem er die Anwesende mit einer gezwungenen Demut begrüsset hatte, fragte der Herr von Ridelo heimlich den Commendanten, wie doch dieser ehrwürdige Mann auf die Vestung kommen sey. Der Commendant berichtete ihn, daß dieser Prälat seinen ganzen Sprenkel aufgewiegelt, und die Leute durch seine Streit-Predigten dergestalt in einander gehetzet hätte, daß darunter die gemeine Ruh und Sicherheit wäre verletzet worden. Man hätte ihn deswegen hier auf diese Vestung gebracht, daß er unter Leuten, die vom Krieg ihr Handwerk machten, den Frieden lernen solte.

Der Herr von Ridelo fragte darauf weiter: [125] wer ist dann dieser muntere Alte, der bey seinem elenden und magern Cörper doch einen so vergnügten Muth bezeiget? Es ist, antwortete der Commendant, unser berühmter Goldmacher, der die Cammer, unter dem Vorwand, die gemeine Berg-Erze durch den Mercurium zu lösen, und in lauter Silber zu verwandeln, um etliche Tonnen Gold gebracht hat: er ist sonst der ehrlichste Mann von der Welt, und es wird nicht lang anstehen, so wird er ihnen sein Vergnügen über die Entdeckung eines neu-erfundenen Geheimnisses offenbaren.

Indem sie sich noch bey diesem Goldmacher aufhielten, kam ein Obrist-Wachtmeister von einem Dragoner-Regiment: er hatte ein trotziges und wildes Ansehen; es schien, als ob er auf die andere nur seine Blicke warf, um sie vor ihm in Furcht zu setzen: Dieser Tersites hatte sich bey seinem Regiment nicht Fried-liebender, als der obgemeldte Prälat in seinem Kirchspiel aufgeführet, und etlichmahl wider das Königliche Duell-Mandat sich herumgebalget.

Es kam darauf ein vierter, welcher die Freundlichkeit selbst zu seyn schien: er machte allen Anwesenden zehen Reverenze für einen, fragte, wie sie sich befänden, wie sie geruhet hätten, was sie neues wüsten, und dergleichen; dem Herrn von Ridelo aber kont er seine Freude nicht genugsam ausdrücken, daß er die Ehre hätte, demselben hier seine Aufwartung zu machen. Dieses war der Ritter Bonadi, der deswegen dem [126] Herrn Commendanten in die Kost war gegeben worden: weil er sich, zur Schande seines Hauses, welches jetzo mit einem Herzoglichen Titul pranget, an eine leichtfertige Metze gehängt, und dieselbe geheyrathet hatte.

Ein fünfter unterbrach diesen Ritter, welchen der Herr von Ridelo alsobald für den Freyherrn von Riesenburg erkante: er umarmte ihn, als einen Cavallier, der ehedessen eine Zeitlang bey Hofe gewesen war, und der zuweilen auch in den Gesellschaften bey seiner Frauen sich mit eingefunden hatte. So lieb es mir ist, mein Herr Baron, sagte der Herr von Ridelo, sie zu sehen, so wünschte ich doch nicht, daß ich diese Ehre an einem Ort haben mögte, wo ich sie ihrer Freyheit beraubet finde. Ich hoffe, antwortete ihm dieser, solche bald wieder zu erlangen, und ich werde nach Tisch mir die Erlaubniß ausbitten, ihnen meine ganze Begebenheit umständlich zu erzehlen.

Zuletzt kamen noch einige Officiers von der auf der Vestung liegenden Besatzung, nebst ihrem Regiments-Caplan. Die Tafel war rund und das Gespräch allgemein. Der Goldmacher, weil er nebst dem Ritter Bonadi am aufgeräumtesten war, muste dismahl darzu den Stoff hergeben. Unser Herr von Auerthor, so nannte sich derselbe, wird sonder Zweifel, sagte der Commendant, wieder ein gutes Experiment gemacht haben; dann er siehet mir heute ungemein vergnügt aus. Ja, antwortete ihm dieser, ihre Excellenz [127] geben mir wohl Kohlen und Tiegel, aber die Ducaten, die Ducaten sind ihnen noch zu lieb: aus nichts aber kommt nichts. Unterdessen sollen doch heute Ew. Excellenz an einem gewissen Proceß von Wein-Geist ihren Wunder sehen, den ich dermassen geläutert habe, daß er, wenn er angebrannt wird, nebst den allerglänzendsten Farben, auch gewisse Creuz-Figuren vorspiegelt, welche man ohne die äusserste Andacht nicht betrachten kan.

Darf ich mir, fragte ihn hier der Herr von Ridelo, dieses Chymische Kunst-Stück mit anzusehen, die Erlaubniß ausbitten? ich bin ehedessen auch ein Liebhaber dieser edlen Kunst gewesen. Wie! gewesen, wiederhohlte hierüber der Herr von Auerthor ganz bestürzt, Ew. Excellentz verzeihen mir, wer einmahl sich mit der geheimen Philosophie als ein Liebhaber eingelassen, der kan, so lang er lebet, nicht aufhören, ein solcher beständig zu seyn. Ich bin es auch noch, versetzte darauf der Herr von Ridelo, um den schier erzürnten Weisen wieder zu begütigen. Es ist noch nicht gar lang, fuhr er fort, daß ich selbst ein Particular erfunden, Venerem in veram lunam vermittelst eines Mercurialischen Menstrui zu verwandeln: es fehlet mir noch an einem guten Fermento.

Der Herr von Auerthor war ganz entzückt, an dem Intendanten einen solchen Kenner seiner Wissenschaften anzutreffen: denn man hatte bisher seine geheime Redens-Arten nicht [128] verstanden; obgleich der General ihm zur Kurzweil, Oefen, Brennkolben, Tiegel und Kohlen nach Verlangen herbeyschaffen ließ. Nunmehr aber winkte er dem Herrn von Ridelo mit einem freundlichen Blick, und versprach ihm hernach in seinem Laboratorio Dinge zu zeigen, darüber er erstaunen solte. Unter andern rühmte er sich auch, daß er eine geschwinde Generation des Salpeters erfunden, darüber er bereits dem Herrn Commendanten die Eröffnung gethan hätte. Dieser muste bekennen, daß man nicht leicht ein schöneres Gemengsel von allerhand elementarischen Feuer-Farben sehen könte, als wenn man dem Herrn von Auerthor ein Paar Ducaten in den Tiegel schmiß: der Rauch allein von diesem glänzenden und Wunders-würdigen Chaos sey nicht nachzumahlen; und gäbe genugsam zu erkennen, daß die Natur den Menschen nicht umsonst ihre verborgene Schönheiten zeigte.

Uber diesem Gespräch wurde der General geruffen; er beurlaubte sich deswegen von seinen Gästen, und bat sie, seinetwegen sich nicht zu stöhren. Man war einer solchen Freyheit auf dieser Festung gewohnt, daß ein jeder that, was er wolte: einige blieben noch bey dem Wein an der Tafel; andere aber machten sich vor das Camin, rauchten eine Pfeiffe Toback und liessen sich dabey mit Caffee und Thee bedienen. Weil aber der Herr von Ridelo begierig war, die Begebenheit des Freyherrn von Riesenburg zu vernehmen, so begab er sich mit ihm auf des Grafens von Rivera Zimmer, da dann jener seine Erzehlung folgendergestalt anfieng.

Das sechste Buch

[129] Das sechste Buch.
Die Begebenheiten des Freyherrn
von Riesenburg.

Es ist bereits ein halbes Jahr, da ich in gewissen Geschäften meines Vaters, eine Reise nach Monaco thun muste. Ich hatte mich mit meinem eignen Geschirr bis auf die nechste Post bringen und meinen Cammerdiener mit dem Gepäck auf der Landgutsche nachkommen lassen: ich hatte niemand als einen Diener bey mir, und ritte die Post: es wurde Nacht, ich war in einem Wald und hörte von weitem ein ängstliches Geschrey. Ich befahl meinem Postillon still zu halten. Ich hörte, daß es Weibsleute waren, deren kläglicher Ton durch das weite Gehölz erschallte. Ich hatte ehedessen den Don Quichott gelesen, und dachte hier an den ehrlichen Mann, wie bereitwillig er sich bey solcher Gelegenheit erzeigte, den Nothleidenden beyzuspringen: ich wolte nicht weniger großmüthig seyn: ich ergriff deswegen eine von meinen Pistolen, rannte damit voraus, und ermahnte meine beyde Gefährden mir nachzufolgen: diese zitterten vor Furcht, und ich sahe [130] wohl, daß ich mit ihnen schlechte Helden-Thaten verrichten würde.

Es war dunckel ehe ich michs versah, stieß ich auf Pferde, welche dadurch in Unordnung geriethen: ich hörte mich mit einem entsetzlichen Fluch, und einem kräftigen Streich einer klatschenden Peitsche bewillkommen: daß dich dieser und jener hohl, klungen ungefär die mit einer rauhen Kehle ausgestossene Worte, wer rennet mir da in die Pferde? ich merkte bald, daß ich hier meine Pistolen nicht würde nöthig haben; ich steckte sie deswegen wiedeer an ihr Ort, und fragte, was da zu thun wäre? Seht ihr dann nicht, war die Antwort, daß hier eine Gutsche umgeworfen ist?

Ich sprang auf diese Nachricht hurtig vom Pferd und gieng nach der Gutsche hin, woraus, so viel ich in der Finsterniß erkennen konte, drey Frauensleute nach einander oben aus dem Schlag gehoben wurden: ich leistete ihnen in dieser ängstlichen Bemühung hülfreiche Hand, und empfieng dafür von ihnen die höflichste Dancksagungen: die Gutsche wurde darauf wieder in die Höh gebracht, ich ritte an derselben her: wir kamen in einer kleinen Stunde an den Ort, wo die Post wechselte: das in der Gutschen befindliche Frauenzimmer stieg aus und fragte nach einem guten Quartier: ich hatte auch nicht Lust die Nacht weiter zu reisen; sondern ließ mir gleichfalls in demselben Hause ein Zimmer einräumen. Der Wirth fragte mich, ob ich [131] mit dem Frauenzimmer, mit dem ich angekommen wäre, speisen würde? ich sagte, daß er sie deswegen um Erlaubniß fragen solte: ich erhielte solche; wiewohl sich die beyde Damen entschuldigten, daß sie in ihren Nacht-Kleidern wären: das Frauenzimmer pfleget dergleichen Formalien nie zu vergessen; sie hatten nebst einem Cammermägdgen und einem Diener, auch einen Mißionarium Apostolicum bey sich. Ich fand an der jüngsten eine ausserordentliche Schönheit, sie nannte die Alte ihre Mutter: ich vernahm, daß sie die Frey-Frau von Thurris war, welche in der Absicht nach Monaco reisete, um ihre schöne Tochter allda in ein adeliches Jungfrauen-Closter zu bringen: ich fragte deswegen die Fräulein, indem ich ihr scharf unter die Augen sah, ob sie denn so grosse Lust zum Closter-Leben hätte? sie erröthete darüber, und konte einem Seufzer, den sie mit Gewalt zurück halten wolte, nicht verwehren, mir die wahre Beschaffenheit ihres Herzens zu entdecken: sie warf dabey ihre Augen auf ihre Frau Mutter, und ließ sie für sich antworten.

Diese berichtete mir hierauf, daß ihr Sohn die Stamm-Güther von dem Thurrischen Geschlecht besässe. Ihre älteste Tochter wäre bereits mit einem Cavallier verheyrathet, dem sie aus den Parapharnal-Güthern, und was sie etwa eigenes ihrem seligen Herrn zugebracht hätte, einen kleinen Braut-Schatz zusammen gemacht und mitgegeben hätte; doch solte dem ungeacht auch diese ihre ledige Tochter noch eine feine [132] Mitgift ins Closter bekommen, damit sie darinnen an nichts Mangel haben mögte.

Die Damen erkundigten sich darauf auch nach mir, ich hatte meine Ursachen, mich ihnen nicht völlig zu erkennen zu geben: ich sagte, ich wär ein Austrasischer Edelmann, hiesse Rossan, und wolte nach Monaco reisen.

Die Frau von Thurris sagte, daß sie sich erfreute, an mir einen Reis-Gefährden zu haben; weil sie ebenfalls ihren Weg dahin nehmen würde. Ich weiß nicht, was derselben an mir gefiel: sie hatte eine Geheimniß-volle Bildung: ihre Stirn war voller Strich und Runzeln; die Augen lagen ihr tief im Kopf: ihr Gesicht bestund aus Haut und Knochen; man sah an ihr nicht den geringsten Uberbleibsel, daß sie jemahls wäre schön gewesen. Saturnus herrschte in ihrer ganzen Bildung, der plauderhafte Mercurius aber auf ihren Lippen: wir hatten in diesem Stück einerley Planeten: sie sprach gern, und ich blieb nicht leicht eine Antwort schuldig: meine Gesellschaft war ihr also angenehm. Sie nöthigte mich den andern Morgen einen Platz in ihrer Gutsche zu nehmen, und das Cammermägdgen muste sich bequemen, mir ihre Stelle einzuräumen, und sich unten im Schlag zu meinen Füssen zu setzen.

Ich hatte hier die schöne Fräulein beständig im Gesicht: man wird nie hurtiger zusammen vertraulich als auf der Reise: eine jede Meile, [133] die wir zusammen zu rück legten, war für uns so viel als ein Jahr Bekantschafft. Die Fräulein, welche ich auf alle Weise aufzumuntern suchte, wurde immer trauriger: ihre Augen, die sie öfters mit einer schamhaftigen, aber durchdringenden Art, auf mich heftete, suchten bey mir ein Mitleiden zu erwecken, welches ich schon hatte. Die Mutter, so finster sie auch unter der Stirne aussah, war um desto aufgeräumter: sie hatte die artigste Einfälle und ihre Lebhaftigkeit forderte gleichsam die meinige heraus.

Ach hatte meine Hand in der Gutsch an einem Riemen hangen: ich merkte, daß die Frau von Thurris mit ihren Augen dahin sah: ihre Raschetten, Herr von Rossan, sprach sie, sind recht gut; sie werden ein alter Mann werden: als sie dieses sagte, reichte ich ihr meine Hand und bat, sie mögte mir etwas gutes prophezeyen: sie besah darauf meine Lineamenten; allein, nachdem sie meinen montem Solarem und dieSatellites mit fürchterlichen Blicken durchgangen, schüttelte sie den Kopf, und sagte mir, ich mögte mich vor dem Frauenzimmer in acht nehmen; dann eine gewisse Conjunction des Martis drohete mir in der Liebe mit Unglück. Wir scherzten darüber: ich besah darauf auch der Fräulein ihre Hand: ich muß bekennen, daß ich die Tage meines Lebens keine schönere gesehen: Alle Haupt-Lineamenten zeigten etwas grosses und glückliches. Ich gab mir das Anse hen eines Erz-Wahrsagers; alle Worte dieser geheimen Wissenschaft waren mir bekannt, und was noch[134] mehr, ich verstunde mich ein wenig auf die Augen. Ich prophezeyte also der Fräulein ganz das Gegentheil von dem, was mir ihre Mutter angedeutet hatte. IhrMons Veneris, fieng ich an, schönste Fräulein, ist von einer unvergleichlichen Erhöhung; und ich sterbe, wenn sie die Planeten zu etwas anders, als zu der vollkommensten Liebe gezeuget haben. Die gute Fräulein wolte mir solches nicht glauben, sie sagte mit Seufzen, ihr Beruf gieng ins Closter, und die Planeten könnten in den Wegen der Vorsehung nichts ändern.

Wir kamen damit an den Ort, wo wir das Mittagmahl hielten: man setzte sich zu Tische. Die zum Closter gewidmete Schöne hatte wahrgenommen, daß ich mich nicht, wie sie, nach verrichtetem stillen Gebet, mit dem Creuz segnete. Wie sind sie so wenig andächtig? sprach sie zu mir, mit einem unschuldigen Wesen, sie schämen sich vielleicht, sich fromm zu stellen; oder sind sie wohl gar ein Ketzer? Ich lächelte darüber und sagte nichts: sie erkant daraus, daß ich nicht von ihrer Kirchen war: dieses verursachte bey ihr ein trauriges Nachdenken, davon sie die Empfindlichkeit nicht bergen konte. Mir sassen kaum zusammen wieder in der Gutsche, als ich wieder mit der schönen Fräulein anband. Ich fragte sie ganz ernstlich, was sie doch gedächte im Closter zu machen? ich werde, sprach sie mit einer Erröthung, darinn thun, was einem geistlichen Ordens-Frauenzimmer geziemet: ich fragte sie weiter, ob sie denn einen solchen [135] geistlichen Beruf würklich bey sich empfände, und dessen überzeugt wäre? sie sah darüber aber mahl ihre Frau Mutter an, und überließ ihr darauf zu antworten: diese schien über meine Fragen böse zu werden, und sagte mir, ich solte ihre Tochter ungequält lassen.

Gnädige Frau, fuhr ich fort, sie verzeihen mir, sie sind eine so kluge Dame, ich kan mir nicht einbilden, daß sie bey ihrer Fräulein Tochter einen Closter-Beruf solten entdecket haben: sie ist viel zu schön geschaffen, als daß man mit gutem Gewissen sie in einen Schleyer verhüllen, und in die vier Mauren einsperren solte. Die Natur hat mit ihr dergleichen Absichten nicht gehabt; unglückliche, hesliche Mißgeburten, die derselben in der Zeugung mißlungen, und andern Menschen nur zum Spott, zum Aergerniß und zur Straffe leben, die solte man in die Clöster sperren, und solche nicht zur Schande ihres Geschlechtes auf den Schau-Platz der Welt ausstellen.

Die Frau von Thurris muste, so sehr sie sich auch zwingen wolte, über meine Einfälle lachen: ihre Fräulein hingegen war noch immer traurig: ich sagte ihr deswegen, sie solte nicht ins Closter gehen: sie würde darinnen nur die Geistlichen in ihrer Andacht stöhren, und dadurch mehr Sünde thun, als wenn sie in der Welt bleiben wurde: ja, was noch mehr, sie würde alle erlaubte Ergötzlichkeiten dieses Lebens im Closter verliehren, [136] und dargegen noch alles Böse, so die Menschen unglücklich macht, darinnen finden.

Der Mißionarius wuste seinen Eifer über diese meine freye Reden nicht länger zurück zu halten. So, mein Herr, sprach er, indem er einen erzörnten Blick aus seinem schwarzgelben Gesicht auf mich schiessen ließ. Sie wollen nur GOtt, was gebrechlich und untauglich ist, zu seinem Dienste wiedmen? Wir leben, war meine Antwort, nicht mehr unter den schweren Satzungen des alten Bundes, der neue hat uns davon befreyet: wir sollen im Glauben ein ehrbares Christliches Leben führen: einen andern Dienst verlanget GOtt heutiges Tages nicht von uns: was könten wir arme Geschöpfe einem so vollkommenen Wesen geben, von dem wir alles haben und erwarten müssen? Er hat uns geschaffen, um uns glückselig zu machen: wir werden solches, wenn wir seine Gebotte halten, und in seine Absichten eingehen: alles bestehet bey ihm in der Ordnung: er hat das Weib geschaffen, daß sie soll eine Gehülfin des Mannes seyn; folglich ist das Eh-lose Closter-Leben ein ungebührliches Joch, welches man jungen Leuten nur zum Schein der Heiligkeit pflegt aufzubürden.

Sie lesen, mein Ehr-würdiger Herr Mißionarius, fuhr ich ganz gelassen fort, sie lesen in den Kirchen-Geschichten, wenn und wie die Clöster und die Gelübde der Keuschheit sind aufgekommen. Es waren Anfangs einige gutschichtende, [137] aber schwermüthige Leute, welche die Einsamkeit liebten, und den Haß der Welt so weit ausdehnten, daß sie sich des Umgangs mit allen Menschen zu entschlagen suchten: sie krochen in die dickste Wälder, baueten sich Hütten an einsamen abgelegenen Oertern, und wurden deswegen für heilige Leute gehalten: Endlich thaten sich einige solche Einsiedler zusammen, baueten sich kleine Capellen, stifteten besondere Orden, schrieben sich gewisse strenge Regeln vor; und weil der Umgang mit dem andern Geschlecht ein so gar gefährlich Ding in der Welt ist, so wurde solches am ersten von der Heiligkeit dieser Ordens-Brüder abgesondert.

Die Frauensleute, welche nicht weniger Eifer hatten, den Namen der Heiligkeit zu verdienen, und die Männer an starker Einbildungs-Kraft noch übertraffen, zeigten den Feinden ihres Geschlechts nicht minder Verachtung: sie bauten, ihnen und der Natur zum Trotz, ebenfalls solche Zellen in den Einöden, und verbotten den Mannsleuten darinnen den Fuß zu setzen. Diese hätten unterdessen die Rechte des Altars sich vorbehalten; womit sie nachgehends auch die Ohren-Beicht verknüpften. Die andächtige Schwestern musten sichs also gefallen lassen, und sich gewisse Ordens-Geistliche wehlen, die ihnen Meß lesen, Beicht abnehmen, und sie absolviren konten. Auf diese Weise geriethen also die andächtige Brüder zu den andächtigen Schwestern. Der Satan ist nie geschäftiger, als wenn die Leute auf eine ausserordentliche Weise wollen [138] heilig werden; und man sagt für gewiß, daß öfters die Vertraulichkeit hier so weit gegangen sey, daß man die geistliche Liebe ziemlich stark in die Empfindungen des Fleisches getrieben hätte.

Diese letzte Worte waren kaum ausgesprochen, so fieng der unwissende Mißionarius an, vor Eifer zu schnaufen, und mich einen Unglaubigen und Ketzer zu schelten: in der That waren ihm die Länder der Kirchen-Geschichten sehr unbekant. Ich meynte ihn noch weiter auf der Religions-Carte zurecht zu weisen; allein, die Frau von Thurris ersuchte mich in diesem Streit nicht weiter zu gehen.

Meine Reden thaten indessen eine Wirkung, deren ich mich nicht versehen hatte: wir kamen Abends spät nach Monaco. Die Fräulein, als ich sie nach ihrer Frau Mutter aus der Gutsche hub, druckte mir die Hand, und sagte mir heimlich ins Ohr, daß ich sie in ihrer Religion ganz irre gemacht hätte: ich solte mich aber in Monaco in acht nehmen, und nicht so frey von Kirchen-Sachen reden. Ihre Frau Mutter bedankte sich darauf für meine Gesellschaft, versicherte mich ihrer Hochachtung, und bat mich bey ihr einzusprechen. Ich sagte auch unserm geistlichen Reis-Gefährden einige Höflichkeiten, und entschuldigte bey ihm meine Freyheit im Reden. Er beantwortete solche mit einer gezwungenen Freundlichkeit; ich entdeckte aber in seinen schwarz-dunkeln Augen etwas, das mir zu erkennen [139] gab, daß er nicht gut zu beleidigen war.

Ich nahm mein Quartier unweit den Jesuiten: und gieng den andern Tag ein wenig in der Stadt herum: es war Abend, als ich in dem Gast-Hause zurück kam: ich hörte in der nah dabey gelegenen Kirche Music: ich gieng dahin: die Kirche war, wegen eines vorgefallenen Festes, mit kostbaren Tapeten ausgeschmücket und ganz mit Lichtern erhellet: die anmuthigste Stimmen erklungen in den Chören und hinter den Altären: ich fand bey allen diesen Dingen eine würckliche Andacht: mein Gemüth war beweget: ich spürte einen heimlichen Zug, GOtt auch in dieser sinnreichen Pracht der Menschen zu loben: ich gieng in einen Stuhl, wo sich vor den Knien ein Bret fand, auf welchem man solche füglich biegen, und ein anders, worauf man die Hände stützen konte: ich setzte meinen Leib in eine solche andächtige Stellung, und schickte meine Seufzer ohne Heucheley in diesem mir fremdem Gottesdienst gen Himmel: niemand kante mich hier, und ich fand, daß ein zierlicher Tempel- Bau und eine wohlklingende Harmonie sich nicht übel zur Andacht schicken.

Ein wohlgekleidetes Frauenzimmer, das vom Altar herkam und zur Thüre hinaus gehen wolte, erblickte mich in dieser Stellung: sie stund ein wenig still, und gieng damit auf mich zu; sie warf sich neben mir auf die Knie, that ein kurzes Gebet, wand hernach die Augen auf mich und sagte [140] zu mir: wie, Herr von Rossan, ist es ihr Geist, oder sind sie es selbst? was machen sie hier in unsrer Kirchen? ich erkante sie sogleich für die Fräulein von Thurris: ich wolte aufstehen, und ihr meine Ehrerbietung bezeigen; sie aber bat mich in meiner Stellung zu bleiben: sie sagte: so gefiel ich ihr wohl, und sie wünschte nichts mehr, als mich hier in Ernst andächtig zu sehen: ich versicherte sie, daß ich solches wär, und daß ich mich glücklich schätzte, sie dabey zum Zeugen zu haben.

Ach mögt ich sie doch bekehren! sagte sie zu mir, aus dem besten Herzen von der Welt, was wolt ich nicht darum geben? dieses ist sehr großmüthig, gnädige Fräulein, war meine Antwort; allein, würden sie sich auch meines zeitlichen Wohlseyns gleichfalls annehmen? sie erklärte sich darauf, daß es ihr leid wär, mir in diesem Fall mit nichts anders, als mit ihrem Gebet dienen zu können. So wollen sie denn doch eine Nonne werden? fragte ich sie weiter. Sie kehrte hierauf ihre Augen nach mir und seufzete: ich verwies ihr dieses Stillschweigen; sie fragte, was ich ihr denn riethe zu thun? sie hätte ausser mir in der Welt noch niemand gefunden, der ihr diesen Beruf schwer gemacht hätte.

Diese Worte rührten mich: ich konte mich länger nicht zurückhalten, ihr meine Liebe zu erkennen zu geben. Wohlan, schönste Fräulein, sagt ich ihr, so bleiben sie denn für mich in der Welt und lieben mich. Diese Erklärung setzte das gute Kind in eine ungemeine Bewegung: [141] sie reichte mir mit Zittern ihre rechte Hand, und sagte mir mit dem allerernstlichsten Blick: ich beschwöre sie bey dem GOtt, den wir beyde hier verehren, daß sie meiner Neigung, die ich ihnen auch wider meinen Willen zeige, nicht mißbrauchen. An statt ihr darauf zu antworten, neigte ich meinen Mund, und küste ihre Hand: sie zog solche mit ihrem Schnuptuch in die Höh, wischte damit die Thränen ab, welche ihr in die Augen drangen, und bat, ich solte mich in acht nehmen, weil man uns beobachten könte.

Wir stunden auf: ich hatte mit der Fräulein abgeredt, uns einander hinführo mehr an diesem Ort anzutreffen. Ich führte sie damit auf ihre Gutsche; ich besuchte darauf auch ihre Frau Mutter. Mein Cammerdiener war unterdessen mit meinen Sachen angekommen; ich gieng also zu einigen Hofräthen, bey welchen ich das Geschäfte meines Vaters zu treiben hatte: ich versprach ihnen in seinem Namen eine nachdrückliche Erkenntlichkeit, wenn sie ihm bald würden Recht wiederfahren lassen: diese Herren lobten meine Höflichkeit, und binnen 14. Tagen hatte ich meine Ausfertigung.

So lang ich konte, hielt ich meinen wahrhaften Namen bey der Frau von Thurris und ihrer Fräulein Tochter verborgen: ich bediente mich keiner Gutsche und keiner prächtigen Kleidung, ob ich gleich deren welche mit mir genommen hatte, um bey Hofe zu erscheinen: ich machte mich bey ihnen so klein und so unvermögend, [142] als es immer der Wohlstand leiden mochte: ich wolte dadurch die Fräulein und ihre Frau Mutter auf die Probe stellen, ob sie mir auch aufrichtig wohl wolten.

Ich hatte das Vergnügen, daß mir die Mutter antrug, mich, wenn ich Lust hätte, an dem Monackischen, oder auch an dem Licatischen Hofe in Diensten zu bringen; weil sie, wie sie sagte, wichtige Freunde an diesen beyden Höfen hätte. Ich küste ihr für diese großmüthige Sorgfalt die Hand: ich sagte ihr aber zugleich, daß ich wohl wüste, daß man an diesen Höfen keine Kertzer in Diensten nehme. Ja, antwortete sie halb im Scherz, Monsier Rossan müste sich bekehren. Bekehren! wiederholte ich, gnädige Frau, mich bekehren von einer Secte zur andern, was würde dadurch mein Herz gebessert werden? dem ungeacht setzte ich darzu, wolte ich mich allenfalls so betragen, daß ich niemand keinen Anstoß geben würde.

Sie ließ mich darauf mit ihrer Tochter allein: ich fragte sie, ob sie den Rossan noch ein wenig liebte? nur allzuviel für meine Ruh, gab sie mir zur Antwort: wenn ich denselben aber könte glücklich machen, so würde ich so vergnügt seyn, als viel ich jetzo leide: wie so, wertheste Fräulein, erwiederte ich, wenn sie mich lieben, so ist mein Glück schon gemacht, denn ich suche bey ihnen nichts anders. Was wollen wir aber anfangen, fuhr sie seufzend fort? wie sie sagen, so haben sie kein Vermögen; und obgleich meine Frau [143] Mutter ihnen bereits gesagt hat, daß ich von ihr, besonders aber von ihrer Schwester, der Gräfin von Iserlo, noch etwas zu hoffen hätte, so ist doch die Unbarmhertzigkeit und der Eigennutz meiner beyden Geschwister dermassen groß, daß sie mich deswegen ins Closter thun wollen, um dermahleinst die Erbschaft unter sich allein zu theilen. Meine Frau Mutter, fügte sie hinzu, könte ihnen allenfalls wohl zu einem Dienst bey Hofe verhelfen; allein, sie sind nicht von unsrer Religion, und also wird es damit schwer hergehen: wolten sie mir zu Liebe ihren Glauben ändern, so weiß ich nicht, was mich zurück hält, ihnen solches zu rathen: es scheinet mir dieses für einen verständigen Edelmann, wie sie sind, zu niederträchtig; zumahl, da sie die Irrthümer von unsrer Kirchen wissen, und mir zu aufrichtig scheinen sich zu verstellen.

Das erhabene Gemüth und die reine Vernunft, welche mir meine geliebte Mariane, so nannte sich die Fräulein, bey dieser Gelegenheit blicken ließ, machten mich zum zärtlichsten Liebhaber von der Welt. Wir waren beyderseits von der Heftigkeit unserer Leidenschaft dermassen eingenommen, daß wir uns einander eine immerwährende Treue schwuren, es mögte auch kommen, wie es wolte. Ich konte mich nicht enthalten, diese Versicherungen mit einigen Liebkosungen zu begleiten.

Die Frau von Thurris trat eben ins Zimmer, [144] da ich ihre Tochter umarmte. Wie! sprach sie, meine Tochter, wie! seyd ihr mit dem Herrn von Rossan so vertraulich? sie wolte uns darüber ihre Verachtung zu erkennen geben, als wir beyde uns zu ihren Knien warfen, und sie mit den beweglichsten Gebehrden ersuchten, unserer unschuldigen Liebe nicht zuwider zu seyn.

Ihr Kinder! fieng sie darauf mit einem besänftigten Wesen an: eure Liebe verblendet euch: dergleichen Sachen lassen sich so geschwinde nicht thun. Es ist nicht genug, mein lieber Herr von Rossan, daß sie meine Tochter als ein tugendhafter Edelmann lieben: wovon wollen sie leben? sie werden schwerlich ihre Religion verändern wollen, und ohne dieses Mittel sehe ich keine Hoffnung, sie hier am Hofe unterzubringen.

Die gröste Schwierigkeit ist, fuhr sie fort, daß ich meinem Sohn und meiner ältesten Tochter das Wort gegeben habe, Marianen allhier ins Closter zu bringen. Mein Sohn ist insonderheit ein gar wilder und ungestümmer Mensch, der keine Vernunft und keine Billigkeit verstehet. Mariane im Gegentheil ist das beste Gemüth von der Welt: man hat von Jugend auf bey ihr eine gewisse Gottesfurcht und Sittsamkeit gespüret, woraus man geschlossen, daß sie sich für nichts anders als für das Closter schicke; sie war bey meiner Schwester in der Einsamkeit und in lauter Andachts-Ubungen erzogen worden: sie kante also die Welt nicht, und meynte deswegen auch darinn [145] nicht viel zu verliehren: ich merkte aber bald, daß sie ein heimlicher Kummer nagte; und als die Zeit herbey kam, daß ich sie hieher bringen wolte, um ihr Prob-Jahr anzufangen; so bekante sie mir, mit Ausstürzung vieler Thränen, daß sie einen Abscheu vor dem Closter hätte. Meine Mariane dauerte mich von Herzen: ich konte mich nicht entschliessen, ihr die geringste Gewalt anzuthun: ich furchte mich nur vor meinem unartigen Sohn.

Ich brachte sie also hieher, in der Absicht, sie zwar in das Closter zu führen; unterdessen aber mit meiner Schwester auf Mittel zu sinnen, wie wir sie, vor ihrer Einkleidung, von einem ihr so verhasten Gelübde noch befreyen mögten. Ich glaubte, der Himmel habe mir solche durch sie, mein lieber Herr von Rossan, entdecken wollen: sie haben Verstand und Wissenschaften: ich hätte ihnen hier bey Hofe Freunde und Schutz erwerben wollen; allein, so sind sie nicht von unserer Religion, dieses verwirret mir alle meine gemachte Anschläge.

Ich dankte der Frau von Thurris auf das verbindlichste für diese so gütige Erklärung: ich sagte, ihr Herr Sohn würde sich gleichwohl müssen weisen lassen, wenn man seine Gerechtsame nicht antasten würde. Ach! liebster Herr von Rossan, sagte Mariane: sie kennen meinen Bruder nicht, er ist ein gantz abscheulicher Mensch; und sie werden hier kaum sicher seyn, [146] wann er erfahren solte, daß sie bey uns einen so freyen Zutritt hätten.

Wir nahmen darauf unsere Abrede, daß ich, so bald mein Geschäft bey Hofe zu Ende seyn würde, mich wieder nach Hauß begeben, die Fräulein aber zum Schein einige Wochen ins Closter gehen solte. Nach Verfliessung einiger Wochen solte sich die Fräulein beklagen, daß sie sich nicht wohl befände, und dadurch ihre Frau Mutter nöthigen, sie wieder nach ihrer Schwester, der Gräfin von Iserlo, zu bringen. Biß dahin solte ich mich bey meinem Hof um einen guten Dienst bewerben, und alsdan ihre Tochter bey obgemeldeter Gräfin abholen.

Also war mein Handel mit dieser Fräulein geschlossen, da ich kaum noch drey Wochen in Monaco mich aufgehalten hatte. Ich glaubte, daß es nun Zeit seyn würde, mich derselben näher zu entdecken.

Ich ließ zu dem Ende für mich eine prächtige Gutsche mieten, nahm zu meinem Leibdiener noch einen Lehn-Laquayen, und gab ihm gleiche Liberey mit dem meinigen, sie war roth mit buntfärbigen und silbernen Schnüren reich besetzt; ich hatte ein Kleid, welches für eines der schönsten und kostbarsten auch selbst zu Panopolis gehalten wurde. Eh ich also nach Hof fuhr, ließ ich mich des Morgens bey der Frau von Thurris unter meinem rechten Namen melden. Weil mein Vater Ober-Befehlshaber in Australien [147] ist, so waren wenig Leute vom Stande in Monaco, die meinen Namen nicht kanten. Die Frau von Thurris erschrack demnach, wie man ihr sagte, der Freyherr von Riesenburg hielte vor ihrer Thür, und wolte bey ihr seine Aufwartung machen.

Weder sie, noch ihre Tochter, waren also angekleidet, daß sie sich vor einem fremden Cavalier wolten sehen lassen; sie schlugen deswegen meinen Besuch ab, und baten sich die Ehr auf ein ander mahl aus. Ich war aber schon ausgestiegen und gieng der Treppen hinauf: die Bedienten erkanten mich; ich winkte ihnen, sie sollen nichts sagen: ich trat also in der Frau von Thurris ihr Zimmer; sie aber floh zu der einen und ihre Tochter zu der andern Thür hinaus: beyde setzten sich an ihren Nacht-Tisch, und suchten erstlich vor ihrem Spiegel sich zu berathen, ob sie vor einem so kühnen Fremdling sich wolten sehen lassen.

Mariane war noch in dieser Bestürzung, als das Cammermägdgen bey ihr anklopfte, und sie bat aufzumachen; sie rief mit leiser Stimme: es wär gar ein schöner Herr da; sie wolte sie hurtig aufsetzen, damit sie sich könte sehen lassen: die Fräulein machte ihr in der Ungedult auf, und wolte sie eben darüber ausschelten, daß sie einen fremden Herrn wider ihren Befehl herauf gelassen hätte; als ich ihr um den Hals fiel. Erkennet mich, liebste Mariane, redete ich sie an, ich werde euch ja unter dem Namen von Riesenburg[148] nicht abscheulicher vorkommen, als unter dem von Rossan. Wie! fragte sie ganz bestürzt, Rosson ist nicht Rossan mehr? er kan mich betrügen? o unglückselige Mariane.

Sie setzte sich darauf auf einen Stuhl, legte ihr Haupt in ihre Hand auf den Tisch und wolte mich nicht ansehen: ich setzte mich neben sie: was wollen sie sagen? meine wertheste Fräulein, sprach ich zu ihr. Ich habe mir eingebildet, sie liebten mich, und nicht meinen Namen. Ich erzehlte ihr darauf alles, was meinen Zustand betraff: ich vermeynte sie dadurch in eine angenehme Verwunderung zu setzen: allein die Thränen kamen ihr in die Augen, sie weinte: ich wuste nicht, was ich ihr sagen solte. Ich habe gehofft, mein Herr, fieng sie an, ich würde ihr Glück machen, und sie dadurch so fest an mich verbinden: daß sie nothwendig dafür mich lieben müsten: Mit dieser süssen Hofnung hab ich mir nun vergeblich geschmeichelt: Rossan ist nicht Rossan mehr, er kan sich verstellen: er kan eine andere Person annehmen: der Freyherr von Riesenburg wird sich nun so viel Mühe nicht mehr um mich machen.

Die Thränen rollten ihr noch von ihren schönen Wangen, als ihre Mutter zu uns kam. Wie, Monsieur Rossan! redete sie mich verwundernd an, was soll dieses bedeuten? wie so prächtig, und unter welchem Namen erscheinen sie hier? Gnädige Frau, war meine Antwort, nachdem sie mir die Gnad erwiesen, und mir die unvergleichliche Mariane versprochen haben; so kan [149] ich nicht wohl geringer aufziehen: eine kleine Herrschaft Rossan, davon ich mich bisher genennet, wird ihnen verhoffentlich den einzigen Sohn das Freyherrn von Riesenburg, Ober-Befehlshaber in Australien, nicht zuwider machen. Ich erklärte ihr darauf dieses Geheimniß deutlicher, und sie schien mit dieser kleinen Erhöhung ihres zukünftigen Tochtermanns nicht übel zufrieden zu seyn; zumahl, da sie dadurch der Sorgen entsetzet wurde, mich an einem Hof unterzubringen, und um meine und ihrer Tochter Lebsucht sich zu bekümmern.

Ich fuhr darauf nach Hof: man erwies mir daselbst viel Ehre. Die übrige Zeit verbracht ich meistens bei meiner liebsten Marianen: ich fuhr etlichemahl des Abends mit ihr spatzieren; sonst aber hielten wir unsern Umgang so geheim, als es möglich war. Nachdem ich also 6. Wochen in Monaco mit gröstem Vergnügen zugebracht hatte, machte ich Anstalten zu verreisen.

Ich nahm von Marianen Abschied. Ich erinnere mich dessen nie ohne äusserster Bewegung: sie blieb ganz erstarret vor mir stehen, sie sprach kein Wort, sie vergoß keine Thränen: die Säfte waren in ihren Augen wie vertrocknet: ich hätte sie lieber weinen sehen: ich küste sie, und sie druckte mir die Hand: darinne bestunde ihre ganze Bewegung. Ich schlich mich unvermerkt von ihr weg: die Frau von Thurris war so erweicht, daß sie weinen muste: sie begleitete mich bis an die Treppe: ich empfahl ihr Marianen und verreiste.

[150] Das Herz war mir so dick, und ich fühlte in der beklemten Brust eine solche ungewöhnliche Unruh, daß ich nicht sah, wo ich hinfuhr. Ich kam den andern Tag glücklich zu meinem Vater, der sich damahls auf seiner Herrschaft, unweit Auracum, befand. Dieser wolte Anfangs meine Liebe zu der Fräulein von Thurris durchaus nicht gutheissen; er hatte mit mir andere Absichten: die beste Gründe gelten nicht, wo einmahl der Verstand mit Vorurtheilen eingenommen ist: dem ungeacht, so bracht ich es endlich durch meine Vorstellungen so weit, daß er auf gewisse Bedingungen darein willigte.

Mein darüber empfundenes Vergnügen dauerte nicht lang: ich hatte an die Fräulein von Thurris gleich nach meiner Ankunft geschrieben, und von ihr noch keine Antwort bekommen. Dieses war unserer gepflogenen Abrede ganz zuwider: ich sandt deswegen meinen Cammerdiener nach Monaco: dieser kam nach einigen Tagen, weil er die Post geritten war, wieder zurück, und brachte mir die grausamste Zeitung von der Welt, daß die Fräulein von Thurris von ihrem Bruder wär entführet worden, und daß niemand, auch sogar ihre Frau Mutter nicht wüste, wo er sie hingebracht hätte. Diese Dame war darüber in Verzweiffelung, und ließ mich bitten, so bald es mir möglich seyn könte, nach Monaco zurück zu kommen.

Ich war über diese Nachricht dermassen bestürzt, daß ich alle Müh von der Welt hatte, [151] einen Entschluß zu fassen, der meinem Muth und meiner Pflicht gemäß war. Ich befahl meinem Cammerdiener, nichts von allem dem, was er wüste, meinem Vater zu entdecken: einige Stunden hernach ließ ich mir meine beste Pferde satlen; ich sagte, ich wolte auf die Jagd reiten: mein Cammerdiener, ein Jäger und ein Reitknecht mit einem Hand-Pferd begleiteten mich, ich nahm meinen Weeg gerade nach Monaco: ich kam spät in ein Nachtlager: ich fand unten in der Gast-Stuben einen Bedienten, welcher die Thurrische Liberey hatte: ich fragte ihn, wem er zugehörte? er sagte, dem Freyherrn von Thurris: auf mein ferneres Fragen: wo er hin wolte, gab er mir die Nachricht, daß sein Herr morgen früh da eintreffen, und seine Reise weiter bis nach Auracum fortsetzen würde. Ich zweiffelte hierauf nicht, daß mich der Herr von Thurris aufsuchen wolte.

Ich hatte diese Nacht wenig geschlaffen: hundert verwirrte Vorstellungen beunruhigten meine ganz auseinander gebrachte Fantasie: ich schwur dem Räuber meiner Schönen bald den Tod, bald dachte ich auf Mittel ihn zu gewinnen. Ich stund mit anbrechendem Tag von meinem Lager auf, und war von den vielen Träumen ganz entkräftet.

Ich machte mich damit auf den Weg: ich war kaum etliche Stunden fortgeritten, so begegnete mir ein junger Mensch zu Pferd mit einem [152] Jäger: er hatte ein unglückliches und wildes Ansehen: als ich ihn begrüste, sagte er mir ganz trotzig: grossen Dank; und rührte dabey kaum den Hut. Ich hatte keiner weitern Nachricht nöthig, daß er der Herr von Thurris sey: wie! dacht ich bey mir selbst, wer solte diesen Menschen für einen Bruder der allerhuldreichsten und anmuthigsten Schönheit ansehen? seine seltsame Gebährdung, sein aufgeworfenes Maul, seine grosse Augen, womit er mich anblickte, hatten in der That etwas barbarisches: ich wagte es unterdessen, ihm meinen Diener nachzuschicken, um ihn zu befragen, ob er der Baron von Thurris wär; in welchem Fall ich mir die Ehre ausbitten wolte, ihn zu sprechen.

Mein Cammerdiener näherte sich demselben mit der grösten Bescheidenheit: er hatte ihm aber auf sein Befragen nicht so bald entdecket, wer ich wär; so kam er, als ein Rasender, mit aufgespanneter Pistole, auf mich zugerant. Da er mich erreichet, druckte er den Hut tief in den Kopf: Ha! Verräther! war seine Anrede, find ich dich allhier? hast du meine Schwester können verführen, so zeige nun auch, ob du eben so leicht dein Leben vertheidigen kanst.

Ich wolte ihm auf diese tolle Anrede mit Vernunft antworten: ich betrachtete ihn als den Bruder meiner geliebten Marianen: Mein Herr, sagt ich zu ihm, ganz gelassen, last uns einander nicht schimpfen: ich liebe ihre tugendhafte [153] Fräulein Schwester, als ein ehrliebender und redlicher Cavalier. Was Ketzer! schrie dieser voller Wuth, sprich mit deiner Pistole, wenn du Herz im Leibe hast; anders begehr ich nicht mit dir zu reden: indem er dieses sagte, schoß er auf mich, daß mir die Kugel am Kopf hinsauste: ich machte mich darauf so hurtig wehrhaft, als ich konte. Gilt dieses, Bösewicht, fuhr ich im Zorn heraus, und schenkte ihm eine Kugel, die ihn vom Pferd herunter stürzte.

Ich rief alsobald meine Leute und seinen eigenen Kerl, bey dieser Handlung zu zeugen, daß ich zu diesem Zweykampf wäre gezwungen worden. Wir suchten darauf dem verwundeten Leichnam dieses unglückseligen jungen Edelmanns noch zu Hülfe zu eilen; allein ich hatte ihn mitten durch die Brust geschossen: er war Knall und Fall todt.

Sein Knecht hielte ihm allhier eine kurze Leichen-Rede. Der Inhalt davon war dieser: Ihr Caplan, sprach er, hätte immer gesagt: GOtt war ein gerechter GOtt, der das Böse nicht ungestraft ließ: sein Herr hätte ein so gar ruchloses böses Leben geführet, daß schier kein ehrlicher Mensch mehr bey ihm hätte dienen wollen; er wär selbst noch denselben Tag Willens gewesen, von seinem Herrn wegzulauffen, nun hätte derselbe seinen verdienten Lohn von meiner Hand bekommen. GOtt mögte seiner armen Seel genädig seyn.

[154] Ich ließ darauf den ertödteten Leichnam nach dem nächsten Dorf bringen, und reiste wieder zurück nach Haus. Ich empfand über diese traurige Begebenheit in meinem Gemüthe einen so beisenden Schmerzen, daß ich mich nicht zu trösten wuste. Was wird, sprach ich bey mir selbst, die Frau von Thurris sagen, daß ich ihren Sohn entleibet habe? wie wird meiner armen Marianen darüber zu Muthe seyn? wird sie ohne Grausen und Entsetzen an ihren Bruder-Mörder gedenken? wird sie denselben auch noch lieben können? Und wenn gleich in diesem Fall, wie ich glaube, auch ihre Regungen für mich die Oberhand behalten solten, würden ihr jemahls der Wohlstand und die Gesetzen erlauben, demjenigen die ehliche Hand zu geben, der die seinige mit dem Blute ihres einzigen Bruders bespritzet hat?

Mit diesen Kummer-vollen Gedanken kam ich wieder auf meines Vaters Schloß. Die Sache mit dem Baron von Thurris wurde allenthalben ruchtbar: der Zweykampf war noch binnen den Gräntzen dieses Königreichs geschehen. Ich wolte darüber mich den Wirkungen des väterlichen Zorns nicht aussetzen; mein Vater ist, wie bekant, ein rauher heftiger Mann. Ich hatte Ursach mich vor ihm zu fürchten. In meinem Gewissen fund ich mich unschuldig; ich wolte deswegen nicht das Königreich räumen: ich verließ mich auf GOtt und meine gerechte Sache: ich begab mich deswegen, als ein freywilliger Gefangener auf diese Vestung, und verhoffe, [155] nachdem die Sache nunmehro mit allen gerichtlichen Untersuchungen und Abhörungen der Zeugen, nach Hofe ist versandt worden, bald wieder zu meiner vorigen Freyheit zu gelangen; weil es hie ganz offenbar ist, daß ich in den Umständen einer unumgänglichen Nothwehr mich befunden hatte.

Mein Vater vernahm, so bald ich ohne Abschied von ihm gereiset war, den ganzen Handel: ich bat ihn deswegen in Briefen mit den demüthigsten und zärtlichsten Ausdrückungen um Verzeihung, und hofte, er würde sich meiner annehmen; er verwies mir aber nicht allein, die ohne seinen Willen und Rath unternommene Reise nach Monaco; sondern versagte mir auch sogar allen Schutz und Beystand. Doch, wie ein Vater allzeit Vater ist, so vernehm ich jetzo, daß er sich ins Mittel geschlagen hat; und daß also mein Proceß ehestens zu Ende gehen werde.

Das siebende Buch

[156] Das siebende Buch.

Nachdem der Herr von Riesenburg hiemit seine Erzehlung zu Ende gebracht hatte, verfügte sich der Herr von Ridelo mit dem Grafen auf sein Zimmer, und wiederhohlte demselben alles, was er ihm bereits bey seiner Ankunft eröffnet hatte, mit beygefügter Bitte, er mögte sich die Nacht wohl darüber beschlafen, und ihn morgen mit einer guten Antwort abfertigen.

Der andere Tag erschien, aber nicht zu des Herrn von Ridelo vermeynter Abreise. Der General hatte sich denselben noch ausgebeten, und diesem Herrn zu Ehren eine grosse Gesellschaft des benachbarten Adels auf das Schloß bitten lassen. Man speisete Mittags in einem grossen Saal, dessen Wände mit feinem Wachstuch bekleidet waren, worauf man die vornehmste Schlachten und Kriegs-Thaten der vorigen Königen, sehr kunstreich abgemahlet sah. Unter währender Tafel ließ sich eine vortrefliche Music hören: die Gesellschaft war sehr zahlreich: es befanden sich darunter allerhand Menschen, von beyderley Geschlecht: man blieb bis in die Nacht beysammen: man belustigte sich, theils mit Spielen, theils mit Tanzen, theils aber mit allerhand Gesprächen.

[157] Der Graf von Rivera gieng von einem Hauffen zum andern; er vernahm allerhand Urtheile und Meynungen; er sah, daß unter so viel Personen sich wenige fanden, die von einer Sache sich richtige Begriffe machen konten, und die folglich vermögend waren, eine Wahrheit gründlich einzusehen. Die Einbildung, die ein jeglicher von sich selbst und seiner eigenen Vortreflichkeit hatte, war die Quelle, woraus auch bey dieser Zusammenkunft die meiste Reden flossen: es suchte immer einer den andern in die Schule zu führen, oder gar lächerlich zu machen; und wer am meisten sprach, und durch seine Thorheiten andere lachen machte, der gab sich selbst die Stimme, daß er unstreitig der Klügste von allen sey. O unglückseliger Verstand! seufzete hier der Graf bey sich selbst, ist dieses der würdige Gebrauch einer so edlen Gabe, damit uns GOtt von den unvernünftigen Thieren unterschieden hat?

Der Herr von Ridelo machte sich, ehe er den Grafen verließ, noch einmahl an denselben: er setzte seinen vorigen Beweg-Gründen, damit er ihn zur Unterwerfung in des Königs Willen zu bereden suchte, noch andere hinzu; allein, es war umsonst: der Graf sagte ihm; er wolte sich gern in allen Stücken weisen lassen, und dem König seinen Gehorsam erzeigen, sein Herz aber litt durchaus keinen Zwang: er hielt dafür: ein redlicher Mann müste sich nicht anders, als aus Neigung heyrathen: der König hätte über alle seine Handlungen zu befehlen, die nicht wider die[158] Aufrichtigkeit des Herzens stritten; er hielt die Eh für einen Stand, worinn nicht nur die genaueste Liebe und Vertraulichkeit herrschen solten; sondern wo zugleich auch die nothwendigste Pflichten der menschlichen Gesellschaft zu beobachten vorkämen. Es könte seyn, setzte er hinzu, daß diese Art zu denken, nach der heutigen Welt, etwas gemeines und niederträchtiges hätte. Unterdessen aber könte er um so viel weniger andern Lebens-Regeln folgen, weil sie ihm noch weit gefährlicher als diese schienen.

Der Herr von Ridelo beklagte die Unschuld des Grafens so sehr, als er dessen Tugend bewunderte. Er nahm von ihm Abschied, und als er sich seine beständige Freundschaft ausgebeten, und ihn auf das zärtlichste umarmet hatte, reiste er ziemlich mißvergnügt, wegen seiner schlechten Verrichtung, wieder nach Panopolis.

Gleich nach seiner Ankunft fuhr er zu dem Herzog von Sandilien. Dieser war übel zu frieden, da er hörte, daß sein Anschlag nicht glücklicher von statten gehen wolte. Der eigensinnige Graf, stieß er aus Unmuth heraus, ist selber Schuld an seinem Unglück. Ich habe es recht gut mit ihm gemeynt: ich weiß nicht, wie ich die Sache dem König soll vorbringen, daß er darüber nicht von neuem wider ihn aufgebracht werde; ja ich besorge anjetzo die Ausbrüche seines Zorns noch mehr als zuvor; weil der Graf dessen gröste Gnaden-Bezeugungen so trotzig ausschlägt, und dadurch den König destomehr in seinem gegen [159] ihn gefasten Argwohn stärket. Der Herr von Ridelo suchte alles in der Welt zu des Grafens Entschuldigung anzuführen: er bat, und beschwur den Herzog, diesen tugendhaften Cavalier in seinen Schutz zu nehmen, und verließ ihn nicht eher, als bis ihm der Herzog solches versprach.

Der König verlangte sehr zu vernehmen, was der Herr von Ridelo bey dem Grafen von Rivera würde ausgerichtet haben. Der Herzog von Sandilien suchte demselben die Sache so glimpflich, als es ihm nur möglich war, vorzutragen; allein der König liebte, er war eifersüchtig, und hatte es Ursach zu seyn. Dieses bedrohete den Grafen mit der äussersten Gefahr.

Der Herzog wuste nicht, wie er sich diese Begebenheit bey seiner Base zu Nutz machen solte: er hatte den Herrn von Ridelo gebeten, die Sache verborgen zu halten; und weil der sonst plauderhaften Corinna selbst daran gelegen war, daß davon nichts bekant würde; so suchte er seine Base glauben zu machen, der Graf würde sich mit der Herzogin von Salona vermählen. Er hofte sie dadurch zu bewegen, daß sie sich desto leichter für den König erklären solte. Die Gräfin von Monteras aber schützte ihre fortdaurende Unpäslichkeit vor, und begab sich wieder nach Prato zu ihrer Frau Mutter.

Des Königs Zorn wuchs durch die Kaltsinnigkeit der Gräfin und durch ihre Abreise. Dessen [160] Eifersucht gegen den Grafen von Rivera gieng so weit, daß er auf Mittel sann, ihn heimlich aus dem Weg zu räumen: das Blut eines Unterthanen ist in den Augen eines Königs etwas geringes, wenn er sich von ihm beleidiget zu seyn glaubet. Nur wuste der König nicht, wem er sich in dieser Sache vertrauen solte; zu dessen Ausführung er sich keines andern Menschens, als eines Verräthers bedienen konte. Silon kam ihm darüber in die Gedanken: er fand ihn zu solchen Verrichtungen, die durch List und Betrug musten getrieben werden, überaus geschickt: er entdeckte ihm sein Anliegen, und fragte ihn, wie er dieses ihm so verhasten Mitbuhlers am besten los werden könte. Dieser hatte darzu sogleich hundert verwegene Anschläge; der König aber, der heimlich noch etwas von einem guten Grund in sich hatte, konte sich zu keinem derselben entschliessen.

Endlich ereignete sich eine Gelegenheit, wobey der König glaubte, seine Absichten, in Ansehung des Grafens, am ersten zu erreichen. Es hatte sich zwischen ihm und dem König von Licatien ein Krieg entsponnen. Dieser war ihm wegen einer gewissen Grafschaft, darauf er Anspruch machte, mit einem Heer von 25000. Mann ins Land gefallen.

Man hatte sich dieses feindlichen Einbruchs so bald in Aquitanien nicht versehen: alles, was man dabey thun konte, war, daß man die Vestungen mit Volk besetzte, und ein tüchtiges [161] Kriegs-Heer zusammen zu bringen suchte, solches dem Feind entgegen zu stellen. Der Schrecken und die Verwirrung war ungemein, es fehlte an allem; keine Mannschaft war auf den Beinen, kein Geld in der Schatz-Cammer; die meisten Unterthanen waren arm, und die Reichen schützten meistentheils ihre Freyheiten vor, wenn sie zur gemeinen Sache etwas mit beytragen solten.

Der König erinnerte sich bey diesen Umständen des Grafens von Rivera, welcher ihm öfters vom Krieg und der Nothwendigkeit eine ordentliche und wohl-geübte Mannschaft beständig auf den Beinen zu halten gesprochen, und daß ihm darinn der General Lesbo stark wiedersprochen hatte. Der König vermeynte also dem Grafen ein Netz zu stellen, wenn er ihn zu einem Befehlshaber bey seinem Kriegs-Heer bestellen, und ihm die gefährlichste Posten würde anvertrauen lassen.

Als der König dieses Vorhaben dem Herzogen von Sandilien entdeckte, merkte dieser bald, wohin der König zielte: so ehrsüchtig er auch war, so konte er doch nicht grausam seyn: er machte dem König deswegen allerhand Einwürfe: er sagte ihm unter andern: daß der Graf bey dem Krieg nicht wäre hergekommen, daß er in solchen Sachen keine zulängliche Erfahrung hätte: und daß die alte Officiers nicht gern unter ihme dienen würden.

Der König antwortete hierauf dem Herzogen, [162] daß des Grafens Geburt ihn zu den obersten Kriegs-Aemtern fähig machte: daß er in dem Hesperischen Krieg, als ein Freywilliger, einige Feld-Züge mitgethan hätte; daß er die Kriegs-Bau-Kunst aus dem Grund verstünde; daß also kein Officier sich es dürfte mißfallen lassen, unter ihm zu dienen.

Der Herzog von Sandilien konte hierwider nichts einwenden; er sandt demnach auf des Königs Befehl einen Königlichen Geheim-Schreiber an den Grafen, und ließ demselben nicht nur des Königs Gnade durch ihn ankündigen; sondern auch das Patent eines General-Wachtmeisters überbringen. Weil es in Aquitanien etwas gewöhnliches ist, daß der hohe Adel in Kriegs-Läuften mit zu Felde ziehet, und eigne Regimenter anwirbet; so kam dieser kriegerische Beruf dem Grafen nicht so gar fremde vor: er bedankte sich für die besondere Gnade, und das darunter ihm bezeigende Vertrauen des Königs. Er hofte demselben in diesem Krieg gute Dienste zu thun. Die Natur hatte ihm einen gesunden Leib, ein männliches Ansehen und ein tapferes Herz gegeben. Er hatte die Wissenschaften, die zum Krieg gehören, von Jugend auf gelernet, und war stets mit erfahrnen Kriegs-Leuten umgegangen. Der König hatte ihm, auf Anhalten des Herzogs von Sandilien, zugleich auch die Erlaubniß gegeben, sich ein eigenes Regiment anzuwerben; welches den Grafen von den guten Meynungen des Königs völlig zu überzeugen schien.

[163] Der Graf nahm also von seiner bisherigen Gefängnis-Gesellschafft Abschied. Der alte Commendant wünschte ihm zu dem bevorstehenden Feldzug tausendfaches Glück, und beklagte nur, daß ihm seine alte gebrechliche Hütte nicht mehr gestatten wolte, an seiner Seiten zu fechten: er schloß ihn darauf mit herzlicher Liebe in seine Arme: der Freyherr von Riesenburg war noch mehr über den Abschied des Grafens bewegt; er hatte mit ihm die genaueste Freundschaft aufgerichtet; er versprach ihm, weil er erster Tagen wieder auf freyen Fuß kommen solte, unfehlbar nach der Armee zu folgen.

Der Graf gieng nicht nach Hof; man hatte ihm solches widerrathen: er verfügte sich geraden Wegs auf seine Herrschaft. Dessen unvermuthete Ankunft verursachte daselbst bey seiner Frau Mutter und beyden Gräfinnen Schwestern, wie auch bey dem Herrn von Bellamont ein überaus grosses Vergnügen: er hatte ihnen aber nicht so bald die Ursach davon entdecket, so verschwand solches auf einmahl. Die alte Gräfin hielt ihren einzigen Sohn für verlohren; und ihre beyde Töchter warfen mit einer betrübten Empfindung die Schuld alles Ungemachs, welches ihren Bruder bedrohete, auf den Herrn von Bellamont, weil er allein ihm gerathen hatte nach Hofe zu gehen. Ihm war selbst nicht wohl zu Muth bey der Sache: er kante die Welt, und konte leicht muthmassen, daß man bey solchen Umständen dem Grafen mehr ein Netz zu stellen, als ihn zu erheben suchte. Er gab diesen Argwohn [164] seinem liebsten Grafen zu erkennen: er bat ihn deswegen sehr, bey dieser ihm bevorstehenden Gefahr auf seiner Hut zu seyn, und ein wenig mistrauischer zu werden.

Diese beyde Herren waren immer beysammen: das neue Regiment war bald angeworden: sie fanden allein auf ihren beyden Herrschaften bey zwey hundert Mann auserlesen Volk. Die übrige Befehlshaber waren auf verschiedene Werb-Plätze ausgetheilet: der Name des Grafens von Rivera war allenthalben beliebt: seine Vorfahren hatten sich bereits im Krieg sehr hervorgethan, und erfüllten seine Ahnen-Tafel mit den tapfersten Helden; das Volk lief häufig zu; in Zeit von ein paar Monathen war das ganze Regiment auf den Beinen und im Stand zu marschiren. Die Armuth auf dem Land war durchgehends so groß, daß sich Soldaten genug fanden, wo nur Geld war.

Der Graf hatte in dem Kriegs-Wesen verschiedene Dinge beobachtet, die er bey seinem Regiment zu ändern und zu verbessern suchte: er hatte insonderheit wahrgenommen, daß die so nöthige Kriegs-Zucht fast durchgängig versäumet wurde; und daß man dem Soldaten, sowohl auf Zügen, als im Feld, allen Muthwillen und alle Leichtfertigkeit verstattete; wodurch die Unordnung, die Schwelgerey, die Trägheit, die Grausamkeit und die Verachtung der wahren Ehre eingeführet, mithin der Soldat besser abgerichtet wurde, die Menschen zu plagen, als zu beschützen. Diesem [165] Unheil suchte der Graf auf alle Weise abzuhelfen, und durch die Einführung einer rechtschaffenen Kriegs-Zucht bey seinem Regiment, andern ein glückliches Beyspiel zur Nachahmung zu geben.

Bey der Musterung schoß er alle Pursche aus, die nicht wohl gewachsen waren; oder die ein wildes und viehisches Ansehen hatten. Denen, die zu seiner Fahne schwuren, ließ er durch den Regimentse Richter den Eyd nicht allein vorlesen, sondern auch auf das deutlichste erklären; er selbst ermahnte sie bey dieser Gelegenheit, daß sie sich als rechtschaffene redliche Kriegs-Männer aufführen, und stets bedenken solten, daß das Leben eines meineydigen und ehrlosen Menschens viel abscheulicher sey, als der Tod.

Seine Leutseligkeit und Menschen-Liebe fesselte bald die Herzen seiner Soldaten: er fragte einen jeden, ob er auch in seinem Dienst vergnügt wär, ob er seine Besoldungen, seine Kleider, sein Brod und alles, was ihm gehörte, richtig empfieng? diesem fügte er immer einige Aufmunterungs-Worte mit hinzu, daß man sich solte wohl halten und dem König getreu und mit gutem Herzen dienen. Er sprach auf diese Weise mit allen seinen Soldaten: er besuchte sie, wie ein Freund den andern: er gieng in seinem Lager von Zelt zu Zelt: dieses waren seine angenehmste Spatzier-Gänge: den Kranken reichte er Arzney und Geld, den Gesunden aber gab er zuweilen ein kleines Fest und etwas auf seine Gesundheit zu vertrinken: alle Spiele um Geld[166] waren unter ihm bey ernstlicher Straf verbotten: hingegen ließ er seine Leute im Lauffen, Rennen, Schiessen, Werfen, Ballschlagen, Kegeln und dergleichen sich üben: weil diese Bewegungen der Gesundheit zuträglich sind, den Müßiggang unterbrechen, den Geist munter, die Glieder lenksam, und den ganzen Leib geschickt, hurtig und stark machen. Es wurden dabey den Soldaten gewisse Stunden des Tags ausgesetzt, darinnen sie ihr ordentliches Gebet verrichten musten, und noch andere, da man ihnen etwas aus den Kriegs-Geschichten vorlas und darüber allerhand Urtheile fällte; bey welcher Gelegenheit ein jeder seine Meynung frey entdecken, oder gewisse Fragen auf die Bahn bringen konte. Die Andachts-Ubungen hielte der Feld-Caplan, die anderen aber, ein jeder, der Lust und Wissenschafft hatte, etwas nützliches zu lesen und vorzutragen.

Nebst dem Mangel der Kriegs-Zucht, hatte der Graf unter den Königlichen Truppen noch andere Fehler bemerket, die er gleichfalls bey seinem Regiment abzustellen suchte: darunter rechnete er auch das grosse Geschlepp von Dienern, Weibern, Marketendern, Troßbuben und Pferden, welche den Soldaten insgemein die nöthige Lebens-Mittel vor dem Munde wegzehren, und die Züge noch einmahl so schwer und unordentlich machen. Er wolte deswegen nicht zugeben, daß ein Unterhauptmann und Fähndrich mehr als ein Pferd, und ein Hauptmann mehr als zwey bis drey, mit ins Feld nehmen [167] solte. Wegen des Gepäcks aber wurden von ihm die Anstalten gemacht, daß man solches meistentheils auf eine gewisse Anzahl Pferd und Maulthiere lud, womit man die Geburge leicht besteigen, und der vielen Wägen und Vorspann-Fuhren entbehren konte.

In dieser Verfassung kam der Graf mit seinem neugeworbenen Regiment in das Königliche Lager. Der Fürst von Voltera, als Oberster Feldherr, empfieng ihn auf das freundlichste; der Graf Lesbo aber, der unter diesem Fürsten die Armee commandiren solte, machte ihm eine ziemlich spröde Mine. Dieser General war bey den Waffen grau worden und verstund den Krieg nach der bisherigen verdorbenen Einrichtung nicht übel, er hatte deswegen bey dem König über die neue Vorschläge des Grafens von Rivera, welche die Verbesserung des Soldaten-Standes betraffen, ehedessen das meiste Gespött getrieben: er war sonst ein rauher, boshafter und listiger Mann. Der König hatte ihm heimlich zu verstehen gegeben, daß er den Grafen von Rivera ein wenig in die Schule führen und zu gefährlichen Unternehmungen brauchen solte. Er hatte genug an diesem Unterricht; er wuste schon, wie die Carten bey Hofe gemischet waren.

Die Eifersucht dieses Generals war ungemein, als er das überaus schöne Regiment des Grafens von Rivera ankommen und in das angewiesene Lager einrücken sah: Waffen-Rüstung, Mannschafft, Kleidung, alles war leichter, sauberer, [168] ordentlicher und kriegerischer, als man solches bisher an andern wahrgenommen hatte.

Der Fürst von Voltera war falsch und schmeichlerisch: er hatte für niemand eine wahre Freundschaft, er suchte nichts als seine eigene Hoheit: er war ein Ur-Enkel des grossen Nicanors, der seinen Groß-Vater mit einer Beyschläferin gezeuget hatte. Weil der König noch unvermählet, und dabey von schwächlicher Natur war, so richtete er schon von weitem seine Gedancken auf den Thron: er konte den Herzog von Sandilien nicht leiden: seine Feindschafft gegen denselben hatte sich schon bey verschiedenen Gelegenheiten blos gegeben. Die Ursach dieses Hasses machte dem Herzog viel Ehr: sie haftete auf dessen Treu gegen den König: die verstorbene Königin hatte ihm denselben auf ihrem Todtbett anbefohlen, und ihn zu gleich mit Genehmhaltung der Stände, und ihres geheimen Raths, zum Vormund des Königs bestellet: dem Fürsten aber Lucodun zu seinem Aufenthalt angewiesen. Dieser Fürst sah demnach hier den Grafen von Rivera zum erstenmahl: er bewunderte dessen vortrefliche Eigenschafften: er urtheilte daraus, daß dessen Glück nicht mittelmäßig bleiben würde, und suchte ihn deswegen zu seinem Freud zu machen.

Es stund darauf, daß die Licatier weiter in das Königreich einbrechen, und die Grenz-Vestung Minopel wegnehmen wolten. Die Aquitanier fanden deswegen für nöthig, einige tausend Mann in das Geburge zu legen, und ihnen dadurch den Paß abzuschneiden.

[169] Der Graf von Lesbo, auf welchen alles hauptsächlich ankam, gedachte hier dem Grafen von Rivera die erste Falle zu stellen. Er zog aus allen Regimentern den zehenden Mann, und trug demselben darüber das Commando auf. Dieser merkte bald, daß der General für ihn keine günstige Absichten hatte. Er verbarg aber seinen geschöpften Argwohn und folgte dem Befehl. Doch bat er den Fürsten, ihn allenfalls mit nöthiger Mannschaft zu unterstützen.

Er postirte sich sehr vortheilhaft: er hatte hinter sich eine Höhe mit einem dicht-bewachsenen Gehölz, und von vornen steile Abhänge, die bis in ein tiefes Thal herunter giengen. Der Grund war hart und felsigt: man konte mit der Schauffel nicht durchkommen: Der Graf ließ deswegen ungesäumt die gröste Steine zusammen lesen, und damit auf beyden Seiten sich eine kleine Brustwehr machen, welche er mit einigen Feld-Stücken, die er bey sich hatte, bedeckte.

Es währte nicht lang, so gab es Lermen: man hörte von weitem das Rufen der Fuhrleute, und das Glatschen ihrer Peitschen in den hohlen Thälern erschallen. Die Vorwachen des Grafens gaben zu gleicher Zeit ihre Losung: ein paar hundert Reuter wurden ausgesandt, um nähere Kundschafft einzuziehen. Der Graf vernahm, daß es feindliche Pack-Fuhren wären, die nur eine kleine Bedeckung bey sich hätten; hinter welchen aber über fünftausend Mann im Anzug wären: der Graf merkte bald die Absicht dieser feindlichen [170] Völker, und daß sie ihn deswegen mit seinen Leuten in das Gepäcke verwickeln wolten, um ihn hier zu überfallen, und dessen Lager zu hestürmen: er ließ deswegen mit seinen Völkern zwar den Paß besetzen; jedoch mit dem ausdrücklichen Befehl, daß kein Soldat aus seinem Glied rücken, sondern nur auf die vorbeyfahrende Karren Feuer geben solte.

Als darauf die feindliche Hauffen selbst anmarschiret kamen, stund der Graf in völliger Schlacht-Ordnung, und erwartete den Angriff: die Licatier aber, wie sie den Grafen in einer so guten Verfassung sahen, wolten solches nicht wagen: sie suchten dargegen eine gewisse Höhe einzunehmen, von welcher sie die Aquitanier mit ihren Canonen erreichen konten: der Graf wolte solches verhindern, damit kam es zum Gefecht: die Begrüssung von beyden Theilen war feurig, man fochte lang und blutig, die Licatier behaupteten endlich den Posten und besetzten den unten im Thal zwischen den Bergen durch fliessenden Bach mit ihren Vorwachten. Der Graf sahe bald, daß er hier ohne Entsatz schwerlich ungeklopft davon kommen würde; er hatte bereits verschiedene Boten deswegen an den Fürsten abgesandt; allein, es kam keine Hülfe. Seine Leute dauerten ihn, sein Ruhm war in Gefahr: er schien von dieser ersten Probe, die man von seiner Tapferkeit erwartete, abzuhängen: Seine Tugend hatte ihn, in Betrachtung der Ehre, noch nicht unempfindlich gemacht: die Herzhaftigkeit, dachte er bey sich selbst, wird mir nichts [171] helfen: die Feinde sind mir weit überlegen; man schickt mir keine Hülfe, ich werde schändlich fliehen, oder mit einem verzweiffelten Muth mich und meine Leute der Feinde Schwerd aufopfern müssen. Was Raths? wie soll ich hier meine Pflicht, meine Ehre und meine Leute retten? der einbrechende Abend schützet mich durch seine dunkle Schatten. Morgen aber werd im mich noch vor Aufgang der Sonne von dem Feind umringet sehen.

Dieses waren unter währendem Treffen die traurige Uberlegungen des Grafen; es wurde finster, man zog sich beyderseits wieder zurück. Der Graf befand sich nicht so bald in seinem Lager, so befahl er in der Still das meiste Gepäck aufzuladen und solches voraus nach dem Haupt-Quartier gehen zu lassen. Er theilte darauf seine Völker in drey Theile: einige versteckte er in das Gehölze: die andere ließ er im Lager: mit den übrigen besetzte er den Paß.

Es wurde zum Aufbruch geblasen, und alles vorräthige Heu und Stroh in Brand gesteckt: die Dunkelheit der Nacht wurde dadurch erhellet: die Flammen umleuchteten als Fackeln die ganze Gegend. Die Licatier liessen sich durch dieses Feuerwerk aus ihrem Lager locken, sie wolten den Grafen so nicht davon ziehen lassen: sie dachten ihn auf der Flucht zu erhaschen, und fielen ihm damit zu gleicher Zeit in den Hinterhalt und in das Lager.

[172] Der Graf war bey diesem Angriff voller Muth, und zweiffelte nicht, sein Anschlag würde glücklich von statten gehen: Brüder, sprach er zu seinen Soldaten: ihr seyd von verschiedenen Fahnen, wir dienen aber alle einem König: lasset uns brav thun, so werden uns andere beneiden, daß man uns ihnen hat vorgezogen, um dem Feind die erste Schläge anzubringen.

Die feindliche Reuterey stürmte mit einem starken Feuer auf den Grafen: er wehrte sich tapfer: gleich darauf aber fielen die im Lager hinterlassene Völker dem Feind in Rücken, und machten damit dem Grafen Luft. Wie der Feind sah, daß die Aquitanier ihr Lager vollig verlassen hatten, fiel er darauf los. Die Soldaten, in Hoffnung, Beute zu machen, wichen aus ihren Gliedern und zerstreueten sich zwischen den noch zurückgebliebenen Zelten und Wägen. Als die in dem Gehölz versteckte Aquitanier solches sahen, brachen sie hervor und hieben alles darnieder. Hier hatte der Graf gewonnen Spiel: der Soldat fochte mit Lust unter einem Anführer, dessen Beyspiel sie zur grösten Tapferkeit anfrischte: alle Befehlshaber thaten ihre Schuldigkeit: man drang den Feind zusammen, und brachte eine Horte durch die andere in Verwirrung: theils warfen sich in die Flucht, theils wurden niedergehauen: die wenigsten erreichten ihr Lager: die darinn zurück gebliebene Besatzung, durch die Hauffen der Flüchtigen geschreckt, that schlechten Widerstand: der Graf bemächtigte sich derselben ohne Müh: und nachdem er einen [173] vollkommenen Sieg erfochten hatte, kam er mit seinen Leuten wieder zurück in das Haupt-Lager.

Niemand war darauf übler zu sprechen, als der General von Lesbo: er nannte diesen Sieg ein Versehen des Feindes, und ein ungefähres Glück des Grafens; welches aber doch keinen Nutzen hätte: weil der Graf seinen Posten nicht behauptet; sondern gleichsam vor seinem überwundenen Feind geflohen wär.

Der Graf beklagte sich hingegen bey dem Fürsten von Voltera, daß er ihm die versprochene Hülfs-Völ ker nicht gesandt hätte. Der Fürst zuckte darüber die Achseln und warf die Schuld auf den Grafen von Lesbo, welcher solches deswegen nicht hätte für gut befunden; weil er dafür gehalten, die Feinde suchten nichts anders, als sie mit einem Theil ihrer Armee in das Gebürge zu locken, und auf solche Weise ihre Macht zu trennen; gleichwohl, antwortete der Graf hierauf, mit einiger Empfindlichkeit, hat man für gut gefunden, mich mit drey tausend ehrlichen Männern dahin zu senden, welche man zusammen in die Pfanne würde gehauen haben, wenn ihnen GOtt und ihr Muth nicht durchgeholfen hätte.

Die Feinde, welche unterdessen den Paß durch die Gebürge offen fanden, liessen wenig Tage darauf ihr grobes Geschütz darüber setzen; und rückten mit ihrer ganzen Macht vor Menipol.

[174] Im Kriegs-Rath wurde gefragt: ob man den Feind, mittlerweil, daß er mit Eröfnung der Lauf-Gräben beschäftiget wär, angreiffen, und ihm eine Schlacht liefern solte? die meisten riethen solches: der Herr Graf von Rivera, fieng einer der ältesten Obristen an, hat uns einmahl die Bahn gebrochen, und den Licatiern gewiesen, daß sich die Aquitanier nicht vor ihnen fürchten: man muß ihnen muthig unter die Augen rücken; weil sie die Schläge noch fühlen, und nicht warten, bis sie selbst kommen, solche an uns zu rächen. So verdrießlich dem General Lesbo diese Anmerkung in den Ohren schallte, so konte er doch nichts dargegen einwenden: schier alle Befehlshaber stimmten damit überein: die ganze Armee rückte also dem Feind entgegen.

Es war eine grosse Fläche, auf welcher die beyde Heere füglich sich ausbreiten, und einander nach allen Regeln der Kunst herum treiben konten: beyde zeigten sich in Schlacht-Ordnung; sie stunden einander sich lange im Gesicht, ohne daß weder der eine, noch der andere Theil die mindeste Bewegung machte. Endlich sahen die Aquitanier, daß ein Theil des feindlichen linken Flügels sich nach einem Flecken hinzog; hinter welchem das Licatische Lager stund. Dieser Flecken wurde für einen Posten gehalten, dem nicht wohl beyzukommen war. Ein breiter Teich mit einem dicht-bewachsenen Hayn umschlung denselben bey nahe rings herum. Das Erdreich war, wegen der vielen Sümpfen, hin und wieder mit tiefen Canälen durchschnitten, [175] und schien die Annäherung einiger Truppen unmöglich zu machen.

Nichts destoweniger so wurde dem Grafen von Rivera aufgetragen, er solte den Feind mit einigen Regimentern von diesem Posten abzutreiben, und solchen zu behaupten suchen. Schwere Unternehmung, welche auch den erfahrensten Kriegs-Obristen würde zu schaffen gemacht haben.

Er hatte dismahl meist alte Truppen und lauter Officiers die ihm zugethan waren, nebst seinem eignen Regiment, bey sich: er besetzte alsofort, nachdem er zuvor die Lage von der ganzen Gegend aufgenommen hatte, alle Zugänge nach dem Flecken, und legte einen Theil seines Fuß-Volks in die Gebüsche. Der Eingang des Orts war mit spanischen Reutern und mit Karren gesperret. Der Graf wuste solche hurtig in Brand zu stecken, und darauf mit drey Feld-Stücken den Paß sich völlig zu öfnen.

Der Feind, als er hier ein wenig das Feuer ausgehalten, zog sich zurück, und besetzte einen stark-ummauerten Kirchhof. Das Gefecht wurde hier ernsthaft und blutig: kein Theil wolte dem andern weichen: es blieben beyderseits viel Leute: Der Graf bejammerte den Verlust einiger seiner besten Officierer. Er selbst bekam eine leichte Wunde am rechten Backen, und verlohr ein Pferd unter dem Leibe: Endlich zwang er den Feind, ihm diesen Posten einzuräumen. Kaum[176] aber, daß er solchen behauptet hatte, so schickte ihm der Fürst von Voltera seinen Adjutanten, und ließ ihm sagen, daß er sich eilends zurückziehen solte, um den lincken Flügel zu unterstützen.

Neue Schwierigkeit, neue Verwirrung für einen so jungen Befehlshaber. Der Graf seufzete heimlich, daß er einen Posten verlassen solte, den er mit so vielem Blut erfochten hatte. Dieser Abzug erforderte so viel Kunst und Klugheit, als der gefährlichste Angriff. So viel Glieder sich zurück zogen, so viel Feuer musten sie aushalten. Der Feind schloß sich immer hinten an; sobald aber hatte der Graf nicht das freye Feld gewonnen, so ließ er seine Reuter dem nachsetzenden Feind sich entgegen stellen, und seinen Völkern damit den Rücken bedecken.

Er stieß damit glücklich wieder zu dem linken Flügel: dieser stund in vollem Feuer, und wehrte sich tapfer. Des Grafens Soldaten waren ziemlich abgemattet: viele giengen nur mit verdrosnen Muth wieder an den Feind. Brüder! sagte er deswegen zu ihnen: wir dürfen heute nicht eher ruhen, als bis wir gesieget haben; darum müssen wir fechten; aller bisher bezeigter Muth würde vergebens seyn, wo wir das Feld räumen solten.

Der Graf ließ darauf seine Fuß-Völker sich in viereckigte Haufen schliessen und die Bajonetter aufstossen, er selbst aber unterstützte mit seiner Reuterey diejenige Regimenter, welche [177] am meisten Noth litten. Die Feinde hielten solches für einen Entsatz, und suchten sich deshalben in so guter Ordnung, als sie konten, zurück zu ziehen.

Der Graf, da er sah, daß der linke Flügel nichts mehr zu befürchten hatte, kam eben zu dem Fürsten von Voltera, da dieser die Nachricht erhielt, daß der ganze rechte Flügel geschlagen, und in voller Flucht begriffen wär. Der Graf, der mehr auf den Sieg erhitzet, als durch die Strapazen ermüdet schien, bat den Fürsten, ihm einen Theil von seiner Reuterey, welche noch gar nicht gefochten hatte, zu vertrauen: er wolte damit die Flüchtigen aufhalten, und sie wieder suchen an den Feind zu bringen. Der Fürst bewilligte solches und gab ihm, nebst seinem Regiment Dragoner, auch drey Compagnien vom Königlichen Hause.

Wer nie die Regungen einer großmüthigen Tapferkeit in seinem Busen gefühlet hat, der kan sich auch keine Vorstellung von dem lebhaften Vergnügen machen, welches der Graf bey dieser Gelegenheit empfand. Seinem darnieder liegenden Verfolger zu Hülfe zu kommen, die beste Truppen anzuführen, und damit dem Feind den schier erfochtenen Sieg wieder aus den Händen zu reissen; dieses waren solche Umstände, deren Annehmlichkeiten nur allein die Seelen grosser Helden kennen.

Das ganze Feld bedeckte bereits eine Menge, [178] theils gewürgter, theils noch sterbender Cörper: viele, die sich durch die Flucht zu retten suchten, und in vollem Schrecken den Fußsteigen zueilten, schwammen hier theils durch die Canäle und Teiche, theils blieben in den Sümpfen und Morästen stecken; die meisten aber stiessen auf den mit frischen Völkern anrückenden Grafen. Wie, Verzagte! schrie er ihnen mit männlicher Stimme entgegen, wo wolt ihr hin? seyd ihr Soldaten, und wollt euch lieber durch eine schändliche Flucht retten, als euer Leben für den König wagen?

Dieses beherzte Zureden that eine gewünschte Wirkung: der Graf sammlete allenthalben die zerstreuete Hauffen, und brachte sie wieder unter ihre Fahnen: sie bekamen alle einen neuen Muth zu fechten: keiner weigerte sich dem Grafen zu folgen. Er setzte sich an die Spitze und führete sie an den Feind.

Der General Lesbo hatte sich unterdessen, zu seinem Unglück, mit einigen vornehmen Befehlshabern, bereits in die Flucht geworfen: er war mit ihnen in einen schwarzen Sumpf gerathen: einige feindliche Husaren, welche hinter ihnen drein jagten, schossen auf sie: eine Kugel traff den unglücklichen General und stürzte ihn vom Pferd, welches von der Bürde seines schweren Reuters nicht sobald sich befreyt fand, so suchte es sich durchzuarbeiten, und trat in dieser ängstlichen Bewegung seinen eignen Herrn in den Sumpf.

[179] Der feindliche linke Flügel hatte inzwischen durch die Begierde Beute zu machen, an einigen Orten schon die Glieder gebrochen. Es währte aber nicht lang, so setzte er sich wieder; und weil er ebenfalls mit frischer Mannschafft unterstützet wurde, so fiel er mit verdoppeltem Muth auf den Grafen; er fand aber dismahl einen ganz andern Widerstand. Die Aquitanier hielten das Feuer aus, als ob sie dessen bereits gewohnet wären. Der Graf hatte unterdessen dem Fürsten die Nachricht geben lassen, daß es nun Zeit seyn würde, mit einigen Regimentern dem Feind in die Flanken zu gehen, und ihm damit Luft zu machen. Da nun der Fürst dieses mit gutem Fortgang that, so brachte man den Feind dadurch in völlige Unordnung.

