12. Nachtgedanken

1.

Am lang verschleierten Gemälde bleichen
Die Farben endlich ab, welk wird die Blüte,
Die sich umsonst nach Licht und Sonne mühte,
Die Kraft versiegt, kann sie nicht Ruhm erreichen.
Trug waren die verhängnisvollen Zeichen!
Verzehrt vom Feuer, das mich einst durchglühte,
Vom Grab der Hoffnung, das ich tatlos hüte,
Holt bald der Tod mich weg wie andre Leichen.
[121]
Oft Nachts, wenn alle Pulse heißer kochen,
Naht mir ein Geist und flüstert voll Verhöhnung:
Titanen nur sind nicht zu unterjochen.
Du hast die Wahl: ergib dich in Versöhnung
Dem Allgemeinlos, oder ungebrochen
Erhebe selbst die Hand zu deiner Krönung!

2.

Kein Schutzgeist unterband mir Goldsandalen,
An meiner Wiege stand mein Widerstreiter,
Zu Taten schritt nicht einen Schritt ich weiter,
Wo nicht Zufälle den Erfolg mir stahlen.
Zum freudelosen Sieg nach tausend Qualen
Macht' ich die Bahn mit meinem Blut nur breiter;
Nie, nie beging ich unumschränkt und heiter
Die großen, meines Lebens Kaiserwahlen.
Mein Streben alles blieb ein fruchtlos rauhes
Bestürmen ewig neuer Widerstände,
Ein Kampf mit Säulen eines Felsenbaues.
Für meinen Durst, für meine Fieberbrände
Fiel nie das Manna jenes Seelentaues,
Des Trostes, daß ein Herz mit mir empfände.

3.

Gesteht, daß ich die Schranken übersprungen,
Den Raum, in welchem eure Vorsicht wollte,
Daß ich mein Glück nur darin finden sollte,
Ein gut Geschöpf zu sein, das euch gelungen!
Des Menschen Stolz, die Freiheit wird erzwungen;
Noch keine Macht gab's, die nicht heimlich grollte,
Wenn eine jüngre, die bisher ihr zollte,
Nun sich auf einmal über sie geschwungen.
[122]
Durch Widerstand erwächst die Wucht der Eiche,
Das Eisen wird gehärtet in den Feuern,
Und glaubt ihr nicht vom Menschengeist das Gleiche?
Das Wort, mit dem durch jedes Meer wir steuern:
Daß jeder Widerstand der Tatkraft weiche,
Dies gibt der Welt ihr ewig Selbsterneuern.

4.

Wie klar sich auch im See die Sterne spiegeln,
Du kannst doch nicht in seine Tiefe schauen.
So lächelt mancher Blick und heischt Vertrauen
Und birgt doch nur ein Buch mit sieben Siegeln.
Ein Kerkerschloß ist leichter aufzuriegeln,
Als eine Seele, die, gestählt von rauhen
Erfahrungen, nur strebt, an sich zu bauen,
Sich läuternd wie das Erz in Feuertiegeln.
Auch ich rühm' mich, ich lernt' den Wert erkennen
Von jedem Lächeln, das wir abgewinnen
Dem Ernst der Dinge, die wir »Dasein« nennen.
Verzeih! Dünkt dir vielleicht zu trüb mein Sinnen?
Die Blume, wenn zu heiß die Strahlen brennen,
Schließt ihre Blätter gerne dann nach innen.

5.

Du rühmst den Schlaf, weil jeder Schmerz versiege,
Von seinem Hauch in süßen Traum gesungen,
Weil ausgelöscht in seinen Dämmerungen
Des Tages Qual wie Glut im Duft verfliege?
Und bangst du nicht, auf jener dunklen Stiege
Hinabzugehn ins Lügenreich, bezwungen
Und wehrlos hinzusinken, wahnumschlungen,
Beraubt um deiner Freiheit kühnste Siege?
[123]
O laß im Schlaf sein Weh den Feigen töten,
Laß Blumen selig träumen, laß der Kröten
Geschlecht den Winterschlaf im Felsen rühmen!
Doch uns soll nichts des Lebens Schmerz verblümen,
Nur ihm sei Dank mit jeder Morgenröte,
Der uns vom Staub zum Menschengeist erhöhte.

