[211] 12. Bilder aus der Völkerwanderung

Widmungsgedicht zur Völkerwanderung

an Seine Majestät König Ludwig II. von Bayern


Erhabner Herr, der König du zugleich
In deinem Lande bist, von Gott berufen,
Und König in der Ideale Reich,
Empfang dies Lied an deines Thrones Stufen!
Aus ferner Zeit her dämmert's sagenbleich
Von Größtem, was die deutschen Stämme schufen,
Wie sie um Heldenkön'ge sich geschart,
Die vorgeleuchtet ihrer kühnen Fahrt.
Sie hoben sich aus meerumrauschter Wiege
Empor, wie Eichen aus dem Bergesschoß,
Wo sie geträumt vom Ruhm der künft'gen Siege,
Im Grund, der ihrer Vorzeit Nacht umschloß;
Als ob der Flut ein Schlachtengott entstiege,
So urgewaltig kühn und riesengroß,
Und wie geweckt zu einem Weltgerichte
Betraten sie das Walfeld der Geschichte.
Wie sie von Meer zu Meer, von Nordlands Belt
Bis an den Saum der Wüste vorgedrungen,
[212]
In Trümmer schlugen eine morsche Welt
Und aus den Trümmern Kronen sich errungen,
Wie sie Gesetz und Rechte neu bestellt,
Und wie sie dann, in Kämpfen unbezwungen,
Der Milde und Gesittung sich gebeugt,
Das hat die Welt, durch sie verjüngt, bezeugt.
So großen Vorwurf in ein Bild zu bringen,
Ich hab's gewagt, und mit der Worte Macht
Ein Chaos zu gestalten, zu durchdringen
Und zu erhellen jene ferne Nacht.
Wenn mir's gelang, darf ich den Dank dir bringen?
Durch deine Huld ward ja mein Werk vollbracht.
Du hast gewährt, daß dir dies Lied ertöne,
Daß sich das Werk mit deinem Namen kröne!
Nach andrem Ziel zwar ringt die Menschheit jetzt,
Als dort im Sturm der wilden Kriegsgedränge.
Ein Höh'res hat sie sich zum Ziel gesetzt,
Und ihre Hymnen sind nur sanftre Klänge;
Vergib darum, wenn sich wie blutbenetzt
Dir nahn die düsterschweren Schlachtgesänge!
Man sieht oft gern im blüh'nden Lebensglück
Auf längst vergangner Zeiten Grau'n zurück.
Nicht ganz verloren aber ging die Sage,
Nicht ganz verklungen ist das Heldenlied.
Denn welchem Erdenlos und welcher Klage
Die Dichtung einen höhern Wert beschied,
Da lebt und blüht es fort in fernste Tage,
Da kämpft noch hoch zu Roß der tote Cid,
Und Throne, die ihr Zauberkranz umsponnen,
Schau'n leuchtend durch der Zeiten Nacht wie Sonnen.
Die Muse mit der Künste heitern Reih'n
Kam stets, den Ruhmsaal deiner hohen Ahnen
[213]
Und dein erlauchtes Herrscherhaus zu weih'n.
Du führtest in den Reigen ihrer Bahnen
Die zartbeschwingte, die Musik noch ein,
Zum Adlerflug den tonbegabten Schwanen,
Und wiesest aber nicht aus deiner Gunst
Die Schwestern, Poesie und Bildnerkunst.
Darf sich da nicht des Dichters Wunsch erheben,
Wenn volles Dankgefühl das Herz ergießt,
Es möcht' sein Lied auch ein'ge Strahlen geben
Zum Glanze, der dein Königshaupt umfließt?
Es mög', o Herr und König, dich umschweben,
Wenn Dunkel um die Bergeshöh'n sich schließt,
Weihvoll im goldnen Licht der Dämmerungen,
Ein Heldengeist der Völkerwanderungen!
Erhör denn auch der Himmel unser Flehn,
Sein Segen sei stets um dein Tun gebreitet,
Von ihm, in dessen Hand die Fürsten stehn,
Und der die Völker und ihr Schicksal leitet!
In dieser Zeit voll Kampf und Untergehn
Und in dem Kampf, den Licht und Dunkel streitet,
Wie Groß' und Edles nur dein Sinn erkor,
Geh siegesreich aus jedem Kampf hervor!