Nur ein Hauffen war noch übrig, der nicht weichen noch wanken wolte. Der Graf stieß darauf mit einigen freywilligen Edelleuten, welchen die Ehr-Begierde Lust zum Fechten gab. Der Anführer dieses feindlichen Truppes schien darüber ganz kaltsinnig: er sah, daß diese muthige Streiter ihrem Volk, das ihnen folgte, ziemlich weit vor rannten; er spielte ihnen deswegen einen Streich, dessen sie sich nicht vermuthet hatten. Er ließ sie in die Mitte seines Hauffens sich einstürtzen, und damit hurtig wieder die erste Glieder sich schliessen. Da sich der Graf in dieser Falle sah, war er äusserst betroffen; er suchte sich mit dem Degen in der Fast durchzuschlagen; allein seine Gefährden hatten bereits den Muth verlohren; er wolte deswegen nicht [180] als ein Unsinniger fechten; sondern gab sein Seiten-Gewehr einen von den Befehlshabern, der ihm solches mit der grösten Bescheidenheit abforderte.

Der Graf bereuete hier seine Ubereilung, ohne deswegen Muthlos zu werden. Er richtete die Augen nach seinen anrückenden Völkern, und hoffte, sie würden ihn durch ihre Tapferkeit befreyen, doch ehe noch diese kamen, brach von der Seiten ein Trupp Reuter ein: dieses geschah mit einem solchen Muth und mit einer so schnellen Gewalt, daß der ganze Hauffen dadurch erschüttert wurde. Der Graf nahm hier den kurtzen Zeit-Blick in acht, und riß einem neben ihm haltenden Unter-Officier, der die Augen furchtsam nach den einbrechenden Reutern hinschlug, den Degen aus der Faust. Ein Cuiraßierer, der dieses wahrnahm, zuckte deswegen sein Schwerd auf ihn, und würde ihm damit den Kopf gespalten haben, wo der eindringende Fremdling nicht zum guten Glück ihm entgegen gerannt und mit seinem Degen den Sreich aufgefangen hätte. Der Graf schlug eben die Augen nach ihm und meynte ihn zu erkennen, als die Unordnung und die Hitze des Gefechts, den einen hier, den andern dahin trieb. Die andringende Völker des Grafens brachen zu gleicher Zeit ein: es gieng allenthalben an ein grausames Würgen und Niedermetzeln. Das Pulver war meist verschossen: hier galt nichts als eine hurtige Faust, und ein beherzter Muth; so bald aber erklärte sich nicht der Sieg für den Grafen, so rief er [181] seinen Soldaten zu: schonet, o ihr tapfere Aquitanier! schonet eure überwundene Feinde; und vergiesset nicht unnöthig Menschen-Blut.

Indem er dieses sagte, sprengte er mit seinem Pferd einem Dragoner entgegen, und unterbrach einen Streich, den derselbe auf einen feindlichen Befehlshaber gezogen hatte. Dieser fochte nur, um mit dem Degen in der Faust zu sterben: sein Pferd war bereits von vielen empfangenen Wunden schon niedergesunken; ein ihm an der Seiten fechtender junger Officier, schrie deswegen dem Grafen mit ängstlicher Stimme entgegen: ach! großmüthiger Uberwinder! ach! schützen sie doch meinen General, und retten ihm das Leben. Der Graf erkante diesen Herrn sogleich für denjenigen Anführer, dessen Gelassenheit er vor der Spitze seiner Truppen bewundert hatte. Mein Herr, rief er ihm zu, sie schonen ihres Lebens, und gönnen mir die Ehre mein Gefangener zu seyn. Alsobald reichte ihm derselbe seinen Degen, und dieses mit einem so gelassenen Wesen, daß der Graf dadurch in dem Innersten seines Gemüths gerühret wurde: er befahl diesen Herrn und den ihn begleitenden jungen Officier seinen Leuten, und verfügte sich mit gleicher Geschwindigkeit zu den übrigen Hauffen.

Alles war noch in der jämmerlichen Beschäftigung Blut zu vergiessen. Der Graf that solchem aller Orten Einhalt, und ließ die Uberwundene zu Kriegs-Gefangenen machen. Die Feinde bedeckten theils das Feld, theils wurde ihnen [182] auf der Flucht nachgehauen. Die Nacht brach darüber ein: die Aquitanier hatten nicht nur den Sieg erfochten, sondern auch viele Beute gemacht. Die Licatier zogen sich zwar wieder in ihre Linien; allein der Tag war noch kaum angebrochen; so packten sie auf und suchten ihre Sicherheit in den Gebürgen.

Nachdem der Graf allenthalben bey seinen Völkern die Ordnung hergestellet sah, verfügte er sich noch denselben Abend zu dem Fürsten von Voltera, und wünschte ihm Glück zu der gewonnenen Feld-Schlacht. Der Fürst umarmte ihn mit den liebreichsten Gebehrden, er sagte zu allen umstehenden Herren und Befehlshabern, daß sie nechst GOtt, dem Grafen von Rivera den Sieg zu danken hätten. Man bewillkommte sich einander bey dieser Gelegenheit, als ob man lange Zeit von einander wär abwesend gewesen: der Graf fiel aus einen Armen in die andere. Seine Freunde, und dieses waren meist alle Befehlshaber, ermüdeten ihn gleichsam aufs neue durch ihre Umhalsungen. Nie war ein Soldat mehr geliebet worden, nie war auch einer liebreicher gewesen. Man drang sich um ihn herum; man gab ihm tausend Lobsprüche. Jeder wolte ihm zeigen, wie viel er auf ihn hielte. Der Graf von Lesbo hingegen wurde wenig beklagt: er war ein unfreundlicher und hochmüthiger Mann gewesen, der sich nur hatte fürchten, aber nicht lieben gemacht.

Der Graf fand unter allen denen, die ihn [183] begrüsten, denjenigen nicht, welchen er mit der grösten Sehnsucht zu sehen verlangte: er rühmte deshalben öffentlich den großmüthigen Beystand, den ihm ein Unbekanter erwiesen hätte, und bat, indem er sich an die Umstehende richtete, derselbe möchte sich ihm zu erkennen geben. Ein Hauptmann, der eben von ihm kam, sagte, man habe ihn in des Grafens Gezelt gebracht, weil er stark verwundet wär. Der Graf erblaste über diese Nachricht, und eilte, nachdem er sich bey dem Fürsten beurlaubet hatte, zu diesem tapfern Fremdling.

Er fand ihn auf einem Ruh-Bett, und die Wund-Aerzte um ihn herum: der Fremdling hatte sich verblutet, und war sehr matt: so bald er den Grafen sah, reckte er die beyde Aerme nach ihm hin, und wolte sich aufrichten. Der Graf erkante ihn alsobald für den Freyherrn von Riesenburg, den er in der Hitze des Gefechts und in seinen kurzen Haaren sogleich nicht erkant hatte. Er warf sich mit innigster Bewegung um seinen Hals und wuste nicht, ob er mehr der Freude, einen so werthen Freund hier zu finden, oder dem Schmerzen, ihn so hart verwundt zu sehen, bey sich Raum lassen solte. Die Wund-Aerzte gaben indessen gute Hoffnung, weil sich keine Wunde tödtlich fand; sie sagten aber, daß man dem Verwundeten müste Ruh lassen.

Der Graf wolte hierauf auch noch seinen großmüthigen Gefangenen sehen; man berichtete ihm aber, daß nachdem man ihm einige leichte Wunden [184] verbunden hätte, er vor Mattigkeit eingeschlafen sey. Der Graf war ebenfalls sowohl durch das viele Wachen, als durch die heftige Strapazen des so lang gedauerten Gefechts ermüdet; er ließ sich deswegen auskleiden, und begab sich, nachdem er etwas weniges zu seiner Erquickung genossen, zur Ruh.

Den andern Morgen fand er sein Vorzelt voll der vornehmsten Herren und Befehlshaber: er entdeckte darunter sogleich seinen Gefangenen: er umarmte ihn mit der grösten Höflichkeit. Sie fanden beyde an einander etwas, welches ihrer Hoachtung würdig schien.

Der Ruhm von den Thaten des Grafens von Rivera, erfüllte darauf das ganze Königreich, er erschallte bey Hof, und kam zu den Ohren des Königs. Dieser hörte ihn allenthalben loben und bewundern; er hätte ihn lieber schelten hören: doch das unglückselige Ende des Grafens von Lesbo verursachte bey ihm einiges Rachdenken: er meynte durch ihn den Grafen von Rivera aus dem Weg zu räumen; das Verhängniß aber erhub diesen mit der grösten Ehre, und stürzte jenen mit äusserster Schande. Der König fand sich durch diesen besondern Zufall gerühret: er faste bey sich den Entschluß, hinfort keinen Verfolger mehr eines Menschen abzugeben, für den die Liebe des Volks, und der Schutz des Himmels sich erklärte. Er befahl [185] deswegen, daß der Graf wieder nach Hof kommen solte.

Der Graf trat seine Reise um so viel vergnügter an, weil er seinen liebsten Freund, den Freyherrn von Riesenburg, so gut als wieder hergestellet sah: er empfand auch nicht minder eine ganz besondere Annehmlichkeit in dem Umgang mit dem gefangenen General, dem er das Glück gehabt hatte in der Schlacht das Leben zu retten, und an welchem er täglich mehr vortreffliche Eigenschaften entdeckte, die ihn dieses Dienstes ungemein würdig machten. Diese beyde Herren baten den Grafen, sie mit nach Panopolis zu nehmen. Der Graf hätte sich keine angenehmere Reise-Gefährden wünschen können. Sie beurlaubten sich zusammen bey dem Commandirenden Fürsten, und kamen in dreyen Tagen vermittelst der Post nach Panopolis.

Unterwegs hatten sie sich einander ihre Begebenheiten erzehlt; und es war nachdenklich, daß drey unter ganz verschiedenen Himmels-Gegenden gebohrne Herren in dem Grund ihres Gemüths so gleiche Neigungen und Absichten führten, so wenig auch ihre äusserliche Bildung mit einander überein kam.

Der Graf von Rivera war in einer warmen Welt-Gegend gebohren: er hatte einen schlanken Leib, schwarzbraune Augen, und eine weiß ins braun gemengte Farbe: seine Gebehrden waren lebhaft und zugleich holdselig; [186] alles, was er that, begleitete ein muthiger Eiffer, welchen doch eine gewisse Sittsamkeit und männliche Anmuth zu mildern schien.

Das Vaterland des Herrn von Riesenburg war hundert und zwanzig Meilen weiter von dem Mittägigen Sonnen-Strich, und lag mitten zwischen den Nördlichen Abend-Ländern, wo der Herr von Greenhielm, so nannte sich der gefangene General zu Hause war. Er hatte ein ganz Jovialisches Temperament: seine Gestalt war fleischigt: die Farbe roth und weiß untermengt: die Haare Asch-färbig: in seinen Augen lachte die Freude, die Liebe und ein munterer Ernst: sie waren hell, groß und Licht-blau: alles regte sich an ihm: er hatte das beste Herz: allein, nur ein wenig zu leicht, zu hurtig und zu übereilend.

Der Herr von Greenhielm im Gegentheil war von starken Gliedmassen, blasser Farbe, mittelmäßiger Länge, wohl gewachsen: doch mehr schlank als gesetzt: er hatte Licht-braune lange Haare, dunkel-graue Augen, und ein ernstliches Ansehen: er war frey und aufrichtig gebohren, und konte sich weder verstellen noch schmeicheln. Diese Gemüths-Art hatte ihm verschiedene widrige Zufälle zugezogen. Was er davon seinen beyden Reise-Gefehrden erzehlete, war folgendes:

Das achte Buch

[187] Das achte Buch.
Die Begebenheiten des Herrn
von Greenhielm.

Mein Geschlecht ist eines der ältesten in Scandinavien: meine Vorfahren haben seit vielen Jahren in diesem Königreich die ansehnlichste Güter besessen. Ich kam auf die Welt zu Königsholm: mein Vater war einer der vornehmsten Räthe: ich war noch nicht gar zwey Jahr alt, so verlohr ich meine Mutter. Diese hatte sich durch ihre Gestalt, noch mehr aber durch ihre seltene Tugenden ein ganz besonderes Ansehen erworben. Jedermann beklagte darüber meinen Vater, und hielte dessen Verlust für unersetzlich. Er verheyrathete sich deswegen nicht wieder: mir und meinen Geschwistern gieng es desto übler: unserer waren vier Brüder und eine Schwester. Weil meinem Vater die gröste Last der Geschäften auf dem Halse lag, so konte er auf unsere Erziehung nicht diejenige Sorgfalt wenden, die wir vonnöthen gehabt hätten.

Ich war der jüngste von meinen Brüdern: [188] der älteste kam aus der Welt, ehe er noch recht angefangen hatte zu leben: er wurde in seinem achtzehenden Jahr in einem Zweykampf erschossen. Der andere kam nach Hof als Edelknabe, und weil er keinen Verstand hatte, etwas zu lernen, so machte ihn der König zu seinem Hof-Junker; da denn seine meiste Verrichtungen darinn bestunden, daß er den Fremden zutrinken muste. Er wurde bey einem so lustigen Leben doch nicht alt, und starb noch vor unserm Vater. Mein dritter Bruder schien sich auf eine gute Seite zu legen: man that uns beyde zusammen zu einem Geistlichen auf das Land. Dieser pflanzte in unsere zarte Gemüther die Liebe zur Tugend, und mit derselben gewisse Eindrücke einer Gottesfurcht, die bey meinem Bruder sehr weit giengen; ohneracht aber derselbe viel eingezogener, stiller und andächtiger war, als ich; so hielte mich doch der Geistliche für aufrichtiger; ich wuste mich in nichts zu verstellen: ich bekante meine Fehler, die ich begieng, ganz offenherzig, und ohne solche viel zu bemänteln; da im Gegentheil mein Bruder nichts wolte auf sich kommen lassen, wann wir auch gleich einerley Schuld hatten.

Wir waren also bey den Empfindungen, die man uns von der Religion gegeben hatte, von einem verschiedenen Wesen, er floh, und ich suchte die Menschen: er gerieth unter gewisse Leute, die man bey uns ihrer gezwungenen Frömmigkeit und eigenen Meynungen halber Pietisten nennet: ich bezeigte im Gegentheil eine [189] grosse Begierde die Welt zu sehen, und darinn mein Glück als ein ehrlicher Mann, und als ein würdiger Sohn meines Vaters zu machen.

Dieser starb, als ich noch bey dem Geistlichen war: ich hatte noch nicht gar mein sechszehendes Jahr erreichet. Eine meiner Basen, die meine Schwester auferzogen hatte, nahm darauf auch meinen Bruder zu sich; mich aber schickte man auf die nechst-gelegene Universität, wo ich bey einem gelehrten Mann im Hause war und zü Tische gieng.

Ich habe dieses unter die glückselige Begebenheiten meines Lebens zu setzen, daß ich von einem frommen Geistlichen in die Schule eines der grösten Welt-Weisen gekommen war. Dieser bekräftigte nicht allein die Neigungen zum Guten in meinem Herzen; sondern überzeugte mich auch ihrer Nothwendigkeit durch vernunftige Schlüsse; und wies mir den Zusammenhang der Religion mit dem zureichenden Grund einer von der Natur in uns gelegten Erkäntniß. So bald fand ich nicht diese Ubereinstimmung des offenbahrten Gesetzes mit dem Recht der Natur; so ließ ich mich über diese Materie öffentlich auf dem Juristischen Lehr-Stuhl vernehmen; und vertheidigte meine Sätze mit einer gewissen Freymüthigkeit, die weder mein Alter, noch meine Wissenschaften unterstützten.

Ich kam von dieser hohen Schule nach Königsholm zurück zu meiner Basen; diese hatte [190] meinen Bruder und meine Schwester bey sich: Ich fand bey ihr eine seltsame Haushaltung: ich sah schier darinn nur gemeine Handwerks-Leute von verschiedenem Alter und Geschlecht aus- und eingehen. Vom Morgen bis Abend und öfters bis in die Nacht, wurde darinn nichts gethan, als disputiret, gelesen, gesungen und Bet-Stunden gehalten. Alle, die mich sahen, und mit mir redeten, sagten, daß ich mich auch, wie mein Bruder und meine Base, bekehren solte: sie nannten mich einen natürlichen Menschen, der nichts vom Heyland wüste, und setzten mich ohne alle Höflichkeit unter die Leute, die in das Reich des Satans gehörten; sie hatten ganz besondere Meynungen von dem Christenthum, und bedienten sich darzu auch ganz besonderer Redens-Arten. Die Vernunft hatte bey ihnen an allen den herrlichen Vorzügen, deren sie sich rühmten, nicht den geringsten Antheil; und sie bedeuteten mir deswegen, daß ich weder Erkentniß noch Gnade bey GOtt zu hoffen hätte, wo ich solche nicht als ein Spiel des Feindes aller Wahrheit völlig in den Bann thun würde.

Mir wurde ganz von Herzen bange über diese Reden; es kam mir vor, als ob man auf diese Art leichter närrisch als bekehrt werden könte. Ich bat GOtt, mir meine Vernunft zu erhalten, und die Augen meines Verstandes durch sein Licht noch täglich mehr zu erleuchten. Ich konte damit die hohe und in die blose Einbildungs-Kräfte einschlagende Lehr-Art dieser Leute nicht reimen. Ich verlangte deswegen sehr meine Schwester alleine zu sprechen: dann es war mir [191] bedenklich vorkommen, daß man mir nicht auch von ihr sagte, daß sie bekehrt wär; sondern nur, daß sie noch in der Arbeit stünd; weil ich darzu in dem Hause meiner Basen nicht wohl gelangen konte; indem darinn die ungeziemende Gewohnheit herrschte, daß man von einem Zimmer ins andere, ohne einige Vormeldung gieng, man mochte auch gekleidet seyn, wie man wolte; so ließ ich mir durch meinen Diener eine Gutsche miethen, und bat meine Schwester mit mir spatzieren zu fahren.

Diese hatte nicht minder Verlangen, mit mir, als ich mit ihr zu sprechen. Liebste Schwester! redete ich sie an, da wir alleine waren, was habt ihr vor seltsame Leute im Hause? seyd ihr auch willens, eine von den Heiligen zu werden, die den ganzen Tag nichts thun, als beten, singen, lesen und die Brüder und Schwestern besuchen? Werthester Bruder, sagte sie darauf: GOtt ist mein Zeuge, daß ich gern recht fromm seyn wolte; allein, ich fürchte, daß ich noch eher den Verstand verliehren, als die Lehren dieser Leute fassen werde: ich.kan euch, fuhr sie fort, nicht aussprechen, was ich nun seit einem Jahr her gelitten habe. Unsere Base ist voll von den Gaben des Geistes, wie man bey uns zu reden pflegt, sie ist wiedergebohren, sie ist erleuchtet, sie hat Offenbahrungen, sie ist heilig, sie sündiget nicht mehr, sie kan die Geister prüfen; dem ungeacht keift und zankt sie den ganzen Tag, sie sie het die Fehler ihres Nechstens viel besser als andere Leut, ein grosser Theil von ihrer Andacht bestehet darinn, daß sie [192] darüber seufzet, und sich glückselig preiset, daß sie kein natürlicher Mensch mehr ist.

Ich bin insonderheit so unglücklich, daß ich mich weder nach ihrem Sinn demüthig genug kleiden, noch in meinen Reden, wie sie es haben will, deutlich ausdrücken kan. Unser Bruder macht zwar keinen solchen Lermen, wie sie: er rühmet sich weder ausserordentlicher Gaben, noch besonderer geistlicher Einflüsse; aber er ist doch gleichwohl von ihr so eingenommen, daß er alles glaubet und thut, was sie und ihre geistliche Geschwister ihm sagen.

Wie ich sehe, war meine Antwort, so ist die Vertraulichkeit dieser geistlichen Brüder- und Schwesterschaft ziemlich stark unter einander; doch saget mir, wenn ihr solchergestalt immer ohne Unterscheid mit einander umgehet, setzt es denn unter Leuten von beyderley Geschlecht nicht auch zuweilen solche Geschichten, daraus man schliessen könte, daß nicht blos der Geist allein verliebt wäre?

Meine unschuldige Schwester erröthete über diese Frage: sie schlug die Augen nieder, und wuste nicht gleich, was sie mir antworten solte: rettet mich, mein Bruder, sagte sie mit einem schamhaftigen Eifer, rettet mich, ich bitte euch, aus dieser Leute Händen. Die Thränen stiessen ihr damit aus den Augen, daß sie nicht weiter reden konte.

[193] Ich wurde dadurch desto begieriger von ihr zu erfahren, was sie allhier vor ein besonderes Anliegen haben mögte. Ich bat, ich beschwur sie, mir nichts zu verhölen. Ach, ich schäme mich, mein Bruder, sagte sie, euch solches zu eröfnen. Die Unordnung dieser Leute, fuhr sie fort, geht allzuweit. Man redet immer von der Liebe; man betrachtet dabey weder Stand noch Geschlecht: man liebet sich nicht allein geistlich, sondern man macht auch Heyrathen; da heist es: vor GOtt wären wir alle gleich, der Satan hätt den Hochmuth und dieser den Unterscheid der Stände in die Welt gebracht.

Vor einigen Wochen heyrathete der Bruder Anthon, ein feiner, frommer Schuhmachers-Gesell, der aber nunmehr ein Lehrer ist, die andächtige Frau Doctor Baldersin, und nun, o Schande! daß ich es euch sagen muß, hab ich einen Liebhaber an dem jungen Christoph, unseres ehmahligen Pachters, des tauben Nicolasen Sohn, den auch die Andacht in dieses Haus, getrieben hat.

Das Blut wallete mir in meinen Adern, als mir meine Schwester diese letzte Begebenheit entdeckte: Ich bat sie vortzufahren. Ich hatte, redete sie weiter, diesen Menschen wohl leiden können: er schien mir ehrlich und Gottsfürchtig zu seyn. Er kam immer zu mir, um an meiner Bekehrung zu arbeiten. Er fragte mich um alles, wie mir zu Muth wär, was ich dächte, und was ich fühlte.

[194] Ich sagte ihm viel einfältiges Zeug darüber: ich wurde endlich vor lauter Prast und Unruh krank; und meynte, nun würde mir bald das Pünctgen, wie man bey uns redet, aufgeschlossen werden.

Mein Liebhaber kniete vor meinem Bette nieder, bestürmte den Himmel mit den heissesten Gebetern, und weinte dabey, als ob er verzweiflen wolte. Er gieng, so lang meine Unpäslichkeit dauerte, mit lauter Aechzen und Seufzen im Hause herum: er wuste öfters nicht, was er that; und schien einer Leichen ähnlicher, als einem beseelten Cörper zu seyn.

Ich wurde wieder besser, und hatte keine andere Empfindungen, als zuvor: dem ungeacht blieb mir mein Liebhaber beständig. Er that mir unlängst einen kleinen Dienst, dafür ich ihm Dank sagte, und ihm meine Hand reichte: er küste mir solche mit einer ungemeinen Bewegung. Ich merkte bey dieser Handlung das erstemahl, daß die geistliche Liebe aus ihrem Zircul gewichen war. Ich ließ es so hingehen, und sagte nichts. Der gute Christoff wurde dadurch beherzter. Ich saß einsmahl an meinem Tisch, hielte meinen Kopf in der Hand, und las in einem Buch: indem sah ich mich, von hinten her, von ihm mit beyden Armen umfangen; welches mir eine mehr als geistliche Liebkosung zu seyn schien. Ach, wie lieb ich sie! sprach der entzückte Heilige, und war ganz ausser sich. Ich erschrack [195] über diese That zum höchsten, und der Liebhaber kam wieder zu sich selbst.

Hiebey blieb es nicht, vor einigen Tagen, da ich mich ankleidete und vor meinem Nacht-Tisch saß, kam er in mein Zimmer, lief mit ausgestreckten Armen auf mich zu, umhalsete und küssete mich, ehe ich es ihm verwehren konte; und machte mir darauf eine völlige Liebes-Erklärung.

Ich dachte, der Mensch wäre närrisch worden: ich wollte ihm seine unverschämte That verweisen; allein, er sagte mir mit einer lächlenden Mine, es würde nicht lang mehr währen, so würde ich ganz anders reden: vor GOtt wären wir alle gleich; und so bald würde ich nicht bekehret seyn, so würde zugleich auch alle meine Standes-Hoheit und irdisch-gesinnte Ehrsucht wegfallen.

Meine Schwester fügte dieser Erzehlung ihre vorige Bitte mit Thränen hinzu, ich mögte sie unverzüglich aus dieser Verwirrung bringen; oder sie stünde in Gefahr ein armseliges Mensch zu werden.

Ich brachte sie also nicht wieder nach Hause zu unserer Base; sondern führte sie zu einem bekanten frommen Geistlichen, der eine Tochter von ihrem Alter hatte. Ich kehrte darauf allein wieder zurück, da meine Base eben mit ihren sogenannten Kindern GOttes ihre gewöhnliche [196] Abend-Bet-Stunde hielt. Ich trat ins Zimmer: ein Leineweber that den Vortrag: alles schlug die Augen nieder: die Zuhörer schienen in leb-lose Bild-Säulen verwandelt zu seyn: die abgezogenste Stille, die andächtigste Entzuckung unterbrach nur zuweilen ein Seufzer. Man faßte die Worte dieses ausserordentlichen Lehrers mit einer solchen Begierde von seinem Munde weg, als ob sie von GOtt selbst ausgesprochen würden. Der Vortrag währte über eine Stunde lang: er wiederholte zehenmahl eben dasselbige, und sagte immer einerley: er that darauf mit vielen Verzuckungen und Verwendungen der Augen ein von seiner eignen Heiligkeit zeugendes Gebet. Als er damit fertig war, trat ich hervor; und bat mir von dieser andächtigen Versammlung gleichfalls ein kurtzes Gehör aus.

Ich ermahnte meine Zuhörer, weil ich nicht glaubte, daß sie allesamt Heuchler wären, noch vielweniger, daß sie sich und andere Leute mit Vorsatz betrügen wolten, sich zuforderst wohl zu prüfen, warum sie hier zusammen kämen? und was sie bey ihren Religions-Neuerungen vor Absichten führten: ob sie meynten, GOtt dadurch einen Dienst zu thun, wann sie dessen Ordnung stöhrten, ihr Gewerbe fahren liessen, und sich dargegen eines Apostolischen Berufs anmaßten, um die Leute zu bekehren, und ihnen eine neue Lehre vom Glauben zu predigen, die auf eine leere Einbildung der bewegten Fantasie hinaus lief?

[197] Ich verwies sie zuletzt, wegen ihres Müßiggangs und unordentlichen faulen Lebens an das Exempel und an die Ermahnung Pauli; und las ihnen einige Versicul aus dem 23. Capitel Matthäi; worinn die Heucheley mit lebendigen Farben abgeschildert wird.

Die Bestürzung meiner Zuhörer über einen so unvermutheten Vortrag war ungemein. Niemand unterstund sich mir zu widersprechen: sie sahen bey mir einen Ernst, der ihnen, nach ihrer Art, ganz nicht geistlich schien: sie machten sich einer nach dem andern, wiewohl nicht ohne Seufzen und Urtheilen, über einen so bösen Menschen, zum Haus hinaus.

Meine Base stürmte darauf mit einem ganz ergrimmten Gesichte auf mich los. Vetter, sprach sie voller Eifer, wer hat euch so kühn gemacht, meine Haus-Andacht zu stöhren, und mir Lebens-Regeln vorzuschreiben? Gnädige Frau! gab ich ihr mit einem gelassenen und demuthigen Wesen zur Antwort, ich bitte dieselbe gehorsambst, weil sie doch eine erleuchtete Christin seyn wollen, dero menschliche Affecten ein wenig beyseit zu setzen, und mich wenigstens anzuhören: Meine Schwester hat mir alles erzehlet, wie es seit einem Jahr in dero Haus hergegangen sey, und was sie insbesondere dabey erlitten. Ich habe sie deswegen so lang zu einem frommen Priester ins Haus gebracht, bis ich mit GOttes Hülfe meiner gnädigen Frau Basen, bessere Meynungen werde bey gebracht haben.

Der andächtigen Leute Zorn ist nichts weniger [198] als sanftmüthig: sie machen alsobald aus ihrer Sache eine Sache GOttes, und in dieser Betrachtung überschreitet er alle Gränzen. Meine Base, durch gleichen Eifer aufgebracht, schalt mich ein Kind des Verderbens, und wenn man noch etwas abscheulichers als die Hölle wüste, so hätte sie, ohn alles Erbarmen, mich dahin verwiesen.

Ich ließ sie ihre Galle völlig ausschütten, und hörte sie ganz ruhig an: sie warf das hundert ins tausend: sie vermengte ihre Reden mit so vielen wider einander lauffenden Sätzen, daß es mir schwer fiel, daraus den geringsten Entwurf ihrer Begriffe zu machen. Endlich hemmte der Eifer die Bewegung ihrer schnellen Zunge, die Worte erstickten ihr im Munde: sie wurde müd, sie schwieg, und die Reih zu reden kam an mich.

Gnädige Frau! fieng ich ganz bescheiden an: ich erkühne mich keineswegs, dero gute Absichten zu tadeln; ich nehme mir nur allein die Freyheit, ihnen darzuthun, daß sie solche auf bisherige Art nicht erreichen werden. Das wahre Christenthum, welches sie zu befördern trachten, ist seiner Natur nach ganz einfältig und ungekünstelt. Es beruhet auf wenig ganz deutlichen Lehr-Sätzen. Geheime Sachen gehören für GOtt; das Gesetz aber ist den Menschen gegeben. Christus sagt, wir sollen den Willen thun seines Vaters im Himmel; diesen hat er uns selbst zum deutlichsten erkläret: Thue das, spricht [199] er, so wirst du leben. Ein einfältiger Bauer, der von dem neuen Proceß der Wiedergeburt, von dem Buß-Kampf, von der Zeugung, von den Geburts-Wehen, von dem Durchbruch und von dergleichen besonderen Geheimnissen, die man bisher in ihren Haus-Versammlungen gelehret, im geringsten nichts weiß, noch je davon etwas hat reden hören, der ist nichts destoweniger, wenn er GOtt fürchtet und recht thut, dem HErrn angenehm.

Ja, erinnerte hier meine Base, wir müssen aber doch gleichwohl wissen, wenn die neue Geburt in uns vorgegangen ist: wir müssen doch solches in uns empfinden und gewahr werden. Dieses wissen wir, gab ich zur Antwort, wenn wir die Gnade haben vor dem HErrn in einem redlichen und aufrichtigen Herzen zu wandeln, und das Gute, worzu wir von Natur ganz untüchtig sind, im Glauben zu vollbringen: denn an den Früchten, sagt Christus, soll man die Glaubigen erkennen, und daran wird es offenbar, ob wir Kinder GOttes, oder Kinder des Teufels sind, wenn wir recht oder nicht recht thun, wie uns die Schrift solches deutlich lehret.

Meine Base that mir hierauf die Frage, ob ich dann wohl noch solche Leute gesehen hätte, an welchen die Früchte des Glaubens klärer und deutlicher sich zu er kennen gäben, als an den theuren Seelen, welche täglich in ihrem Hause zusammen kämen, und sich einander in [200] der Wahrheit, die da ist nach der Gottseligkeit, zu erbauen suchten?

Müßiggänger, Tagdiebe und Heuchler sind wohl die meisten, wenn ich etwas lieblos urtheilen dürfte, war hierauf meine Erklärung: ich berief mich hiebey auf die Worte Pauli, 2. Thess. 3. da er von solchen Leuten spricht, die da unordentlich wandeln, da sie doch, nemlich die Apostel, nicht umsonst das Brod von jemand genommen, sondern Tag und Nacht gearbeitet hätten, um niemand beschwerlich zu seyn: ferner, daß eben dieser Apostel befohlen hätte, daß ein jeder sein eigen Brod essen, und daß der, wer nicht arbeitet, auch nicht essen solte.

Nun, liebe Frau Base, fuhr ich fort, zehlen sie einmahl, wie viel andächtige Kostgänger sie haben? welche alle gute, starke, gesunde Brüder und Schwestern sind, für welche sich das Arbeiten viel besser schicken solte, als daß sie so herum spatziren, das Evangelium predigen, und täglich ihre gute Mägen an fremden Tafeln zu Gaste bitten. Wie viel Geld hat ihnen dieses herumziehende Volk nicht schon gekostet, welches sie, ausser Zweifel, besser an arme, elende, gebrechliche Leute ausgetheilet hätten, deren wir leider in unserer Stadt mehr haben, als es Christen geziemet.

Welche Unordnung, welche Verwirrung ist durch das stets anhaltende Besuchen dieser ausserordentlichen Glaubens-Bekehrer nicht in ihrem [201] ganzen Haußwesen entstanden? Heist es dann nicht, daß GOtt ein GOtt der Ordnung sey? und daß, wie er durch dieselbe die ganze Welt regieret; also will er auch, daß eine jede Obrigkeit den Staat, und ein jeder Hausvater sein Hauswesen regieren soll.

Wenn wir alle nichts anders thun wolten, als lesen, beten, singen, herumziehen und Versammlungen halten; was würde daraus vor eine Verwirrung entstehen? wenn eine solche Lebens-Art die Freyheit der Frommen wär, so würden sie der Erden ein Fluch und der menschlichen Gesellschaft zum Verderben seyn.

Ein jeder soll also seines Thuns warten, und einen ordentlichen Wandel führen. Man kan deswegen doch dabey seine Andacht haben, gute Bücher lesen, und mit seinen Hausgenossen täglich eine Sing- und Bet-Stunde halten. Dieses alles, sagte ich, wär ganz gut, wenn es ohne Heucheley und zu rechter Zeit geschähe. Denn unser ganzes Leben müste in einem steten Zusammenhang der Andacht und der Ausübung der Christlichen Pflichten bestehen.

Ich sah, daß die Stirne meiner Basen sich gleichsam wieder aushellte, als ich von Sing- und Bet-Stunden Meldung that; denn sie machte sich nicht gern viele Geschäfte in der Haushaltung; allein, Singen, Beten, Lesen und Versammlungen halten, das war ihr Leben: sie liebte diese Dinge nicht aus einer gewissen [202] Wahl oder Absicht; sondern weil sie solche liebte, und wie man sonst auf etwas fällt: sie gefiel dabey sich selber wohl, und hielt sich für so viel besser als andere Leute.

Kurz, meine Base erlaubte mir, nach so vielen Vorstellungen, auf einige Tage ihren geistlichen Geschwister-Besuch abzuweisen, wenn ich ihr anders meine Schwester wieder wolte ins Haus bringen und mit ihr des Abends Bet-Stunden halten. Ich bewilligte beydes mit dem grösten Vergnügen. Ich ließ den andern Tag meine Schwester wieder zurück kommen, und meinen Diener stellte ich vor das Thor, um die gewöhnliche Visiten abzuweisen.

Nachmittags nahm ich eine Gutsche und fuhr mit meiner Basen und meiner Schwester in den Schloß-Garten spatzieren: Jene machte allerhand Crimassen, den Anblick der eitlen Welt wieder zu vertragen; sie wuste auch über die unschuldigste Dinge etwas zu sagen: alle Leute waren in ihren Augen natürliche, unbekehrte, unwiedergebohrne Menschen; ich brachte sie den Abend zu einer unsrer Verwandten; da wir nach Hause kamen, speiseten wir ein wenig, und ich hielt darauf mit ihnen und dem Haus-Gesind die versprochene Abend-Bet-Stunde.

Ich las ein Capitel aus dem Neuen Testament, ich machte darüber einige Anmerkungen; was ich nicht verstund, da bekant ich meine Unwissenheit: ich ermahnte dabey meine Zuhörer zur [203] Treue und Aufrichtigkeit vor GOtt und Menschen, und daß sie in Glaubens-Sachen bey keinen blossen Meynungen sich aufhalten; sondern einfältig in der Kraft des Glaubens zu wandeln, sich befleissen solten: wir beschlossen darauf diese Andacht mit einem Kirchen-Lied und einem kurzen Gebet.

Ich gewann endlich auch in so weit meinen Bruder, daß er der herumvagirenden Heiligen müßig gieng; weil er aber keinen Gefallen an dem Umgang mit der Welt hatte, so überließ ich ihm unser väterliches Land-Gut, welches ungefehr zehen Meilen weit von Königsholm an der Baltischen See gelegen ist. Wir drey Geschwister theilten darauf auch unser übriges väterliches Erb-Gut: ich legte meine Capitalien theils in die Königliche Bank, theils auf sichere Einsätze. Mein Bruder aber zog mit meiner Basen und meiner Schwester auf sein Gut.

Ich gieng, meiner Neigung nach, in die weite Welt: meine Begierde allerhand Menschen und Völker zu sehen, schien mir nicht zu ersättigen. Ich zog von Norden nach Westen, von Westen nach Süden, und von Süden nach Osten. Ohn ein hitziges Fieber, welches mich in Pannonien überfiel, als ich mit einem Brittannischen Bottschafter auf der Reise nach Bisanza, der Haupt-Stadt der Ottomannen, begriffen war, würde ich vermuthlich einen grossen Theil von Asien durchstrichen, und die übriggebliebene Denkmahle der Arabischen und Egyptischen Alterthümer [204] in Augenschein genommen haben. Ich war bald wieder genesen, mehr durch Hülfe meiner wirkenden Natur, als durch den Gebrauch der Arzneyen.

Der Krieg fiel darüber in Pannonien ein, ich that deswegen ein paar Feld-Züge unter einem gewissen vornehmen General, der mein Landsmann, und mit mir etwas verwandt war. Ich hatte das Glück dabey, ein wenig Ruhm zu erlangen; der König ließ mir deswegen schreiben, ich solte zurück kommen, er wolte mich selbst in seinen Diensten brauchen: ich nahm also meinen Weg nach Haus.

Es war im strengsten Winter, ich reisete über Schnee und Eiß, und als ich über den Belt setzen wolte, gerieth ich in augenscheinliche Lebens-Gefahr: zwey grosse Eiß-Stücker kamen auf das Schiff, worinn ich war, angeflossen: ich rettete mich zusamt dem Volk, so darauf war, auf den Boot, welchen wir auf das Eiß zogen: wir sahen kurz darauf die beyde grosse Eiß-Stücker zusammen stossen, und hörten mit einem entsetzlichen Krachen unser Schiff zu trümmern gehen. Ich war in einen guten Pelz gewickelt; ich legte mich samt dem geborgten Volk auf Stroh, damit wir das Boot ausgefüllet hatten, und liessen uns in GOttes Namen auf dieser schwimmenden Eiß-Insul forttreiben. Wir fanden endlich, daß sie sich nicht mehr bewegte, wir hatten damit Hoffnung an Land zu kommen.

[205] Es war Nacht: einige Boots-Leute machten sich Fackeln von Stroh, und giengen bey nah eine gute Viertel-Meile auf dem Eise fort: es war abgeredt, uns ein gewisses Zeichen zu geben, wenn wir ihnen nachkommen solten: wir hörten diese Losung, und machten uns darauf hinter unser Boot, welches wir immer weiter fort stiessen, bis es Tag wurde: wir hatten uns stets Nord-wärts gehalten. Ein anhaltendes Schnee-Gestöber hatte Erd und Meer für einander unkentlich gemacht. Die sich an einander abgeschliffene Eißschollen hatten öfters einen Strich von einer Höhe formiret, auf welche der Wind den Schnee so hoch zusammen getrieben, daß man solches für ein Gestade hielt.

Endlich sahen wir eine Kirch-Spitze und nechst derselben ein kleines Dorf: wir leerten damit unsern Boot aus, und jeder schleppte, was er gerettet hatte, auf das Land. Wir fragten die Einwohner, wo wir wären? sie nanten uns den Namen einer kleinen Insul, von welcher wir, wie sie sagten, in einigen Stunden auf Schlitten gemächlich über das Eiß nach Nicopia kommen könten. Ich säumte mich nicht, und ließ mich mit diesem schnellen Fuhrwerk dahin bringen. Ich kam den andern Tag nach Königsholm, und fand da selbst meine beyde Geschwister wiederum bey meiner Basen.

Mein Vergnügen war ungemein, sie, nach so viel ausgestandener Gefahr, wieder zu sehen: ich fand ihre Lebens-Art sehr geändert: meine [206] Schwester fuhr nach Hofe, mein Bruder gieng mit den verständigsten Leuten um, meine Base empfieng in ihrem Hause die ansehnlichste Besuche: alle lebten dabey auf eine ehrbare und Christliche Weise; die meiste Gespräche, die bey den Besuchen vorfielen, waren, wo nicht erbaulich, doch von unschuldigen Dingen: man hörte weder die Leute durchlassen, noch über die Religion spotten; sie genossen der zeitlichen Güter nach der Ordnung GOttes, und betrachteten solche als Gaben, darüber sie ihm Rechenschaft geben müsten.

Ich kam nach Hofe und wurde dem König vorgestellet: er liebte die Soldaten; gelehrte Leute aber waren bey ihm in Verachtung: er hatte in seinen jungen Jahren greuliche Pedanten zu Lehrmeistern gehabt; daher war ihm die Einbildung geblieben, daß er meynte, die Gelehrten glichen allen seinen Lehrmeistern. Ich weiß nicht, was dem König an mir gefiel: er schenkte mir, aus eigner Bewegung, eine Hauptmanns-Stelle: dieses war etwas ganz ungewöhnliches; denn die gröste Gnade, die er einem Jungen von Adel zu erzeigen pflegte, war diese, daß er ihm eine Fahne gab, und muste man noch darzu von unten auf dienen: ich wurde von allem befreyt, meine in Pannonien gethane zwey Feld-Züge wurden mir für gethane Dienste angerechnet.

Ich hatte von Natur eine grosse Neigung zum Krieg: ich that meine Dienste mit Freuden, [207] ich gedachte hier gutes zu stiften, und den gemeinen Meynungen, welche statt der wahren Tapferkeit und Großmuth, die Unbarmherzigkeit, den Frevel und die Toll-Kühnheit zur Tugend machten, allmählig durch den Sinn zu fahren: ich furchte mich nur allein vor solchen Händeln, die auf einen Zweykampf hinaus liefen: ich hielt solchen durchaus nicht für erlaubt: betrachtete ich ihn von Seiten der Religion, so stund das Anathema darauf: hielt ich ihn gegen die burgerliche Gesetze, so war er verbotten; urtheilte ich davon nach der Vernunft, so fand ich diese Handlung toll und unsinnig: prüfte ich solchen nach der wahren Ehre, so bedünkte mich nichts schändlicher zu seyn, als etwas zu thun, das wider die Religion, wider die Gesetze und wider die Vernunft stritte: ich verabscheute demnach eine That, die mir durchaus unchristlich, frevelhaft und närrisch schien. Ich bat mir deswegen in solchen Fällen, die ich doch mit aller möglichsten Sorgfalt zu vermeiden suchte, des Königs besondern Schutz aus, und verursachte damit zugleich, daß die Duell-Verbotte bey uns sehr geschärfet wurden.

Nebst meiner Hauptmanns-Stelle, machte mich der König auch zu seinem Cammer-Junker, daß ich mich also bey Hofe aufhalten muste: ich hatte bereits meine fünf und zwanzig Jahre zurückgeleget, als meine Base und meine beyde Geschwister mich zu bereden suchten, daß ich mich verheyrathen solte. Ich war bisher nach [208] meinem freyen Wesen, welches mir durch meine Reisen noch natürlicher worden, mit allerhand Frauenzimmer umgegangen; ich hatte aber keines darunter gefunden, welches meinem Herzen eine wahrhafte Leidenschaft geben konte.

Ich liebte etwas großmüthiges und zärtliches: Unsere blanke Nordische Gesichter hatten wenig von dieser Gemüths-Art: sie waren wohl schön genug; es mangelte ihnen aber an Geist. Ich konte mich dabey nicht lang aufhalten: mein Herze blieb gar zu ruhig, und ich stund in dem Wahn, wenn ich mich heyrathen solte, so müste es aus Liebe geschehen. Diese Einbildung kam mir hoch zu stehen.

Meine Base hatte eine junge Anverwandtin, Namens Philirene: sie war eigentlich aus einem Cattischen Geschlecht: sie hatte alle Zärtlichkeiten der Liebe, samt dem geistreichen Feuer einer Aquitanerin. Meine Base rieth mir, diese Schönheit nicht aus Händen zu lassen, um so vielmehr, weil sie bey ihren vielen reitzenden Eigenschaften auch dermahleins ein grosses Vermögen von ihren Eltern zu gewarten hatte; allein, es sey, daß ich zu derselben Zeit noch die Freyheit zu sehr liebte, und also keine Lust hatte, eine Frau zu nehmen: ich schlug wenigstens darauf keine ernstliche Gedancken; ehe ich michs versah, hohlte sie ein andrer weg, und ich dachte nicht daran, daß es mir solte leid thun.

[209] Eine gewisse ausländische junge Gräfin kam unterdessen mit ihrem Vater nach Hofe. Die Neuigkeit rührte mich: sie gefiel mir, sobald ich sie sah: sie war ein einziges Kind und eine grosse Parthie; es fanden sich Freunde, die uns zusammen bringen wolten; allein ich zauderte auch hier, und wolte meinen Roman nicht da anfangen, wo andre den ihrigen endigen.

Philirene hatte ihren Mann noch kein Jahr gehabt, so gieng er mit Todt ab; sie wurde also eine junge zwantzig-jährige Wittbe. Dorante, einer meiner besten Freunde, hatte sie schon vor ihrer Heyrath geliebet; weil er aber gewisser Geschäften halber nach dem Gedanischen Hof verreisen muste, und sich nicht einbildete, daß sie sobald sich verheyrathen würde, so hatte er derselben damahls seine Neigung nicht völlig zu erkennen gegeben. Er war unstreitig einer der artigsten Edelleuten: er sah wohl aus, besaß grosse Güter, und hatte, etwas so einschmeichelndes und verführisches in seinem Wesen, daß er sich bey einer Dame nur zeigen durfte, wann er ihr gefallen wolte.

Dieser vernahm nicht so bald, daß Philirene war eine Wittbe worden, so eröfnete er mir seine Neigung für dieselbe; wir hatten wochentlich Briefe von einander: er übersandt mir ein Schreiben an sie, darinn er ihr sein Beyleid über den frühzeitigen Verlust ihres Gemahls bezeigte. Ich hatte bey derselben einen freyen Zutritt, ich überlieferte ihr den Brief von Dorante, und [210] vergaß nicht, alle dessen gute Eigenschaften aufs beste herauszustreichen. Philirene antwortete mir darauf jederzeit sehr kaltsinnig; und gab mir zu verstehen, daß diejenige Hochachtung, die sie für mich hätte, nicht eben sich auch auf meine Freunde erstreckte. Dieser Vorzug rührte mich: ich sah mich in Gefahr, sowohl meinem Freund, als meiner Geliebten untreu zu werden. Ich setzte mich zwar einer solchen Regung mit aller Macht entgegen, und empfand unterdessen die gröste Marter einer doppelt-gefaßten Liebe. Das Verhängniß richtete endlich die Sachen dahin, daß ich, ohne der einen untreu zu werden, der andern mein Herze schenken konte. Der Graf von ** versprach seine Tochter einem der vornehmsten Cimbrischen Herren; er wuste nichts von unser beyder Verständniß: der König selbst hatte die Heyrath gemacht: es währte nicht vierzehen Tage, so wurde sie vollzogen, und die Gräfin von ihrem jungen Gemahl nach Cimbrien gebracht.

Die Freundschaft mit Dorante bestritte demnach noch allein meine Liebe für Philirenen; es setzte damit weit mehr Hinderniß. Ich war nicht entschlossen, etwas zu ihrem Nachtheil zu thun: ich suchte auf alle Weise Doranten in den Augen dieser Schönen schätzbar und annehmlich zu machen; allein, ich richtete dadurch nichts anders aus, als daß sie mir desto mehr Gunst bezeigte.

Dorante kam darüber von seiner Reise zurück: [211] ich entdeckte ihm meine zurückgegangene Heyrath mit der Gräfin von ** Er erschrack darüber: ich kenne, sagte er zu mir, euer Herz, es kan nicht wohl müßig seyn: es muß eine Beschäftigung haben. Lasset mir nur Philirenen. Im übrigen so mögt ihr alle Schönen in der ganzen Welt lieben. Ich erröthete über diese Worte: ich war zu ehrlich, um mich zu verstellen: ich nahm deswegen ein ernsthaftes Wesen an, und rieth meinem Freund, einen andern, als mich, zum Unterhändler seiner Liebe zu machen.

O Himmel! rief hier Dorante voller Bestürzung aus: was hör ich? Solte wohl mein bester Freund, dem ich alles in der Welt anvertrauet habe, an mir zum Verräther werden? Solte wohl der redlichste Mensch in der Welt mich hintergehen können? Auf keinerley Weise, liebster Dorante, erklärte ich mich; ich bin zur Aufrichtigkeit gebohren: es ist wahr, ich finde Philirenen Liebens-würdig; allein, ich werde deswegen nichts wider unsere Freundschaft thun: ich fügte hinzu, daß ich, um ihn dessen zu überzeugen, eine Zeitlang auf das Land zu meinem Bruder gehen wolte.

Dorante, als er sah, daß ich ihm dieses in Ernst sagte, wolte mir nicht weniger Großmuth zeigen: er schloß mich in seine Arme: mein werthester Greenhielm, sprach er, ich kenne euch allzuwohl, ihr würdet Philirenen nicht lieben, wo sie euch nicht liebte. Bleibet nur: ich sehe [212] mein Unglück, lasset mich nicht zum Sieges-Zeichen eures Triumphes dienen.

Es äusserte sich hier ein Streit zweyer Freunden, mit welchen man die Schauspiele auszieren könte: an statt des Hasses und der Eiffersucht, die in dergleichen Fällen sich ereignen; so behauptete einer des andern Vorzüge, und erklärte ihn für würdiger, die Gunst der schönen Philirenen zu erhalten. Wir beklagten die Vollkommenheit unserer Freundschaf, die sich auch allhier bey uns in dem zärtlichsten Umstand von der Welt, durch eine unglückliche Ubereinstimmung der Gemüther offenbahrte: wir waren nicht gesonnen, über die Liebe unsere Freundschaft zu brechen: wir meyten die gröste Untreu zu begehen, wenn wir nicht fortführen, gegen einander gleich aufrichtig zu seyn. Wir entschlossen uns also beyde zusammen zu Philirenen zu gehen, derselben unsre Neigungen zu entdecken, und von ihr selbst den Ausspruch unseres Glückes zu erwarten. Ein jeder von uns beyden, sagten wir, hat es jederzeit für eine grosse Thorheit gehalten, eine Person zu lieben, die uns einen andern vorziehet: lasset uns also Philirenen unter uns beyden wehlen, und ohne Eiffersucht das Glück unsrer Liebe ihrem Ausspruch unterwerfen.

Wir liessen uns hierauf bey Philirenen melden; ein jeder hatte sich aufs prächtigste gekleidet; wir waren beyde von unserer Eigen-Liebe aufgebracht: die Großmuth, und die Freundschafft [213] wurden gleichsam auf eine Zeitlang von uns beurlaubet. Philirene empfieng uns beyde mit gleicher Höflichkeit. Unsere Augen spielten auf sie, und wolten in den ihrigen die Entscheidung unseres Verhängnisses lesen. Die Liebe gab uns Geist und Beredsamkeit. Ein jeder mahlte seine Empfindungen mit fremden Farben ab: man stellte sich selbst unter einer andern Gestalt vor. Ich erzehlte eine Geschichte, die zweyen guten Freunden begegnet wär, und diese Geschicht war unsere eigene. Philirene verstund alles; sie erklärte ihre Meynungen; ohne dadurch den Wohlstand ihrer Trauer zu verletzen: wir verstunden sie gleichfalls: Dorante war darüber misvergnügt: Philirene, sprach er zu mir im Weggehen, hat ihr Geheimniß stark verrathen: die Freundschaft, die sie ganz offenherzig für euch bekennet, ist nur ein Schleyer, darunter ihre Schamhaftigkeit die gröste Liebe verstecket. Seine Empfindungen, seine Schmerzen und seine Klagen waren darüber so lebhaft, daß sie mir durchs Herze schnitten.

Die Liebe zu Philirenen hatte mich noch nicht so sehr bemeistert, daß ich nicht mich stark genug gefunden hätte, solche nach meinem Willen zu beherrschen: das unzertrennliche Band der Ehe machte mir noch immer ein heimliches Grauen: ich liebte meine Freyheit, und war Doranten mit äusserster Freundschaft verbunden. Ich konte mir es nicht verzeihen, daß er um meinetwillen in seiner Liebe unglücklich seyn solte: kein Mensch auf der Welt schien mir [214] würdiger geliebt zu werden; und ich schwöre, daß ich, aller Eigenliebe ungeacht, so viel Demuth behalten hatte, ihn mir selbst vorzuziehen. Nichts schien mir gerechter zu seyn, als ihm Philirenen zu überlassen, und mich deswegen auf eine Zeitlang von Königsholm wegzubegeben.

Ich machte wirklich Anstalten zu verreisen, als Philirene meine Base besuchen kam: diese sagte ihr von meinem Vorhaben; mit dem Zusatz, daß niemand wüste, wo ich hinwolte: dieses war genug, Philirenen aufs äusserste neugierig zu machen. Sie hatte vermuthet, mich bey meiner Basen zu sehen; ich war aber, um ihre Gegenwart zu meiden, nicht zu ihr gekommen. Diese Kaltsinnigkeit, wie auch die Nachricht, daß ich verreisen wolte, verursachten bey ihr allerhand Gedanken.

Einige Tage darauf gieng ich zu Philirenen, um von ihr Abschied zu nehmen: sie fragte mich, wo ich hin wolte? ich machte ihr daraus ein Geheimniß, welches sie zu erforschen um desto begieriger wurde. Die List scheinet dem weiblichen Geschlecht natürlich zu seyn; sie begunte mir im grösten Vertrauen von ihren eignen Angelegenheiten Nachricht zu geben; und wuste dabey, mit der künstlichsten Art, die Reden so zu wenden und zu drehen, daß sie auf ein Fragen, warum, und wohin ich verreisen wolte, hinaus liefen.

Ich entschuldigte mich, daß ich ihr darüber nichts gewisses sagen könte. Dieses muß [215] ein sonderbahres Geheimniß seyn, erwiederte sie: allem Vermuthen nach, wird wohl eine fremde Schönheit die Ursach von dieser Reise seyn. Ich meynte, setzte sie mit einem zärtlichen Auge hinzu, unsere Freundschaft wär so groß, daß ich mir dieses Geheimniß zu wissen, ausbitten dürfte? Unsere Freundschaft selbst, unterbrach ich, würde vielmehr darunter leiden. Und wie solte das zugehen? forschte sie weiter, weil mir solches, versetzte ich, dero Ungnade zuziehen würde. O! fuhr sie darauf heraus, wenn es nichts anders ist, als dieses, so redet, was ihr wollet, ich kan euch, lieber Vetter, nichts übel nehmen.

Dieses war so viel, als mein Geheimniß mit einer süssen Gewalt mir vom Munde reissen. Lasset, wertheste Base, lasset einen Undankbaren, sagte ich mit der grösten Bewegung, der die Schwachheit begangen hat, die unvergleichliche Philirene für einen andern zu bestimmen; da doch ihre Vollkommenheiten sein eigen Herz hätten einnehmen sollen. Eure Augen, schönste Base! haben mich dafür gestrafet, und die meinige werden den Fehler büsen; indem sie euch nicht mehr sehen sollen.

Philirene wurde ganz ernsthaft auf diese Erklärung: sie wolte sich das Ansehen geben, als ob sie durch eine so freye Entdeckung meiner Liebe sich beleidiget fand. Sie sagte, daß die Betrachtung ihrer hohen Trauer mich hätte zurück halten sollen, ihr von dergleichen Dingen [216] zu reden. Ich entschuldigte mich mit ihrem Befehl, und daß sie mir versprochen hätte, nichts übel zu nehmen: sie erinnerte sich dessen, und sagte mir mit Lachen, daß ihr meine Ursach zu verreisen sehr abentheuerlich vorkäm. Sie versicherte mich, wo ich keine andere hätte, als diese, daß ich besser thun würde, meine Reise einzustellen. Weil Dorante sich um sie allezeit vergeblich bemuhen würde.

Sie stellte sich dabey, als ob sie nicht glauben könte, daß es mein Ernst wär, sie zu lieben: die Zeit, sprach sie, würde mich bald wieder anders reden machen. Dieses Mißtrauen war mir genug, was hätte sie mehr sagen sollen? sie war noch kaum drey Monat eine Wittbe. Nur Dorante dauerte mich: ich hatte für ihn alles gethan, was in meinem Vermögen war; mehr kont ich nicht.

Nach einigen Tagen gieng ich wieder zu Philirenen: ich fand sie gegen das vorigmahl ziemlich kaltsinnig: sie war beschämt, daß sie sich bey ihrer letzten Unterredung zu weit gegen mir blos gegeben hatte: sie wolte deswegen den Wohlstand wieder retten: sie gebott mir, nichts mehr von der Liebe zu reden: ich solte mich mit ihrer Freundschaft begnügen. Ich war mit ihr noch in einem starken Wort-Wechsel, als man ihr ein Packet brachte, welches sie, ohne es zu eröfnen, mit einer unachtsamen Mine vor mir auf den Tisch hinlegte.

[217] Ich warf darauf die Augen, und beobachtete des Dorantens Pittschaft: ich wurde darüber bestürzt, und wuste nicht, was ich sagen solte.

Philirene sah mich an und lächelte. Nicht wahr, mein guter Vetter, sagte sie, ihr verwundert euch über meinen Brief-Wechsel mit Doranten? Ich bekräftigte ihre Muthmassung. Sie erzehlte mir, wie dieser vor einigen Tagen sie hätte bitten lassen, ihr eine gewisse gedruckte Schrift, welche das Geschlecht ihres vorigen Gemahls beträffe, zu lehnen; sie hätte keinen Vorwand gehabt, ihm diese Gefälligkeit abzuschlagen: er schickte ihr solche nun wieder, das wär alles. Dorante, war meine Erinnerung, wird nicht ermangeln, seine Danksagung dafür in diesem Packet abzustatten, weil er solches gewiß in keiner andern Absicht verlanget hat, als um dadurch eine Gelegenheit zu bekommen, einen Brief mit beyzuschlagen. Ich will euch, meine Base, fuhr ich fort, nicht verhindern, denselben durchzulesen, und so lange mich nach eurem Cabinet verfügen. Wenn ihr diese Meynung habt, sagte sie, so öfnet selbst das Packet, und leset den Brief, welchen ihr darinn vermuthet.

Ich ließ mir dieses nicht zum andernmahl sagen: ich riß die Siegel auf, und fand, nebst der gedruckten Schrift, einen überaus nett und wohl-geschriebenen Brief; in welchem Dorante seine Liebe auf das geistreichste und beweglichste vorstellete; zugleich aber auch über meine Untreu sich zum heftigsten beschwerte. Diese Beschuldigung [218] gieng mir nah; ich meynte solche nicht verdient zu haben: ich war Doranten auf vielfältige Art verbunden; und es schien mir unerträglich, daß er mich für undankbar halten solte. Philirene suchte mich dieser Zärtlichkeit halber zu trösten; indem sie mir zu erkennen gab, daß es nicht in meiner Macht stünd, ihr Herz, wem ich wolte, zuzuwenden.

Nachdem sechs Monathe, seit dem Absterben ihres Gemahls, verflossen waren, machte sie sich kein Bedenken mehr, sich mit mir zu versprechen. Sie befahl mir aber, unser Bündniß vor allen Menschen so lang geheim zu halten, bis die Gesetze des Wohlstandes uns erlauben würden, solches bekant zu machen. Wir sahen unterdessen einander fast täglich. Ein Jahr verfloß auf diese Weise.

Es hatte sich unterdessen in unserer Liebe eine grosse Hinderniß ereignet. Der Vatter von Philirenen wolte das mit seiner Tochter getroffene Bündniß durchaus nicht gut heissen: er haßte mich so sehr, als mich seine Tochter liebte. Er war ein rauher und eigensinniger Mann.

Einsmahl, da Philirene bey ihm war, und mit der äussersten Demuth ihn um seine Einwilligung in unsere Heyrath ersuchte, ließ er sich von seinem Zorn dermassen übernehmen, daß er ein Messer bey der Tafel ergriff, und, indem er ihr solches zeigte, sie bedrohete, ihr lieber [219] den Hals damit abzuschneiden, ehe er zugeben wolte, daß sie meine Frau werden solte.

Sie wurde darüber vor Schrecken krank, und gab mir den folgenden Tag davon Nachricht: sie druckte mir dabey ihre Schmerzen mit so lebhaften und beweglichen Worten aus, daß ich mich an ihrem Vater im ersten Eifer würde gerochen haben, wenn er nicht ihr Vater gewesen wär.

Sie erfuhr indessen, daß der König mich beständig verlangte bey Hofe zu haben; und daß er zu dem Ende mit der Tochter eines seiner ersten Stats-Räthen, welche bey der Königin war, mich verehligt sehen wolte. Dieses machte Philirenen ein grosses Nachdenken: es verdroß sie, daß ich ihr solches verschwiegen hatte: sie wolte alle Umstände davon wissen: ich sagte ihr solche, und sie erklärte sich darauf, daß sie mich durchaus nicht von einem weit würdigern Glück, als ich bey ihr zu hoffen hätte, abhalten wolte: sie that auch von derselben Zeit an würklich kaltsinniger gegen mir, um mich desto eher zu bewegen, das mir angebotene Glück nicht auszuschlagen. Wir sprachen darüber mit der grösten Gelassenheit, und weil der Hof damahls sich abwesend auf einem der Königlichen Lust-Schlösser befand, so solte ich dahin reisen.

Es vergiengen acht, es vergiengen vierzehen Tage, und ich konte mich darzu noch nicht entschliessen: endlich gieng ich zu ihr, in Meynung von ihr Abschied zu nehmen. Die Art, mit [220] welcher sie in meine Reise nach Hof willigte, hatte etwas so gleichgültiges und trockenes, daß ich mich dadurch beleidiget fand: ich beklagte mich deswegen bey ihr; sie schien mir darüber unbewegt: sie antwortete mir mit einer solchen Kaltsinnigkeit, die mir den Frost in die Glieder, und die Wuth ins Herze jagte: ich sagte ihr darauf alles, was einem der Zorn, die Rache und die Verzweiflung in den Mund zu geben pflegt; ich schalt sie eine Wankelmüthige, eine Ungetreue, eine Meineydige: sie hörte mich gelassen an, sie sagte kein Wort: ich fuhr in meinem tobenden Eifer fort, ihr mein Bildniß, meine Briefe, und was sie sonst von mir empfangen hatte, abzufordern. Sie langte darauf ein Kästgen, eröffnete darinn verschiedene kleine Behälter, und legte mir daraus alles vor die Augen auf den Tisch.

So bald erblickte ich nicht diese zärtliche Unterpfänder unsrer Liebe, so verliessen mich die Sinnen: meine Augen starrten: mein Mund konte sich nicht mehr bewegen, und der Schmerz erstickte mir gleichsam die Brust. Ich fiel auf einen Sessel und wuste nichts mehr von mir. Philirene war darüber vor Angst und Schrecken ausser sich: sie nahm mich in ihre Arme: sie schrie, sie weinte, sie bat, ich solt ihr verzeihen, sie schwur, daß sie mich weit heftiger, als jemahls liebte, und daß sie ohne mich nicht leben könte. Ich schlug die Augen wieder auf; ich weiß nicht, daß ich je geweinet hatte; hier aber stürzte sich auf einmahl ein ganzer Strohm von [221] Thränen aus meinen Augen. Philirene versprach mir hierauf, Himmel und Erden zu bewegen, um ihres Vaters Einwilligung zu unsrer Heyrath zu erlangen.

Wir entdeckten unsern Zustand einem von unsern Verwandten, der bey demselben vieles galt: er gieng hin, und that demselben unsertwegen einige Vorstellungen. Er fand bey ihm nicht nur Gehör, sondern auch so wenig Widerspruch, daß er uns Hoffnung machte, wie sich alles nechstens nach unserm Wunsch fügen würde. Wir waren über eine so gute Bottschafft vor Vergnügen ausser uns. Niemahls hat man eine so lebhafte Freude empfunden; allein, unsere Glückseligkeit war zu groß, um lang zu dauren.

Philirene fuhr einige Tage darauf zu ihrem Vater; sie hofte ihn nun ganz zu gewinnen: sie hatte bey sich die stärkste Beweg-Gründe abgefaßt, allen dessen Einwürfen zu begegnen: sie meynte nicht, daß ihm noch das geringste im Weg bleiben solte; allein, es kam zwischen ihr und ihm zu keiner solchen Erklärung. Er schmiß alle ihre Vorstellungen mit einem ungestümmen Zorn darnieder. Er schalt nicht nur auf unsre Liebe; sondern belegte auch solche mit dem allergräslichsten Fluch. Alles Einreden war vergebens; er hörte sie nicht, als um seiner Wuth desto mehr Raum zu lassen.

Philirene wurde dadurch erschüttert: sie verlohr auf einmahl allen Muth. Die grauen Haare [222] ihres ergrimmten Vaters machte ihr zartes Herze beben. Siehe, sprach er zu ihr, indem er ihr solche mit einer mehr vor Eifer, als Alter zitterenden Hand zeigte, diese wirst du mit Gram unter die Erde bringen, und du wirst dafür die traurige Schicksale eines Kindes erleben, welches den Tod seines Vaters verursachet.

Philirene kam darauf mehr sterbend als lebend wieder nach Haus. So bald sie sich ein wenig erhohlet, schrieb sie mir einen langen Brief, worinn die allerstärkste Leidenschaften, die jemahls ein zärtliches Gemüth empfunden hat, auf das lebhafteste ausgedrücket waren. Ich wuste nicht, wie mir war, als ich davon die erste Zeilen las: ich konte vor heftiger Bewegung denselben kaum auslesen: die äusserste Liebe war darinn dem Gehorsam eines Kindes entgegen gestellet. Pflicht, Gottesfurcht und Entsetzen, zerrissen hier die allerzärteste Bande des Herzens, und stürzten sich endlich in eine andächtige Verzweiffelung aus. Sie schloß mit diesen Worten:


Lebet wohl / mein Geliebter / und wo ihr mir noch das letzte Kennzeichen von eurer Neigung geben wollet / damit ihr mich über alle Verdienste erhoben; so bittet GOtt / daß er diejenige bald von dieser Welt nehmen wolle / welche die unglückseligste von allen Creaturen ist.


Ich wuste bey diesem Zufall nicht, ob ich mich[223] über den Himmel, über Philirenen oder über mich selbst beklagen solte. Die Abwechselung und der Widerspruch meiner Affecten riß mein Gemüth in die äusserste Verwirrung: meine Empfindungen darüber waren so unordentlich und heftig, daß sie alle Ausdrückungen überstiegen. Ich hielt mich dabey auf eine Art beleidiget, welche nur allein der grösten Wuth bey mir die Oberhand ließ. Gerechter Himmel! ach! verzeihe hier die Ausschweiffungen eines damahls zu sehr aufgebrachten Gemüths. Ich hätte die ganze Sache mit Glimpf und Bescheidenheit vermitteln können: ich hätte durch ein zartes Mitleiden die unschuldige Philirene bey den heftigen Verfolgungen eines grausamen und unerbittlichen Vaters trösten, und ihren ganz darniedergeschlagenen Muth wieder aufrichten sollen; allein, ich hatte damahls keine Uberlegung: ich war noch jung, feurig, hochmüthig und ein schlechter Christ.

Ich setzte mich also voller Zorn und Verachtung nieder, und schrieb an Philirenen eine Antwort, welche mir nur allein diese beyde Affecten in die Feder gaben: dieses war noch nicht genug: ich sandt ihren ganzen Brief in Abschrift an ihren wider mich erbosten Vater, und begleitete solchen mit den allerspöttlichsten Anzüglichkeiten.

Philirene gerieth über diese unwürdige Merkmahle meiner Verachtung in einen Zustand, daß man nicht anders glaubte, als sie würde darüber des Todes seyn. Meine Base, die sie [224] besuchte, um bey ihr sich zu erkundigen, was uns beyde zu einem so unglücklichen Bruch Anlaß gegeben hätte, sagte mir bey ihrer Zurückkunfft: daß Philirene sterben würde, und daß ich daran Ursach wär.

Philirene wurde nichts destoweniger wieder besser: und ich gieng nach Hofe: ihr Vater starb einige Monathe hernach: er wolte seine Tochter vor seinem Ende noch versorget sehen: er versprach sie deswegen auf seinem Todtbett mit einem andern; und als er dieses, seiner Meynung nach, erbauliche Werk gestiftet hatte, verschied er. Philirene hielte sich durch dieses Bündniß zu nichts verpflichtet. Sie begab sich in die Einsamkeit, auf das Land, und starb einige Jahre darauf in dem Geruch der reinsten Andacht. Ich vernahm ihren Tod mit äusserster Betrübniß, und that ein Gelübde, mich nimmer zu heyrathen.

Ich hatte unterdessen mein Glück bey Hofe verscherzet. Ich that deswegen eine Reise an auswärtige Höfe, und erhielt von dem König, daß mir gewisse Geschäfte daran zu tractiren anvertrauet wurden. Es erhub sich nachgehends auch ein Krieg mit unsern Nachbarn, den Gedanern: ich wurde zurück gefordert, und muste einigen Feldzügen mit beywohnen.

Weil ich nicht viel schmeicheln, noch mich den Grossen bey Hofe niederträchtig unterwerfen konte, so stund ich vielmahl in Gefahr, bey [225] dem König in Ungnade zu fallen; ich wurde auch etlichmahl bey den Beförderungen der hohen Kriegs- und Hof-Aemter vorbey gegangen. Dieses sowohl, als der Betrug und die Falschheit der Menschen, die ich täglich mehr erkennen lernte, machte mich an meine Ruh denken. Ich war wirklich schon im Begriff, den Hof zu verlassen und mich auf das Land zu begeben; als der König mir das Commando über diejenige Völcker auftrug, welche er den Licatiern gegen die Aquitanier zu Hülfe gesandt.

Ohne einen so großmüthigen Erretter, endigte hier der Herr von Greenhielm seine Geschicht, indem er seine Worte an den Grafen von Rivera richtete, hätte ich in diesem Feldzug das Ziel meines Lebens gefunden.

Das neunte Buch

Das neunte Buch.

Nachdem der Herr von Greenhielm seine Erzehlung geendiget hatte, bewunderte der Graf die Eigensinnigkeiten der Liebe, und den besondern Character der Philirene. Der Herr von Riesenburg aber sagte, daß ihm die Liebes-Historie des Bruders Christophs noch besser gefallen hätte. Dieselbe macht mich, fuhr er fort, an meinen ehmahlig andächtigen Hofmeister gedencken, der auch vom Schlag dieser Leute war; ich will meinen Herrn solche erzehlen:

[226] Ich war ungefehr 18. Jahr alt, als ich mit diesem andächtigen Menschen auf die hohe Schul nach Argentea kam: wir machten eine abentheuerliche Figur mit einander: er schlug die Augen immer vor sich nieder, redete nie, ohne vorher zu seufzen, und sah bey seinen demütigen Gebehrden so finster aus, daß man immer meynte, er würde einschlafen; nun setzen sie mein Bildniß neben dieses, so werden sie finden, daß wir ein recht artiges Paar müssen ausgemacht haben: mein natürliches Wesen litt unterdessen einen nicht geringen Zwang unter der Anführung eines Menschen, dessen Eigenschaften von den meinigen so weit entfernet waren; ich ehrte nichts destoweniger in ihm die Wahl meines Vaters, der mir solchen zum Aufseher mit gegeben hatte; und würde mich gern, ihm zu gefallen, ein wenig verstellet haben, wen ein Gemüth wie das meinige / darzu geschickt wäre.

Ich läugne ganz nicht, daß ich mich gerne lustig mache wenn es ohne Verletzung der Ehrbarkeit geschehen kan. Nach meiner Meynung ist der Mensch mehr zur Freude und zum Vergnügen, als zur Traurigkeit gebohren. Mein Hofmeister glaubte das Gegentheil, und ein jeder bezeigte sich hierinn nach seinem Temperament.

Ich verliebt mich damahlen in eine junge Gräfin: diese Neigung aber hatte nichts von einer grossen Leidenschaft. Wir gefielen uns nur, und hatten ein Vergnügen, uns solches einander [227] zu sagen. Dieses schmeichelte ein wenig unsrer kleinen Eitelkeit. Die Annehmlichkeiten ihrer Person reitzten mich mohl, ihr einige Liebkosungen zu machen; allein, die Ehre und ein bißgen Tugend, welche ich liebte, setzten unsern weitern Begierden ihre Grenzen, und hielten uns von den unglücklichen Ausschweiffungen der Liebe zurück.

Diese junge Gräfin hatte eine Hofmeisterin, die auch eine von den andächtigen Leuten war, welche viel von Verläugnung der Welt, von der Creutzigung des Fleisches, und von dem pur innern geistlichen Leben zu sprechen wuste: sie war schon weit über die dreyßig hinaus, und nah an den Jahren der Verzweiflung, ihre noch übrige Begierden durch das Sacrament der Ehe, ohne Sünde zu vergnügen: sie war in ihrer Meynung dermassen bekehrt, daß sie es nicht für möglich hielt, in eine kleine Liebes-Schwachheit zu verfallen. Mein Hofmeister, der auch für nichts anders als einen Wiedergebohrnen wolte angesehen seyn, machte mit ihr Bekantschaft: diese fromme Leute empfanden bald für einander eine innigste Hochachtung. Die Gleichheit vereiniget die Naturen aller Geschöpfe, warum nicht auch die Andächtigen? die Herzen unserer beyden Hofmeisterschaft branten weit heftiger, als diejenige der Welt-Leuten: die geistliche Liebe hatte solche entzündet: die Arbeit des Cörpers in den Geist ist nicht so starck, als die Arbeit des Geistes in den Cörper, das macht, weil der Geist durch nichts anders als die [228] Einbildungs-Kräfte wirken kan: werden nun diese erhitzt und rege gemacht, so stehet die Materie unter dem Gehorsam.

Unsern beyden Verliebten war es auch so; der Anfang ihrer Liebe war ganz geistlich, wann sie alleine waren, so druckten sie sich einander zum Zeichen ihrer zärtlichen Herzens-Freundschaft an die Brust: der Gräfin Hofmeisterin trug solche allezeit bedeckt; doch so bedeckt, daß leicht die geringste Bewegung das Halstuch ein wenig verrücken, und beyde über die Entblösung eines kleinen Fleckgens konte seufzen machen. Diese Bewegungen kamen oft. Bey dem Umarmen setzte es auch Küsse; aber Küsse in aller An dacht: keine Schwachheiten: wenn es ihnen beliebt, wer wolte so böses denken? sie küßten einander nur die beyde Backen. Zuweilen machte es wohl bey ihr eine kleine Schamröthe, wenn der Freund, im Feuer der Liebe, des einen Backens verfehlte, und von ungefehr neben auf den Mund ausglitschte. Der Weg, wie sie wissen, ist in dieser Gegend etwas unsicher; man verirrt sich leicht. Wenn dieser Irrthum sich zutrug, so bat er die Schöne sogleich um Vergebung, und küßte ihr dafür die Hand. Sie wurden dadurch in dem innersten bewegt: diese Bewegung hemmte ihre Sprach; sie blieben oft ganz stumm beysammen: ihre Herzen waren geprest, sie musten stark Athem holen, und dieses ließ natürlich, als ob sie seufzten. Bey diesem anhaltenden Stillschweigen besprachen sich die Augen: denn diese sind die Sprach der Geister. [229] Was sie sich einander mögen gesagt haben / ist mir unbekant: sie begriffen es selbst nicht recht: sie spürten davon nur die Wirkung: die Brust war beklemmt, der Puls gieng schneller, der Mund war trocken, und ein inwendiger Brand drohete sie zu verzehren. Sie wolten vermuthlich keines so grausamen Todes sterben: was aus heftiger Liebe geschiehet schlossen sie bey sich selbst, das kan nicht böse seyn. Kurz, nach einem halben Jahr hieß es, der Gräfin Hofmeisterin wär schwanger.

Man schaffte sie hurtig aus dem Hause: niemand hatte Anfangs den frommen Menschen, meinen Hofmeister, darüber in Verdacht. Das arme Mägden konte es gar nicht begreiffen, wie es wär zugegangen: sie sagte, sie wär bezaubert worden: sie ließ sich solches nicht ausreden; und ich hätte die Wahrheit von dieser Geschichte nimmer erfahren, wenn nicht diese unglückselige Liebhaberin in ihrem äussersten Elend zu mir ihre Zuflucht genommen hätte, ihr mit ein wenig Geld an die Hand zu gehen. Weil mir die junge Gräfin schon etwas von der Vertraulichkeit meines Hofmeisters mit ihrer Gubernantin entdeckt hatte, und allenthalben das Gespräch gieng, daß er dieselbe zum Fall gebracht hätte, so verfügte ich mich heimlich selbst zu ihr in ein elendes abgelegenes Häusgen, und wolte ihr nicht eher meinen Beystand zeigen, bis sie alles haarklein mir würde gebeichtet haben.

Sie wolte lange nicht mit der Sprach heraus, [230] sie sagte immer, der Satan wär mit im Spiel gewesen; es wär nicht natürlich zugegangen; allein, ich ließ mich damit nicht abweisen. Kurz, die Noth machte sie schwätzen; sie nante mir mit Thränen und Hände-ringen meinen Hofmeister. Wie bestürzt wurde ich nicht darüber, als ich hörte, daß dieser ehrbare Mensch das Werkzeug dieser übernatürlichen Zauberey solte gewesen seyn. Ich konte ihn nicht mehr vor meinen Augen sehen; nicht deswegen, weil er gesündiget hatte, dieses hätte mich zum Mitleiden bewogen; sondern, weil er durch seine Scheinheiligkeit GOtt und Menschen zu betrügen suchet.

Ohnerachtet aller Beweis auf ihn fiel und ihn völlig überzeugte; so läugnete er doch beständig: er schalt auf Verläumdung und böse Mäuler, und setzte seine Heucheley also noch immer fort. Ich berichtete unterdessen diese Begebenheit meinem Vater. Wir musten darüber wieder zurück nach Hause kehren, nachdem ich nicht viel über zwey Jahr in Argentea gewesen war. Mein Vater verwies meinem Hofmeister seine Aufführung, und gab ihm hernach seinen Abschied.

Der Herr von Greenhielm lenkte hierauf das Gespräch auf die Religion: Es ist leider, sprach derselbe, auch darinn eine gewisse Mode: neue Meynungen und Lehren haben jederzeit die Menschen wie die neue Kleidertrachten zur Nachahmung verleitet. Dieses kommt vermuthlich daher, weil die wenigste wissen, worinn [231] eigentlich der Grund der Religion bestehet; das unerbauliche Gezänk in der Kirchen verwirret solche noch immer mehr und mehr. Ein jeder hält sich selbst für klug: er will andere bekehren und unterweisen, und hat doch nichts als seine eigene Einbildung, damit er seine vermeynte Gaben kan rechtfertigen.

Ich habe neulich in einem Buch, sagte der Graf von Rivera, eine artige Geschicht gelesen, die sich nicht übel hieher schicket: Ein frommer Nazarener, der die Wahrheit liebte, solche aber in der Aufführung der Christen so wenig als bey seinen Glaubensgenossen fand, kam einsmahl auf der Reise in ein grosses Gast-Haus, worinnen Christen von allerhand Secten waren; sie machten sich alle an ihn, und wolten ihn bekehren. Nur einer saß still und hörte ihnen zu. Der Jud war verwundert, daß dieser mit den andern nicht gleichen Eifer zeigte, ihn zur Annehmung seiner Religion zu bereden: er machte sich deswegen von den andern los, setzte sich zu diesem Menschen, befragte ihn, ob er nicht auch ein Christ wär, und warum er ihn nicht ebenfalls zu bekehren suchte? dieser antwortete ihm, daß er noch selbst erstlich dahin trachtete, ein rechter Christ zu werden. Wie, fragte der Hebräer, seyd ihr denn nicht ein gebohrner Christ? Ja, versetzte jener, ich bin wohl von Eltern gebohren, die sich Christen nanten; aber dieses macht deswegen noch keinen Christen? es gehöret mehr darzu. Ich verstehe euch nicht, fuhr der Jude fort, von welcher Religion oder Secte [232] seyd ihr denn? Ich suche einzig und allein, erklärte sich dieser, ein rechter Christ zu werden, ohne mich darum zu bekümmern, zu welcher Secte ich mich schlagen soll; denn die Zänkereyen und Trennungen, die man unter ihnen wahrnimmt, zeigen wohl, welcher Secte, aber nicht, welcher Religion sie zugethan sind. Nun ist nur eine Religion, diese lässet sich nicht trennen. Der Jude war gantz verwundert, einen Christen von dieser Art anzutreffen, und forschte deswegen bey ihm weiter, ob denn, wenn ein Jude gedächte ein Christ zu werden, er nicht nothwendig zu einer von ihren Secten sich schlagen, und gegen die andre sich erklären müste. Wie man ehedessen, antwortete darauf jener, hätte ein Christ seyn können, ehe noch die Secten aufgekommen wären, so könte man auch noch heutiges Tages ein solcher seyn, ohne sich zu einer Secte zu schlagen. Man muß, fuhr er fort, das Christenthum nicht nach dem äusserlichen Rock urtheilen, worinn sich eine jede Secte kleidet: es ist an und für sich selbst ganz einfältig, und bestehet nicht in solchen besonderen Meynungen, womit man solches beschränken will; sondern darinn, daß man mit aller Aufrichtigkeit des Herzens den Lehren des Evangelii suchet nachzuleben.

Ja, das ist wohl gut, erinnerte hiebey der Herr von Greenhielm; aber man muß doch auch, wegen der Ordnung, Zucht und Unterweisung sich nochwendig zu einer äusserlichen Kirche mit bekennen; weil sonst die Verwirrung beydes im [233] Geistlichen, als Weltlichen zu sehr überhand nehmen würde. Der Graf gab ihm darinn Beyfall: Nur wünschte derselbe, daß man sich bey dem öffentlichen Gottesdienst mehr nach dem gemeinen Mann, als nach der Spitzfindigkeit der Gelehrten richten mögte; damit die Tempel wenigstens Schulen der Andacht und der Tugend seyn mögten; wenn man gleich darinn die verschiedene Begriffe und Meynungen nicht zusammen vergleichen könte.

Mit diesen und dergleichen Gesprächen unterhielten sich diese drey Herren auf ihrer Reise: sie wurden ein paar Stunden vor Panopolis von dem Herrn von Ridelo eingehohlet, in dessen Pallast sie abstiegen: der Graf von Rivera bezog darinn sein voriges Quartier: seine beyde Reise-Gefehrden aber mieteten sich einige Zimmer in der Nachbarschaft. Den andern Morgen war das Vor-Gemach des Grafens von den vornehmsten Herren und Bedienten des Hofs angefüllet, welche sich darinn versammlet hatten, um ihn zu bewillkommen, und bey demselben ihre Glückwünsche abzulegen.

Der Graf verfügte sich darauf nach Hofe: er fand den König krank, die Medicinische Hof-Facultät stund um ihn herum: ihr ängstliches Berathschlagen, ihre zweydeutige Gesichter, ihre lange Recepten, die sie verschrieben; alles dieses machte dem König bang: er meynte, daß er nun sterben müste; und diese Furcht vermehrte seine Krankheit.

[234] Weil es in der Herbst-Zeit war, und zuweilen ein rauhes Lüftgen wehete, so liessen ihn seine Leib-Aerzte nicht aus seinem Zimmer kommen, und aller Luft darinn den Eingang verbieten. Die Fenster wurden nicht allein mit Läden verwahret, sondern auch allenthalben mit Vorhängen bezogen. Wer zur Thür herein trat, dem wurde furchtsam entgegen gewinket, sich nicht lang darunter zu verweilen, und solche hurtig wieder zuzumachen.

Der Graf von Rivera, welcher der vollen Luft gewohnet war, suchte aus der hohlen Brust sich den Othem heraufzuziehen, der ihm in diesem Zimmer schien kürzer zu werden. Der König that, als ob er ein wenig ruhete: der Graf setzte sich deswegen auf einen Stuhl in das Vor-Gemach, wo die Herren Leib- und Hof-Aerzte ihre Geheimnisse zu Papier gebracht hatten: Er nahm ein Pülvergen und ein Gläsgen nach dem andern in die Hand, und las die daran geheftete Zettel mit Schrecken: die Ungedult übernahm ihn: Aber wie, meine Herren, sprach er zu den Aerzten, wollen sie den König gesund machen, und brauchen ihm alle diese Arzneyen? Er sagte diese Worte mit einen so erhabenen Ton, daß der König fragte, wer da wäre? der Graf von Rivera, antwortete der Cammerherr, der die Aufwartung hatte. Der Graf von Rivera? wiederhohlte der König, indem er sich im Bette aufrichtete, laßt ihn herein kommen. Der Graf kam und küßte dem König die Hand mit der gröstem Demuth, und bezeigte [235] ihm sein tiefes Mitleiden, daß er denselben unpäßlich fänd. Der König winkte dem Cammerherrn, daß man ihn mit dem Grafen solte alleine lassen: hier versicherte der König den Grafen seiner Gnade, und bat ihn, das geschehene zu vergessen.