6.

Wind, Wolke, Lichtstrahl ziehn die alte Reise
Um unsern Erdball, türmen Nacht und Wogen,
Versenken Schiffe, wölben Regenbogen –
Das alte Schauspiel, stets in neuer Weise.
Die Monde wiederholen ihre Kreise,
Die Schar der Vögel kommt ins Jahr geflogen,
Geschlecht kommt um Geschlecht herangezogen,
Es wird zum Mann das Kind, der Mann zum Greise.
Wir sehn, wie bis hinauf zum Glanz der Kronen
Das Unglück dringt, wie Schuld und Not und Schande,
Pest, Krieg und Feuer nirgends ruhn und schonen.
Was klagst du, wenn du nicht gleich alle Bande
Zerbrechen kannst, um wie ein Gott zu thronen?
Auf! rüste dich zu größrem Widerstande!

7.

Geh nur, so wie du stets vorbeigegangen,
Vorbei an mir, o Glück, wenn Gold und Ehre
Dein Schoß enthielt; mein Wahlspruch heißt: »Entbehre,
Entsage jedem irdischen Verlangen!«
Zwar hab' ich's stets mit Dankgefühl empfangen,
Gab mir das Schicksal eine weise Lehre,
Auch wenn ein Honigtropfen in die Leere
Der Tage fiel, die nur ein Klaglied sangen.
[124]
Weht nur in unsern Frühling, rauhe Winde!
Kein Schneefall soll mich in dem Glauben stören,
Als ob auch die Natur mit uns empfinde.
Ich könnte nicht der Lerche Jubel hören
In meinem Mißmut, und das wonneblinde
Geschlecht der Blumen müßte mich empören.

8.

Obwohl erdrückt beinah vom Seelenschmerze,
Obwohl allein und auf dem schlimmsten Pfade,
Doch sucht' ich nicht bei Menschenherzen Gnade,
Ich wußte wohl, ich schlüge nur an Erze.
Ich höhnte meines Grams, ich schwang im Scherze
Das volle Glas und pries auch alles Fade,
Und Mancher sprach: »Dies Licht brennt schön gerade,«
Und doch war's nur das Licht der Leichenkerze. –
Das Wort des Lebens schließt mit trüber Endung;
Zum schwarzen Stein inmitten einer Wüste
Zieht jedes Strebens gottbeseelte Sendung.
Beglückt, wer glaubensfroh sein Mekka grüßte,
Wer sich verzehrt in seliger Verschwendung,
Wer nie mit Hohn sein kühnstes Wollen büßte.

9.

Was zu erleben wäre wohl das Beste?
Einherzuziehn auf stolzem Siegeswagen,
Nachdem man einen kecken Feind geschlagen,
Der unsrer Freiheit bestes Blut erpreßte?
Trophäen, Siegsgepräng' und Siegesfeste?
Doch wenn ich müßte deshalb dir entsagen,
[125]
Wie dann? – Ich will die kleine Schwalbe fragen,
Die so vergnüglich lebt in ihrem Neste.
Wie eng ist unser Dasein! Unser Wille
Hat nur die Wahl, in hohem Stolz entweder
Sein Glück zu suchen, oder in der Stille!
Wer mit dem Degen, wer mit Wort und Feder
Den Kampf führt, lass' das Traumbild der Idylle!
Mit Blütenschmuck prangt nicht zugleich die Zeder.

10.

Wie lang durchblätterst noch du diese Rolle,
Drauf jedes Unrecht steht, das du erlitten,
Das deiner Brust mit Haß ward eingeschnitten
Und eingeätzt mit langgenährtem Grolle?
Es kommt die Zeit noch, die erfüllungsvolle,
Sie kommt, wo du emporgerichtet mitten
Durch deine Feinde gehst mit freien Schritten
Und fragest, wer dich noch mißachten wolle?
Dann wirst du jedes Denkmal der Entweihung,
Wirst Grimm und Staub aus deinem Leben merzen
Und deine Seele tränken mit Befreiung.
Erlöst von einem großen Menschenherzen,
Wirst du die Tränen glühender Verzeihung
Ausweinen und die lange Nacht verschmerzen.

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TextGrid Repository (2012). Lingg, Hermann von. 12. Nachtgedanken. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-F119-8