Völkerfrühling

Erloschen sind Gestirne, Nationen,
Ihr Nachglanz leuchtet in die fernste Nacht.
Zur Freiheit sind nach jahrelangen Fronen
Schon halbversunkne Völker neu erwacht.
Sie blicken nach der Väter Lorbeerkronen,
Erheben sich, und in verjüngter Macht
Versuchen sie auf Schiffen, Roß und Wagen
Ans Kampfziel einer neuen Zeit zu jagen.
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Nicht lang mehr werden Mut und Tatlust rosten;
Siegreich in neuen Morgenröten stieg
Der Taten Sonne wieder auf im Osten,
Nachdem sie zürnend manch Jahrhundert schwieg.
Der Süden flammt, die Abendlande glosten,
Und alles deutet für die Völker Sieg.
Von allen Höh'n, der Knechtschaft überdrüssig,
Macht junges Licht das Eis der Vorzeit flüssig.
Von Frühlingsnebeln geht der Mond umflossen
Still im Zenith durchs tiefe Nachtazur.
Es sucht und fühlt in Knospen halb erschlossen
Ihr auferwachend Leben die Natur.
In allen Lüften mai't es; Keime sprossen,
Und nicht im Schoß der stummen Erde nur:
Lebendig wird in Wonnen und in Schmerzen
Ein neues Dasein auch in Menschenherzen.
Sei mir gegrüßt, du milder Frühlingshauch,
Sei mir gegrüßt, du Strauch von jungen Rosen!
Ihr seid's allein, die ich zum Dichten brauch',
Wenn abendlich im Vorhang Lüfte kosen,
Am Pult mir Blumen blühn, Frühwolken auch
Verkünden, daß nun bald die Donner tosen,
Daß bald vom Blitz der ersten Juniglut
Gekrönt der Berg ist und vom Schaum die Flut.
Wie süß ist's, Ruder in den See zu schlagen,
Wenn noch die Wellen deckt ein Nebelflor;
Wie süß, in Frühlingsnächten hinzujagen
Auf schnellem Roß durch Heide, Wald und Moor,
Durch Gegenden, die finstre Züge tragen,
Wo Birke nur gedeiht und niedres Rohr,
Auf Bergen auch zu horchen, über Schluchten
Des Waldbachs Sturz, der Woge schnellen Fluchten.
[215]
Warum nicht unsre Phantasie betrügen?
Ist doch so vieles, was uns ernster macht,
Nur ein Erscheinen minder holder Lügen?
Durchschwärmt nicht unsers Erdballs schöne Nacht
Die Menschheit stets in neuen Maskenzügen?
Und wo sie jubelt, wehklagt oder lacht,
Sie folgt der Täuschung, wie das Schiff dem Glanze
Der Mondlichtstreifen auf dem Wellentanze.
Verlassen lag ich einst in Finsternissen,
Voll Zweifelsqual, verzehrt vom innern Brand.
Von dir ward ich dem schweren Traum entrissen,
Von dir, Geschichte! Deine Geisterhand
Ließ bald mich ein gequältes Selbst vermissen,
Du gabst die Erde mir als Vaterland.
Gelingt mir je ein Lied zu meinem Ruhme,
Dir folg' es, wie dem Licht die Sonnenblume.
Zwar neigt der Tag schon bald sich meinem Haupte,
Und näher rückt des Lebens Mittagszeit,
Und die mit Rosen noch den Tag umlaubte,
Die Jugend sinkt hinab in Dunkelheit.
Zu früh erbleicht, was man zu dauernd glaubte,
Zu spät wird man von manchem Wahn befreit;
Nur ein Trost bleibt, der Trost, im großen Ganzen
Sich geistig, sich unsterblich fortzupflanzen.
Zersplittert wird die Kraft, der Mut gebrochen,
Die Glut wird Asche, wie die Hoffnung Schaum,
Doch wird das Herz im Herz der Menschheit pochen,
Wenn längst zerfloß das Dasein wie im Traum;
Die Blüte wird zur Frucht nach wenig Wochen,
Nach Jahren aus der Frucht ein neuer Baum;
Wenn alles auch ein letzter Tag bewältigt:
Im All lebt alles fort vertausendfältigt. –
[216]
Stürmt an, dringt vor, ihr tapfern Siegesboten
Des Weltgerichts! Auf, blonder Alarich!
Vandalen, Markomannen, Sueven, Goten,
Auf, Attila! Auf, düstrer Geiserich!
Werft diese Stadt hinunter zu den Toten,
Ihr Maß ist voll, ihr graus' Gestirn erblich.
Dringt an, stürmt vor, und euren blut'gen Wegen
Folg' Heil und einer neuen Ära Segen!