Er klagte ihm darauf seine Noth, und wie er fürchtete, daß er sterben müste: der Graf aber redete ihm einen Muth ein; und versprach, ihn mit GOttes Hülf wieder zurecht zu bringen, wenn er sich seiner Cur anvertrauen wolte. Wie, sprach der König, wie wolt ihr mich zurecht bringen, ihr seyd ja kein Doctor? Ich kenne nichts destoweniger Ew. Maj. Natur und Temperament besser, als wenn ich ein Doctor wär, erwiederte der Graf. Ew Majestät erlauben mir, daß ich meine Gedanken darüber dero zweyten Leib-Medico entdecken mögte.

Der Graf stund damit auf, gieng in ein Neben-Zimmer, und ließ den Herrn Hippon, so nante sich der Leib-Arzt, zu sich kommen. Mein werthster Herr Doctor, redete er ihn an, ich habe die Ehre, sie als einen sehr vernünftigen und gelehrten Mann zu kennen; ich kan mir deswegen nicht einbilden, wie sie mit den andern Herren Leib-Aerzten übereinstimmen solten, den König auf eine solche Art zu tractiren, die seiner ganzen Natur entgegen ist, und solche wohl gar aufreiben dürfte, wenn sie damit fortfahren solten. Der Herr Hippon zuckte darüber die Schultern, und bekante dem Grafen, [236] daß er mit seinen Herren Collegen nicht einerley Meynung wäre: er seye aber überstimmet; Der Aelteste unter ihnen gab sich in seinen Aussprüchen das Ansehen der Unfehlbarkeit; der andere wär sein Schüler, der durch ihn sein Glück gemacht hätte, und nehm sich deswegen wohl in acht, ihm nicht zu widersprechen. Also, sprach der Graf, übet ihr Herren eure Kunst auf des Königs Gefahr, um das Ansehen eurer Wissenschaften zu erhalten? Was wollen aber der Herr Graf, fragte Hippon, daß man bey der Sache thun soll? Ich will ihnen, erwiederte der Graf, meine Meinung sagen, und wenn wir, wie ich vermuthe, darinn übereinstimmen, so lassen sie mich machen.

Daß sich der König so übel befindet, fuhr der Graf fort, kommt von dreyerley Ursachen: Erstlich von einem unordentlichen und unmäßigen Leben: zweytens, von verschiedenen heftigen Gemüths-Bewegungen: und drittens von dem stets anhaltenden Gebrauch vieler Arzneyen. Was daraus, mein Herr, wenn diese Dinge zusammen kommen, in dem menschlichen Cörper vor Unheil entstehet, wissen sie besser als ich. Wir müssen also, nach meiner einfältigen Philosophie, zuforderst die Ursachen der Krankheit so viel möglich aus dem Wege zu räumen, und den schädlichen Einfluß derselben abzuleiten trachten.

Ich meyne, der ehrliche Hippocrates habe gesagt: wer einen kranken Cörper nähret, der nähret nur die Krankheit: erfüllet ein zähes und [237] dickes Blut die Adern-Gänge und böse schleimigte Säfte verhindern die Verdauung des Magens, so lehret uns die Natur, daß eine freye Luft und eine gemäßigte Bewegung besser sey, das Geblüt zu verdünnen, und den Magen seiner Pflicht zu erinnern, als warme Bette, geheitzte Stuben, und zugesperrte Zimmer. Ich kenne Leute, die deswegen keine geschlossene Gemächer, wenn sie voller Menschen sind, vertragen können, weil bey ihnen eine volle Luft erfordert wird, um der Bewegung in ihrer Lunge den ersten Andruck zu geben, und vermittelst dieses Trieb-Werks das Blut durch alle Adern durchzudrängen.

Ich weiß nicht, ob ich mich hier Medicinisch erkläre, fragte hiebey der Graf den Leib-Arzt: gar wohl, sprach dieser: der Herr Graf sprechen, als ob sie von unserm Handwerk wären. Wenn sie mich nur verstehen, fuhr der Graf weiter fort; meine Meynung wär also diese: Man ließ dem König Luft, und hielt ihn zur Diät und einer mäßigen Bewegung: viele Arzneyen machen die Natur in ihrer Würksamkeit nur irre. Man müste dabey sein Gemüth mit allerhand unschuldigen Abwechselungen und Ergötzlichkeiten unterhalten; alle verdrießliche Sache aber so lang vor ihm verborgen halten, bis er wiederum eine gewisse Stärke erlanget hätte. Wann sie dieses, mein Herr Hippon, für gut halten, so will ich alsbald darzu Anstalt machen, den König morgen nach der Einsiedeley zu bringen.

[238] Hippon billigte alle des Grafens Anschläge, und versprach ihm darinn behülflich zu seyn: sie giengen darauf wieder zu dem König. Ew. Majestät seyen gutes Muths, redete der Graf ihn an, morgen, so GOtt will, werd ich die Gnade haben, dieselbe nach der Einsiedeley zu begleiten: für das übrige lassen sie mich sorgen. Der König meynte, der Graf wär nicht wohl bey Sinnen? wie sprach er, soll ich mich in die Luft wagen? wo soll ich Kräfte hernehmen, eine solche Reise zu thun? Hippon sagte darauf dem König: er könte des Grafens Anschlägen ohne Gefahr sich anvertrauen, es würde schon alles gut gehen: der Graf beurlaubte sich damit bey dem König.

Er fand unter andern Bedienten auch den Silon im Vor-Gemach: mein lieber Silon, redete er ihn an, indem er ihm die Hand reichte: ich weiß, daß er dem König getreu ist, und daß er deswegen mich hat suchen bey ihm in Ungnad zu bringen: ich verzeih ihm solches von Herzen, er hat wohl gethan, daß er auf meine Aufführung, die ihm verdächtig schien, ein wachsames Auge gehabt: ich will mir jetzo seine Freundschaft ausbitten: wir wollen beyderseits unsere Treue für den König vereinigen: ich werde Gelegenheit haben, ihm allen von mir geschöpften Argwohn zu benehmen. Silon wuste sogleich dem Grafen hierauf nicht zu antworten, er hatte sich einer so freundlichen Ansprach von demselben nicht versehen: er wolte [239] sich wegen des vergangenen bey ihm entschuldigen; der Graf aber druckte ihm die Hand: und sagte, es wär schon alles vergessen.

Er machte darauf hurtig Anstalten, den König nach der Einsiedeley zu bringen. Er fuhr mit anbrechendem Tag, in Gesellschafft seines Wirths, des Herrn von Ridelo, zu dem alten Einsiedler, der ihn mit Freuden-Thränen empfieng: er entdeckte ihm sein Vorhaben: der Einsiedler fand solches wohl ausgedacht: der Herr von Ridelo lies darauf die unter seinem Befehl stehende Aufseher der Königlichen Lust-Häuser in geschwindester Eil zusammen kommen, und die Gemächer in der Einsiedeley mit nöthigen Tapeten, Bettungen und andern Geräthschaften versehen.

Der Graf von Rivera kam gegen Mittag wieder nach Hofe: der König saß auf einer Ruhbank, und hatte seinen Kopf in ein Küssen gesteckt. Der Graf von Rivera fragte ihn, wie er sich befänd. Der König antwortete ihm: schlecht; er hätte die Nacht über nicht geschlafen. Ich hoffe, versetzte der Graf, Ew. Majestät sollen diese Nacht besser ruhen. Was wolt ihr denn mit mir anfangen? fragte ihn der König. Ew. Majestät, sagte der Graf, werden sich gnädigst gefallen lassen, diesen Nachmittag nach der Einsideley zu verreisen. Ich glaube, Graf, erwiederte der König, ihr seyd nicht klug; wie soll ich denn hinkommen? Ich nehm, antwortete der Graf, diese kleine Reise von Ew. Majestät [240] auf meine Gefahr, und ich weiß, daß sie dero Gesundheit zuträglich seyn wird. Als nun Hippon darzu mit einstimmte, so ließ sich endlich der König bereden. Die andere beyde Leib-Aerzte wolten mit dieser Unternehmung des Grafens nichts zu thun haben. Dem ungeachtet so faßte dieser den König unter den linken Arm, mittlerweile, daß derselbe sich mit dem rechten auf einen Cammerherrn stützte; und brachte ihn solchergestalt in einem guten Pelz-Mantel eingewickelt in die Gutsche.

Es war zu gutem Glück einer von den schönen Herbst-Tagen, die der angenehmsten Sommers-Zeit nichts nachgaben. Der König hatte noch kaum das freye Feld erreichet, so warf er schon seinen Pelz von sich, und bekam ein wenig Farbe: man hatte die Gläser an der Gutschen bishero zugehalten: die Sonne brannte von aussen durch dieselbe, daß der König anfieng warm zu werden. Der Graf ließ deswegen das Fenster auf der Seiten, wo er saß, herunter, und dem König bekam die Luft nicht übel.

Die Pferde lieffen unterdessen in einem starken Trab fort: so sanft auch die Gutsche in Riehmen und in Federn hieng, so machte sie doch einige Erschütterungen; zuweilen setzte es auch ein wenig unsanfte Stösse. Nicht wahr, fragte der Graf im Scherz den Herrn Hippon, welcher neben ihm, gegen über dem König saß, diese Stösse sind gut? man findet eine solche Arzney nicht in allen Apotheken. Der König[241] muste darüber lachen. Ihr seyd mir wahrhaftig ein poßierlicher Doctor, sprach er zu dem Grafen: ich finde mich wirklich ein wenig leichter; nur ist mir der Kopf etwas schwindelich: das macht, erwiederte der Graf, weil Ew. Majestät sich bisher der Luft entwöhnet, und lange nicht aus dero Zimmer kommen sind: doch kan man jetzo ein wenig sachte fahren: Er rief damit einem an dem Schlag reitenden Edelknaben, und befahl, daß der Gutscher die Pferde nur einen Schritt solte gehen lassen.

Nachdem der König anderthalb Stunden gefahren war, ließ der Graf ein wenig halten, und dem König zur Erfrischung einen Trunk von einem rothen Wein, welcher in der Gegend von Bontacko wächset, und für den gesundesten gehalten wird, mit einem Biscuit reichen. Der König ließ sich solches gut schmecken, und wurde immer munterer.

Im Fahren beobachtete der König die schöne Gegend, besonders war er sehr vergnügt, längst dem breiten Strohm, unter einer langen Baum-Allee nach Bellahai zu fahren. Als sie den Garten dieses prächtigen Schlosses erreichten, fragte der Graf den König, ob er nicht Lust hätte, ein wenig auszusteigen? der König sagte ja, wenn es ihm anders der Graf, als sein ausserordentlicher Leib-Doctor, erlauben würde. Er stieg damit aus der Gutsche, lehnte sich im Gehen auf den Grafen, und bedankte sich für dessen guten Rath, indem er sich weit besser befände, als die vorige Tage.

[242] Man trug eben die rare Gewächse und Pomeranzen-Bäume in ihre Winter-Behausung: der König freuete sich, darunter einige zu bemerken, die so voll der schönsten Früchten hiengen, daß ihm solches kaum natürlich schien. Der Gärtner und seine Leute sahen nicht so bald den König ankommen, so liefen sie hinzu, und brachten ihm allerhand rare Gewächse und Blumen entgegen. Die Freude und Entzückung, womit sie solches thaten; und die übel-gesetzte, aber wohlgemeinte Wünsche, die sie für des Königs Gesundheit ausstiessen, gefielen demselben wohl; er befahl ihnen dafür ein Geschenke zu reichen.

Der Graf ließ unterdessen die Wasser springen: Ein Chor der besten Waldhornisten, die er voraus gesandt hatte, stiessen nach der Kunst in ihre Hörner; und wechselten darauf ihre lang sam-gezogene Töne mit dem hell-durchdringenden Klang der Clarinetten; welche mit dem angenehmen Rauschen der spielenden Wasser eine süsse Harmonie machten.

Es war noch eine kleine Stunde von diesem Lust-Schloß bis nach der Einsiedeley: Die Demmerung begunte einzubrechen, und die Abende waren bereits kühl. Der Graf erinnerte demnach den König die Reise weiter fortzusetzen: und seinen Pelz-Mantel wieder um sich zu schlagen.

Sie kamen damit nach der Einöde, welche aus einem Haupt-Gebäude, einer Capelle, und [243] zwölf kleinen Häusern bestund: deren jedes nur einen Vor-Saal, ein Zimmer und ein Cabinet hatte. Das Schloß lag in der Mitte auf einer kleinen Anhöhe: es war mit einem Wasser-Graben und einer breiten Gallerie umgeben: eine schier unendlich scheinende Aussicht in eine ganz offene Landschaft schilderten den Augen die entzückenste Gegend: von hinten war das Königliche Gehege, welches mit vielen Schneesen bis nach Bellahai durchhauen war. Das Gebäude hatte in der Mitte ein grosses rundes Dach, durch welches das Licht in einen achteckigten Saal herunter fiel: auf diesen Saal stiessen vier Zimmer mit eben so viel Cammern; welche allesammt auf die sinnreichste und anmuthigste Art ausgezieret waren.

Der König war beydes sowohl von dieser unvergleichlichen Aussicht, als von den gemachten Anstalten des Grafens, angenehm gerühret: er sah den Untergang der Sonnen und die einbrechende Nacht mit vergnügten Augen an: die anmuthige Stille, so in dieser Gegend herrschte, war ihm eine süsse Abwechselung mit dem unruhigen Getöse seines Hofes: der Graf bat ihn, sich auf eine Ruhbank zu legen, und seine Sinnen so lang in einen angenehmen Schlummer zu versenken, bis es Zeit seyn würde zur Tafel; zu gehen: der König ließ sich alles von seinem neuen Leib-Arzt gefallen: er streckte seine Glieder auf dieses gemächliche Gestelle: es brannte ein kleines Feuer im Camin, einige Wachholder-Stauden krachten darinnen mit einem blitzenden [244] Funkeln, und durchdrangen mit ihrem lieblichen Geruch die noch übrige Feuchtigkeiten des Königlichen Schlaf-Gemachs.

Alles war still, niemand kam in das Zimmer, worinn der König lag: doch stund die Thür davon offen, wo im Vor-Gemach ein Cammerdiener aufwartete. Der König war in einen tiefen Schlaf gefallen, und genoß einer so süssen Ruh, als er in langer Zeit nicht gehabt hatte. Es war noch eine Stunde vor Mitternacht; der König schlief noch immer. Man fragte den Grafen, ob man ihn nicht zur Abend-Mahlzeit aufwecken solte? Mit nichten, sagte dieser, der Schlaf ist dem König gesunder als das beste Essen. Endlich erwachte derselbe eine Stunde nach Mitternacht: er fragte sogleich nach dem Grafen: und als dieser kam, rief er ihm entgegen: er hätte unvergleichlich geschlafen, und fänd sich nun ganz erquickt: er fügte hinzu, daß er wohl etwas essen mögte. Wenn Ew. Majestät, war darauf des Grafens Erinnerung, sich für dißmahl mit einer Tasse Schocolad, und einem Biscuit begnügen wollen, so geschähe mir eine Gnade. Ey! Ey! sprach der König! was seyd ihr vor ein unbarmherziger Doctor. Ich muß euch nun wohl folgen. Der Graf rieth ihm darauf mit einem kleinen Spiel sich so lang zu belustigen, bis der Schlaf wieder kommen würde. Der König aber bat den Grafen, ihm einige Umstände von dem letztern Feld-Zug zu erzehlen.

[245] Der Graf war erfreut, daß der König durch diesen Befehl ihm Gelegenheit gab, seine gute Meynungen und Absichten demselben zu erkennen zu geben. Doch wuste er seine Reden so geschickt einzurichten, daß sie mehr ein Gespräch, als eine blose Erzehlung waren; Er sagte dem König das wenigste von sich selbst, und von dem, was er verrichtet hatte: er zeigte ihm, wo man gefehlet, und wie dergleichen Fehler hinfüro könten vermieden werden. Dem König mangelte es weder an Verstand noch Einsicht; die Bescheidenheit des Grafens gefiel ihm wohl: er wuste, wie sehr er demselben wegen seiner erwiesenen Tapferkeit und Klugheit verbunden war.

Der König wolte etlichmachl von der Gräfin von Monteras zu sprechen anfangen; allein, das Andenken davon war ihm noch zu empfindlich: er konte ohne äusserste Gemüths-Bewegung sich nicht wohl ihrer erinnern. Der Graf gab ihm endlich selbst Anlaß von ihr zu reden. Ich wär nun, sagte er, wegen Ew. Majestät Gesundheit ausser Sorgen, wenn ich nur auch hoffen könte, deroselben Gemüths-Ruh wieder in guter Verfassung zu sehen.

Ich versteh euch, Graf, versetzte der König, wo ihr hinzielet: ihr werdet mir verzeihen, was mich meine heftige Liebe zu der Gräfin von Monteras in Ansehung eurer, hat thun machen. Wie ich höre, so ist sie auf einem ihrer Land-Güther, und lebet von der Welt in einer abgezogenen Stille; dergestalt, daß sie ganz nicht mehr soll [246] zu bewegen seyn, einigen Besuch, weder von mir, noch meinen Cavallieren anzunehmen.

Dieses solte mich glauben machen, antwortete darauf der Graf, daß Ew. Majestät sich desto leichter entschliessen würden, dero Königliche Neigung auf eine Prinzeßin zu wenden, welche mit mehr Erkäntlichkeit, als die Gräfin von Monteras, die Gunst eines so grossen Königs zu verehren weiß.

Die Gräfin von Monteras, erwiederte der König mit einem Seufzer, scheinet mir allzu liebens-würdig, als daß ich sie so leicht solte vergessen können. Wenn dieselbe Ew. Majestät auch vergnügt machen könnte, war des Grafens Antwort, so wolt ich deroselben diese Neigung keineswegs wiederrathen; allein, so ist dieselbe, aller ihrer Vorzügen und guten Eigenschaften ungeacht, doch weder von einer solchen Geburt, noch von einer solchen Gemüths-Art, daß sie sich auf den Aquitanischen Thron schicken solte. Könige und Fürsten pflegen immer hierinn einen gewissen Wohlstand zu beobachten, welche ihrer Hoheit und denen Umständen eines Königlichen Hauses gemäß ist.

Ich versteh euch, Graf von Rivera, unterbrach hier der König mit einiger Bewegung, ihr wolt sagen, die Gräfin schicke sich besser für euch? Ich sage dieses nicht, erklärte sich hierauf der Graf, ich denke jetzo nur allein auf das Vergnügen meines Königes. Ich läugne [247] nicht, daß ich die Gräfin liebe; allein, ich kenne die Pflicht, womit ich Ew. Majestät verbunden bin; ich werde nichts thun, was derselben zuwider ist.

Weil der Graf vermerkte, daß dieses Gespräch des Königs Empfindlichkeit noch allzuzärtlich rührte, so lenkte er solches auf die Angelegenheiten des Staats. Ew. Majestät, sagte er, würden wohl thun, wenn sie einen Gesandten an den Licatischen Hof zu schicken, sich gnädigst wolten gefallen lassen. Es ist nöthig, dem König dieser uns benachbarten Völcker, gewisse, für beyde Cronen vortheilhafte Friedens-Vorschläge zu thun, bevor die Sachen noch in grössere Weitläuftigkeiten ausbrechen, und die Licatier durch neue Bündnisse zu mächtig werden mögten. Der Graf, um dem König zu zeigen, daß er nur darauf bedacht sey, ihm und dem Staat zu dienen, bat denselben, dieses Geschäfte ihm anzuvertrauen.

Der König ließ sich zwar den Vortrag des Grafens gefallen, doch bezeigte er ihm auch, daß er seiner Gegenwart nicht gerne lang beraubet seyn mögte, und daß er nicht eher ihm erlauben könte, diese Reise anzutreten, als bis er wieder zu seiner völligen Gesundheit gelanget seyn würde.

Gegen Morgen empfand der König wieder eine Neigung zum Schlaf; man kleidete ihn aus, und legte ihn zu Bette: er schlief, wiewohl [248] nicht so gut als auf der Ruhebank. Nach 10. Uhr stund er wieder auf. Der Graf war bald bey der Hand. Nun kommen Ew. Majestät allmählig wieder in die Ordnung, sprach er zu dem König. Der Thee mit einigen frisch-eingemachten Pomeranzen-Schalen war zum Frühstück bereit. Der König gieng dabey im Schlafrock in diesem kleinen Lust-Gebäude herum: er sah von aussen die anmuthigste Gegend, und von innen die sinnreichste Gemählde, welche mit den nachdrücklichsten Sinnbildern, und Lebens-Regeln bezeichnet waren. Der Graf machte den König unter andern folgende beobachten:

Ein springendes Wasser, dessen in die Luft schiessender Strahl eine Crone in der Höhe erhält: mit dieser Unterschrift; Er erhält. Vermuthlich weiset dieses Sinnbild, sagte der Graf, auf die Göttliche Vorsehung, welche gecrönte Häupter, durch ihre verborgene Macht, in der Höh erhält, ohne welche sie sonst leicht zu Boden stürzen.

Ein von einem Felsen sich herab-stürzender Bach, welcher ein Mühl-Rad treibet, mit den Worten: Lebendige Wasser treiben. Der Graf erklärte dieses Sinnbild, daß das Leben und die Gesundheit des Menschen in einer fortdaurenden Bewegung, und in dem steten Zufluß reiner und frischer Säfte bestünde. Stille Wasser, sprach er, haben insgemein schädliche Dünste; da im Gegentheil rauschende Bäche, die sich von hohen Felsen in die Thäler [249] ergiessen, für die gesundeste gehalten werden. Immer stille liegen, macht den Menschen dickblütig; immer rennen und lauffen erschöpfet die Kräfte. In einer ordentlichen Bewegung aber bestehet das Geheimniß der Gesundheit. Die Gemüths-Ruh müssen wir in uns selbst suchen, sie können von aussen nicht in uns. Angenehme Zufälle erfreuen; widerwärtige betrüben; beyde aber stöhren nicht leicht unsere Gemüths-Ruh, wenn einmahl das Triebwerck unserer Natur in Ordnung ist.

Das dritte, worüber der König selbst eine Auslegung verlangte, war ein Feld voll allerhand Waffen und Rüstungen, in dessen Mitte ein geharnischter Plock stunde, wobey sich Pallas in den Wolken zeigte: mit der Umschrift: Was nutzen diese / wo jene abwesend ist?

Dieses erkläret sich leicht, antwortete der Graf; die Waffen bedeuten Macht und Stärke; wo aber die Weisheit, welche hier durch die Pallas vorgestellet wird, abwesend ist; da kan mit allen Waffen und verkehrten Anstalten nichts ausgerichtet werden. Dieses neben stehende will fast eben dieses sagen: Es ist ein mit vollen Seegeln durch die Meeres-Wellen streichendes Schiff, welches nur von einem Steuermann regieret wird: die Worte sind: Einer regieret alles. Dieses kan unmittelbar von GOtt, mittelbar aber von einem Regenten verstanden werden, wo das Versehen eines einzigen Menschen oft viele tausend [250] unglücklich macht; nicht anders, als ein unverständiger Steuermann, der sich mit so viel Menschen und Gütern, die er auf seinem Schiffe hat, in den Grund seegelt.

Was bedeutet dann, forschte der König weiter, dieses vortrefliche Geschirr, da so viel Leute nach einander kommen, und was sie in ihren Gefässen tragen, hineinschütten; welches aber alles unten wieder durchläuft, und von Kröten, Eidexen, Schlangen und anderem Ungeziefer aufgelecket wird? Die Unterschrift lautet: Wir füllen vergebens. Dieses, allergnädigster König, hat wohl eine nachdenkliche Bedeutung. Der schöne Topf, den Ew. Majestät hier sehen, ist dero Schatz-Cammer: die Leute, die Most und Oel hinein schütten, sind dero Unterthanen: das Loch, wo unten alles durchlauft, zeiget eine üble Haushaltung; und die daherum sich einfindende Ungeziefer, sind die viele Schlemmer und Müßiggänger, die sich an dero Königl. Hofe befinden.

Genug, Graf, sprach der König, ihr solt mir heut kein Sinnbild mehr auslegen: ich sehe ihr seyd ziemlich aufgeräumt, mir die Wahrheit zu sagen. Wolte GOtt! versetzte der Graf, mit einer demüthigen Gebehrdung, ich könte Ew. Majestät nur so viele und wichtige Wahrheiten sagen, daß sie mögten gesünder, ruhiger und der glückseeligste Monarch in der Welt werden: dieses ist der einzige Zweck von meinen freyen Reden. Der König druckte hierauf den [251] Grafen mit einer herzlichen Bewegung an seine Brust: redet nur mit mir, sprach er, als mit eurem Freund: ich sehe wohl, daß ihr aufrichtig seyd, und es gut mit mir meynet.

Nachdem der König hierauf mit dem Grafen ein paar Parthien auf dem Biliard gespielet hatte, kam Herr Hippon mit seinen Magen-stärkenden Tropfen, und bat den König solche einzunehmen.

Als dieses geschehen, ließ der König sich ankleiden, und gieng wieder in den grossen Saal, darinn seine bey sich habende Hof-Bedienten, nebst einigen Herren und Räthen sich befanden. Der König aber behielte, weil er Chur-mäßig leben solte, niemand bey sich zur Tafel, als den Grafen von Rivera, und den Cammerherrn, der die Aufwartung hatte. Die Tafel war klein, und mit wenig Speisen besetzt. Fette Suppen, Fricasseen, Pasteten, Torten, Fische, Mehl-Milch-Back- und Zuckerwerk, zusammt dem Obst, welches der König überaus liebte; imgleichen dicke, süsse und schwere Weine, die jenseit der Gränze von Itrurien wachsen, und von keiner leichten volatilischen Natur sind; alles dieses war hier nicht zu finden.

Der König, als er diese so mager-besetzte Tafel mit Nachdenken betrachtete, und seine liebste Speisen nicht mit dabey fand, fragte den Mund-Koch, wer die Küche so schlecht bestellet hätte? dieser antwortete, der Herr Graf von Rivera habe ihm den Küchen-Zettul gegeben, [252] und der Herr Doctor Hippon hätte selbst ihm kochen helfen. Der König muste über diese Nachricht, die der Mund-Koch mit einer ganz trocknen Art heraus sagte, von Herzen lachen; und als Hippon darauf seine gewöhnliche Stelle hinter ihm, bey dem Mundschenk einnehmen wolte, befahl ihm der König, weil er die Küche so Medicinisch besorget hatte, daß er auch mit essen solte. Die andere Herren wurden angewiesen in einem von den sogenannten Pavillons zu speisen.

Der König aß, ohneracht der wenigen Tractamenten, mit so grossen Appetit, daß seine beyde Gesundheits-Räthe ihm darinn Einhalt thun musten. Nach der Tafel liessen sie, weil es gut Wetter war, des Königs Jagd-Wagen anspannen, und fuhren mit ihm nach dem Wald, wo der Graf einiges Wild hatte zusa en treiben lassen: im Holz liessen sich die Jäger mit ihren Jagd-Hörnern hören, und der König schoß ein paar Rehböck. Den Abend hatte der Graf ein paar vortreffliche Sängerinnen, nebst einigen Königlichen Virtuosen zu einer Cammer-Music bestellet, wobey der König sich überaus vergnügt bezeigte.

Der Graf unterhielt sich bey dieser Gelegenheit eine Weile mit dem alten Einsidler in seinem Zimmer allein. Er empfieng von ihm die beste Lehren, und fragte ihn in den wichtigsten Dingen um Rath. Der Einsidler warnete ihn insonderheit vor der Ehrsucht, als der allergefährlichste [253] Neigung grosser Geister; sie müssen sich, sprach er zu demselben, als ein Werkzeug in der Hand der Göttlichen Vorsehung betrachten; ohne sich selbst deswegen im mindesten etwas von dem guten Fortgang einer Sache zuzuschreiben, noch sich darüber selbst zu schmeicheln. Dann dieses trennet den Menschen von GOtt; und ausser GOtt ist der Mensch eine arme und elende Creatur.

Der Graf war in diesem Fall nicht wie andere junge Leute, die, wenn sie ein blindes Glück erhoben, solches ihrer eigenen Vortrefflichkeit zuschreiben, und in dieser Einbildung so weit gehen, daß sie meynen, sie wüsten bereits alles; und hätten deswegen nicht nöthig, daß man sie noch unterrichte. So grosse Eigenschaften auch in dem Grafen sich beysammen fanden, so hatte er dennoch an sich selbst und an seinen Verrichtungen noch vieles auszusetzen: er bekannt solches dem frommen Einsiedler: Ich habe wohl, sprach er, gute Meynungen und Absichten; allein, ich bin noch weit vom Ziel: ich bin oft mit mir selbst so wenig zufrieden, daß ich schier darüber den Muth verliehre.

Dieses ist wohl, mein liebster Graf, antwortete ihm Pandorest, in gewissen Absichten gut; allein, sie müssen sich dabey wohl in acht nehmen, daß dieses Misfallen ihrer selbst nicht zu weit gehe: es steckt öfters ein subtiler Hochmuth darunter verborgen, welcher nur deswegen mit sich selbst nicht zufrieden ist, weil uns [254] gewisse Gaben und Vollkommenheiten mangeln, damit man gerne sich groß machen, und sich selbst wohlgefallen mögte. Die währe Weisheit entdecket uns die Abhänglichkeit von GOtt, und unser eigen Nichts: sind wir einmahl so weit gekommen, so wird es uns wenig Kummer machen, ob wir wenig oder viel Gaben besitzen: wir sind zufrieden, so lang wir uns einfältig und aufrichtig an GOtt halten; er mag uns zu etwas grosses, oder auch zu nichts in dieser Welt gebrauchen: seine Absichten sind die Regeln unseres Lebens; und wie er uns solche zu erkennen giebt, so müssen wir uns ihnen auch hingeben. Die Einflüsse von oben, welche alles Gute in uns beleben und hervorbringen, mangeln niemahls bey einem rechtschaffenen Eifer, der die Redlichkeit unseres Herzens zum Grunde hat.

Als diese beyde Herren also mit einander redeten, erschallte im grossen Saal die Music. Der Graf nahm daher Anlaß den Einsiedler zu fragen, was er von den gewöhnlichen Lustbarkeiten des Hofes hielte, und ob er wohl meynte, daß ein guter Christ, ohne Verletzung seines Gewissens, daran mit Antheil nehmen könte. Wenn dergleichen Ergötzlichkeiten an und für sich selbst unschuldig sind: antwortete dieser, so seh ich nicht, was man dadurch bey GOtt verdienen solte, wenn man sich ihrer entäussern wolte. Ein jedes Alter und ein jeder Stand aber hat seine gewisse Ergötzlichkeiten, die ihm eigen sind; je älter man wird, je mehr verliehret [255] man davon den Geschmack. Die Sinnen nutzen sich nach und nach ab, und werden stumpf: das zärtliche Gefühl, die Empfindungen der Lust, die Stärke der Einbildungs-Kraft verschwinden; und man kan mit dem alten Barsillai die Stimme der Sänger und Sängerinnen nicht mehr unterscheiden. Unterdessen aber gönnte dieser doch solche Freude noch gerne seinem Sohn, und ließ ihn auch mit dem König David nach Hofe ziehen.

Es sind, fuhr Pandoresto fort, verschiedene Arten der Belustigungen: einige sind ihrer Natur nach unschuldig, und werden, nachdem man sich derselben bedienet, entweder gut, oder böse. Sie sind gut, wann sie die Gesundheit des Leibes befördern, den Geist ermuntern, und das Herz mit edlen und großmüthigen Regungen erfüllen: sie sind böse, wenn sie das Gegentheil wirken, und diejenige heilige Ordnung stöhren, welche GOtt in allen unsern Handlungen will beobachtet wissen. Die beste Sachen in der Welt können durch einen verkehrten und unordentlichen Gebrauch böse werden: die Strafen folgen hier dem Verbrechen auf dem Fusse nach; GOtt strafet dergleichen Laster und Ausschweifungen nicht: sie rächen sich selbst, und strafen die Ubertreter der Göttlichen Unordnungen mit einem ihrem Verbrechen gemässen Leiden: Lasterhafte Leute machen auch die unschuldigsten Ergötzlichkeiten böse: ihnen ist nichts eine Lust, wo die Sünde solche nicht schärfet und abscheulich macht. Die Natur eines vernünftigen [256] Menschen ist ihnen darzu nicht empfindlich genug: sie müssen dabey die Menschheit ausziehen, die Vernunft verliehren und darüber zu einem Vieh werden. Es ist gewiß, daß die unschuldige Belustigungen die sündliche mehr verhindern als verursachen; um aber solche zu kennen, muß man weise und tugendhaft seyn, und die Künste und Wissenschaften lieben.

Wie kommt es aber, fragte der Graf weiter, daß es so viele fromme Leute geben, die schier alle Belustigungen für sündlich halten, und solche deswegen keinem Christen gestatten wollen? Diese Leute, erklärte sich Pandoresto, sind entweder in der That, oder nur zum Schein fromm: Die Erste irren im Begriff, den sie vom Bösen und vom Guten haben: sie wissen nicht, was GOtt, was der Mensch, und was die Welt ist. Der Grund ihres Irrthums hat nichts destoweniger etwas gutes: sie wollen sich an GOtt nicht versündigen: sie fürchten sich deswegen vor der Gelegenheit: wer wolte diese Leute wegen der Zärtlichkeit ihres Gewissens tadeln? das sey ferne. Ich halte das Tanzen und Spielen in gewisser Maaß für eine erlaubte Lust: ich wolte aber keinem, der sich daraus ein Gewissen macht darzu rathen. Viele gehen deswegen nicht in die Schau-Spiele; ohneracht diese Are von Ergötzlichkeit, wenn sie wohl und vernünftig eingerichtet würde, mit unter die nützlichsten und erbaulichsten könte gerechnet werden: Ich sehe daraus, daß die Belustigungen nicht allen Menschen gleich durch erlaubet [257] sind. Zeit, Alter, Stand, Gefahr; und das Gewissen eines jeden Menschen lehren uns, wie weit wir darinnen gehen dürfen.

Was die Schein-Frommen anlangt, die unter der Larve der Heiligkeit die gröste Heuchler abgeben; so pflegen dieselbe insgemein aus gewissen heimlichen Absichten sich der äusserlichen Lust und Ergötzlichkeit zu entschlagen: sie halten sich wegen des Zwangs, den sie sich hier anthun, auf eine Art schadlos, daß sie solchen gegen andere Vortheile reichlich auf Wucher legen. Die heimliche Lust ist ihnen empfindlicher, als die öffentliche Freude: das Ansehen der Weisheit und der Frömmigkeit nähret ihren Hochmuth; und die Sparsamkeit ihren Geitz. Sie sind diejenige, welche der Heyland Mückenseiger und Cameel-Verschlucker nennet, weil sie aus allen Kleinigkeiten grosse Sünden machen, von aussen rein scheinen; inwendig aber voller Unreinigkeit und böser Tücke sind. Dieses sind in der That die gefährlichste Leute in der Welt; die, indem sie, wie die Pharisäer sich durch ihre Scheinheiligkeit über alle die gemeine Schwachheiten erheben, nicht einmahl leiden können, daß sichs andre wohl seyn lassen. Sie machen dem Christenthum, bey Leuten, die Vernunft haben, nur ein böses Ansehen; indem sie die Empfindungen der Natur und der Billigkeit übernhauffen werfen, ohne GOtt und der Religion dadurch die gerinste Ehre zu erweisen.

DGer raf verfügte sich darauf in den Saal, und [258] Pandorest blieb Abends, auf des Königs Befehl, bey der Tafel: er fand solche nicht Königlich, aber gut und mäßig besetzt: eine Suppe, mit ein wenig gestoften Wurzel-Werk, und einigen Braten von zarten Lämmern und Wildpret, wobey an statt des Backwerks, und der Neben-Schüsseln, eingemachte Citronen und Pomeranzen mit Biscuiten sich befanden; dieses war alles. Pandorest nahm deswegen Gelegenheit, allhier eine Lob-Rede der Mäßigkeit zu halten: er unterstützte seine Gründe mit einem lebendigen Beweis an seiner eignen Person. Ich habe bereits, sagte er 87. Jahr in dieser Welt gelebet, und ich empfinde noch nicht die gewöhnliche Schwachheiten eines so hohen Alters. Mein magerer Cörper hat keinen Mangel an Säften: ich nähre darinn keine überflüssige Feuchtigkeiten, und entzünde nicht das Geblüt durch stark-gewürzte Speisen und hitzige Getränke: die einfältige Natur bestellet meine Tafel, und die Furcht vor dem Allmächtigen schützet mein Herz vor unordentlichen Leidenschaften.

O selige Einfalt, fuhr er fort, warum sind wir so weit von dir abgewichen. Wir jagen jetzo uns selbst den Tod in alle Glieder; unsere Köche bereiten uns darzu den süssen Gift, der unsern Geschmack reitzet mehr zu essen, als die Natur verarbeiten kan: was diese noch verschonen, verdirbt die Unwissenheit der Aerzte, und das künstliche Gemengsel der Apotheker. Unsere Zärtlichkeit ist so groß, da [259] sie kaum ein rauhes Lüftgen mehr vertragen kan: es scheinet, als ob das menschliche Geschlecht mit uns aussterben wolte: die geringste Bemühung ermattet unsern schwächlichen Leib, und ein wenig Ungemach wirft uns darnieder: wir haben die wunderlichste Krankheiten, welche den Alten unbekant waren: und wenn wir alles im Uberfluß besitzen, so naget uns die Trägheit, die lange Weil und die Schwermuth. Die Arbeit ist uns eine Pein; die Zeit eine Last, und das Leben unerträglich. Unsere prächtige Palläste sind zu Hospitälern, und die weichste Pflaumen-Federn zu Lägern der Kranken worden. Wir sind zu allen grossen Thaten, durch welche die Helden der vergangenen Zeiten sich vergöttert haben, untauglich. Wir sinken schon zur Erden, wenn man uns nur die gewohnte Gemächlichkeit, die weiche Küssen, und die niedliche Speisen entziehet. Unsere Kräfte sind bereits verschwunden, ehe wir noch in das rechte männliche Alter kommen; und unsere Gemüths-Bewegungen werden desto stärker, je zärtlicher wir den Cörper pflegen. Gegen alle diese Feinde unseres Lebens, unserer Ruh und unserer Glückseligkeit, schützet uns nichts als die Mäßigkeit.

Pandoresto setzte diesen Anmerkungen, welche uns eine traurige Erfahrung lehret, die Geschichte eines berühmten Adriatischen Edelmanns hinzu: von welchem er erzehlte, daß er bis in die vierzig Jahre der elendeste und kränklichste Mensch von der Welt gewesen wär; und der nichts destoweniger, nachdem [260] ihn schon alle Aerzte verlassen hatten, nechst GOtt, durch das einzige Mittel der Mässigkeit sein Leben in beständiger Gesundheit, in allem Vergnügen und bey einem vortreflichen Verstand, über hundert Jahre hingebracht hätte.

Diese Exempel gefielen dem König wohl, allein die Nachfolge machte ihm Qual; es kam ihm überaus schwer an sich unter den Zwang einer solchen Tugend zu setzen, zu deren Ubertrettung ihn alles zu reitzen schien. Dem ungeachtet, so wuste es der Graf von Rivera durch seine lebhafte Vorstellungen und artige Manieren bey dem König dahin zu bringen, daß er sich den Regeln der Mässigkeit unterwarf.

Der König fand sich in kurzer Zeit dadurch so wohl, als er je zuvor gewesen war. Der Graf brachte damahls auch seine beide Freunde, den Herrn von Greenhielm und den Herrn von Riesenburg, welche nebst dem Herrn von Ridelo ihn zu besuchen gekommen waren, vor den König. Dieser empfieng sie auf das leutseligste, und befahl, daß man dem Fremden alle ersinnliche Ehre bey seinem Hof erweisen solte: Den Herrn von Riesenburg aber erklärte er, wegen seiner im letzten Feldzug bezeigten Tapferkeit, zu seinem wirklichen Cammerherrn, und gab ihm dabey die Anwartung auf das nechste Regiment. Er wolte sie damit an die Marschalls-Tafel verweisen, mit dem Zusatz, daß er [261] sie gerne bey der seinigen behalten wolte, sie würden aber jene besser bestellet finden; Der Graf von Rivera sagte hierauf, daß, wo der König diesen Herren sonst die Gnade thun wolte, sie mit sich an seiner Tafel speisen zu lassen; so würde die mittelmäßige Bestellung derselben sie nicht hindern, dieser Ehre zu geniesen: Der Graf aber hatte dismahl ein paar Trachten mehr aufsetzen lassen, dieweil sie unverfänglich waren, dem König nicht übel bekamen; zumahl da er den Nachmittag darauf in Begleitung dieser und anderer Herren sich mit Jagen belustigte.

Diese Kennzeichen der wiederherstellten Gesundheit des Königs machten, daß sich nach etlichen Tagen der Graf bey demselben beurlaubte, und wieder nach Panopolis sich verfügte; um daselbst mit dem Herzog von Sandilien, wegen seiner vorhabenden Reise und dem mit dem König von Licatien zu schliessenden Frieden die nöthige Rathschläge zu pflegen.

Dieser oberste Staats-Minister war dem Grafen von Natur nicht abhold; er war nur deswegen ihm nicht völlig gewogen, weil er verursachte, daß seine Base nicht Königin werden wolte. Die Entfernung des Grafens schmeichelte demnach seinen Absichten besser, als wenn er beständig bey Hofe und bey dem König bleiben würde. Er lobte deswegen seinen Eifer für den Dienst des Königs und hies alle dessen Rathschläge gut: Er gab ihm dabey alle Kennzeichen [262] einer wahren Freundschaft und Hochachtung. Der Graf wuste schon, wie weit er diesen Versicherungen des Herzogs zu trauen hatte. Doch erinnerte er sich, daß ihm der Herzog das Leben bey dem König gerettet hatte; er ließ ihm deswegen ein so aufrichtiges und von der lebhatesten Erkänntlichkeit durchdrungenes Gemüthe sehen, daß der Herzog, wenn er auch gewolt hätte, ihn nicht hassen konte.

Als der König hierauf, sich wiederum, mit völlig hergestellter Gesundheit, zu Panopolis eingefunden hatte, trat der Graf seine Reise nach Licatien mit Vergnügen an. Er empfahl dem König den Freyherrn von Riesenburg, als einen Cavalier, auf dessen Eifer und Treu er sich verlassen könte. Den Herrn von Greenhielm aber, welchen der König seiner Gefangenschaft entlassen und noch darzu mit einem kostbaren Degen beschenket hatte, nahm er mit sich zu sei nem Reise-Gefährden.

Das zehende Buch

[263] Das zehende Buch.

Der Graf von Rivera hatte noch nicht viel über vierzehen Meilen zurück geleget, als er den Tag nach seiner Abreise auf ein Dorf kam, wo die Post wechselte. Es war allda Kirchweih. Der Graf hatte ein kleines Mittagmahl bestellet, und gieng mittlerweile, daß darzu die Anstalten gemacht wurden, mit seinem Reise-Gefehrden nach der Wiesen, wo die junge Bauern und Bäuerinnen ihren Reyhen tanzeten. Sie hatten Kränze auf den Häuptern, und hüpften mit so natürlichen Sprüngen und Bewegungen um den Dudelsack, und ein paar kreischende Feld-Schalmayen herum, daß der Graf solches mit Vergnügen ansah; ein paar Ducaten, die er einem alten Greisen in den Hut warf, um dieses Fest damit zu verherrlichen, machten, daß man ihm den ersten Platz einräumte, und ihn mit Verwunderung betrachtete; denn das Gold war an dasigem Ort keine gar bekante Münze.

Der Graf kam mit dem Herrn von Greenhielm nicht weit von zwey Frauenzimmern zu stehen. Ihre vortreffliche Gestalt und ungemein nette Kleidung machte, daß er sie näher betrachtete; sie verbargen aber ihre Gesichter mit ihren Fächern, weil sie in der Sonne stunden: [264] der Graf warf insonderheit seine Augen auf die jüngste: er hatte nie einen niedlichem Aufputz gesehen: ein kleiner Hut von schwarzem Sammet, mit einem weissen Federbusch bedeckte das mit langen Haarlocken gezierte Haupt: ein von Lichtblauen Sammet, über den Leib dicht-angeschlossenes Kleid, reichte bis unter die Hüften, worunter ein von blaß-Rosenfarb mit silbernen Zügen und Bendelwerk gestickter Rock sich zeigte, welcher nicht so gar lang war, daß er nicht zugleich den schönsten Fuß hätte sehen lassen.

Alles dieses fiel dem Grafen mit solcher Verwunderung in die Augen, daß er sich nicht entbrechen konte, dieser Person sich zu nähern. Sie hatte ihn aber kaum erblicket, so that sie einen lauten Schrey, verlohr auf einmahl ihre Farbe, und sank der andern Dame, die neben ihr stund, in die Arme.

Dieses verursachte unter dem Volk ein schnelles Zusammenlauffen: man trug sie mehr, als man sie führte; und brachte sie in ein nah-gelegenes Haus. Der Graf drang mit dem Volk dahin. Ein Jäger stellte sich vor die Thür und wolte niemand einlassen: der Graf aber, welchen ein verborgener Trieb aufgebracht hatte, fragte ihn nicht lang: er faßte ihn bey dem Arm und schlenkerte ihn so hurtig von seinem Posten weg, daß dieser nicht wuste, wie ihm geschah. Er kam damit in das Zimmer, wo diese Schöne der andern Dame im Schoose lag: wie groß war nicht dessen Bestürzung, als er hier die Gräfin von [265] Monteras und Asmenien erkannte. Der Hut war der Gräfin abgefallen: ihre Haare hiengen in einer natürlichen Unordnung um ihr erblaßtes Angesicht: Die Brust war etwas mehr als sonst entblöset: Niemahls hat man etwas reitzendres, niemahls etwas schöners gesehen: der Graf war für Entzückung ausser sich: er lag zu ihren Füssen, und hatte sie an ihre beyde Hände gefasset: auf welche sein Mund alle Leidenschaft, die er empfand, abzudrucken schien. Die Gräfin kam darauf wieder zu sich selber: ihre halb-gebrochene Augen öffneten sich. Ach, Herr Graf! sagte sie mit einer schwächlichen Stimme, warum kommen sie an diesen Ort? Ich meynte sie nimmer wieder zu sehen.

Gnädige Gräfin, gab der Graf zur Antwort, ein unerforschliches Schicksal, und nicht einiger Vorsatz, führet mich hieher, um ihnen, vor meiner Abreis aus diesem Königreich, noch diejenige Ergebenheit zu bezeigen, damit ich dieselbe unendlich verehre. Wie, Herr Graf! versetzte die Gräfin, voller Verwunderung, wie schicket sich denn diese Reise für einen Verlobten der Herzogin von Salona? Ich! antwortete der Graf, ich ein Verlobter der Herzogin von Salona? wer hat Ew. Gnaden dieses Gedichte vorgesagt? die Gräfin antwortete: Mein Oheim der Herzog von Sandilien; welcher mich zugleich versichert, der Herr Graf würden nach geendigtem Feldzug ohnfehlbar mit dieser Herzogin sich vermählen. Der Graf betheuerte ihr, daß er [266] von keiner Verbindung, weder mit der Herzogin von Salona, noch mit einer andern, etwas wisse; und daß es ihn wunder nehme, wie die Gräfin nicht besser von den Neuigkeiten des Hofes unterrichtet wär. Die Herzogin von Salona seye mit einem Alemannischen Prinzen versprochen: ihn selbst aber hinderte eine grausame Pflicht, ihr von dem Zustand seines Herzens nähere Nachricht zu geben.

Der Graf hatte seine meiste Leute mit dem Gepäck voraus geschicket; sein bey sich habendes Gefolg bestund nur aus einigen Leib-Dienern: bey diesen erkundigte sich das neugierige Volk nach ihrem Herrn: der Graf aber hatte ihnen bereits verbotten, daß sie ihn nicht solten zu erkennen geben.

Weil es Mittag war, wolte das Land-Volk gern ihre Gräfin speisen sehen. Jung und Alt hatten sich darauf gefreuet: man verehrte sie wegen ihrer Leutseligkeit in der ganzen Gegend, nicht weniger als die Heyden eine ihrer Gottheiten. Der Graf und die Gräfin hatten sich einander so viel zu erzehlen, daß sie nicht so bald sich wieder trennen wolten; sie giengen deswegen zusammen in dasjenige Haus, wo man für die Gräfin das Mittagmahl bereitet hatte. Die junge Baurendirnen lieffen mit ihren Eltern neben her. Ach, was ein schöner Herr! ach, was ein schönes Paar! hörte man sie von allen Seiten ausrufen.

[267] Es war für die beyde frembde Herren mit aufgedeckt. Der Herr Caplan und ein Beamter hatten die Ehre, die Gräfin an der Tafel zu bedienen. Diese sowohl, als der Graf, konten ihre Neigungen vor so vielen Augen, die auf sie gerichtet waren, kaum verbergen: sie waren allzuvergnügt beysammen zu seyn: ihre Blicke sagten sich solches einander mit einer ungemeinen Lebhaftigkeit. Der Caplan, der ein starker wohl ausgemästeter Bruder war, und dem die Wollust aus seinem dicken rothen Kopf mehr als die Geistlichkeit leuchtete, beobachtete diese geheime Verständniß: er bekümmerte sich deswegen am meisten zu erforschen, wer dieser vornehme Herr wär. Er erfuhr aber weiter nichts, als daß er ein Befreundter von der Gräfin sey.

Die Dorf-Music mit ihrem Dudelsack ließ sich darauf vor dem Hause hören: man stund von der Tafel auf: die vergnügte Bauern-Jugend schloß wieder ihren Reyhen, und sang darunter mit Freuden ihre unschuldige Hirten-Lieder.

Während dieser Kurzweil bezeigte der Graf ein grosses Verlangen von der Gräfin zu vernehmen, wie es ihr seit der Zeit ergangen wär, als er sie zum letztenmahl in Prato gesehen hätte; und was sie bewegte, so einsam in dieser Gegend auf einem abgelegenen Meyer-Hof ihr Leben zuzubringen. Die Gräfin hatte gleiche Begierde auch des Grafens Begebenheiten zu wissen: sie erzehlten sich solche einander; der [268] Graf vergaß nicht, einige Umstände mit in seine Erzehlung zu setzen, daraus die Gräfin die Beständigkeit seiner Liebe urtheilen konte; die Gräfin aber hielt ihre Schamhaftigkeit zurück, dem Grafen alles dasjenige zu entdecken, was sie bisher seinetwegen gelitten hatte: Asmenie nahm deswegen hier das Wort.

Nachdem meine Gräfin, begunte dieselbe ihre Erzehlung, von ihrer Krankheit wieder so gut als genesen war, und nur verlangte wieder zu ihrer Frau Mutter nach Prato zu gehen; so brachte ihr der Herzog von Sandilien die Nachricht, daß zwischen dem Herrn Grafen und der Herzogin von Salona eine Heyrath im Vorschlag wär, damit dem König die auf sie geworfene Eifersucht aus dem Sinn mögte gebracht werden.

Wir hörten kurz darauf von eben demselben, daß diese Heyrath so gut als richtig sey. Meine Gräfin könte darüber ihre Empfindung nicht bergen: sie liebet den Herrn Grafen auf eine Art, daß ich solches ihre einzige Schwachheit nennen müste, wenn dieselbe einer so ausnehmenden Hochachtung weniger würdig wären. Sie suchte nichts destoweniger in dieser Neigung sich zu überwinden, und den Herrn Grafen aus ihren Gedanken zu schlagen. Die Liebe des Königs dünkte ihr eine würdige Rache zu schenken: sie stellte sich solche mit allen denen Annehmlichkeiten vor Augen, welche sie begleiteten, und die so leicht ein junges und hochmüthiges Herz zu rühren fähig sind.

[269] Die zarte Regungen, die sonst ihr Gemüth mit Huld und Güte durchdrangen, verwandelten sich bey ihr in eine stolze Heftigkeit. Sie fand in ihrer vermeinten Verachtung gegen den Herrn Grafen etwas edelmüthiges und grosses. Wohlan! leichtsinniger Graf, sprach sie, kostet es ihn so wenig, sein Herz einer andern zu schenken, so soll das meinige nicht niederträchtiger seyn. Ich will dem König Gehör geben, er ist meiner um so viel würdiger, weil er mich liebet.

In dieser Entschliessung kam sie zu dem Herzogen: sie wolte ihm die hurtige Veränderung ihres Gemüths entdecken; allein die Liebe lachte über dieses Vorhaben. Die Gräfin wuste nicht, daß sie nur deswegen so sehr aufgebracht war, weil sie von einer starken Leidenschaft beherrschet wurde; diese hatte allein das Feuer in ihrer Brust entzündet: Der Eifer war zu groß für ein Herz, das sich von der Liebe frey machen wolte.

Der Herzog vermerkte ihre Unruh: wenn werd ich euch, liebste Base, sagte er zu ihr, wieder ruhig sehen? wo ist das muntere und vergnügte Wesen, das euch ehedem belebet hat? Ach! lasset euch doch einreden; vergesset den Grafen von Rivera; ihr verdienet noch wohl einen beständigen Liebhaber. Ich, gnädiger Herr! antworte sie ihm, mit einer verächtlichen Mine, ich solte mich noch um den Grafen von Rivera bekümmern, nachdem er sich entschlossen [270] hat, die Herzogin von Salona zu heyrathen? Nein, fürwahr. Sie haben auch gar zu geringe Meynungen von mir. Wohlan! erwiederte der Herzog, so wird es euch also nicht ferner mehr schwer ankommen, den König zu lieben? Die Gräfin erröthete auf diese Worte: ihr ganzes Vorhaben verschwand mit einmahl, da der Herzog eine solche Erklärung von ihr verlangte: sie war verwirrt und wuste nicht, was sie sagen solte: allein der Herzog entwickelte leicht ihr ganzes Geheimniß. Gehet, sagt er, meine Tochter, ihr habt für den Grafen von Rivera noch keine solche Verachtung, wie ihr euch einbildet: ihr würdet sonst nicht so sehr den König fürchten, der euch die Ehr anthut euch zu lieben; mittlerweile, daß der Graf so wenig nach euch fraget.

Diese letzte Worte schnitten meiner Gräfin durchs Herz. Die Schönen in der Welt sind nicht darzu gebohren, daß sie sich können verachtet sehen; und wenn sie einem alles verzeihen, so übersteiget ihre gröste Gütigkeit doch niemahls die Beleidigung einer verschmäheten Liebe. Die Augen der holdseligen Gräfin wurden von einem fremden Feuer entzündet: Die Wangen durchlief ein wallendes Blut, welches ihr ganzes Gesicht mit Purpur färbte: sie schämte sich vor ihrem Oheim, daß er ihr so niederträchtige Empfindungen vorhielt: sie wolte lieber aus Grosmuth ehrsüchtig, als aus Liebe schwach scheinen: Sie versicherte deswegen ihren Oheim mit einem stolzen Eifer, daß wenn [271] sie so leicht den König lieben, als den Grafen von Rivera vergessen könte, so würde sie den Absichten, die man mit ihr hätte, ferner nicht widerstreben.

Nach diesem Gespräch begab sich die Gräfin in ihr Zimmer: die zurückgehaltene Bewegung der stärksten Leidenschaften, brach hier auf einmahl aus: das Herze war davon ganz beklemmt, die Augen öfneten also ihre verborgene Quellen, und stürzten die Schmerzen ihres Gemüths in einen Bach von Thränen aus: sie weinte heftig. Glückselige Thränen, die den sonst nicht erträglichen Kummer zertheilen, und der bedrängten Brust Luft und Erleichterung verschaffen.

Das Gemüth der Gräfin gerieth auf die Vergiessung so vieler Zähren in eine sanfte Stille. Die Traurigkeit wurde bey ihr an statt des vorempfundenen Leidens, ein mit Ruh und Schwermüthigkeit vermengter Zustand: sie suchte die Einsamkeit: alle Menschen waren ihr zuwider: kaum daß sie mich noch um sich leiden mogte.

Asmenie! sagte sie zu mir, ich bin der Welt müde: liebt ihr mich ein wenig, so redet mir von nichts anders, als wie man sich von ihr absondern, und sie verachten soll. Wir wollen wieder nach Prato gehen, und daselbst uns dem [272] Umgang aller Menschen entziehen. Wir wollen uns den Sommer über auf unsern nah-gelegenen Meyer-Hof begeben, und uns daselbst von den peinlichen Eitelkeiten des Hofs zu befreyen suchen. Wir wollen unser süsses Sayten-Spiel bald in den Waldern erklingen lassen, bald unsre Stimmen mit dem hellen Laut der singenden Vögel vermengen. Bald sollen uns die junge Hirtinnen ihre Reyhen tanzen, und die Hirten darzu ihre Flöten spielen: wir wollen zuweilen den grossen Teich, dessen breiter Canal bis nach Prato leitet, mit einem kleinen Kahn beschiffen, und den gestrickten Hahmen in den Grund senken, um Fische zu fangen; zuweilen wollen wir uns auf einen leichten Wagen von zween Rädern setzen, und damit die Wälder und Auen durchfahren. Vor allen Dingen wollen wir gute Bücher mitnehmen, und uns bald mit anmuthigen Geschichten, bald mit guten Lehren unterhalten; der Welt ihre Thorheiten aber von weitem belachen.

Ich ließ meine Gräfin diese sie vergnügende Fantasien ruhig entwerfen: ich war froh, daß sie etwas gefunden hatte, damit sie ihr Gemüth ein wenig beruhigen konte. Ich setzte selbst noch einige anmuthige Bilder mit in den süß-gemachten Entwurf dieser uns vorgenommenen neuen Lebens-Art; worunter ich auch den Scherz mit einmengte, daß wir gleichwohl eine gewisse Verfassung machen müsten, wenn ungefehr ein Cavalier, wie der Graf von Rivera, in unseren einsamen Gefildern sich verirren mögte, [273] wie wir denselben empfangen wolten; denn, fügte ich hinzu, da wir das alte Arcadien, bey unserm Land-Leben wieder einführen wollen, so könte uns auch leicht der Possen wiederfahren, daß ein getreuer Schäfer bey uns sich einschleichen, und das zarte Herz meiner schönen Gräfin in neue Gefahr setzen mögte.

Sie versicherte mich, daß sie dieses am wenigsten zu fürchten hätte, weil sie nimmermehr von einer so unglückseligen Neigung, wie die Liebe wär, sich wieder einnehmen lassen würde. Wie werden wir aber von Panopolis wegkommen, fragte ich sie weiter? Meine anhaltende Unpäßlichkeit, sagte sie, wird mir zu einem hinlänglichen Vorwand dienen, wieder nach Prato zurückzukehren. Meine Frau Mutter wird mir sodann leicht vergönnen, mich von da nach unserem Meyer-Hof zu begeben, um dadurch sowohl den Zuspruch des Königs, als seiner Höflinge zu vermeiden.

Die Gräfin eröffnete darauf dieses Vorhaben dem Herzogen: er willigte ungerne darein, sie wieder von sich zu lassen; denn er liebete sie sehr; sie wuste ihm aber solche Vorstellungen zu machen, und sich dabey so muthlos zu gebehrden, daß er sie endlich wegreisen ließ. Er hat uns seit dem öfters in unsrer Einsamkeit besucht, und seiner Basen, da er gesehen, daß ihre Gesundheit sich hergestellet hatte, des Königs halber sehr angelegen; allein, sie bat ihn beständig, ihre Ruhe nicht zu stöhren, und stellte ihm dabey [274] vor, daß ihre Gemüths-Art, sich zu nichts weniger als zu einer Königin schickte. Der Herzog sah wohl, daß dieses nur blosse Ausflüchte waren; er muste sich aber damit abweisen lassen. Je hochmüthiger sich hierbey ihr Herz gegen den König erklärte; desto gütiger war solches, wenn sie des Herrn Grafens sich erinnerte. Dieses geschah so oft, daß ich öfters darüber mit ihr scherzte: sie sprach von nichts lieber, sie erkundigte sich um alles, was man von ihnen sagte, und was ihnen begegnete.

Wir erhielten einsmahl die Nachricht, daß sie bey dem letzten Haupt-Treffen in grosser Lebens-Gefahr gewesen wären: wir lasen solches in den gedruckten Zeitungen. Dieses setzte die Zärtlichkeit meiner Gräfin in ungemeine Bewegung. Ach! seufzete sie, wenn nun der Graf geblieben wär, würde ich mir die Schuld davon nicht beyzumessen haben? er wär nimmermehr solcher Gefahr ausgestellt worden, wenn des Königs Eifersucht ihn nicht suchte aus dem Weg zu räumen. Ach, unglücklicher Graf! fügte sie hinzu, hätte ich ihn doch nie geliebet.

Als sie nun bey ihrer Zurückkunft die Nachricht erhielt, daß sie an die Herzogin von Salona sich würden trauen lassen, so hatte sie wieder eine andere Art von Bekümmerniß; und allem Ansehen nach wird das Vergnügen, welches sie jetzo empfindet, den Herrn Grafen noch frey zu wissen, sie doch nicht völlig beruhigen.

[275] Die Gräfin und der Herr von Greenhielm gesellten sich darauf wieder zu dem Grafen: dieser hätte gern die Gräfin bis auf ihren Meyer-Hof begleitet; allein die Umstände wolten es nicht erlauben. Er gieng deswegen mit ihr und Asmenien nur bis ein Stückwegs vor den Flecken: die Luft war nach der damahligen Zeit schon ziemlich rauh: diese beyde Damen aber waren derselben nicht mehr so entwöhnet, als das Frauenzimmer in den Städten. Der Graf und die Gräfin konten sich einander bey dieser Gelegenheit ihre Regungen nicht bergen. O, wie beredt waren hier ihre Augen! wie schön schmeichelte die Liebe! wie schmerzte der Abschied! wie grausam schien ihnen der Zwang, damit sie sich verstellen musten! der Graf küßte darauf der Gräfin die Hand, und brachte sie auf ihre Gutsche: sie hatte die Augen voll Thränen, und in dieser mehr als zärtlichen Bewegung schieden sie von einander.

Der Graf war unterwegs immer in tiefen Gedanken: der Herr von Greenhielm scherzte darüber mit ihm. Der Graf bekante ihm seine Empfindlichkeit: er hielt dafür, daß wir Menschen über die Regungen unseres Herzens nicht Meister wären: doch müste die Tugend und die Redlichkeit allen unordentlichen Ausschweiffungen Maaß und Ziel setzen.

Endlich kamen diese beyde Herren nach Toscana, allwo sie unter den zärtlichsten Versicherungen einer immerwährenden Freundschaft und [276] Hochachtung von einander Abschied nahmen. Der Herr von Greenhielm verfolgte seine Reise nach Scandinavien; der Graf aber, nachdem er in Toscana die nöthige Pässe erhalten, begab sich an den Licatischen Hof, nach Mönnisburg.

Er wurde von dem König auf das leutseligste empfangen, und hatte das Glück, sich über eine Stunde lang allein mit ihm zu unterreden. Der König verwunderte sich, daß der Graf in verschiedenen Umständen besser, als er selbst, von den Angelegenheiten seines Reichs unterrichtet war.

Ich komme, sagte der Graf zu demselben, Ew. Majestät gleiche Vortheile vor dero Reiche und Völker anzutragen, als ich für diejenige meines allergnädigsten Königs zu erlangen suche. Ich weiß, daß die Rechte der Majestäten heilig sind, und daß der Krieg für das einzige Mittel gehalten wird, ihre Streitigkeiten aus einander zu setzen; dieses Mittel aber ist immer der grösten Gefahr unterworfen: man muß endlich doch wieder Friede machen, und diese Nothwendigkeit zwinget sodenn die streitende Machten, dasjenige nach vielem Blutvergießen einzugehen, was sie zuvor mit weit geringeren Kosten, und mit Erhaltung der gemeinen Ruh, hätten thun können.

Daß die öffentliche Versammlungs-Plätze, wo man die Zwistigkeiten der Potentaten zu erörtern pflegt, nicht allemahl einen gewünschten [277] Ausgang haben, solches zeiget die Erfahrung. Es sind insgemein dabey zu vielerleiy Leute, die darunter ihren Nutzen finden, wenn sie die Tractaten fein weit hinaus spielen: die Herren Rechts-Gelehrten kommen auch dabey mit in die Anfrage, und wo diese erst mit einander sich in einen Feder-Krieg verwickeln, da ist der Knote nicht anders mehr, als durch einen Gordianischen Schwerd-Streich zu lösen. Bey solchen Tractaten muß man über dem stets neue Berichte von den Höfen einholen: der Rang und die Vorrechte der hohen Häupter verursachen auch öfters ein unnützliches und weitläuftiges Gezäncke; wodurch die Gemüther der Regenten mehr zum Krieg, als zum Frieden gereitzet werden. Es kommen unterdessen auch allerhand Zwischen-Fälle, welche die Unterhandlungen verwirren, oder doch wenigstens aufhalten: Zeit und Unkosten gehen darüber verlohren, und keiner weiß, woran er ist.

Diese und dergleichen Umstände, fuhr der Graf fort, haben meinen allergnädigsten König bewogen, an Ew. Königl. Majestät, mich in möglichster Eile abzusenden, und mich dahin zu bevollmächtigen, daß alles, was ich in dero höchsten Namen mit Ew. Königlichen Majestät schliessen würde, für genehm, und ausgemacht solte gehalten werden.

Der König bezeigte hierauf dem Grafen, daß es ihm lieb wär, daß der Aquitanische Hof ihm wegen der mit ihm obschwebenden Streitigkeiten [278] einige Friedens-Vorschläge wolte thun lassen; und war ihm darzu die Person des Herrn Grafens um so viel angenehmer, weil er bisher viel gutes und rühmliches von ihm gehöret hätte.

Als nun der Graf darauf seinen Vortrag gethan und dessen Vorstellungen auch dem König einzuleuchten schienen; so bat er den König, solche näher zu überlegen und ihm die Gnade zu erweisen, die Sache selbst, nach seiner eignen hohen Einsicht, mit ihm abzuthun; allein, der König wolte sich darauf in keine Wege mit dem Grafen einlassen; sondern verwies ihn disfalls lediglich an seinen obersten Staats-Minister, den Fürsten von Kärndtenburg.

O ihr stolze Beherrscher dieser Erden, dachte hier der Graf bey sich selbst, seyd ihr denn nur deswegen der Völker Herr und Haupt, um eure Tage in Wollust und Müßiggang zuzubringen? Er bedauerte heimlich diesen Monarchen, dem die Natur Vernunft und Gaben genug verliehen hatte, seine Staaten selbst zu beherrschen, und der aus blosser Weichlichkeit, welche von der Gewohnheit und einer üblen Erziehungs-Art herrührte, sich aller Geschäften entschlug; und nur deswegen König war, weil auch seine Vorfahren waren Könige gewesen; gleich als ob man mit der blossen Geburt, zugleich auch die Weisheit bekäm, Völker zu regieren.

Der Graf von Rivera muste sich also gefallen [279] lassen, mit seinen Friedens-Vorschlägen zu dem Fürsten von Karndtenburg zu gehen. Dieser hatte zwar Einsicht und Verstand; allein, noch weit mehr Einbildung und Hochmuth: ein stolzes aufgeblasenes Wesen begleitete alle seine Handlungen: seine Geburt, sein Glück, sein Gestalt, seine Würde und sein Pracht, gaben ihm das Ansehen einer ungemeinen Hoheit, welche so wohl der Hof als das Volk verehrte, und die gewisser massen der König selbst fürchtete. Niemand unterstund sich also ihm entgegen zu reden: was er wolte, das muste geschehen: Man konte noch sicherer den König selbst beleidigen, als ihn.

Weil der Graf ihn gleichsam war vorbey gegangen, indem er sich mit seinen Vorschlägen gerad an den König gemacht hatte; so gedachte jetzo der Fürst demselben die Wichtigkeit seiner Person recht in die Augen zu stellen. Der König hatte den Grafen mit der grösten Leutseligkeit empfangen; hier aber machte ihm der Minister eine spreustige Mine: er warf den Kopf, welcher in einer grossen auf beyden Seiten über den Bauch herunter hängenden Staats-Perrucke eingehüllet war, aus Hochmuth so weit zurück, als die Majestät des Monarchens, aus Freundlichkeit, vor dem Bevollmächtigten eines grossen benachbarten Königs, sich geneiget hatte. Der Graf zeigte dem Fürsten hierüber nicht die geringste Empfindlichkeit: seine Gebehrden waren von Natur frey und ungezwungen: er konte so wenig niederträchtig, als lächerlich-hochmüthig [280] seyn. Er sahe bald, daß er bey diesem Minister nicht viel ausrichten würde. Der Geist dieses Fürsten kam ihm um so viel kleiner vor, je grösser und schwülstiger derselbe sich seinen Augen darstellte: Selten, daß ein so aufgeblasener Cörper die Herberge einer weisen Seele ist.

Der Graf durchgieng dem ungeacht mit ihm die Ursachen, die den Krieg zwischen den beyden Cronen veranlasset hatten, und zeigte gantz natürlich, wie solche am leichtsten zu heben, und ein dauerhafter Friede mögte geschlossen werden; allein, der Fürst wolte alles besser wissen, und konte nicht leiden, daß sich der Graf anmassete, so viel Verstand zu haben; er verwarf dessen ganzen Plan, und wolte durchaus in allen Stücken nachgegeben haben.

Der Graf muste also hier auf andre Mittel sinnen, seinen Zweck zu erreichen: er sahe wohl, daß in solcherley Geschäften, ganz ohne List nicht wohl fortzukommen war. Der Endzweck macht öfters eine Sache gut, oder bös. Der Graf hatte die beste Absichten von der Welt. Er wolte niemand schaden, sondern vielmehr, wenn es in seiner Macht stünde, aller Menschen Wohlfahrt befördern helfen.

Er war nicht der Meynung, seinem König fremde Völker zu unterwerfen; er suchte es nur dahin zu bringen, daß er seine eigne in Ruh und Friede beherrschen mögte. Er hielt den Eroberungs-Geist [281] der Monarchen für den grösten Verderber des menschlichen Geschlechts. O, ihr Könige! pflegte er zu sagen, ist es nicht genug, daß ihr eure eigene Unterthanen durch eine böse Regierungs-Art in das Verderben stürzet? müsset ihr auch noch andere Menschen suchen, eurer Tyrannischen Bottmäßigkeit zu unterwerfen? gleich als ob die höchste Ehre gecrönter Häupter darinn bestünde: daß sie viele Länder beherrschten, und viele Völker unglücklich machten.

Des Grafens Endzweck gieng also blos allein auf die Erhaltung der gemeinen Ruh: er suchte solche durch unumstößliche Bündnisse mit den benachbahrten Staaten zu befestigen. Er war zu dem Ende darauf bedacht, ihnen allen Argwohn zu benehmen, als ob man ihre Gerechtsame verletzen, oder nicht aufrichtig mit ihnen handeln wolte: er suchte es mit der Zeit dahin zu bringen, daß bey entstehenden Zwistigkeiten der Nachbarn, der Aquitanische Hof sich ins Mittel schlagen, und sich dadurch das Ansehen eines Schieds-Richters erwerben könte. In welchem Fall nicht allein die Macht seines Königs und die Ruhe seines Reichs gesichert wär, sondern auch unsägliche Kosten könten erspahret werden, die zu vielerley Kriegs-Rüstungen, Gesandtschaften, Bestechungen anderer Höfen, und dergleichen, aufgewandt würden.

Der Graf erkundigte sich in diesen Absichten genau um den Zustand des Licatischen Hofes [282] weil dieses Königreich, nebst Hesperien, das gröste und wichtigste war, welches an die Aquitanische Gränzen stieß; so kam es vornehmlich darauf an, die Sicherheit des Königreichs gegen zwey so mächtige Nachbarn zu bewahren.

Er machte zu dem Ende mit allen Grossen des Licatischen Hofes Bekanntschaft; und suchte sie durch allerhand Mittel zum Vortheil seiner Absichten zu stimmen: er fand überhaupt, daß der König übel bedienet war. Alle dessen Befehlshaber vom obersten bis zum untersten suchten nichts als ihren eignen Nutzen, auf Unkosten des Staats; alle misbrauchten schier der Güte ihres allzuviel nachsehenden Königes: es war kein Hof in der Welt, der so viel vornehme Bedienten ernährte, welche gleichsam die öffentliche Schmelz-Tiegel der Reichthümer und Schätze des Landes waren.

Der Graf hatte einen jungen Edelmann bey sich, der ein Cheruscer von Geburt war, und die vornehmste Europäische Sprachen verstund: er besaß viele Wissenschaften, und hatte dabey einen aufgeweckten und verschmitzten Kopf: dieser gieng in die vornehmste Caffee- und Spiel-Häuser, und war in allen Gesellschaften angenehm: er hörte, was die Leute sprachen, und urtheilten: er gab sein Bedenken mit darzu, und machte sie dadurch treuherzig auch gegen ihn sich desto vertraulicher heraus zu lassen: er brachte auf diese Weise dem Grafen täglich eine Menge dienlicher Nachrichten nach Haus, welche [283] ihn allesamt versicherten, daß das Licatische Volk über die bißherige grosse Auflagen äusserst schwierig, und dergestalt gegen die Regierung aufgebracht wär; daß solches, wenn es nur noch ein wenig stärker angegriffen würde, allem Vermuthen nach, sich empören, und alle Anschläge des Hofes zu nichte machen dürfte.

Der Graf schrieb deswegen an seinen König, daß man in ganz Aquitanien neue Kriegs-Rüstungen machen, frische Völker anwerben, und mit einigen benachbarten Höfen gewisse Bündnisse schliessen mögte, auf erforderenden Fall eine Anzahl Hülfs-Völker zu stellen: man folgte seinem Rath: die Drommel wurde durch das ganze Königreich gerühret: die Flotten wurden ausgerüstet und in See gebracht: die Gränz-Vestungen mit neuen Werken versehen: die Hetrurier, Cheruscer, Hermundurer, Battaver und Britannier setzten sich in Waffen: man hörte aller Orten von nichts als einem abscheulichen Krieg.

Nur der Graf von Rivera dachte an den Frieden: er war versichert, ihn durch dergleichen Drohungen und Anstalten am hurtigsten zu erlangen. Er hatte an dem Licatischen Hof allenthalben seine heimliche Agenten, welche die Gemüther des Volks mit Furcht und Schrecken erfüllten. Der Hof stack in grossen Schulden: die Haushaltung war in Unordnung: das Kriegs-Heer wurde übel bezahlt; die Soldaten suchten deswegen bey dem armen Landmann sich [284] zu erholen und griffen zu, wo sie etwas fanden. Die Befehlshaber waren gezwungen, ihnen durch die Finger zu sehen, denn es hies: Der Soldat müste leben. Dieses verursachte allenthalben ein jämmerliches Klagen: alle Zeitungen waren voll von den Kriegs-Rüstungen in Aquitanien: Der Graf selbst ließ unter der Hand einige zu seinen Absichten dienliche Schriften in Toscana drucken, und sie heimlich in Mönnisburg ausstreuen. Dem Volk wurde darin die bevorstehende Gefahr des Kriegs vor Augen gemahlet: es begunte dadurch noch immer schwieriger zu werden, und desto eifriger nach dem Frieden zu schreyen.

Das Misvergnügen mehrte sich allenthalben durch den grossen Geld-Mangel. Nicht, daß nicht Geld genug noch wär im Land gewesen; sondern es war solches unter lauter solchen Leuten ausgetheilet, die mit gewissen Freyheiten versehen waren, zum Behuf der gemeinen Noth nichts beyzuschiessen. Diese waren der Adel und die Geistlichen: die Regierung wagte es dem ungeacht, von solchen eine ausserordentliche Beysteuer zu fordern: welche man auf gewisse Summen anschlug: dieses aber war so viel als in ein Wespen-Nest stöchern. Bisher hatte nur der gemeine Mann geschrien; wobey der Adel und die Geistlichkeit schwiegen und auf ihre Vorzüge stolz waren; da man aber auch diese beyde Stände mitnehmen wolte, da hies es allenthalben: es litte die Religion, es litte der ganze Staat.

[285] Der Beicht-Vater des Königs war der erste, welcher seinen andächtigen Eifer vor den König brachte, und ihn ermahnte, der Kirchen-Güter zu schonen: er sagte: daß sie von milden Stiftungen herrührten, welche der Macht des weltlichen Arms mit nichten unterworfen wären: er vermahnte deswegen den König, solche ja nicht anzutasten; sondern vielmehr, wie er bishero gethan, als ein würdiger Beschützer der Kirchen sich fernerhin zu erzeigen. Er fügte seiner Rede die Drohungen des Himmels und des Vaticans hinzu; und bedeutete dem König, daß noch alle Monarchen, die sich unterstanden hätten, dergleichen Eingriffe in die Geistliche Rechte zu thun, sich den Fluch des Himmels auf den Hals gezogen und weder Glück noch Seegen bey ihrer Regierung gehabt hätten, davon er ihm hurtig alle denkwürdige Geschichten, die sich ungefehr hieher schicken mogten, aus den Geschicht-Büchern anzuführen wuste.

Auf diesen so strengen Gewissens-Prediger folgte der Land-Marschall mit den Abgeordneten von der Ritterschaft. Dieser stellete ebenfalls dem König vor, daß bishero die treugehorsamste Stände alles gethan hatten, was in ihrem Vermögen gewesen wär, um der Königlichen Cammer zu dem verwichenen Feldzug den benöthigten Vorschub zu thun, und die siegreiche Waffen des Königs gegen seine Feinde zu unterstützen; allein, die bisherige Durchmarsche und stete Einquartirungen auf ihren Gütern [286] und Dorfschaften, zusammt dem erlittenen Miswachs der Feld-Früchten, hätten ihre Kräfte dermassen ausgesogen, daß sie nicht im Stand wären, ein mehrers zu bewilligen, als worzu sie bereits sich verstanden hätten: Ihro Majestät, der König, mögte solches alles in mildeste Erwegung ziehen, und dem schon vorhin genug gepresten Adel dero fernerweitigen allergnädigsten Königlichen Schutz huldreichst angedeihen lassen.

Der König wolte den Adel, sowohl als die Geistlichkeit, klaglos stellen; der Fürst von Kärndtenburg aber wuste keine andere Mittel zu ergreiffen, um Geld aufzubringen, als diese beyde Stände mit in die neue Anlage zu setzen. Er hatte gern auch das gemeine Volk noch mit mehrern Abgaben beschweret, und neue Zölle und Accisen angelegt; allein Handel und Wandel lag bereits ohnedem schon in diesen Ländern darnieder; und wenn man den Landmann noch härter angesetzt hätte, so würde ihm kaum sein Fuhrwerk noch übrig geblieben seyn, damit die nöthigste Le bens-Mittel in die Städte zu bringen.

Wie nun alle Dinge, wenn sie bis zu einem gewissen Grad gestiegen sind, entweder sich biegen oder brechen; so gieng es auch allhier. Der Graf von Rivera hatte sich wirklich bey dem König beurlaubet: alle dessen Vorstellungen waren bisher vergeblich gewesen: der König verließ sich auf seinen Staats-Minister, und dieser [287] wolte durchaus in einer Sache nicht nachgeben, die ihm einmahl sein Eigensinn zur Regel gemacht hatte.

Die Anstalten zur Abreise des Grafens machten unterdessen sowohl bey Hof, als bey dem Volk ein grosses Aufsehen: solche war schon auf den andern Tag festgestellet. Der Graf war gesonnen, an einen nechstgelegenen Alemannischen Fürsten-Hof sich zu begeben; unterdessen aber seinen Cheruscischen Edelmann zu Mönnis burg zu lassen; weil er aus den Umständen worin er den Licatischen Hof sahe, leicht urtheilen konte, daß er sich bald näher zum Ziel legen würde.

Dieser Zeitblick war bereits vor der Thür: eine grosse Menge Volks sammlete sich gegen den Abend vor dem Pallast des Fürstens von Kärndtenburg. Dem Fürsten kam solches gleich Anfangs verdächtig vor, und sandt deswegen auf die Hauptwache: allein, ehe man ihm noch zu Hülfe kommen konte, so hörte man ein dunkles und durchdringendes Geschrey: Es lebe der König / und sterben alle böse Rathgeber. Diese Losung wurde zugleich mit einem Hagel von Steinen begleitet, welche kein Fenster an dem Pallast des Fürstens auf der Strassen ganz liessen; und wo man nicht bey guter Zeit die Thoren des Pallasts geschlossen hätte; so wär ohne Zweifel dieser Tumult auf eine völlige Plünderung desselben hinaus gelauffen; wobey [288] die Person des Fürstens am wenigsten Sicherheit würde gefunden haben; dann die Erbitterung des gemeinen Volks gegen ihn war überaus groß.

Der wütende Pöbel wurde zwar darauf von der herannahenden Wache wieder auseinander getrieben; er sammlete sich aber von neuem auf dem grossen Burg-Platz, und wiederhohlte daselbst aus voller Kehle, doch mehr mit einem fürchterlichen Gebrüll, als vernehmlichen Ton, die vorige Losung: Es lebe der König / und sterben alle böse Rathgeber. Und da er auch hier von der aufgebotenen Besatzung aus einander gejagt wurde, so hörte man doch die ganze Nacht durch diese Worte von einzeln kleinen Hauffen noch hin und wieder in den Strassen erschallen.

Der Staats-Secretarius, als er sahe, wo die Sachen hinaus wolten, fuhr noch denselben Abend zu dem Grafen von Rivera. Er bat ihn, morgen noch nicht zu verreisen: er sagte, daß er in den Aspecten seines Hofs einen guten Planeten entdeckte, und daß sie würden Friede machen.

Der andere Tag war kaum erschienen, so wurde der Staats-Secretarius nebst den andern Staats-Räthen zu dem König gerufen: mittlerweile, daß der Fürst von Kärndtenburg, um der Wut des Pöbels zu entgehen sich heimlich aus der Stadt gemacht hatte. Der König[289] befragte den versammleten geheimen Rath, was bey so gestalten Sachen zu thun wäre: dieser riethe zum Frieden; nachdem er zuvor dem König die allgemeine Noth und das Misvergnügen aller Stände des Reichs aufs beweglichste vorgestellt hatte.

Der König ließ darauf den Grafen von Rivera nach Hofe bitten: man berathschlagte sich mit ihm aufs neue, wie man die Sache auseinander setzen, und die noch strittige Puncten vergleichen mögte. Der Graf aber wolte durchaus von seinem Plan, der auf einen beständigen Frieden zielte, nicht abweichen. Man fand endlich, daß die Absichten des Grafens Grund hatten, daß sie der Billigkeit gemäs waren, und daß sie den Wohlstand beyder Reiche schützten. Die Articul von dem Frieden und dem darauf sich gründenden Bündnis wurden demnach zu Papier gebracht, ausgefertiget und unterzeichnet.

Die Abreise des Grafens litt also hierdurch noch einigen Aufschub. Der König fand ein Vergnügen, mit demselben sich in vertrauliche Unterredungen einzulassen. Er verehrte ihm darauf nebst andern Kostbarkeiten sein Bildnis, welches reich mit Diamanten besetzt war, und versicherte ihn dabey seiner besondern Gnade und Hochachtung.

Das eilfte Buch

[290] Das eilfte Buch.

Der Graf von Rivera nahm darauf von Mönnisburg seinen Weg durch den grossen Hercynischen Wald, nach einem Cheruscischen Fürsten, der zu Argilia eigentlich seinen Wohn-Sitz hatte; sich damahls aber an seinem neuerbauten Ort Christianopolis aufhielt.

Der Fürst, der Ort und die Einwohner hatten etwas so einnehmendes und ungewöhnliches, daß der Graf durch die Beschreibung, welche ihm sein Cheruscischer Edelmann davon machte, bewogen wurde, alles selbst in Augenschein zu nehmen.

Der Fürst war ein Herr nahe bey die fünfzig Jahren: er hatte einen Prinzen und zwey Prinzessinnen, davon ins besondere die älteste, von ungefehr achtzehen Jahren, ein Ausbund aller Schönheit und Tugend war: die Fürstin, ihre Frau Mutter, hatte derselben sowohl, als ihren andern beyden Kindern, die beste Erziehung gegeben: sie war selbst ein Muster einer tugendhaften Frauen. Der Fürst übertraff dieselbe noch in der Stärke des Geistes, in dem Muth und in den Wissenschaften.

[291] Er war gebohren mit allen Vorzügen des Leibes und des Geistes, welche wir der Natur zuschreiben; die aber bey ihm nichts anders, als besondere Gaben einer gütigen Vorsehung waren; denn an statt, daß überhaupt die Menschen mit einer angeböhrnen Neigung zum Bösen auf die Welt kommen, so machte bey ihm die Neigung zum Guten seine ganze Gemüths-Art aus. Wer wolte sagen, daß GOtt nicht auch zuweilen, obgleich sehr selten, dergleichen Menschen lies ans Tages-Licht kommen, wenn er durch sie besondere Dinge zu wirken vor hat?

Diese vortrefliche Gemüths-Art wurde bey ihm durch eine nicht weniger glückliche Auferziehung formiret. Man zeigte ihm, wie er alle seine Gaben blos allein zur Verherrlichung seines Schöpfers und zum Dienst anderer Menschen anzuwenden verpflichtet wär. Man unterwies ihn zu dem Ende in allen solchen Wissenschaften, welche ihn zur Erkäntnis GOttes, der Welt und der Menschen führten: zu der ersten brachten ihn die Lehren vom Glauben; zu der andern die Welt-Weisheit; und zu der dritten die Erfahrrung. Seine gethane Reisen an die meiste Europäische Höfe, sein Umgang mit allerhand Leuten; und endlich, sein Fleiß in den Wissenschaften und in den Geschäften selbst, vermehrten um ein grosses, was GOtt durch die Natur in ihn gelegt hatte.

Es hafteten dem ungeacht in seiner Seel gewisse[292] Zweifel, in Ansehung der so vielerley Secten und Meynungen in der Christenheit, welche ihn oftmals sehr beunruhigten: er wuste lang nicht, was er davon denken und zu welcher er sich eigentlich halten solte; er hatte zwar unter allen hier und dar noch gute aufrichtige Leute gefunden; sie waren aber gegen die Bösen so viel als nichts zu rechnen. Das Verderben war allgemein, und es schien, als wolte darinn keine Kirche und kein Volk dem andern einige Vorzuge gönnen.

Als sein Herr Vater starb, hatte er noch kaum das zwey und zwantzigste Jahr erreichet; er muste sich also der Regierungs-Last unterziehen, in einem Alter, welches andere Fürsten-Kinder den blossen Lüsten und Ergötzlichkeiten wiedmen. Er und sein Land waren der protestirenden Kirche zugethan. Er wolte bey dem Antritt seiner Regierung und bey seinen noch jungen Jahren keine Neuerungen anfangen; gleichwohl aber schien ihm der Haß, der in seinem Lande gegen andere Religions-Verwandte herrschte, weder Christlich noch vernünftig. Er konte nicht leiden, daß man sich im Christenthum über blosse Kirchen-Gebräuche und Meynungen trennen und deswegen einander alle Christliche Liebe versagen solte; da sie doch allesamt einen GOtt, einen Heyland und einerley Gesetz erkannten. Er hielt dafür, daß ein Christ ein weit geduldigeres, liebreicheres und einfältigeres Wesen haben müste, und daß [293] alle diejenige, welche so heftig gegen einander um die Wahrheit des Evangelii stritten, dieselbe am wenigsten kennen müsten, indem sie schnurstracks das Gegentheil thäten, was uns Christus und seine Apostel lehreten.

In diesen Betrachtungen war er lang unschlüßig, wie er in seinem Land ein solches Kirchen-Wesen, nach dem Sinn des Evangelii, ohne Spaltung und Sectirerey einführen mögte. Es fanden sich in seinem Lande eine gewisse Art Leute, die sich für besser und heiliger, als andere hielten, und deswegen mit denen, die da kirchlich, das ist, dem äusserlichen Gottes-Dienst zugethan waren, keine Gemeinschafft haben wolten. Diese hoften, der Fürst würde ihren Einbildungen Glauben beymessen und sich zu ihnen schlagen. Anfangs hatte auch der Fürst sich wirklich von dem Schein ihrer äusserlichen Frömmigkeit einnehmen lassen; zumahl weil sie wider alle Sectirereyen sich erklärten und blosserdings an die Lehren des Heylandes sich zu halten vorgaben. Es war aber nicht lang, so erkante der Fürst bey näherer Untersuchung, daß diese Leute selbst die gröste Sectirer waren: und daß sie zugleich solche Unordnungen und Verwirrungen im gemeinen Wesen stifteten, daß er sich vor ihnen mehr als vor allen andern zu fürchten begunte.

Sein wichtigstes Anliegen war also, eine Gemeine von solchen Leuten aufzurichten, [294] welche nach den pur lautern Lehren Christi, ihr Leben und ihren Wandel zu führen Vorhabens wären: sie mögten auch von einer Secten seyn, wie sie wolten. Allein, es ereigneten sich gleich Anfangs dabey solche Schwierigkeiten, daß er alle Hofnung verlohr, seine Absichten jemahls in dieser Sache zu erreichen: Es waren insonderheit die Geistlichen ihm darin sehr entgegen; sie nanten die Einführung einer solchen Eintracht: Syncretisterey und Gleichgültigkeit der Religion.

Der Fürst war kein Feind der Geistlichen; er hielt vielmehr ihren Stand vor andern hoch; doch dieses verdroß ihn, daß so viele unter ihnen das Ketzermachen nicht lassen konten; sondern bey allen und jeden Gelegenheiten mehr auf ihre blinde Satzungen, als auf die Kraft des Glaubens selbst sahen. So gern er auch diesem Unheil gesteuert und die Liebe, die Sanftmuth und die Verträglichkeit bey der Evangelischen Kirche in seinem Lande eingeführet hätte, so konte er es doch, wegen einiger unruhigen Köpfen, nicht dahin bringen; einen Frieden aber in der Kirche durch neue Empörungen und Zänkereyen zu stiften, hielt er nicht für rathsam.

Er brachte seine Klagen darüber vor den HErrn, der allein solches ändern konte; er befahl auf eine Zeitlang seine Regierungs-Geschäfte seiner Gemahlin und seinen Räthen; und [295] verfügte sich nach einem in den Hercynischen Wäldern, vier Stunden von seinem Hof-Sitz gelegenen Jagd-Haus; um in dieser Einsamkeit auf die so nöthige Verbesserung des Kirchen-Wesens desto ruhiger seine Gedanken zu richten.

Er hatte bereits vier Wochen in dieser abgezogenen Stille mit dergleichen Gedanken sich unterhalten, auch schon verschiedene Einwürfe zu Papier gebracht; als ein paar Vandalische Männer sich bey ihm anmeldeten.

Gnädigster Fürst, war ihre Anrede, wir haben vernommen, daß Eure Durchleucht ein weiser und frommer Herr seyen. Wir sind nebst einigen unserer Mitbrüder aus unserm Vaterland, um der Wahrheit willen, die wir nach den Lehren des Evangelii einfältig bekennen, von andern, die auch Christen seyn wollen, vertrieben worden. Wir suchen bey Ew. Durchleucht Schutz; wir verstehen den Acker-Bau und die Viehzucht: ein kleiner Raum wird genug seyn, um uns zu nähren.

Was habt ihr dann vor Meynungen in eurem Glauben, fragte der Fürst, weil man euch aus eurem Vaterland vertrieben hat? Wir sind Christen, antworteten sie, und wollen mit GOttes Gnade in diesem Glauben auch leben und sterben. Wir halten uns darin einzig und allein an die uns hinterlassene Offenbarung der göttlichen Schriften, und lassen uns keine fremde[296] Auslegungen, noch Glaubens-Articul aufbürden; weil geschrieben stehet, daß man nichts soll darzu noch davon thun. Ja, unterbrach der Fürst, verstehet ihr dann die Schrift? Was wir nicht verstehen, gnädigster Fürst, sprachen sie, das lassen wir so lang unerörtert, bis der Geist GOttes darüber unser Verständnis aufschliesset; denn wir wissen, daß nicht alle Menschen gleiche Begriffe und Einsichten haben; und daß wir deswegen verbunden sind, uns einander in Liebe zu tragen. Mittlerweile, dringen wir allesammt scharf darauf, denen deutlichen Lehren Christi, durch die Kraft des einfältigen Glaubens, in unserm Leben und Wandel zu folgen. Was bedienet ihr euch dann, fragte der Fürst weiter, vor einer Ubersetzung der Heil. Schrift? Die wenige Gelehrten, die wir unter uns haben, war ihre Antwort, bedienen sich der Grund-Sprache, worinnen die Bücher der H. Schrift anfänglich sind verfasset worden; auf deren gründliche Wissenschaft sie mit allem Ernst und Fleiß sich legen; was aber den gemeinen Mann betrift, so begnügen wir uns mit einer sehr schlechten und unvollkommenen Ubersetzung in unsrer gemeinen Sprache; die aber, wie unsre Gelehrten sagen, alle die Haupt-Articul des Christlichen Glaubens mit hinlänglicher und genugsamer Deutlichkeit erkläret.

Der Fürst war angenehm-bestürzt, diese Leute also reden zu hören; Er erkundigte sich, wo sie dann eigentlich den Ursprung ihrer Kirchen herrechneten;[297] und ob sie von andern sich getrennet, oder diese Glaubens-Einfalt von langen Zeiten her unter sich erhalten hatten?

Unsere Vorfahren, berichteten die beyde Fremdlinge, die sich bis auf die erste Zeiten der Kirchen hinaus rechnen, haben nie keinen andern Lehren beygepflichtet, als den einfältigen Lehren des Heylandes: sie haben nie keinen blossen Menschen-Satzungen, in Glaubens-Sachen, sich unterworfen: sie haben weder die Heiligen anrufen, noch die Macht eines geistlichen Statthalters GOttes auf Erden erkennen wollen; und da die Griechische Bischöffe in den ersten Jahrhunderten anfiengen, sich eine unerlaubte Herrschaft über die Gewissen anzumassen, und solche unter das Joch fremder Meynungen und Ceremonien zu zwingen; so verliessen unsere Vorfahren die Hellespontische Ufer, und zogen sich nach den Dalmatischen und Sclavonischen Gefildern. Als hierauf die Griechische von der Lateinischen Kirche sich trennte, und eine solche Finsterniß den ganzen Kirchen-Himmel überzog, daß man das Christenthum auch nicht mehr unter den Christen fande; so errichteten unsere Väter unter sich eine geistliche Brüderschaft, welche die Erhaltung der reinen Apostolischen Wahrheit in der Einfalt; und die würkliche Ausübung der Lehren Christi zum Grund hatte.

Als sie aber auch hier von der herrschsüchtigen Clerisey verfolget wurden, zogen sie sich [298] nach Pannonien, Sarmatien, Hercinien und dasige Gegenden: von dannen einige noch weiter bis in die Occidentalische Länder drungen; sich aber meistens in grosser Armuth, in Wäldern und rauhen Gebürgen aufhalten, und sich darin eine Zeitlang mit Wurzeln, Kräutern und Baumfrüchten nähren musten.

Da es nun endlich im vierzehenden Jahrhundert in dem Europäischen Welt-Theil wieder ein wenig Licht zu werden begunte, so kam es auch so weit, daß sie, als Bekenner des Christlichen Glaubens, an vielen Orten aufgenommen wurden, ein eigenes Kirchen-Wesen aufrichteten, sich ihre eigene Bischöffe, Aeltesten und Vorsteher wehleten; und viel andere von dem beschwerlichen Joch des Occidentalischen Kirchen-Regiments los machten.

Diese ihre Glückseligkeit aber war von keiner langen Dauer. Der Stuhl zu Rom that sie in den Bann; man überzog sie hin und wieder mit starken Kriegs-Heeren: theils ergriffen die Waffen, sich ihren Feinden zu widersetzen; theils flohen in einsame Gegenden; noch andere blieben, wo sie waren, und verehrten GOtt im Verborgen. Die ersten machten ihre Sachen nicht gut; sie wurden überwunden, gefangen, getödtet und zerstreuet. An den Orten, wo unsre Vorfahren sich aufgehalten hatten, ließ man sie eine Zeitlang in Ruh. Man hat uns keinem fremden Gottesdienst gezwungen: wir haben uns still [299] für uns gehalten, und uns dabey als getreue Unterthanen, in allem, was nicht die Freyheit unseres Gewissens verletzet, der weltlichen Obrigkeit und guter Policey unterworfen. Weil aber durch unsern Wandel, und durch die Bücher der Heil. Schrift, die wir verborgen bey uns hatten, viele unserer Nachbarn gerühret wurden; dergestalt, daß sie die Irrthümer ihres vermeynten Gottesdienstes einsahen; folglich davon sich frey und loszumachen suchten; so wurde dadurch die Geistlichkeit wider uns aufgebracht. Man zog uns ein; und weil wir die Sache nicht läugnen mogten: so ergieng endlich an uns das Urtheil, daß wir unsere Güter binnen drey Monathen verkauffen, und hernach das Land räumen solten; welches wir auch ohne alles Murren thaten, und uns hieher verfüget haben, in der Hofnung, Ew. Hochfürstl. Durchleucht werden nicht allein uns, sondern auch unsere Brüder, deren noch viele im Lande zurück geblieben sind, gnädigst aufzunehmen und einen freyen Gottesdienst uns zu verstatten geruhen.

Der Fürst von Argilia sagte diesen Leuten, sie solten sich morgen wieder bey ihm melden; er wolte die Sache überlegen. Er hatte über dasjenige, was er vernommen, ein tiefes Nachdenken: er fand, daß diese Leute so dächten und glaubten, wie er: ihm blieb also kein Zweiffel übrig, eine Gemeine nach Art dieser Vandalischen Männer aufzurichten. Er entwarf davon[300] den Plan, und als sie wieder kamen, erklärte er ihnen sein Vorhaben.

Ihr sollet, meine liebe Freunde, sprach er zu ihnen, nicht allein bey mir den verlangten Schutz, sondern auch eine solche Gewissens-Freyheit geniessen, daß ihr einen Tempel eurem GOtt, welcher auch der meinige ist, zu Ehren, hier auf diesem Platz bauen sollet. Hier habt ihr Holz, so viel ihr wollet; hauet die Bäume um, verbrennet ihre Wurzeln, bauet euch Häuser, Scheuren, Stallungen, Gärten und Felder; ziehet euch Wiesen für euer Vieh, grabet euch Brunnen und leitet das Wasser aus dem nah vorbeyfliessenden Bach durch eure Höfe: einige Stunden von hier werdet ihr auch Kalk, Sand und Steine finden: ich will euch die Plätze anweisen, wohin ihr bauen sollet: ich will euch selbst alles entwerfen und angeben; und wann ihr solche Christen seyd, als ihr von euch sagt; so will ich meine Wohnung selbst unter euch aufschlagen, und mit euch denselben GOtt verehren, der euch zu mir gebracht hat.

Die Vandalische Männer dankten dem Fürsten; und liessen alles auf den Willen GOttes, dessen Knechte sie wären, ankommen.

Die Zahl dieser aus ihrem Land vertriebenen Wanderer belief sich ungefehr auf zehen bis eilf Haus-Gefäß. Der Fürst hatte vier bis fünfhundert müßige Soldaten; diese ließ er zusammt so vielen Landleuten aufbieten, und durch dieselbe [301] auf zwey bis drey Meilen den Wald aushauen. Die zum Bau tüchtige Stamme ließ er auf Haufen legen, und dabey allen und jeden von seinen Unterthanen, wie auch Fremden, auf zehen Jahr, Freyheit von allen Abgaben verkündigen, welche sich an diesem Ort häuslich niederlassen, und der neuen Policey sich mit unterwerfen wolten. Wobey er ihnen das benöthigte Holz, sammt andern in dasiger Gegend befindlichen Bau-Materialien umsonst abfolgen ließ.

Es meldeten sich darauf so wohl Handwerker als Land-Leute, denen er die Plätze und die Art, wie sie bauen solten, anwies. Die erste bekamen zu ihren Häusern weniger Raum, als die andern, welche wegen ihres Feld-Baues und der darzu gehörigen Viehzucht auch einen grösseren Platz, als jene, vonnöthen haben. Alle Häuser wurden zwey Stockwerk hoch aufgeführet, und zu zwey Haushaltungen eingerichtet: zwischen jeder Wohnung wurde nach der Strassen zu, ein Platz zu einem Hof gelassen; an welcher von hinten ein Garten von einem Viertel- oder halben Morgen sties.

Mitten durch die Strassen wurden kleine Wasserleitungen gezogen, die ihren Abfluß in einen grossen Canal hatten, welcher zu der Haupt-Strasse dieses Orts bestimmet war: dieser Canal hatte sechszig Werk-Schuh in der Breite: die auf beyden Seiten herlauffende Strassen waren jede von ebenmäßiger Breite, und längst [302] dem Canal mit gleichstämmigen jungen Linden-Bäumen besetzt: die Häuser, die dahin gebauet wurden, waren für wohlbegüterte Leute, und für den Adel, an jedes von diesen Gebäuden konte man nebst einer völligen Hofraithe auch Gärten von drey bis vier Morgen in die Länge anlegen: dergestalt, daß die Häuser, nach der Strassen zu, das Ansehen einer schönen Stadt, nach dem Feld zu aber die Annehmlichkeit der lustigsten Land-Güter hatten.

Am Ende dieses Canals sah man den Fürstlichen Pallast: er war vordeme nur ein Jagd-Haus, nun aber zeigte sich solcher mit zwey prächtigen Seiten-Flügeln vergrössert, und wurde von der ganzen Fürstlichen Familie bewohnet. Ein dickes Gehölz bedeckte diese Burg zur rechten und zur linken Seiten; von hinten aber hatte sie über einen grossen wohl angelegten Garten, die schönste Aussicht bis nach Argilia.

Der Fürst lies diesen Ort Christianopolis oder Christen-Stadt heissen. Es waren noch kaum drey Jahre verflossen, so stunden bereits auf diesem zuvor öden Platz über zweyhundert Wohnhäuser, eine Kirche, eine Schule und ein Armen-Haus. Der Zulauf des Volks von allen Enden und Orten war ungemein. Man sah daselbst allerhand Menschen und Secten ruhig beysammen wohnen.

[303] Es war nichts erbaulichers als ihre Versammlungen: ihre Lieder enthielten die deutlichste Begriffe von den Wahrheiten der H. Schrift: ihre öffentliche Reden waren kurz und nachdrücklich: sie hätten keinen andern Endzweck, als das Volk in der Einfalt des Glaubens zu unterrichten, und solches zu der genauesten Beobachtung der Christlichen Pflichten zu ermahnen. Blosse Streit-Fragen und hohe über die gemeine Begriffe der Menschen hinstreichende Geheimnisse wurden da nicht erörtert. Die Lehrer selbst waren fromme, sanftmüthige und demüthige Leute, die nicht in der Absicht predigten, um ihre zusammenstudierte Wissenschaften anzubringen; sondern, um zu erbauen, um zu rühren, und um ihre Zuhörer gleichsam mit einer verborgenen Gewalt des Geistes zu GOtt zu führen.

Man sah deswegen auch unter den Einwohnern dieses neuen Orts eine solche brüderliche Eintracht und Liebe, die ganz etwas besonders hatte. Die Unschuld, die Treu, die Redlichkeit blickte aus allen ihren Handlungen: es herrschte bey ihnen in allen Dingen eine solche Ordnung, daß man den Zwang davon nicht spürte; weil sie der Ruh und der Glückseligkeit eines jeden überhaupt gemäß war. Man beobachtete die Pflichten eines redlichen Burgers, indem man als ein Christ lebte; und das Christenthum fand nirgends eine bessere Aufnahme, als bey solchen Leuten, die ehrlich und aufrichtig waren: ihre Tugenden waren nicht die Wirkungen [304] eines strengen Gesetzes; sondern ein Ausflus der reinen Liebe GOttes, welche die Neigung zu allem Guten den Gemüthern einflöset.

In ihrer äusserlichen Aufführung hatten sie nichts besonders: sie lebten und kleideten sich wie andere Menschen, ein jeder nach seinem Stand und Vermögen. Nur waren sie mässiger, bescheidener und demüthiger: Sie beobachteten so wohl die gemeine Gebräuche, als die Höflichkeit in Sitten und Gebehrden: der Wohlstand war bey ihnen eine Tugend, weil er die Ordnung unterstützte. Sie hielten dafür, daß die Auszeichnung in solchen nichts bedeutenden Dingen, einen gewissen Eigensinn und heimlichen Hochmuth entdecke, der mit der Einfalt und Aufrichtigkeit eines guten Herzens nicht übereinkomme.

Man fande bey ihnen alle Ergötzlichkeiten des menschlichen Lebens; sie nahmen solche an, wenn sie unschuldig waren; und wenn sie solche haben konten; sie lidten im Gegentheil alles, was ihnen die Natur leiden machte, mit einer großmüthigen Standhaftigkeit; und trösteten sich mit der unfehlbaren Hofnung einer ewigen Glückseligkeit.

Ein jeder lebte von seinen eigenen Mitteln, oder von dem Verdienst, welchen ihm seine Handthierung brachte. Ein jeder blieb in seinem Stand und in seinen Würden; und wurde [305] darnach von andern geehret und geachtet; doch, da immer einer dem andern in der Demuth und Bescheidenheit suchte zuvor zu kommen, und keiner sich vor dem andern etwas heraus nahm, so gaben es auch unter ihnen keine unziemliche Erhebungen und Rang-Streite.

Sie nahmen niemand unter sich auf, als nach einer genauen Prüfung, deren die Vornehmen so wohl, als die Geringere sich unterwerfen musten, wann sie die Vortheile einer so glückseligen Lebens-Art mit geniessen wolten. Man erforschte der neu-Ankommenden ihre Gemüths-Art, ihre Absichten und ihre Aufführung auf das genaueste; und wann sie Fremde waren, so erkundigte man sich darnach durch Briefe, und durch Einziehung unverdächtiger Nachrichten.

Ubel berüchtigte, wilde, lasterhafte, müßige, unruhige und zänkische Leute wurden daselbst weder gelitten, noch aufgenommen. Denn dieser Ort solte ein Aufenthalt der Unschuld, des Friedens und der Tugend seyn.

In Ansehung des Glaubens verlangte man von denen neu-Ankommenden nichts weiters, als die einfältige Bekäntnüs zum Christenthum, und einen aufrichtigen Vorsatz, darnach sein Leben und Wandel einzurichten; Darinn bestund alles: der Nachdruck aber von dieser Verbindung war von einer wichtigen Folge, und lidte eine solche Ausdehnung, daß sie der[306] ganzen Aufführung eines Menschen, auch in den geringsten Kleinigkeiten, Maas und Ziel setzte.

Alle und jede Verbrechen, welche die Obrigkeit strafet, zogen den Verlust des Bürger-Rechts nach sich; man verkaufte der Verbrecher ihre liegende Haab, gab ihnen dafür das Geld, und ließ sie damit ihren Stab weiter setzen. Eine unordentliche, üppige und boshafte Aufführung wurde mit nicht weniger Schärfe geahndet; doch gebrauchte man zuvor gegen diese Art Leute allen Glimpf und alle Sanftmuth: man ermahnte, man warnte, man strafte sie mit Worten so lang und so viel, bis man sah, daß alles vergeblich und keine Besserung zu hoffen war; da man ihnen dann, gleich andern Ubelthätern, den Schutz aufkündigte, und sie als ungesunde Glieder von der Gemeine trennete.

Die übrige Schwachheiten aber ertrugen sie an einander mit Liebe, Sanftmuth und Gedult; sie bestraften mit vieler Nachsicht und Gelindigkeit die wirkliche Fehler, wenn man solche bereuete, und mit einer ernstlichen Buse zu verbessern versprach. Die Laster aber, welche sie gar nicht dulteten, waren die Lügen, der Betrug, die Falschheit, die Verleumdung, die Heucheley, die Zanksucht, der Zorn, die Rachgierde, die Unversöhnlichkeit; kurz, alles, was wider die Liebe GOttes und des Nächsten lauffet.

[307] Sie hielten dafür, daß wer ein rechter Christ werden wolte, ohne im Grund des Herzens aufrichtig zu seyn, der würde in die Luft bauen, und keinen Grund haben; denn es sey nach dem neuen Bund nicht genug, daß man bloß gesetzlich wäre: die Lehren Christi, sagten sie, giengen auf den innern Menschen, auf die Verbesserung des Herzens, und auf die Lauterkeit des Willens.

Alle vorkommende Zwistigkeiten und Streit-Sachen wurden bey ihnen durch Schieds-Richter, oder durch die Aeltesten und Vorsteher der Gemeinen beygelegt: es sey dann, daß sich ein schwerer Rechts-Handel von Wichtigkeit ereignete, der ohne gründliche Wissenschafft der Rechten nicht wohl konte entschieden werden: in solchem Fall setzte man die Sache mit allen Umständen zu Pappier, sandte solche nach dem hohen Tribunal nach Argilia, und ließ dieses oberste Land-Gericht darinnen sprechen. Mit diesem Spruch wurde der ganze Proceß auf einmahl zu Ende gebracht. Glückselige Völcker! welche auf diese Weise keine Advocaten und Procuratores vonnöthen haben.

Wie nun hierdurch die Ruhe, der Friede und die Eintracht in dem Bürgerlichen Leben erhalten wird; also herrschen solche auf gleiche Weise auch in der Religion, welche sonst aller Orten ein Vorwurf des grösten Haders und der betrübtesten Spaltungen ist. Hier werden die [308] Geistlichen und Schriftgelehrten, durch den Eifer ihre Meynungen gegen einander zu vertheidigen, nicht aufgehetzt. Hier werden die Läyen nicht durch die Menge der vielen Streit-Fragen und Glaubens-Artikel verwirret: Ihre Lehrer sind weise fromme Leute, die nicht für ihre eigene Aufsätze Krieg führen, noch ihre fanatische Grillen zum Glauben machen. Das Predigen ist bey ihnen kein Handwerk, und die Canzel nicht die Werkstatt, davon sie sich nähren. Sie leben von ihren eigenen Gütern, oder von ihrer Hand-Arbeit, die sie gleich andern besorgen: gerathen sie aber dabey in einigen Nahrungs-Mangel, so hilft ihnen die Gemeine und besorget allenfalls ihre Nothdurft: sie halten dafür, daß man nach Aufhebung des Alt-Testamentischen Gottesdienstes, der ordentlichen Priester und Opfer-Knechten, die sich vom Altar nähren musten, nicht mehr vonnöthen hätte: ihre ganze Hierarchie bestehet in nichts anders, als in einer Christlichen Ordnung: da ein Glied dem andern unterstellet ist, so wohl zur Besorgung des öffentlichen Gottesdienstes, als zur Erhaltung guter Zucht und Policey.

Die Gelehrten, die der Schrifft und der Sprachen kundig sind, werden überaus hochgehalten: wie dann zur Unterweisung der Jugend besondere Schulen angelegt sind, darinnen sie in allen guten Künsten und Wissenschafften unterwiesen wird.

Wegen Tauf und Abendmahl, pflegte [309] man es zu halten, wie bey den andern Protestanten auch: doch so, daß man die unter diesen äusserlichen Ceremonien verborgen liegende Geheimnüsse, dabey nicht erörterte; sondern darüber einem jeden seine Begriffe, wie er solche fassen oder nicht fassen konte, frey lies.

Die übrige Policey zu Christianopolis bestund in der Billigkeit des Nutur-Rechts, wie solches eine durch die Lehren des Heylandes gereinigte Vernunft, insonderheit das Hauptgesetz der Liebe, ganz deutlich an die Hand giebt.

Die Belustigungen an diesem Ort waren nicht allein unschuldig; sondern auch, so viel es seyn konte, erbaulich: die Garten-Lust, den Feldbau, die Spatzier-Gänge und die Music hielten sie vor andern hoch, weil sie so wohl für das Gemüth ergötzend, als der Gesundheit des Leibes zuträglich waren: Man sah, besonders zur Abendzeit, eine Menge dieser glückseligen Einwohner von allerhand Stand und Alter unter den Bäumen, längst dem grossen Canal, oder in dem daran stossenden fürstlichen Garten, auf- und nieder gehen: man fand um diese Zeit die meiste Häuser leer, und es waren diese Spazier-Gänge gleichsam eine Art von einer öffentlichen Versammlung, wo man die annehmlichste und Lehrreicheste Gespräche hörte.

Auf gleiche Weise, besonders zur Winters-Zeit, kamen die Einwohner dieses Orts auch in gewissen darzu eingerichteten Versammlungs-Häusern [310] zusammen; da man nebst allerhand Gesprächen bald mit der Music, bald mit einem unschuldigen Spiel, bald auch mit Essen und Trinken, sich ergötzen konte.

Die Christianopolitaner waren in allen Dingen, die an und für sich selbst nichts böses hatten, ganz nicht eigensinnig, noch in ihrer Sitten-Lehre so hoch geschraubt, daß sie aus der Unterlassung der Ergötzlichkeiten sich eine Religion machen solten. Diejenige Leute, sagten sie, die so urtheilen, wüsten nicht, was Religion sey. GOtt hätte die Menschen zur Glückseligkeit geschaffen, und deßwegen in dieser Welt so viel anmuthiges und schönes hervorgebracht, damit der Mensch dessen geniessen, und in diesem Genus den Schöpfer preisen und verherrlichen solte: Sie hielten es für eine so grosse Undankbarkeit, die Gaben der göttlichen Güte, Weisheit und Allmacht gering zu schätzen, und sich davon nicht rühren zu lassen; als sie es für eine viehische Unart schalten, wenn man derselben mit Unmäßigkeit und Unfläterey genoß; welche Ausschweiffungen deswegen auch insgemein den Sünder am hurtigsten straften: sie wusten, daß man GOtt nicht besser und reiner verehren konte, als wenn man alle Dinge nach derjenigen Absicht anzuwenden und zu gebrauchen suchte, wozu er solche geschaffen hat.

Ihr munteres Wesen, ihre Zufriedenheit, ihre Ordnung in allen Dingen, ihr freundlicher und liebreicher Umgang mit allen Menschen, [311] ihre Gelassenheit in dem göttlichen Willen, ihre Stärcke des Glaubens und die Zuversicht eines ewig glückseeligen Lebens; alles dieses machte, daß sie dem Leibe nach gesund, dem Gemüthe nach ruhig, und dem Verstande nach voller Weisheit und göttlicher Erkäntnüs waren.

O glückseliger Ort! warum findet man dich nicht auch auf der Land-Carte desjenigen Welt-Theils, welchen dem Namen nach die eifrigste Christen beywohnen, und die sich einbilden, daß sie dadurch ihren Glauben genugsam an Tag legten, wann sie darüber mit andern ein liebloses Gezäncke führten.

Der Graf von Rivera war ungemein verwundert, als er hier ein solches Volk fande, welches sich weniger darum bekümmerte, scharfsinnig von der Religion zu denken, als einfältig wie Christen zu leben. Er hatte seine Leute zu Argilia gelassen, und war, um nicht erkannt zu werden, nur in Begleitung seines Cammerdieners, nach Christianopolis gereifet. Er war daselbst in dem allgemeinen Gasthaus eingekehret: Man gab ihm ein sauberes Zimmer: er speisete Abends mit einer ziemlich grosen Gesellschafft: bey Tische hatte, nach hergebrachter Gewohnheit, ein Vorsteher der Gemeine die Aufsicht: dieser sorgte, daß die Speisen rein und sauber aufgetragen wurden, er legte solche vor, bediente die Fremden mit aller Höflichkeit, und gab acht, daß keine Unordnung vorgieng.

[312] Der Graf beobachtete unter andern einen gewissen Fremdling bey Tische, dessen Ansehen ihn aufmercksam machte: er war überaus wohl gekleidet, hatte feine Wasche, eine blonde Perruke, und Stiefel an den Füssen. Seine Gesichts-Bildung hatte etwas vornehmes und weichliches: seine Gebehrden und Minen zeigten einen überaus grosen Kummer. Diejenige, die neben ihm fassen, suchten ihm einen Muth einzusprechen: sie sagten ihm vieles von den verborgenen Führungen GOttes: daß die Unglücks-Fälle, die GOtt über uns Menschen verhängete, nicht böse wären; sondern nur dahin zielten, unser Gemüth von der allzugrossen Liebe des Zeitlichen abzuziehen; und solches mit edlern und bessern Neigungen zu erfüllen: sie hielten in dieser Betrachtung den Verlust der Reichthümer, für einen Menschen, der solche mit allzugroser Anhänglichkeit besessen, für eine grose Wohlthat GOttes; weil es ihm sonst schwer würde angekommen seyn, GOTT für das einzige wahre Gut zu erkennen. Vielen ließ GOtt deswegen die Beschwerlichkeiten und Unruhe, welche die Verwaltung groser Güter nach sich zög, mit stetem Verdrus empfinden: andern schenkte er im Gegentheil dabey die Gaben der Weisheit, daß sie wüsten, wie sie sich und andern damit solten Gutes thun.

Das wahre Glük eines Christen bestünd also darin, daß er GOtt alles heimstellte, und mit seinem Zustand zufrieden lebte.

[313] Der Graf von Rivera hörte die erbauliche Sitten-Lehren dieser Leute mit entzücktem Herzen an: er that ihnen nicht die geringste Frage, um sie desto ungestöhrter fortreden zu lassen. Besonders aber richtete er seine Augen auf denjenigen Fremdling, den die andern schienen, in der Unterweisung zu haben.

Nach geendigter Abend-Mahlzeit begleitete man so wohl den einen als den andern, in sein angewiesenes Zimmer. Der Graf hatte sich zu Bette gelegt, und war ruhig eingeschlafen: ihm traumete, daß einige wilde Thiere von einer gräßlichen und ihm ganz unbekanten Gestalt den Fremdling, mit dem er zu Nacht gespeiset hatte, anfielen, und denselben zu zerreisen droheten. Er spührte darüber im Schlaf eine so heftige Bewegung, daß er voller Schrecken aufwachte. Das Herz schlug ihm im Leibe: er fand sich ganz aufgebracht: er hörte ein klägliches Seufzen und Wimmern in der benachbarten Cammer, welche eine Thür von der seinigen unterschied; er besann sich, ob er noch träumete, oder wachend wär; je mehr er aufmerkte, je deutlicher vernahm er die Stimme des neben ihm einquartirten Fremdlings. Nein, es ist vergebens, hörte er ihn, mit einer unordentlichen Bewegung sagen: Ach! ich bin verlohren ... ich weiß keinen Trost für mich .... Die Menschen haben mich verrathen und betrogen ... GOtt kennet mich nicht; und ich kenne ihn auch nicht ... ach! wer soll mir helffen?

[314] Diese Reden, welche eine Gemüths-Beschaffenheit andeuteten, die zur Verzweiffelung gestellt war, rührten alsobald des Grafens Mitleiden: Er stund hurtig auf, schlug seinen Schlaf-Rock um sich, rief seinem Cammerdiener, ließ sich ein Licht bringen und klopfte an der Thür des Fremdlings: dieser hatte sich eingesperrt, und fragte, wer da wäre? Der Graf antwortete ihm: Er mögte die Gütigkeit haben ihm aufzumachen: Er hätte ihm etwas zu sagen: Der Fremdling machte damit auf, sah aber dabey so graß und fürchterlich aus den Augen, daß sich der Graf darüber entsetzte.

Mein Herr, sprach der Graf zu ihm, sie thun mir den Gefallen und legen sich zu Bette: ich habe sie lange in ihrem Zimmer hören auf- und niedergehen: sie finden sich nicht wohl: ich habe Mitleiden mit ihnen: ich versteh ein wenig die Arzney: sie werden mir erlauben, daß ich einen Wund-Arzt bestelle, um ihnen zur Ader zu lassen. Der Fremdling, der vollkommen wohl zu leben wuste, bedankte sich für eine so großmüthige Sorgfalt: er hatte sich von seiner heftigen Bewegung wieder ein wenig erholet: er bat den Grafen um Verzeihung, daß er denselben in seiner Ruh gestöret hätte, und bezeigte ihm eine solche Ehrerbietung, als ob er wüste, wer er wär.

Der Wund-Arzt, nebst dem Gasthalter, waren bald bey der Hand: Der Graf ließ [315] ihn nach der Aderlaß ein wenig Thee trinken, und bat ihn, sich ruhig zu halten, bis an den Morgen, da er ihm etwas den Magen zu reinigen wolte eingeben: Er hatte wahrgenommen, daß dieser Fremde den Abend zuvor immer in Gedanken stark drauf gegessen und wenig dabey getrunken hatte.

Er fand bey ihm eine ganz verzärtelte Natur, wel che durch ein unordentliches Leben und durch heftige Gemüths-Bewegungen sehr aus ihrem Zirkel gekommen war. Dem ungeacht entdeckte er bey diesem Fremden doch ein gut-artiges Wesen, und einen nachsinnenden Verstand: seine Melancholie entstund also nur aus einer starken Empfindung seiner widrigen Zufallen.

Der Graf hatte in seiner Reis-Apotheke einige gute Arzneyen: er gab ihm gegen Morgen etwas den Magen von der darinn sich ergossenen vielen Galle zu reinigen und den unordentlichen Umlauf des Geblüts wieder herzustellen: es waren Tropfen: sie bekamen dem Fremden wohl. Er gieng darauf den Tag über mit ihm in diesem neu angelegten Ort herum: sie wurden von demselben Vorsteher der Gemeine, welcher die Aufsicht im Gast-Hof hatte, allenthalben hin begleitet.

Der Graf beobachtete alle die Anstalten dieses Orts mit vieler Verwunderung: er machte solche ebenfalls seinem schwermuthigen [316] Gefährden, der immer wieder in seine eigene Gedancken zurück fiel, mit einer lebhafften Aufmunterung beobachten. Aller Orten, wo der Graf hin kam, machte er die Leute aufmerksam: seine Bildung, seine Gebehrden und seine Reden zeigten etwas groses, edles und scharfsinniges. Er hatte seinem Cammerdiner im Gast-Haus befohlen, weil er zufälliger Weise einen Arzt hätte abgeben müssen, so solte er auch die Leute, die ihn dafür hielten, bey dieser Meynung lassen.

Das Gerücht von diesem fremden Arzt hatte sich unterdessen durch den ganzen Ort ausgebreitet; man rühmte denselben bey dem Fürsten: man sagte, daß dessen Weisheit jederman in Verwunderung setzte. Der Fürst befahl deswegen, daß man ihm alle Ehr erweisen und den Abend nach Hof bringen solte. Es war bereits über 1. Uhr Nachmittag: Der Graf wolte nicht mit der Gesellschaft speisen; sondern ließ für sich und seinen Patienten etwas weniges auf das Zimmer bringen. Er öfnete hernach wieder sein Reis-Apothekgen, gab seinem Gefährden daraus einige Tropfen, und nachdem sie ein Stündgen geruhet hatten, giengen sie wieder aus.

Es war ein schöner Abend: eine Menge von Menschen hatte sich längst dem grosen Canal versammlet. Der Graf bewunderte hier die durchgängig herrschende Zucht und Ehrbarkeit: Die Manns-Leute hatten ein ernstliches [317] und vergnügtes Wesen. Die vom andern Geschlecht zeigten etwas holdseliges und liebreiches, welches so weit von der Frechheit, als einer blöden Schamhaftigkeit entfernet war: ihre Kleidungen und Gebehrden hatten nichts üppiges und nichts gezwungenes; sie gefielen, ohne daß es schiene, daß sie gefallen wolten. Die junge Leute scherzten mit einander in klugen und artigen Reden: Die, so geheyrathet und von einem gewissen Alter waren, sprachen von der Religion, von der Haushaltung, von der Kinder-Zucht, von neuen Begebenheiten und allerhand Welt-Händeln. Die Weisheit, die Demuth, die Menschen-Liebe und die Gottes-Furcht, leuchtete aus allen ihren Reden. Kurz, man sah, daß sie vergnügt waren, und daß dieses Vergnügen von ihrer frommen Unschuld herrührte.

Es wurde Abend: man sagte dem Grafen, ob er nicht Lust hätte nach Hof zu gehen? Der Graf verlies damit seinen Gefährden, und befahl ihn der geistlichen Sorgfalt eines Lehrers und eines Vorstehers, welche ihn nach dem Gast-Hof begleiteten. Er versprach demselben, vor Schlafens-Zeit, wie der bey ihm zu seyn.

Als der Graf nach der Burg gieng, fand er so wohl die Strafen als den Hof mit Wind-Lichtern erhellet: Man führte ihn durch einige Zimmer in einen Saal, wo er [318] die annehmlichste Stimmen mit einer durchdringenden Anmuth erklingen hörte. Es schien, als ob ein ganzes Chor der besten Sänger und Sängerinnen die reinste Töne nach einer abgezeichneten Singweise mit einander vereinigte: Der Graf fragte, was dieses zu bedeuten hätte? Man sagte ihm, der Fürst hielt diesen Abend seine gewöhnliche Andacht, welches die Woche zweymal zu geschehen pflegte: Der Graf fragte weiter, ob ihm nicht erlaubet wär, derselbigen mit beyzuwohnen? Man berichtete ihm, daß der Fürst insgemein selbst dabey den Vortrag thät, und deswegen nicht gern Fremde darzu ließ.

Der Graf wurde durch diese Nachricht desto begieriger, dieser Andacht mit beyzuwohnen, und bat deshalben seinen Führer, er mögte ihn mit dahin bringen: Dieser war darzu leicht zu bereden. Der Graf kam in ein Zimmer, das voller Menschen war: Der Fürst saß hinter einem kleinen Tisch, worauf die Bibel und ein Gesang-Buch lag, neben ihm zur Rechten war die Fürstin, seine Gemahlin, mit dem Prinzen, den beyden Prinzeßinnen und einigen Hof-Damen; zur Linken fand sich der junge Prinz mit seinem Hofmeister und andern Stands-Personen. Die Bedienten, nebst andern Leuten, sassen auf Stühlen und Bänken; hinter welchen der Graf sich hinstellte. Man wurde aber seiner so bald nicht ansichtig, so nöthigte man ihn mit aller Höflichkeit, sich vorn hin auf einen [319] von den Stühlen zu setzen, welche noch leer warm: Er weigerte sich nicht lang, sondern begab sich nach dem angewiesenen Platz.

Der Graf meynte nicht, daß ihm noch Aufmerksamkeit für den Vortrag des Fürstens übrig bleiben würde, so sehr hatten ihn die verschiedene Gestalten, die ihm hier in die Augen fielen, eingenommen. Er sah unter andern die älteste Prinzeßin mit Verwunderung an: er betrachtete sie mit einer Art, die ihr ungewöhnlich schien; sie erröthete darüber und empfand in ihrem Gemüthe etwas, so ihr selbst unbekant war.

Die Gesänge, davon man dem Grafen ein Buch gereichet hatte, giengen über diesen Betrachtungen zu Ende. Der Fürst begunte seine Rede: er that solches mit einem überaus natürlichen und ungezwungenen Wesen: er las einige Sprüche aus der zwölften Epistel Pauli an die Römer, und machte darüber unter andern folgende Anmerkungen.

Die Menschen, sagte er, hätten insgemein einen sehr ungleichen und falschen Begriff von dem Wort: Gottesdienst. GOtt sey ein vollkommenes und sich selbst genugsames Wesen, dem wir eigentlich durch nichts einen Dienst erweisen könten. Seine Absichten in Ansehung der Menschen, giengen blos dahin, sie einer immerwährenden Glückseligkeit theilhaftig zu machen: In diese Absichten müsten [320] wir eingehen. GOtt dienen, hieß also nichts anders, als sich ihm darstellen in einem reinem Gehorsam, seinen Willen zu thun; und ihn, als das höchste Gut, zu verehren und zu lieben. Durch diese inwendige Neigung des Herzens hielt sich der Mensch in einem steten Zusammenhang mit GOTT, und zög durch seinen Geist aus ihm alles Licht, alle Weisheit und alle Tugend, die zu seiner Glückseligkeit erfordert würde; nicht anders, als wie das natürliche Leben, durch das beständige Athmen und Ziehen der Luft, sich fortführte.

GOTT wirke in der ganzen Natur nach einer unwandelbaren Ordnung, darzu alle geschaffene Dinge, ein jedes nach seiner Art, ihre Bewegungen einrichten müsten: so lange die Menschen dieser Ordnung gemäß lebten, so lange blieben sie auch in der Ubereinstimmung mit dem Göttlichen Willen, und wären glückselig; so bald sie aber durch ihre Unordnungen und Ausschweiffungen sich von ihm abwendeten; so verfielen sie auch in die Strafen, damit die Natur diejenigen plagte, welche die Ordnung ihres Schöpfers verkehrten.

Der wahre Gottesdienst wär also nichts anders, als die Beobachtung unserer Pflichten gegen GOtt, gegen seine Geschöpfe, und gegen uns selbst: nichts wär unserer Natur zuträglicher und angenehmer, als in dem[321] Dienst eines solchen Herrn zu stehen, der uns nur suchte glückselig zu machen.

So zerstreuet Anfangs die Aufmerksamkeit des Grafens war, so enge zog sie dieser Vortrag zusammen. Die Art womit der Fürst sich vernehmen ließ, schien mehr einem vertraulichen Gespräch, als einer voraus studirten Rede ähnlich. Das leutselige, eindringende und aufrichtige Wesen, damit dieser grosmüthige und fromme Herr sein Fürstliches Haus und seinen ganzen Hof-Staat zu erbauen und zu unterrichten suchte, hatte etwas ganz ungemeines.

Der Fürst gieng darauf in sein Zimmer, nachdem er alle seine Zuhörer mit einer holden Freundlichkeit begrüsset hatte: Gleich darauf kam ein Cavalier zu dem Grafen von Rivera, und fragte ihn, in Aquitanischer Sprach, ob er der Halycidonischer Doctor wär? Ich bin ein Halycidonier, antwortete ihm der Graf: Ich bin sonst von Adelicher Geburt, dabey aber zufälliger Weise auch ein Arzt worden. Wolten sie nicht, fragte der Cavalier weiter, meinem Herrn die Ehr geben, und ein wenig zu ihm kommen? Der Graf wurde über dieses Zumuthen ein wenig verwirrt; er wolte sich nicht gern dem Fürsten bey solchen Umständen zu erkennen geben: er erwartete den andern Tag seine Leute: er hatte unterdessen keinen Vorwand, die angebottene[322] Ehre, um den Fürsten zu sprechen, von sich abzulehnen.

Der Fürst empfieng ihn mit der grösten Leutseligkeit: Er befragte ihn um ein und andre Neuigkeiten des Aquitanischen Hofs, wie auch, ob er den in kurtzer Zeit so berühmt gewordenen Grafen von Rivera nicht kennete? Der Graf erröthete über diese schmeichelhafte Erwehnung seiner Person: Er verwünschte in diesem Augenblick alle Verstellung. Ich kenne, sprach er, den Grafen von Rivera so wohl, wie mich selbst: Er wird erster Tagen hier seyn: Ich bin voraus gegangen, um dessen Ankunfft Ew. Durchleucht zu melden, und die Erlaubnis bey Deroselben auszubitten, daß er einem so grosen und weisen Fürsten seine Ehrerbietung bezeigen mögte. Der Fürst war über diese Nachricht so erfreuet, daß er solche seiner Gemahlin, welche noch in demselben Zimmer war, zu wissen that.

Der Graf wurde darauf mit zur Tafel genöthiget: Das Gespräch bey derselben war theils von ihm selbst, und von dem mit dem König von Licatien geschlossenen Frieden: theils von dem Kranken, welchen er im Gast-Hause unter seine Chur genommen hatte. Die älteste Princessin sagte hierauf halb im Schertz: Sie hätte hier auch eine Milz-Schwester bey sich, sie bat deswegen den Herrn Doctor, sich ihrer ein wenig anzunehmen: Indem sie dieses sagte, winkte sie mit [323] den Augen einer Fräulein, die neben dem Grafen saß, und trank ihr mit einem vertraulichen Lächeln, die Gesundheit zu: Es lebe Riesenburg.

Diese Fräulein hatte keine gar gute Farbe, ob sie gleich von einer überaus schönen Bildung war: Sie wurde roth, als die Princessin diesen Namen Riesenburg aussprach: Der Graf sah darüber die Fräulein an, und zweifelte nicht, daß sie die Fräulein von Thurris seyn muste, als von welcher er bereits Nachricht eingezogen hatte, daß sie sich an diesem Ort finden solte. Er konte darüber sein Vergnügen kaum bergen. Schönste Fräulein, fieng er ganz ernsthaft an: Sie haben ein Anliegen, welches sonst nicht die Aerzte zu curiren pflegen: Ich hoffe nichts destoweniger, denselben, wenn sie mir folgen wollen, wieder zu ihrer vorigen Gesundheit zu verhelfen. Der Fürst sahe darüber den Grafen an, schüttelte den Kopf, und wuste nicht, was er von ihm denken solte: Sie scheinen mir, sprach er zu ihm, ein ganz ausserordentlicher Medicus zu seyn: Gleichwohl antwortete jener, ist nichts ordentlicher und natürlicher, als die Art, womit ich meine Patienten zu tractiren pflege: Ich werde, fügte er hinzu, in kurtzer Zeit die Gnade haben, Ew. Durchleucht davon ganz unverdächtige Proben zu zeigen.

Der vermeynte Arzt faßte darauf die Fräulein [324] bey der Hand: Ihr Puls gehet sehr schnell, sagt er, sie sind beweget: Ich werd ihnen ein Pulver geben, die Wallungen in ihrem Geblüt niederzuschlagen: Morgen wird ihnen besser seyn. Man stund damit von der Tafel auf. Ich sehe, sagte der Fürst, zu dem verstelleten Grafen, daß sie heut mit unserm Frauenzimmer werden zu thun haben. Morgen werd ich mir auch eine Stunde ausbitten, mit ihnen zu sprechen. Er gieng damit nebst der Fürstin, seiner Gemahlin, und dem jungen Prinzen in sein Zimmer, und ließ den Grafen mit seiner ältesten Prinzeß in und der Fräulein in dem Vorgemach.

Diese beyde Damen fanden den vermeynten Arzt freyer als die Aerzte sonst in diesen Ländern zu seyn pflegten: Er sah vollkommen wohl aus: Er scherzte mit der grösten Anständigkeit, und hatte dabey solche Manieren, die ganz vornehm waren.

Ihr Gnaden, redete er die Fräulein an, werden mir etwas zu gut halten: Die Medici bey uns sind sehr freye Leute: sie werden mir ein wenig beichten müssen: Ich sehe, daß Ihro Durchleucht die Prinzessin sie lieb haben: sie wollen, daß ich ihnen helfen soll: man kan aber kein Ubel aus dem Grunde heben, dessen Ursprung man zuvor nicht wohl weiß. Indem er dieses sagte, ergriff er wieder der Fräulein ihre Hand, und besah darin ihre Lineamenten. Ist es nicht wahr, [325] schöne Fräulein, fuhr er fort, sie lieben einen gewissen Cavalier, und sind in ihrer Liebe, nicht, wie sie es wünschen, glücklich. Die Fräulein schien über diese allzu grose Freyheit des fremdem Doctors ungedultig zu werden, und wolte ihre Hand wieder zurück ziehen; allein, der Graf hielt solche fest: Nein, nicht so, gnädige Fräulein, sprach er zu derselbigen, mit Ungedult werden sie meiner nicht los; und weil sie mir nichts bekennen wollen, so will ich ihnen selbst die gute Wahrheit sagen. Werden sie mir aber solches ungnädig nehmen, so dürften sie damit mit ihr Geblüt noch mehr erhitzen, und also ihre Cur desto schwerer machen.

Die Prinzeßin lachte von Herzen über dieses Spiel, und bat den vermeynten Arzt, darinn weiter zu gehen. Der Graf fuhr also fort, und sagte der Fräulein, sie mögte sich verstellen, wie sie wolte, so säh er doch so viel aus ihren Lineamenten, daß ihr eigentlicher Beruf gewesen wär, in ein Closter zu gehen; daß sie aber durch eine darzwischen gekommene Neigung für einen vornehmen Cavalier darinn seye gestöret worden; O das ist nicht natürlich! rief darüber die Prinzeßin aus. Der guten Fräulein zitterten die Hände: sie sah den Grafen mit ganz erschrockenen Augen an, und fieng an sich vor ihm zu fürchten.

Der Graf merkte solches: er lachte heimlich [326] darüber: Nur ein wenig Muth gefaßt, gnädige Fräulein, sprach er zu derselben, ich bin so gefährlich nicht, als sie meynen. Hie Haben sie fuhr er fort, als er ihr wieder in die Hand sah, einen zwar widerwärtigen Planeten: sie haben ihren Liebsten vermuthlich durch einen Zweykampf verlohren; Allein, dem ungeacht, so verspricht ihnen die Vereinigung des Saturni mit der Venere noch vieles Glück: Ihr Liebster lebet noch, sie werden ihn auch wieder finden: und wenn sie mir glauben wollen, so soll er durch meine Kunst erfahren, wo sie sich aufhalten, und sich selbst hier vor ihren Augen stellen.

Der guten Fräulein wurde über diesen Reden noch banger: sie konte kein Wort sprechen, sie zweifelte gar nicht, daß der vermeynte Doctor ein Zauberer seyn müste. Der Graf versicherte sie dargegen, daß alles ganz natürlich zugieng; und solte morgen oder übermorgen der Graf von Rivera selbst für ihn gut sprechen.

Darf ich mich nun auch unterstehen, sagte hierauf der Graf, indem er sich zu der Prinzeßin wand, und Ew. Durchleucht ungemein glückliche Planeten, welche ich auf dero schönen Stirn erblicke, in dero hohen Hand bewundern? Sie sind, Herr Doctor, antwortete sie ihm mit einer freundlichen Mine, ziemlich verwegen: sie zeigte ihm damit, wiewohl nicht ohne einige Schamröthe und Verwirrung, ihre Hand.

[327] Hier machte der Graf grose Augen, und that, als ob er lange nicht recht mit der Sprach heraus wolte: endlich senkte er das eine Knie zur Erden; O grose Princeßin, rief er aus, mit einem Geheimnüs-vollen Ton; Ich sehe hier eine der grösten Königinnen der Welt vor mir stehen: Ew. Durchleucht erlauben mir, Deroselben meine tiefste Ehrerbietung zu erkennen zu geben: Sie werden den machtigsten Thron beherrschen, ihren Gemahl und ihr Volck glückselig machen, und ihre Durchleuchtigste Nachkommen bis auf die späteste Zeiten fortpflanzen. Dero Weisheit, Dero Tugend, Dero Gottesfurcht werden auch schon hier in diesem Leben ihre reiche Belohnung finden; Sie werden die Vollkommenste unter den Königinnen, wie die Schönste unter den Frauen seyn.

Eine so schmeichelhafte Prophezeyung und die edle Gebehrden, womit der Graf solche aussprach, verursachten bey der Prinzeßin allerhand Nachdenken. Solte wohl, gedachte sie bey sich selbst, ein vornehmer Herr mir diese Maskerade spielen? Ja, ja, ganz gewiß ist unter diesem verkappten Arzt eine andere Person verborgen. Die Princeßin hatte deswegen für denselben eine gewisse Ehrerbietung, die sie sich nicht entbrechen konte, ihm auch darinn zu erkennen zu geben, daß sie ihm seine allzufreye Aufführung nicht allein nicht verwies; sondern auch im Scherz ihm [328] diese Antwort gab, daß, wo er ihr die Wahrheit gesagt hätte, so solte er ihr erster Hof-Arzt werden.

Der Graf, nachdem er sich bey der Prinzeßin beurlaubet hatte, verfügte sich nach dem allgemeinen Gast-Haus: von da er durch einen ihm mitgegebenen Fürstlichen Leib-Diener der Fräulein das versprochene Pulver, aus seiner Reis-Apotheke zusandt: Sein anderer Patient war noch auf, und las in einem Buch, welches von der Zufriedenheit, und wie man solche bey GOtt suchen müste, handelte: Der Graf fand ihn sehr ruhig; Der Fremde sagte, daß ihm so wohl wär, als er solches in langer Zeit nicht gewesen. Das macht, versetzte der Graf, weil man sie hier in diesem Ort zu dem rechten Arzt gewiesen hat, welcher so wohl dem Leib, als dem Gemüth am besten aufhelfen kan; wenn man anders mit einem aufrichtigen Herzen, zu ihm seine Zuflucht nimmt, und die Mittel zur Genesung gebrauchet, die er uns vorgeschrieben hat.

Der Graf so wohl als der Fremde empfand noch keinen Schlaf. Der Graf ersuchte deswegen seinen Patienten, wenn es ihm anders zur Erleichterung des Gemüths dienen solte, und sonst kein Geheimnüs darunter verborgen wär, ihm seine Begebenheiten zu erzehlen. Dieses alles, antwortete der Fremde, würde gar zu weitläuftig fallen. [329] Der Graf sagte, er würde ihn damit verpflichten, und wann sie allenfalls darüber schläfrig werden solten, so könnten sie das übrige morgen nachholen.

Das zwölfte Buch

Das zwölfte Buch.
Die Begebenheiten des Herrn
von Güldenblech.

Ich bin, begunte der Fremde seine Erzehlung aus Budorgis, und heise Güldenblech. Meine Vorfahren sind meist angesehene Handels-Leute gewesen; Mein Vatter aber hatte aus Gefälligkeit für meine Mutter, weil sie von einem adelichen Geschlecht war, unsern Namen mit dem Beywort von bereichern lassen. Es ist solches bey uns nichts neues, daß die Kaufleute sich adeln lassen; weil man den Adel um guten Preiß haben kan, so läst man diese Ehre auch öfters die längst vergrabene Knochen seiner Vorfahren mit geniessen, und solche noch in der Gruft bis auf sieben Ahnen mit adeln. Wiewohl der Neid der Land Junkern allhier so groß ist, daß sie uns nicht für Stift- und Thurnier-mäßig halten wollen; wenn wir gleich öfters gegen sie noch so gute Figur machen.

[330] Ich wurde als ein einziger Sohn von meinen Eltern in aller Weichlichkeit erzogen; dergestalt, daß mir auch nicht die geringste Bemühung, weder im Lernen noch auf meines Vatters Schreib-Stube, zugemuthet wurde: Wenn meine Lehrmeister über mich klagten, so wurden sie von meiner zärtlichen Mutter mit dem sorgfältigen Bescheid abgewiesen: sie solten das arme Kind nicht zu viel mit dem Lernen quälen; ich würde doch einmahl Brod zu essen haben. Meine Ausschweiffungen wurden unterdessen für kleine Artigkeiten und Wirkungen eines muntern Geistes gehalten.

Nachdem ich solcher Gestalt mein achtzehendes Jahr erreichet hatte, fand man für gut, mich auf eine benachbarte Universität zu schicken: man gab mir einen sogenannten Hofmeister mit, der ein sehr dummer und furchtsamer Mensch war. Meine Mutter hatte ihn deswegen vor andern erwehlet, daß er desto behutsamer auf mich acht geben solte.

Die Lehren, die sie unter andern mir mit auf die Weg gab, waren diese: Lieber, Sohn, sprach sie, du gehest nun auf Universitäten; ich habe bereits Sorge getragen, daß du daselbst bey einem Professor an einen der besten Tische gehen sollst; doch hat man mir gesagt, daß es zuweilen etwas mager bey denen Herren Professoren in der Kost aussähe; du kanst deßwegen an mich schreiben, daß dein Vater nichts davon weiß; ich wil dir schon Geld schicken, daß du[331] auch nebenher dir einen guten Bissen bey den Gasthaltern kanst holen lassen. Hier hast du eine kleine Börse, da kauf dir etwas, und sage es Papa nicht, daß ich dir Geld mit auf die Reise gegeben hätte, er wird schon auch für dich sorgen. Lerne etwas, daß du Ehr davon haben mögest; studir aber auch nicht zu viel, du mögst mir sonst krank werden, oder dich gar überstudiren. Geh auch fleißig in die Kirchen, hüte dich aber ja, daß du kein Bet-Bruder wirst, denn ich kan die Pietisten nicht leiden.

Mein Vater hielte mir einen etwas ernstlichern Discurs; er sagte mir, ich solte keinen Mangel leiden; aber ich müste mich auch der Sparsamkeit befleissen; die Zeiten wären schlecht, das Geld wäre schwer zu verdienen; ich müste suchen etwas zu lernen, sonst würde ich in der Welt nicht wohl zurecht kommen.

Mit diesen Vätter- und Mütterlichen Ermahnungen reiste ich nebst meinem Hofmeister auf die Universität. Meine Mutter hatte mir selbst eingepackt: ich fand in einem Coffer nebst etlichen Pfund Caffee und Thee, eine Menge von Zuckerwerk, und eingemachten Sachen, imgleichen verschiedene Gläser von Ungarisch Wasser, und Aquavit, nebst einer grossen Schachtel mit allerhand Arzneyen, welche allesamt auf einen verdorbenen Magen gerichtet waren.

Ich streuete an diesem Ort, zum Saamen künftiger Weisheit, binnen drey Jahren, über [332] sechs tausend Thaler aus. Meine Eltern erhielten währender Zeit von mir die allerbeste Nachrichten: es hieß, ich machte dem ganzen Güldenblechischen Hause die gröste Ehre: ich sey der artigste und galanteste Cavalier auf der Universität, und würde dermahleinst eine Zierde unserer ganzen Stadt abgeben.

Zu mehrerer Bekräfftigung dieser annehmlichen Berichten, ließ mir einer der vornehmsten Professoren keine Ruh, ich solte mich öffentlich auf dem Catheder zeigen, und eine grose Disputation von dreyßig Bögen stark zu vertheidigen übernehmen. So eitel ich auch sonst mogte gewesen seyn, so hatte ich doch nicht Hoffahrt genug, mich ohne Müh zu einer dergleichen Probe zu verstehen; dem Professor aber war es um ein gutes Geschenk zu thun, welches er sich von meinem Vater vermuthete, wenn er unter dem Namen seines Sohnes, dessen gelehrte Arbeit ihm zuschriebe. Das Mittel, mich zu einem Respondenten zu machen, war von ihm leicht ausgesonnen; Er hatte schon, wie er mich dessen versicherte, manche Doctores gemacht, die lange nicht so viel verstanden hätten, wie ich; Dieses gab mir wirklich einen gewissen Hochmuth, daß ich glaubte, es könte auch wohl möglich seyn, daß ich mehr wüste, als ich mir einbildete.

Die Disputation wurde überaus prächtig auf meine Unkosten gedruckt, und mit einem nicht gemeinen Titul meinem Vatter zugeignet. [333] Die Zeit kam herbey, daß ich den Catheder besteigen solte; ich hatte die Disputation nicht einmahl ganz durchlesen, und wuste von ihrem Inhalt, und was ich den Opponenten antworten solte, kein einziges Wörtgen; allein, ich hatte alles sehr künstlich im Hute liegen, was ich vorzutragen und zu reden hatte.

Ich machte die Eröffnung von dem ganzen Gepränge, dann anders war es nichts, mit einer sehr zierlichen Anrede, welche der Herr Professor aufgesetzet hatte; ich las solche mit einem grosen Ansehen von dem Catheder herunter. Meine zu dieser Handlung erbetene Gegner liessen sich darauf gleichfalls mit einem wohl ausgesonnenen Glückwunsch vernehmen: sie priesen an mir den Werth solcher Wissenschaften, die ich nicht hatte: und ich verlas ihnen hinwiederum dargegen solche Höflichkeiten, die sie eben so wenig, als ich die ihrigen, verdienten. Alle unsere Sätze und Gegen-Sätze, die wir uns einander machten, waren mit Numern bezeichnet: auf Numero eins, antwortete ich, Numero ein, auf Numero zwey, mit zwey, und so fort; und wenn ja auch einer eine Numero verfehlet; so blieb deßwegen der andere doch in seiner Ordnung; es mogte auf einander passen oder nicht; es hatte solches nichts zu sagen; dann wegen des hin und wieder lauffenden jungen Volks und des Geräusches, welches sie mit ihrem Plaudern und ihren Reverenzen machten, konte man kaum das wenigste von diesem gelehrten Streit-Spiel [334] vernehmen. Als auch dabey ein ausserordentlicher Wiedersacher sich meldete, so wies der Professor denselben für mich ab.

Nach diesen abgelegten Proben meiner Gelehrsamkeit, lies ich den Abend darauf die meiste Professores, den vornehmsten Adel, zunebst meinen Opponenten und Tisch-Purschen in einen Garten bitten, und tractirte sie daselbst aufs beste. Ich kan sagen, daß ich dabey noch mehr Ehr einlegte, als auf dem Catheder; ich hatte mir den besten Wein darzu von Hause kommen lassen; es wurden eine Menge Speisen aufgetragen; der ganze Garten war mit Lichtern erhellet: wir hatten Paucken, Trompeten Music und kleine Canonen. Die Professores, weil sie stark mit dem Kopf zu arbeiten pflegen, konten den Wein nicht so wohl wie die Studenten vertragen, sie wurden am ersten trunken. Es fand sich darunter ein Lehrer der Griechischen und Römischen Alterthümer, der sich zu Ehren der alten Weltweisen, deren Gesundheiten man ihm zubrachte ganz viehisch besoff. Andere trunken vor lauter Vertraulichkeit Brüderschaft mit uns; und daß an diesem Schmauß ja nichts fehlete, so gab es auch zuletzt Händel; man hatte aber aus nöthiger Vorsicht, die Degen schon bey Seiten geschafft. Da also einer der jungen Helden seinem vom Wein erhitzten Muth an seinem Wiedersacher nicht kühlen konte, so musten es die Teller und die Gläser entgelten, die er theils auf die Erden, theils in die Fenster schmiß.

[335] Ich kam darauf wieder nach Hauß, und wurde von den Meinigen als im Triumph eingeholet; meine Mutter war mit mir ungemein vergnügt, und hatte deßwegen mit meinem Vatter ein hartes Wort-Gefecht, weil er sich kurz darauf bey Tisch unterstanden hatte, mir zu sagen, ich hätte gleichwohl ein wenig besser haushalten sollen; dann sechs tausend Thaler, die ich in drey Jahren hätte darauf gehen lassen, wären so geschwinde nicht verdienet, und müßte er manchen Brief dafür schreiben.

Es ist doch gleichwol, sagte sie unter andern, nichts groses und edelmüthiges in einer Kaufmännischen Seele; was ist doch verächtlicher und niederträchtiger, als ein solcher Mensch, der nicht weiß, wie man für sein Geld sich Ehre machen soll. Fritz hat schon ein höheres Gemüth als sein Papa; er hält auch mehr auf die Ehre, als auf das Geld; und darin schlägt er seiner Mama nach. Meine Vorfahren haben nur auf Ehr und Adel gesehen; Es ist wahr, daß sie durch ihr großmüthiges Wesen sind Güterlos worden. Allein, sie hatten dargegen allenthalben den Ruhm, daß sie zu leben wüsten; und wenn sie hätten voraus sehen sollen, daß eins von ihren Nachkommen dermaleinst so unglücklich seyn würde, wie ich, und einem Kaufmann heyrathen, sie hätten sich darüber halb zu todt gegrämet.

So lebhaft wuste sich bey dieser Gelegenheit der adeliche Schmerzen meiner Mutter auszudrucken:

[336] Mein Vater, der nur von einer alten guten Stadt-Familie entsprossen war, unterstund sich nicht, in einer so wichtigen Streit-Sache meiner Mutter zu wiedersprechen; er war dergleichen Zänkereyen bey ihr gewohnet; er trug also sein Creutz mit Gedult.

Ich hatte unterdessen auch meine Reisen gethan, welche ihm so theuer als meine Studenten-Jahre zu stehen kamen: Ich war damahls ungefehr vier und zwantzig Jahr alt, und weil meine Mutter wolte, ich solte, an statt die Handlung meines Vaters fortzusetzen, einen Land-Junker abgeben; so ließ sie demselben keine Ruh, biß er einen Theil von seinem Vermögen dahin verwandt, und mir ein Ritter-Gut kauffte.

So ein grosses Verlangen auch meine Mutter hatte, wieder eine recht gnädige Frau zu werden, so erlebte sie solches doch nicht; sie fiel in ein hitziges Fieber, und starb. Mein Vater lies darüber keinen gar grossen Kummer spüren; er war zu aufrichtig, dem Wohlstand zu gefallen, sich zu verstellen.

Das erkauffte Ritter-Gut warf indessen schlechte pro Centen aus; und es kamen Jahre, da uns der Pachter eine neue Art zu rechnen lernte: bald waren es Heerzüge, bald Durch-Marsche, bald Hagel-Schlag und Mißwachs, bald Unterhalt, Bau- und Besserungs-Unkosten; bald andere Dinge, welche [337] meinem Vater das null von null geht auf, in seine Bücher tragen lehrte. Er verwünschte deßwegen von ganzem Herzen den Landadelichen Wind; und beklagte so sehr, als seine Flegmatische Gelassenheit es zulies, den dadurch verursachten Abgang seiner bisherigen Handels-Geschäfften. Mein Sohn! sagte er bey dieser Gelegenheit zu mir, laß dich den Ritter-Wurm nicht bethören: überlaß dergleichen Wahn-Witz den stoltzen Land-Junckern; die lieber hochmüthig auf ihrem Mist herum traben, und ihre Hoch-Adeliche Schweine füttern, als mit Demuth und Vernunfft die Städte bewohnen, und ihre Capitalien in der Handlung herum lauffen lassen.

Ich hatte so viel Verstand, oder vielmehr Empfindung, von einem uns alle Gemächlichkeiten dieses Lebens verschaffenden Reichthum, daß ich meinem Vater beypflichtete. Hierzu kam auch dieses, daß, wann ich auf unserm Gut mich befand, selten ein Tag vergieng, daß nicht eine Anzahl ausgehungerter Edelleuten aus der Nachbarschaft, sich bey mir versamleten; welche, so bald sie nur den Schornstein von weitem rauchen sahen, wie die Sperlinge bey einer Scheuer, darinn ausgedroschen wird, auf meinen Hof einfielen, und was sie nicht selbst verzehrten, ihre Knechte und Pferde auffressen liesen: sie soffen das Bier, den Wein und den Brandewein unter einander, wie den Covent, damit sie sonst ihre dürre Gurgeln zu befeuchten pflegten; wobey sie den stärksten Toback[338] rauchten, und mich, der ich sie hatte nöthigen sollen, selbst zum mit machen heraus forderten; meine Natur aber konte dieses alles nicht vertragen; ich war von denen zärtlichen Wohllüstlingen, welche die grobe Schwelgereyen dieser rauhen Ritter deßwegen verabscheueten, weil sie allerhand Schmerzen verursachten; Ich suchte mich deßwegen von einem so wilden Geschlecht los zu machen; allein diese rostige Krippen-Reuter wurden meiner Eingezogenheit nicht so bald gewahr, so begunten dieselbe auf die Stadt-Junkern zu sticheln; und es währte nicht lang, so sah ich mich bald dahin gebracht, daß ich mich schier mit ihnen allen hätte herum rauffen, oder mich entschliesen müssen, zu ihrer liederlichen Zunft mich zu gesellen; zuvor aber mich rein auffressen zu lassen, um mich dieser Stifts-mäsigen Vorzüge würdig zu machen.

Ich war demnach froh, als ich wieder in die Stadt in meines Vaters Hause kam; und dieser war eben so vergnügt, daß ich meine junge Ritter-Hörner so glücklich auf unserm Gute abgestossen hatte. Meine Belustigungen waren hier von einer ganz andern Natur: Hier kont ich mir eine Gesellschafft von jungen Leuten wehlen, wie ich selber wolte; Hier kont ich täglich in die Sing- und Schau-Spiele gehen; Der Umgang mit dem artigsten Frauenzimmer, ihre öffentliche Zusammenkünfte, der Zutritt in die beste und vornehmste Häuser, alles dieses stunde mit [339] offen; man ergetzte sich hier auf unzehlige Arten, und nachdem die Jahrs-Zeiten solches mit sich brachten. Kurz, ich genoß in der Stadt so viele Annehmlichkeiten, als ich auf dem Lande Verdruß, Langeweil und Ungemächlichkeit empfunden hatte.

Ich lag demnach meinem Vater selber an, diesen mir so verhaßt gewordenen Ritter-Sitz wieder zu verkauffen, und das Geld dafür in der Handlung zu gebrauchen: Mein Vater that solches, und verlohr darauf etlich tausend Thaler: Zehn bis zwanzig glückliche Unternehmungen ersetzten diesen Verlust mit verdoppeltem Gewinn.

Ich verheyrathete mich unterdessen an eine der besten Parthien unserer Stadt: Meine Frau hatte ihre Annehmlichkeiten; ich nahm sie aber blos des Gelds wegen: Ihr Vater war sonst von einem guten Hause: und hatte nebst einem Sohn, der am Hofe war, nur diese einzige Tochter: Er trachtete nach Geld und Gut; die Mittel darzu zu gelangen, galten ihm gleich viel. Die Natur hatte ihn zu einem Bauren, das Glück zu einem reichen Mann, und der Reichthum zu einem Edelmann gemacht: Die Natur ließ sich dem ungeacht ihr Recht nicht nehmen; sie herrschte über den Reichthum und über den Adel, sie blickte aus allen seinen Gebehrden; er dachte, wie der Pöbel, und sprach, wie der Pöbel.

[340] Seine Frau hatte etwas mehr Ehrgeitz: Sie beobachtete den Wohlstand, wo er nicht viel kostete, und bat immer viel Zeugen zusammen, wenn sie einen kleinen Aufwand machte: Sie und ihr Mann haderten stets zusammen. So bald sie sich nur sahen, so entdeckten sie an einander ihre Fehler, welche eines an dem andern weder ertragen, noch an sich selbst ablegen wolte.

So sahen meine Schwieger-Eltern aus: Meine Frau aber war von einer ganz andern Gemüths-Art: Ihr Bruder hatte sie stolz gemacht: Ihre ganze Aufführung war gros: sie wuste zu leben: sie hatte gute Manieren: sie spielete das Clavier, sie sang, sie redete Aquitanisch und Ligurisch, sie kleidete sich wohl. Kurz, ich hatte eine galante Frau, und wuste nicht, daß ich sie hatte: ich haßte sie nicht, dann sie war nicht zänckisch; ich liebte sie aber auch nicht, weil sie meine Frau war: sie hätte können leichtfertig seyn, ohne, daß ich viel würde darnach gefragt haben, dann ich hatte mich einmahl mit ihr auf einen solchen Fuß gesetzt, daß wir uns das Leben nicht wolten einander sauer machen: sie solte ihre Gänge und ich die meinige gehen: Wir hielten den schlimsten Frieden auf diese Art für besser, als den gerechtesten Krieg. Wir lebten bey diesem Vergleich zusammen ziemlich vergnügt. Die Aufhebung des Zwangs und der Verstellung gab uns für einander eine gewisse Zuneigung, die unsern Ehstand glücklich machte.

[341] Das erste Jahr waren wir noch bey ihren Eltern allein, da ich es bald mit meinem wunderlichen Schwieger-Vatter, bald mit der Schwieger-Mutter, bald mit beyden zugleich aufnehmen und mich mit ihnen herumkeiffen muste Ich fieng gleich darauf meine eigene Haushaltung an, und bezog meines Vaters Haus, der mir zugleich mit demselben auch seine ganze Handlung übergab, und einige Jahre hernach mit Tod abgieng.

Meine Schwieger-Eltern machten es auch nicht lange: der Vatter hatte beständig das Podagra; und wurde dadurch verhindert, seiner Frauen aus den Augen zu kommen, und auf seinem Hof, den er bey der Stadt hatte, zu leben. Er saß in seiner und die Frau in ihrer Stube; doch assen sie mit einander; da denn der erste bis zum letzten Bissen mit Zank und Disputiren in den Magen gestossen wurde: Dem Alten kam darüber die Gicht in die Gedärme, daß er starb. Meine Schwieger-Mutter lebte darauf noch etliche Jahre bey uns im Haus, und ärgerte sich grausam, da sie sah, wie wir so vornehm Haus hielten.

Ich war damahls durch den Tod meines Vaters und Schwieger-Vaters ein Mann von einem überaus grossen Vermögen. Wann ich auch meine Einkünfte jährlich nach meinen Capitalien nur zu vier vom Hundert anschlug, so hatte ich dennoch bey zehen tausend Thaler einzunehmen.

[342] Ich dachte demnach nicht, daß meine Ausgaben und kostbare Haushaltung den Grund eines so grossen Vermögens erschöpfen, noch vielweniger mich gar übern Haufen werfen solten. O wie grosse Ursachen haben nicht die Alten uns vor der Unordnung und Verschwendung zu warnen!

Ich hatte noch kaum fünf- bis sechszehen Jahre in der Eh gelebet; so stieß ich auf den Grund, und mein Haus-Wesen gieng, gleich einem voll-beladenen Schiff, zu scheitern.

Wie dieses zugieng, wuste ich bey den ersten Stösen selber nicht; ich habe nur, seit dem ich mich flüchtig von Haus, Hof, Güter, Weib und Kinder machen müssen, die Zeit gehabt, solches zu überlegen und mir die Sache begreiflich vorzustellen.

Da ich neun Jahr geheyrathet war, hatte ich acht Kinder, einen Haus-Präceptor, eine Französin, vier Mägde, drey Bedienten auf der Schreib-Stube, und nebst dem Gutscher noch zwey Diener in Liberey, die Näherin und andere Beyläuffer nicht zu rechnen; Als hierauf auch der älteste von meinen Söhnen begunte die zehen Jahre zu erreichen, so kamen darzu die Sprach-Music- und Exercitien-Meister. Auf meinem Hof hatte ich einen Verwalter mit Weib und Kindern: Einen Gärtner mit Weib und Kindern: Einen Wingerts-Mann mit Weib und Kindern, ohne das andere[343] Gesind zu rechnen: Alle diese Leute hatten wieder andere Leute an sich: alle nährten sich aus meinem Beutel; und verliesen sich auf ihren guten Herrn. Ich und meine Frau liebten die Gesellschaften und die Lustbarkeiten: Wir hatten also genug zu sorgen, wie wir uns und die Kinder kleiden, wie wir tractiren und die Zeit sonst vergnüglich hinbringen wolten. Auf diese Weise lebten wir beständig fort: Der Zirkel unserer Ausgaben vergröserte sich mit dem Anwachs unserer Kinder.

Meine Frau war in allen galanten Wissenschaften erfahren; aber sie verstund keine Haushaltung: Ihre Eltern keiften ehedessen vom Morgen bis an den Abend mit ihrem Gesinde, sie niemahls: es war ihr alles recht; sie wolte, daß alles vergnügt seyn solte, und konte nicht einmahl leiden, daß das Gesind untereinander zankte; Nun, nun, sagte sie, Kinder, seyd nicht so böse, vertragt euch, ich will euch lieber etwas schenken.

So viel Weibs-Leute ich im Hause hatte, so viel Liebhaber muste ich auch mit unterhalten: Die Freyheit, der Müßiggang, der Uberfluß, machte sie allesamt üppig. Nur die Französin hatte ihr Alter züchtig; aber auch dargegen eigennützig gemacht: Sie sah die Unordnungen in meinem Hause; schwieg darzu still und fischte im Trüben: ich muste ihr solches als eine Höflichkeit bezahlen; dann sie sagte, [344] sie schonte der Ruh der Madame, und mögte ihr nicht alle Verdrieslichkeiten vorbringen.

Wir hatten solchergestalt das beste Gesind in der Stadt: man stellte uns allen Herrschaften zum Exempel vor: Knechte, Mägde und Laqueyen errichteten nach der Art, wie wir es hielten, ihre neue Rechts-Verfassungen und Gesinds-Ordnungen.

Meine Bedienten auf der Schreib-Stube thaten auch was sie wolten: Mein Buchhalter schnitt die beste Rohren für sich: er theilte die gute Posten mit mir, und schrieb mir die bösen allein auf. Der Caßirer war ein Haupt-Vogel: er brachte mir die schlimste Münz-Sorten in die Einnahm, verwechselte mit Vortheil die guten, die er empfangen hatte, blieb der Cassa bey jeder Abrechnung etwas schuldig, und machte sich also ein artiges Capital. Meine andere zwey Bedienten hiengen an liederlichen Weibs-Leuten, denen sie alles zusteckten, was sie theils vom Posttheils vom Kost-Geld zurück legten. Kurz, mein ganzes Hauswesen war so beschaffen, daß ich nach einer Mathematischen Ausrechnung keine gewissere Mittel hätte gebrauchen können, um zu verderben.

Es war um diese Zeit, als ich grosen Verlust durch allerhand Zufälle und Banckerutten litt, dergestalt, daß ich meine Casse auf einmahl erschöpfet sah. Hier bekam ich die erste Empfindung [345] von einer Furcht: Ich fieng an zu glauben, daß es nicht unmöglich wär, mit meinem grosen Reichthum zum Fall zu kommen. Diese Vorstellung machte bey mir keinen geringen Schrecken.

Ich gieng in dieser Bestürzung zu einem alten Vetter, den ich zuvor wegen seiner geringen Aufführung wenig geachtet hatte, und begehrte von ihm einen Vorschuß von zehen tausend Thalern. Er hatte sich durch seine ordentliche Haushaltung und glückliche Verrichtungen ein groses Geld gesamlet. Er hätte mir am besten helfen können; er schlug mir aber meine Bitte ab: ich wurde darüber verwundert. Wie! fieng ich an, der Herr Vetter will mir nicht einmahl zehen kahle tausend Thaler auf einige Monathe Sicht, gegen meinen Wechsel-Brief, creditiren? Der Herr Vetter wird excusiren, war seine Antwort, meine Casse ist dermahlen mit einer so grosen Summe Geldes nicht versehen. Ey! Herr Vetter, sagte ich, wie kan das möglich seyn? Noch viel möglicher versetzte jener, als daß des Herrn seine Casse nicht stärker als meine solte beschossen seyn; denn nach dessen Aufführung muß er weit mehr Geld haben als ich. Ich bin nur ein schlechter Mann: ich halte weder Gutsch, noch Pferde, noch Laquayen, noch Hofmeister und Mamesellen, wie der Herr Vetter: ich gehe nur mit gemeinen Leuten um, und kleide mich weder in Sammet noch Seiden, weder in Gold noch Silber: [346] ich habe kein Cabinet von Mahlereyen, Antiquitäten, Büchern, Kupferstichen, Medaillen und dergleichen: ich habe keine Palläste und kostbare Gärten: ich tractire keine grose Herren, wer mit mir essen will, der muß mit bürgerlicher Hausmanns-Kost vorlieb nehmen. Kurz, Herr Vetter, ich bin gegen ihn zu rechnen nur ein schlechter Mann, und ich muß es für einen Scherz aufnehmen, daß er Geld bey mir suchen will.

Dergleichen Pillen gab mir dieser ehrliche Vetter ganz trocken zu verschlucken: ich konte kaum alle einnehmen, noch vielweniger darauf antworten: sie waren mir gleichsam auf die Luft-Röhre gefallen. Ich setzte mich hurtig wieder in meinen Wagen, und fuhr nach Haus.

Meine Frau, die leichtsinnigste aber beste Creatur von der Welt, sah mich mit verblasten Angesicht und niedergeschlagenen Augen in mein Cabinet gehen: sie konte niemand betrübt sehen; sie folgte mir nach; die Gefälligkeiten, die ich für sie hatte, und die Zeit, die wir zusammen in vergnügter Ehe gelebt hatten, gaben ihr für mich eine Art von Freundschafft, die, wenn sie mich leiden sah, auch etwas zärtliches hatte: was ist dir, Fritz? so nannte sie mich, wie siehest du so fürchterlich aus? geh, du machst mir angst, was ist dir begegnet? Lotte, sagte ich zu ihr, wir müssen anders haushalten, oder wir sind verlohren. Nichts als dieses, gab sie mir [347] zur Antwort, ich dachte, es wäre dir sonst ein Unglück begegnet. Was wilt du denn noch mehr als verderben? fragte ich sie. Wie so, sprach sie, bist du denn so viel schuldig? Man ist mir zwar noch mehr, als ich andern schuldig, fuhr ich fort; allein, die Gelder bleiben mir aus, und ich soll zahlen. Kanst du denn nicht, fragte sie weiter, so lange borgen, bis dir die Gelder eingehen? Dein Oheim Lipsart, der reiche Geitzhals, fuhr ich ungedultig heraus, hat mir den Credit rund abgeschlagen, und mich noch darzu mit meiner Haushaltung weidlich hergenommen.

O! erwiederte meine Frau, das hätte ich dir wohl voraus sagen wollen: es ist keine so Jüdische und niederträchtige Seele in der Welt: er hat mich nie leiden können. Ich weiß dir einen bessern Anschlag: Gestern war der Jud Amschel bey mir, und hatte unvergleichliche Perlen; unter andern zeigte er mir zwey Armbänder, die gantz auserlesen, und mit Brillanten nach einer Art, die ich noch nie gesehen habe, durchzogen waren: er forderte dafür zwey tausend Thaler: ich sagte, das wäre theuer, ich hätte jetzt kein Geld. Au weh! ihr Gnaden! kein Geld! sprach der Jude; wolt ihr zwanzig tausend und mehr Thaler haben? den Augenblick sollen sie da seyn.

Ich kennte den Juden, und ließ ihn den andern Morgen kommen; er brachte seinen gantzen Cram von Juwelen mit. Amschel! sagte [348] ich zu ihm, ich soll einem gewissen grosen Herrn zwölf tausend Thaler schiessen; ich brauch aber mein Geld in der Handlung: wisset ihr mir keinen Anschlag? der Jud erklärte sich, wenn der grosse Herr für ein paar tausend Thaler Juwelen annehmen, und ich den Wechselbrief indosiren wolte, so könte er die übrige zehen tausend Thaler bald schaffen. Der Handel wurde richtig: ich nahm für zwey tausend Thaler Juwelen; doch mit dem Beding, daß er solche allenfalls mit zwey hundert Thaler Verlust wieder an Zahlung zurück nehmen solte. Ich ersann den Namen von einem fremden Grafen, der den Wechselbrief solte ausgestellet haben, und setzte, als ob ich solchen erhandelt hätte, meinen Giro drauf. Der Wechsel hatte sechs Monath zu lauffen: ich hatte indessen einige Capitalien eingezogen: da er also wieder zurück kam, zahlte ich solchen, und gab dem Juden seine Jubelen wieder.