Der Aufbruch der Hunnen

Man sagt, zum Lager des Nomadenstamms
Kam wandernd einst durch die verbrannten Strecken
Ein großer Hirt im grauen Elenwams.
Sein Antlitz war entstellt von Pockenflecken,
Sein Leib verzehrt und elend; um ihn schwamm's
Und kroch's von Raupen, Mäusen und Heuschrecken,
Die er mit dorngeflochtner Geißel hieb
Und fluchend vorwärts durch die Heide trieb.
In seinen hohlen Blicken lag ein tiefer,
Jahrhundertalter Gram, ein grauer Bart
Hing lang und wirr vom abgedorrten Kiefer;
Um seine Schultern saß nach Jägerart
Ein Tierfell, doch zersetzt, voll Ungeziefer,
Und wie sein Scheitel, grau und dünnbehaart.
Um seine Lenden bei der Ledertasche
Hing wie bei Pilgern eine Kürbisflasche.
Indem er vor die Lagerwälle saß
Und Dorne zog aus seinen nackten Füßen
Und seine Herde rings die Flur zerfraß,
Sprach er zum Volk umher: Ich soll euch grüßen.
Ich bin der Hunger; Moos und dürres Gras,
Gefallner Tiere Fleisch lernt' ich genießen.
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Die Wurzel, die ich aus der Erde riß,
Dünkt meinem Gaumen noch ein Leckerbiß.
Ich wohne bald am unfruchtbaren Meere,
Bald, wo taglang am toten Dromedar
Die Schakals nagen in der Menschenleere,
Wo nie der Sand ein Sonnenkind gebar.
Auch mach' ich oft mit einem Siegesheere
Vor aller Welt mein Dasein offenbar
Und lass' in Städten, die sich täglich füllen,
Die Menschen wütend durch die Straßen brüllen.
Zu euch jetzt! Wandert aus von euren Sitzen!
Zieht aus und fort, von mir hinausgeschreckt!
Durch ferne Länder sollt ihr niederblitzen,
Wie Hagel, der die Saaten niederstreckt,
Und wie ein Wolkenbruch in Felsenritzen
Versiegt und in die Tiefen sich versteckt,
So sollt auch ihr im großen Völkerbrunnen
Versiegen gehn. Und jetzt – fort! vorwärts, Hunnen!
Er sprach's, da ward von unzählbaren Nagern
Die Heide bald ein ödes Heidegrab.
Der Hunne sah die Herde täglich magern
Und einen Boden, der ihm nichts mehr gab.
Und also zogen sie aus ihren Lagern
Vom Steppenhochland Asiens herab
Und wälzten, Volk um Volk in sich begrabend,
Verheerend sich von Morgen gegen Abend.
Sie kommen, wie das Herbstlaub von den Ästen,
Das aufgehäuft im Sturm von dannen fliegt.
Am Tanais und wo in den Morästen
Des Schwarzen Meers der große Strom versiegt,
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Entfliehn solch nie gesehnen Schreckensgästen
Teils unterjocht und teils noch unbesiegt
Nach Süd und West sich rastlos fortbewegend,
Die namenlosen Stämme jener Gegend.
So muß es sein, wenn in den Tropenzonen
Durch Urwaldnacht ein plötzlich Feuer leckt;
Im Flug ergreift's die höchsten Gipfelkronen,
Aus Höhlen, die kein Lichstrahl noch entdeckt,
Fliehn alle Tiere, die den Forst bewohnen;
Der Adler, von dem neuen Tag erschreckt,
Verläßt sein Nest am tausendjähr'gen Stamme
Und rauscht empor, ein Phönix aus der Flamme.
Zu Boden stürzen uralt dunkle Rüstern,
Die Äste fliegen prasselnd auf, es blitzt
Aus Säulen Rauches, die den Himmel düstern;
Es kocht der See, Fels, Sumpf und Erde schwitzt;
Die Steppenrosse mit weit offnen Nüstern,
Die Mähnen hoch, die Adern aufgeschlitzt,
Fliehn fort und fort, verfolgt vom Feuerstrudel,
Und ihnen nach der Antilopenrudel. –