Nach diesem gehabten Schrecken nahm ich mir ernstlich vor, mein Hauswesen anders einzurichten: ich brachte meine Frau dahin, daß sie darein willigte; Allein, unser Gesind war einmahl an die Unordnung, und daß alles in unserm Haus voll auf gieng, gewohnet. Es gedachte, wir wären doch gleichwohl so reiche Leute, und es schicke sich gar nicht für uns, daß wir auf alle Kleinigkeiten solten sehen: es schob also neben her, was es konte, und wenn man es drüber zur Red setzte, so gab es lose Worte; es meynte, alle Kisten und Kasten wären [349] bey uns mit Geld angefüllet; und glaubte wohl gar, man thäte GOtt einen Dienst daran, wenn man solches unter die Leute bringen, und damit unsern Geitz bestrafen hülfe.

Meine Frau konte das Wort Geitzig nicht leiden: man hätte sie lieber sonst was gescholten. Wenn man geitzig ist, waren öfters meine Gegen-Vorstellungen, so zehret man nicht immer vom Capital. Wir haben bisher unser Gesind so wohl gehalten, daß sich unsere Nachbaren über uns beschweret, wir verdürben ihnen das ihrige, und führten in der Stadt alle Mißbräuche ein. Wir erweisen allen Leuten Höflichkeiten, wir tractiren, wir leben kostbarer als andere; wir schenken hier, wir schenken dort, und dennoch werden wir für geitzig gescholten: wir müssen wohl in einem seltsamen Zeichen geboren seyn.

Nichts thut mir leider, beklagte sich hier meine Frau, als daß mein eigener Beicht-Vatter, der Herr Magister Ulrich, seit einem Jahr mir immer den Geitz vorwirft. Wann ich ihm sage, wir lebten viel stiller und eingezogener als vor dem, so spricht der andächtige Mann: was ist aber daran schuld, meine liebe Frau von Güldenblech, ist es nicht der liebe Geitz? er weiset mich darüber in mein eigen Herz: er will, ich soll mich darüber prüfen; ich besinne mich: ich erschrecke: ich denke, weil der fromme Mann es sagte, so könte es auch wohl seyn, daß ich geitzig wäre, ohne daß ich [350] es wüste. Dieses macht mir eine abscheuliche Furcht; denn ich möchte nicht gern zu dem reichen Mann kommen, davon er mir so offt das Evangelium vorhält.

Ey Lotte, sprach ich, du und dein Seel-Sorger, ihr seyd beyde nicht klug. Es schickt sich wohl für ihn, dich des Geitzes halben zu bestrafen, der du die gröste Verschwenderin bist. Er selbst ist für den grösten Geitzhals in dieser Stadt ausgeschrien: man sagt, er habe den ganzen Keller voll Wein und ganze Böden mit Früchten, und wuchere damit trotz allen Wippern und Kippern: er thut kein Capital unter sechs vom hundert aus, und läst sich die Zinse voraus geben. Noch neulich hat er einen armen Mann von Haus und Hof getrieben, daß sich die ganze Christenheit darüber ärgern mögte. Zahlt einer nicht auf Stund und Ziel, so jagt er die Notarios, die ihm umsonst dienen, hinter ihm drein: da ist keine Barmherzigkeit: Zahlung oder Execution. Die Richter schämen sich oft selbst über dessen unchristlichen Rechts-Eifer. O welch ein schädlicher Mann ist ein solcher Bauch-Priester.

Dieser Mann, der doch noch immer seinen fetten Beicht-Pfennig von uns bekam, that uns viel Schaden; ohne daß ich eine andere Ursach davon zu geben wüste, als daß wir ihn nicht mehr so fleißig, wie sonst, zur Tafel hohlen liessen; dann er liebte einen guten Bissen, und trug seinen gesunden Appetit gern zu Gaste. [351] Er machte uns schier alles Gesinde aufrührisch. Wenn ihm eines davon begegnete, oder solches zu ihm ins Haus geschickt wurde, so fragte er solches aus, wie es ihm gieng, und brachte demselben die Gedanken bey, wann es solche noch nicht hatte, daß es bey kargen Leuten diente. Ja, ja, sagte er zu ihnen, Kinder, ich weiß schon, wie es in eurem Hause aussiehet. Doch habt Gedult und versündiget euch nicht. Es ist schwer, seufzete er dabey, daß ein Reicher ins Himmelreich komme; ihr aber seyd arm. Armuth hat eine grose Verheissung: Armuth schändet nicht; Aber der Geitz, der Geitz ist eine Wurzel alles Ubels.

Dieses Evangelium war unsern Dienstboten recht: sie thaten ohnedem schon was sie wolten. Wir dienen nicht als Sclaven, sagten sie, man muß uns auch eine kleine Veränderung gönnen. Was der Mund verzehret, ist nicht gestohlen. Der Herr Informator und die Frantzösin hatten immer Zuspruch: diese hatte die Schlüssel zu Küch und Keller, also konte sie vielen Leuten etwas zu gute thun: Diener, Mägde, Lackayen, Hof- und Bauers-Leute; alle wünschten ihr tausend Glück und Seegen, wegen ihrem gutthätigen Herzen. Meine Frau aber, und ich wurden mit den sinnreichesten Lasterungen angestochen, wenn wir uns so viel heraus nahmen, und uns nach ein- und dem andern zu fragen unterstunden.

Die Mägde giengen nicht mehr als Mägde, [352] sondern als wohlhabende Burgers-Töchter gekleidet; sie wolten deswegen auch nicht mehr Mägde heissen. Ich versah es einmahl gröblich, da ich zu einem Diener sagte, er solte eine Magd rufen: das Kinder-Mensch hörte solches: die Magd, wiederholte sie spöttisch: ich heise nicht Magd: sie kam damit gantz murrisch ins Zimmer; meine Frau merkte bald, daß ihr was fehlte: sie sagte deswegen zu mir, als das Mensch wieder weg war: heise doch das arme Ding nicht Magd. Wie, fragte ich voll Verwunderung, ist sie denn keine Magd? Ja, sprach sie, aber es klingt den hochmüthigen Dirnen zu hart: sie können nicht leiden, wenn man sie so nennet: sie sprechen, sie wären nicht leibeigen. Wie soll man sie dann nennen, fragte ich weiter; bey ihren Namen, antwortete meine Frau, Dosgen, Fickgen, Louisgen und dergleichen. Ich konte mich in diese Sachen nicht mehr schicken. Ich sah, daß meine Leute dabey sich ihrer gewöhnlichen Arbeit zu schämen begunten; also, daß man ihnen andere Leute darzu halten muste.

Ich hatte sowohl in der Stadt, als auf dem Land, kostbare Gebäude geführet; meine Lust-Gärten kosteten mich viel zu unterhalten, und brachten nichts ein; ich hatte in meinem Hause täglich mehr als dreyßig Menschen, die aus meiner Küche zehrten; ohne die Gäste, Beyläuffer, Reib-Wasch-Näh- und Sudel-Weiber zu rechnen.

[353] Hierzu kamen noch so viel andere Leute, die alle keinen Pfennig ins Haus brachten, sondern nur immer haben wolten: darunter waren auch diejenige, welche die Rechte und die Gesundheit der Menschen studiret hatten. Ich war in meinen Handlungen nicht vorsichtig genug gewesen; ich hatte zu viel Zerstreuungen und andere Gedanken im Kopf. Ich trauete zu leicht, und wurde oft betrogen: dieses verdroß mich, ich wolte Recht haben, ich klagte darauf; so bald aber geriethen nicht die Sachen unter die Advocaten, so gieng insgemein das Capital verlohren, und ich muste noch jährlich die Zinsen davon, mit samt den Proceß-Kosten, zu Ehren der eingeführten Gerichts-Ordnungen, nachsetzen.

Die Aerzte und Apotheker giengen bey mir auch nicht leer aus. Die unordentliche Lebens-Art, und die Unmässigkeit meiner Leute machten mein Haus zu einem halben Spital. Ich hatte beständig kranke Kinder und krankes Gesinde; sie sahen so blaß und so mager aus, daß es einen erbarmte. Der Doctor kam schier alle Tage: er verschrieb die köstlichste Artzneyen, und Gold-Tincturen. Die Wund-Aerzte vergossen des Jahrs über eine Menge Blut in meinem Haus. Die Apotheker-Zettul wurden zu ganzen Büchern, man schrieb mir zu Ehren alles theurer auf, als andern Leuten: es hies: der kans bezahlen.

Bald waren Hochzeiten, bald Leichen, bald [354] Kindtaufen, bald Gevatterschafften, bald Gastereyen, bald andere Ceremonien bey mir. In allen milden Steuren und Collecten, wurde mein Namen oben an gesetzt. Ich hatte über alles dieses, von halb Jahr zu halb Jahr, schier an alle Gattungen von Künstlern und Handwercks-Leuten Rechnungen zu zahlen; sie übersetzten meistens darinn ihre Arbeit, wolt ich ihnen etwas abziehen, so klagten sie, sie wären arme Leut, die Arbeit würde ihnen sauer, ich wär ein reicher Herr; es hiese wohl, je reicher, je karger.

Anfangs gieng mir in meiner Haushaltung so vieles nicht drauf, da ich aber hernach anfieng zu bauen, und viel auf kostbaren Hausrath, auf Jubelen, Silber-Geschirr, Mahlereyen und dergleichen zu verwenden, so schmolzen binnen sechs Jahren über fünf und zwanzig tausend Thaler vom Capital, wobey wenigstens eine gleiche Summa auch nach und nach in der Handlung verlohren gieng. Die Ausgaben wurden immer gröser, die Einnahmen kleiner, und die Zeiten schlechter. In den folgenden Jehren giengen wieder zwanzig bis dreyssig tausend Thaler drauf, und blieben mir wohl eben so viel zweiffelhaffet und böse Schulden zurück. Das Unglück kam hernach mit den Banco-Briefen, worüber der Krieg einfiel, und damust ich wieder ein groses Capital mir abschreiben.

Als ich hierauf anfieng, und wolte meine kostbare Haushaltung ein wenig einziehen, so hatte [355] ich wohl noch hundert tausend Thaler übrig; allein, die Helft davon stack in Haus und Gütern und allerhand Effecten, die ich nicht benutzen konte. Das übrige lief zwar noch in der Handlung herum, ich hatte mich aber dabey sehr versteckt: fünf und zwanzig tausend stunden noch bey dem Fürsten von Sardost, und ich hatte kaum das Drittel mehr einzunehmen, als ich ausgeben muste. Dem ungeacht hätt ich noch eine Zeitlang fort kommen, oder durch eine gänzlich verbesserte Einrichtung meines Hauswesens mir wieder aufhelfen können; Allein, so starb zu meinem Unglück der Fürst von Sardost. Der Fürst zahlte sonst überaus richtig: er hätte mich nimmer fallen lassen; so bald aber war er nicht todt, so hieß es, der Prinz wär noch minderjährig, und die Cammer könte nicht zahlen.

Die von dem Fürsten ausgestellte Wechsel-Briefe liefen demnach aus Mangel der Zahlung zurück: andere Briefe wurden dargegen auf mich gezogen, die ich zahlen muste. Meine Casse wurde damit leer. Ich hatte Credit nöthig; ich stellte deswegen meine eigne Wechsel aus, und ließ solche auf den vornehmsten Handels-Plätzen herum lauffen: Dieses Mittel that gut; aber nicht lang; nach Verfliesung eines halben Jahrs kamen meine Briefe wieder auf mich zurück: ich solte zahlen: Es war unterdessen kein Geld weiter eingekommen: man gab mir acht, man gab mir vierzehen Tage Sicht; Die Zahlung mangelte! Die [356] Wechsel wurden protestirt: die Sache wurde ruchtbar: das Gerücht gieng von einer Schreib-Stube zur andern; es durchstrich die Börse und von da die nechste Handels-Plätze. Meine Glaubiger trieben zum Concurs: und ich rettete mich auf meinen Hof. Meine Freunde, die bey mir die meiste Höflichkeiten genossen hatten, konten, theils wolten mir nicht helffen. Meine Bedienten giengen auseinander: Jeder machte sich seine Rechnung selbst, und nahm, was er meynte, daß ich ihm schuldig wär. Meine Frau wolte verzweifeln. Niemand war, der sich ihrer und der Kinder annahm. Man sagte: es geschähe uns recht: GOtt hätte uns gestraft, weil wir uns unsers Glückes zu sehr überhoben hätten: ich glaubte es selbst. Man suchte mich handfest zu machen: ich entfloh, und wuste nicht, wohin. Weib und Kinder dauerten mich: ich reiste von einem Ort zum andern: ich wuste lange nicht, wo ich bleiben solte. Endlich kam ich hieher zu dem Fürsten, und bat ihn um Schutz: Er nahm mich gnädig auf; er sagte mir, wenn ich mich hier niederlassen und meine Sachen mit den Creditoren ausmachen wolte, so solte ich ihm lieb seyn; er zweifle nicht, daß nach der Vellejanischen Clausul leicht für meine Frau noch so viel übrig bleiben würde, daß ich mit ihr und meinen Kindern an einem so wohlfeilen Ort, und wo man der Eitelkeit so sehr nicht als zu Budorgis ergeben wär, gemächlich leben könte. Ich würde, fügte er hinzu, deswegen hier keine Verachtung leiden, [357] weil ich wär unglücklich gewesen. Nur solte ich zuforderst dahin trachten, meine Sachen so viel möglich in Ordnung zu bringen, und meine Schulden zu bezahlen. Er befahl mich darauf einigen Vorstehern der Gemeine, die mir so wohl im Geistlichen als Weltlichen rathen, und mir in meinen weiteren Absichten behülflich seyn solten.

Prast, Unruh, Gram und Verzweifelung nagten dar auf meinen ganz niedergeschlagen Muth. Ich war nur der guten Tagen und keiner Widerwärtigkeiten gewohnt. Die Veränderung meines Zustandes war zu schnell, zu gros, und für ein verzärteltes Gemüth, wie das meinige, zu abscheulich. Eine schwarze Melancholie verdunkelte meine Sinnen: ich sah vor mir einen Abgrund unendlicher Qual: Tausend Larven und Schrecken-Bilder beängstigten meine in Unordnung gebrachte Lebens-Geister. Alles drohete mir entweder den Tod, oder ein elendes Leben. O grausame Vorstellung! ich war der unglückseligste Mensch von der Welt: der Schmerz drang mir durch die Seele; und machte mich verwirrt: ich fand bey mir weder Rath noch Trost: ich hielt mich verlohren.

In diesem gepreßten und Jammer-vollen Zustand hatten mich die Vorsteher dieser Gemeine, welche sie, mein Herr, gestern Abend mit bey Tische fanden, bestens aufzurichten gesucht. Dero mir darauf erwiesene Grosmuth [358] und Hülffe, woll ihnen der HErr, als ein reicher Vergelter alles Guten, mit einer beständigen und unendlichen Glückseligkeit belohnen.

Hiermit endigte der Herr von Güldenblech seine Erzehlung: Der Graf bemerckte dabey das allgemeine Verderben der Menschen auch in dem gemeinen Bürgerlichen Leben. Er entdeckte die betrübte Würckungen einer übeln Auferziehung und die daraus entstehende unglückliche Folgen in dem ganzen menschlichen Leben. Er tröstete darauf den Herrn von Güldenblech: Sie haben, mein Herr, sprach er, ohneracht aller ihrer Widerwärtigkeiten nicht Ursach, den Muth zu verliehren: Ihr Glück war ausser GOtt: der Zusammenhang verschiedener Zufälle hat sie erhoben und auch wiederum gestürzet.

Nun lernen sie auf einen bessern Grund bauen. Der fromme Fürst hat ihnen solchen angewiesen: sie folgen seinem weisen Rath, sie können nichts bessers wehlen, sie werden leicht von dem Ihrigen noch so viel übrig behalten, um an diesem Ort ein ruhiges und ehrbares Leben mit ihrer Familie zu führen. Es gehöret so viel nicht darzu, um vergnügt zu seyn, aber man hat alles genug, wenn man solches ist. Mit diesen kurzen Ermahnungen verließ der Graf den Herrn von Güldenblech, darauf sie sich einander eine gute Nacht wünschten und sich zur Ruh begaben.

Das dreyzehende Buch

[359] Das dreyzehende Buch.

Der Graf von Rivera sandt den andern Morgen, mit anbrechendem Tag, einen Botten nach Argilia, und ließ seinen Leuten befehlen, sich sogleich von dannen aufzumachen, und nach Christianopolis zu kommen. Es war eine Stunde nach Mittag als sie da anlangten; Der Graf ließ sich darauf, als ob er mit ihnen gekommen war, bey Hofe melden; Der Fürst sandt sogleich einen Cavalier zu ihm, denselben in seinem Namen zu bewillkommen, und ihm das Quartier bey Hofe anzubieten. Der Graf, der solches vorher vermuthet hatte, war deswegen mit seinem Cheruscischen Edelmann ausgegangen: Sein Secretarius aber empfieng die Bottschaft des Fürstens, und hinterbrachte ihm solche.

Der Fürst schickte darauf gegen Abend seinen mit sechs Pferden bespannten Staats-Wagen, nebst noch zwey einspännigen Gutschen mit einigen Cavalieren vor den Gast-Hof, um den Grafen abzuholen. Dieser kleidete sich aufs beste: seine Leute giengen in kostbarer Liberey vorher, und er fuhr auf diese Art in einem ansehnlichen Gepränge nach der Burg. Der junge Prinz empfieng ihn unten im Hof an der Treppe; und oben erwartete ihn der [360] Fürst. Der Graf wolte ihm den Rock und darauf die Hand küssen; der Fürst aber ließ beydes nicht zu, sondern schloß ihn in seine Arme.

Die Bestürzung des Fürstens war ungemein, als er in der Person des Grafens den vermeynten Halycidonischen Arzt erblickte. Er gab ihm solche zu erkennen: Ew. Durchleucht, entschuldigte sich der Graf, werden mir meine gestrige Verstellung zur Gnade halten; weil mich ein Zufall so unvermuthet zu einem Doctor gemacht hatte; und ich nicht glaubte die Gnade zu haben, in diesem Caracter vor Ew. Durchleucht zu erscheinen.

Der Fürst brachte darauf den Grafen zu seiner Gemahlin und den Prinzeßinnen: diese waren nicht weniger, als der Fürst, verwundert, den gestrigen Doctor so hurtig in den Grafen von Rivera verwandelt zu sehen. Die Damen sassen in einem grosen mit Lichtern erhellten Zimmer. Die Cavaliers aber fanden sich meistens bey dem Fürsten und dem jungen Prinzen im Vorsaal, wo eine schöne Music sich hören ließ. Die älteste Prinzeßin erröthete, als ihr der Graf seine Ehrerbietung bezeigte: Sie konte einem gewissen Eindruck, welchen ihr derselbe bey dem ersten Anblick gegeben hatte, nicht widerstehen; sie glaubte, daß er nicht ohne besondere Absichten an ihres Herrn Vaters Hofe gkommen sey: ihr Herz sagte ihr heimlich, daß sie daran einigen [361] Antheil hatte; doch konte sie diese Regungen bey sich selbst nicht entwickeln, noch sich eigentlich vorstellen, was sie muthmassen solte. Sie fragte den Grafen, nachdem sie ihn als einen Königlichen Abgesandten bewillkommet, wer sich nun ihrer armen Marianen annehmen würde, weil er derselben schwerlich mehr Recepten verschreiben dürfte? Der Doctor, ohne den Grafen von Rivera, war dessen Antwort, hätte dieser liebenswürdigen Fräulein wenig zu ihrer Genesung behülflich seyn können.

Der Fürst hatte dem Grafen zu verstehen gegeben, daß er sich an seinem Hof einer völligen Freyheit bedienen könte. Ich habe jederzeit, sprach er zu demselben, den Zwang und ein nichts bedeutendes Ceremoniel gehaßt; weil ich gefunden, daß dabey die Aufrichtigkeit leidet, und die gröste Anmuth in der menschlichen Gesellschaft gehindert wird. Dieses waren auch die Meynungen des Grafens: Er hatte an dem Licatischen Hof darüber lang genug leiden müssen, um sich nach dem daselbst eingeführten steifen Gepränge zu richten: Dieser Zwang war seinem natürlichen Wesen sehr zuwider: Er nahm deswegen die Freyheit, welche ihm der leutselige Fürst anbot, mit aller Bescheidenheit an; doch hielt er sich meistentheils aus Wohlstand um dessen Person.

Nach geendigtem Concert führte der Graf die Fürstin zur Tafel. Sie bestund aus den [362] Fürstlichen Personen, wobey nur des Prinzen Hofmeister, und die Fräulein von Thurris sich befanden.

Nach ein und andern Gesprächen bey der Tafel sagte die Fürstin, daß sie nicht begreiffen könte, wie der Graf, durch seine verborgene Wissenschaften, die Begebenheiten der Fräulein von Thurris hätte entdecken können. Es ist solches ganz natürlich zugegangen, erklärte sich dieser hierauf. Ihr Durchleucht, die Prinzeßin, tranken gestern Abend über Tafel, der Fräulein von Thurris, mit einem heimlichen Winken, die Gesundheit zu: Es lebe Riesenburg: Ich wurde solches gewahr. Der Name Riesenburg machte mich aufmerksam: Wie, dachte ich bey mir selbst, solte dieses wohl die Fräulein von Thurris seyn? Ich betrachtete sie darauf genauer: ich erkante an ihr diejenige Züge, wie mir der Freyherr von Riesenburg solche beschrieben hatte. Dieser Cavalier ist mein bester Freund in der Welt: Er hat mir mein Leben in der Schlacht bey Philippol gerettet: Ich weiß um alle seine Geheimnüsse: und wie er aus Noth wär gezwungen, ihren wilden Bruder im Zweykampf erschossen hat.

Nun ist sein gröstes Anliegen, sie in der Welt auszuforschen: Ich selbst habe mir bisher deswegen alle ersinnliche Müh gegeben: Ich erfuhr in Mönnisburg von einem Cavalier, der die Ehre hat, ihr verwandt zu seyn, [363] daß sie sich hier aufhalten solte. Ew. Durchl. urtheilen demnach von meinem Vergnügen, da ich allhier dieselbe so glücklich entdecket habe.

Die Fräulein von Thurris war durch diese Erzehlung auf das heftigste gerühret: ihr Gesicht umzog auf einmahl eine starke Röthe, die Thränen rollten von ihren Wangen; sie getrauete sich ihre Augen kaum empor zu heben.

Die älteste Prinzessin war über diese angenehme Begebenheit schier so sehr, als die Fräulein selbst bewegt. Die ganze Gesellschafft wünschte dieser schönen Fräulein zu einer so frohen Nachricht Glück. Sie warf endlich selbst einen holden Blick auf den Grafen, der ihm so viel sagen wolte, daß sie, was sie empfände, nicht auszusprechen wüste. Man redete von nichts, als von der Geschicht des Freyherrn von Riesenburg und der Fräulein von Thurris: Der Graf und die Fräulein konten über alles, was man sie darüber fragte, nicht gnug Antwort geben.

Man stund endlich von der Tafel auf: die Prinzessin und die Fräulein hätten gern mit dem Grafen wieder allein gesprochen: der Fürst aber verließ ihn nicht, als bis es Zeit war schlafen zu gehen; ihr Gespräch war von der Beschaffenheit der vornehmsten Europäischen Höfen: der Graf bewunderte hier die hohe Staats-Einsichten des Fürstens. Der Hof-Marschall nebst einem Cammer-Juncker und dem Haus-Hofmeister, [364] begleiteten darauf den Grafen nach den vor ihn zubereiteten Zimmern, welche sehr prächtig ausgezieret waren.

Die angenehme Frühlings-Zeit eröfnete sich damals mit sehr lieblichen Tagen. Des Grafens Zimmer stiessen auf ein kleines Lust-Gehölze, worinnen die Nachtigallen und andere Vögel sich auf die anmuthigste Weise hören liessen. Er war kaum erwacht, so lockte ihn dieses liebliche Spiel der Natur an das Fenster. Er begleitete solches mit seinen Gedanken, und gieng endlich selbst hinunter in den Garten.

Er kam, als er eine Weile darin fortgegangen war, in einen mit jungen Buchen dicht bewachsenen Hayn; er fand hier verschiedene Gras-Bänke, die einen runden Behälter umzogen, aus dessen Mitte das Wasser sich beständig in die Höhe trieb: nechst dabey stund ein erhabenes mit Moos und Gras bedecktes Gemäuer, über welches ein kleiner Bach mit einem sanften Rauschen, durch verschiedene Abfälle sich in den Behälter ausstürzte. Man sah darin als in einem klaren Spiegel, die daherum stehende Gebüsch und Bäume, nach dem Leben abgeschildert. Die Kunst hatte hier mit Hand angeleget; nicht zwar, wie sie sonsten pfleget, die Natur zu zwingen, sondern nur ihre Annehmlichkeiten desto mehr ins Auge zu setzen.

[365] Der Graf betrachtete diese holdselige Einöde mit Entzücken: der Geist der Dicht-Kunst, welcher in diesen Haynen wohnet, überfiel ihn: alle seine Gedanken flossen von sich selbst in leichte Reimen: er nahm seine Schreibtafel, und hatte kaum einige Worte nieder geschrieben, so zeigte sich die Prinzeßin vor ihm: sie war von der Fräulein von Thurris begleitet. Der Graf, als er ihrer gewahr wurde, sprang hurtig von seiner Stelle auf, und bezeigte der Prinzeßin seine Ehrerbietung, indem er aber seine Schreibtafel einstecken wolte, lies er solche ins Gras fallen. Mariane hub solche auf: Der Graf bot unterdessen der Prinzeßin die Hand. Die Neugierigkeiten ist dem weiblichen Geschlecht natürlich. Mariane blätterte in der Schreibtafel hin und wieder: sie bedeckte solche vor den Augen des Grafens mit ihrem Fächer, indem sie hinter ihm her gieng, sie ärgerte sich gewaltig, daß sie darinn eine Schreib-Art fand, die sie nicht verstund; es waren meist Ziefer und fremde Buchstaben: nebst einigen Sinn- und Aufschriften in Lateinischer und Ligurischer Sprach. Endlich kam sie auf folgende Reimen:


Ich liebe / was mich selbst der Himmel lieben macht /
Wo Geist und Tugend herrscht / wo holde Schönheit lacht;
Doch / ein zu groses Glück muß hier mein Unglück seyn /
Was Iris macht zu gros / das macht mich allzuklein.

[366] Diese Reimen waren anfangs der Marianen ein Räthsel; sie legte solches dahin aus, daß der Graf eine hohe Person lieben müste, welche er zu erlangen keine Hofnung hatte: sie gerieth darüber auf die Ge danken, daß solche die Prinzeßin wäre; dann sie hatte so wohl an ihr, als an dem Grafen, eine sonderbare Bewegung beobachtet, als sie einander zum erstenmahl waren ansichtig worden. Die Menschen urtheilen ins gemein andere nach sich selbst, und wer etwas empfindet, der bildet sich solches leicht auch von andern ein.

Die Printzeßin war sonst von einem hohen und ernsthaften Wesen: sie wuste nichts von den Schwachheiten der Liebe; sie hatte zwar ein zärtliches Herze, aber auch eine gleiche Stärke des Geistes, die allen Anfällen der Liebe gewachsen war, und wo sie nicht das Mitleiden für andere, und die grosmüthige Neigung sie glücklich zu machen, bewegte, so würde sie von keiner leidenden Gemüths-Beschaffenheit bisher etwas gewust haben. So sahe die Prinzeßin aus, wie der Graf nach Hofe kam: sie empfand etwas für ihn, welches sie nicht zu nennen wuste, Liebe konte es nicht seyn, denn er erschien als ein Arzt, sie war eine Prinzeßin, sie wuste es: sie empfand noch mehr, da er als ein Graf und als ein Abgesandter eines grosen Königs sich ihr vor Augen stellte; doch war diese Empfindung mehr eine Hochachtung, als eine Leidenschaft, sie dachte nicht daran, daß sie Gefahr [367] hätte, von den Reitzungen der Liebe sich einnehmen zu lassen.

Sie kam nach einem kleinen Spatziergang mit dem Grafen in die Einöde zurück; Mariane hatte hier des Grafens Schreibtafel wieder unvermerkt ins Gras geworfen; die Prinzessin erblickte solche, was seh ich hier, sprach sie, indem sie darnach sich bücken und solche aufheben wolte. Der Graf aber kam ihr hurtig darin zuwor, und war nicht wenig bestürzt, an einem solchen Ort seine Schreibtafel zu finden.

Der Graf bat darauf die Fräulein, ihm von ihren bisherigen Begebenheiten Nachricht zu ertheilen: in Hofnung, die Prinzeßin würde noch so lange mit ihr im Garten verweilen. Die Prinzessin ließ sich solches gefallen, sie setzten sich zusammen auf eine Gras-Bank, welche von hohen Linden-Bäumen überschattet wurde, und Mariane begunte ihre Erzehlung folgender Gestallt:


* * *


So bald hatte nicht der Freyherr von Riesenburg in Monaco von mir Abschied genommen, so fand ich mich in einem Zustand, der durchaus betrübt war. Ich wuste nichts von mir: man hatte mich zu Bette gebracht, und mir eine Ader geöfnet; worauf ich wieder zu mir selbst kam. Meine Mutter hatte Mitleiden mit mir; doch wie sie von einem standhaften [368] Wesen war, so redete sie mir auch ernstlich ein, daß ich mich nicht also von der Liebe müste verzärtlen lassen. Man hat in dieser Welt, sprach sie, gar mancherley Zufälle und Wiederwärtigkeiten auszustehen: ich müste mich so nicht stellen, dieses wär ein schlechter Anfang vor eine Person, welche die Welt dem Closter vorziehen wolte, und sich folglich noch gar vieler Gefahr aussetzen würde. Sie tadelte zwar nicht, daß ich den Herrn von Riesenburg liebte, sie sagte, er wäre solches werth, sie selbst wäre ihm von Herzen gewogen; allein, es wäre eine Schwachheit, in dieser Neigung so weit zu gehen, daß darunter so wohl der Leib, als das Gemüth in Gefahr gesetzet würde; alle gar zu heftige Leidenschaften taugten nicht, wenn auch ihr Ursprung gleich noch so rein und unschuldig wär. Kurz, meine Mutter, die mir in einem Augenblick eine ganze Sitten-Lehre hersagte, überzeugte mich wohl meiner Schwachheit; allein sie befreyete mich dadurch nicht von meinen Empfindungen.

Meine aufgebrachte Sinnen wurden endlich nach und nach durch die süse Vorstellung besänftiget, daß Riesenburg mich liebte, und daß ich mir mit seiner Beständigkeit schmeichlen konte. Meine Mutter reichte mir darauf sein Bildnüs, welches er ihr bey seiner Abreis eingehändiget hatte: dieses gab mir mehr Trost, als alle Sitten-Lehren. Ich schrieb an ihn, was ich nur zärtliches wuste; und wartete mit Verlangen auf seine Briefe, allein solche kamen [369] nicht. Es waren schon drey Wochen verflossen, und ich hatte von Riesenburg noch keine Nachricht. O wenn sie je geliebet hätten, so wüsten sie: wie einem bey solchen Umständen zu Muthe wär!

Ich hatte unterdessen unserer Abrede gemäs mich in das Adeliche Jungfrauen-Stift begeben. Ich fand darinn unter den jungen geistlichen Schwestern ein sehr freyes und ungebundenes Leben. Es waren wenige, die nicht ihre Liebhaber hatten. Eine von den lebhaftesten und schönsten Kindern schenkte mir gleich, bey dem ersten Eintritt ins Closter, ihre Freundschaft, und entdeckte mir, daß sie einen gewissen jungen Edelmann liebte; sie bat mich daß ich ihm erlauben mögte, zuweilen bey mir einzusprechen, und sie auf meinem Zimmer zu besuchen; weil es mit mir, da ich noch nicht eingekleidet wär, so viel nicht, als bey ihr, zu sagen hätte. Ich hatte mit allen Verliebten ein natürliches Mitleiden; und weil mich meine Freundin glauben machte, ihr Umgang mit besagtem Edelmann sey ganz ehrbar und unschuldig; so verstattete ich ihnen, ohne groses Bedenken, bey mir die verlangte Zusammenkunft; ich hatte aber bald Ursach, diese Gefälligkeit zu bereuen.

Der Liebhaber erschien: er machte meiner Gespielin ein Compliment, das nicht in den Regeln ihres Ordens war. Er fiel ihr um den Hals und küste sie, ohne daß sie sich im [370] geringsten dargegen setzte. Diese Freyheit mißfiel mir; noch mehr aber, da der junge Ritter auch an mich kam, und mir gleiche Höflichkeiten erweisen wolte: was ist dann das für ein Engel? sagte er, indem er mit ausgespannten Armen auf mich zueilte, und seine Bekanntschaft mit mir auf eine so vertrauliche Art anfangen wolte. Ich zitterte darüber von Schaam und Zorn, und stieß ihn verächtlich zurück. Ha, ha, fieng er darüber lachend an, sie ist noch in ihrem Novitiat, sie wird schon zahmer werden. Hiermit gieng er wieder auf meine Gespielin los, und suchte sich meiner Verachtung halber an ihr zu rächen; sie machten sich einander die unverschämteste Liebkosungen: weder ihre Reden, noch ihre Gebehrden schienen mir erträglich zu seyn: ich ermahnte sie deshalben, diejenige Zucht und Ehrerbietung, die sie mir schuldig wären, nicht aus den Augen zu setzen; oder ich würde mich darüber bey der Priorin beschweren.

Meine geistliche Schwester fiel mir darauf mit vielen Schmeicheleyen um den Hals, sie bat mich, es nicht übel zu nehmen, noch vielweniger sie zu verrathen; sie wäre, sagte sie, bereits, ehe sie ins Closter gekommen wär, mit diesem Edelmann versprochen gewesen: man hätte sie gezwungen, geistlich zu werden: sie könte aber deswegen ihr Herz so leicht nicht wieder zurück nehmen; nachdem sie solches einmahl diesem Edelmann geschenket hätte: sie wär es nicht allein, setzte sie hinzu, die in diesem Closter dergleichen [371] Liebes-Verständnüsse noch unterhielt; und ich würde mir die meiste Schwestern zu Feindinnen machen, wenn ich davon eine Verrätherin abgeben wolte.

Dieses machte mir einen völligen Abscheu vor dem Closter-Leben; dann ich muß ihnen mit eben der Sffenherzigkeit, damit ich ihnen meine Schwachheit entdeckte, auch zugleich bekennen, daß ich von Herzen alles dasjenige hasse, und verabscheue, was die Ehre und ein gutes Gewissen verletzet.

Ich erzehlte diese Begebenheit den andern Tag meiner Mutter: ich sagte ihr, daß der Herr von Riesenburg auf unserer Reise hieher, wohl Recht gehabt hätte, die Sitten der Ordens-Geistlichen in den Clöstern uns verdächtig vorzumahlen, und mich deswegen von einem solchen Leben abzuhalten; ich bat sie darum mit Thränen, mich nicht wieder ins Closter zu schicken; sondern mich so lang wieder zu sich zu nehmen, bis wir von dem Herrn von Riesenburg würden Nachricht erhalten haben; da ich hernach zu ihrer Schwester der Gräfin von Iserlo mich begeben wolte. Meine Mutter bewilligte solches.

Wir sandten einen Boten nach Austrasien: dieser war kaum abgefertiget, so kam mein Bruder nach Monaco; er bezeigte sich dismahl, wider seine Gewohnheit, sowohl gegen mich, als meine Mutter sehr freundlich. Wir sagten ihm [372] dem ungeachtet nichts von unserm Vorhaben; allein, der Böswicht wuste mehr als wir; er hatte seine Spionen in Monaco, und lies alle Briefe von dem Herrn von Riesenburg, die an mich gestellet waren, auffangen, dadurch ihm also unser ganzes Geheimnüs offenbahr wurde. Er war von Natur eines rauhen und wilden Ansehens; er durfte sich also nicht verstellen, wenn er etwas Böses im Sinn hatte.

Den andern Abend, als er bey uns angekommen war, nöthigte er mich, mit ihm ein seiner Gutschen nach der Kirche, und von da ein wenig spatzieren zu fahren. Ich lies mir solches gefallen. Wir waren kaum eine halbe Stunde von der Stadt, so wurden durch seinen Vor-Reuter, der unserer wartete, noch vier Pferde vorgespannt.

So bald ich seine Absicht merkte, verlohr ich alle Empfindung: ich hatte weder mein Cammer-Mägdgen, noch einen Diener mitgenommen: ich schien von GOtt und Menschen verlassen. Mein Bruder war ein Barbar, er wuste nichts von Mitleiden und Güte.

Der Zustand, worinn ich war, hätte auch den wildesten Menschen gerühret, er aber blieb unbeweglich. Ich kam wieder zu mir selbst. Wo wolt ihr mit mir hin, grausamer Bruder! fragte ich ihn. Er sagte mir, er wolte mich mit auf seine Herrschaft nehmen, weil er erfahren hätte, daß meine Mutter an statt des mit ihm[373] geschlossenen Vergleichs, mich mit einem Ketzer verheyrathen wolte. Ich mogte bitten, flehen, weinen, wehklagen und die Hände ringen: es half alles nichts, ich muste mit ihm fort.

Wir kamen mit anbrechendem Tag auf ein altes Berg-Schloß, welches ihm zugehörte: hier nahm er mich aus der Gutsche: Schwester! sagte er zu mir, ich geb euch hier vierzehen Tage Zeit, euch zu besinnen, ob ihr euer Leben in diesen verfallenen Gemäuern oder in einem Closter, welches ich euch selbst zu wehlen die Freyheit lasse, hinbringen wollet. Er übergab mich darauf seinem Verwalter, und sagte, daß sein Leben darauf stünde, mich wohl zu verwahren. Mit diesen Worten verlies er mich, und reiste weiter nach seinem Wohn-Sitz, welcher nur eine Stunde Wegs von dannen lag.

Ich konte vor abscheulicher Bestürzung kein Wort reden: ich sah mich unter den Händen eines Mannes und einer Frauen, welche alle Merkmahle zeigten, daß sie der böse Feind zusammen gebracht hätte, um durch sie, mit vereinigtem Nachdruck, desto mehr übels zu thun. Sie brachten mich unten zur Erden in ein Zimmer, welches mehr einem dunkelen Gefängnüs, als einem Schlaf-Gemach ähnlich sah. Es hatte nur ein kleines Fenster, welches von aussen mit einem eisernen Gegitter, inwendig aber mit gelb verrauchten Papier, an statt der Glas-Scheiben verwahret war. Ein Bett, mit einer alten Matrazze, solte mir darinn zum Lager [374] dienen. Ich fand hier weder Leinwand noch Nacht-Kleider. Alles war unrein und modericht. Man brachte mir zum Früh-Stück eine Suppe von warmer Milch, mit dicken Brod-Brocken: ich ase davon, aus Furcht, ich möchte das Ansehen haben, als wolte ich an der göttlichen Hülfe verzweiflen, und mich selbst ums Leben bringen.

Wie dachte ich hier bey mir selbst, ist Liebe Sünde? so hab ich noch mehr verdienet; dann ich habe Riesenburg allzulieb, ich lieb ihn, aber tugendhaft, und so, wie man mir gesagt, daß es in der Ordnung GOttes wär, einen Menschen zu lieben. Wie soll ich mich in diesen Umständen trösten? ich bin jung, unschuldig, einfältig und ohne Erfahrung; und GOtt setzet mich auf eine so grausame Probe? doch, kommt mir solche von ihm, so muß ich seinen Willen anbeten und leiden. Es wird ihme ein leichtes seyn, mich zu retten. Ich fand mich durch diese Vorstellung ziemlich beruhiget.

Ich hatte die vorige Nacht nicht geschlafen: ich war vom Schrecken dermassen gerühret worden, daß ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konte: ich sank vor Mattigkeit auf das Bette nieder, meine Lebens-Geister schienen sich zu trennen: ich wolte schlafen; allein, da ich das Bett betrachtete, sties mich ein unüberwindlicher Eckel an: ich machte mich so stark ich konte, und rief der Verwalterin, ich bat sie, für mich die Barmherzigkeit zu haben, und mir ein [375] sauberes Bett-Tuch zu geben: sie brachte mir eines, das aber sehr grob war. Diese erste Hülfe tröstete mich ein wenig: ich hatte unter weges meine Jubelen aus den Ohren, und von meinem Halse abgethan, und hatte auch zu gutem Glück etwas weniges von Gelde bey mir. Gehet doch, meine liebe Frau, sagte ich zu dem abscheulichen Gesicht, und lasset mir auch in dem nahgelegenen Markflecken, eine neue Kolder kauffen, um mich damit zu decken: hier habt ihr Geld: dieser Dienst soll euch von meiner Mutter wohl belohnet werden. Behaltet nur euer Geld; fuhr das verwildete Weib heraus, ich darf euch nichts holen; es sey dann, daß solches der gnädige Herr erlaubt. Nun, gute Mutter, sagt ich mit einer schier heiligen Gelassenheit, so gehet dann, und bittet ihn deßwegen für mich. Sie gieng hin, und kam nach ein paar Stunden wieder, und brachte mir eine saubere Decke; damit war ich zufrieden: Ich legte meinen Kopf-Putz ab, umschlung meine Haare mit meinem Schnupftuch, zog meinen Reif-Rock aus, und wickelte mich mit samt meinen übrigen Kleidern in das leinen Tuch; die Decke aber, weil es noch des Tages über ziemlich warm war, legte ich über meine Füsse.

Es moderte alles: ich fühlte solche Unkräften, daß ich mir einbildete, ich legte mich hier lebendig ins Grab; ich glaubte nicht anders, als GOtt würde mich hier auflösen, oder mich durch ein Wunder retten; ich suchte mich deswegen [376] nur recht in eine solche Verfassung des Gemüths zu bringen, damit ich seinem Willen beydes heimstellen mögte. Ich nahm im Geist von meinem geliebten Riesenburg und von meiner Mutter Abschied. Die Augen fielen mir darüber zu: Ich that nichts als beten, und also war ich eingeschlafen.

Wer solte denken, daß mein Geist bey solchen Leidenschafften einiger Ruhe wäre fähig gewesen? Ich hatte nicht nur einen sanften Schlaf, sondern erwachte auch nicht eher als den andern Tag. Mein Bruder erschien mir gegen Morgen im Traum: Er bedrohete mich, mir einen Dolch, den er in der Hand hielt, ins Herz zu stossen; indem aber sah ich ihn mit einem erblaßten Angesicht und mit halb geschloßnen Augen, ganz im Blute vor mir liegen. Ich fuhr über dieses schreckhafte Traum-Bild dermassen auf, daß ich erwachte. Als ich die Augen öfnete, stund ein Bedienter von meinem Bruder mit einem Mägdgen vor mir.

Gnädige Fräulein, redete mich der Diener an: Ich habe hier ein kleines Fuhrwerk mit einem Pferd gemiethet: Ihr Herr Bruder ist verreiset: Ich habe dem Verwalter und seiner Frauen gesagt, ich hätte Befehl, sie nach den Minoriten zu bringen. Sie machen sich deshalben hurtig auf, ich wag es dieselbe in Freyheit zu setzen. Als die Verwalterin hierauf in das Zimmer kam, redete dieser Mensch [377] hart und etwas unehrerbietig mit mir, damit sie keinen Verdacht auf ihn werfen mögte.

Ich hatte ganz keinen Anstand, diesem Menschen mich anzuvertrauen; Er war mit in Monaco gewesen, und schien mit Verdruß einem so wilden Herrn, wie mein Bruder war, zu dienen. Ich glaubte, GOtt hätte ihn mir zu meiner Rettung zugesandt. Ich kleidete mich also an, und setzte mich zu dem Weibs-Bild auf die Schäse. Wir fuhren in möglichster Geschwindigkeit bis auf die nechste Post: Der Diener hatte die Vorsichtigkeit gehabt, und solche voraus bestellen lassen. Wir fanden also die Pferde schon auf uns warten.

Der Diener und das Mägden erzehlten mir unterwegs das ärgerliche und gottlose Leben meines Bruders: Sie sagten, daß er mit drey von seinen Leuten diesen Morgen nach den Gränzen von Austrasien verreiset wär, und vor drey Tagen schwerlich wiederkommen dürfte: Sie hätten sich deswegen seine Abwesenheit zu Nutz machen wollen, um sich aus den Händen eines solchen Unmenschen zu retten. Sie fragten mich darauf, wo ich wolte, daß sie mich hinbringen solten? Ich meynte nach Monaco zu meiner Frau Mutter; Der Diener aber widerrieth solches; weil ich daselbst meinem Bruder am ersten wieder in die Hände gerathen würde. Sie müssen sich gnädige Fräulein, sprach derselbe, an einen ganz fremden und unbekanten [378] Ort begeben; massen ihr Herr Bruder alles in der Welt thun wird, sie auszuforschen und wieder in seine Gewalt zu bekommen. Das Mägdgen gab mir darauf folgenden Anschlag.

Ich habe, fieng sie an, ehedessen bey einer Herrschaft gedienet, wo eine Magd aus Vandalien war: diese erzehlte mir vieles von einem neu angelegten Ort, nechst an dem Hercynischen Wald, wo viele ihrer Befreundten sich hätten niedergelassen, die des Glaubens halber aus ihrem Land wären vertrieben worden. Dieser Ort hieß Christianopel, und seye eine Zuflucht für alle Fremde, die sich eines ehrbaren, frommen Lebens beflissen. Ihr sey unterdessen der Dienst bey dem Freyherrn von Thurris als sehr einträglich angetragen worden, sie wär aber noch keinen Monath als Beschlieserin in diesem gottlosen Hause gewesen, so hätte sie um alles Gut und Geld darinn nicht länger verbleiben mögen. Der gegenwärtige Bediente hätte sich dabey an sie gemacht, um mit ihr in verbottener Liebe zuzuhalten: sie hätte ihm aber ins Gewissen geredt, und durch die Vorstellung des ganz abscheulichen Lebens, das sowohl der Herr als das Gesind in der grösten Sicherheit führten, ihn so weit gebracht, daß er sie nach Christianopel zu bringen versprochen hatte, wo sie sich einander heyrathen wolten. Weil sie nun bey diesem Vorfall zugleich mir einen wichtigen Dienst zu leisten hoften, so hätten [379] sie keinen Anstand gehabt, solches in GOttes Namen zu wagen.

Ich konte mich auf diese Reden so gleich nicht entschliessen, was ich thun solte. Die Vorstellung, meine liebe Mutter, in der sie meinetwegen betroffenen grosen Bekümmernüs, zu verlassen, schien mir ganz nicht mit meiner Schuldigkeit überein zu stimmen; wenn ich aber darbey die grose Gefahr mir vor Augen stellte, worinn ich sie und mich von neuem stürzen würde, wenn ich wieder nach Monaco zurück kehren solte; so fand ich für rathsamer, mich zuvor in Sicherheit zu bringen, und hernach an dieselbige zu schreiben.

Ich entschloß mich also meinen Führern zu folgen: sie brachten mich an diesen mir so sehr gepriesenen Ort: ich fand hieselbst, was ich suchte, und mehr als ich jemahls hoffen konte. Ihre Durchleucht, der Fürst und die Fürstin, empfiengen mich, nachdem ich ihnen meine Begebenheiten erzehlet, mit solcher Leutseligkeit und Liebe, daß ich solches in meinem ganzen Leben mit zulänglicher Dankbarkeit nicht zu erkennen weiß. Ich hatte darauf das unverdiente Glück, daß mir meine gnädigste Prinzeßin ihre besondere Gewogenheit schenkte, dadurch sie mein ganzes Herz mit solchen zärtlichen Banden an sich verknüpfet hat, daß ich nunmehr bey aller meiner zu hoffenden Glückseligkeit doch niemahl recht ruhig seyn werde, wenn ich von ihr entfernet leben muß.

[380] Die Prinzeßin küßte hier die schöne Mariane, zum Zeichen ihrer herzlichen Liebe; welche ihrer Erzehlung noch dieses hinzu fügte, daß sie sich bishero vergeblich nach dem Herrn von Riesenburg hätte erkundigen lassen; weil vermuthlich dessen Herr Vater, der ihrer beyder Heyrath nicht gern sähe, die Briefe müste unterschlagen haben. Sie wär auch so bald nicht hier angekommen, so hätte sie ihrer Frau Mutter, wie auch der Gräfin von Iserlo, ihrer Base, von allem, was ihr begegnet wär, ausführliche Nachricht gegeben; und dargegen von ihrer Frau Mutter den traurigen Tod ihres Bruders vernommen: sie hätte die arme Seel dieses unglücklichen Menschen beweinet, zugleich aber auch die Gerechtigkeit GOttes bey diesem Zufall bewundert: Ihr Schwager sey darauf mit ihrer Schwester der Mutter ins Haus gefallen, und habe alles darinn unter Siegel legen lassen; dabey sie ihr dermassen übel begegnet wären, daß diese vor Gram und Prast kurz darauf den Geist aufgegeben hätte. Ihre Schwester habe sich sogleich in den Besitz aller Güter gesetzt, und sowohl den Hof als die Geistlichkeit auf ihre Seiten gebracht: weil sie vorgeben, sie sey von ihrer Religion abgefallen. Wo sich also Ihro Hoch-Fürstlichen Durchleucht, der Prinzeßin Herr Vater, nicht eher annehme, so würde sie wenig von der reichen Hinterlassenschaft der Ihrigen zu hoffen haben.

Nach dieser Erzehlung stund die Prinzeßin [381] auf, und indem sie dem Grafen die Hand bot, um nach der Burg sich zurück zu begeben, fragte sie ihn unterwegs, wie es doch komme, daß man den Herrn von Riesenburg nicht auf der Verzeichnüs des Aquitanischen Hofs fänd? Es ist noch nicht lang, antwortete der Graf, daß dieser Herr sich bey Hofe aufhält, an welchem er nicht anders als unter dem Namen eines Marggrafen von Luccaille bekant ist. Ich habe, versetzte die Fräulein von Thurris, ihm auch unter diesem Namen zugeschrieben, und dem ungeacht, nie keine Antwort erlangen können. Ich kan meine schöne Fräulein versichern, daß er nicht die geringste Nachricht von ihnen hat erhalten; und stehet deswegen ganz sicher zu vermuthen, daß sowohl ihre Briefe an ihn, als seine an sie, von dessen Herrn Vater seyen aufgefangen worden: welches er, als Befehlshaber von Austrasien, durch welche Provinz alle Briefe von hier nach Panopolis lauffen müssen, um so viel leichter hat thun können.

Unter diesen Gesprächen kam die Prinzeßin bis an ihr Zimmer, wo sich der Graf von ihr beurlaubte, und sich nach den Seinigen verfügte. Er fand unter andern vornehmen Herren, die dahin gekommen waren, ihm die Aufwartung zu machen, auch den Herrn von Güldenblech. Dieser hatte unterdessen, daß sein vermeynter Arzt sich in einen Grafen verwandelt, zu Argilia die angenehme Nachricht bekommen, daß nach gemachter. Inventur [382] seiner Habseligkeiten und Abzuge seiner Schulden, ihm noch wohl dreysig tausend Thaler heraus kommen dürften; womit er und die Seinigen einen stattlichen Grund zu einer neuern und bessern Haushaltung zu legen Hofnung hätte: Der Graf wünschte ihm darzu von Herzen Glück: und empfieng dargegen von demselben die lebhafteste Danksagung für die an ihm erwiesene glückliche Chur.

Es war denselben Tag ein groses Fest bey Hofe: alles erschien daran im besten Aufputz. Die Fürstliche Tafel war mit vier und zwanzig, und die Marschals-Tafel mit mehr als dreyßig Personen besetzt: Man hörte dabey die schönste Music: Die Speisen, die Geschirre, die Bedienung, alles war prächtig, schön und wohl ausgesonnen: Man hatte die niedlichste Speisen und die herrlichste Getränke; allein, man nöthigte niemand, davon mehr zu geniesen, als er selbsten wolte. Der Graf, welcher die unmäßige Art, Tafel zu halten, schon ehedessen auf seinen Reisen an verschiedenen Höfen beobachtet hatte, vergaß nicht, in dieser Sache die vernünftige Aufführung des Argilischen Hofes zu preisen. Der Fürst antwortete ihm darauf, daß ihm jederzeit nichts unsinniger wär vorgekommen, als wenn er hätte sehen mussen, daß die Menschen in solchen Dingen eine Lust suchten, wo doch die Empfindung der Lust aufhörte; und im Gegentheil die Empfindung der Schmertzen anfieng: Er hielt solches für einen ganz unerforschlichen [383] Grund des menschlichen Verderbens, daß sie lieber die abscheulichste Laster begiengen und dadurch ihr Leben elendig machten, als durch die Beobachtung der einfältigsten Tugend ihre Glückseligkeit beförderten.

Was ihn und seine Leute beträffe, fügte er hinzu, so wären sie allesamt darauf beflissen, als vernünftige Menschen und als Christen zu leben, denen alle und jede Gattungen von Unmäßigkeit verbotten wären; und stünden sie dißfalls sowohl, als die geringste Einwohner dieses Orts, unter ihrer allgemeinen Kirchen-Zucht; welche nicht allein die grobe Verbrechen, sondern auch die Sitten, so der Ehrbarkeit und dem Christenthum zuwider wären, zu ahnden pflegte. Dieses gab dem Grafen Anlaß, den Fürsten zu fragen, wie es dann in dieser neuen Gemeine, in Ansehung des Ehestands, gehalten würde.

Es darf bey uns, berichtete hierauf der Fürst, nicht ein jedes nach eignem Gutdünken heyrathen: Wir betrachten den Ehestand, als eine Sache, daran dem gemeinen Besten am meisten gelegen ist: Wir wissen, daß daraus viel Böses entstehen kan, wenn er nicht nach den Absichten der Göttlichen Einsetzung geführet wird. Wir halten die damit verknüpfte Haushaltung und Kinder-Zucht für die sicherste Mittel, vernünftige Menschen, redliche Bürger und gute Christen zu ziehen. Wer sich also bey uns in den Ehstand begeben [384] will, der wird angesehen als ein Mensch, der ein Ehren-Ammt verlanget: Man untersucht, ob er auch die darzu erforderliche Tugenden und Eigenschafften habe: Diese bestehen in einem gesunden Leib, in einem ehrbaren Christlichen Wandel, in einem zulänglichen Verstand, ein Hauswesen mit Weib, Kindern und Gesind wohl zu regieren, und in einer gewissen Handthierung, sie ehrlich zu ernähren.

Wenn demnach ein Freyer seine Neigung auf eine Person geworfen hat, und sie beyde des Handels einig sind; so müssen sie zuvor, ehe sie mit einander öffentlich getrauet werden, bey den vier zu den Eh-Sachen besonders verordneten Aeltesten der Gemeine sich melden. Dieses sind weise, und sowohl in Gottes Wort als gemeinen Rechten, wohl erfahrne Männer, welche diejenige Personen, die gesonnen sind, sich in den Stand der Eh zu begeben, nach allen Umständen des Leibes und des Gemüths, als auch ihrer zeitlichen Nahrungs-Geschäften, genau untersuchen, ob sie auch also für einander sich schicken, daß von ihnen eine gute, friedliche und erbauliche Ehe zu hoffen sey? Wo nicht, so werden sie mit ihrem Vorhaben entweder ganz, oder bis auf eine gewisse Zeit, darinn sie die an ihnen gefundene Mängel verbessern können, abgewiesen.

Wie Wir nun besorget sind, allen bösen [385] Ehen, so viel als wir können, durch obgemeldte Anstalten, vorzubauen; so sehr sind wir auch darauf bedacht, die zwischen Eh-Leuten aus Mißverstand, oder Gebrechen, eingerissene Zwietracht und Uneinigkeit zu heben. Hier gibt es nun leider auch unter uns, wegen der allen Menschen anklebenden Schwachheiten und Mängeln, noch viel zu thun. Allein, die glückliche Einrichtung und allgemeine nachbarliche Verträglichkeit unserer Einwohner schlichtet dergleichen Mißhellichkeiten, ohne daß man es viel gewahr wird. Kommt es damit zu öffentlichen Ausbrüchen und Aergernissen, so werden sie vor das Eh-Gericht, welches aus den vier obigen Aeltesten bestehet, gefordert, und gestalten Umständen nach, wenn sie nicht in der Güte sich, vergleichen wollen, zu Tisch und Bett geschieden; In welchem Fall ihnen eine besondere Ordnung wegen der Theilung ihrer Güter, wegen der Auferziehung ihrer Kinder, und wegen ihrer ganzen Lebens-Art, zu beobachten vorgeschrieben wird.

Es ereignen sich auch wohl gewisse Fälle und Umstände, da zwey beeinträchtigte Eh-Gatten gänzlich, als wären sie nie getraut gewesen, von einander geschieden werden; Diese Ursachen aber müssen überaus erheblich und wichtig seyn; Wie wir dann von einer solchen Eh-Scheidung ungefähr vor einem Jahr das erste Exempel hie erlebet haben.

[386] Wir halten im übrigen scharf auf Zucht und Ordnung; und weil wir grobe Verbrechen hier gar nicht dulden, so suchen wir solchen durch eine gute Auferziehung der Jugend, und durch ein vernünftiges friedliches Betragen der Ehleuten, so viel als möglich ist, vorzubauen. Wir halten dafür, daß es nicht nur für Ehleute selbst ein groses Unglück sey, wenn sie übel miteinander leben; sondern daß der Wohlstand des gemeinen Wesens gleichfalls mit darunter leide; weil derselbe sich auf eine gute Haushaltung der Verehlichten gründet.

Der Graf bewunderte diese kluge Anstalten, welche der Fürst, wie er sagte, nur zur Probe einer Möglichkeit entworfen hätte, um damit ein Exempel zu geben, wie noch viele Sachen in dem gemeinen Wesen, zur Befolgung der Göttlichen Absichten, und zur Glückseligkeit der Menschen in diesem Leben könten verbessert werden; wo anders unsere Vorurtheile nicht zu stark wären, und sich bey den Menschen mehr aufrichtiger Eifer zum Guten fände.

Der Graf antwortete hierauf, daß zur Verbesserung der Zeiten und der Menschen zuforderst ein allgemeiner Friede in der Christenheit zum Grund müste geleget werden; in Ansehung, daß es mit der innern Verfassung eines Staats zu keinem ruhigen Bestand kommen könte, so lange man noch immer die Waffen in Händen haben müste, um sich gegen [387] auswärtiger Gewalt zu schützen! Nach der Tafel unterhielt sich der Fürst ins geheime mit dem Grafen, und verlangte von ihm zu wissen, wie und auf was Weise er dafür hielt, daß ein allgemeiner Friede in Europa aufzurichten wär. Der Graf erklärte sich hierauf, daß dieses unter andern ein Geschäfte sey, welches ihn, nebst der Begierde, einem so grosen und weisen Fürsten persönlich aufzuwarten, an seinen Hof gezogen hätte. Er für sich hielt die Sache nicht für ganz unmöglich; wenn nur einige der mächtigsten Fürsten und Staaten zusammen tretten, und die Sache in reiffe Uberlegung ziehen wolten; Dann, es wäre gewiß, daß der Krieg den wenigsten noch sey vortheilhaft gewesen, und stünd daher zu vermuthen, daß ihnen allen der Friede lieber seyn würde.

Der Graf überreichte hierauf dem Fürsten seinen hierüber gemachten Plan, davon der Haupt-Inhalt am Ende dieses Werks wird zu finden seyn.

Der Graf meynte, die Teutonische Fürsten solten unter sich den Anfang von einem solchen Bündnüs machen, weil sie bey ereignenden Fällen, wenn ihre benachbarte Könige zu mächtig werden solten, am ersten dürften mit untergesteckt werden. Er rieth ihnen deshalben, sich auf das genaueste mit den Licatischen, Virinischen, Cimbrinischen und Scandinavischen Höfen zu verbinden; in welchem Fall er [388] gleichfalls die Sachen an dem Aquitanischen Hof dahin zu bringen hofte, daß sein König, als einer der Mächtigsten, diese Bündnüs mit eingehen und solche aufs beste unterstüzen solte; da sie sodann ganz Europa das Gewichte geben und andere Völker in solche Umstände setzen könten, daß sie froh seyn müsten, wenn man auch sie in dieses Bündnüs mit einschliesen wolte.

Der Fürst, als er diesen Plan des Grafens mit vielem Nachsinnen durchgangen hatte, sagte er zu demselben, seine Vorschläge wären gut; allein, es stünden solchen gantz unüberwindliche Hindernisse im Weg, die er schwerlich würde heben können: Ich meyne, erklärte sich der Fürst, die Menschen selbst. Diese widerstreben, aus einer unerforschlichen Quelle des Verderbens, ihrem eignen Wohlseyn, und stürzen sich gleichsam vorsetzlich ins Verderben.

Ich will ihnen aber, Herr Graf, fuhr der Fürst fort, unterdessen zeigen, daß ich sie liebe und ihre Rathschläge hoch schätze: Der Fürst von Calesia, als das Haupt unsers Hauses, ist einer der mächtigsten Fürsten des Teutonischen Reiches: Er kan, im Fall der Noth, über sechszehen tausend Mann ins Feld stellen: Er hegt viele Freundschaft für mich, und läßt sich öfters auch meine gutmeynende Rathschlage gefallen. Ich will ihn, und unsere andere durchs Blut oder Erb-Verbrüderung [389] verwandte Fürsten-Häuser, zu einem solchen Bündnüs, als sie vorschlagen, zu bereden suchen; und dann wird es auf den Herrn Grafen ankommen, uns den Schutz und die Verbindung ihres Hofes zu wegen zu bringen.

Es ereignet sich hierzu, atwortete der Graf, eine ganz erwünschte Gelegenheit. So lange mein König nicht vermahlet und das Königliche Haus nicht mit rechtmäßigen Cron-Erben besetzet ist; lasset sich mit uns kein festes Bündnüs schliesen: denn wir haben in unserm Reich, wo der König, ohne Leibes-Erben zu hinterlassen, mit Tod abgehen solte, nichts als Verwirrung und innerliche Kriege zu gewarten. Meine Absichten gehen also vornehmlich da hinaus, um meinem König eine würdige Gemahlin, aus einem alten Fürsten-Haus zu suchen: Man hat mir vieles von Dero Durchleuchtigsten ältesten Prinzeßin-Tochter gesagt; Ich habe aber noch mehr fürtrefliche Eigenschaften an derselben entdecket, als der Ruhm von ihr ausgebreitet hatte. Mich dünket, sie solte sich nicht übel für unsere Königin schicken. Durch dieses Mittel könten Ew. Durchl. nicht nur Dero Hohes Haus zusamt den Höfen Dero Durchleuchtigsten Anverwandten mit dem Unsrigen verbinden; sondern auch dadurch zur Beförderung der allgemeinen Ruh in Europa nicht wenig mit beytragen.

[390] Ihr Vortrag, Herr Graf, erklärte sich darauf der Fürst, betrift ein sehr wichtiges Geschäft: es kommen dabey viele Umstände zu betrachten vor: ich muß ihnen frey bekennen, ich liebe meine älteste Tochter sehr; ich mögte sie nicht gern zu einem gewöhnlichen Staats-Opfer machen: Ich würde sie für glücklicher halten, sie an einen vermögenden Fürsten oder Reichs-Grafen, als an einen so mächtigen König vermählt zu sehen.

Ich will aber diese Zärtlichkeit bey Seite setzen, wenn sich eine besondere Absicht der göttlichen Vorsehung hierinnen äussern solte; man hat mir sonsten gesagt, der König liebte eine gewisse Gräfin, die eine nahe Verwandtin des Obristen Staats-Ministers wär, und daß der König sie zu heyrathen gedächte: es dürfte also mein Kind schwerlich so viele Annehmlichkeiten besitzen, demselben eine galante Aquitanerin aus dem Sinn zu bringen.

Es ist wahr, sagte hierauf der Graf, daß der König diese Dame geliebet. Man hat ihm aber die Vermählung mit derselben wiederrathen; sie selbst liebet mehr die Einsamkeit, als den Hof; sie lebet auf einem ihrer Meyerhöfen ganz still und eingezogen bey ihrer Frau Mutter.

Sie soll sehr schön seyn, sagte hierauf der Fürst, und dürfte also der zukünftigen Königin ohnfehlbar Eintrag thun, wenn sie wieder nach [391] Hof kommen solte. So schön sie auch immer ist, antwortete der Graf, so wird sie doch den Vorzug Ew. Durchl. Prinzeßin-Tochter auf keine Weise strittig machen. Sie kennen, Herr Graf, warf der Fürst lächeld ein, diese Dame sehr genau. Der Graf erröthete über diese Anmerkung des Fürstens, mein König, sagte er, hat sich seit einem Jahr her sehr geändert; er ist der gütigste und leutseligste Monarch; er lebt nun als ein weiser Fürst; er hat die besten Absichten von der Welt. Nur fehlet es ihm noch an einer tugendhaften Gemahlin, welche dessen gute Neigungen unterhalten, und sein Herz allein mit ihren Tugenden und Annehmlichkeiten ausfüllen könte. Ich suche, gnädigster Fürst, eine solche Gemahlin für meinen König: ich habe kein grösseres Anliegen in der Welt, als dieses: ich finde darzu die würdigste Schönheit in der Person Ew. Durchl. ältesten Prinzeßin. Ich hoffe dieses hohe Bündnüs unter göttlichem Beystand möglich zu machen, wo anders Ew. Durchl. darein willigen, und die Veranstaltungen, die ich zu machen vorhabens bin, gnädigst gutheisen wollen.

Meine Tochter, erwehnte der Fürst, ist in einer andern Religion erzogen, und wird sich nimmermehr entschliessen, die bisher erkannte Einfalt des Christlichen Glaubens, gegen einen fremden Gottesdienst zu verwechseln. Dieses wird auch nicht nöthig seyn, antwortete der Graf, denn wir sind an unserm Hof weder zum [392] Aberglauben, noch zur Religions-Verfolgung geneigt; Viele Grossen bey uns sind Glaubens-Genossen von Ew. Hochfürstl. Durchl. und geniessen einer vollkommenen Gewissens-Freyheit.

Es ist Ew. Hochfürstl. Durchl. nicht unmöglich gewesen, fuhr der Graf fort, einen solchen Ort aufzurichten, wo die Unschuld, die Tugend und die Frömmigkeit herrschet: es ist leichter, etwas nachzumachen, als anzugeben. Wir werden uns also in Aquitanien die Ehre der Nachahmung vorbehalten. Wenn wir nur in einer jeden Provinz eine solche Gemeine, nach so weisen und vernünftigen Gesetzen aufrichten könten; so wär kein Zweifel, das ganze Königreich würde dadurch, als von so viel neuen Lichtern durchstrahlet werden.

Ihre Gedanken, Herr Graf sind gut, sie reden, wie sie es gerne hätten. Wir müssen das unsrige thun und unsern Posten wahrnehmen: die Welt mag davon urtheilen, wie sie will; sie ist durchgehends böse, und kan das Gute nicht vertragen: wir können nicht mehr thun, als GOTT uns Kräfte gibt. Wir sind wie die Taglöhner, die auf den Befehl des Herrn bald niederreissen, bald bauen, bald pflanzen, bald ausrotten; ja öfters so leicht etwas verderben, als gut machen.

Die folgende Tage brachte der Graf mit dem Fürsten in allerhand Berathschlagungen [393] zu, welche die Vermählung des Königs von Aquitanien mit der Princeßin von Argilia betraffen. Des Grafens Meynung gieng dahin; die Fürstin solte mit der Prinzeßin sich nach den Aquitanischen Bädern verfügen; er wolte so dann auch seinen König zu bereden suchen, um dieselbe Zeit sich gleichfals da einzufinden; da sich dann das übrige schon zeigen würde. Der Fürst lies sich diesen Vorschlag gefallen, doch bat er den Grafen, der Prinzeßin von diesem Vorhaben noch nichts zu sagen.

Der Graf gieng einige Tage darauf wieder in den Garten spatzieren; er hatte vernommen, daß die Prinzeßin mit der Fräulein von Thurris sich dahin verfüget hatten. Er suchte sie in der Einöde; als er sie aber daselbst nicht fand, setzte er seinen Fuß weiter fort, und kam in eine lange Allee, deren Wände von geschnittenen Buchen nicht anders als ein glatter grüner Stoff anzusehen war; einige Bedienten von der Prinzeßin, die er hier antraf, wiesen ihm dem Ort, wo sich solche aufhielt: sie war in einem kleinen Portal, welches auf einen breiten Teich sties, und von hinten mit einem Gebüsch bedecket war. Ein kurz geschorener Wasen leitete bis dahin, und lief um den ganzen Teich mit zierlichen Abschnitten und Erhöhungen herum. Man konte einen auf diesem Gras-Weg im Portal nicht eher sehen, als bis man wircklich davor stund.

Der Graf, als er noch ungefehr vier Schritt [394] davon entfernet war, hörte die Prinzeßin diese Worte sagen: Aber, liebste Mariane: er ist kein Reichs-Graf, und darzu eines andern Glaubens. Die Fräulein von Thurris wolte eben darauf antworten, weil es aber der Graf für etwas unanständiges hielt, sie zu belauren, so gieng er ohn verweilen auf sie zu. Die Prinzeßin, die ihn nicht so nah vermuthet hatte, konte ihre Bestürzung über seine Ankunft nicht bergen; sie wuste nicht gleich, was sie auf seine Höflichkeiten ihm antworten solte; sie giengen darauf mit einander spatzieren.

Ihr Gespräch war von Seiten der Prinzessin ganz furchtsam, sie redete nur von gleichgültigen Dingen: ihre Augen sahen ihn dabey mit einer gewissen Schamhaftigkeit an, die ihm so viel zu verstehen gab, als ob sie glaubte, daß er etwas von ihren Reden im Portal vernommen hätte.

Die Fräulein von Thurris, als sie von dem Grafen Abschied nahm, sagte ihm heimlich ins Ohr: er möchte morgen vor der Tafel sie besuchen kommen; der Graf stellte sich um die bestimte Zeit bey ihr ein. Es ist billig, Herr Graf, sprach sie zu ihm, daß ich auch etwas von ihren Geheimnüssen wisse, nachdem sie alle die meinigen erfahren haben. Die genaue Freundschaft zwischen ihnen und meinem geliebten Riesenburg giebt mir einen Antheil an Dero Vergnügen, und ein Recht, mich nach Dero Zustand ein wenig zu erkundigen. Die [395] Fräulein fragte ihn hierauf wegen seines Herkommen, und ob er an dem Aquitanischen Hofe zu bleiben gedächte. Der Graf unterrichtete sie wegen des ersten; wegen des andern aber, sagte er, daß es nicht bey ihm stünde, einen König zu verlassen, der ihm die gröste Gnade und ein ganz besonderes Vertrauen bezeigte.

Die Fräulein forschte darauf weiter, ob er nie geliebet hätte? Der Graf lächelte über diese Frage, und wolte mit der Sprache nicht heraus. Sie werden wohl, fuhr die Fräulein fort, ein Herze haben wie andere Menschen auch, und wo ich mich nicht irre, so lieben sie, und machen aus dieser Neigung ein Geheimnüs: es möchte wohl seyn, erklärte sich der Graf halb im Scherz: wie gefället ihnen denn unsere älteste Prinzeßin, fragte jene weiter: könten sie solche nicht lieben? Es müssen sich, für dieselbe, erklärte sich der Graf, alle meine Neigungen in der tiefsten Ehrerbietung versenken. Sie sind, Herr Graf, nicht offenherzig mit mir, lies sich hierauf die Fräulein vernehmen. Riesenburg muß ihnen von mir nicht so viel. Gutes gesagt haben, als es nöthig ist, ihnen zu mir ein Vertrauen zu geben. Ich weiß, daß sie meine Prinzessin lieben, und solches mir verhehlen; aber ihre Augen und diejenige der Prinzessin haben mir solches verrathen. Meine Prinzeßin kan für sie wenigstens ihre Hochachtung nicht bergen: ihre oftmahlige Erröthungen, wenn sie solche scharf ansehen, [396] die Vergnügung, welche sie hat, mit ihnen umzugehen, und ihr ganzes Wesen gibt mir eine besondere Gewogenheit für den Herrn Grafen zu erkennen.

Der Graf war über diese Reden so bestürzt, daß er nicht wuste, was er der Fräulein von Thurris darauf antworten solte: Ich sehewohl, Herr Graf, fuhr deswegen die Fräulein fort, was ihnen im Wege stehet:


Was Ido macht zu gros / das macht

mich all zu klein.


Der Graf erschrack hierüber noch mehr; er erkannte, daß die Fräulein von Thurris seine Schreibtafel müste durchblättert, und obige Reimen darinn gelesen haben: die Fräulein aber ließ ihm nicht Zeit, sich darüber mit ihr zu erklären, sondern fuhr fort: es ist wahr, meine Prinzeßin ist aus einem der grösten Fürsten-Häuser, das macht sie dem Ansehen nach für sie zu gros; allein es ist bey uns etwas gewöhnliches, daß unsere Fürstinnen an Grafen sich vermählen, wenn sie aus altem Gräflichem Stamm herkommen.

Wie nun der Herr Graf von Rivera das Glück einer solchen Geburt haben; so dürfen sie auch um so viel weniger hierbey den Muth verliehren; weil diese Standes-Ungleichheit mit so vielen andern grosen Eigenschaften von ihnen ersetzet wird. Ja, sie dürfen nur ihrem König [397] ein Wort davon sagen, so wird er sie zu einem Fürsten und Herzogen machen.

Des Grafens Verwunderung über diesen unvermutheten Vortrag der Fräulein von Thurris vermehrte sich noch mehr, als er hörte, wie sie alle diese Sachen in ihren Gedanken schon so leicht und möglich gemacht hatte. Er heegte für die Prinzessin die vollkommenste Hochachtung; Er fand sie würdig, den Königlichen Thron zu besteigen, und gantz Aquitanien zu beherrschen. Zu dieser Erhöhung wolte er das Werkzeug abgeben; sein ganzes Herz war mit einem so grossen und wichtigen Geschäffte eingenommen. Er suchte den König durch die Prinzessin, und diese wiederum durch jenen glücklich zu machen; in diese Glückseligkeit aber seine geliebte Gräfin von Monteras mit einzuflechten.

Bey diesen Absichten sah sich endlich der Graf verbunden, der Fräulein von Thurris sich zu erkennen zu geben: er sagte ihr, daß sie sich irrte, wenn sie die in seiner Schreibtafel gefundene Reimen auf ihre Prinzessin deuten wolte; daß er die Prinzessin zwar unendlich verehrte; aber sich dabey auch wohl zu bescheiden wüste, daß sie sich besser für seinen Herrn und König, als für einen gebornen Unterthanen schickte. Er entdeckte hierauf der Fräulein von Thurris seine Anschläge, und bat sich zugleich darinn ihren Beystand aus; er sagte ihr, daß er dem Fürsten bereits davon Eröfnung gethan hätte; daß derselbe[398] aber für gut fände, solches vor der Prinzessin noch geheim zu halten.

Die Fräulein von Thurris war mit den Absichten des Grafens nur halb zufrieden. Ach! sprach sie, worzu sollen die Cronen; sie sind schwer zu tragen. Könige haben keine wahre Freunde, man fürchtet sich vor ihnen, und sie fürchten sich wieder vor andern: Ihre Hoheit verblendet sie, man schmeichelt ihnen; sie haben die stärkste Leidenschaften, und indem sie allen genug thun wollen, vergnügen sie keinen.

Ich halt dafür, versetzte der Graf, eine Crone hat auch ihre Annehmlichkeit. Es ist für ein grosmüthiges Herz kein geringes Vergnügen, in einer solchen Erhöhung zu leben, darinn man so viel andere Menschen kan glücklich machen. Es scheinet, die Vorsehung habe unsere vortrefliche Prinzeßin zu einer Königin lassen geboren werden: Es leuchtet aus ihren Augen etwas so Majestätisches und Groses, haß man darinn eine geheime Ubereinstimmung der Natur entworfen siehet.

Die Fräulein von Thurris hatte bey diesem Tausch nichts zu verliehren: Es schmeichelte nicht wenig ihrer Eitelkeit, ihre Prinzeßin Königin von Aquitanien zu sehen: Sie fand sich dadurch selbst mit erhöhet: Ihre Demuth konte sie nicht hindern, sich daraus eine Vergnügung zu machen. Sie hielt das ihr anvertraute Geheimnüs nicht lang verborgen: [399] Wem bin ich näher, dachte sie, in der Welt verbunden, als meiner Prinzeßin? Sie gieng zu ihr und offenbarte ihr alles. Die Prinzeßin wurde darüber bestürzt. Ach! seufzete sie, der Himmel macht es nicht, wie wir wollen: Doch, ich kenne meine Pflicht, und weis, was ich GOtt und meinem Vater schuldig bin.

Der Graf von Rivera verreiste darauf nach einigen Tagen von Christianopolis: Der Fürst versicherte ihn seiner äussersten Hochachtung und Freundschafft: Er schloß ihn mit vieler Zärtlichkeit in seine Arme. Lebet wohl, mein liebster Graf, sprach er zu demselben, und erinnert euch oft der guten Nachschlägen, die wir mit einander gepflogen haben.

Gegen die Prinzeßin lies sich der Graf verlauten, daß er würde den Freyherrn von Riesenburg bis nach Aquana begleiten, woselbst er hofte die Gnad zu haben, ihr wieder aufzuwarten. Sie gab dargegen dem Grafen zu verstehen, daß sie seine Absichten mit ihr wüste, und daß sie deswegen diese Reise nicht ohne besondere Furcht antretten würde.

Das vierzehende Buch

[400] Das vierzehende Buch.

Der Graf kam glücklich wieder nach Panopolis. Er fand den König noch immer in der besten Neigung für ihn, und wurde von demselben mit einer lebhaften Freude empfangen. Ach, liebster Graf, sprach er, indem er ihn herzlich umarmte, wie sehr hat mich verlanget euch wieder zu sehen! Der Graf gab darauf dem König Nachricht von seinen gehabten Verrichtungen: und rühmte ihm die Schönheit verschiedener Prinzeßinnen, deren Bildnisse er dem König vorzeigte.

Ohneracht die Mahler ihr bestes gethan hatten, die Durchlauchtige Schönheiten in ihren stärcksten Reitzungen vorzustellen; so wolte doch keine darunter dem König recht gefallen. Er sagte schier über eine jede: Es ist noch keine Gräfin von Monteras. Der Graf nahm hierbey Gelegenheit, ihm die Annehmlichkeiten der Prinzeßin von Argilia vor allen andern zu rühmen: Er machte dadurch den König um so viel begieriger auch das Bildnüs dieser so hochgepriesenen Schönheit zu sehen; allein, der Graf hatte solches nicht mit gebracht: Der König war deswegen überaus ungeduldig: Der Graf entschuldigte sich, daß er solches nicht hätte habhaft werden können, [401] und rieth deswegen dem König das Original selbst in Augenschein zu nehmen, weil er sodann von dem gewöhnlichen Betrug der Mahler und der Farben, welche insgemein die Gesichter schöner machten, als sie wären, nichts zu befahren hätte; Er fügte hinzu, daß diese Prinzeßin sich in wenig Wochen mit ihrer Frau Mutter nach den Aquanischen Bädern begeben würde, wo der König das Vergnügen haben könte sie zu sehen.

Der Graf verfügte sich hierauf zu dem Herzog von Sandilien: Er fand ihn auf einem Ruhbette: die Gräfin von Monteras saß neben ihm, und las ihm etwas aus einem Buch: Der Anblick dieser beyden Personen rührte den Grafen ungemein: Der Herzog hatte das Ansehen eines recht krancken Mannes, und die Gräfin schien ihm schöner als jemahl. Der Herzog empfieng ihn mit einer ganz vertraulichen Art, und indem er die Arme um seinen Hals schloß, sagte er zu ihm: Ich habe, mein werthester Graf, Stunden und Tage bis zu ihrer Wiederkunfft gezehlet. Ich liebe sie, als wenn sie mein Sohn wären, und gebe ihnen die Erlaubnüs meine Base zu umarmen: Der Graf gehorsamte einem so süssen Befehl: Zucht, Scham, Zärtlichkeit und Ehrerbietung, gaben hier der Liebe ein wunderschönes Ansehen. Die Wangen der Gräfin färbten sich mit roth, und in ihren Augen brandte ein so starckes Feuer, daß es einige Thränen, welche sie nicht zurück halten konte, zu löschen schienen.

[402] Der Graf erkundigte sich darauf nach des Herzogen, Zustand und der Ursach seiner so merklichen Unpäslichkeit. Es sind ungefähr acht Tage, antwortete der Herzog, daß ich Abends bey dem Fürsten von Voltera, der eine Zeitlang sich hier aufgehalten, zu Nacht speiste. Ich war kaum nach Haus gekommen, so empfand ich ein heftiges Bauch-Grimmen, welches dermassen starck überhand nahm, daß ich eilends den Herrn Hippon zu mir kommen lies; alle Nerven und Adern zuckten in mir mit einem nie empfundenen Schmerz, alle innere Theile wurden dadurch zusammen gezogen: Ich krümte mich als ein Wurm, und litt die abscheulichste Marter. Herr Hippon kam und fragte sogleich was ich gegessen hätte? ich nannte ihm solches, und da alles unverfänglich war, schüttelte er den Kopf, und sagte, man müste mir etwas schädliches beygebracht haben: Er gab mir deswegen ein Gegen-Gift, welches er immer bey sich führte: Ich muste solches mit warmen Oel einnehmen, worauf ein starckes Erbrechen folgte, und als dadurch mein Blut in eine kochende Wallung gerieth, so wurde mir zur Ader gelassen. Die Schmerzen liessen damit nach: Ich wurde aber dermassen entkräftet, daß ich seitdem kaum meine Glieder regen noch vielweniger mich aufmachen kan.

Der Graf fragte hierauf den Herzogen, was er von diesem Uberfall muthmassete, und ob er glaubte, daß man ihm Gift beygebracht [403] hätte? Dieses ist ausser Zweiffel, sagte darauf der Herzog; Wer solte aber, forschte der Graf weiter, der Anstifter einer solchen grausamen Bosheit seyn? Wann ich meinen Argwohn hier entdecken soll, erklärte sich der Herzog, so ist solcher der Fürst von Voltera selbst: Es ist nicht das erstemahl, daß er mich seinem auf mich geworfenen Groll aufzuopfern und heimlich aus dem Weg zu räumen trachtet, weil er weis, daß ich seinen herschsüchtigen Anschlägen, die Crone auf sich und sein Haus zu bringen, nimmer beystimmen werde. Er ist sonst dem Ansehen nach der gütigste und leutseligste Herr; allein, wenn es die Cron-Folge betrift, so ist ihm keine Missethat, keine Verrätherey und kein Meuchel-Mord abscheulich genug, zu seinen Absichten zu gelangen.

O böse Welt! o verätherisches Geschlecht! rief allhier der Graf voller Bestürzung aus. Ist dann eine Crone, die doch an und für sich selbst so schwer zu tragen ist, solcher verruchten Streiche werth? Ich hätte mir fürwahr, fuhr der Graf fort, diesen Herrn nie so boshaftig eingebildet. Doch ich hoffe, es werde der Königliche Stamm bald in ächtere Zweige sprossen, und der König mit nechstem eine Gemahlin bekommen.

Das Gespräch fiel darauf auf die Prinzessin von Argilia, davon der Graf dem Herzogen bereits durch Briefe die nöthige Eröfnung [404] gethan hatte. Der Graf versicherte den Herzogen, daß sie sich vollkommen für den König schicken würde. Die Gräfin von Monteras hatte dabey den Grafen vieles zu fragen. Allein, der Herzog erinnerte denselben, daß es Zeit wäre, sich wieder nach Hof zu begeben.

Der Graf speiste denselben Abend ganz allein mit dem König; Ihr habt mir, sprach dieser, mit euren Erzehlungen von der Prinzeßin von Argilia einiges Nachdencken erweckt. Ich bin sehr übel mit euch zufrieden, daß ihr mir nicht ihr Bildnüs habt mit gebracht. Der Graf wiederhohlte seine vorige Entschuldigungen: er sagte, daß der König nichts dabey verliehren könte. Ich finde, fuhr er fort, daß die Mahler wohl heßliche und mittelmässige Gesichter, aber keine vollkommene Schönheit abbilden können. Es pfleget solche ein gewisser Geist zu beleben, der über alle Pinsel-Striche ist. Man muß dergleichen Schönheiten sehen; man muß sie sprechen; man muß ihre Bewegungen, ihre Gebehrden und die Spielung ihrer Augen wahrnehmen, wenn man von ihren Annehmlichkeiten ein Urtheil fällen will. Der König entschloß sich auf diese Vorstellungen die Reise nach Aquana vorzunehmen, und überließ dem Grafen von Rivera die Sorgfalt, darzu die nöthige Anstalten zu machen.