Die Schlacht auf den katalaunischen Feldern

Ein grauer Tag erhebt sich trüb im Osten
Der Flur, wo jetzt Campaniens Traube reift,
Da sehn des Gotenheeres erste Posten
Beim Dämmerlicht, das um die Höhen streift,
Wachfeuer fern durch Nebelmeere glosten,
Und als Aëtius sein Schwert ergreift,
Vernimmt er schlachtenmutig, todesbräutlich
Das wilde Lied der Hunnenkrieger deutlich.
Noch zweifelnd, ob er heut die Schlacht schon wage,
Steht drüben sinnend Attila und stellt
[219]
An seine Priester die Verhängnisfrage,
Allein und unruhvoll in seinem Zelt –
»Die Götter künden unsre Niederlage,« –
So sprechen die – »horch, wie die Wölfin bellt!
Doch mit dem Tod auch büßt dein überlegner,
Dein größter Feind, der kühnste deiner Gegner.« –
»Zur Schlacht denn!« ruft der König ohne Zagen,
»Aëtius falle! Meine Sorge soll
Der Sieg sein. Auf, laßt an den Heerschild schlagen!
Weckt meine Fürsten! Eine Stimm' erscholl:
Die Geißel Gottes wird die Völker jagen,
Bis seines Zorns gemessne Schale voll.
Mein Speer sei's, dem zuerst ein Feind erliege;
Wer mir nicht folgt, wer flieht, stirbt nach dem Siege!«
Wo kornreich Land in üppiger Bewellung
Durchströmt die Marn', erhebt gebieterisch
Ein grüner Hügel sich in sanfter Schwellung,
Bedeckt von Wald und niedrem Strauchgebüsch.
Nach seines Gipfels auserles'ner Stellung
Fliegt auf den Fahnen Löwe, Greis und Fisch;
Bald tönt der Schlachtruf aller Nationen,
Die zwischen Tiber, Rhein und Wolga wohnen.
An Bannern, Waffen und Gestalt verschieden,
Doch gleich an Wut und wilder Tapferkeit,
Begegnen die noch nie gekannt den Frieden,
Der großen Wandrung Völker sich im Streit,
Des Goten Schwert, die Lanze des Gepiden,
Des Römers Trotz, des Scythen Schnelligkeit.
Ein Wunder ist die Schlacht, so vielgestaltig,
An Taten wie noch nie ein Tag gewaltig.
Auf Rossen, schnell mit kurzen, schwarzen Mähnen,
Stürmt wütend hier das Volk der Hunnen ein,
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Den kurzen Wurfspeer zwischen ihren Zähnen,
Geschuppten Stahl vom Rumpf bis an das Bein.
Sie gleichen Wölfen, grinsenden Hyänen,
Sie scheinen Pferd und Mensch zugleich zu sein;
Den Feind begrüßen sie, mit Zähnefletschen,
Die Keulen schleudernd, die sein Haupt zerquetschen.
Dort fliegen Lanzen aus der Römer Gliedern
Auf Attila's Ostgotenreiterei.
Doch diese, statt den Angriff zu erwidern,
Braust an dem Zug der Legion vorbei,
Und Rache tönt aus ihren Schlachtenliedern,
Entsetzen liegt in ihrem Feldgeschrei.
Sie suchen über Sterbenden und Toten
Zum Kampf das Brudervolk der Wisigoten.
Hartnäckig, grimmig, blutig ohnegleichen
Bis in die Nacht kämpft man mit höchster Wut;
Hoch schwillt der Strom, kaum faßt sein Bett die Leichen.
An beiden Ufern suchen in die Flut
Verwundete mit Helm und Hand zu reichen
Und trinken Freundes so wie Feindes Blut.
Erdbeben dürften eine Welt zerstören,
Die Kämpfer würden kaum den Donner hören.
Zu fallen ist kein Raum, wie erzverbunden
Stehn Mann an Mann, beseelt vom Schlachtengeist.
Der Gote kämpft, indem er aus den Wunden
Das feindliche Geschoß sich lachend beißt,
Damit kein Aufschub auch nur von Sekunden
Dem heißen Streittag seinen Arm entreißt.
Selbst deren Odem schon der Tod vernichtet,
Stehn noch wie lebend da mit aufgerichtet.
Der Hunne, da die Nacht kam, war geschlagen,
Die Schlacht entschied der tapfre Torismund.
[221]
Doch ward auf einer Bahre schon getragen
Theodorich, der Heergreis, todeswund.
Sein Sohn, noch stürmend die verschanzten Wagen,
Die Sattelburg, worin der Hunne stund,
Schrie: »Stürmt ihr Goten, ströme Blut in Bächen!
Den Helden, meinen Toten will ich rächen.«
Rings um die Wagenburg trotzt undurchdringbar
Ein Wall von Pfählen und ein Wall von Mut.
Mit schweren Steinen, Waffen kaum erschwingbar,
Behaupten sich die Hunnen drin voll Wut,
Wie Leu'n in ihrer Höhle unbezwingbar,
Ihr König höhnt: Kommt an und laßt das Blut
Vom Knöchel steigen bis ans Wehrgehenke,
Zur Tiber führ' ich doch mein Pferd zur Tränke!
Des Bogens Schaft ergreift nach diesen Worten
Sein sieggewohnter Arm, die Sehne schwirrt,
Es tönt, als würden von der Gräber Pforten
Die schweren Eisenriegel aufgeklirrt,
Und rückwärts fliehend sehen Roms Cohorten
Auf Sätteln von den Rossen abgeschirrt,
Hoch zwischen roten Fackeln unerreichbar
Ihn thronen einem Götzenbild vergleichbar.
An diesem Schlachttag wurde nicht gerungen
Um eines Purpurs, einer Krone Nichts,
Das Schicksal hat in jedem Pfeil geklungen,
Auf jedem Schild die Schale des Gerichts.
Die finstre Nacht hat sich herabgeschwungen,
Es lagen da die Toten, bar des Lichts,
Und hie und da noch schwer aufatmend stöhnten
Die Schwerverwundeten und Unversöhnten.
Da rauscht einher ein Zug von schwarzen Schwänen.
Die kreisen übers Walfeld. Wo ihr Flug
[222]
Erschlagne trifft und toter Rosse Mähnen,
Da schnaubt das Roß zum Streiter, den es trug,
Es wiehert dumpf; es knirschet mit den Zähnen
Der Mann, der seinen Gegenmann erschlug,
Und weckt ihn auf, zum Kampf sich neu zu schicken
Mit müdem Arm, mit todeskalten Blicken.
Jungfrauen sind indes die Schwäne worden,
Jungfrau'n mit blankem Schwert in dunklem Stahl;
Sie wenden sich nach Ost, Süd, West und Norden:
Steht auf Erschlagne, kämpft zum andernmal!
Da murrt's: Ist noch der Gott nicht satt vom Morden?
Walkyren, heischt ihr noch ein Leichenmahl?
Belebt euch, Herzen, schließt euch, Todeswunden!
Auf, Goten, Franken, auf! Wacht auf, Burgunden!
Und aufwacht Feind auf Feind und kämpft erbittert,
Helm über Helm und Schwert auf Schwert erschallt,
Heerhorn und Schlachtruf tönt, Pfeil, Speerwurf splittert,
Blut trieft herab, Panier und Helmbusch wallt,
Schild schlägt auf Schild, die finstre Luft erzittert,
Wie fester Boden, der von Streichen hallt;
Der Streiter Leiber scheinen unzerstörbar,
Kein Todesröcheln wird, kein Wehruf hörbar.
Indes sich so die bleichen Schatten jagen,
Verteilt mit Odin Freia Weg und Wind.
Er spricht zu ihr: Wie stehen unsre Wagen?
Du weißt, ich bin auf einem Auge blind.
Nimm du, die auf der Brust die Wunde tragen,
Und ich, die auf dem Haupt getötet sind;
Die weißen Rosen ich und du die roten. –
So teilten sie die Schlacht, den Sieg, die Toten.