So bald hatte man nicht in Panopolis die Nachricht, daß die Fürstin von Argilia mit [405] ihrer ältesten Prinzeßin zu Aquana angekommen war; so reiste der König gleichfalls dahin. Er hatte, nebst dem Grafen von Rivera und dem Freyherrn von Riesenburg, niemand bey sich, als seinen Leib-Arzt, und drey bis vier Edelleute. Die meiste Bedienten, nebst einem Theil der Leib-Wache, waren voraus gegangen. Der Zulauf des Volcks, als der König zu Aquana anlangte, war ungemein. Es fand sich eine Menge des benachbarten Adels daselbst ein. Niemahls hatte man an diesem Ort mehr gesunde Chur-Gäste gesehen.

Den Freyherrn von Riesenburg hatte die Ungedult seine liebste Mariane zu sehen, schon beym Absteigen, in seinen Reise-Kleidern, zu ihr hin getrieben. Er überfiel sie in Gegenwart der Prinzeßin von Argilia: Er warf sich ihr mit der feurigsten Regung um den Hals, und vermerckte nicht, daß er die Ehrerbietung, welche er der Gegenwart einer so grossen Prinzeßin schuldig war, durch diese Freyheit verletzete. Die Fräulein von Thurris erinnerte ihn daran, und wickelte sich deswegen aus seinen Armen. Er kam damit aus seiner Entzückung wieder zu sich selbst: Er nahte sich mit Demuth der Prinzeßin: Er küste ihr den Rock, und bat sie, ihm den begangenen Fehler zu verzeihen. Die Prinzessin entschuldigte solchen leicht: Sie versicherte ihn mit der leutseligsten Art, daß es ihr ein grosses Vergnügen wär, ihn und ihre liebste Mariane beysammen zu sehen, und daß sie an [406] dieser längst gewünschten Begebenheit selbst mit Antheil nehme.

Die sonst muntere Fräulein von Thurris muste hier der Stärcke ihrer Empfindung weichen: sie konte für grosser Bewegung ihres Gemüths nicht reden: sie sah ihren Geliebten, den sie nimmer wieder zu sehen geglaubet hatte: sie sah ihn getreu, beständig, glücklich und in der süssen Hofnung wieder, ihn nicht mehr zu verliehren. Diese Betrachtungen erfülleten allzusehr ihr zartes Hertze, als daß sie dabey auch ihrem Verstand viel Raum hätte lassen sollen, sich darüber auszudrücken.

Die Prinzeßin unterhielt also das Gespräch, als der Graf von Rivera sich meldete, um bey ihr und ihrer Frau Mutter die Aufwartung zu machen. Die Prinzeßin veränderte ein wenig die Farbe, da sie denselben auf sich zukommen sah: sie wuste, wozu er sie bestimmet hatte: ihr Herz empfand darüber eine heimliche Empörung; allein sie war Meister von dessen Regungen: sie empfieng ihn viel freundlicher, als sie bey einer andern Gelegenheit nicht würde gethan haben. Diese Freundlichkeit aber wolte in Betrachtung ihres Gemüths weit weniger sagen, als die schamhaftige Eingezogenheit, womit sie ehedessen an ihres Herrn Vatern Hofe ihn kaum recht anzusehen getrauete.

Nach ein und andern Reden, welche der Wohlstand an die Hand gab, verfügte sich die Prinzessin zu der Fürstin ihrer Frau Mutter, um die Vertraulichkeit zwischen dem Grafen [407] von Rivera, dem Freyherrn von Riesenburg und der Fräulein von Thurris durch ihre Gegenwart nicht länger in Zwang zu setzen. Der Graf fragte bey dieser Gelegenheit den Herrn von Riesenburg, wie ihm die Prinzeßin gefiel? Sie ist unvergleichlich, antwortete dieser, und der König müste keine Empfindung haben, wenn er sie, ohne gerührt zu werden, ansehen könte: denn, fügte er hinzu, solchen Wuchs, solche Gebehrden, solche Bildung und solche Augen hab ich noch nie gesehen.

Wie, mein lieber Riesenburg, scherzte hierauf der Graf, ist dieses nicht sehr unbescheiden in Gegenwart einer Geliebten gesprochen, die selbst so viele Annehmlichkeiten besitzet? O mein werthester Herr Graf, erwiederte Riesenburg, ich würde der Fräulein von Thurris unrecht thun, wenn ich ihre blosse Gestalt zum Vorwurf meiner Liebe machen wolte: ihr gut Herz ist allein dasjenige, was mich ihr mit einer unendlichen Neigung verknüpft. Ich werde ihrer Schönheit am ersten gewohnt werden, und ihrer am wenigsten achten, wenn ihr angenehmer Geist und ihr vortrefliches Gemüth bey einer näheren Verbindung mir täglich neue Schätze und Tugenden entdecken werdē.

Der Graf hatte sich unter diesem Gespräch bey der Fürstin melden lassen, und bekam zur Antwort, daß sein Zuspruch derselben angenehm seyn würde. Er fand sie mit der Prinzeßin allein in ihrem Gemach: man sprach von dem König, und wenn es der Fürstin gelegen seyn [408] würde, ihn bey sich zu sehen: die Zeit wurde dazu gleich auf den folgenden Tag bestimmt. Der Graf begab sich damit wieder zu dem König; der Herr von Riesenburg aber blieb bey der Fürstin des Abends zur Tafel.

Der Tag, welcher einen so wichtigen Ausschlag in der Liebe des Königs geben solte, erschien. Die Prinzeßin von Argilia lies sich dazu aufs beste ankleiden. Nicht allein ihre Cammer-Frauen waren um sie geschäftig; die Fräulein von Thurris selbst machte sich eine Arbeit mit ihrem Kopf-Putz; sie winkte ihr dabey hundert vergnügte und aufmunternde Dinge zu, weil sie vor ihren Leuten sich nicht frey erklären mochte. Die Prinzessin verstund alles; sie muste lachen, und verlohr darüber eine gewisse Bangigkeit, welche sie bey der Vorstellung, daß sie heute zur Schau solte gebracht werden, in ihrem Gemüth empfand: Ihre Augen, die aus angeregter Ursach die Nacht nicht viel geschlafen hatten, bekamen wieder ihre Lebhaftigkeit: ihre Farbe wurde frisch, und ihre ganze Gestalt, da sie angekleidet war, hegte so viel Glanz und Anmuth, daß die Natur die Vorzüge der Kunst würde beneydet haben, wenn sie nicht hier die gröste Ehre vor sich behalten hätte: denn aller Schmuck, aller Aufputz, alle funckelnde Diamanten waren bey dieser schönen Fürstin nur wie eine blosse Einfassung um ein schönes Bild.

Der König kam: die Prinzessin mit der Fräulein von Thurris und den Argilischen Hof-Damen empfiengen ihn gleich unter der Thür. Eine [409] angenehme Bestürzung überfiel den König, als er hier in der Person der Prinzeßin von Argilia die gröste Schönheit erblickte. Er begrüste sie mit vieler Ehrerbietung. Er faste sie darauf bey der Hand und führte sie die Treppen hinauf: er wurde oben von der Fürstin, die ihm einige Stufen herunter entgegen kam, auf das freundlichste empfangen. Im Zimmer fanden sich zwey Lehn-Sessel, auf welche sich der König und die Fürstin niederliessen. Die Prinzeßin aber setzte sich auf einen kleinen Stuhl. Der Graf von Rivera, der den König begleitete, stund ihm zur Seiten: er lenkte dabey das Gespräch auf solche Sachen, davon er für gut hielt, daß bey dieser Gelegenheit gesprochen würde, und welche die Prinzeßin mit konten reden machen. Denn ihre Annehmlichkeiten gewannen einen doppelten Glanz, wenn sie etwas erzehlte. Der König empfand ihre bezaubernde Macht mit allen Regungen, welche der Graf an ihm zu sehen wünschte: er war davon auf einmahl so eingenommen, daß er sich bey dem Abschied erklärte: der Graf hätte ihm noch lange nicht so viel von den Vollkommenheiten der Prinzeßin gesagt, als ihre Gegenwart ihm hätte zu erkennen gegeben.

So bald war der König nicht von der Fürstin zurück gekommen, so fiel er dem Grafen um den Hals. Liebster Graf, sprach er, die Prinzeßin gefällt mir: wie fangen wir die Sache weiter an? Es wird sich wohl alles fügen, antwortete der Graf mit einer etwas gleichgültigen [410] Mine. Ja, fragte der König, wie lang aber wird es noch währen? es giebt immer so viele Umstände und Weitläuftigkeiten bey dergleichen Geschäften; könte man damit nicht einen kürzern Weg einschlagen? Der Graf muste heimlich über diese Ungedult des Königs lachen: er nahm daher Gelegenheit bey demselben einige nützliche Wahrheiten anzubringen. Es ist gut, sprach er, daß die mächtigste der Erden zuweilen auch ein wenig spühren, daß nicht alles blos von ihrer Gewalt abhänget. Die Art, womit sie eine Sache verlangen, komt mit ihrer Hoheit überein; es soll alles gleich da seyn; sie wollen nicht warten; sie müssen aber so wohl wie andere Menschen sich den Gesetzen der Möglichkeit unterwerfen: sie können weder das Verhängnüs noch die Gemüther zwingen.

O wie verdrieslich, Graf, fiel ihm hier der König in die Rede, ist mir diesesmahl eure Sitten-Lehre! Ich frage jetzo nicht, ob ich mich den Gesetzen der Möglichkeit unterwerffen soll? das weis ich ohne dem. Ich frage nur, wie bald ihr meynet, die Sache mit der Prinzeßin zu Stand zu bringen?

Ew. Majestät, antwortet der Graf, halten mir meine Freyheit zur Gnade. Dergleichen Geschäfte lassen sich nicht wohl übereilen; weil die Glückseligkeit eines so grossen Königs und die Wohlfart so vieler Länder damit verknüpfet ist. Glauben dann Ew. Majestät, fragte der Graf den König, daß sie schon die Prinzeßin liebten, und daß diejenige Empfindung, welche [411] ihre Schönheit in dero Gemüth verursacht, nicht ein schnell angezündetes Lauf-Feuer sey, welches, wenn es einmahl seine Wirckung gethan, mit einmahl in die Luft verdämpfet?

O Graf! erwiederte der König voller Ungedult: ihr seyd heute ganz unerträglich. Ich sage euch, die Prinzessin gefällt mir, und ich liebe sie, weil sie mir gefällt: ich will sie zu meiner Gemahlin nehmen, ihr selbst habt mir darzu gerathen; was soll ich mich erstlich noch lang untersuchen, ob meine Liebe für sie ein Lauf-Feuer, oder sonst etwas sey?

Ich sehe wohl, fuhr der Graf hierauf fort, daß es Ew. Majestät ein Ernst ist, mit dieser schönen Prinzessin sich zu vermählen; der Himmel gebe seinen Segen darzu. Man wird also in möglichster Eil eine Gesandschafft an den Argilischen Hof schicken müssen, um dem Fürsten daselbst die hohe Meynung Ew. Majestät zu entdecken, und bey ihm um dessen Prinzessin Tochter die gewönliche Anwerbung zu thun. Hernach muß die Sache dem geheimen Rath von Ew. Majestät vorgetragen, und dessen Gutdüncken darüber eingeholet werden: wie man in ein und andern Dingen sich dabey zum Nutzen des Staats zu verhalten, und die Tractaten in einer so wichtigen Verbindung darnach einzurichten habe.

O Himmel! unterbrach der König hier abermahl, wie plagt ihr mich doch anheute! Darf ich dann keine Gemahlin nehmen, ohne [412] meinen geheimen Rath darüber zu befragen? soll ich mich, oder soll sich der Staat verheyrathen?

Gleichwol, fuhr der Graf in seinem gelassenen Wesen fort, werden sich Ew. Majestät doch müssen allergnädigst gefallen lassen, jemand an den Argilischen Hof abzufertigen, um wenigstens die Einwilligung des Fürstens einzuholen: kürtzer ist doch die Sache unmöglich zu fassen. Hernach müssen auch die nöthige Anstalten zu dero Königlichem Beylager zu Panopolis gemacht werden, welche Ceremonien von dero höchst glorwürdigsten Vorfahren jederzeit mit einem Königlichen Pomp und äusserster Pracht sind vollzogen worden.

Auf diese Art, erwiederte der über diese so vielerley Vorstellungen des Grafens ganz misvergnügte König, ist kein Mensch übeler dran, als ich: wer wolte sich wohl eine Crone wünschen, wenn uns solche unter den harten Zwang so vieler nichts bedeutenden Dinge setzet? Meine Vorfahren, sprach er, dachten nicht wie ich; sie hatten eine Freude an dergleichen Weitläuftigkeiten und unnützen Geprängen, welche öfters zu nichts weiter dienten, als ihre Schatz-Kammer zu entkräfften, und das Volck zu beschweren: ich glaube, sie hätten Macht gehabt, solches zu unterlassen, wie ich mich befugt halte, darinn nach meiner Weise zu verfahren.

Ew. Majestät sind Herr, erklärte sich hierauf der Graf. Wenn sie sich an eine Unterthanin ihres Reichs vermählen wolten, so könten [413] sie darin nach dero höchsten Gutdüncken verfahren; allein, die Prinzeßin von Argilia ist aus einem der Durchläuchtigsten Häuser in der Welt: Ew. Majestät können hier den Wohlstand nicht gantz aus den Augen setzen. Doch fügte der Graf hinzu, ich werde trachten die Sachen zu Ew. Majestät allergnädigsten Wohlgefallen einzurichten, und alles auf das kürtzeste zu fassen. Er verlies darauf den König und verfügte sich wieder zu der Fürstin von Argilia.

Er hat dem König nicht gesagt, wie weit er schon in diesem Geschäfft gekommen war: der König hätte sonst den Wohlstand und die Ehrerbietung gegen die Prinzeßin zu sehr aus den Augen setzen mögen. Er hinterbrachte der Fürstin, daß die Prinzeßin dem König gefallen hätte, und daß solchem nach seine bisherige Unterhandlungen ihre Richtigkeit hätten; wo anders, wie er hofte, die Prinzeßin bey sich keinen Wiederwillen gegen den König verspürte. Die Prinzeßin veränderte über diese Frage ein wenig die Farbe, und überlies ihrer Frau Mutter solche zu beantworten. Meine Tochter, sprach diese, wird sich in dieser Sache den Rathschlüssen des Himmels, ohne welche sich die Cronen nicht vergeben, und dem Willen ihres Herrn und Vaters unterwerfen.

Auf diese Erklärung sandt der Graf alsobald einen hurtigen Boten nach dem Fürsten von Argilia; und einen andern nach dem Hertzog von Sandilien, um beyden von dem Fortgang [414] dieser Sache Nachricht zu geben und sie zugleich zu bitten, die Heyraths-Tractaten, wie solche unter ihnen wären verabredet worden, auszufertigen. Diese Boten kamen den sechsten Tag wieder zurück, und brachten die Tractaten unterschrieben mit.

Der König und die Prinzessin sahen sich unterdessen einander täglich: er hatte ihr seine Neigung gleich den ersten Abend zu erkennen gegeben; und speiste darauf bey der Fürstin zu Macht. Diese nebst der Prinzessin assen hinwiederum den andern Tag bey dem König: Abends wurde Spiel und Ball gegeben. Auf diese Weise gieng eine Woche vorüber.

Der König wurde bald ungedultig; er sah die Prinzeßin täglich: ihre Schönheit rührte seine Sinnen; und ihre Eingezogenheit machte ihn leyden. Er kam in dieser Empfindung zu dem Grafen: Ihr habt mir lang versprochen, sagte er zu ihm, mich durch eine würdige Gemahlin glücklich zu machen; und jetzo hat es das Ansehen, als ob man gar nicht auf meine Vergnügung dächte.

Der Graf, der die Ungedult des Königs voraus gesehen, hatte zu dem Ende alle Anstalten zu des Königs Beylager in Zeiten zu machen, angefangen.

Einige Stunden von Aquana wohnte ein reicher Graf auf einem sehr grossen und wohlgebauten Schloß: diesen hatte der Graf von Rivera ersucht, solches auf einige Tage dem König [415] und seinem Gefolge einzuräumen. Der Graf fand sich durch dieses Zumuthen beehrt: es wurden in möglichster Geschwindigkeit die besten Zimmer für den König und dessen bey sich habende Hof-Staat zurecht gemacht. Der Graf bat darauf den König, sich nach diesem Schloß zu erheben, weil er daselbst ein gewisses Fest der Prinzeßin von Argilia zu Ehren angestellet hätte. Wobey er zugleich, wenn es ihm gefiel, sein hohes Beylager halten könte.

Mit der Fürstin und der Prinzessin war alles bereits abgeredet: Der König fuhr einige Stunden voraus, um seine Gäste zu empfangen. Er war zum höchsten verwundert, wie er alles auf diesem Schloß in ungemeiner Bewegung fand: er sah viel tausend Lampen und Lichter zu einer Abend-Beleuchtung aufstecken, der ganze Garten zusamt dem Schloß wurde damit bestellet.

Man arbeitete noch in dem grossen Lust-Haus an einer Tafel, auf welcher in der Mitte ein mit verguldten Bley beschlagener Bassin mit springendem Wasser sich zeigte. Rings herum waren die schönsten Blumen-Bette, welche durch zart ineinander geschlungenen Buchs die artichste Züge machten; und durch weiß, roth und gelben Muschel-Sand unterschieden waren. Auf diesem kleinem Blumen-Stück fanden sich allerhand artige Gefäse mit raren Gewächsen und kleinen Zwerg-Stämmen von Pomeranzen und Citronen, die voller Blüt und Früchte hiengen.

[416] Alles war hier mit einer solchen Hurtigkeit beschäfftiget, daß es dem König gleichsam eine halbe Zauberey zu seyn schien. Der Graf half selbst alles mit angreiffen: alles wurde durch seinen Geist belebet, und in einer ordentlichen Bewegung herum getrieben, nicht anders, als in einer künstlich verfertigten Maschine, davon er das Triebwerk war.

Ehe noch der Abend herbey kam, stund vor dem Schloß eine von gemahlten Säulen aufgerichtete und mit allerhand Grünigkeiten und Sinnbildern durchschlungene Ehren-Pforte. Auf den Garten stieß ein grosser Teich, an dessen Ufer sechs kostbar ausgezierte Schiffe hielten, welche man auf einem Canal von Toscana dahin gebracht hatte: sie waren gelb und blau bemahlet, auf den Kanden, und dem Schnitz- Werck verguldt, und mit gleichfärbigten Flaggen und Bändern gezieret. Dasjenige, so darunter für den König und die Fürstliche Personen gewidmet war, hatte auf Illyrische Art, in der Mitten eine prächtige Himmel-Decke mit Vorhängen von blauen Damast und goldenen Schnüren und Quasten. Das ganze Boot war auf diese Art ausgeschlagen: die Boots-Leute zeigten sich in gleichem Stoff gekleidet: sie hatten gelb-seidene Scherffen um den Leib, und reiche von Gold durchwürckte Bänder auf den Mützen. Ein grosses Schiff war vor die Music und die Bedienten ausgerüstet. Es hatte oben eine Gallerie mit kleinen Böllern besetzt. Auf dem Teiche schwammen eine Menge [417] zahm- und wilde Enten, deren viele mit rothen Federn auf den Kämmen gezeichnet, und zu einer Wasser-Jagd bestimmet waren.

So bald lies sich die Fürstin mit der Prinzessin und ihrem Gefolg nicht in der Nähe sehen, so wurden die kleine Böller auf dem Schiff losgezündet. Der König empfieng solche an einem nechst an dem Teich aufgeschlagenen Zelte, und führte dieselbe darauf in das für sie zubereitete Königliche Boot: die übrige Schiffe wurden von ihrem Gefolge eingenommen. Man sties von Land; die Trompeten und Paucken liessen sich mit untermengter Music hören: Man fuhr auf dem Teich herum; und stieg darauf im Garten an das Land.

Der Abend kam herbey: das gantze Schloß so wohl, als der Garten, wurde mit Lichtern erhellet: es war bald Zeit an die Tafel zu gehen; Der Graf von Rivera meldete sich hier: er redete den König an: Ew. Majestät, sprach er, haben mir gnädigst befohlen, alle Weitläuftigkeiten bey dero hohen Vermählung abzuschneiden; Ich hab alles was möglich war, gethan. Hier sind die Tractaten von dem Durchläuchtigsten Fürsten von Argilia, wie auch von dero Obersten Staats-Minister im Nahmen dero ganzen geheimen Raths unterzeichnet; Es fehlet weiter nichts, als daß Ew. Majestät und Dero Durchlauchtigste Braut Dero höchsten Namen mit darunter setzen.

[418] Als dieses der Graf dem König und der Prinzeßin vorgebracht hatte, ließ er die Tractaten auf einem kleinen mit rothen Sammet bedeckten Tischgen, worauf ein silbernes Schreibzeug stund, vor den König bringen; dieser ergriff sogleich die Feder, sprieb seinen Namen darunter, und reichte solche hernach auch der Prinzeßin welche, wiewohl mit zitternder Hand, dergleichen that.

Hierauf wurden in dem nechstanstossenden Saal auf einmahl die Thüren geöfnet: Die Königliche Capelle mit einem grossen Chor von Sängern und Sängerinnen ließ sich darinn mit einer entzückenden Harmonie hören. Ein Bischoff von dem nechsten Aquitanischen Kirchen-Spiel zeigte sich mit den Königlichen Hof-Caplanen hinter einer Tafel, auf welcher ein Crucifix stund. Nach geendigter Music hielt der Bischoff eine kurtze Rede, und darauf geschah die Trauung. Der König war über alle diese Anstalten des Grafens mit einem so lebhaften Vergnügen durchdrungen, daß er demselben darüber nicht genug seinen Wohlgefallen ausdrucken konte.

Den andern Tag brachte der Graf den Freyherrn von Riesenburg und die Fräulein von Thurris vor den König, und bat ihn, gnädigst zu erlauben, daß die Liebe dieses edlen Braut-Paars, an Dero zweyten Vermählungs-Tag mit glückselig und denckwürdig mögte gemacht werden. Dem König gefiel [419] dieser Einfall. Gemeldtes Paar wurde damit von dem anwesenden Bischoff zusammen gegeben, und an der Tafel nechst dem König und der Königin oben an gesetzt.

Dieses glückliche Fest wurde mit den lieblichsten Stimmen und nettesten Liedern besungen. Die Freude, die Anmuth und der Uberfluß herrschte auf dem gantzen Schloß: Es litten darunter weder die Ordnung noch gute Sitten. Man spürte an nichts keinen Mangel, weil man alles zu rechter Zeit aus der benachbarten Stadt Toscana herbey geschaft hatte.

Den dritten Tag wurde auf einer kleinen Schaubühne, welche von Wasen-Bäncken und Laub-Wercken mit allerhand vergüldeten Schnitz-Werck und andern Zierrathen aufgeführet war, ein musicalisches Schäfer-Spiel vorgestellet. Man konte dieses ganz des Grafens sein Werck nennen; weil er nicht nur die Erfindung und die Auszierung, sondern auch die Worte selbst darzu gegeben hatte. Die Grösse seines Geistes zeigte sich auch in solchen Kleinigkeiten, womit er die Ernsthaftigkeit der wichtigsten Geschäfte zu verwechseln, und denjenigen heimlichen Kummer zu erleichtern suchte, welchen ihn seine Liebe für die Gräfin von Monteras empfinden machte.

Der vierte Tag wurde zu einer Wasser-Jagd auf dem grossen Teich gewiedmet. Man [420] bestieg, nach eingenommener Mittags-Mahl-Zeit, die darzu verfertigte Kähne: Man schoß die darauf schwimmende zahme und wilde Enten. Auf dem grossen Schiff liessen sich die Music und die kleine Canonen hören, welche in dem daran stossenden Wald einen überaus angenehmen Wiederschal gaben. Man bracht bey anderthalb Stunde zu, bis man den grossen Teich überschiffete. Man stieg darauf an Land, und begab sich in eine am Ufer neu angelegte Meyerey, welche ein fremder Edelmann daselbst in einer sehr lustreichen Gegend erbauet hatte.

Dieser Meyer-Hof, so schlecht er auch anzusehen war, hatte nichts destoweniger etwas, daß man ihn mit Vergnügen betrachten muste. Es war ein kleines Gebäude von einem Stockwerck, mit zwey Flügeln, welche einen viereckigten Hof formirten. Man sah in dessen Mitten ein springendes Wasser, mit jungen Casta nien-Bäumen dicht umstellet: Einige Wasen-Bäncke liefen rings umher: Die Sonne konte mit ihren Strahlen hier nicht durchdringen: Von fornen war der Hof mit einem zierlich von Eisen verfergtigten Stangwerck geschlossen. Und hinter dem Haus sah man einen durchaus wohl angelegten Garten, an dessen Schönheit die Ordnung und die Natur mehr Antheil hatten, als die Kunst. Der lincke Flügel sties auf einen Hof, darinnen allerhand Feder-Vieh aufbehalten wurde; und der rechte Flügel gieng in einen Gras-Garten, [421] wo man nebst den Lämmern auch verschiedenes zahm gemachte Wild untereinander weyden sah:

Der Edelmann, so diese anmuthige Einöde bewohnte, war ein Herr von ausserordentlichen Gemüths-Gaben; dem aber die gröste Unglücks-Fälle in der Welt darzu haben dienen müssen, daß er hier die Annehmlichkeiten eines stillen und ruhigen Lebens den Eitelkeiten des Hofs hatte vorziehen lernen.

Der Graf hatte hier längst dem Ufer, welches mit einigen Treppen von Wasen erhöhet war, ein künstliches Lust-Gebäude von kleinen Latten, mit frischem Laubwerck durchwunden, verfertigen lassen; welches nach den Regeln der Bau Kunst, durch ordentliche Gallerien, mit andern dergleichen Sälen auf den Ecken zusammen hieng, und mit zwey langen Flügeln bis auf den Teich hinreichte.

In der Mitten war ein groser Saal mit grün verguldten Wachs-Tuch bedecket; rings umher hiengen Wand-Leuchter von Cristal und Spiegel-Gläser; alles war mit Blumen-Kräntzen, Festonen, Sinn-Bildern und Verguldungen ausgezieret. Der König setzte sich allhier zur Tafel; nachdem man sich vorher mit einigen Spielen und Spatziergängen belustiget hatte.

Es waren sehr warme Tage: Die Abende [422] selbst wurden noch von einer schwühlen Luft durchdrungen, und hemmten dadurch in dem Menschen die Munterkeit der Lebens-Geister. Der Graf hatte deswegen eine besondere Erfindung gebraucht, allenthalben das Wasser durch blecherne Röhren um dieses Lust-Gebäud herum zu führen, welches an den Wänden hin und wieder spritzte, und gleich dem stärcksten Regen die angenehmste Kühlung verursachte.

Nach der Tafel wurde nach der Scheibe geschossen: so oft einer das Schwartze traff, stieg eine Rakete in die Höh; Der ganze Weg bis dahin war mit Lampen und Lichtern besetzet, welche sehr artig an die von Gebüsch gemachte Wände, auf Art einer Schaubühne geheftet waren. Die Scheibe selbst hieng an einem ganz licht-hellen und nach der Baukunst verfertigten Portal, welches nach vollendetem Schiessen mit einmahl in lichte Flammen gerieth, und unter einem anhaltenden Kunst-Feuer eine weile fortbrandt. Der ganze Teich war dabey rings umher mit kleinen Holz-Feuern erleuchtet, welches im Perspectiv eine ungemeine Wirckung that. Die Music und die abwechselnde Losungen der Paucken, Trompeten und Canonen, die mit den Böllern und Waldhörnern, auf den Schiffen erschallten, schienen da herum die ganze Gegend lebendig zu machen.

[423] Der König war bey allen diesen Lustbarkeiten so munter und so vergnügt, daß er den Grafen, zum Zeichen seiner Erkentlichkeit, vielmahl umfieng und an seine Brust druckte. Die neue Königin hatte etwas so huldreiches, gefälliges und angenehmes in ihrem Wesen, daß sie sich von dem König in der Vertaulichkeit des Ehstandes noch immer mehr lieben machte.

Nachdem nun der Graf dem König gezeiget hatte, daß er eben so geschickt sey, ihm allerhand Veränderungen zu machen, als gute Rathschläge zu ertheilen; so gab er ihm bescheiden zu erkennen, daß es nun Zeit wär, sich wieder in die vorige Ordnung zu setzen, damit dessen kostbare Gesundheit fernerhin mögte erhalten werden. Er rieth ihm deswegen, auf Gutbefinden des Hern Hippons, noch vierzehen Tage lang in Aquana zu bleiben, und sich daselbst des Bades mit einer gewissen Mäßigung zu bedienen: Herr Hippon schrieb dabey dem König, unter dem Schein dieser Cur, gewisse Lebens-Regeln vor, deren Beobachtung insgemein bessere Wirkung thut, als der Gebrauch der Bäder selbst.

Der ganze Hof kehrte darauf von dem Schloß des Grafens von Sylva wieder nach Aquana zurück. Der Graf von Rivera aber blieb noch einen Tag länger bey dem fremden Edelmann, welchem der lustige Meyer-Hof zugehörte.

[424] Derselbe hatte sich die gantze Gewogenheit des Grafen von Rivera erworben. Man bemerckte in seinen Reden und Handlungen alle Züge einer hohen Weisheit und Tugend: Er hatte eine überaus feine Bildung: Seine Kleidung war nett und sauber; aber schlecht, ohne Gold und Silber: Er trug seine eigene Haare, welche ihm, ohne alles künstliche kraussen, in ihren natürlichen Locken um die Schultern hiengen.

Der Graf von Rivera hatte das gröste Vergnügen in seiner Gesellschaft: Gleiche Gemüther kennen sich einander im ersten Anblick. Es ist etwas verborgenes in der Natur, durch welche widerwärtige Dinge sich scheiden, und gleichförmige sich vereinigen. Die Verwunderung war von beyden Theil ungemein, da einer immer so dacht und so redete, wie der andere: Ihrer beyder Eigen-Liebe empfand hier dasjenige schmeichelnde Vergnügen, welches man spüret, wann Leute, die Verstand haben, unsern Empfindungen und Meynungen beypflichten. Hieraus entstund von beyden Seiten eine Hochachtung, die nur wenig Tage nöthig hatte, zu einer würcklichen Freundschaft zu werden. Der Graf suchte ihn zu bereden, mit ihm nach Hof zu gehen. Allein der Fremde erklärte sich darauf, daß er die Welt allzuviel hätte kennen lernen, um sich wieder in ihre Eitelkeiten einzulassen.

Der Graf von Rivera bezeigte ein grosses [425] Verlangen, dessen Begebenheiten zu wissen: Sie setzten sich zu dem Ende bey stiller Abend-Zeit, da der volle Mond mit seinen Strahlen den ganzen Teich erhellte, an das mit Wasen-Bäncken belegte Ufer; allwo der Fremde seinen Lebens-Lauf folgender massen erzehlte.

Das fünfzehende Buch

Das fünfzehende Buch.
Die Begebenheiten des Ritters
von Castagnetta.

Ich bin von Geburt ein Lampurdaner, aus dem Geschlecht der Marggrafen von Santa Columba de Queralto. Weil ich der dritte von meinen Brüdern und der jüngste vom Hause war, so nante man mich den Ritter von Castagnetta. Mein anderer Bruder wurde wegen seines schwächlichen Leibes, zum Closter gewidmet. Ich war nicht so bald den Händen des Frauenzimmers entkommen und männlicher Zucht untergeben, so bezeigte mein Vater eine ganz besondere Sorgfalt für meine Erziehung.

Als ich mein fünfzehendes Jahr bey nah zurück [426] geleget hatte, nahm er mich einsmahl vor sich: Lieber Sohn sprach er zu mir, es ist nun Zeit, daß du lernest deinen Verstand gebrauchen und aus eigner Uberzeugung das Gute wehlen. Du wirst in der Welt meist unglückselige Menschen finden, weil sie in dieser Wahl fehlen, und durch eitel Schein-Güter sich betrügen lassen. Es ist nur ein Weg zur Glückseligkeit, dieses ist der Weg der Tugend und der Weisheit, die GOTT denjenigen mittheilet, die ihn suchen und lieben. Du thust nun, mein Sohn, die erste Tritt in die Welt; Alles locket und reitzet dich darinn zum Bösen. Die Wohllust wird sich dir auf allen Ecken mit ihren schönen und verführischen Angesicht zeigen: Die Ruhm-Sucht wird sich bey dir unter dem Schein der wahren Ehre einschmeicheln: Sie wird den Namen der Tafferkeit, der Grosmuth und der Freygebigkeit entlehnen. Ich aber sage dir: Fliehe die Lüste, meide den Ehrgeitz, und hüte dich für der Verschwendung, so wirst du finden, daß die Tugend ihre selbst eigene Belohnung, wie das Laster seine selbst eigene Straffe mit sich führet.

Indem mein Vater dieses sagte, schloß er mich mit innigster Zärtlichkeit in seine Arme. Ich küßte ihm die Hände, die ich mit meinen Thränen benetzte, und war so bewegt, daß ich nicht reden konte: Meine Gebehrden aber sprachen für mich, und versicherten den besten [427] Vater, daß ich ihm dasjenige, was er von mir verlangte, mehr mit dem Hertzen als mit dem Mund zusagte.

Er ließ darauf auch meinen Hofmeister ins Zimmer kommen, und befahl mich seiner Treu und Sorgfalt mit sehr andringenden Worten. Dieser war ein stiller und gelehrter Mensch. Viel Geist hatte er nicht: Ein anhaltender Fleiß und ein gutes Gedächtnüs brachten ihn nichts destoweniger sehr weit. Wir giengen kurtz darauf nach Tolosa, wo damahls die berühmteste Leute in allen Wissenschaften sich befanden.

Ein so grosser Ort und eine solche Menge von allerhand Menschen hatte für mich etwas neues: Ich war von Natur sehr eitel: Ich wolte immer in Gesellschaften und in die Schauspiele gehen. Ich bekam eine Neigung mich nett und kostbar zu kleiden. Ich bildete mir ein, ich gefiel; Diese Einbildung war mir nicht zu verdencken: Ich kante die Welt noch nicht: Alle Leute, die mit mir umgiengen, sagten mir tausend Schmeicheleyen: Ich wuste nicht, daß man einem dergleichen Dinge vorsagte, ohne daß man auch solche glaubte.

Nach drey Jahren kam ich wieder zurück nach Hauß, ich that hernach in Begleitung meines Hofmeisters auch meine Reisen, und fand bey meiner Wiederkunft meinen Bruder [428] verheyrathet. Dieser war von einem neidischen und eigennützigen Gemüth: Er betrachtete mich nur wie den Cadet vom Hause, und konte nicht wohl leiden, daß ich mir das Ansehen gab, als ob ich mir auch ein Recht darinn anmaste.

Mein Vater wuste solches: Er war darüber sehr betrübt. Ich behielt dich, mein liebster Sohn, sprach er einsmahl zu mir, gern noch eine Weile bey mir: ich werde baufällig, und darf über einige Jahre zu leben nicht mehr hinaus rechnen. Wie vergnügt wolt ich sterben, wenn du mir köntest die Augen zudrücken. Allein, ich sehe mit bekümmertem Hertzen, daß dich dein Bruder nicht liebet. Wir können doch nicht immer beysammen bleiben. Lasset uns deswegen von einander scheiden, ehe der Tod uns trennet. Entziehe dich der Verachtung deines Bruders: folge einem höheren Beruf: begib dich nach Hof: diene dem König und dem Staat: ich habe an dem ersten Staats-Minister zu Novarena, dem Herzog von Albamar, noch einen alten Freund: ich will dich zu ihm schicken: ich zweifle nicht, er werde sich deiner annehmen.

Wir schieden kurz darauf nicht ohne grose Bewegung, von einander. Ich kam nach Novarena. Der Herzog von Albamar empfieng mich mit der grösten Freundschaft: Er brachte mich vor den König: Dieser war ein kluger Fürst, und liebte die Künste und Wissenschaften. [429] Ritter, redete er mich an: ihr habt studiret: ich werde euch gebrauchen können: ich mach euch zum Edelmann von meiner Cammer. Der Herzog von Albamar kan euch dabey etwas zu thun geben. Ich bog darauf nach Hesperischer Art die Knie: der König reichte mir die Hand: ich küste solche, und von derselben Zeit an erschien ich täglich bey Hof.

Der Herzog von Albamar bediente sich meiner in seiner Geheim-Schreiberey: ich kam zuweilen gantze Nächte nicht ins Bette; nachdem die Geschäffte eine schnelle Ausfertigung erforderten. Er sahe, daß ich arbeitsam und verschwiegen war: Dergleichen Leute waren ihm angenehm: er hatte zwey Söhne und eine Tochter: wir sahen uns einander schier täglich, der älteste von den Söhnen hies Don Diego, der andere Don Juan, und ihre Schwester Donna Leonora.

Ich lebte mit Don Juan in der genauesten Freundschafft: unsere beyde Gemüther hatten zusammen eine grosse Ubereinstimmung; der Vater brauchte ihn, wie mich, in seinen Geschäften: wir halffen einander redlich, und machten uns hernach zusammen auch wider allerhand Ergötzlichkeiten. Er führte mich in die beste Gesellschafften, und brachte mich unter andern auch in das Haus des Fürsten von Alfaresch.

Dieser war ein rauher, unfreundlicher und hochmüthiger Mann: er lachte nie, als wenn [430] er böses im Sinn hatte: er redete sehr wenig, und wenn er redete, so waren alle seine Worte abgemessen: nichts war steiffer, langweiliger und verdrießlicher als sein Umgang. Diesen Mangel aller Leutseligkeit ersetzte seine noch junge Gemahlin. Der Fürst hatte sie erstlich geheyrathet, nachdem er schon eine lange Zeit war Wittwer gewesen. Er hatte eine einzige Tochter von der ersten Ehe, Namens Elvira; diese lebte mit ihrer Stief-Mutter in ziemlich gutem vernehmen: Die Mutter war nicht viel älter als sie, und besaß nicht weniger Geist als Schönheit. Sie war aber dabey von derjenigen Eitelkeit eingenommen, daß sie glaubte, sie müste sich bessere Kenner, als die Augen ihres abgelebten Gemahls wehlen, um von dem Werth ihrer Annehmlichkeiten zu urtheilen. Die allzustrenge Beobachtung der Ehelichen Treu schien ihr eben kein Sacrament zu seyn: ihr Verstand muste ihr dazu dienen, allen Ausschweiffungen ihres Herzens das Wort zu reden. Die Vernunfft selbst schien ihr Ausflüchte an die Hand zu geben, wann die Religion sie verbinden wolte, einen Mann zu lieben, der so wenig liebens würdig war.

Donna Elvira hiengegen hatte ein gantz unschuldiges Wesen: sie war noch sehr jung: ihr Geist begunte sich kaum, wie ihre Schönheit, gleich den ersten Frühlings-Rosen, zu entblättern. Ich wurde von ihr im ersten Augenblick gerührt, und empfand für sie eine Neigung, welche der Liebe nicht unähnlich sah. Ich hatte [431] einen Mit-Buhler an Don Ferdinand von Orihuela. Er war ein Sohn des Herzogen dieses Namens; ansehnlich, reich, und von einem der mächtigsten Häuser in Hesperin. Ich wuste, daß die Liebe ihre eigene Gesetze hatte; allein, daß man solchen im Heyrathen insgemein am wenigsten zu folgen pflegte. Ich war ein Cadet von einem Marck-Gräflichen Hause, der mit Don Ferdinand auf keinerley Weise zu vergleichen war. Ich konte nicht närrisch hochmüthig seyn, noch mir einbilden, daß man mich, der ich so wenig in der Welt zu bedeuten hatte, dem Don Ferdinand vorziehen würde.

Ich gieng einsmahl voll trauriger Gedanken nach dem Pallast des obersten Staats-Ministers. Donna Leonora, die aus der Gutsche stieg, und mich ankommen sah, bot mir die Hand, sie hinauf zu führen: ich brachte sie auf ihr Zimmer. Sie kam von der Donna Elvira: sie lebten beyde zusammen in grosser Vertraulichkeit. Wisset ihr, sagte sie zu mir, daß Don Ferdinand Elviren liebet? Dieses ist richtig, war meine Antwort, ich wuste aber noch nicht, daß Don Juez, ein Sohn des Herzogs von Sandossa, die Donna Lecnora heyrathen werde: wenn ich mit darzu gehöre, antwortete diese, so ist die Sach noch weit entfernet. Don Juez giebt sich meinetwegen viel Mühe: er hat bereits bey meinem Vater um mich anhalten lassen; allein ich habe mich zu nichts erkläret; ich will hören, was sie mir rathen. Wie! fragte ich mit Verwunderung, ich soll ihnen rathen? [432] folgen sie dem Trieb ihres Herzens, fuhr ich fort, wenn sie glücklich seyn wollen. So wird nichts daraus, erwiederte sie mit einem tief geholten Seufzer: ich werde ledig bleiben müssen: weil ich sehe, daß die Liebe mir nicht günstig ist.

Sie begleitete diese Worte mit einem Blick, der mir bis in die Seele fuhr: ich verstund sie. Ich schlug die Augen nieder: ich war verwirret: ich verwies mir als eine Untreu, daß ich ihr meine Liebe zu der Donna Elvira bisher verschwiegen hatte: ich wuste, daß Donna Leonora mir wohl wolte, und daß ich ihr bisher durch die Kennzeichen meiner Hochachtung zugleich die Meynung beygebracht hatte, als ob ich auch einer zärtlichen Neigung gegen sie fähig wär.

Ich warf mich deswegen voller Schaam und Verwirrung zu ihren Füssen: wertheste Leonora, sprach ich zu ihr, verzeihet einem undanckbaren; ich bin der Gunst, welche ihr mir erzeiget, gantz unwürdig. Ich liebe Elviren, und ich habe euch bisher dieses Geheimnüs verborgen; da ich doch nach unserer genauen Freundschafft, euch solches zu offenbahren, war verbunden gewesen.

Ich konte nach dieser kurtzen Geständnüs nicht weiter reden. Leonora schien darüber für Bestürtzung ausser sich. Wie! sprach sie, ihr liebet Elviren? und man hat mir dieses [433] Geheimnüs verborgen? O unglückseelige Freundschafft! wie hast du mich betrogen? Was aber, fuhr sie mit gleicher Bewegung fort, was hat euch veranlasset, mir solches zu verschweigen? Ich bat sie deswegen tausendmahl um Vergebung; und zeigte ihr dabey einen so tiefen Kummer, daß sie mich beklagte.

Nur nicht den Muth verlohren, mein lieber Marggraf, sagte sie mit einem großmüthigen Wesen, man ist nicht Meister von seinem Herzen. Ihr habt mich bisher für eure beste Freundin gehalten; ich will euch zeugen, daß ihr euch an mir nicht betrogen habt. Nur saget mir, wie ihr Elviren liebet, und doch bey ihr das Wort für den Don Ferdinand, euren Mitbuhler, redet? sie selbst hat mir davon Eröfnung gethan und schien darüber eben so verwundert zu seyn, als ich.

Ich war noch kaum einen Monath an diesem Hof, erklärte ich mich hierauf, so wurde ich von Elviren eingenommen: sie lies mir, so offt ich sie zu sehen bekam, eine gewisse Güte sehen, die meiner Eigen-Liebe schmeichelte: sie schenckte mir auf eine Art ihre Freundschafft, die mir von ihrem Herzen auch etwas zärtliches zu versprechen schien. Ich wiederstund anfangs dieser Einbildung; allein, ihre Augen hatten für mich die allerverführischte Beredsamkeit. Ich unterstund mich dem ungeacht niemahls mich ihr deutlich zu erklären; nur meine Blicke und meine Gebehrden gaben ihr mein heim iches Leyden zu erkennen; [434] meine Neigungen waren zu demüthig, mir zu liebkosen, und zu starck, solche zu überwinden. Sie hatten etwas, das Elviren gefiel: und wenn sie sah, daß ich darüber den Muth verlohr, so zeigte sie mit ein gewisses Mitleyden, das mich auf einmahl wieder mit neuer Hoffnung belebte. Mein seltsames Verhängnüs machte mir auch ihre Stiefmutter gewögen: ich gewann dadurch zwar einen desto freyern Zutritt in ihrem Haus; allein, ich gerieth dadurch auch zugleich in ein solches Labyrinth, daraus ich mir nicht helffen konnte. Ich muste der Mutter schmeicheln, um die Tochter zu sehen, und war in steter Gefahr, bald die Freundschaft der einen, oder der andern zu verliehren.

Die gröste Verwirrung kam noch darzu, als Don Ferdinand, weil er sah, daß mir diese beyde Damen wohl wolten, mir seine Neigung für Elviren entdeckte, und sich dabey meine Freundschaft ausbath. Ich kont ihm solche nicht versagen: doch wolt ich ihm auch nicht bergen, daß ich selbst die Donna Elvira liebte. Er war über diese meine Erklärung, damit ich mich eben so offenhertzig gegen ihn, als er sich gegen mich heraus lies, ungemein bestürtzt. Ich beruhigte ihn aber damit, daß ich ihm sagte: ich liebte ohne Hofnung, und gönte ihm deswegen Elviren vor einem andern.

Ich nahm in der That hierauf bey ihr dessen Parthie: ich rühmte seine gute Gestalt, seine ernsthaffte Tugend, sein redliches Gemüthe, seine [435] gründliche Vernunfft, und mehr als alles dieses, seine grosse Reichthümer. Die Mutter war mir dafür verbunden; die Tochter aber zeigte mir, zu meinem heimlichen Vergnügen darüber ihre Verachtung.

Dieses sind, wertheste Leonora, endigte ich hier meine Erzehlung, die Umstände, worinn ihr mich sehet. Ich liebe Elviren: ich liebe sie ohne alle Hofnung.

Donna Leonora wurde durch diese Nachricht sehr gerühret: sie schien mit vielem Nachdencken dasjennige zu überlegen, was sie von mir gehöret hatte: sie schlug die Augen vor sich hin: sie seuffzete. Ich bemerckte bey ihr einen innerlichen Streit. Die Großmuth siegte: O ich thörichte, fieng sie an, daß ich dieses Spiel nicht besser eingesehen! doch, ich habe mich verbunden, euch meine Aufrichtigkeit zu zeigen; ich will euch Wort halten, und morgen solt ihr wissen, was ihr bey Elviren zu hoffen habt.

Die Umstände, worin ich mich fand, waren die wunderlichste von der Welt: Eine Dame, die mich selber liebte, suchte mich bey ihrer Mitbuhlerin glücklich zu machen, und ich sprach bey meiner Geliebten für einen Mitbuhler. Hat die Liebe auch wohl jemahls ihre Neigungen seltsamer verwirret?

Donna Leonora fuhr den andern Tag zur Donna Elvira: Diese wolte sich anfangs gegen [436] ihr nicht heraus lassen: Endlich gab sie sich durch ihren Eifer bloß: sie meynte, wann ich sie liebte, so würde ich nicht für den Don Ferdinand reden. Donna Leonora sagte mir dieses wieder. Sie schmeichelte mir mit der süsesten Hofnung; als gleich darauf ein unglückseliger Zufall mich derselben auf einmahl entsetzte.

Ich fande mich in einer grossen Gesellschaft bey der Herzogin von Tabosa: ich stund an einem Fenster, welches in Garten gieng, und unterredete mich mit dem Fürsten von Piscara. Der Graf von Pradez gesellte sich zu uns: Er sprach von der genauen Freundschaft, die sich einige Zeit her unter mir und Don Ferdinand geäussert hätte: er nannte mich einen feinen Hofmann, weil ich diesen meinen Mitbuhler dergestalt an mich gebunden hätte, daß er keinen Schritt ohne mich thun könte. Ich bat ihn, nicht so unbescheiden von Don Ferdinand zu reden; der Fürst von Piscara aber, der ein Vetter des Don Ferdinand war, und der eigentlich diese Heyrath zu machen suchte, knirschte darüber für Eifer die Zahne, und gieng stehenden Fusses zu seinem Vettern, welcher in einem andern Zimmer mit einigen Damen spielte; er bat ihn, sein Spiel einem andern zu geben, und verfügte sich mit ihm auf einen Balcon vor dem Saal.

Der Graf von Pradez hatte sich unterdessen zu seinem Glück weggemacht, es währte nicht [437] lang, so kam Don Ferdinand wieder in das Zimmer getreten; der Zorn flammte ihm aus den Augen; Wo ist der plauderhafte Pradez? redete er mich an, ich will sehen, ob er auch das Herze haben wird, mir dasjenige ins Gesicht zu sagen, was er sich gegen euch und meinen Vettern hat verlauten lassen. Ich suchte ihn darauf mit den glimpflichsten Reden zu besänfftigen, ich hielt ihn zurück, als er dem Pradez nachfolgen und ihn aufsuchen wolte; er erhitzte sich darüber noch mehr. Don Diego, der unsern starcken Wort-Wechsel hörte, nahete sich zum grösten Unglück zu uns; er wolte die Ursache wissen, warum wir beyde so aufgebracht wären? Don Ferdinand, ohne ihm solche zu entdecken, bediente sich gegen mich einiger Redens-Arten, die sehr anzüglich waren. Ich that, als ob ich solche nicht auf mich zög; dem Don Diego aber, der sehr stolz und jäh-zornig war, wolte meine Sanftmuth nicht einleuchten, er hielt solche für eine Zaghaftigkeit.

Ich gieng darauf mit ihm und seinem Bruder dem Don Juan nach dem grossen Garten, wohin wir unsere Leute bestellet hatten. Unter Wegs stichelte Don Diego beständig auf mich. Er sagte, daß er alle Freundschafft für mich hätte; allein, daß er nicht läugnen könte, wie ihm meine allzugrosse Eingezogenheit, damit ich Don Ferdinand seine Reden beantwortet hätte, schimpflich vorkäm. Ich machte darüber seinen Bruder zum Richter, und erzehlte [438] ihnen beyden die ganze Begebenheit. Don Juan gab mir Beyfall, und rühmte meine Vorsichtigkeit: dieses verdroß seinen Bruder ungemein: der Zorn übernahm ihn: er schalt uns beyde zaghaft.

Ich spürte, daß sich das Blut bey mir in allen Adern regte: der Odem wurde mir kürzer und das Feuer stieg mir wie Strahlen nach dem Haupt. Haltet ein, Don Diego, sagt ich mit einem erhabenen Ton, haltet ein mit euren Beleidigungen, oder ihr werdet mich zwingen, euch einen Muth zu zeigen, an welchem ihr zweifelt. Ich hatte diese Worte kaum ausgesprochen, so stieß mich Don Diego mit einem ergrimmten Auge auf die Seiten; ich faste aber denselben in gleicher Bewegung mit dem Elnbogen, und schmiß ihn übern Hauffen. Wir zogen damit beyde von Leder: Don Diego drang als ein Verzweiffelter auf mich ein. Ich war also gezwungen, mich gegen den Bruder von Don Juan, und von Leonoren zu wehren: in dieser Betrachtung suchte ich alle seine Stösse zu pariren, und ihn mehr als mich selbst zu schonen. Meine Meinung war, ihn zu entwafnen; ich gab ihm deßwegen eine Blöse über meinen rechten Arm, und streckte mit steiffer Hand die Klinge nach ihm hin; mein Gegner aber war von seiner Wuth geblendet: er sah weder seinen Vortheil, noch meinen Degen. Er rannt in meine Klinge, welche ihm durch die Brust gieng, und fiel als todt zur Erden nieder.

[439] Ich war der erste, der ihm zu Hülf eilte: sein Bruder aber riß mich von ihm weg, und bat mich um GOttes Willen, auf meine Sicherheit zu gedencken; und als ich noch nicht mich entschliessen konte, einen so unglücklichen Platz zu verlassen, so warf er mich mit Gewalt in einen Lehn-Wagen, und befahl dem Gutscher, mich auf einen gewissen Hof, der eine Meile von der Stadt lag, zu bringen.

Ich war noch keine viertel Stund daselbst, so kam mein Cammer-Diener mir nachgerannt. Er war für Schrecken ausser sich: alle Glieder zitterten ihm; Ach, gnädiger Herr, sprach er: was haben sie angefangen? Ich erzehlte ihm mein Unglück, und bat ihn, mir einen guten Rath zu geben. Sie sind hier, war seine Antwort, keinen Augenblick sicher. Der Herzog von Albemar, dessen Sohn sie entleibet haben, denn man zweiffelt an seiner Aufkunfft, wird nicht ruhen, an ihnen die vollkommenste Rache zu nehmen. Don Juan, der an Grosmuth seiner unvergleichlichen Schwester nichts nachgab, und um so viel mehr Mitleiden mit mir hatte, weil er ein Zeuge meiner Unschuld war; hatte aus Vorsichtigkeit meinem Cammer-Diener, nebst einigen Reise-Kleidern, auch so viel Geld mitgegeben, als ich zu einer schnellen Flucht vonnöthen hatte.

Er schrieb mir dabey folgende Zeilen: Mein bis auf den Tod verwundeter Bruder [440] fordert euer Blut von meinen Händen: Die Gerechtigkeit aber und das Band unserer Freundschaft wollen / daß ich euch wie mein Leben schütze. Welcher Regung soll ich folgen: Ich kan euch nicht wieder sehen / ohne euch meine Feindschaft anzukündigen / und kan nicht einen Bruder rächen / ohne den Himmel zu beleydigen / fliehes deswegen vor einem Feind / der euch liebet / und vor einem Freund / der euch hassen soll.

Ich machte mich also auf die Reise: Ich blieb mit meinem Cammer-Diener auf keiner Land-Strasse: Wir durchstrichen die dickste Wälder, und schliefen des Tages unter den Bäumen, um die Nacht desto sicherer über den Weg zu kommen. Nach dreyen Tagen erreichten wir die Aquitanische Grenzen. Wir hielten uns in einem Flecken auf. Mein Kummer und die Heftigkeit meiner Leidenschaften, schienen mich alles Trostes unfähig zu machen. Ich litte grausam: Auf einmahl alles was Glück und Liebe, und Freundschaft mich hoffen lies, zu verliehren; und noch über dem einen Vater zu betrüben, vor dessen Vergnügen ich allein mein Leben würde aufgeopfert haben; dieses waren für ein Gemüth, wie das meinige, solche Umstände, die es nothwendig niederschlagen musten.

So gros mir auch immer die Gefahr schiene, wann ich mich zu meinem Vater [441] begeben würde, so konte ich doch unmöglich dem zärtlichen Trieb länger widerstehen, mich zu dessen Füssen zu werfen, und ihn um Vergebung zu bitten. Ich wagte es also, und reiste nach Hause.

Ich war noch kaum unten im Hof vom Pferde gestiegen, so kamen mir einige von seinen Bedienten mit weinenden Augen entgegen, und sagten mir, daß er diesen Augenblick verschieden wär. Diese Nachricht erschütterte mich so heftig, daß ich, ohne ein Wort zu sprechen, meinem Cammer-Diener in die Arme sanck, und als ein Mensch, den seine Lebens-Geister verlassen hatten, in das nechste Zimmer gebracht würde. Als ich wieder zu mir selber kam, sah ich einen Bruder vor mir; der nicht wuste, wie er seine Kaltsinnigkeit und seine Verachtung mir genugsam verbergen solte.

Mein frommer Vater hatte ihm noch auf feinem Todbette vieles zu meinem besten anbeföhlen; Allein, diese Zärtlichkeit hatte bey meinem Bruder keine an dere Wirckung, als daß er sich gegen mich desto unempfindlicher und härter bezeigte. Er nahm alles unter seine Schlüssel, und machte mit mir was er wolte: Er gab mir dabey unter der Hand zu verstehen, daß ich bey ihm nicht sicher wär, weil man mich bereits bey ihm hätte aufsuchen lassen.

[442] Ich kante meinen Bruder, und wuste, daß es ihm nicht zu viel wär, mich selbst zu verrathen: Ich verlies also Bruder, Freunde, Güter, Königreich und alles. Ich gieng nach dem nechsten Hafen, und segelte mit dem ersten Schiff nach Sicilien. So bald war ich nicht zu Palermo angekemmen, so erhielt ich von Novarena die traurigste Nachrichten: Don Diego, schrieb mir sein Bruder, ist noch an seiner Wunde kranck, und dürfte schwerlich vollkommen genesen: Der König wär deswegen auf mich ungnädig: Sein Vater aber beklagte mich mehr, als er mich haßte: Seine Schwester wär aus Unmuth in ein Closter gegangen, und wolte von der Wett nichts mehr sehen noch hören. Donna Elvira hätte sich Anfangs meinen Zufall sehr zu Gemüth gezogen, und lies deswegen Don Ferdinand, als die Ursach meines Unglücks, nicht mehr vor sich kommen. Unterdessen aber so gieng das Gespräch, sie würde den Prinzen von Oviedo heyrathen.

Hierbey bekam ich auch von einem andern Freund aus Novarena die Nachricht, daß mein unwürdiger Bruder daselbst, um die Belehnung meiner Herrschaft Castagnetta hätte anhätten lassen, und solche auch durch die Bestechung einiger Minister wircklich erhalten. In dem erneuerten Duell-Mandat war zwar untern andern Strafen diese mit enthalten, daß die Verbrecher, wann sie Lehen-Männer wären, auch ihrer Lehen-Güter verlustig seyn [443] solten; allein, es dachte niemand bey Hofe daran, daß ich durch den mit Don Diego zufälliger Weis gehabten Zweykampf eine gleiche Strafe solte verdienet haben. Nichts destoweniger, so wuste mein Bruder die Sache selbst rege zu machen, und zu seinem Vortheil zur Ausfertigung zu bringen.

Dieser heimtückische Streich gieng mir um destomehr zu Herzen, weil ich dadurch, in Ansehung der nöthigsten Unterhaltungs-Mittel, von meinem Bruder allein abhängig gemacht wurde, welcher mir es noch für eine Gnade anschriebe, daß er mir von einer Herrschaft, die jährlich über vier tausend Thaler auswarf, eintausend zu meiner Leibzucht wiedmete. So theuer kam mir also ein unglückseliges Gespräch, in welches ich ganz unschuldig mit eingezogen wurde, zu stehen; und so kan öfters ein einziger unglücklicher Zufall durch einen fortlauffenden Zusammenhang der Ursachen, da immer ein Ubel aus dem andern entstehet, gar hurtig die gantze Wohlfahrt eines Menschen zu Boden werffen. Bey so gestalten Umständen wuste ich keinen bessern Trost, als in den Lehren der Weisheit zu finden, die noch durch meines Vaters Geist in meinem Hertzen lebten; allein, weil ich noch in dem stärcksten Feuer meiner Jugend war, so konten sie mich auch nicht völlig beruhigen.

Ich fand unterdessen an dem Sicilianischen Hof eine Gelegenheit, mich bekant zu machen:

[444] Dieser hatte immer mit den Barbarischen See-Räubern zu thun, welche beständig auf den Sicilianischen Küsten herum creutzten, und alles, was sie antraffen, wegkaperten: Ihr Vortheil bestund in ihren leichten Schiffen, damit sie, mit einer ungemeinen Behendigkeit, die See durchschnitten.

Ich hatte mich von Jugend auf mit der Seefahrt und der Schiffbau-Kunst erlustiget: Man hatte von meines Vaters Schloß nicht über drey kleine Stunden bis nach dem Hafen Sanrivo, welcher durch nichts als seinen Schiff-Bau berühmt ist. Hier verbracht ich in meinen jungen Jahren die angenehmste Stunden: Ich hatte immer einige leichte Jagden, damit ich von meines Vaters Schloß bis nach dem Hafen auf und nieder segelte, und mich zu einem Spiel der Wind und Wellen machte; ja ich wagte zuweilen mich damit so weit in die See, daß ich öfters darüber unsere Küsten aus den Augen verlohr.

Mein Vater, als er diese starcke Neigung an mir entdeckte, ließ mich in allen Mathemathischen Wissenschaften auf das gründlichste unterrichten: Man hatte dergleichen Leute an dem Sicilianischen Hofe nöthig: Ich konte also meine Wissenschaften hier gelten machen. Der König ließ einige Galeren nach meinem Entwurf verfertigen, solche ausrüsten und in See gehen: Er machte mich darüber zum Befehlshaber. Ich suchte damit die See-Rauber [445] auf; allein, es war, als ob sie auf einmahl verschwunden wären. Ich kam etlich mahl wieder in die Sicilianische Häfen zurück, ohne feindliche Schiffe entdeckt zu haben.

Mein Volck war damit nicht zufrieden. Man hatte ihm gute Beute versprochen; Es nöthigte mich also etlich mahl bis an die Küsten von Algir und Tunis zu creutzen.

Man lauerte uns endlich auf den Dienst. Wir erblickten einsmahlen auf der hohen See zwey grose Schiff mit Battavischen Flaggen; Wir gaben uns einander den gewöhnlichen Grus, und strichen weiter fort. Indem wandten sich die beyde fremde Schiffe, steckten Tunesische Flaggen auf, und suchten uns in die Mitte zu fassen. Wir hatten solche vor Kauffardey-Schiff gehalten, und meynten nicht, daß sie, ausser den Matrosen, auch Volck an Boord hätten. Wir wolten dem ungeacht nicht fliehen: Wir liessen sie unserm Schiffe nähern, und gaben dem einen unsere ganze Lage. Mittlerweile aber, daß wir mit diesem zu thun hatten, suchte das andere uns zu endtern: Wir sahen ihren Boord auf einmahl mit Volck bedeckt; sie bemeisterten sich bald unseres Schiffes; Meine Soldaten schlug der Schrecken nieder. Ich suchte sie vergebens durch mein Exempel zum Fechten aufzumuntern, sie streckten ihr Gewehr von sich, und gaben sich gefangen.

[446] Wir wurden nach der Barbarey geführet. Der Befehlshaber dieser als See-Rauber beschrienen Völcker begegnete mir nicht allein höflich; sondern übertraff auch in der Leutseligkeit noch die meiste Christliche Schifs-Capitäne. Er sprach vollkommen gut Illorisch, und ich war nicht misvergnügt, in seiner Gesellschaft nach Tunis zu segeln.

Wir stiegen daselbst den andern Morgen an Land; man brachte mich für den Bey. Ich bin dein Gefangener, mächtiger Bey, sprach ich zu ihm: Ich habe das Vertrauen zu deiner Grösmuth, du werdest mich und meine Leute so lange wohl halten, bis wir aus Sicilien Nachricht haben können, daß wir sollen ausgelöset werden.

Man hatte ihm gesagt: wer ich wär: Er empfieng mich deswegen wohl, und befahl, mir und meinen Leuten in der Stadt ein Quartier anzuweisen, wo wir für unser Geld bis zu unserer Auslösung zehren könten.

Ich suchte meinem Gemüth in dieser fremden Welt alle mögliche Veränderungen zu geben, um solches von den traurigen Betrachtungen meiner bisher so schnell auf einander gefolgten Unglücks-Fälle abzuziehen: Ich besuchte öfters den Aquitanischen Consul, der ein sehr redlicher Mann war. Es fanden sich auch in Tunis einige Misionarien; deren listige Art aber die Christen-Sclaven aszulösen, [447] mir so wenig, als die Methode, womit sie das Christenthum lehrten, gefiel. Die verwüstete Denckmahle von Carthago, welche ich an diesem Ort beobachtete, hatten etwas, das meinen Geist besonders rührte: Man entdeckte hier kaum noch die Spuren dieser ehmahls prächtigen Mitbuhlerin des alten Roms: Die Zeit hatte schier alles in Staub und Graus verkehret.

Ich sah mich, dem Namen nach, unter Barbaren, welche gleichwohl sich rühmen dorften, ehrlicher und aufrichtiger zu seyn als die Christen selbst. Ich bin nie der Meynung gewesen, daß nicht auch andere Völcker die Gründe der Menschheit in sich haben solten: Ich halte dafür, daß nur die Religion, die Auferziehung und die verschiedene Regierungs-Art den Unterschied mache. Die Bosheit und das Verderben aber unter den Menschen äussert sich allenthalben. Ich fand solches in Tunis, wie in meinem Vaterland. Ich seufzete heimlich darüber, als ich sah, wie wenig wir vor diesen Barbarischen Völckern voraus hatten.

Wir entsetzen uns über ihre Grausamkeit, damit sie die Christen-Sclaven tractiren, und nehmen es gleichwohl vielen unserer Europäischen Fürsten kaum ein mahl übel, wenn sie öfters ihren eigenen Unterthanen mit gleicher Härte begegnen. Das Recht, welches die[448] Corsaren über ihre Kriegs-Gefangene gewinnen, scheinet ihr unbarmhertziges Verfahren gegen dieselbe noch einigermassen zu entschuldigen: allein ich sehe in dem ganzen Natur-Recht nichts, das unsern Fürsten zum Vorwand dienen könte, diejenige zu plagen und zu peinigen, um deren Sicherheit und Wohlfart zu schützen, sie Fürsten sind.

Wann auch der Bekehrungs-Eifer bey uns für recht und gut gehalten wird, so sind darinn die Tuneser noch weit frömmer als wir. Sie bekehren die Menschen, welche sie für unglaubig halten, nicht durch Schärgen, Hencker und Dragoner: sie locken sie durch Freundlichkeit und Liebe: und geben oft geringen Sclaven, wenn sie gute Eigenschaften besitzen, die artigste und reicheste Weiber.

Der Bey vernahm nicht so bald durch den Aquitanischen Consul, daß ich von vornehmer Geburt sey, und so wohl in der Kriegs-Ban-Kunst, als in andern Wissenschaften erfahren wär, so ließ er mich öffters zu ihm bringen. Er bezeigte mir eine besondere Hochachtung, welche endlich so lebhaft wurde, daß er mir versprach, mich zum glücklichsten Menschen von der Welt zu machen, wenn ich bey ihm bleiben und zu der Mahomedanischen Religion übertreten wolte. Dieses zeiget uns, wie ein jeder sich einbildet, den besten Glauben zu haben, und wie der Eifer andere zu bekehren allenthalben in der Welt Mode ist.

[449] Der Bey hatte ein besonderes Vergnügen, mit mir von der Religion zu sprechen: Er war der Meynung, die Seinige wär die beste. Ich hatte eine leichte Sache, ihm das Gegentheil zu erweisen. Der Bey hatte Verstand und Einsicht: er hatte viel gelesen, und wuste was zu einem richtigen Schluß gehörte.

Ich sagte ihm, seine ganze Religion wär auf das Ansehen eines einzigen Menschen gegründet, welche man entweder mit oder ohne Vernunft annehmen müste: wär es das erste, so dürfte man sie untersuchen: dörfte man sie untersuchen, so würde man bald finden, daß sie die Eigenschaft der Göttlichkeit nicht hätte: dürfte man sie aber nicht untersuchen, so hätte Numa Pompilus so viel Recht als Mahomed gehabt, eine Religion nach seinen Absichten zu schmiden.

Der Bey meynte, daß wir ebenfalls keinen andern Beweis von der Warheit unserer Religion hätten, als das Ansehen von Mose und Christo; allein ich zeigte ihm, daß diejenige Religion, welche uns dieselbe lehrten, sich gar nicht auf menschliches Ansehen, sondern auf die Warheit selbst gründete; und daher auch alle Untersuchung litte; Sie lehrte uns von GOtt auf eine der Göttlichkeit gemässe Art dencken; sie schickte sich für unsern Leib, indem sie uns zur Mäßigkeit und zur Gesundheit anwies; sie schikte sich für unsern Geist, indem sie dessen Begierden nach einer ewigen Weißheit und Glückseligkeit [450] mit Erkäntnüs und Trost erfüllete; sie schikte sich für den Staat und für die bürgerliche Gesellschafft, indem sie die Gerechtigkeit und die Ordnung zum Grund setzte.

Wie aber steht es um eure Geheimnüsse, fragte hier auf der Bey? Geheimnüsse, war meine Antwort, haben wir in unserer Religion eigentlich keine; aber in Ansehung unserer Begriffe, sehr viele. Unser Glaube, fuhr ich fort, macht uns aus nichts Geheimnüsse? er entdecket uns vielmehr die Tiefen der Gottheit, und die allerverborgenste Weisheit. Wir sind aber gleichsam noch wie die Frucht in Mutterleibe, die erstlich soll geboren werden; wir leben noch in einem dunckeln Ort, und sehen nur das Licht von ferne; So bald wir aber anfangen weise zu werden, so kommen wir von einer Klarheit zur andern, und wachsen unendlich in aller Erkänntnüs, Wahrheit und Heiligkeit.

Die Himmlische Cörper, Sonn, Mond und Sterne, scheinen in unsern Augen durch die unermessene Tiefe nur kleine Lichter; Sie sind uns nicht verborgen als Geheimnüsse; unsere Augen reichen nur nicht so weit; wir sind wegen ihrer Entfernung nicht fähig ihre Grösse zu messen, und ihre Cörper recht zu erkennen. Solche Beschaffenheit, sagte ich, hat es auch mit den vermeinten Geheimnüssen unserer Religion.

[451] Wie kommt es aber, unterbrach der Cadi, daß ihr in eurer Religion gleichwohl so viele Glaubens-Artickel habt, die ihr selbst nicht verstehet, und darüber ihr doch mit solcher Wuth und Grausamkeit euch einander hasset und verfolget, ja gar um Leib und Leben bringet?

Hier antwortete ich dem Bey mit Schaam und Seufzen; die Christen, sagte ich, machen es hierin nicht viel besser, als wie die Schüler des Alcorans, deren einige den Auslegungen des Ali, die andere dem Omar folgen; und hernach wieder in unzehliche andere Secten sich zertheilen. Dieses ist ein allgemeines Ubel unter den Menschen. Nachdem sie einmahl die wahre Aufrichtigkeit verlohren, so sind sie auf ein unnützes und sinnloses Geschwäz verfallen; sie haben sich in ihre eigene Weißheit verliebet, und der weltliche Arm hat die Ehre ihrer Einbildungen unterstützen helffen. Christus hat uns den Glauben ganz anders gelehret; seine Worte waren Kraft und Leben, es bestund alles bey ihm in der Liebe, in der Sanftmuth, in der Demuth, und in dem Frieden. Es wäre zu weitläuftig alle Gespräche, die ich über dergleichen Materien mit dem Bey gehabt, hier anzuführen.

Das Geld, um mich und meine Leute auszulösen, war unterdessen angekommen. Ich hatte das Glück, dem Bey gewisse Vortheile begreiflich zu machen, wenn die Tuneser mit den benachbarten [452] Sicilianern in gutem Vernehmen leben würden; Er brachte solches vor den Divan, und gab mir darauf Befehl mit meinem Hof über ein und andere Artickel, welche das gute Verständnüs dieser beyden Völcker und ihre Handelschafft betraffen, zu tractiren. Ich zweiffelte nicht, in diesem Geschäffte glücklich zu seyn; allein, da die Zeit herbey kam, daß ich von Tunis verreisen solte, so muste mich der Bey daran erinnern.

Er hatte eine Tochter mit Namen Roxelane, welche eine der ausbündigsten Schönheiten war, die ich je gesehen hatte. Ihr Vater liebte sie ungemein; sie war schier immer bey ihm, wenn er sich mit mir in Gesprächen unterhielt. Ihre Blicke hatten einen unüberwindlichen Liebreitz: so bald schlug ich nicht meine Augen in die Höh, so blitzten mir die ihrigen entgegen, und trieben mir die Röthe ins Angesicht: der Bey bekam deswegen öfters von mir solche verkehrte Antworten, daß er mir die Abwesenheit meiner Gedancken vorwarf; Er merckte bald, daß die Gegenwart seiner Tochter solches bey mir verursachte: er hatte darüber ein heimliches Vergnügen: er fragte mich endlich, ob mir seine Tochter gefiel? ich bekannte ihm solches; er sagte mir, daß es nur auf mich ankäme, alles, was ich wolte, von ihm zu erlangen.

Ich erklärte mich, wenn es eine Möglichkeit wär, seine Hochachtung und Roxelanen zu [453] besitzen, ohne meinen Glauben zu verändern, so würde ich in der Welt nichts höher schätzen. Seyd nicht so eigensinnig, versetzte der Bey hierauf, wenn euch meine Tochter und meine Freundschafft lieb ist, so könt ihr euch ja leicht zu unserm Glauben bekennen, weil wir mit euch doch einen GOtt verehren: wir erkennen dabey euren Christum für einen grossen Propheten. Warum wolt ihr unserm Mahomed nicht gleiche Ehre erweisen? Christus und Mahomed, war meine Antwort, sind in ihrer Person und in ihren Lehren allzuweit von einander entfernet, als daß man sie jemahl gegen einander solte vergleichen können. Der Bey seufzete darüber, und schlug die Augen gen Himmel. GOtt, sprach er, geb uns zu erkennen, wer von uns beyden den rechten Glauben hat.

Ich fühlte unterdessen bey mir ein ausserordentliches Leyden: bis schöne Mahomedanerin hatte mir ein allzuchristliches Gesichte; ich meynte, sie solte sich deswegen viel besser für meinen Glauben schicken, wo in einer tugendhaften Ehe eine reine ungetheilte Liebe herrschte. Ich unterhielt mich mit diesen Gedanken, als ich einsmahls, kurtz vor meiner bestimten Abreise, da ich, nach meiner Gewohnheit, längst dem Ufer des Meers spatzieren gieng, eines Schwartzen gewahr wurde, der mir auf dem Fuß nachfolgte: er überreichte mir ein Papier: ich eröffnete solches, und fand darin diese Worte:


[454] Tugendhafter Fremdling.


Ihr wollt verreisen und ich liebe euch: ich möchte gern deswegen euch alleine sprechen. Folget diesem Sclaven / er wird euch sicher zu mir bringen.

Roxelane.


Diese Zeilen machten mich bestürtzt: ich wuste nicht, was ich thun solte: Ich sah in dieser Sache nichts als Gefahr vor mir; die Liebe gab indessen den Ausschlag. Ich folgte dem Schwartzen, er brachte mich in den Garten, worinn ich öffters Roxelanen mit ihrem Vater gesehen hatte: Er hieß mich hier warten, und verlies mich.

Roxelane erschien: eine angenehme Demmerung, welche den Glantz des Mondes erhellete, gab mir ihre Schönheit vollkommen zu erkennen: sie war auf eine Art gekleidet, die mir alle Reitzungen davon entdeckte: ein lichter Silber-Flor hieng von ihrem Haupt herunter: ihre Haare waren künstlich in Locken gelegt, und mit grossen Orientalischen Perlen durchflochten; ein dreyeckigt gebogenes Silber-Blech mit doppelt geschliffenen Diamanten besetzt, gläntzete auf ihrer Stirne: ihre Brüste waren nur mit einem dünnen Schleyer bedeckt, und zeigten zugleich den feinsten Wuchs des schönsten Leibes. Kurz, ihr gantzes Wesen [455] hatte etwas so einnehmendes und entzücken des, daß ich als ein Mensch, der ausser sich war, vor ihren Füssen niedersanck. Ich küste ihre Hände, ich umfaste ihre Knie: ich seufzete und konte kein Wort zum andern bringen.

Roxelane schien nicht weniger gerührt; Mein Vater, sagte sie mit einer schwachen Stimme, hat euch zu meinem Bräutigam erwehlet, und mein Herz hat dessen Wahl gebilliget; eure Augen haben mich beredt, ihr wäret damit zu frieden; und nun wolt ihr verreisen? dieses verschmähet mich. Ich kan euch meine Empfindlichkeit darüber nicht bergen; entdecket mir davon die Ursach. Liebet ihr mich nicht, so will ich euch nicht nöthigen hier zu bleiben; es wäre mehr meine Schuld als eure, wann ich euch nicht gefiel. Liebet ihr mich aber, wie mich dessen eure Augen und eure Gebehrden so offt beredet haben, warum wolt ihr mich verlassen?

Dürfte ich, o himmlische Roxelane, war meine Antwort, keinen andern Gesetzen, als den Bewegungen meines Herzens folgen; so würde ich mein Leben für mehr als glücklich schätzen, wann ich es auch nur als ein Sclave in euren süsen Banden zubringen könte; allein, ich bekenne mich zu einem Glauben, welchen man hier verabscheuet. Ich bin ein Christ, und achte es für meine höchste Ehre ein solcher zu seyn; ich würde tausendmahl lieber den schmählichsten Tod leyden, als eine Wahrheit verleugnen, [456] deren mich der HErr Himmels und der Erden zu überzeugen gewürdiget hat.

Euer Eiffer, großmüthiger Christ, sagte Roxelane, gefällt mir wohl: er schickt sich für eine so edle Seele: ich liebe die Leute, die nach ihrer Art GOtt mit einer solchen Aufrichtigkeit verehren. Dieses zeiget ein Herz, auf dessen Treu man sich verlassen kan. Saget mir aber, geliebter Freund, fuhr sie fort, verbietet euch dann euer Glaube eine Mahomedanerin zu heyrathen, die mit euch einen GOtt verehret, nemlich den Schöpffer der Welt, der uns durch seine Propheten den Weg der Tugend hat lehren lassen?

Was mir hierinn, erklärte ich mich, meine Religion erlaubet, verbietet euch die eurige: Euer Vater, schönste Roxelane, hat mir eine Bedingung vorgeleget: ich soll meinen Glauben verleugnen, und den seinigen annehmen: dieses hies euch für einen ehrlichen Mann einen Heuchler geben; der, wenn er an GOtt untreu ist, sich auch kein Gewissen daraus machen würde, solches gegen euch und euren Vater zu seyn.

Roxelane beantwortete diese Rede mit einem tiefen Seufzer: Sie schlug ihre Augen, aus welchen einige Thränen flossen, beweglich gen Himmel. Ach! rief sie aus, du einiger GOtt! warum trennet dasjenige dein Gesetz, was doch die Liebe und die Tugend verbindet?

[457] Sie schwieg hierauf still, und schien demjenigen, was ihr die Liebe für mich eingab, tief denckend nachzusinnen. Wohlan, mein Freund, brach sie endlich heraus: Ich will mit euch diese Ufer verlassen, und euch noch mehr als eine geborne Christin lieben. Das sey ferne, versetzte ich hierauf, daß ich die Wohlthaten des grossen Beys, eures Vaters, mit einer solchen Untreu belohnen, und ihm das liebste, was er hat, dafür entführen soll? Dieses ist auch nicht meine Meynung, erwiederte Roxelane: ich hoffe meinen Vater mit gutem darzu zu bereden; denn ich fühle in meiner Brust eine unwiderstrebliche Regung eine Christin zu werden: ich habe verschiedene von euren Büchern gelesen: eure Gespräche mit meinem Vater haben mich darauf völlig überzeuget. Ich habe ihm solches entdeckt. Er hat mich auch darüber bestraffet; allein, ich hab Ursach zu glauben, daß ihm solches nicht von Herzen gehet, und daß er vielleicht selbst ein Christ werden würde, wenn er nicht zuviel dabey zu verliehren hätte.

Indem sie dieses sagte, hörten wir eine Thür im Seraglio aufgehen, und sahen den Bey auf uns zukommen. O Himmel, sprach er, indem er sich uns näherte, und zugleich die Hand an seinen Säbel legte, was sehe ich hier? Ach Vater! schrye ihm Roxelane voller Schrecken entgegen, indem sie sich zu seinen Füssen warf, mäßiget euren Zorn: ist meine That gleich ungewöhnlich, so ist sie doch unschuldig. Wie, [458] vermessener Ausländer, redete er mich darauf an, ist dieses diejenige Tugend, damit ihr die Vortreflichkeit eures Glaubens beweisen wollet? Entrüstet euch nicht, geliebter Vater, unterbrach hier abermahl Roxelane, indem sie ihm noch fest an den Knien lag, höret mich, und wo ihr ein Verbrechen findet, so wendet allen euren Zorn gegen mich: ich, nur ich allein, bin schuldig.

Roxelane erzehlte ihm hierauf, wie sie mich hätte zu ihr in Garten kommen lassen, und wie großmüthig und tugendhaft ich mich gegen sie erkläret hätte. Der Bey wurde darüber bewegt: ich schelte euch nicht, meine Tochter, sagte er zu ihr, mit einem besänftigten Wesen, daß ihr diesen Ausländer liebet: ich selbst bin ihm gewogen; allein, mein Freund, fuhr er fort, indem er sich zu mir wendete, ihr wisset meine Meinung: ohne ein Mahomedaner zu werden, könnet ihr meine Tochter nicht besitzen. Wollet ihr diese Bedingung nicht eingehen, so verlasset uns, und stürzet uns beyde nicht ins Unglück. Er reichte mir darauf zum Zeichen seiner Freundschaft die Hand, welche ich mit Ehrerbietung küste, und lies mich wieder durch lange Gallerien aus dem Seraglio bringen.

Die Liebe zu Roxelanen verursachte bey mir eine recht peinliche Leydenschaft, sie schien mir eine allzuschöne Seele zu haben, als daß ich zu ihrer völligen Bekehrung nicht alles wagen solte: [459] gleichwohl sah ich mich durch eben die Gesetze des Christenthums gebunden, in dieser Sache mich keiner andern Mittel zu bedienen, als die mit der wahren Aufrichtigkeit übereinkamen. Meine Liebe zu Roxelanen wurde durch die mindeste Absicht beflecket, die nicht mit der Reinigkeit des Christenthums übereinstimmte.

Der Bey sand mir den andern Morgen nicht nur das ihm gezahlte Löse-Geld wieder zurück; sondern begleitete solches auch mit ansehnlichen Geschencken. Wobey er mir zugleich andeuten lies, daß eine Gallere für mich fertig hielt, mich samt meinen Leuten nach Sicilien zu begleiten. Dieses war ein Befehl: ich konte solchem nicht entgegen handeln. Ich nahm also von dem Bey Abschied, und zeigte ihm für seine mir erwiesene Grosmuth die lebhafteste Danckbarkeit.

Es wurde mir nicht erlaubt, Roxelanen noch einmahl vor meiner Abreise zu sehen. Ich hielt deswegen einen Brief an dieselbe fertig, in Meynung solchen dem Schwarzen einzuhändigen, wenn er sich noch einmahl bey mir melden würde. Ich betrog mich nicht in meiner Hofnung: meine Leute waren bereits an Boord: ich saß noch auf einem niedrigen Gemäuer an dem Hafen, und hatte meine Augen beständig nach dem Seraglio hingewandt. Die Segel wurden aufgezogen, die Ancker gelöset, und man kam mir anzudeuten, daß man bereit wär vom Land zu stossen, und die hohe See zu gewinnen: Ich [460] stund mit schwerem Herzen von meiner Stelle auf, und gieng mit langsamen Schritten nach dem Boot, welches mich in mein Schiff bringen solte. Indem erblickte ich den Schwarzen: er kam und überreichte mir ein Kästgen. Ich gab ihm dargegen, nebst einem kleinen Geschenck, einen Brief an Roxelanen, darinn ich diese schöne Africanerin meiner ewigen Liebe versicherte, und sie zugleich ersuchte, mir von ihrem Zustand und den Fortgängen ihres Christenthums Nachricht zu geben.

Ich gieng damit zu Schiff, und verließ das Tunesische Gestade mit weit mehr Unruh, als ich war dahin gekommen. So bald ich alleine war, öfnete ich das von Roxelanen mir überschickte Kästgen, und fand darinn, nebst einigen Kleinodien, ihr mit Diamanten eingefastes Bildnüs: ich betrachtete solches mit einer entzückenden Freude: ich fand dabey ein gefaltenes Papier, und las darinn folgende Zeilen:


Geliebter Freund.


Ich sehe euch verreisen: ich begleite euch mit meinen Thränen. Ihr verlasset mich / nachdem ihr mein Herz mit der zärtlichsten Liebe für euch / und mit dem sehnlichsten Verlangen euren Glauben anzunehmen / erfüllet habt. Was soll ich nun anfangen: werd ich euch jemahls wieder sehen: O vergesset nicht eine unglaubige / die mit solchem Eifer sucht glaubig zu werden. Schreibt mir durch [461] den Armenischen Kauf mann Carajutz von Damasco: Seine Frau wird die richtige Bestellung eurer Briefe besorgen. Verschmähet unterdessen nicht die Abbildung von einem Weibs-Bild / welches euch eurer Tugend halben liebet. Mein Herze solte euch vielleicht besser gefallen /wann ihr solches kennen würdet. Ich bin eure getreue Roxelane.

Lebet wohl.


In vier und zwantzig Stunden kam ich mit meinem Volck glücklich wieder nach Sicilien. Der Hof war über meine Verrichtungen, so schlecht sie auch waren, doch nicht mißvergnügt. Ich rühmte die Grosmuth des Bey, und hatte das Glück, daß die Friedens-Tractaten, wie ich solche mit den Tunesern verabredet hatte, unterschrieben und durch mich ausgefertiget wurden. Ich sandt solche an den Bey, und bat mir keine geringere Vergeltung dargegen aus, als Roxelanen.

Ich schrieb zugleich an dieselbe: Ich bat sie, ihren Vater mit guter Art zu seiner Einwilligung in unsere Heyrath zu bereden. Es verflossen bey nah fünf Monathe, ehe der Bey der Liebe seiner Tochter nachsehen wolte. Er wurde endlich durch das Lesen guter Bücher, und durch die beständige Gespräche des Armeniers Carajutz, von den Wahrheiten der Christlichen Religion dergestalt überzeuget, daß er mir seine Tochter bewilligte, und dabey [462] heimlich den Endschluß faßte, mit der Zeit seine höchste Stelle in der Regierung abzudancken, und sich zu uns nach Sicilien zu begeben.

Ich erhielt diese Nachricht mit einer unaussprechlichen Freude. Roxelane meldete mir dabey, wie, auf was Art und zu welcher Zeit ich sie zu Pessara von meinen Leuten in Türckischer Kleidung solte empfangen lassen.

Ich kam ihren vorsichtigen Erinnerungen in allem nach: Ich hielt bereits acht Tage mit meiner Gallere in besagtem Hafen. Ich begunte zu fürchten, man mögte unsern Anschlag entdecket haben, weil ich binnen dieser Zeit nichts von Roxelanen vernahm. Wenn man liebet, so ist einem das Warten in dergleichen Fällen die gröste Marter; zumahl, wenn die Furcht darzu kommt, dasjenige, was man liebet, zu verliehren.

Endlich ließ sich auf der hohen See ein grosses Tunesisches Fahrzeug sehen, welches einen Boot nach dem Hafen schickte, und sich nach Griechischen Kauf-Leuten, die nach der Levante segeln solten, erkundigte. Meine Leute waren gleich an Boord, es fand sich keiner von denen, die mit mir zu Tunis waren, darunter. Sie fuhren nach dem Tunesischen Schiff: Roxelane wurde ihnen mit verdecktem Angesicht von einigen Tunesern, als eine vorgegebene Braut eines Bassa in der Levante, [463] überliefert. Meine Leute thaten darauf, als ob sie nach Copern segeln wolten; so bald aber hatten sie nicht das Tunesische Schiff aus dem Gesicht verlohren, so kehrten sie nach dem nechsten Hafen von Sicilien wieder zurück, derselbe lag nur drey Meilen von Pessara: Ich hatte mich mit einer kleinen Jagd dahin begeben; es war bereits Nacht, als Roxelane da ankam: Die Freude, die wir empfanden uns wieder zu sehen, litte keine Ausdruckungen. Ich bin nun gantz die eure, sprach Roxelane, indem sie mich in ihre Arme schloß, und ich werde nun solche ewig bleiben.

Sie brachte mir so viel Geld und Jubelen mit, daß ich meine Dienste bey Hof abdanckte, und mir in der anmuthigsten und fruchtbarsten Gegend von Sicilien, ein schönes Land-Gut kaufte. Ich gedachte hier mein Leben in der süssesten Vereinigung mit meiner liebenswürdigsten Tuneserin zuzubringen. Aber ach! wie eitel sind der Menschen Anschläge.

Ich liebte Roxelanen allzuheftig, als daß ich mich dadurch nicht so sehr an eine blosse Creatur solte gebunden haben; dergleichen innigste Vereinigung findet man nicht in dieser Welt: Sie war ein Vorschmack des Paradieses, wenn sie nicht die Furcht der Sterblichkeit beunruhigte. Es vergieng nicht leicht ein Tag, da wir uns dieses nicht vorstellten, und darüber eine gewisse Traurigkeit empfanden, die uns bey dem Genuß des grösten Vergnügens [464] seufzen machte. Wir hatten eine Ahndung, daß wir nicht lang beysammen bleiben würden. Es ist ein verborgener Zusammenhang in der Natur, und wie eine Säyte, die man an einem Ende beweget, ihre Rührung zugleich am andern Ende empfinden lässet; so spüret öfters unser Geist ein ihm unbekantes Gefühl von dem, was uns vorstehet. Meine Glückseligkeit war zu gros für eine Welt, darinn die meiste Menschen nur zum Leiden scheinen geboren zu seyn.

Es geschah auf Befehl des Bey, daß wir unsern Wohn-Sitz so nah bey der Barbarey genommen hatten: Seine Absichten giengen dahin, seine Würde niederzulegen und bey uns verborgen als ein Christ die übrige Lebens-Jahre zuzubringen. Das Schloß, welches wir bewohnten, lag unweit einem kleinen Meer-Port; Wir hatten eine treffliche Vieh-Zucht, und nebst der feinsten Seide auch die reinste Wolle. Die benachbarte Tuneser und Algierer kamen in der Menge herüber gefahren, um solche aufzukauffen. Wir wurden von ihnen bald ausgekundschaftet: Der verkehrte Religions-Eifer kan in der Welt nichts anders als Böses stiften: Ein Tuneser wuste unter andern bey mir und meiner Frauen ungemein sich einzuschmeicheln. Dieser Böswicht war von den Dervis abgeschickt, um meine Frau aus der Welt zu schaffen: Ihr Vater hatte um eben diese Zeit ein gleiches Schicksal gehabt: Die Mahomedaner halten dieses für [465] ein Gesetz, alle diejenige, die von ihrem Glauben abfallen, aus dem Weg zu räumen.

Der Verräther stellte sich, als ob er dem Exempel der Roxelanen folgen wolte, welche gleich nach ihrer Ankunft den Christlichen Glauben mit der grösten Begierde angenommen hatte. Diese Verstellung machte, daß wir ihn zu uns nahmen und ihm alles vertrauten. Man behält noch immer eine natürliche Zuneigung zu solchen Leuten, die mit uns, unter einerley Himmels-Gegend, in diese Welt gekommen sind, und so zu sagen, mit uns einerley Luft und Speise genossen haben. Roxelane liebte insonderheit ein gewisses kühlendes Getränck, woran sie von Jugend auf gewohnet war. Ihr treuvermeynter Lands-Mann konte solches ungemein nach ihrem Geschmack verfertigen. Er nahm Gelegenheit, ihr damit zu vergeben, und machte sich darauf heimlich weg; Damit ich aber auch wissen mögte, wo der Streich herrührte, so hinterlies er folgende Nachricht: Roxelane hat ihren Glauben verläugnet: Der grosse Prophet hat allenthalben seine Abgesandten: Sie wird dafür den Tod leiden / und ich schätze mich selig / daß ich zu einem Werkzeug der Göttlichen Rache habe dienen können.

Das Gift that zwar langsam seine Wirckung; Roxelane aber spürte bald den Tod in ihren Gliedern wühlen. Sie verbarg mir, [466] was sie darüber leiden muste: Ich habe mir, sprach sie, wohl vorgestellet, daß wir nicht lang beysammen bleiben würden: Unsere Liebe ist zu vollkommen; Etwas vollkommenes aber hat keinen Bestand in dieser Welt. Wir müssen scheiden, und ich sterbe als eine Christin; Voll Verlangen und Sehnsucht bey demjenigen Heyland zu seyn, der sich mir auf eine so ausserordentliche Weise hat zu erkennen gegeben. Nur das einzige quälet mich, daß ich euch verlassen soll: Meine Empfindlichkeit würde darüber mehr als grausam seyn, wenn ich nicht wüste, daß der Tod nur unsern Leib, nicht aber unsern Geist trennet.

So starck sie auch ihr Glauben machte, so konte sie doch allhier ihrer Zärtlichkeit nicht vermehren, einige Thränen zu vergiessen. Ich war durch diesen Zufall dermassen gerühret, daß ich einem Sterbenden ähnlicher sah als Roxelane. Mein Schmertz und meine Empfindung gieng so weit, daß ich mit ihr sterben wolte. Ich konte in etlichen Tagen nicht die geringsten Speisen zu mir nehmen. Ich erfüllte das gantze Haus mit einem jämmerlichen Seufzen und Wehklagen. Ich gieng aus einem Zimmer in das andere, und konte in keinem bleiben. Der Verlust von Roxelanen schien mir unerträglich.

Diese, als sie mich in diesem traurigen Zustand sah, suchte alle ersinnliche Trost-Gründe hervor, um mich ein wenig aufzurichten. [467] Warum wollet ihr doch, mein lieber Mann, sprach sie, mir den Tod noch schwerer machen? Seyd ihr dann nicht auch ein Christ? Seyd ihr nicht das Mittel gewesen, daß ich eine Christin worden bin? Habt ihr mir nicht selbst gesagt: Jenes Leben sey unaussprechlich besser, als dieses? Zweiffelt ihr nun daran? Mißgönnet ihr mir solches? O nein! Ich weiß, daß ihr mich liebet, und daß euch deswegen meine Seligkeit erfreuen muß.

Einige Tage darauf richtete sich meine sterbende Frau in ihrem Bette auf: Sie hatte den Tod auf ihren Lippen, ihre Augen aber waren voller Glantz: Es belebte sie gleichsam ein himmlisches Licht: Fahret wohl, mein geliebter Gemahl, sagte sie zu mir, indem sie mich an ihre Brust mit gröster Bewegung druckte, fahret wohl, fasset euch, ich werde scheiden. Wir haben uns auf ewig zusammen verbunden; Der Tod will dieses Band zerreisen; allein seine Macht ist vergebens: er mag den Leib immer hinnehmen, dasjenige, was euch in mir liebet, ist unsterblich. Wir haben uns hier auf Erden nur kennen lernen, um in jenen Wohnungen der seligen Geister auf ewig mit einander zu leben.

Meine Frau redete diese Worte, als eine Seele, die bereits in einer Göttlichen Entzückung lag, und deswegen einen höhern Strahl des Lichts genosse; weil die unordentliche Bewegungen ihres Cörpers aufhörten, und den [468] Geist in der Beschauung des neuen Lebens, dem sie entgegen rückte, nicht weiter hinderlich waren. Ich fragte sie deswegen, ob sie dann vollkommen versichert stürbe, daß unsere Liebe auch in der Ewigkeit noch statt haben würde?

Mein lieber Mann, erklärte sich die Sterbende: Ich weiß, seitdem ich eine Christin bin, daß man im Himmel sich nicht freyen noch freyen lassen wird. Ich weiß aber auch durch eben den Geist, der uns solches offenbaret hat, daß diejenigen, die sich hier im Herrn geliebet haben, ihre Liebe auch in jener seligen Ewigkeit fortsetzen und unzertrennlich mit einander verbunden bleiben werden. Ja, diese Vereinigung wird sich nicht nur allein auf treue Ehgatten, sondern auch auf alle diejenige erstrecken, die wir allhier in tugendhafter und reiner Neigung, so wohl dem Blut als dem Gemüthe nach, geliebet haben. Dann unsere Tugend bleiben nicht in dieser Welt: sie sind weder dem Tod noch der Verwesung unterworffen: sie folgen uns nach, und vereinigen uns wieder mit GOtt, als ihrem Ursprung. Die Liebe ist die gröste unter allen; sie ist die Quelle, woraus alle andere herkommen: sie ist eine Ausfluß des Göttlichen Wesens, und fliesset auch wieder in das Göttliche Wesen ein. Sie vergöttert unsere Natur; sie verkläret uns in dasselbige Bild, und macht uns Göttlicher Eigenschaften theilhaftig.

[469] Die Liebe zu den Creaturen und die Liebe zu GOtt wird alsdann nicht mehr getrennet seyn; sondern einerley Neigung ausmachen; Wir werden alles in GOtt, und GOtt wieder in allem lieben. Wir werden in seine Absichten eingehen, und dabey seine Allmacht, seine Weisheit, und seine Liebe bewundern; Das Böse wird aufhören, und das Gute ewig bleiben. Unsere Liebe wird sich mit ihrem reinen Ursprung verbinden, und aus dieser unendlichen Quelle, ihre Anmuth, ihre Nahrung und ihre Ewigkeit schöpfen: sie wird noch immer vollkommener, glückseliger und Göttlicher werden.

Als sie hierauf ein wenig still geschwiegen, und gleichsam frischen Othem geschöpfet hatte, endigte sie mit diesen Worten: Ich empfinde nun für euch, sprach sie, mein Liebster, zum letzten mahl die Schwachheiten einer leidenden Natur. Es thut mir zärtlich weh, daß ich von euch scheiden muß. Diese Empfindung wird mit dem Cörper sterben: Unsere Geister aber werden sich nach diesem Leben auf ewig vereinen. Lebet wohl, mein Gemahl. Liebet mich auch nach dem Tode, wann es der Zustand von jener Welt und die mir noch unbekannte Ordnung des grossen Schöpfers leiden wird; so soll euch mein Geist von seinem Zustand, wie er von dem Leibe abgeschieden lebet, einige Nachricht ertheilen.

Sie reichte mir hierauf die Hand, und [470] verschied ohne die allergeringste Bewegung: mehr als ein Engel, der verschwindet, als ein Mensch, dessen Le bens-Bande sich mit Schmertzen trennen.

Ich war noch kein so starker Christ, diesen allzu herben Riß der Natur mir Standhaftigkeit zu ertragen; Ich sanck darüber zu Boden; Ich litte alle Schmertzen des Todes, und muste leben, um solche zu empfinden. Ich fiel darüber in einen so tieffen Kummer, daß ich wie eine Leiche herum gieng, alle Menschen floh, und mich den gantzen Tag hindurch in einem dunckeln Wald, der hinter meinem Garten lag, verborgen hielt.

Ich fand mich in einem Stand der Entblössung, worinn ich die Nichtigkeit meiner eignen Weisheit und Stärcke muste erkennen lernen: Es war mir alles entzogen, womit sich sonst die Menschen trösten können: Die Welt und alles war mir zuwider. Der König, der von meinem Zustand Nachricht eingezogen hatte, sandt mir seinen Leib-Artzt, nebst einem von meinen guten Freunden. Ich war gantz Leutscheu worden, und fühlte deswegen einen heimlichen Schauer, da ich dieser beyden Herrn ansichtig wurde. Diese Bewegung aber verlohr sich bald: sie suchten mich zu bereden mit ihnen nach Hof zu gehen, sie stellten mir vor, daß nichts mein Gemuth von seinem anhaltenden Leiden hurtiger abziehen würde, als die Veränderung der Vorwürffe.

[471] Ich ließ mir rathen: ich wolte nicht eigensinnig seyn: ich wuste, wie schädlich diese Gemüths-Art war. Die Bewegung der Reise, die Veränderung der Luft, die gute Gesellschaft; vornehmlich aber der Entschluß, mich gantz und gar der Göttlichen Schickung zu überlassen, machten, daß ich ziemlich wohl zu Palermo ankam.

Der König erzeigte mir viel Gnad: und nöthigte mich endlich gar, zum Zeichen seiner Gunst, eine junge Dame zu heyrathen, die aus einem der grösten Häuser von Sicilien war: Sie war jung, lebhaft und schön. Ich weiß nicht, warum GOtt diese andere Heyrath über mich verhänget hat. Vermuthlich solte mir dadurch alle Welt- und Creaturen-Liebe völlig verleidet werden.

Ich hatte noch kaum einige Wochen in dieser Ehe zugebracht, so entdeckte ich an meiner Gemahlin eine zu allen Ausschweiffungen geneigte Seele: Ihre Laster machten mich an die Tugenden der Roxelanen dencken; das Verlohrne schien mir unschätzbar, das Gegenwärtige unerträglich. Meine Frau hatte eine dermassen üble Erziehung gehabt, daß sie nicht einmahl wuste, was Ehre, was Tugend, und was Religion war.

Sie fand sich sehr beleydiget, da ich zum ersten mahl es wagte, ihr einige Vorstellungen zu thun. Wie! Mein Herr, sagte sie [472] bilden sie sich ein, daß sie mich hofmeistern wollen? O diesen Lusten lassen sie sich vergehen: sie haben keine Barbarische Tuneserin mehr vor sich. Ich habe mich deswegen nicht geheyrathet, um unter der Botmäßigkeit eines Mannes zu stehen, von dem ich mir eingebildet, daß er mir zu Gefallen leben würde. Alle meine Ermahnungen waren also bey ihr vergebens: Sie sagte, daß ihr meine Sitten-Lehren mißfielen, und daß sie nach ihrer Weise leben wolte. Damit war unser Verständnis auf einmahl aufgehoben, da wir kaum noch vier Monathe geheyrathet waren. Wir begegneten uns einander gantz fremde, und speiseten selten zusammen an einer Tafel.

Meine Frau ergab sich allen Unordnungen: Sie war bey allen Lustbarkeiten des Hofs: Jedermann schmeichelte ihr: dieses war ihre Haupt-Begierde: sie wolte gefallen, und suchte ihr Vergnügen in der Menge ihrer Anbeter und Liebhaber. Von den Pflichten eines vernünftigen Weibes wuste sie nichts: Sie hatte nicht einmahl Zeit daran zu dencken: Sie war allzu sehr in ihren Eitelkeiten und Wollüsten zerstreut.

Hätte ich mich darüber beklagen wollen, so würde man mich für einen wunderlichen und eigensinnigen Mann gehalten haben. Man lebte nicht anders in der grossen Welt. Es war nicht mehr Mode, daß sich die Weiber ehrbar und die Männer weise stellten. Die [473] Ehe war ein Sacrament für den Pöbel, und ein Stand der Freyheit für den Adel. Ich hatte davon andere Begriffe: ich liebte die Tugend: ich sah ihren Fortgang ewig, und das Ende der Laster mit Schrecken. Ich muste mich unterdessen verstellen: ich wolte mich weder lächerlich machen, noch viel weniger über eine Sache einen Rechts-Streit anfangen, wo der Gebrauch die Gesetze aus der Ubung gebracht hatte. Ich befand mich in diesen Umständen, und dachte ihnen nicht ohne betrübter Empfindung nach; als ich einmahls darüber in einen tiefen Schlaf fiel.

Mir träumete, ich wär in einem düstern Wald, wo ein braussender Wasserfall sich von einem wilden Gebürg herunter stürtzte, und zwischen ungeheuren Felsen und Klippen durchrauschte. Ich empfand hier eine Verachtung gegen alle Schönheiten dieser Erden. Ich entschloß mich, ein Feind der Menschen und ihrer Ergötzlichkeiten zu seyn. Ich sah allerhand wilde Thiere, die vor mir flohen, und hörte an statt der lieblichen Töne, die sonst in den Wäldern erschallen, nichts als ein zischendes Pfeiffen der Uncken und Hammelmäusgen; und das Rufen der Kautzgen und Nacht-Eulen. Man muß schon zu einem hohen Grad der Träumerey gelanget seyn, wenn einem solche Dinge mehr anmuthig als fürchterlich vorkommen: Ich fühlte bey mir eine Melancolie, welcher ich nachhieng; ich war traurig, und wolte es seyn: [474] mein Kummer war mir angenehm, und mein Leiden ein Vergnügen.

Auf einmahl wurde in diesem Wald alles lichte: nicht anders wie in den Schauspielen, wenn man den Vorhang aufziehet. Ich fand mich in der schönsten Gegend: ich beobachtete keinen Strich, der Himmel und Erden schied: ich sah ihre Tiefen mit Erstaunen: ein unendliches Licht erfüllete den unendlichen Raum: ich hörte Stimmen, welche die reinste Töne ausstiessen: ich fühlte eine Lufft, die meine Brust mit der süssesten Empfindung bewegte, und deren Hauch alles mit dem lieblichsten Geruch durchdrang: ich sah Geschöpffe von ungemeiner Schönheit, die theils den Menschen, theils den gemahlten Cherubinen glichen; Aus ihren Augen strahlte die Liebe, die Anmuth und die Holdseligkeit. Ich kam darüber in eine Entzückung, darinn ich bald mit Menschen, bald mit Engeln mich vermenget sah; ich erblikete darunter Roxelanen: ihre Gestallt war in einen hellgläntzenden Schleyer verhüllet, dadurch ich bald ihren gantzen Leib, bald aber nichts als ein bloses Licht erblickte; dessen Strahlen so scharff und durchdringend waren, daß ich darüber die Hände vor die Augen halten muste: endlich erschien sie vor mir in ihrer gewöhnlichen Kleidung: in ihren Augen lachte ein himmlisches Feuer, sie winckte mir mit der Hand, verbot mir aber, sie (nicht) anzurühren.

Ich bin selig, sagte sie zu mir: aber diese [475] Seligkeit ist unaussprechlich: Die Gegenwart GOttes erfüllet alles: die Seelen der Gerechten sind davon durchdrungen; doch finden sich in diesen Wohnungen unzehlich viele und verschiedene Gegenden. Die untersten, wo die Seelen, wann sie erst von dem Leibe scheiden, hinkommen, sind weder finster noch lichte: den meisten thut die Absonderung von ihrem Cörper leyd: sie sehnen sich deswegen, doch eine mehr als die andere, noch immer nach ihren vorigen Hütten. Die Geitzigen zehlen noch ihr Geld: die Hochmüthigen sinnen noch auf Pracht; und die Wollüstigen seufzen noch nach ihrer vorigen Lust: ihr Zustand ist noch immer nach denen Neigungen eingerichtet, welche sie mit aus der Welt bringen. Diejenige Seelen aber, welche bereits sich durch den Glauben und die Weißheit mit GOtt bekannt gemacht haben, die dringen hier mit einer ungemeinen Begierde und einer schnellen Erhebung, durch alle Zwischen-Räume hurtig durch, und gelangen also zu der Gemeinschafft GOttes, welche die Seligkeit ist; mittlerweile, daß hingegen die noch irrdisch gesinnte Seelen, so lang und so viel durch ihre böse Neigungen und Thorheiten herumgetrieben werden, biß sie endlich solche selbst erkennen und verfluchen lernen: da sie dann von einer Läuterung zur andern, und von Grad zu Grad erhöhet, des Einflusses des göttlichen Lichtes fähig werden. Bis endlich Christus, als das Haupt aller Glaubigen, sein Reich beginnen; unsere Leiber wieder mit dem Geist vereinigen und Licht und Recht, nach den Absichten [476] GOttes in der Schöpfung vollkommen herstellen wird. Sonst wissen eigentlich die Seelen hier nichts von dem, was sich auf der Erden begiebt; Es wird ihnen aber zuweilen vergönnet, wenn sie die Liebe zu den Hinterlassenen allzuheftig dringet, einen Blick dahin zu thun: sie versencken sich so dann in den Glanz des höchsten Lichtes, welches aus GOtt strahlet, und worinn sie als in einem Traum dasjenige sehen und zu wissen bekommen, was sonst niemand als GOtt allein wissen kan. Mehr kan kein irrdischer Verstand von diesen Dingen fassen. Trachte unterdessen in der Welt so zu wandeln, daß dir deine gute Wercke nachfolgen können, und daß ein aufrichtiges Verlangen nach GOtt, deiner Seele den Weg bahnen möge, durch alle Wohnungen der irrdischen Geister hurtig durchzu dringen und des göttlichen Lichtes theilhaftig zu werden. Fliehe unterdessen den Ort, der deiner Tugend gefährlich ist; rühre nichts unreines an; verlaß deine Ehebrecherin; begieb dich in ein Land, wo dich niemand kennet. Lebe daselbst entfernet von den Thorheiten dieser Welt. Nahe dich immer näher und näher zu GOtt, durch die Weisheit, die von oben kommt; so werden deine Jahre ruhig verschleissen, und dein Ausgang aus der Welt wird dein Eingang in den Himmel seyn.

Hierauf verschwand der schöne Geist der Roxelanen, und ich erwachte. Ich hielt sonst nichts auf Gesichter und Träume. Hier aber [477] schien mir der Traum von etwas mehr als einer menschlichen Fantasie herzurühren. Ich gieng mit mir selbst zu Rath und fand in mir eine starcke Uberzeugung, dasjenige ins Werck zu richten, was mir Roxelane im Schlaf angedeutet hatte.

Ich verlies Sicilien, den Hof, und meine ungetreue Gemahlin: ich nahm weiter nichts mit mir, als etwas weniges an Gold, nebst den Kleinodien von Roxelanen. Ich hatte niemand bey mir, als meinen Cammerdiener. Ich reiste damit durch ganz Illyrien, und kam bis an diesen Ort: ich fand eine Neigung in dieser Einöde zu bleiben, ich erblickte in der Ferne das Schloß des Grafens von Sylva: ich meldete mich bey ihm, und fragte ihn, ob ihm nicht ein Stück Landes jenseit des grossen Teiches feil wäre. Der Graf betrachtete mich mit besonderer Aufmerksamkeit: er erkundigte sich, wo ich her käm, und ob ich auch Geld hätte, ein Land-Gut zu kauffen? Ich antwortete ihm auf das erste, daß ich ein Lampurdaner wär, der wegen eines gehabten Unglücks ausser seinem Vaterland leben müste: wegen dem andern zeigte ich ihm eine Handvoll Perlen und Juwelen, die ich nebst dem Bildnüs meiner Roxelanen bey mir führte. Der Graf schien darüber verwundert, und lies mir nicht undeutlich einen Argwohn blicken, als ob ich diese Schätze nicht auf eine rechtmässige Art besitzte: solches beleidigte mich nicht, ich begnügte mich damit, ihn einfältig zu versichern, daß ich ein [478] ehrlicher Mann wär; und ersuchte ihn zugleich, meine Kostbarkeiten in Verwahrung zu behalten. Die Art, womit ich ihm dieses sagte, benahm ihm alles Mistrauen; er begegnete mir darauf nicht nur höflich, sondern als einer Person seines Standes; Er überließ mir diese kleine Länderey, welche sie hier von mir angebauet sehen.

Das sechzehende Buch

Das sechzehende Buch.

Der Ritter von Castagnetta endigte damit seine Erzehlung. Der Graf von Rivera danckte ihm dafür auf das verbindlichste. Er freuete sich in einer so durchaus verdorbenen Welt noch hier und da einige Menschen zu finden, welche die Weisheit liebten, und ihren Ursprung kenneten. Er wuste aber nicht, was er von dem nachdencklichen Traum des Ritters und den Offenbarungen der schönen Roxelanen urtheilen solte. Die Schrift, sprach er, hat uns nichts von dem eigentlichen Zustand der abgeschiedenen Seelen entdecket; und wenn die unvergleichliche Roxelane bey ihren Lebzeiten die Bücher der Platonischen Weltweisen gelesen hätte; so würde ich glauben, sie hätte diese Meynungen von ihnen mit in das Reich der Geister genommen.

Der Ritter von Castagnetta merckte bald, wo der Graf mit seiner Erinnerung hinzielte [479] er versicherte den Grafen, daß er damahls noch nichts von den Platonischen Schriften gelesen hätte: Es wär ihm aber aus den Büchern der Offenbahrung dieses als eine beständige Warheit bekannt, daß die Seelen der Gerechten in GOttes Hand wären, wo sie keine Quaal berühren könte; da im Gegentheil die Seelen der Gottlosen in einen Ort der Quaal und der Finsternüs kämen, wo der Verlust ihrer Seeligkeit und die Verstossung von GOttes Angesicht ihre gröste Marter ausmachte.

Es ist gewiß, fuhr der Ritter fort, daß die Ungerechtigkeit so wenig wird ungestrafft, als die Tugend unbelohnet bleiben. Die Geister, welche in dieser Welt andere plagen, werden in jener Welt wieder von andern geplaget werden. Es wird darin die genaueste Gleichförmigkeit der Strafen mit den Verbrechen sich äussern; und man wird darinn die göttliche Gerechtigkeit so sehr, wie seine Liebe, bewundern: so wenig wir auch in diesem Leben die Art und Weise davon einsehen und begreiffen können.

Diese beyde Herren schieden darauf, mit den zärtlichsten Versicherungen einer immer währenden Freundschafft, von einander. Der Graf verfügte sich zu dem König nach Aquana; er hielt sich aber daselbst nur einige Tage auf, weil der König wolte, daß er voraus nach Panopolis gehen, und daselbst die Anstalten zu der Königin Einzug machen solte. Der König folgte bald nach, und hielt sich mit der [480] Königin so lang zu Bellahai auf, bis die Zeit zum Einzug herbey nahete.

Dieser war überaus prächtig: Alle hohe und niedere Bedienten, nebst den verschiedenen Leib-Wachen des Königs wurden zu dem Ende aufgeboten, diesen Pomp zu verherrlichen. Der Zug begunte des Morgens und währte bis gegen Abend. Die Reuter vom Königlichen Hause, in roth mit Silber reich besetzter Kleidung, machten den Anfang: ihnen folgten über dreyhundert Hand-Pferde, welche an Schönheit die Kostbarkeit ihres Aufputzes noch übertraffen: darauf kamen die Vornehmste Stall-Jägerey- und Hof-Bedienten: nach diesem die Königliche Edelleute von der Cammer, nebst den Ober-Hof und Kriegs-Beamten.

Der König ritt auf einem weissen Zelter: sein Ansehen war Majestätisch, und das Volck jauchzte vor Freuden, da es seinen Herrn so gesund und leutselig erblickte. Neben ihm zur Rechten, etwas hinterwärts, sah man den Herzog von Miran, als Ober-Hofmeister; und zur Lincken den Graf von Rivera, als Ober-Cämmerer; der Fürst von Alesso aber, als Ober-Stall-meister ritt gleich hinter ihm, vor dem Wagen der Königin.

Diese fuhr in einer mit licht-blauen Sanmmet überzogenen und mit Gold und Edelgesteinen reich besetzten Staats-Gutschen. Ihre lebhaffte Schönheit blitzte noch mehr in die Augen [481] des Volcks, als der herrliche Glanz der vielen Diamanten, womit sie allenthalben umgeben war. Acht Isabell-Farben Pferde mit Lichtblau-sammeten und reich-vergüldeten Geschirren, schnauften vor dem Wagen mit stoltzen Tritten, in einer gleichsam abgemessenen Bewegung. Acht Königliche Bereuter giengen neben her, und hielten sie bey den Zäumen, damit sie nicht zu wild und unbändig sich gebehrden möchten.

Nach der Königin folgten die Hof-Damen, nebst dem andern Frauen-Zimmer vom ersten Rang: hierauf kamen die Abgesandten, welche der Herzog von Sandilien und der Ober-Ceremonien-Meister aufführte: ferner die Geheime Staatts-Hof- und Kriegs-Räthe, allesamt in Gutschen mit sechs Pferden bespannet, und von einer Menge bundfärbig gekleideter Edel-knaben und Leibdiener umgeben. Den Schluß machten die Königliche Kürassirer: ihre Kleidung war lichtblau mit roth-sammeten Aufschlägen und goldenen Borden: sie trugen das Aquitanische Wappen in Form eines Kürasses von Silber verguldet auf der Brust, und hatten eine Art von Sturm-Hauben, mit rothen Feder-Püschen auf den Häuptern.

Die Bürger stunden längst den Strassen mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen im Gewehr; und die Soldaten, die zu Panopolis in Besatzung lagen, hatten das Thor und den Burg-Platz besetzt. Der Stadt-Magistrat [482] trug die Himmel-Decke über den König, und die Trabanten mit ihren Partisanen giengen neben her zu Fuß. Zwischen jedem Zug liessen sich Paucken und Trompeten hören. Die Häusser waren allenthalben mit kostbaren Teppichen, auch hin und wieder mit schönen Gemählden und Blumen Geschirren vor den Fenstern ausgezieret. Alle Glocken in der Stadt wurden geläutet, und alle Canonen auf den Wällen losgezündet. Dieses untereinander schallende Getöß erfüllte die Luft und bewegte die Gemüther der Menschen mit einer gleichsam fürchterlichen Freude.

Die Gräfin von Monteras, welche bisher noch nicht bey Hof erschienen war, fand sich in einem Hauß, unweit der Burg, und vermeynte unter der unzehlichen Menge der Zuschauer, welche allenthalben die Häusser und Strassen erfüllten, diesen Einzug der Königin unbekannt mit anzusehen. Sie liebte den Grafen von Rivera viel zu sehr, als daß sie nicht bey einer solchen Gelegenheit suchen solte, die Wahl ihres Hertzens gegen alles, was hier Aquitanien grosses und schönes zeigte, zu rechtfertigen. Was sie sah, schien ihr reich, prächtig und Königlich: es bewegte sie aber nichts. Ihre Augen hatten sich bereits müde gesehen; als sie endsich, nach so vielen sinnreichen Erfindungen des menschlichen Hochmuths, den Grafen von Rivera erblickte: sie erzitterte in dem innersten ihres Hertzens, da sie ihn an des Königes Seiten beobachtete: sie konte zwey Personen, die [483] bisher ihrer Ruh so gefährlich gewesen waren, nicht ohne Schrecken, so nah bey einander sehen.

Die Gräfin richtete schon von weitem ihre Augen nach der Königin: sie wünschte bey derselben eine Schönheit zu entdecken, die ihre eigene übertreffen möchte: ein Wunsch, den noch wenig Schönen in der Welt gethan haben. Der König stöhrte sie in dieser Betrachtung: er erkannte sie, als er vorbey ihrem Fenster ritt. Sehet, sprach er, zu dem Grafen von Rivera, in dem er den Zügel seines Pferdes an sich zog: sehet hier die Gräfin von Monteras. Dem Grafen schlug darüber das Herz: die Röthe stieg ihm ins Angesicht: er warf mit Furcht einen Blick nach demjenigen Fenster, wo die Gräfin war: der König grüste sie: alle Herren, die um ihn waren, nahmen darauf die Hüte ab, und bezeigten derselben ihre Ehrerbietung. Dieses machte ein grosses Aufsehen.

Die Königin, welche gleich hinten drein fuhr, beobachtete solches; sie fragte die Oberhofmeisterin, die gegen ihr über saß, wer diese schöne Dame wär? es ist, antwortete dieselbe, die Gräfin von Monteras: die Königin entfärbte sich darüber: sie hatte die Augen starck nach ihr hingewandt: eine heimliche Eifersucht wolte sich darauf in ihrem Gemüth regen, da sie ihre unschuldige Mitbuhlerin so liebreitzend und so schöne fand; allein der Gräfin ihr demüthiges [484] Neigen und ein Auge voller Unschuld und Güte, welches ihr gleichsam ihre Freundschafft abforderte, flösete ihr eine ganze andere Empfindung ein.

Die Gräfin kam den folgenden Tag nach Hof, und machte der Königin ihre Aufwartung: sie wurden beyde mit der grösten Verwunderung eingenommen, da eine an der andern so viel Anmuth, so viel Geist, und so viel Hoheit des Gemüths entdeckte. Sie billigten beyderseits die Wahl des Königs, und waren eben im Begriff sich einander die Kennzeichen ihrer Hochachtung zu geben, als der König in das Zimmer trat, und sie in ihrem Gespräch verstöhrte. Die Gräfin beurlaubte sich deswegen bald, und gieng wieder nach Prato.

Der Graf von Rivera besuchte sie allda öfters; sie waren mit Bewilligung des Königs zusammen versprochen; einige wichtige Ursachen aber machten, daß ihre Vermählung noch auf etliche Monathe ausgestellet wurde. Der Graf, welchen der König an des verstorbenenen Ober-Cämmerers Stelle erhoben hatte, übergab demselben um diese Zeit einen Plan, der die Verbesserung seines Staats, die Einrichtung seiner Finanzen, und das allgemeine Wohlseyn aller Stände betraf. Seine Vorschläge hatten nichts hochgekünsteltes; sie waren gantz einfältig und der Natur gemäß; Sie hatten blos die Ordnung und die Gerechtigkeit zum Grund.

[485] Dieser Plan gefiel dem König und dem Herzogen von Sandilien; sie wolten solchen zur Wircklichkeit gebracht sehen; allein so bald wurde derselbe nicht den vornehmsten Ministern und Räthen mitgetheilet, und darüber ihr Gutachten begehret, so regte sich allenthalben Eifersucht, Mißgunst und Verachtung.

Unter den Staats-Räthen fanden sich zwey, die der Graf wegen ihren grossen Verdiensten besonders hochschätzte. Der eine war der Cammer-President und der andere der Stats-Secretarius. Der erste hatte einen durchdringenden Verstand, und eine ungemeine Staats-Wissenschafft, welche sich auf eine langwierige Erfahrung gründete. Sein Umgang war angenehm und leutselig; er konte einem die Fehler sagen, ohne daß man dadurch beleydiget würde. Er gab einem öfters selbst die Entschuldigungen an die Hand, und machte dadurch, daß seine Verweise mehr gütig als beissend waren: Er brachte einen auf solche Art zur Erkänntnüs, und man blieb ihm dafür verbunden. Er liebte die Künste und Wissenschafften: er war ein Gelehrter, ein Saats-Kündiger, ein Hofmann, und was am meisten zu bewundern, ein Cammer-President, ohne Eigen-Nutz.

Der Staats-Secretarius war von keinem grossen Herkommen: seine blosse Verdienste hatten ihn erhoben; diese waren gemeiner als sein Glück. Die Natur hatte ihm ein edles Ansehen gegeben: seine Gebehrden waren ernsthaft [486] und abgemessen, doch ohne Aufgeblasenheit und Zwang. Man ehrte ihn, wenn man ihn nur sah. Er besaß eine tieffe Einsicht. Seine Begriffe waren deutlich, und seine Art sich auszudrücken überzeugend. Seine Gründlichkeit machte ihn behutsam, und seine Behutsamkeit schützte ihn gegen alle Übereilung. Er konte die Absichten von andern leicht entdecken; seine eigene aber desto künstlicher verbergen. Der Hertzog von Sandilien that nichts wichtiges ohne ihn: Im Cabinet war er sein Rathgeber, und in der Ausführung seine rechte Hand.

Der Graf hatte diesen beyden würdigsten Staats-Männern seine Anschläge zu erst entdeckt: sie schienen ihm gewogen zu seyn; allein, sie hatten gegen ihn noch etwas zurückhaltendes und mißtrauisches, welches sie verhinderte, gegen ihn so offenhertzig sich heraus zu lassen, als er es wünschte. Diese Kaltsinnigkeit hatte für den Grafen etwas so empfindliches, daß er alle seine Demuth auffordern muste, um sich darüber zu trösten.

Die Gemüths-Eigenschaft des Grafens hatte hier etwas besonders: Er unterließ nicht in seiner Hochachtung gegen Leute, die Verdienste hatten, fortzufahren, wenn sie ihm gleich die Ihrige versagten: Er ließ ihre Gering-Schätzung sich darzu dienen, daß er seine Einbildungen von sich selbst desto genauer [487] einschränkte, und seinem Verstand nicht zu vieles zutrauete.

Den König und den Hertzog von Sandilien verdroß im Gegentheil die Aufführung der obbemeldten beyden Staats-Räthen destomehr, weil sie dem Grafen gewogen waren. Sie wolten, daß man dessen Anschlagen folgen solte: allein, der Groß-Cantzlar, der sich zu dem Haupt der Mißvergnügten machte, hielt den Fortgang derselben zurück.

Dieser war ein Mann von dem grösten Ansehen. Er war schlau, listig, eigennützig und schmeichlerisch; Er suchte die Leute, die seiner Hülffe nöthig hatten, nur mit höflichen Worten herumzuführen, und sich nachgehends zu beklagen, daß er ihnen nicht dienen könte. Diejenige aber, die seine verborgene Absichten wusten, die suchten ihn auf eine Art zu verpflichten, welche zwar keiner Bestechung ähnlich sah; aber doch gleiche Wirckungen bey ihm hervorbrachte. Er empfieng die Dienste von andern, als die Einkünfte von seiner Vortreflichkeit, und wenn er sich dargegen erkenntlich zeigen solte; so ergriff er die erste Gelegenheit über einen mißvergnügt zu werden; und brachte einen dahin, daß man noch froh seyn muste, wenn er einen entschuldigen wolte.

[488] Er war freundlich bis zur Niederträchtigkeit, und grausam unter dem Schein des Glaubens und der Gerechtigkeit. Er konte weinen, wenn er von unglücklichen Zufällen, oder von grossen Missethaten reden hörte: Er tröstete aber so wenig die eine, als er die andern entschuldigte. Die allgemeine Noth rührte ihn nicht; bey den Unordnungen der Menschen hatte er etwas zu gewinnen; und bey ihren Verbrechen etwas zu straffen. Er betrog alle Menschen durch seine Heucheley, und betrog sich selbst, indem er seine Laster nicht kannte; Dieser Fehler war der eintzige, der seine andere noch in etwas entschuldigte.

Der Cantzlar bekam bald einen stärckern Anhang, als der Graf: Man liebet selten an Höfen dergleichen Sitten-Lehrer: Der Graf würde sich dadurch verächtlich gemacht haben, wo er nicht zugleich durch dessen Artigkeit und munteres Wesen sich so viel Bewunderung, als durch seine Tugend Ehrerbietung erworben hätte.

Der Graf von Rivera meynte es mit allen Menschen gut; Er beleydigte niemand: Man bemerckte an ihm keinen Hochmuth, keinen Eigennutz, keine Mißgunst und keine Falschheit: Er machte nichts aus sich selbst. Er betrachtete sein Glück, als ein Mittel andere glücklich zu machen. Er haßte alles gezwungene und aufgeblasene Wesen: Er war gegen alle Menschen Leutselig und aufrichtig. Man prieß deßwegen seine Redlichkeit [489] so sehr als seinen Verstand, und schätzte seinen Beyfall für denjenigen der klügsten Leuten. Der Soldat, der Gelehrte, der Künstler, der Bürger, überhaupt alles erhub den Werth seiner grossen Eigenschaften.

Nur die Geistlichkeit erklärte sich gegen ihn, weil er dem König eine Gemahlin von einer andern Religion zugeführet hatte; und eine gewisse Kühnheit zeigte, ihre Außsprüche nicht alle für Göttlich zu halten: Er kante ihre Fehler, und drohete solche zu verbessern: Die Parthie des Groß-Cantzlars wurde durch sie um so viel wichtiger: Es fanden sich darunter schlimme Rathgeber. Dem Grafen wurde auf verschiedene Art nachgestellet: Die Gräfin von Monteras bekam davon Nachricht: Sie war seinetwegen in steter Furcht: Sie bat ihn, sich der Verfolgung seiner Feinde zu entziehen und auf eine Zeitlang von Hofe zu entfernen.

Es ereignete sich darzu eine besondere Gelegenheit. Alpina, ein kleiner Staat, disseits der Aventischen Gebürgen, an dem Fluß Danoro gelegen, war mit sich selbst uneins geworden. Er sandt deßwegen einige Abgeordneten nach Panopolis: Diese nahmen ihre Zuflucht zu dem Grafen von Rivera, und baten ihn, sich auf eine kurtze Zeit in Person nach ihrer Stadt zu verfügen: sie hoften, er würde ihnen Mittel und Rathschläge an Handen geben, dem völligen Untergang ihre Staats noch vorzubeugen.

[490] Alpina lag unweit der Herrschaft des Grafens: Er war ohnedem Willens seine alte Frau Mutter und den Herrn von Bellamont zu besuchen. Er bat deßwegen den König, ihm diese kleine Entfernung auf ein paar Monathe zu erlauben: Er hofte, die Sachen würden sich mittlerweile bey Hofe näher zum Ziel legen, und die aufgebrachte Gemüther etwas von ihrem Eifer gegen ihn fahren lassen. Die Gräfin von Monteras betrübte diese abermahlige Scheidung des Grafens nicht wenig: Sie tröstete sich aber mit derselben Nothwendigkeit: Sie wuste, daß die grosse Eigenschaften ihres Geliebten noch einen höhern Beruf hatten, als nur einen vollkommenen Liebhaber in dieser Welt abzugeben.

Der Graf kam glücklich nach Alpina. Er fand hier einen verwirrten Zustand; man wuste nicht eigentlich, wer in diesem Ort zu befehlen hatte: Bald herrschte der Rath, bald das Volck, bald beyde zugleich: Zwietracht, Mißtrauen und Unordnung aber beständig.

Die bequeme Lage der Stadt zur Handlung, und die Freyheit so wohl in Glaubens- als Bürgerlichen Sachen, hatten ehedessen viele Menschen dahin gezogen: Es fanden sich darunter sehr wohlhabende und begüterte Leute: Es wurden allerhand Fabricken angelegt, und starcke Handelschaften getrieben: Das gemeine Volck bekam dadurch Nahrung, und wurde von dem müßigen Leben, dem es zuvor [491] ergeben war, zur Arbeit gebracht; Allein Hochmuth, Neid, Religions-Haß, Uppigkeit und Unordnung nahmen in kurtzer Zeit daselbst, aus Mangel guter Policey, dergestalt überhand, daß dadurch der Zustand zu Alpina desto gefährlicher wurde, je mehr er an Kräften und Menschen zugenommen hatte; nicht anders, wie die vollblütige Cörper, welchen die Kranckheiten immer tödtlicher zu seyn pflegen, als andern.

Dieser Ort stund mit den Sequanern im Bündniß, welche von mehr als drey hundert Jahren her ein frey es Volck ausmachten; Die aber, weil sie von demselben entfernet lagen, ihn nicht sonderlich schützen konten. Er sah sich demnach öfters gezwungen, seine Zuflucht zu dem König von Aquitanien zu nehmen, und durch dessen Schutz sich gegen die gewaltsame Einfälle der benachbarten Sabloneser sich zu halten. Alpina gräntzte zugleich an Aquitanien, und hatte demnach seine Freyheit mehr der Eifersucht dieser beyden mächtigen Staaten, als seiner eigenen Verfassung zu dancken.

Es äusserten sich damahls zu Alpina verschiedene zusammenstossende Ubel: Die Romaner hatten, auf Anhalten des Königs von Aquitanien, die Freyheit bekommen, sich in der Stadt Ringmauren einen Tempel zu erbauen. Die Geistlichen wurden dadurch aufgebracht: ihre Meynung war nicht über ihren Sprengel zu schreiten; aber eine neue Kirche bauen, sagten sie, das gehet uns an; wir [492] sind zu Wächtern in Israel bestellet; wir können darzu nicht schweigen, daß man diesen Feinden unseres Glaubens, eine öffentliche Kirche aufführen lasse.

Allowiß, ein junger ehrgeitziger Rathsherr, wuste, daß die Geistlichkeit den Pöbel stimmen konnte, wie sie wolte; Er suchte sich durch sie einen Anhang zu machen, und die oberste Stelle im Rath zu erlangen. Er gab deßwegen dem geistlichen Religions-Eifer Beyfall, und ließ sich öfters verlauten, daß, wo er in Alpina etwas mehr zu sagen hätte, die Sache mit den Romanern bald ein anderes Ansehen gewinnen solte: Dieser Allowiß war sonst ein Sohn des weisen Humfrids: Ein Mann, der sich ehedessen durch seine Redlichkeit und kluge Rathschläge um diese Republick sehr verdient gemacht hatte; Allein, die den Vätern anhangende Blindheit, ihrer Kinder Fehler zu unterscheiden, mochte auch dem alten Humfrid eigen gewesen seyn. Allowiß war überaus verzärtelt: seine gantze Erziehung war auf den Ehrgeitz gegründet, welche man ihm als die Eigenschaft grosser Leute angepriesen hatte; von den Gründen der Tugen wuste er nichts. Er meynte, man müste ihn, in Ansehung seines Vaters und seiner eignen Einbildung, allen andern seines gleichen vorsetzen; Er betrachtete die Bürger fast wie seine Unterthanen, und hatte einen kleinen Selbst-Herrscher im Kopf.

[493] Wie der Pöbel leicht zu bereden ist, so ist solches auch das weibliche Geschlecht. Wir leben in betrübten Zeiten, sprachen einige der eifrigsten Seelsorger: Die Romaner nehmen bey uns überhand: sie werden uns bald gar ausbeissen, und ihren Glaubens-Genossen, den Aquitanern, oder Sablonesern verrathen: Dieser so gefährlich lautende Bericht schlich von Mund zu Mund, von Ohren zu Ohren: Die Weiber sprachen davon in ihren Gesellschaften, und selten wurden die Carten ehender ergriffen, bevor der Artickel ausgemacht war, daß man die Romaner aus der Stadt jagen solte.

Eine verborgene Eifersucht hatte vielleicht an diesem harten Ausspruch auch ein wenig Antheil. Das Romanische Frauenzimmer kleidete sich wohl: Ihre Männer waren meistentheils Kauf-Leute, die durch einen hurtigen Gewinn auf einmahl viel Geld erworben hatten, und deßwegen eilten, sich ihres guten Glücks zu bedienen, weil es insgemein nicht lange dauerte; da ihm Gegentheil die alte Geschlechter auf ihre Erhaltung bedacht waren, und deßwegen sparsamer zu Marckte giengen.

Der Pöbel, von der Clerisey aufgehetzt, gieng endlich in seiner Wuth so weit, daß er den neu erbaueten Tempel der Romaner stürmte: Thüren und Fenster einschmiß, Stühl und Bäncke in Stücken schlug und das Altar plünderte. [494] Allowiß sah hier die gewünschte Gelegenheit vor sich, seinen Ehrgeitz zu vergnügen. Der Pöbel, welcher sich täglich zusammen rottete, verlangte, man solte den Romanern durchaus keinen offentlichen Gottesdienst verstatten, ihre Geistlichen aus der Stadt schaffen, und die Bürger gegen die Fremde schützen.

Der Rath wolte sich auf diese Weise keine Gesetze vorschreiben lassen: Er suchte sein Ansehen zu behaupten: Er ließ die Soldaten und die Bürgerschaft aufbieten, die vornehmste Posten in der Stadt besetzen und einige Stücke aus dem Zeughauß vor das Rathhauß pflantzen.

Die Bürger schlugen sich theils zu den Aufrührern, theils zu der Parthie des Raths: Jene klagten, man wolte sie um ihre Gerechtsame und um ihre Freyheit bringen: Sie sagten, der Rath war nicht befugt, die Soldaten, die er auf gemeiner Stadt Kosten unterhielt, gegen die Bürgerschaft zu gebrauchen; Der Rath hingegen betrachtete sie als Aufwiegler und Störer der gemeinen Ruh. Die Sache würde also übel für die Bürger abgelauffen seyn, wo sich Allowiß nicht zu ihrem Oberhaupt aufgeworffen hätte.

Dieser kam mit einigen vornehmen Herrn des Raths und des Adels, die ihm zugethan waren, auf das Rath-Hauß: Er ließ, ohne [495] einmahl einen Rath-Sitz abzuwarten, die Stücke wieder abführen und in das Zeughauß bringen. Er tröstete das daselbst versammlete Volck: Er versprach solches zu schützen und bey seinen Rechten und Freyheiten zu handhaben. Das Volck rief darüber ein frohes Vivat aus: Den folgenden Tag wurde er von wenig anwesenden Raths-Herrn, mittlerweil das Rath-Hauß vom Pöbel umgeben war, zum Stadt-Amtmeister erwehlet. Die andere Raths-Herrn waren, aus Furcht, man mögte sich an ihnen vergreiffen, zu Hause geblieben. Alle redliche Patrioten sahen, daß man dem gemeinen Wesen übel vorstund, da man aus einer niederträchtigen Furcht dem Allowiß die erste Stelle im Senat einräumte: Was wolten sie aber thun? Sie musten dem Sturm ausweichen und auf bessere Zeiten hoffen.

Hier gieng es der Alpinern, wie einem der an einem heftigen Fieber kranck gelegen, und dem ein unerfahrner Artzt solches auf einmahl, durch den starcken Gebrauch der China, vertrieben hatte. Die wütende Anfälle blieben aus; allein, ein schleichendes Ubel durchwühlte die Glieder, und drohete den gantzen Cörper mit der Auszehrung.

Allowiß suchte sich in allen Dingen bey dem gemeinen Volck gefällig zu machen. Den Romanern wurde der öffentliche Gottesdienst untersagt: Die Soldaten, welche in der Stadt [496] Sold stunden, wurden abgeschafft, und die Posten der Stadt mit Bürgern besetzt, die aus blossem Müßiggang Soldaten spielten, ihre Nahrung darüber fahren liessen, und weder Kriegs-Zucht noch Ordnung beobachteten.

Eine Menge von allerhand Fremden, welche sich bisher zu Alpina aufgehalten hatten, um der Freyheit und der Annehmlichkeit dieses Orts mit zu geniessen, wurden genöthiget von dannen weg zu ziehen: weil man ihnen Schuld gab, daß sie nur Theurung in der Stadt verursachten und die beste Bissen den Bürgern vor dem Mund wegspeisten. Es hieß: sie trügen keine Lasten, und wären von allen Anlagen frey. Man dachte nicht, daß Leute, die nichts thaten, als daß sie das Ihrige verzehrten, der Stadt Nahrung brachten, und den Umlauf des Gelds befördern halffen, welches gleichsam die Seele der gemeinen Wolfahrt ist.

Viele von dem fremden Adel hatten sich zu Alpina an die reichste Töchter verheyrathet. Diesen kam es nicht sauer an, mit ihren Männern einen Ort zu verlassen, der auf einmahl begunte einsam und traurig zu werden. Man merckte bald, daß die reiche Einwohner daselbst sehr abnahmen. Man schenckte also, um diesen Verlust zu ersetzen, vielen nichtswürdigen Leuten das Bürger-Recht, und vermehrte durch sie und ihre Kinder den Anwachs [497] der Armen-Häuser und Hospitäler. Nahrung, Geld und Uberfluß gieng damit aus der Stadt; Mangel, Noth und Elend aber blieben zurück.

Die Ergötzlichkeiten verlohren sich von sich selbst: man sah weder Sing- noch Lust-Spiele mehr; Die Schau-Bühne, die durch ihre lebhafte und rührende Vorstellungen viel Lehrreiches hatte, wurde geschlossen. Die Dichter, die Redner, die Mahler, die Sängerinnen und Virtuosen, wurden arm, und musten ihr Brod an andern Orten suchen. Die Music wurde kaum noch in den Tempeln gehöret. Die grosse Versammlungen des Adels versperrten nicht mehr die Strassen durch die Menge ihrer Gutschen. Die Spatzier-Gänge waren leer: alle Freyheit, alle Anmuth, aller Umgang schien aufgehoben zu seyn. Die Reisende fanden in Alpina nichts mehr, das sie bewegen konte, den Ein wohnern etwas von ihrem Geld zu hinterlassen, und sich bey ihnen länger als einen Tag aufzuhalten.

Die Ritter-Schule, die nicht allein jährlich eine grosse Anzahl des benachbarten und fremden Adels, nebst anderer wohlhabender Leute Kinder in die Stadt zog, wurde, wo nicht aufgehoben, doch so elendig und mit so schlechten Leuten bestellet, daß sie von sich selber eingieng. Auf der Reit-Bahn sah man kaum noch ein Paar alte steiffe Pferde, zum [498] Andencken, daß ehedessen allda eine Schul gewesen sey. Das Tanzen hielt man für sündlich, die Music für zu weichlich, das Fechten für gefährlich, das Mahlen für eitel; die Sprachen und schöne Wissenschafften aber für unnöthig.

Indem man also von diesen Dingen urtheilte, hatte man nicht gantz unrecht, die Art und der Endzweck, wie und worzu man eine Sache gebrauchet, macht dieselbe entweder gut oder böß. Es sind in allen diesen Dingen gewisse Vortheile vor die Gesundheit, und für die Geschicklichkeit des Leibes; für die Wohlanständigkeit der Sitten, und für eine vernünfftige Gemüths-Ergötzung; die aber allesamt durch ihren verkehrten Gebrauch böse, ja überaus böse werden können.

Man sah also in kurtzer Zeit diesen Ort zwar gantz orthodox: allein zugleich auch in völliger Abnahme: Handel und Wandel lag darnieder; der Müssiggang und die Trägheit verdarben vollends die Einwohner. Man besuchte die Kirchen mehr aus Langerweil, als aus Andacht; Man betrachtete die Geistlichen wie die Spielenden, welche ihre Rolle auswendig lerneten. Man lobte an dem einem die gute Stimme, an dem andern das herrliche Gedächtnüs, und an dem dritten die grosse Gelehrsamkeit: weiter spührte man davon keinen Nutzen in dem gemeinen Leben. Die Leute wurden weder frommer noch tugendhaffter. Was die Obrigkeit [499] nicht strafte, hielt man für keine Sünde. Unter der Larve einer äusserlichen Ehrbarkeit versteckte die Heucheley die gröste Laster. Die Jugend formirte sich nach dem Beyspiel der Alten: und die Auferziehung war eine Wissenschaft, darauf sich niemand legte: die guten Sitten waren aus der Mode gekommen. Man war ehrsüchtig, ohne wahre Ehre, und geizig, ohne den Nutzen der zeitlichen Güter zu kennen: man wuste weder was man mit dem Geld, noch was man mit der Zeit machen solte. Alle Ergötzlichkeit der Alpiner bestund nur in Essen und Trincken. Diese Lust wurde von ihnen so weit getrieben, daß sie darüber theils faul und liederlich, theils seltsam u. hypochondrisch wurden. Man sah fast nirgend mehr ein gesundes Blut, einen muntern Geist und ein vergnügtes Herz.

In den Häussern der Reichen fanden sich kleine Apothecken, magere Cörper und fette Küchen. Kam man auf die Strassen, so begegneten einem allenthalben arme, elende und gebrechliche Menschen, welche wie die Schatten auf den Gräbern herum wanderten. Wo sich jemand ein wenig wohl gekleidet sehen lies, da verfolgten ihn die Bettel-Leute von einer Thür bis wieder zur andern.

Es waren auch Juden in der Stadt, welche in einer besondern Strasse wohnten, und sich vom Betrug näherten, weil man ihnen kein ander Handwerck erlaubte. Ihre Nahrung gieng schlecht: sie lebten kümmerlich: sie übertraffen [500] an Unreinigkeit auch die heßlichste Thiere, und regten sich in ihrem Koth und Unflat, wie das Ungezieffer in den Morästen; trauriger Anblick von Creaturen, welche die Natur wie uns zu Menschen gemacht hat.

Der Adel verrostete mit dem Glanz seiner Ahnen: er war zu seinem Unglück so unwissend als hochmüthig. Die Armuth druckte ihn, wie den gemeinen Burger; sein Vermögen steckte in Land-Gütern und Häussern. Jene trugen nichts mehr ein, und diese stunden theils leer, theils gaben nur schlechte Zinnsen. Alpina schien noch etwas von aussen; inwendig aber glich es einem krancken Baum, der seine letzte Kräffte noch in die schwancke Aeste trieb. Es war den Einwohnern von der Glückseligkeit ihrer Freyheit schier nichts übrig, als die Freyheit zu verderben.

Die Stadt-Beamte, die Geistlichen, die Reches-Gelehrten und die Aertzte waren bey nahe die einzige, welche die gemeine Noth noch verschonte: die erste zogen ihre Besoldungen beständig fort, und die andere näherten sich von dem allgemeinen Elend. Die Trägheit machte die Menschen kranck, und die lange Weile haderhafftig. Die Processe gehörten mit zu dem wichtigsten Zeit-Vertreib der Alpiner: ihr Müssiggang machte sie darinnen zu ihrem Verderben subtil, und ihre Zancksucht veranlaste täglich neue Entdeckungen in der Römischen Rechts-Gelahrheit.

[501] Der Rath war unter sich in verschiedene Banden zertheilt, und die Burgerschafft wuste selbst nicht recht, was sie wolte. Einer hatte diese, ein anderer jene Anschläge. Man kam zusammen, man sprach von der allgemeinen Noth: ein patriotischer Eifer wolte durchdringen: ein jeder aber hatte dabey etwas zu erinnern: der Widerspruch erhitzte die Gemüther: man disputirte, man zanckte und gieng im Tumult wieder aus einander. Diejenige, welche auf den Aemtern sassen, machten sich unterdessen diese Umstände zu Nutz: sie fischten im trüben: sie nahmen das Geld ungezehlet, und sparten sich dadurch die Müh solches zu verrechnen. Man verkauffte die Ehren-Stellen wie das Recht; und wer einen guten Dienst haben wolte, der muste ihn bezahlen: dargegen dorffte er auch wieder allen Nutzen davon ziehen, welcher möglich war, ohne jemand Rechenschafft darüber zu geben.

In diesem Zustand war Alpina, als der Graf von Rivera daselbst ankam. Man hatte in den Pallast des verstorbenen Allowiß eingeräumt. Der Graf bewunderte dessen Pracht und sinnreiche Bau-Art: er urtheilte daraus, daß ehedessen an diesem Ort vortreffliche Künstler und Bau-Leute musten gewesen seyn.

Der sämtliche Rath und die vornehmste Häupter der Bürgerschafft bewillkommten ihn mit grossen Ceremonien. Man setzte ihm eine Wache von vierzig Burger vor das Hauß. [502] Diese kamen zwar mit ansehnlichen Befehlshabern aufgezogen; allein die bewafnete Männer selbst sahen so betrübt aus, daß sie den Grafen zum Mitleyden bewegten: ihm dünckte, daß sie sich besser in die Hospitäler als zur Parade schickten. Der Graf wolte deswegen ihre Aufwartung doch nicht verschmähen: er sann vielmehr auf Mittel, wie er sie ein wenig erquicken, und ihnen etwas zu gute thun möchte.

Der Rath hatte ihm gewisse Gelder zu seiner Unterhaltung angewiesen. Diese wurden darzu angewandt, seine täglich abwechselnde vierzig Mann in einem grossen Saal mit einander zu speisen, und den bedürfftigsten mit heimlichen Allmosen beyzuspringen. Er setzte sich zuweilen zu ihnen, und hörte ihre Klagen an. Er gab ihnen bey dieser Gelegenheit allerhand gute Lehren, er ermahnte sie zur Bescheidenheit, zum Fleiß, zur Ordnung und zum Gehorsam gegen ihre vorgesetzte Obrigkeit.

An seiner Tafel speißten täglich die ansehnlichsten Leute, so wohl aus der Burgerschaft, als aus dem Rath. Einige Geistlichen wurden gleichfalls mit darzu gezogen: Der Graf ehrte und liebte diese Leute ungemein, wenn sie nebst ihren Wissenschaften und Einsichten in göttlichen Dingen, auch selbst sich zu Exempeln guter Lehren dem Volck darstellten: er wuste die Wichtigkeit ihres Amts, und daß sie dadurch die beste Gelegenheit hatten das Gute zu befördern.

[503] Es fand sich unter den Rathsherrn ein nichtswürdiger Mann: Er wolte gern reich und vornehm seyn. Das Glück und die Geburt hatten ihm solches versagt: er war von schlechtem Herkommen; er hatte keine Mittel. Dagegen hatte ihm die Natur einen verschmitzten Kopff und ein verrätherisches Hertz gegeben. Er wurde von niemand hochgehalten, destomehr aber hielt er von sich selbst: er wuste um alle Geheimnüsse des Staats, und mengte sich in alles. Er wolte bey dieser Gelegenheit Alpina dem König von Aquitanien in die Hände spielen; Er eröffnete darüber seine Vorschläge dem Grafen von Rivera. Dieser berichtete zwar dessen treulose Anschläge noch Hofe, um sich in keine Verantwortung zu setzen; er fügte aber sein redliches Bedencken mit bey: warum er nicht rieth, sich dermahlen des Staats von Alpina zu bemächtigen: Es heist sonst, man liebet die Verrätherey und hasset die Verräther: der Graf aber hasset beyde. Er wolte seinen König nicht zu einem Herrn eines kleinen Staats machen, der in seiner äussersten Noth die Zuflucht zu ihm genommen hatte, und dessen Bemächtigung ihm neue Unruh und neues Mistrauen von Seiten seiner Nachbarn würde zugezogen haben. Er sann vielmehr auf Mittel den armen Alpinern seines Königes Schutz und Hülfe auf eine Art, wie sie solche von ihm wünschten angedeyen zu lassen.

In diesen Absichten setzte er seine Unterhandlungen so wohl mit den Abgeordneten des [504] Raths, als der Burgerschafft fleissig fort; er konte aber so verschiedene wieder einander lauffende Rathschläge, darunter ein jeder nur seinen eigenen Nutzen suchte, unmöglich mit einander vergleichen, noch alle insbesondere vergnügen.

Er ließ deßwegen die Vornehmste von der Burgerschafft zusampt dem Rath zusammen auf das Rathhauß kommen. O ihr Bürger von Alpina, redete er sie an, ihr köntet die glücklichste unter den Einwohnern des Erdbodens seyn, wenn ihr eure Glückseligkeit erkennen, und die einfältigste Mittel gebrauchen woltet, sie zu erhalten. Ich sehe aber, daß meine bisherige Rathschläge lange nicht zulänglich sind, einen jeden unter euch vollkommen zu vergnügen: ich finde solches unmöglich. Es ist also hier die Frage, ob ihr die Unterhandlung deßwegen abbrechen, und euch eurem weitern Schicksal, bey euren fortdauernden Mißhelligkeiten überlassen; oder, ob ihr gutem Rath folgen, und eure gemeine Wohlfarth besorgen wollet? Der Graf schwieg hierauf still, um zu vernehmen, wessen man sich gegen ihn erklären würde. Man stimmte endlich mit einander ein, daß man alles dessen kluger Einsicht überlassen wolte: Der Graf bat sich darauf einige Bevollmächtigten aus, mit welchen er die Sache zum Schluß bringen könte.

Diese wurden bald gewehlt: der Graf gab keiner Partheylichkeit Gehör: seine Vernunfft [505] durchdrang eine Sache bis auf den Grund: er lies sich kein Blendwerck vormachen; er suchte Frieden zu stifften: dieser findet sich leicht, wenn man ihn verlanget.

Man legte die alte Verfassung, welche den Staat in Aufnahm gebracht hatte, zum Grund der neuen Einrichtung: die Ordnung der Haußhaltung und der verrechneten Dienste wurde sicher gestellt: Handel und Wandel von allen ausserordentlichen Auflagen befreyet: dem fremden Adel, wie auch Gelehrten, Künstlern und andern Leuten, die keine bürgerliche Handthierung trieben, wieder erlaubet, ohne bürgerliche Lasten zu tragen, sich in der Stadt aufzuhalten: die Gewissens-Freyheit verstattet: eine gewisse Anzahl regulirter Soldaten zu halten beschlossen: Kirchen-Policey-Kleider-Gesind und andere gute Ordnungen einzuführen gebilliget. Damit man aber hinfüro bey allen und jeden sich ereignenden Mißverständnüssen, nicht mehr nöthig haben möchte, Rath und Hülffe bey den Nachbarn zu suchen, und dieselbe von der Schwäche ihrer Stadt zu unterrichten; So solten hinfüro beständig vier der redlichsten und klügsten Männer, von der sämtlichen Bürgerschafft als Schieds-Richter darzu erwehlet werden.

Auf diese Weise wurden die unglückselige Zwistigkeiten zu Alpina durch die Sanfftmuth und Weißheit des Grafens von Rivera glücklich beygelegt; und dessen Wohlstand wieder auf [506] einen sichern Grund gesetzt. Die Alpiner betrachteten den Grafen als ihren Schutz-Gott, und stiffteten ihm ein unsterbliches Andencken in ihren Geschichts-Registern. Er hatte in seinem Herzen dafür dasjenige Vergnügen zur Vergeltung, welches grosse Gemüther empfinden, wann sie etwas gutes zu Stand gebracht haben.

Das siebenzehende Buch

Das siebenzehende Buch.

Der Graf von Rivera besuchte auf seiner Rückreise von Alpina seine Frau Mutter und den Herrn von Bellamont; seine älteste Schwester aber nahm er mit sich nach Panopolis; diese Gräfin war ungefähr dreyssig Jahr alt: sie besaß dem ungeacht noch allen Liebreitz der Jugend, und hatte dabey die Klugheit eines reiffen Alters. Die gezwungene Verstellungen ihres Geschlechts, damit es öffters einen scheinheiligen Eckel gegen das Heyrathen vorschützet, waren nicht die Ursachen ihres ledigen Standes: sie urtheilte davon mit Vernunfft, und schätzte sich für glücklicher ihre Freyheit einem Stand vorzuziehn, welchen die meiste Menschen mit Verlangen suchen und mit Unzufridenheit beleben.

Die Gräfin von Monteras empfand ein ungemeines Vergnügen, diese Tugend-volle [507] Schwester ihres geliebten Grafens bey sich in Prato zu sehen. Sie war seit dessen Abwesenheit nicht nach Hofe kommen. Nun aber wolte der König, daß ihre Vermählung mit dem Grafen nicht ferner solte ausgesetzt bleiben. Der Graf selbst begunte endlich nach dem glückseligen Augenblick zu seufzen, der ihn mit seiner Geliebten durch ein unzertrennliches Band auf ewig verknüpffen solte.

Es waren unterdessen, daß der Graf zu Alpina sich befand, der Cammer-President und der Staats-Secretarius mit dem Hertzogen von Sandilien dergestalt verfallen, daß sie sich von Hofe entfernen und ihre Aemter in des Königs Hände zurück geben wolten. Der Graf aber schlug sich ins Mittel: er wuste, wie nöthig diese beyde Ministers dem König waren: er suchte sie deshalben wieder auf gute Meynungen zu bringen: er stellte ihnen vor, wie leyd es ihm wär, daß er zu diesem Mißverständnüs Anlas gegeben hätte, und daß er nichts mehr wünschte, als ihre Weißheit und ihre Erfahrung sich zu Nutz zu machen. Er bat sie deswegen sich die Mühe zu nehmen, und die von ihm dem König übergebene Vorschläge von Punct zu Punct mit ihm durchzugehen.

Die konten ihm wohl dieses nicht abschlagen: sie erklärten ihm ihre Zweiffel: ihre Schwierigkeiten, und was sie sonst dabey zu bedencken hatten. Der Graf nahm allhier die [508] Stelle eines Menschen, der nur wolte unterrichtet seyn; er besaß aber die Kunst sich zu erklären und richtige Schlüsse zu machen. Es war bey ihm kein Eifer eines hitzigen Widerspruchs, der die Einbildung derer, die sich für klüger hielten, beleidigen konte: er gönte andern diesen Vorzug, wann nur die Wahrheit und Aufrichtigkeit nicht darunter litte: durch diese bescheidene Aufführung gewann er endlich den völligen Beyfall obberührter Staats-Minister, ohne welche der Graf nichts mit Nachdruck hinaus zu führen sich getrauete.

Mit dem Groß-Cantzler aber wolte der Graf nichts zu thun haben: er wuste, daß er ein falscher und boshafftiger Mann war; Es war ihm unmöglich sich vor solchen Leuten zu schmiegen: selbst die Höflichkeit, die ihm sonst natürlich war, hatte hier etwas zurückhaltendes und fiel ihm schwer: so wenig konte der Graf heuchlen, und ein so schlechter Hofmann war derselbe, wann er sich ein wenig verstellen solte.

Den Groß-Cantzler verdroß diese Aufführung des Grafens: er war gewohnt, daß man sich vor ihm demüthigte, und alle seine Handlungen mit den grösten Schmeicheleyen erhub. Der Graf war dazu nicht geboren: die Natur hatte ihn zu einem redlichen Mann gemacht, und die Religion überzeugte ihn, daß man in allen Umständen des menschlichen Lebens aufrichtig seyn müste.

[509] Der Groß-Cantzlar unterließ dargegen nicht dem Grafen bey aller Gelegenheit die Wirckungen seines heimlichen Grolls zu erkennen zu geben: Er tadelte alle seine Unternehmungen, und hatte bald an seiner Aufführung, bald an seinen Meynungen etwas auszusetzen: Er that solches mit einer sehr spitzfindigen und heimtückischen Art: Dem Grafen wär es ein leichtes gewesen, ihn dafür in des Königs Ungnade zu bringen; allein sein großmüthiges Hertz war so weit entfernet, die Ursach an eines Menschen Unglück zu seyn, daß er vielmehr den König bat, diesen alten Minister die wenige Zeit, die derselbe noch zu leben hätte, bey seinen Würden und Einkünften zu lassen; doch rieth er dabey, dessen Macht und Ansehen dergestalt einzuschräncken, daß sie den guten Absichten des Königs nicht hinderlich seyn mögten.

Mittlerweile, daß diese Sachen bey Hofe vorgiengen, ereignete sich mit der Gräfin von Monteras ein artiger Zufall. Die Königin hatte sich schon einige Wochen zu Bellahai aufgehalten, und der König belustigte sich mit der Jagd auf der Einsiedeley: Sie suchte hier von der vielen Unruh des Hofs ein wenig sich zu erholen und ihr eigen zu seyn: Alle Damen, die von Panopolis sich meldeten, um ihr die Aufwartung zu machen, wurden zurück gewiesen. Es hieß, die Königin war unpäßlich, und ließ niemand vor sich: In der That so befand sie sich auch nicht wohl: [510] Ihr übel Aufbefinden aber war ein Zeichen von etwas Guts: Sie trug die Hofnung des gantzen Reichs unter ihrem Hertzen. Die Königinnen haben in dergleichen Sachen keine Freyheit von der Natur, um weniger als andere Frauen zu leiden.

In diesen Umständen da die Königin niemand, als ihre Vertraute, die Frau von Riesenburg, oder wie man sie nannte, die Marggräfin von Luccaille, um sich hatte; und diese ihr immer von den liebenswürdigen Eigenschaften der Gräfin von Monteras so vieles vorsagte; bekam dieselbe eine ungemeine Begierde, die Gräfin bey sich zu sehen: Die Marggräfin muste demnach ihr schreiben, und sie bitten, daß sie die Königin mögte besuchen kommen. Mit dem Zusatz, daß dieselbe gantz alleine zu Bellahai sich befänd, und daß der König von ihrem Zuspruch nichts erfahren solte.

Die Gräfin von Monteras kam: Die Königin empfieng sie mit allen Merckmahlen einer besonderen Hochachtung: Sie hatte ein Vergnügen, bey ihr den beschwerlichen Rang der Hoheit abzulegen, und die Freundschaft dieser Schönen auf die natürlichste und aufrichtigste Art sich auszubitten. Die Gräfin konte dargegen ihrem Hertzen den edlen Hochmuth nicht verwehren, sich in diesem Stück ihrer Königin gleich zu stellen, und ihr eine solche Erkenntlichkeit zu zeigen, die dasjenige [511] schien gleich zu machen, was die Königin voraus hatte, und sie selber hätte haben können. Je länger sie beysammen waren, je mehr sie sich einander gefielen. Die Königin hatte ihr und der Marggräfin von Luccaille ein Bett in ihrem Cabinet eingeraumet; worinn sie sonst in Abwesenheit des Königs, wegen der lieblichen Aussicht, selbst zu schlafen pflegte.

Der König belustigte sich unterdessen noch immerfort auf der Einsideley; als aber drey bis vier Tag herum waren, da er die Königin nicht gesehen hatte, sagte derselbe Abends spät zu dem Grafen, daß er mit ihm in aller Stille, ohne daß es seine Leute gewahr würden, nach Bellahai fahren solte; weil er ein Verlangen hätte, die Königin allda im Schlaf zu überfallen. Der Graf ließ zu dem Ende die Pferd vor seinen Wagen spannen, und that, als ob er allein nach dem Abend-Essen wegfahren wolte. Der König war von der Tafel aufgestanden: man begleitete ihn nach seinem Schlaf-Gemach, und ein jeder begab sich zur Ruh; Der König aber, an statt sich zu Bett zu legen, setzte sich mit dem Grafen in die Gutsche, und fuhr mit ihm nach Bellahai.

Der König stieg mit dem Grafen vor dem [512] Schloß-Hof ab: Er gieng gantz leise durch die Vorzimmer der Königin; Einige Trabanten und Cammer-Bedienten, welche die Wache hatten, und theils auf den Stühlen eingeschlafen waren, liessen den König ungehindert fortgehen. Der König kam bis ins Cabinet, er vermeynte die Königin durch einen Kuß aufzuwecken. Indem aber hörte er, mit einer ängstlichen Stimme, sich entgegen ruffen: Ach! der König, der König! Er fühlte zugleich einen Arm, der ihn mit der grösten Heftigkeit von sich stieß: Der König zog damit den Vorhang weg, und erblickte die Gräfin von Monteras: Man urtheile von ihrer beyden Bestürzug.

Die Marggräfin von Luccaille, die gleich auf den ersten Schrey der Gräfin munter wurde, richtete sich hurtig auf, und erkannte den König; Sie konte über diesen Zufall sich des Lachens nicht enthalten. Der König wuste für Verwirrung nicht, was er sagen solte; Er konte sich erst gar nicht einbilden, wie die Gräfin von Monteras allhier in der Königin Bett gekommen sey. Er wolte wissen, wie dieses zugieng, und wer ihm dieses Spiel gemacht hätte. Die Marggräfin versprach ihm alles zu erzehlen, nur bat er ihre Schlaf-Gesellin, welche sich unterdessen gantz unter die Küssen versteckt hatte, nicht ferner durch seine Gegenwart zu ängstigen. Die Königin wurde durch diesen kleinen Lermen aufgeweckt. Einige Cammer-Frauen waren gleich bey der Hand, [513] und wiesen den König zurecht. Die gantz erschrockene Gräfin von Monteras ließ sich darauf ein wenig ankleiden, und mit Zittern in das Gemach der Marggräfin von Luccaille bringen.

Die Königin vermerckte bey dem König über diesen Zufall eine starck aufgebrachte Gemüths-Bewegung. Wenn das Hertz einmahl gewohnt ist, über gewisse Sachen gerührt zu werden, so kan es dergleichen Eindrücke auch nur durch die Länge der Zeit und durch die Macht anderer Vorwürffe verliehren. Der König war besorgt, die Königin möchte seine Verwirrung wahrgenommen haben, und sich darüber unangenehme Gedancken machen: Die Königin aber that, als ob sie sich deßwegen gantz nicht beunruhigte; Sie schertzte vielmehr mit dem König, und wolte, daß er ihr verbunden seyn solte, weil sie ihm die Gelegenheit gemacht hätte, bey der schönen Gräfin von Monteras einen unschuldigen Kuß so wohl anzubringen.

Der Morgen kam herbey: die Marggräfin von Luccaille, welche die Nacht über so wenig als die Gräfin von Monteras geschlafen hatte, schickte, so bald sie beyde angekleidet waren, zu dem Grafen von Rivera, und ließ ihn bitten, gleich zu ihr zu kommen. Sie wolte hier den Grafen ein wenig zum besten [514] haben, sie bat zu dem Ende die Gräfin, sich hinter den Vorhängen des Bettes zu verbergen, und ihr Gespräch mit dem Grafen anzuhören. So wenig auch der Gräfin ihr Sinn zum Schertzen gestellet war, so muste sie doch hierinn der Marggräfin zu Willen seyn.

Als der Graf von Rivera ins Zimmer trat, fragte ihn die Marggräfin, ob er die Gräfin von Monteras lange nicht gesehen, und was er von ihr für Nachricht hätte? Dieser antwortete: Er wär vor acht Tagen in Prato bey ihr gewesen, und wüste auch, daß sie allhier bey der Königin ihre Aufwartung gemacht hätte: Morgen gedächte er sie wieder zu besuchen. O kaltsinniger Liebhaber! rief hier die Marggräfin aus. Wenn ich die Gräfin von Monteras wär, ich wolte sie nicht halb so viel lieben. In acht Tagen sich nicht nach einer Geliebten zu erkundigen, welche binnen dieser Zeit die gröste Gefahr ausgestanden hat, in eines andern Hände zu gerathen, solches ist in der That eine Unachtsamkeit, die einem so getreuen Liebhaber, wie der Herr Graf seyn wollen, kaum für gut zu halten ist.

Der Graf veränderte über diese Nachricht die Farbe: Wie, sprach er gantz bestürtzt, ist meiner Gräfin etwas ungleiches wiederfahren, und wer solte sich wohl unsterstanden haben, ihr etwas zu Leid zu thun? Nichts zu Leide, unterbrach die Marggräfin, sondern etwas zu Liebe; denn es ist so weit gekommen, daß[515] sie der König schon wircklich in seine Arme gefaßt und ihr einen Kuß geraubet hat.

Wie! fragte hier der mehr als bestürtzte Graf. Wie! der König: Ich bin ja keinen Augenblick, seit dem von ihm gewesen, als im Schlaf: und eben im Schlaf, fuhr die Marggräfin fort, hat sich diese Begebenheit mit der Gräfin zugetragen. Was mögen doch Ew. Gnaden, sagte hierauf der Graf zu der Marggräfin, für Ursach haben, so unbarmhertzig mit mir zu schertzen? Sie wissen, wie zärtlich ich die Gräfin liebe: Das ist, erwiederte jene, davon ein schlechtes Kennzeichen, daß sie nicht einmahl wissen, wo dermahlen ihre Geliebte sich befindet, und was ihr seit dem wiederfahren ist. Ich muß sie noch viel lieber haben; dann ihr Geist hat sich diese Nacht bey mir gezeiget, und mir alles erzehlet. Wenn sie nicht erschrecken wollen, so will ich ihn citiren.

Indem sie dieses sagte, und der Graf nicht wuste, ob die Marggräfin nicht einige Anfälle von einem hitzigen Fieber hätte: zog sie mit einem Stab einen Krayß: Komm, schöner Geist, sagte sie, ich beschwöre dich im Namen deines Geliebten zu erscheinen. Diese Worte waren noch nicht außgesprochen, so kam die Gräfin von Monteras hervor getretten: O! sprach sie, Marggräfin, ihr Schertz gehet zu weit: Hier ist nicht nur mein Geist, ich selbst bin hier zugegen.

[516] Der Geist dieser schönen Gräfin hätte dem Grafen nicht so bange gemacht, als ihre leibliche Gegenwart. Wie find ich sie hier, meine Gräfin? fragte er gantz furchtsam: was soll dieses Spiel bedeuten? die Marggräfin erzehlte ihm hierauf die gantze Begebenheit, welche ihm keines wegs so lächerlich schien; die Gräfin war darüber in gleicher Furcht und verlangte sehr wieder nach Prato zurück zu kehren.

Sie waren noch in dieser Uberlegung, als der König und die Königin zu ihnen ins Zimmer traten. Ich komme, redete der König die Gräfin an, sie um Vergebung zu bitten, daß ich sie diese Nacht in ihrer Ruhe gestöret; und damit solches nicht mehr geschehe, so befehl ich hiermit dem Grafen von Rivera, sich hinführo besser nach ihrem Schlaf-Gemach zu erkundigen.

Nachdem sich also der Schrecken bey der Gräfin von Monteras durch ein vergnügtes Lachen endigte, so wiederhohlte der König seinen Befehl, daß ihr Beylager ohne fernern Aufschuf vor sich gehen solte; die Gräfin beurlaubte sich damit bey dem König und der Königin, und reiste nach Prato; der Hof aber begab sich wenig Tage darauf wieder nach Panopolis.

Es ereignete sich um diese Zeit noch eine andere Begebenheit, welche dem Grafen Gelegenheit [517] gab, sein gutes und großmüthiges Herz zu zeigen: Der Cheruscische Edelmann, den er bisher bey sich gehabt, und in den wichtigsten Geschäfften gebrauchet hatte, wurde von den Annehmlichkeiten der jungen Fräulein von Bellamont, welche ihre Schwester, die Frau von Ridelo, bey sich erzogen hatte, dermassen gerühret, daß er für sie die allerstärckste Leydenschafft empfand; Er war mit dem Grafen in einem Hauß, wo er sie schier täglich zu sehen bekam, und sie blickte ihn mit solchen Augen an, daß er daraus schliessen konte, er müste ihr nicht gleichgültig seyn. Allein Ehrfurcht, Unvermögen und der geringe Stand, worinn er sich sah, erlaubten ihm keine Hofnung in dieser Liebe glücklich zu seyn. Der Graf, welchem er diente, hielt die Fräulein von Bellamont, wie sein eigen Kind: Der Herr von Ridelo, ihr Schwager, ob er gleich von Geburt nicht besser, als der Cheruscer war, besaß eine von den obersten Stellen bey Hofe, und lebte als ein grosser Herr. Diese Umstände machten den Cheruscer nicht wenig seufzen.

Er wurde aus dem lebhafftesten Menschen dermassen tiefdenckend, traurig und zerstreuet, daß der Graf, welcher ihn sehr liebte, dieser Veränderung an ihm bald gewahr wurde. Er sah ihn etlichmahl in Gegenwart der Fräulein von Bellamont dergestalt erblassen, daß es schien, als ob er sich übel befänd. Als nun der Graf dabey merckte, daß die Fräulein öfters [518] mit halb verstohlenen Blicken nach ihm hinsah, so hatte er das Geheimnüs weg.

Der Cheruscer war von gutem Adel, und aus dem Geschlecht derer von Cantwitz, allein von armen Eltern: Der Graf fand demnach bey dieser Sache nichts, das der Wohlanständigkeit einer Heyrath zwischen diesen jungen Leuten im Weg stehen solte. Er entschloß sich demnach sie beyde glücklich zu machen. Er schrieb darüber seine Meynung an seinen alten Freund, den Herrn von Bellamont, welcher alles seinem Gutdüncken heimstellte; als er aber auch der Frau von Ridelo dieses Vorhaben eröfnete, so fand sich diese dadurch gantz verschmähet. So wenig können die tugendhaffteste Frauen über den Gipffel ihrer Hoheit, und über das: was werden die Leute sagen! sich empor setzen. Der Cheruscer war ein Bedienter des Grafens; es schien ihr also empfindlich zu seyn, daß der Graf durch eine solche Heyrath ihre Schwester in die Gleichheit einer solchen Niedrigkeit ziehen wolte. Diesen Mangel der Ehrerbietung konte sie ihm kaum verzeihen; der Graf aber wuste sich dieserwegen artig an ihr zu rächen.

Ihr könt schweigen, mein lieber Cantwitz, sagte er einsmahls zum Cheruscer: jetzt aber solt ihr reden, und euch nicht scheuen, mir die Wahrheit frey zu bekennen. Saget mir, wie gefällt euch die Fräulein von Bellamont? Cantwitz erröthete über dieser Frage: Gnädiger [519] Herr, antwortete er mit einiger Verwirrung: die Fräulein ist unvergleichlich, wem solte sie nicht gefallen? es fehlt mir nur ein höheres Glück, so wolt ich sagen, daß ich sie liebte. Die Neigung zwar ist frey; allein, die Hofnung wär verwegen.

Ihr seyd, erwiederte der Graf, von Geburt nicht geringer, als die Fräulein von Bellamont: das Glück theilet die Würden und die Güter aus: ihr habt diese Vortheile noch zu gewarten. Ich werde mir daraus die gröste Freude machen, euch darzu den Weg an unserm Hof zu bahnen. Cantwitz wolte für diese großmüthige Erklärung dem Grafen die Hände küssen. Der Graf aber schloß ihn in seine Arme: Mein lieber Herr von Cantwitz, sprach er zu demselben, lasset uns hinführo als gute Freunde mit einander leben. Es wird sich alles schicken: zuvor aber wird es nöthig seyn, daß sie mir noch einige Umstände von ihrem eigentlichen Herkommen, und dem gegenwärtigen Zustand ihres Hausses erzehlen, damit ich allenfalls das nöthige darüber möchte antworten können.


* * *


Wenn man, gnädiger Herr, fieng darauf Cantwitz an, in meinen Umständen ist, so ziemet es sich nicht wohl, eines vornehmen Herkommens sich zu rühmen; ich müste ihnen sonst sagen, daß der Ursprung meines Geschlechts [520] gräflich sey; allein eine lange Folge von wiedrigen Zufällen und innerlichen Unruhen hat meine Vorfahren nach und nach so weit herunter gebracht, daß sie in der Gegend von Toscana, wo ehemahls die von Cantwitz ein grosses Land beherrschet haben, kaum noch etliche Edelhöfe und Meyereyen besassen. Ein abscheulicher Krieg, der über hundert Jahre lang schier beständig fortdauerte, und einen grossen Theil von Battavien verheerte, machte, daß mein Uhr-Großvatter seine Sicherheit in Britannien suchte. Er war aber nicht so bald von seinen Gütern entfernet, so trugen ihm solche nichts mehr ein: dessen wenige Baarschaften und Kleinodien, die er mit sich genommen hatte, waren nicht zulänglich, ihn Standsmässig zu unterhalten: Er wolte nicht der menschlichen Gesellschafft zur Last leben; noch aus einem närrischen Hochmuth lieber ein Hochadelicher Müssiggänger, als nützlicher Bürger seyn. Er war also der erste, welcher sich entschloß, gleich andern, die mit ihm ihr Vatterland verlassen hatten, den Rest seines Vermögens auf Handelschafft zu legen. Er suchte deswegen seine Güter in Battavien zu Gelde zu machen, und sich in Brittannien fest zu setzen: allein die Wuth des fortdaurenden Kriegs machte, daß die Land-Güter nichts galten: er und sein Sohn starben, und die Güter kamen noch bis auf meinen Vater; der sie endlich, nach dem alle Hofnung erlosch, daß jemahls das Land wieder an seine alte Regenten, und [521] zu seiner vorigen Freyheit gelangen würde, um ein geringes Geld verkauffte.

Mein Uhr-Großvater war in der Handlung glücklich: er hatte Schiffe auf der See gehen, und wurde ein sehr wohlhabender Mann: er hinterließ einen Sohn, der, weil er mehr Eitelkeit hatte, die Handlung niederlegte, und bey Hof in ziemlichen Ansehen lebte. Mein Vater wurde in allen Vorzügen des Adels auferzogen, und man betrachtete ihn als den Erben eines grossen Guts.

Ich muß hier die Schrancken des Wohlstandes überschreiten, und meinen Vater Ew. Gnaden als einen vollkommen ehrlichen Mann beschreiben: sein Ansehen war liebreich und grosmüthig: sein Verstand zeigte sich so wohl in seinen Wissenschafften, als in seiner gantzen Aufführung. Er hatte einen solchen Grund von Frömmigkeit, daß er sich auch scheute, die geringste Laster zu begehen. Er verband sich schon in seiner Jugend, es koste, was es wolle, weder von der Wahrheit, noch Aufrichtigkeit jemahls abzuweichen.

War mein Vater tugendhafft, so war er auch nicht weniger unglücklich, wann man anders einen Menschen unglücklich nennen kan, der mit Gelassenheit alle Widerwärtigkeiten dieses Lebens hat ertragen lernen, und der nach einem ruhigen Alter als ein Christ gestorben ist.

[522] Mein Vater war schon in seiner Jugend seiner Güte halben geliebt, bewundert und betrogen: Er war kein Verschwender: die Laster brachten ihn um nichts; Mitleyden, Redlichkeit und zu leichtes Trauen schier um alles.

Er hielt es mit der Parthey des Königs Camiris, nicht, weil sie die glücklichste war; sondern weil sie ihm die redlichste dünckte: weder die Aufführung der Grossen, welche dem Printzen Frido beypflichteten; noch der Eifer der Geistlichkeit, mit welcher sie den Hof und die Religion verwirrten, schien ihm aufrichtig und gerecht zu seyn: er redete dargegen nach seiner gewöhnlichen Freyheit und zog sich dadurch den Haß und die Verfolgung auf den Hals, welche insgemein dergleichen Offenherzigkeiten verursachen: Frido kam nicht so bald auf den Thron, welchen Camiris ihm einräumen muste, so fand mein Vater für sich in Brittannien keine Sicherheit mehr; er begab sich nach Albanien, und brachte ein stattliches Vermögen mit sich. Der König bediente sich seines Raths in verschiedenen Geschäfften.

Es war an diesem Hofe eine üble Haushaltung: die Unordnung herrschte in allen Ständen. Die Laster hatten das Ansehen der Artigkeit gewonnen, und die Tugend schien beynahe lächerlich. Mein Vater, den sein Eifer gegen das Böse, und die Redlichkeit das Gute zu befördern, allenthalben ausbrachte, [523] konte hier nicht schweigen. Er schalt auf die ruchlose Sitten: er tadelte die Unmässigkeit und Ausschweiffungen der Höflingen: er verachtete ihren närrischen Hochmuth, er heuchelte niemand. Er sprach mit dem König auf eine sehr freye Art; er bediente sich nicht der gewöhnlichen Hof-Schmeicheley, um dessen Laster zu Tugenden zu machen. Den König befremdete eine solche Freyheit, die ihm öffters gantz verwegen schien. Mein Vater kehrte sich daran nicht; er war bereit sein gantzes Glück einer Tugend aufzuopffern, die ihm die würdigste schien, die Eigenschafft eines ehrlichen Manns auszumachen.

Der König hatte immer Mangel an Geld: Er hatte Einkünffte genug; allein sie wurden zehenmahl gezehend, ehe sie in seine Coffer kamen; es waren zu viele Hände, durch welche solche durchgiengen: es blieb in einer jeden etwas kleben. Mein Vater hatte dem König vorgeschlagen, eine offene Banck, nach Art derjenigen in Groß-Brittanien, aufzurichten. Solches geschah. Er schoß darzu eine grosse Geld-Summe; die Sache schien einen guten Fortgang zu gewinnen: der König hatte alles unter seinem Siegel und Nahmen ausfertigen lassen, und verbürgte sich daselbst für die allgemeine Sicherheit. Die Capitalisten, welche in seinem Lande waren, hatten ein Vergnügen, ihre Gelder sicher unterzubringen, und solche in die Banck zu legen. Die Handlung, die Seefahrt, und der offentliche Credit wurden [524] dadurch stattlich befördert. Allein, es waren kaum sechs bis sieben Jahre verflossen, so ereignete sich ein Krieg: der König brauchte hurtig Geld: er griff darüber die Banck an: die Zahlungen fehlten; man gab den Leuten papierne Anweisungen: und als auch diese in kein geprägtes Gold oder Silber sich verwandeln wolten; so wurden sie mit Verlust verhandelt, und verlohren endlich gar allen Werth. Der König entschuldigte sich mit der Noth: und die Banck war damit aufgehoben: Mein Vater verlohr dabey einen grossen Theil von seinem Vermögen. Er nahm sich dafür die Freyheit dem König desto nachdrücklicher die Wahrheit zu sagen.

Wie der König keine Schulden zahlte, so folgten diesem hohen Beyspiel auch dessen vornehmste Bedienten: Es war nicht nur am Albanischen Hofe keine Schande mehr, wan man viel Schulden hatte, sondern man trieb die Großmuth daran auch so weit, daß man sich der Zahlung wegen im geringsten nicht bekümmerte: wer ordentlich haushielt, und noch ein wenig Geld hatte, der wurde als ein Geitzhals beschrien; wer aber sich und sein Haus aller Mittel entblöset, und halb vom Raub und halb vom borgen lebte, dessen edles Gemüth und grosse Freygebigkeit wurden mit Bewunderung erhoben. Man lebte also mit wenig Sorgfalt auf Unkosten der gemeinen Noth, und vermehrte solche unendlich durch die edle Furcht für der Kargheit.

[525] Was also der König meinem Vater noch gelassen hatte, nahmen ihm diese großmüthige Leute weg. Er fand kein Recht: Man hielt ihn für reich, und machte sich daraus eine Ehre, seine Schuldner, die liederlich waren, gegen ihn zu schützen. Es schien, als ob er sich mit seinem Geld nur die Verachtung der Menschen und den Haß derer, denen er geborget, erkauft hätte.

Er war an eine junge Dame verheyrathet, die Anfangs durch ihre Eitelkeiten und Verschwendungen den Grund seines Vermögens auch ziemlich mit aufrütteln half: Sie besaß viele Annehmlichkeiten: Sie war lebhaft, munter, schmeichlerisch, und kleidete sich überaus wohl. Mein Vater, der für sie die Nachsicht eines Liebhabers und die Gefälligkeiten eines Mannes hatte, der seine Frau nicht mißvergnügt sehen konte, ließ ihr machen, was sie nur wolte. Sie hatte den Fehler junger Leute, die von armen Eltern sind, und die deßwegen nicht wissen, was Geld ist, noch wie man solches zu verwalten pflegt: Es war ihr nichts kostbar und nichts schön genug, und wenn es auf das Zahlen ankam, so sprach sie: Ist es doch nur Geld? Worzu hat man solches, als um sich damit zu vergnügen?

Ein Zufall machte unterdessen bey ihr auf einmahl eine grosse Veränderung. Sie war mit einer Dame auf den grossen Platz spatziren gefahren, wo sich insgemein gegen Abend [526] viel hundert Gutschen versammleten, und die Schönen sich gleichsam in ihren besten Aufputz zur Schau herum führen liessen: Es war schon etwas dunckel, wie sie von dieser Dame nach Hause fuhr: Ihr Wagen war in Form eines Phaetons, rings herum offen, und oben nur mit einem kleinen Baldachin bedecket. Ihre funckelnde Diamanten, die an ihrem Halse hiengen, hatten sich bey dieser Gelegenheit einen Liebhaber erworben, welcher, da er ihren spielenden Reitzungen nicht widerstehen konte, einen kühnen Anschlag machte, diesen Schatz zu entführen: Er war dem Wagen nachgefolgt, und als die Diener bey dem Hause absprangen, um das Thor zu eröffnen, so wagte der Diamanten-Liebhaber einen frechen Sprung nach ihr, und riß ihr die Jubelen vom Halse; Weil aber solche sehr vest angemacht waren, so litt sie bey diesem Anfall solche Gewalt, daß sie der Dieb schier verdrosselt hätte. Man hub sie halb todt aus ihrem Phaeton. Der Thäter aber hatte sich unterdessen mit der Beute fortgemacht. Sie legte sich darauf zu Bette, und bekam ein hitziges Fieber.

Da sie besser wurde, bezeigte sie einen überaus grossen Eckel an allen Eitelkeiten: Sie wolte nur Geistliche um sich haben, und sprach von nichts als von Busse und Bekehrung. Mein Vater, der jederzeit eine reine Gottesfurcht in sich hegte, wünschte seiner Frauen zu diesen guten Regungen Glück, und dachte[527] nicht, daß sie auf einem so guten Weg sich verirren solte. Sie wurde aber darüber schwermüthig, und ließ sich bloß durch ihre aufgebrachte Fantasie regieren.

Es sind in Albanien so wie hier und anderer Orten gewisse Leute, welche nur diejenige allein für Kinder GOttes hatten, die sich aller Annehmlichkeiten dieses Lebens mit Fleiß entschlagen, und durch eine grausame Art, von Andacht und Gottesfurcht, den Leib siech, den Geist verwirret und das Hertz voll Kummer machen: Dieses Creutz, dieses Leiden, diese Verschmähung der Welt bemercken sie als Kennzeichen ihres wiedergebohrnen und bekehrten Zustandes; und betrachten im Gegentheil andere, die noch der Güter dieser Welt geniessen, wenn es auch gleich nach den Absichten des Schöpffers geschiehet, für Unglaubige. Diese Leute meldeten sich bald bey einer solchen nach ihrem Sinn bekehrten Frauen: Sie priesen ihren Zustand glückselig; allein, das gute Hertz meines Vaters wurde dadurch zum äussersten Mitleiden bewegt. Er sah, daß meine Mutter sich unpäßlich fand, und daß ein dickes Geblüt bey ihr der Grund einer verkehrten Andacht war; Er wünschte deßhalben, daß sie genesen, den reinen Eifer aber zur Tugend und zur Gottesfurcht behalten mögte.

Er faßte hierauf den Endschluß, sich mit ihr auf das Land zu begeben. Er hofte, ihre Gesundheit solte in einer frischen Luft, bey einer [528] täglichen Bewegung, und durch die verschiedene Abwechselungen des Land-Lebens, die so annehmlich als unschuldig sind, sich völlig wieder herstellen und ihr Gemüth zur vorigen Munterkeit gelangen. Er selbst war der Welt und ihrer Falschheit von Hertzen müde; und glaubte, er könnte nichts bessers thun, als wenn er eine Lebens-Art erwehlte, wo er GOtt in Ruh verehren und seine Kinder zur Weißheit und zur Tugend in einer glücklichen Entfernung von bösen Exempeln erziehen könte. Sein grosses Vermögen war ihm unterdessen durch oberwehnte Umstände dergestalt zusammen geschmoltzen, daß er Müh hatte, so viel noch zusammen zu bringen, als vonnöthen war, ein nur mittelmäßiges Land-Gut zu erkauffen.

Er wehlte sich solches unweit dem Hercynischen Wald, sechs Stunden von Calesia. Das Land, die Einwohner und ihre Lebens-Art schienen ihm nach seinen Absichten zu seyn. Das Schlößgen, so er bewohnte, lag auf einem Berg, und hatte hinter sich den Wald: Von fornen aber sah man ein grosses offenes Land, welches den Cheruscischen Fürsten zugehörte. Die Luft daherum war rein und gesund. Meine Mutter fand sich kaum einige Wochen hier, so war sie als eine verneuete Creatur: Muth und Kräfte kamen wieder; Die Aertzte künstelten nicht mehr an ihrer Gesundheit, und die Köche reitzten durch ihr seltsames Gemengsel nicht ferner einen Appetit, [529] der sich mit den naturlichsten und einfach zugerichteten Speisen begnügte. Wir hatten Fisch und Waydwerck: mein Vater gieng selbst und schoß die Braten im Wald, und meine Mutter machte sich die Muh solche zuzurichten. Sie lebten bey dieser Einfalt der Natur in süsser Ruh, und verlohren alle starcke Leidenschaften, womit sonst die Eitelkeit, die Ehrsucht, der Geitz und die unersättliche Begierde zur Lust, die Vornehmste unter den Menschen zu martern pflegen. So wenig als ehedessen meine Eltern bey Hof das Geld geachtet hatten, so genau musten sie nun auf ihrem Gut haußhalten; sie hatten zu leben, aber weiter nichts. Sie hinterliessen sieben Kinder. Davon ich das letzte bin. Unser Erbtheil war ihr Seegen; und das kleine Land-Gut, welches wir nicht in sieben Theile theilen konten, liessen wir dem ältesten Bruder.

Dieses war ungefähr die Nachricht von dem Herkommen und dem Geschlechts-Zustande des Herrn von Cantwitz.

Der Graf hatte noch nicht Gelegenheit gehabt diesen tugendhaften Cheruscer bey dem König bekannt zu machen: Er hatte wohl zu verschiedenen mahlen von ihm gesprochen und dessen Verdienste gerühmet; allein, der König hatte darauf weiter keine Gedancken geschlagen: Er suchte deßwegen demselben die Geschicklichkeit dieses Edelmanns näher ins [530] Auge zu stellen. Er beurlaubte sich auf acht Tage, um nach Prato zu gehen, und erhielt von dem König, daß der Cheruscer ihm dasjenige vortragen mögte, was in währender Zeit von Geschäften vorfallen dürfte.

Der Cheruscer that solches zu seinem grösten Vortheil: Die Natur hatte ihn zu einem Redner gemacht: Er war wohl gebildet: Die Jugend lachte noch aus seinen Augen: Seine Gebehrden waren edel und demüthig; Er hatte noch kaum das zweyte mahl dem König im Namen des Grafens von Rivera ein und anders Geschäfte vorgetragen, so war der König von ihm eingenommen: Er bewunderte die anständige Lebhaftigkeit seiner Reden so sehr, als seine Klugheit: Cantwitz, sprach er zu ihm: Ich hab ein gnädiges Wohlgefallen an euch, der Graf von Rivera hat mir die gute Dienste gerühmet, die ihr mir bißher geleistet habt. Ich mache euch zu meinem Cammer-Juncker, und werde auf eure fernerweitige Beförderung in meinen Diensten bedacht seyn.

Der Graf von Rivera empfand in dem Grund seines Hertzens eine solche Zufriedenheit, das Glück dieses jungen Edelmanns zu veranlassen, daß er daraus sein eignes schätzen lernte: Er achtete seine Verdienst vor nichts, so lang er nicht sah, daß er auch andern Menschen damit nützlich war. Man kan sagen, [531] daß darinn sein gröster Eigennutz bestund. Er verehrte dem neuen Cammer-Juncker ein schönes Gespann Pferde, nebst einem sehr netten Geschirr, und miethete zugleich für ihn eine schöne Wohnung, welche er mit gantz neuen Haußrath auf das zierlichste versehen ließ.

Die Gräfin von Monteras wurde unterdessen zu ihrem Vermählungs-Fest vier Tage zuvor eingeholet. Es waren über zwantzig Gutschen mit sechs Pferden bespannet, welche ihr entgegen fuhren: Sie kehrte in dem Pallast des Hertzogs von Sandilien ein, und wurde daselbst von den vornehmsten Herrn und Damen bewillkommet. Den folgenden Tag fuhr sie nach Hof. Der König sagte ihr mit der verbindlichsten Art von der Welt, daß er nun hofte Gelegenheit zu haben, die Treu des Grafens von Rivera zu belohnen und sie beyde seiner wahren Hochachtung zu überzeugen.

Den Abend darauf hatte der Graf von Rivera die Vornehmsten des Hofs, nebst den fremden Gesandten in des Herrn von Cantwitz Wohnung zusammen auf ein Musicalisches Sing-Spiel bitten lassen: Der König und die Königin erwiesen ihm die Ehre mit dabey zu erscheinen. Man fand die Zimmer des Cheruscers überaus niedlich aufgeputzt. Das gantze Hauß war mit Lichtern erhellet: Alles war neu, zierlich und wohl ausgesucht; Der Herr von Cantwitz erschien dabey als Wirth, in einer prächtigen Kleidung. Die [532] Frau von Ridelo und ihre Schwester, die Fräulein von Bellamont, wusten für Bestürtzung nicht, was sie sagen solten, da er sie beyde empfieng, und deßwegen sein Glück für vollkommen prieß, weil er die Ehre hätte ihnen in seiner Behausung aufzuwarten. Sie antworteten ihm, daß der Graf von Rivera sie in seinem Namen zu sich in diese seine neue Wohnung hätte bitten lassen, und daß sie also nicht verstünden, wie der Herr von Cantwitz ihren Zuspruch auf seine Rechnung zu nehmen beliebte: Der Graf war bald bey der Hand, als sich diese beyde Damen zeigten. Er wolte das Vergnügen haben, die Frau von Ridelo und ihre schöne Schwester in ihrer ersten Verwirrung zu sehen. Ich freue mich von Hertzen: redete er sie an, daß sie meinem Cheruscer die Ehre gönnen, die von ihm erbetene hohe Gesellschaft, durch die ihrige noch ansehnlicher zu machen. Es wird nicht lang währen, so wird er auch die Gnade haben, den König und die Königin hier bey sich zu sehen.

Die Frau von Ridelo stutzte über diese Anrede des Grafens noch mehr; doch, wie sie von einem durchdringenden Verstand war, so merckte sie bald, wo er hinzielte. Ich seh wohl, sprach sie, man will mir heute zeigen, was der Herr Graf von Rivera vermag. Die Frau von Ridelo hatte dieses noch kaum ausgeredt, so warf sich ihr die Gräfin von Monteras in die Arme. Liebste Freundin, sagte [533] sie zu derselben, gönnet heute meinem Grafen das Vergnugen, daß er euch sein gutes Hertze zeige; und glaubet, daß alles, was die Aufnahme eures Hauses und euer Vergnügen betrift, uns beyden hinführo wie unser eignes seyn wird.

Mehr konten sie sich einander nicht sagen. Es fanden sich noch immer mehr Personen ein: Die vier Zimmer des Herrn von Cantwitz wurden angefüllet: In einigen wurde gespielet: In dem Saal aber erklung eine vortrefliche Music: Die besten Virtuosen des Königs liessen sich dabey hören: Es wurden die artigste Lieder abgesungen. So wohl der König als die Königin fanden sich dabey ein, und bezeigten, ein hohes Wohlgefallen über die Großmuth des Grafens; weil sie wusten, daß er alles dem jungen Cheruscer und der Fräulein von Bellamont zu Ehren angestellet hatte. Sie begnügten sich nicht allein Zuschauer dieses Festes abzugeben, sondern speisten auch an einer kleinen Tafel, mit einigen wenigen Damen daselbst zu Nacht, worauf sie dem Ball mit beywohnten.

Die Liebe erhielt an diesem glücklichen Abend gantz besondere Vortheile: Der König warb selbst bey der Frau von Ridelo für den Cheruscer um ihre Schwester die Fräulein von Bellamont; und als diese Schöne von ihm um ihren Beyfall befragt wurde; so konte sie kaum dabey die Neigung ihres Hertzens verbergen, [534] dieser Gehorsam, sprach sie, kostet mich allzuwenig, Ew. Majestät die tiefste Ehrerbietung meines Hertzens zu erkennen zu geben.

Der Tag zu dem bestimmten Beylager des Grafens von Rivera mit der Gräfin von Monteras kam endlich herbey. Die Liebe des Cheruscers mit der Fräulein von Bellamont wurde zugleich mit glücklich gemacht: Der sinnreiche Pracht, die artige Lust-Spiele und die vielerley Feste, die darauf erfolgten, wären zu weitläuftig hier zu beschreiben. Wann am Ende eines Schau-Spiels die Haupt-Personen zur Heyrath schreiten, so gehen die Zuschauer schon auseinander: Die schönste Vorstellungen scheinen alsdann überflüßig. Diesen Schluß hat die Gewohnheit und ein allgemeiner Beyfall der Menschen zur Regel gemacht: Wir wollen auch hier solche beobachten, und den Leser nicht länger aufhalten.

Wir endigen also mit der Vermählung des Grafens von Rivera: Das Glück dieser edlen Helden-Liebe war vollkommen. Man sah die Freundschaft, die Tugend, die Treu und die Verdienste von der Gerechtigkeit des Himmels belohnet. Aquitanien wurde durch die weise Rathschläge und durch die Aufrichtigkeit des Grafens in einen blühenden Wohlstand gesetzt. Die Laster, welche bisher den Hof vergiftet hatten, verlohren ihre Macht unter einem Monarchen, der sich selbst zum Muster der Gerechtigkeit, der Güte und der Ordnung[535] ausstellte. Die Glückseligkeit seiner Unterthanen machte, daß die benachbarte Staaten sich gleiche Vortheile und gleiche Regenten wünscheten.

Der Hertzog von Sandilien übergab seinem neuen Vettern, mit des Königs Bewilligung, das bisher geführte Ruder am Regiment. Er verlangte nichts mehr in der Welt, als seine Neigungen zwischen dem König, seiner Basen und dem Grafen von Rivera zu theilen. Er betrachtete sich als ein glücklicher Vater, dem das Heil seiner wohlgerathenen Kinder die eintzige Freude macht, die er noch in dieser Welt verlanget. Der Graf überkam mit dessen Herrschaften auch seine Herzogliche Titel, Wappen und Vorzüge. Diese Erhebung, welche bis zur Crone reichte, vertilgete nicht bey ihm denjenigen Grund der Demuth und der Abhänglichkeit von GOtt, auf welchen er alles bauete: und von dem er alle Weißheit, alle Stärcke, und alle Tugend, die er zu der Wichtigkeit seines hohen Berufs vonnöthen hatte, zu erlangen suchte.

Freye Bedancken

Von dem Hofe
Von dem Hofe.

Vor Zeiten hatte der gröste König kaum so viel Leute an seinem Hofe, als heut zu Tage ein mittelmäßiger Fürst an dem seinigen unterhält. Der Adel erschien daselbst nicht ehender, als bis man Ritter-Spiele hielt, oder wichtige Rathschläge pflog. Er wurde nicht besoldet, daß er im Müßiggang und in Uppigkeit lebte, und durch seine Unordnungen den Staat, den Hof, das Land und sich selbst verdarb.

Ein Cantzler, einige Räthe und ein paar geheime Schreiber waren zu den Geschäften des Staats genug. Die übrigen Beamten fassen in den Dicasterien; Der König und das Reich waren ruhiger bey wenig Bedienten. Der Hof hatte zwar seine Aemter, sie wurden aber nicht unter so viele Ober-Aemter getheilet, daß ein jedes wieder einen besondern Hof ausmachte.[537] Diese Bedienten mussen abermahl wieder so viele andere Bediente haben, welche wiederum so viel Aufwärter, Leibdiener und Gesinde nach sich ziehen, daß die gröste Einkünfte eines Staats kaum zulänglich sind, so viele müßige Leute zu ernähren.

Dieses Ubel herrschet auch bey den Armen im Felde: Ein jeder Befehlshaber führet einen grossen Schweiff von unnöthigen Bedienten mit sich. Diese fechten nicht, sondern verzehren nur was die arme Soldaten entbehren müssen: Sie beschweren die Züge, bringen den Mangel ins Lager, und schaden dadurch der gemeinen Sach.

Wie diese Unordnung nicht auf einmahl, sondern nach und nach entstanden ist; so kan sie auch nicht wohl auf einmahl wieder aufgehoben werden. Die Zeit, das Alter, der Tod geben von sich selbst darzu die Gelegenheit: Man schaft keine alte Bedienten nicht ab; man nimmt nur keine neue mehr an, und macht keine unnöthige Aemter, um müßige Leute unterzubringen.

Viele Staats-Diener taugen zu nichts, als daß sie die Macht eines Fürsten schwächen, den Staat verwirren, allerhand Zwiespalt erregen, ihre Banden und ihren Anhang auf Unkosten des gemeinen Bestens empor treiben, und öfters selbst dem Regenten Gesetze vorschreiben. Die Geschichten sind voll davon.

[538] Wer mehr Bedienten hält, als er vonnöthen hat, der macht sich dadurch viel Geschäfte und Verdruß zugleich. Es ist nichts übler zu regieren und in Ordnung zu halten, als Leute, die voll auf leben, und nichts zu thun haben. Sie sind sich und dem Staat zur Last. Ein Fürst muß demnach für seine Leute die Gnade haben, und ihnen nicht nur Brod, sondern auch Arbeit geben.

Die Majestät braucht keines erborgten Glantzes: Sie macht sich durch sich selbst verehren: Der unordentliche Schwarm der vielen geputzten Menschen, welche den Hof zieren und das Land arm machen, ist keine wahre Grosheit: Man überlasse diese kleine Ehre Parade zu machen, der Leib-Wache, den Kriegs-Beamten, und dem jungen Adel; welcher letztere eine Zeitlang den Hof besuchen solte, um daselbst die Höflichkeit und gute Sitten zu lernen.

Durch die Einziehung der vielen unnöthigen Bedienten kan ein König des Jahrs über ein Million ersparen, und dadurch seine Regierung desto ruhiger und glücklicher machen.

Von den Gerichts-Höfen
Von den Gerichts-Höfen.

Ein auszehrendes und jämmerliches Ubel ist heut zu Tage die Unordnung und Weitläuftigkeit der Processen. Hier dienet die Gerechtigkeit zu einem Handwerck, [539] ihre Verwalter zu ernahren, und diejenige, die bey ihr Hülffe suchen, zu verderben. Es würde eine grosse Glückseligkeit für alle Völcker seyn, wenn man die Weitläuftigkeit der Rechts-Handel, so wohl als die abscheuliche Zungendreschereyen der Gewissenslosen Advocaten abstellen könte.

Es wär solches nicht unmöglich: Eine ordentlich eingerichtete Landes-Ordnung, darinn alle Haupt-Fälle und Rechts-Fragen auf das allerdeutlichste in gemeiner Landes-Sprache verfasset würden: Ein Gericht aus redlichen, vernünftigen und Rechts-kündigen Männern, die keinen weitern Nutzen von einem Proceß zu gewarten hätten, als daß sie ihn kurtz und gut ausmachten: und dann die Abschaffung aller Gerichts-Sporteln, Formalien, Fatalien und dergleichen oftmahls recht kindischen Umständen; die nur darzu ersonnen sind, um die Gerechtigkeit zu verwirren, und eine Menge unnöthiger Gerichts-Diener zu unterhalten: Diese drey Dinge würden zur Verwaltung der Gerechtigkeit einen viel leichtern Weg bahnen.

Ein jeder Kläger könte auf diese Art entweder seine Sache mündlich oder schriftlich selbst vortragen, und darüber ein Urtheil erwarten: Geschähe solches gleich nicht allemahl förmlich, und nach einer ausgekünstelten Rechts-Gelehrtheit; so könte man doch daraus desto besser die Wahrheit erkennen; ein geschickter[540] Referent, mit weniger Müh, einen kurtzen Verlauf der Sachen (speciem facti) entwerffen, und ohne weitere Umstände den Spruch heraus bringen.

Würde dabey nicht jederzeit die Form Rechtens beobachtet, so wär dieses nur ein kleines Ubel, wenn das Recht nicht selbst darunter leidet; ja solte auch dieses zuweilen darunter leiden, so wär doch dieses Ubel nicht so Grund-verderblich, als die abscheuliche Weitläuftigkeit der Processe.

O verkehrte Welt! O Jammer der Zeiten! Der Unschuldige leidet, man drückt ihn, man bringt ihn um einen Theil von seinem Vermögen: Er denckt die Obrigkeit mag richten: GOtt hat sie darzu eingesetzt: Er klaget, man höret ihn; aber seine Klage ist nicht förmlich; Er muß einen Advocaten annehmen: Dieser hat auf den Schlendrian geschworen, und der Schlendrian ist dargegen erkenntlich: Er schmeltzt ihm seine Suppen: Er macht seinen Schornstein rauchen: Der Client verläßt sich auf seine gerechte Sache, und der Advocat auf seinen guten Clienten. Sie gehen mit einander die Formalien durch: Es kommt kein Spruch, der Client will ungedultig werden: Der Advocat aber tröstet ihn, er spricht, seine Sache stünd gut: es kommt eincommunicetur nach dem andern: dann werden Zeugen abgehöret, dann Eyde erkannt, dann über jeden Punct neue Erläuterungen [541] und Beweise gefordert: der andere excipirt, replcirt, duplicirt, triplicirt, quadruplicirt ... Endlich erscheint ein Decret: Der Client zahlt mit Freuden dem Advocaten seine lange Rechnung: Er denckt, mein Proceß ist zu Ende: Ich habe gewonnen. Der Gegentheil appellirt: da geht der Proceß von neuem an: hier kan der Advocat allein nicht helffen: hier müssen Agenten und Procuratoren angenommen werden: hier gilt so viel pro arrha, so viel pro honorario, so viel für deservit, so viel für Briefe, und dergleichen ... Der Client erschrickt über alle diese Dinge: Aber wie, spricht er, ist dann kein GOtt, ist dann kein Recht? Der Proceß wird indessen eifrig fortgesetzt: Der Richter findet immer noch etwas zu erinnern. Die Sache will nicht fort: Ein Jud, ein altes Weib, oder ein verdorbener Banckeruttirer kommt zu dem Clienten, und gibt ihm einen Anschlag seinen Proceß zu gewinnen: Dieser besteht darinn, daß er spendiren soll: nicht dem Referenten, nicht dem Richter, sondern hier und da und dort: Der Client denckt, der Proceß habe ihm schon so viel gekost, er wolle auch noch dieses dran wagen: Der Spruch kommt: Der Proceß ist wieder gewonnen: Nun GOtt Lob und Danck, spricht der ehrliche Mann, daß ich doch endlich wieder zu meinem Geld komme: Allein, vergebliche Freude! Neues Weh! Die Gegen-Parthie sucht restitutionem in integrum: Sie wird erkannt, und warum nicht? Die Gerichts-Ordnung bringt es ja so mit sich: Es kommen [542] Revisiones actorum, Leuterationes, dilationes, etc. Der Client kriegt darüber die Auszehrung: die Kräfte sincken: der Muth schwindet: Er borget Geld, um seinen Proceß fortzuführen: Er erlebt davon nicht das Ende: seine so lang geführte Rechts-Klage wird eine traurige Erbschaft für seine Kinder: darinn beruhet ihr gantzes Vermögen: ihre Noth, ihr anhaltendes Uberlauffen zwingen endlich den Richter zur Ungedult und zu einem Spruch. Die Execution wird erkannt, allein sie reget sich nicht: sie hat steiffe Hände; sie können sich nicht bewegen: Die Gold-Essentz, damit man sie schmieret, fehlet, die Clienten haben den Proceß gewonnen, und bleiben arm.

Wer sich einbildet, man trieb allhier die Sache zu weit, der gehe nur an die vornehmste Gerichts-Höfe, und lasse sich daselbst eine Verzeichniß der Processen geben, die über 50. ja gar über hundert Jahr vor Richter und Recht geschwebet; er wird mit gerührtem Mitleiden, wo nicht mit Graussen und Entsetzen, die traurige Schicksale solcher unglückseligen Parthien hören; und bekennen müssen, daß sie wären glücklicher gewesen, wenn sie auch gleich bey der ersten Instantz ihren Proceß verlohren hätten.

Noch eins, solte man den Schlendrian abschaffen, was würde man hernach mit den vielen Juristischen Büchern machen? Solten die Buchhändler solche alle ins Maculatur schlagen? Die meisten dürften vielleicht keiner [543] grössern Ehre würdig seyn; doch finden sich darunter auch viel gute und vortrefliche Schriften, die man nicht genug in Ehren halten kan: theils sind sie auch nöthig. Denn daß ein Richter ein Rechts-Gelehrter, wie der Geistliche ein frommer Mann, und der Artzt ein Naturkündiger seyn soll, ist wohl keine Frage. Ein Richter muß also die Gründlichkeit und die Ordnung einer Wissenschafft besitzen, welche ihn fähig macht, die verwickelste Vorfälle zu entscheiden, und über die verworrenste Streit-Fragen ein geschicktes Urtheil zu fällen. Die wohl ausgearbeitete Rathschläge berühmter Rechts-Gelehrten dienen hierzu: Sie sind billig, als Schätze einer so nöthigen Wissenschaft aufzusammlen: Auch sind die Römische Gesetz-Bücher mit nichten hindan zu setzen: die Römer waren kluge Leute, sie hatten trefliche Einsichten: Sie waren geschickt Gesetze und Ordnungen zu machen. Wir können uns in gleichen Fällen ihrer Aussprüche noch mit gutem Vortheil bedienen. Nur darinn gehen wir zu weit, wenn wir bey unserer heutigen Verfassung, die so weit von der Römischen entfernet ist, da wir andere Sitten, andere Gebräuche und eine andere Religion haben, alles auf Römisch schlichten und ausmachen wollen.

Wie nun die gröste Schwierigkeiten bey den Prozessen dadurch gehoben wurden, wenn ein jeder seine Klagen einfältig, ohne Rechts-Allegationen, und ohne Einstreuungen der [544] Vorurtheilen und Beweg-Ursachen zu decidiren, selbst in Person, oder schrifftlich, dem Richter vortragen, und darüber sein Urtheil erwarten müste; also solte auch ferner nicht wenig zur Erleichterung des Justitz-Wesens mit beytragen, wenn alle Kaufleute, Künstler und Handwercker; imgleichen alle Kirch-Spiele, Universitäten, Kriegs-Aemter und dergleichen ihre gewisse Ordnungen und Gesetze unter sich hätten, darüber mit Nachdruck hielten, und ihre Streitigkeiten, als bey ihrer ersten Instantz, durch ihre Aeltesten und Vorsteher ausmachen liessen; wobey ihnen auch zu verstatten wär, alle und jede Unordnung und Verbrechen, welche nicht in die peinliche Rechte liefen, mit gewissen Geld-Bussen und willkührlichen Straffen zu ahnden.

Auf diese Weise würden die Richter nicht über alle und jede Kleinigkeiten, so oft und viel angelauffen werden, und die meiste Sachen, welche bey den Ober-Dicasterien, wegen der Menge der Klagenden und der weitläufftigen Proceß-Ordnung öffters gar liegen bleiben, könten zum Besten der streitenden Partheyen weit kürtzer und mit weniger Müh ausgemacht wer den.

Von der Policey
Von der Policey.

Die Policey ist das einzige Mittel im bürgerlichen Leben Ruh, Ordnung und gute [545] Sitten zu unterhalten. Es ist nicht genug, daß man einen Staat gegen auswärtige Feinde schützet, und darinn die Nahrung zu befördern sucht. Ein Volck, das bey seinem Uberfluß keine Policey hat, ist wie ein wohlgefüttertes Pferd, welches nicht zu beritten ist; es lässet sich schwer regieren, und gehet öffters mit seinem Reuter durch, wenn es ihn nicht gar herunter wirfft.

Bey den alten Teutschen galten, nach dem Zeugnüs eines Römischen Geschicht-Schreibers, die gute Sitten mehr, als die Gesetze. Betrübtes Andencken! Nun gelten schier weder die eine, noch die andere mehr. Wir leben bey allem Druck der Gewaltigen, in einer Sorglosen Freyheit. Ein jeder thut was er will: wir wagen alles, wir setzen alles aufs Spiel. Geräths, so geräths: wer verdirbt, der verdirbt. Man schilt auf böse Zeiten: man wirfft die Schuld auf die Regenten; wo nicht gar auf die göttliche Vorsehung. Dieses ist die allgemeine Philosophie; so urtheilt der Pöbel, so denckt der Burger, so vermißt sich der Adel. Was Wunder, daß die alte Redlichkeit verloschen ist, daß die Boßheit herrschet, daß die Unordnungen überhand nehmen, und die Laster schier zu Tugenden geworden sind.

Billig solte man die Policey in den Tempeln suchen: Billig solte die Religion selbst uns zu ihrer Beobachtung anhalten: billig solten [546] die Begriffe von GOtt, der alles durch Weißheit und Ordnung regieret, auch die Menschen bewegen, all ihr Thun gleichfalls nach dieser Regel einzurichten. Weil aber die Religion ihre Krafft, und die Tugend ihr Ansehen bey den Menschen verlohren hat; so ist nöthig, sie wenigstens durch eine gute Policey von den gröbsten Ausschweiffungen und Lastern abzuleiten, und, wann es möglich wär, sie auch zum guten zu zwingen.

Ihre Haupt-Absicht gehet demnach dahin, Ruh und Ordnung, Zucht und Sicherheit, Nahrung und Billigkeit im gemeinen Wesen zu erhalten. Sie dultet nicht, daß einer sein Gut verprasse, noch daß er dessen Verlust auf den Umschlag der Carten und Würffel setze: sie dultet nicht, daß sich die Leute ohne alle Vernunfft heyrathen, und nachgehends ihre Ehen mit Zanck und Hader führen: sie dultet nicht, daß man die Kinder übel erziehe, und im Luder und Mässiggang aufwachsen lasse: sie dultet nicht, daß einer den Adel und grosse Titul kauffe, den keine Verdienste darzu würdig machen. Sie setzet dem Hochmuth Schrancken, und machet keinen Hochgebornen, der in der Werckstatt, oder in der Cram-Bude jung worden ist. Die Policey lässet das Gesinde nicht Herr seyn, noch dem Pöbel die Freyheit, Gesetz und Gebräuche zu machen: sie gestattet nicht, daß sich Leute in Sammet, in Seyden, in Gold und Silber kleiden, die das Geld dazu borgen; oder die von solchem Stande sind, [547] daß sie auch Wolle und Leinwand zierten. Sie vergönnet der wilden Jugend nicht, ihre unordentliche Begierden in verbottenen Winckeln abzukühlen: sie überliefert den Balger dem Blut-Gericht, als einen Todschläger, und den Banckeruttirer dem Kercker, als einen Dieb: sie spannet die liederliche Müssiggänger in Karn, und schliesset das leichtfertige böse Gesindel in die Zucht-Häusser: sie hält die Strassen von Land-Streichern und Bettlern rein, und versorget die Armen und Nothleydende in den Hospitälern: sie erfüllet die Magazinen mit Vorrath, und kauffet nicht erst die Früchte auf, wenn sie schon theuer sind: sie giebt den nöthigsten Lebens-Mitteln ihren gemessenen Preiß, und lässet nicht den Fremden von den Gastwirten das Messer an die Gurgel setzen. Die Krancke werden nicht durch unerfahrne Aertzte nach der Methode, und durch die Quacksalber, ohne Methode ums Leben gebracht: die Handwercks-Leute erfrechen sich nicht, wenn sie einem etwas verdorben, für diese Bemühung noch die Zahlung zu fordern, und dem Kaufmann gehet es so leichte nicht hin, wenn er einem verdorbene Waaren vor gute verkaufft.

Die Policey hemmt das Gezäncke in den Kirchen, und die Mißbrauche in den Schulen: sie erlaubet nicht einem jeden Gelehrten, alles was ihm einfällt, drucken zu lassen: sie beschräncket diese allzugrosse Freyheit durch vernünfftige [548] Regeln, und lässet nichts in die Buchläden kommen, als was nützlich, was gut, was angenehm und was erbaulich ist.

Von dem Soldaten-Stand
Von dem Soldaten-Stand.

Der Soldaten-Stand ist ein nöthiges Ubel. Wären die Menschen ordentlich, gerecht und vernünftig, so brauchten sie keine solche gestrenge Beschützer der gemeinen Sicherheit. In einer so durchaus verdorbenen Welt aber kan man dieser Leute nicht entbehren. Nur ist es nöthig, daß man ihre Verfassung mehr nach derjenigen Absicht einrichte, warum sie gehalten werden.

Der Soldat hat in Ansehung der Zucht und Ordnung noch etwas voraus, und würde deßwegen auch leichter als andere zu verbessern seyn. Die Ehre, um welche er dienet, ist allein fähig ihn zur Beobachtung seiner Pflichten anzuhalten: man muß ihm nur einen rechten Begriff von der Ehre beybringen. Man muß nicht die Tollkühnheit zur Tapfferkeit, den Frevel zum Heldenmuth, die Leichtfertigkeit zur Freyheit und den Muthwillen zur Artigkeit machen. Der Soldat soll der menschlichen Gesellschafft nicht zur Quaal und zum Schaden, sondern zum Schutz und zur Sicherheit leben: dieses ist die eigentliche Ehr seines Berufs, und darinn bestehet seine gantze Würde.

[549] Allein, so lange man darzu allerhand liederliches und ehrloses Gesindel aus allen Winckeln der Erden zusammen wirbet: so lange man darzu nur wilde, müssige und viehische Pursche nimmt, die sonst zu nichts taugen, als daß sie das Schieß-Gewehr handthiertn, den Ranzen schleppen, und den Land-Mann plagen können; so lange die Befehlshaber selbst weder den Krieg verstehen, noch die wahre Ehre kennen; so lange der Soldat überhaupt die verkehrte Einbildung heget, er dörffte nichts lernen, und hätte mehr Freyheit, als andere Menschen, wieder alle Gesetze und gute Sitten zu handeln. So lang ist er der Erden ein Fluch, und die Schande des menschlichen Geschlechts. Denn das blose rauben, plüdern, sengen, brennen, morden, würgen und Menschen schlachten, ist fürwahr keine Handthierung, die sich für ehrliche Leute schicket; wo nicht die gemeine Sicherheit und die Umstände eines gerechten Kriegs ein solches Opfer von Menschen-Blut erfordern.

Soll demnach der Soldaten-Stand das wahre Metier d'honneur, oder Ehren-Handwerck seyn; so müssen solches Leute bekleiden, die Vernunfft, Großmuth, Güte und Taferkeit besitzen, und die als Schutz-Engel vor ihre Mit-Bürger und die gemeine Wohlfahrt wachen.

Daß bisher zu den Unordnungen des Kriegs-Standes, die im Sold gedungene Soldaten [550] meistens Ursach gegeben haben, ist wohl eine unter vernünfftigen Leuten ausgemachte Sache: man weiß solches schon lange. Es will aber dem ungeacht keiner von unsern Potentaten damit den Anfang machen, um solche abzuschaffen; sie sind vielmehr darauf desto eifriger geworden, dergleichen aus allen Nationen zusammen gerafftes müssiges Gesindel, zum Verderben ihrer Lånder, in noch grösserer Anzahl, als je zuvor geschehen ist, beständig auf den Beinen zu halten. So lange aber Vernunfft und Erfahrung gelten, so wird man schwer zu bereden seyn, daß dieses zum besten deß Landes geschehe.

Wenn man natürlich von der Sache urtheilen soll, so wär es wohl besser, man schaffte die um Sold gedungene Soldaten ab: und errichtete dargegen eine ordentliche National- und Land-Militz. Dieses könte auf eine Art bewerckstelliget werden, daß darunter weder die Cammer noch das Land beschweret; der Zweck aber, zu welchem die Soldaten dienen solten, weit vollkommener erhalten würde.

Man suche nemlich so wohl in den Städten, als auf dem Lande die gesundeste und tüchtigste Leute aus, die Lust zu dienen haben, und darzu Muth, Geist und Geschicklichkeit besitzen. Diese lasse man in allen zum Krieg gehörigen Wissenschafften wohl unterrichten: man gebe ihnen eine gleichförmige saubere Kleidung, nebst einem kleinen Gehalt, welchen man [551] nach Nothdurfft vermehret, wenn sie ins Feld rücken; in Friedens-Zeiten aber lasse man einen jeden bey seinem Handwerck und in seiner Nahrung. Man theile sie nach denen Städten und Provinzen in Compagnien und Regimenter ein, und lasse sie von Zeit zu Zeit, nachdem es die Umstände leyden, auf gewisse Plätze zusammen kommen, und sie ihre Kriegs-Ubungen machen: man gebe ihnen tüchtige und ansehnliche Männer zu Befehlshabern, und gönne ihnen alle die Ehre, Freyheiten und Vorzüge, die sonst rechtschaffene Kriegs-Leute zu gemessen haben. Man halte in den Gräntz-Vestungen eine gewisse Besatzung, welche von halb Jahr zu halb Jahr mit andern könte abgewechselt werden; damit wenigstens alle zwey Jahr jeder Soldat ein halbes Jahr wirklich Dienste thun müsse. Die Vestungs-Plätze könten zugleich die hohe Schulen für den jungen Adel, für die Cadets und andere Soldaten abgeben; wo sich beständig ein Kern der ältesten und besten Officiers, nebst andern geschickten und erfahrnen Leuten aufhalten müsten.

Durch eine solche Verfassung des Soldaten-Standes könte ein Fürst, mit weit weniger Kosten, die besten Truppen beständig auf den Beinen haben, und jederzeit auf den ersten Winck, wenn es die Noth erfordert, ins Feld rücken lassen: sie würden weder durch ihre Liederlichkeit, noch durch ihren Müssiggang, noch durch ihre Bubenstück ferner dem Staat zur Last fallen: sie würden so wohl nützliche [552] Bürger im Frieden, als tapffere Streiter im Krieg abgeben: Sie würden nicht, wie insgemein der im Sold geworbene Soldat, bey dem ersten Feuer durchgehen; oder wohl gar zu dem Feind überlauffen: Sie würden die wahre Ehre, den Fürsten, die Ihrigen lieben: Sie würden ihr Vaterland schützen und ihren Feinden ein Schrecken seyn.

Von dem Adel
Von dem Adel.

Der Adel ist an und vor sich selbst nichts wirckliches: Er hat in der bürgerlichen Gesellschaft keinen andern Vortheil, als daß er, mit etwas weniger Narrheit, darf stoltzer und hochmüthiger als andere Menschen seyn. Alle seine Titel, Wappen, Stamm-Tafeln und Ahnen-Register, wären sie auch noch so schön und durchleuchtig, machen ihn weder vernünftiger noch glücklicher. Der Bauer ist so wohl gebohren, wie der Edelmann: Die Natur gibt beyden gleiche Rechte: Nur alsdann hat der Adel etwas voraus, wenn er Geld und Güter besitzet, wenn er wohl erzogen ist, und wenn er bessere Sitten hat, als der gemeine Mann.

Hieraus erhellet, daß der wahre Adel nicht in einer edlen Geburt bestehet; sondern in einem edlen Leben. Er ist eine Frucht der Tugend, und schreibet sich aus dem Geschlecht der wahren Ehre. Der ist der beste Edelmann, den Treu und Muth und Witz zum [553] Ritter schlagen; Alles ubrige, womit der gebohrne Adel sich brüstet, ist Wind und Wahn und Einbildung: Er schändet die Vortrefflichkeit seiner Ahnen durch seine Niederträchtigkeit und durch seine Laster.

Die Beschäftigungen des Adels müssen nichts niederträchtiges, nichts unreines und nichts pöbelhaftes haben: Die Gewohnheit hat deswegen alle Mechanische Handthierung dem Adel für unanständig erkläret, und ihm dargegen die Wissenschaften, den Hof, den Krieg, die Magistrats-Würden, nebst der Land-Oeconomie zu seiner Beschäftigung angewiesen.

Die Handlung ins Grosse hat, nach dem Zeugniß der klügsten Völcker, nichts, das dem Adel zuwider ist. In den ältesten Zeiten sind dergleichen Handels-Leute, wenn sie grosse Reichthümer besassen, für edel gehalten worden. Es ist auch der Natur gemässer, daß Leute, die durch ihre grosse Handelschaften, so vielen Menschen Nahrung geben, und sich dem Adel gleichförmig aufführen, auch dessen Vorzüge geniessen: doch gönnt ihnen das Herkommen und der Gebrauch in der Welt nur den untersten Grad des Adels: und erlaubet ihnen nicht sich höher aufzuschwingen, als bis sie die Handlung niederlegen, und eine von den Lebens-Arten, davon oben Meldung geschehen ist, ergreiffen.

[554] Wer Geld und Güter hat, und sich damit weiß auf eine anständige und beliebte Art heraus zu setzen, der kan den Adel viel besser führen, als ein armer Juncker, den die Bauren Ihr Genaden heissen, und ihm das Brod borgen müssen.

Ehedessen galt der Adel viel; nicht, weil er edel gebohren war, sondern weil die Geburt ihn veranlaßte sich durch Tugend und Tapfferkeit von dem gemeinen Mann zu unterscheiden: Er ehrte die Wissenschaften, und die Wissenschaften ehrten ihn; Er sprach und urtheilte anders, als der Pöbel: Er begieng nichts niederträchtiges: Er lebte nicht wie unsere heutige Dorf-Junckern im Luder und im Müßiggang: Er bekleidete die ersten Stellen bey Hof: Er half die Städte und Länder regieren: Er machte sich eine Ehre aus der Gottesfurcht: Seine Andacht riß ihn zu den Füssen des Altars, und seine Tapfferkeit machte seine Feinde beben: Der Fürst brauchte keine Soldaten: Wer ein Ritter seyn wolte, der setzte sich mit seinen reißigen Knechten auf, und eilte damit seinem Landes-Herren und seinem Vatterlande zu Hülffe. So war der Adel, so war die Ritterschaft der alten Zeiten.

Wenn man den heutigen Adel beschreiben wolte, so würde es vielleicht ein Gespötte heissen, man müste ihn lächerlich abmahlen, und die Wahrheit würde machen allzu natürlich [555] treffen: Wir wollen lieber schweigen, unsere Schande bedecken, uns rathen lassen und uns bessern.

Von dem gelehrten Stand
Von dem gelehrten Stand.

Der gelehrte Stand ist eigentlich kein besonderer Stand: Es ziemet allen Menschen etwas zu wissen: Wir solten alle nach den Absichten des Schöpffers verständige Creaturen und Schüler der Weißheit seyn. Wir solten uns ein jeder nach seinem Stand und nach der Fähigkeit, die er besitzet, in allerhand nützlichen Künsten und Wissenschaften unterrichten lassen; Denn wo der Weisen viel sind, da ist des Volckes Heyl.

Allein, was findet man nicht unter den Gelehrten für seltsame Menschen? Man solte es in der That für keine Glückseligkeit halten, etwas zu wissen, wenn uns die Erlernung der Wissenschaften in Gefahr setzet, die elendeste unter den vernünftigen Geschöpffen zu werden. Ehedessen hielt man auf blosse Weißheit, und man lernte die Wissenschaften in keiner andern Absicht, als um weise zu werden. Heutiges Tages machen wir daraus ein Handwerck, die Menschen und den Staat damit zu verwirren. Wir zwingen die Leute Meynungen anzunehmen, die sie nicht fassen können, und lassen ihnen übrigens alle Thorheiten und Außschweiffungen frey. Die wenigste Lehrer erfüllen die Pflichten eines [556] Berufs, dessen Wichtigkeit sie selbst nicht kennen. Die meisten lassen sich darzu aus Noth gebrauchen, weil sie nicht besser unterkommen können. Grosses Unglück! Man solte darzu die vortrefliche Männer außsuchen, und sie deswegen vor andern ehren und wohl halten.

In den alten Zeiten hatten die gröste Weltweisen ihre eigene Schulen. Alt und Jung kamen darinn zusammen. Die Redner waren die gröste Leute in der Republick, und es war einem Helden eben so anständig vor dem Volck zu reden, als Schlachten zu gewinnen. Diese Zeiten sind nicht mehr. Die Würde eines Lehrers beflecket nun die Würde des Adels, und die Unwissenheit ist das Kennzeichen einer vornehmen Geburt.

Drey Sachen haben zu unsern Zeiten die Gelehrten in der Welt verächtlich gemacht: Ihre ungesittete Lebens-Art: Ihr närrischer Hochmuth, und die viele Bücher, die sie drucken lassen. Es ist natürlich, daß Leute, die an statt mit Menschen umzugehen, schier immer zu Hause über ihren Büchern sitzen, und sich da in ihre eigene Weißheit, und Vortrefflichkeit verlieben; nach und nach unbelebt, finster und lächerlich werden. Deswegen ehedessen ein gewisser Fürst, auf Befragen, warum er keine Hof-Narren hielt, zur Antwort gab, daß er, wenn er lachen wolte, ein paar von seinen Professoren zu sich auf das Schloß kommen, und sie wacker zusammen disputiren ließ. Man hat also Ursach [557] die Wissenschaften zu fliehen, wenn sie aus Vernünftigen Unwissenden, albere Gelehrten und seltsame Menschen machen.

Ich bin nie der Meynung gewesen, daß die Erfindung der Buchdruckerey der menschlichen Gesellschaft grossen Nutzen solte gebracht haben: Unter wenig guten Büchern, die dadurch den Menschen gemein worden, sind ihnen unzehlich viel schlechte in die Hände kommen. Wir werden dadurch von den reinen Quellen der Wissenschaften abgeführet, und die Zeit, die edle Zeit, die wir anwenden könten, die gründlichste Sachen zu lernen, gehet mit Lesung so vieler nichtswürdigen Dinge verlohren. Der Verstand, welcher die schönste Wahrheiten in seiner ersten Unterweisung am leichtsten fassen könte, wird dadurch nur verwirrt und aufgehalten. Vorurtheile, unrichtige Schlüsse und das Ansehen der Lehrer, welche die Bücher schreiben, umnebeln gleichsam seine Beurtheilungs-Kraft, und er findet desto mehr Müh, das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden und seine Begriffe auszuheitern.

Wie viel Unordnung, wie viel Zwiespalt, wie viel Blutvergiessen haben nicht bey uns die Religions-Streitigkeiten schon verursachet? Wir machen einen abscheulichen Lermen, um die Erhaltung der Wahrheit: Ein jeder behauptet, daß er solche hätte; man streitet, man disputiret darüber; man schilt, man verdammet, man verfolget sich einander. Dieses [558] ist noch nicht genug; man schmeisset sich auch wohl gar, wenn man kan, einander darüber todt. Solte man nicht die Wissenschaften verwünschen und verbannen, die in dem menschlichen Geschlecht solche Unordnungen und solchen Jammer verursachen? Solte man nicht vielmehr diejenige glückselige Unwissenheit und Einhalt preisen, die Treu und Redlichkeit erhält, und die Menschen zusammen in einer süssen Eintracht verbindet?

Dieses Ubel würde sich nie so weit ausgebreitet haben, wenn der Mißbrauch einer so edlen Kunst, als die Buchdruckerey ist, nicht darzu noch mehr Gelegenheit gegeben hätte. Die Zänckereyen der Gelehrten würden unter den Gelehrten geblieben seyn, und nicht zugleich auch das Volck in ihre Sectireyen und Banden mit eingeflochten haben: Es würden nicht so viele cursus Theologiæ und Catechismi durch den Druck heraus gekommen seyn; die, indem sie die Stärcke ihrer Verfasser zeigen solten, ihre Schwåche und Blöse entdecken. Wie es dann leicht zu beweisen stünde, daß dergleichen jetzo in einem halben Jahrhundert mehr, als in der gantzen Zeit von Christi Geburt an zu rechnen, heraus gekommen sind; daraus man mit wenig Müh, und durch die Kunst der Folgen eines Satzes aus dem andern, wieder so viele besondere Religionen machen könte. Der ungeheuren Menge der Streit-Schriften, welche mit der grösten Wuth und Schmähsucht geschrieben sind, nicht einmahl zu gedencken.

[559] In der Rechts-Gelährtheit ist dieser Mißbrauch des Bücherdruckens auf einen gleichen Grad gestiegen, doch mit dem glücklichen Unterscheid, daß darinn die verschiedene Meynungen nicht solche Zerrüttungen und Spaltungen im gemeinen Wesen, als die Religions-Streitigkeiten, nach sich gezogen haben.

Ob man in den übrigen Theilen der Gelehrsamkeit, durch die Erfindung der Druckerey, weiter als die Alten, gekommen sey; läßt sich daraus urtheilen, indem wir meistens nur dasjenige wieder aufwärmen, was jene durch ihre Scharfsinnigkeit ausgedacht und der Nachwelt hinterlassen haben. Wir bedienen uns bey allem eingebildeten Fortgang der Wissenschaften, doch noch immer dieser verjahrten Wegweiser; und wenn es einer unter uns im Bücher schreiben sehr weit gebracht hat; so erlanget er doch daraus erstlich den grösten Ruhm, wenn man ihm die Ehre erweiset, daß man seine Schriften mit denjenigen der alten Griechen und Lateiner vergleichet; welche unstreitig die Geschicklichkeit besassen, mit einer Zeile mehr zu sagen, als wir öfters mit vielen mühsam auf einander gearbeiteten Worten, nicht auszudrücken vermögen.

Von dem bürgerlichen Stand
Von dem bürgerlichen Stand.

Unter dem Wort Bürger werden, im allgemeinen Sinn, alle und jede Glieder eines gemeinen Wesens verstanden; Hier aber ist nur die Rede von einem Bürger, der sich entweder mit Kaufmannschaft, oder mit einem[560] Handwerck nähret, und in einer Stadt wohnet.

Die Kaufmannschaft ist wegen ihrer Nutzbarkeit und Nothwendigkeit besonders hoch zu schätzen; und deswegen auch in allen ihren Freyheiten und Bequemlichkeiten mit möglichster Sorgfalt zu erhalten: Sie gibt einem Land Nahrung: Sie erhält darinn den nöthigen Umlauf des Geldes, und ist das sicherste Mittel, solches reich und mächtig zu machen.

Unter allen Lastern, die in einer Republick im Schwang gehen, hat keines eine glücklichere Bedeutung, als wenn die Kauf-Leute stoltz werden und prächtig leben; dieses aber verstund vor einiger Zeit ein sicherer Fürst unrecht. Er hatte verschiedene zur Handlung wohl gelegene Plätze: Es zogen sich viel Kauf-Leute dahin: Sie erwarben durch ihre Handelschaft und Schiffart grossen Reichthum.

Wo Geld ist, da zeiget sich auch Muth: Die Kauf-Leute wurden hoffärtig, sie lebten wohl; sie thaten sich hervor. Der Adel wurde darüber eifersüchtig. Der Fürst meynte, er wolte die Eitelkeit dieser Leute einschräncken: Ein wenig Policey hätte solches thun können; allein der Fürst wolte auch dadurch seine Einkünfte vermehren: Er drückte die Handlung mit neuen Auflagen, er verdoppelte die Zölle, und belegte alle fremde Waaren mit einer unerträglichen Accis. Der Umschlag mit den Ausländern hatte ein Ende: Handel und Wandel geriethen dadurch in Abnahm.[561] Der Kaufmann wurde demuthiger, und das Land arm. Der Vertrieb der einheimischen Manufacturen war verstopfft, das Geld mangelte. Der Fürst wurd es am ersten gewahr: Seine Einkünffte, die er verbessern wolte, kamen sparsamer ein. Das Volck klagte: Die Nahrung war gehemmt: Man wolte die Handlung wieder einführen; allein vergebens; sie war einmahl weg, nicht anders, wie ein Flug Vögel, welchen ein Jäger mit einem Schuß zerstreuet.

Man muß also der Handlung Freyheit lassen; nur darinn muß man sie einschräncken, daß Treu und Glauben, Wahrheit und Gerechtigkeit dabey gehandhabet, und dargegen diejenige Mißbräuche, welche schädlich sind, sorgfältigst aus dem Wege geräumet werden.

Eines der grösten Ubel in der Handlung ist der ausgelassene Frevel der Banckeruttirer: Diese sind gleichsam heut zu Tage privilegirte Diebe: Sie stehlen unter dem Schein eines ehrlichen Mannes: Sie machen Figur mit anderer Leute Geld: Sie erwerben sich Freunde mit dem ungerechten Mammon. Sie sind die beste Männer; denn sie schencken alles ihren Weibern, wenn sie hernach nicht weiter können, so geben sie ihren ehrlichen Namen mit samt der Handlung auf. Sie zahlen niemand; Es heist, sie wären unglücklich gewesen, sie wären um alles kommen: und leben hernach von dem Vermögen ihrer Frauen eben so gemächlich, als zuvor.

[562] O schädliches Recht! das solchergestalt den Grund aller Gerechtigkeit durchwühlet, und alle ihre Grund-Sätze umstürtzet! man verdammt denjenigen zum Galgen, der aus Noth stiehlet, und ein Banckeruttirer, der tausend wagt, darunter öfters kaum zehen sein eigen sind; und der für Ubermuth nicht weiß, wie er genug verprassen soll; dem solten die Gesetze noch zu Hülffe kommen, und ihm an statt der wohl verdienten Straffe noch gemächliche Tage verschaffen? O Zeiten! O Sitten!

Dieses Ubel in der menschlichen Gesellschaft ist wichtiger, als man sich solches vorstellet. Die Folgen davon sind abscheulich. Wo die Handlung blühen soll, da muß der Credit, da muß Treu und Glauben unterhalten werden; sonst wird die Kaufmannschaft ein Handwerck der sogenannten Chevaliers d'industrie, um es höflich zu geben, da es darauf ankommt, wer den andern am listigsten betrügen und um das Seinige bringen kan.

Die Handwercker haben ihre Zünfte; diese sind nicht ohne Nutzen, wenn sie dadurch Zucht, Ehrbarkeit und gute Ordnungen unter sich erhalten: Ihre Gebräuche aber müssen nicht närrisch seyn, noch andern Menschen zum Nachtheil gereichen. Von dieser Art ist das verkehrte Recht, dessen sich die Handwercks-Leute in gewissen Städten anmassen, daß man alles bey ihnen müsse arbeiten lassen, [563] dabey sie ihre Arbeit über den Werth schätzen, sie mag gerathen seyn, oder nicht. Dieses ist wider alle Vernuft und Billigkeit. Der Betrug, der Ubermuth, und die Liederlichkeit der Handwercks-Leute wird dadurch genähret. Sie vernachläßigen darüber ihre Arbeit, und dencken, man müsse ihnen solche doch bezahlen. Man ist deswegen übel mit diesen Leuten dran: Sie meynen, sie müsten gleichwohl mehr verwohnen: Es seye kostbar in den Städten zu leben: Sie müsten solches auf ihre Arbeit schlagen: Allein, welchen Nutzen hat das gemeine Wesen davon, daß solche Leute nur in den Städten sich aufhalten? Was verbindet sie für ein Gesetze, daß sie mehr ausgeben und üppiger leben, als die Leute auf dem Lande? Warum soll man ihnen ihre Arbeit um so viel theurer bezahlen? Meynet man, die Städte würden dadurch in Abnahm kommen? Wie! daß die gröste Städte in Europa Nahrung genug haben, ohne daß man darinn den Handwercks-Leuten einen solchen gantz ungereimten Vorzug verstattet?

Von dem Bauren-Stand
Von dem Bauren-Stand.

Ehedessen war der Feld- und Garten-Bau eine Beschäftigung grosser Leute: Fursten waren Hirten und Helden pflantzten Bäume. Heut zu Tage ist der Land-Mann die armseligste unter allen Creaturen: Die Bauern sind Sclaven, und ihre Knechte sind von dem Vieh, das sie hüten, kaum noch zu unterscheiden.

Man kommt auf Dörffer, wo die Kinder halb nackend lauffen, und die Durchreisende um [564] ein Allmosen anschreyen. Die Eltern haben kaum noch einige Lumpen auf dem Leib, ihre Blöse zu bedecken. Ein Paar magere Küh müssen ihnen das Feld bauen und auch Milch geben. Ihre Scheuren sind leer, und ihre Hütten drohen alle Augenblick über einen Hauffen zu fallen: Sie selbst sehen verkahmt und elend aus; und man würde noch mehr Mitleiden mit ihnen haben, wann nicht ein wildes und viehisches Ansehen ein so hartes Schicksal an ihnen zu rechtfertigen schien. Wehe den Fürsten! die durch ihre grausame Tyranney und durch ihre üble Haußhaltung den Jammer so vieler Menschen verursachen.

Der Bauer wird wie das dumme Vieh in aller Unwissenheit erzogen; Er wird unaufhörlich mit Frohn-Diensten, Boten-Lauffen, Treib-Jagen, Schantzen, Graben und dergleichen geängstiget: Er muß von Morgen bis Abend die Aecker durchwühlen; es mag ihn die Hitze brennen, oder die Kälte starr machen. Des Nachts liegt er im Felde, und wird schier ein Wild, um das Wild zu scheuen, daß es nicht die Staat plündere: Was dem Wild-Zahn entrissen wird, nimmt hernach ein rauher Beamter auf Abtrag der noch rückständigen Schoß- und Steuer-Gelder weg.

Wann nun hier der nicht minder boshafte als gequälte Bauers-Mann, seinem Herrn etwas unterschlagen und mit List entweden kan, so thut er solches mit dem besten Hertzen von der Welt; und bildet sich ein, die Gerechtigkeit sey nur ein ausgedachter Vortheil der Grossen, [565] damit sie alles sich zueignen könten; wenn ihm also die Furcht der Straffe nicht bang machte, so würden die zehen Gebotte ihn schwerlich von den gröbsten Missethaten zurück halten.

Solche traurige Beschaffenheit hat es heutiges Tages mit demjenigen Stande, der an und vor sich selbst der allerunschuldigste und nützlichste ist. So sehr aber darinn wider alle natürliche Billigkeit gehandelt wird, da man durch eine unumschränckte Gewalt den grösten Theil der Menschen ins äusserste Elend stürtzet, so wenig Vortheil entstehet auch daraus dem Staat. Ein armes Land ist gleich den magern Feld-Gütern, die kaum die Helft so viel Nutzen ihrem Herren abgeben, als wenn sie in gehörigem Bau unterhalten werden.

Ein grosser Fürst, dessen Weißheit ihn noch mehr als seine Crone erhoben hatte, pflegt ehedessen zu sagen: Er hätte weder Mangel an Geld, noch an Soldaten, so lange seine Bauern noch silberne Knöpffe auf den Kleidern trügen. Was kan richtiger seyn als dieser Schluß? So lang der Unterthan etwas im Vermögen hat, so lang kan er auch sein Haußwesen ordentlich, bestellen, seiner Nahrung nachgehen, seine Felder mit Nutzen bauen, und von allem die Gebühr seinem Landes-Herren desto ordentlicher entrichten.

Versiehet er etwas gegen die Gesetze, so hat er etwas, daß man ihn dafür bestraffen kan; ohne daß man ihn deßwegen darf von seiner Nahrung wegnehmen und ins Gefängniß sperren; Bedrohet ein feindlicher Einbruch das [566] Land zu verheeren, so hat er etwas dabey zu verlieren: Er ergreifft selbst die Waffen, um sein Vatterland, seinen Herren und sein eigen Gut zu verthaidigen. Braucht der Fürst Geld, so kan er solches bey seinen eigenen Unterthanen aufnehmen, und hat nicht nöthig Land und Leute dafür mit hohen Zinsen und grosser Gefahr an seine Nachbarn zu versetzen. Endlich, hat der Unterthan etwas im Vermögen, so kan er seinen Kindern auch etwas lernen lassen; Er kan auf diese Weise dem Staat vernünftige Einwohner, getreue Bürger und gute Haußhälter erziehen.

Diese wichtige Gründe wollen heut zu Tage wenig Fürsten mehr einsehen: sie plündern ihr eigen Land; sie folgen jener Königin, welche zu sagen pflegte: Der Bauer sey reich genug, wenn er eine aus Binsen geflochtene Matrazze zum Lager, und einen groben leinenen Kittel zur Kleidung hätte; weil er sonst als die boshaftigste von allen Creaturen nicht zu bändigen wär; allein was richtete sie damit aus, als daß ihre Bauern endlich den Pflug verliessen, dem Raub und dem Plündern nachgiengen, und das gantze Land unsicher machten.

O unselige Fürsten! die ihr euch Helden, Schutz-Engel und Landes-Väter nennen lasset; seyd ihr nicht vielmehr, wann ihr solchen grausamen Regungen folget, und eurer Unterthanen Schweiß und Blut, eurem Ubermuth, eurer Wollust, und eurer Uppigkeit aufopffert: der Bezüchtigung jenes Räubers unterworffen, der dem Macedonischen Alexander [567] vorwarff, er sey noch ein weit grösserer Räuber, als er. Solte nicht, wenn ihr ja noch einen GOtt glaubet, die Vorstellung desjenigen Gerichts euch erschüttern, da nach dem gerechtesten Maas einem jeden soll vergolten werden, was er hier in dieser Welt gutes und böses gethan habt?

Die Verbesserung eines Staats ist mit nichten so schwer, als man sich solche einbildet. Ein kluger Regente darf nur vom Mitleyden gerühret werden, so viele Menschen unter feiner Bottmäßigkeit im Elend zu sehen; so ist diese Empfindung schon genug, ihm gute Rathschläge an die Hand zu geben.

Von der Religion
Von der Religion.

Die Religion ist eine Erkänntnüs von GOtt und göttlichen Dingen. Sie ist der Grund von aller Glückseligkeit des Menschen; ohne Religion ist kein ehrlicher Mann, keine Tugend, keine Weißheit, kein wahres Gut; und gleichwohl solte man sagen, stifftet die Religion so viel böses: sie stöhret die Eintracht und den Frieden; sie trennet die Gemüther, sie erreget Haß und Feindschafft, Krieg und Blutvergiessen; sie macht die Menschen verwirrt, sie erhitzt ihre Einbildung mit den seltsamsten Vorstellungen; sie entfernet endlich GOtt von uns, und uns von GOtt. Es giebt also eine gute und auch eine böse Religion. Bey den Verkehrten ist sie verkehrt, bey den Gerechten aber gerecht.

[568] Die wahre Religion hat zum Vorwurff die Liebe GOttes, die Reinigkeit unsers Hertzens, und die Verbesserung unsers Willens: die falsche aber ist ein Werck unserer eingebildeten Weißheit, und gründet sich auf leere Begriffe und Meinungen.

Die Religion ist für alle Menschen: keiner, der Vernunfft hat, kan leugnen, daß ein GOtt sey. Keiner, der eine Empfindung hat, kan das Gute hassen, und das Böse lieben; keiner, der ein Gefühl hat, kan bey sich den heimlichen Richter schweigen machen, der ihn bestraffet, wenn er böses thut: keiner, der ein Verlangen hat, glückselig zu seyn, kan sich zurück halten, solche bey demjenigen Wesen zu suchen, welches der Ursprung von ihm und allen Dingen ist.

Diese Bilder, diese Regungen hat die Natur unserer Seelen eingedruckt: sie kan sie nicht von sich ablegen, sie sind ihr immer gegenwärtig, sie leben, sie regen sich in ihr. Wer nicht davon die Spuren bey sich entdecket, der ist ein Unmensch. Sie sind der Saamen, woraus die weitere Begriffe der göttlichen Dinge keimen: sie sind der Grund, worauf auch die geschriebene und offenbahrte Warheiten in der Religion sich beziehen. Wir können keine andere Begriffe annehmen, als die damit übereinstimmen: wir können nicht zu gleich etwas glauben und nicht glauben.

Die Erkenntniß GOttes ziehet also ihren Ursprung aus der Natur, wie die Natur ihren Ursprung ziehet aus GOtt: diese Erkenntnüs GOttes aus der Natur aber wird kräfftig [569] vermehret, und in ein helleres Licht gesetzt, wenn wir GOtt lieben, und ihn deßwegen näher zu erkennen suchen: Hieraus kommt der Glaube, welcher darin bestehet, daß wir uns der Regierung GOttes und den Einflüssen seines Geistes gäntzlich überlassen, unser Vertrauen auf ihn setzen, die Wahrheit des Evangelii für Wahrheit erkennen, Christum zu unserm Heyland annehmen, und seinen Lehren nachfolgen.

Dieser Glaube aber ist eine verborgene Wirckung des Geistes: wir können uns solchen weder geben, noch nehmen, er kommt von oben: sein Ursprung ist gantz göttlich. Mit zancken und disputiren wird er nicht erlangt: durch blosse menschliche Vernunfft und durch vieles scharffsinnige Nachdencken auch nicht. GOTT, zeiget dadurch, daß der Glaube nicht ein Werck unsers Verstandes sey. Wie sehr muß ihm also unser Gezäncke mißfallen; da wir also mit einem schwachen Lichtgen, wie unser Verstand ist, seine Wercke, seine Absichten und seine gantze Haußhaltung beleuchten, und das allergröste Wesen nach unsern allerkleinsten Begriffen abmessen wollen. Der Hochmuth aber läßt nicht nach, er ist das Gifft, so wir noch aus dem Paradies gebracht haben: es steckt noch in allen Adams-Kindern. Der Verstand des Menschen ist etwas göttliches: er unterscheidet ihn von den Thieren: er will deswegen sich mit dieser Gabe vor allen andern brüsten: man ist auf nichts eifersichtiger: man will, daß andere Menschen diesen Vorzug an uns erkennen, bewundern, [570] ja gar, wenn wir etwas zu sagen haben, sich solchem unterwerffen sollen. O toller Aberwitz! wohin verleiten uns noch die Einbildungen von unserer eigenen Weißheit?

Man kan also die Menschen wohl mit Gewalt zu den Pflichten der Religion zwingen, weil sie dem Gesetz der Natur, der Vernunfft und dem Wohlstand eines bürgerlichen Wesens gemäß sind; aber die Begriffe der Religion müssen wir einem jeden frey lassen. Dann die Menschen selbst sind davon nicht Meister: sie können nicht dencken und empfinden, wie sie wollen: sie haben darzu nicht alle eine gleiche Fähigkeit: der eine hat viel, der andere wenig Verstand: der eine hat deutliche, der andere verwirrte und der dritte gar keine Begriffe, das Gesetz der Liebe verbindet uns, mit eines jeden Gebrechen und Schwachheiten Gedult zu haben: warum nicht auch mit den Mängeln des Verstandes?

Die äusserliche Religion macht keinen Christen: Es kommt darauf an, wer den Willen GOttes thut, und im Glauben wandelt. Unsere Spaltungen und Zänckereyen in der Kirche sind noch immer Früchte unsers Unglaubens. Der Glaube wircket Sanfftmuth, Liebe, Demuth, Geduld. Man hasset, man verfolget sich deswegen nicht einander: man jaget keinen darüber von Haus und Hof. Man spannet niemand darüber auf die Galeeren und schmeisset auch niemand darüber todt.Mein [571] Reich ist nicht von dieser Welt / spricht der Heyland. Er braucht darzu keine Legionen, keine Roß und Reuter, keine Spiese, Schwerdt und Bogen. Sein Reich ist ein geistlich Reich.

Die beste Gemeine ist demnach wohl diese: worinn wenig Glaubens-Artickel, wenig Ceremonien, wenig Streit-Fragen; und dargegen viel Liebe, viel Einfalt und viel gute Wercke, als Früchte des Glaubens sich finden.

Von einem beständigen Frieden in Europa
Von einem beständigen Frieden in Europa. 1

Viele Dinge sind nur deswegen in der Welt unmöglich, weil sie die Menschen nicht möglich machen wollen. Was wäre leichter, als einen allgemeinen Frieden in Europa aufzurichten? Alleine der Eroberungs-Geist, die Heldensucht, und der schier mehrentheils müssige Adel hätte nichts mehr zu thun: man brauchte keine Soldaten mehr, um Länder zu gewinnen, und Städte zu erobern. Die Cronen wären auf den Häuptern derer, die sie tragen und auf ihren Nachkommen gesichert. Die freye Staaten blieben freye Staaten, und ein jedes Volck wurde durch seine eigene Gesetze regieret.

Man könte einen allgemeinen Versa lungs-Ort erwehlen, und darinn einen beständigen Friedens-Rath von ungefehr vierzig biß fünffzig Friedens-Richter unterhalten: diese müsten aus allen denjenigen Völckern, die mit in dem [572] allgemeinen Bündnüs stünden, durch eine vorhergehende Wahl gezogen werden: sie müsten die vortrefflichsten Männer ihres Landes seyn: und mit einer gründlichen Vernunfft und Einsicht, auch eine gründliche Kenntnüs des Natur- und Völcker-Rechts verbinden: sie müsten eine genaue Wissenschafft der Europäischen Staaten und ihrer politischen Verfassung besitzen: sie müsten der vornehmsten Sprachen kündig, insonderheit aber der Lateinischen vollkommen mächtig seyn; weil in derselben alles müste tractiret und ausgefertiget werden; sie müsten vor allen Dingen das Lob der Redlichkeit und einer unverletzlichen Treue haben.

Diesen zur allgemeinen Friedens-Versamlung bestimmten Ort müsten die in Europa sich zusammen verbundene Staaten durch ihre Gesandten beschicken, und durch sie die Angelegenheiten ihrer Höfe vortragen lassen. Dis Friedens-Richter hingegen müsten solche mit aller Unpartheylichkeit untersuchen, rechtsmässig erörtern; oder in Ermanglung zulänglicher Urkunden und Beweisen, durch gütliche Vergleiche schlichten. Diese Entscheidungen der Friedens-Richter müsten nach den meisten Stimmen gelten, und dadurch ihre völlige Rechts-Krafft erlangen.

Der Ort hierzu müste groß, wohl erbauet, gesund, wohlgelegen, und mit allen nöthigen Lebens-Mitteln leicht, sicher und wohlfeil zu versehen seyn. Auch müste derselbe in keinem mächtigen Königreich, sondern in einem freyen Staat sich befinden, und zu einem allgemeinen, [573] niemand in der Welt unterworffenen Friedens-Platz, von den verbundenen Staaten, besonders darzu erkaufft, und gleichsam der Hof von gantz Europa werden. Das Regiment und die Policey daselbst könte, unter der Aufsicht der Friedens-Richter, ein gemeiner Stadt-Magistrat versehen.

Wegen dem Rang der Potentaten und Republicken, und daher rührenden Vortritt der Gesandten, könte man sich dahin vergleichen: daß man den ältesten, und in einer ununterbrochenen Abstammung von Königlichem Geblüt besetzten Thronen, wenn sie zugleich auch die mächtigsten sind, den Rang vor andern, die entweder nicht so alt, oder nicht so mächtig sind, gestattete: diejenige, welche wohl eben so alt, aber nicht so mächtig; oder so mächtig und nicht so alt sind, als jene, behielten zwar mit ihnen gleiches Ansehen und gleiche Hoheit; ihre Gesandten aber wichen den Gesandten der ersten aus Höfflichkeit, ohne deswegen der Macht und Würde ihrer eigenen Cronen etwas zu vergeben: diejenige von der ersten Gattung müsten im Ceremoniel, wo ein Vortritt sich äussern solte, mit einander umwechseln; und wo ja ein Gesandter dem andern zufälliger oder vorsetzlicher Weise vorgehen solte; so müste doch dadurch dem einen weder etwas genommen, noch dem andern etwas vergeben werden. In Betrachtung, daß ein vor allemahl die Gleichheit unter ihnen reguliret wär.

Die andere Cronen würden des Rangs halber nach obiger Regel leicht zu vergnügen seyn; dann wo die Macht und das Alterthum [574] zusammen stehen, da machen sie auch einen gewissen Vorzug, welchen die andere, denen entweder das eine, oder das andere mangelt, sich vernünfftig bescheiden würden, an ihnen zu erkennen. Und dieses um so viel ehender, weil sie dadurch an und vor sich selbst an ihrer Hoheit nicht das mindeste verlieren; in Erwegung daß das gantze Ceremoniel-Wesen, nachdem einmahl eingerichteten Frieden, nur eine Sache des blosen Wohlstandes und der Ordnung wär.

Alle und jede Sachen, wie sie bey dieser allgemeinen Friedens-Versammlung durch Urtheil und Recht von den darzu bestimmten Richtern entschieden, und abgethan würden; müsten ohne allen Widerspruch, für gültig angenommen und vollzogen werden; Im Verweigerungs-Fall aber, wär eine gewisse Executions-Ordnung aufzurichten; vermög welcher die Aussprüche der Friedens-Richter zur Vollziehung müsten gebracht werden: wobey man diejenige für allgemeine Feinde u. Friedens-Störer zu achten und anzusehen hätte, die sich dieser einmahl beliebten Ordnung mit Frevel, Empörung und Gewalt wiedersetzen wolten.

Alle und jede Erbfolgen und Gräntz-Scheidungen, als woraus die meiste Kriege entstehen, müsten auf eine sichere und beständig fortdaurende Art, mit und unter allen Staaten vorhero ausgemacht und reguliret werden; also und dergestalt, daß man vor einem jeden sich ereignenden Sterb-Fall bereits voraus wissen könte, auf welche Person oder Stamm-Linie dieses oder jenes Reich, Fürstenthum oder Land fiel. Wie dann zu dem Ende keine [575] Heyrath unter den Durchläuchtigen und regierenden Häussern könte und müste geschlossen werden; bevor die Erbfolgen der Staaten und Länder festgesetzt, und davon der Friedens-Versammlung, als von einer Sache, welche die Erhaltung der gemeinen Ruhe betrifft, die nöthige Eröffnung geschehen sey.

Die Handelschafft der Völcker in die entlegene Länder: die freye Seefarth, welche sich einige vor den andern anmassen: die Rechte der Zölle, des Stapels, des Strandes, der Contrebanden und dergleichen, wären auch noch solche Puncten, die vorher wüsten ausgemacht, und reguliret werden.

Die Verbindung einiger mächtigen Häusser in Europa könte dergleichen Vorschläge möglich machen, sie könten sich dadurch gesamter Hand gegen fremde Gewalt einander schützen, ihre eigene Staaten u. Provinzen aber in Ruhe beherrschen.

Daß im übrigen diese kurtze Vorschläge, welche die Verbesserung des Staats betreffen, einer weitläufftigern Ausführung bedürffen, ist man nicht in Abrede: Man müste aber sodann einen gewissen Staat allein zum Vorwurf haben, und die Zueignung darauf ins besondere richten; GOtt bessere unterdessen die Menschen und die Zeiten.


ENDE.

Fußnoten

1 Diesen Entwurff soll ehedessen der Abbé de S. Pierre in einem Tractat: Projet pour rendre la paix eternelle, weitläufftig ausgeführet haben.


Notes
Erstdruck: Frankfurt am Main (Johann David Jung) 1713.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Loën, Johann Michael von. Der redliche Mann am Hofe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-F30E-1