[223] Eudoxia 1

Sie saß, gestützt das Haupt auf ihre Linke,
Ins Zimmer brach ein trüber Sonnenschein.
Still traten und erwartend ihre Winke
Mit Brot und Früchten ihre Diener ein.
Doch ob Granat' und Goldorange blinke,
Ob aus dem Becher funkle süßer Wein,
Sie blickt nicht auf, ihr Mund ist fest geschlossen,
Und Wein und Früchte werden nicht genossen.
Da naht sich ihr und unterbricht das Schweigen
Ein junger Neger mit gebeugtem Knie.
Auf goldner Schale reicht er süße Feigen
Und spricht: O Fürstin, schön're sahst du nie.
Erst seit drei Tagen sind sie von den Zweigen,
Der Himmel meiner Heimat reifte sie;
Ein guter Fahrwind ließ es uns gelingen,
Von Afrika sie frisch nach Rom zu bringen.
»Von Afrika!« – und ihre Blicke flammen –
»Und sahst du dort die großen Helden nicht,
Die aus dem wunderbaren Norden stammen,
Von deren Mut und Kraft die Sage spricht,
Daß sie gepanzert manchen Sund durchschwammen,
Ja, daß sie mit der Waffen Erzgewicht
Dem Drang der Wogen sich entgegenstemmten
Und so den Fluß in seiner Strömung hemmten?
Und sahst du ihren König, jenen düstern
Vandalen Geiserich? Sein wilder Mut,
[224]
Nach unsern blühendsten Provinzen lüstern,
Ist eine Sorg' uns, welche nimmer ruht.
Hier nennt man seinen Namen nur mit Flüstern,
Doch sag, blieb auch in eurer Sonnenglut
Die Kriegslust seiner Scharen unermüdlich?
Ward noch ihr Herz nicht üppig, weich und südlich?«
»Nein, Fürstin, mächtig saust noch ihre Lanze,
Karthago dröhnt von ihrem Eisenschritt.
Wir sahn sie nächtlich oft beim Fackelglanze,
Wenn aus dem Hafen ihre Flotte glitt.
Auch nahmen sie zum kühnen Waffentanze
Und in die Wüste mich zum Weidwerk mit;
Ich sah sie von des Tigers Blut gerötet,
Den sie mit Einem Schwertesstreich getötet.
Ihr König thront, vom Löwenpaar begleitet,
Im düstern Schloß, dem alle bang nur nahn.
Man sagt, wenn durch sein Arsenal er schreitet,
Die Waffen fingen sich zu rühren an,
Solch eine Strömung dunkler Kraft verbreitet
Sein Kriegergeist. Zieht er der Schar voran,
So ist's als ob sie Flammenhauch durchquölle;
Sie folgt ihm nach, und ging' es in die Hölle.«
Er sprach's – in jedem seiner Worte grüßte
Die Fürstin einen Rächer ihrer Schmach.
»Weit mehr als seine süße Frucht versüßte
Mein Herz, was dieser Afrikaner sprach.
Nicht immer, scheint's, kommt Tod nur aus der Wüste;
All meine Hoffnung lag verdorrt und brach,
Und nun schickt mir das Sandmeer Tau und Regen,
Auf denn, Gedanken! eurem Ziel entgegen!«
Verborgen längst vor Luft und Tageshelle
Lag im Palast noch aus der Heidenzeit
[225]
Der alten Kaiser düstre Hauskapelle,
Dem Pluto und der Nemesis geweiht.
Die halb verschüttet, halb verbaute Schwelle
Betritt allein in tiefster Dunkelheit
Eudoxia, furchtlosen Mutes, schweigend,
Mit vorgehaltner Leuchte niedersteigend.
Ihr Licht erhellt die mächtige Rotunde,
Der Luftzug haucht mit kaltem Geisterkuß.
»Ha, dort, du Marmor mit dem bleichen Munde
Voll Hohn und bittrem Menschenüberdruß,
Willkommen finstrer Gott in dieser Stunde!
Ich kenne dich, du bist Tiberius.
In diesen Schläfen, hohl und doch erhaben,
Lag unter Lastern ein Titan begraben.
Auch du dort, Henker voll der blut'gen Witze,
Befleckter Wüstling, Narr Caligula!
Wähnst du dich endlich vor dem Glanz der Blitze
Hier sicher? Sprich doch, grinse doch ein Ja,
Wie einst so oft beim Mahl von deinem Sitze
Zu Bluturteilen. Und auch du, sieh da,
Der hoch vom Turm ein griechisch Lied gesungen,
Als Rom im Todesflammenkampf gerungen.
O hört mich, ihr! Und was von Weibesschwächen
Noch in mir wohnt, tilgt aus durch düstern Bann!
Gebt mir, die unerhörte Schmach zu rächen,
Das Herz von Stein, das nichts erschüttern kann.
Vollenden helft den Kreislauf der Verbrechen,
Den Bau des Fluchs, der unter euch begann.
Mein Werk ist eures: Mord, Verrat, Entthronen:
Seid günstig denn, ihr, dieses Dachs Dämonen.«
Sie rief's, und fest wie von geglühtem Stahle
Ward ihre Brust. Sie stieg empor und schrieb:
[226]
Dies sendet dir, gefürchteter Vandale,
Roms Fürstin, die ein schlauer Kronendieb,
Ein Stifter blutbefleckter Bacchanale
In ein Gewebe tiefster Schande trieb.
Erscheine! Räche! Stürz ihn von dem Throne!
Roms schönster Schmuck sei dir dafür zum Lohne.
Mit diesem Brief und wenig treuen Sklaven
Verließ die Kaiserburg ihr Kämmerling
Und ritt sogleich zum nächsten Meereshafen,
Wo schon gerüstet ihn ein Schiff empfing,
Das, eh' den Mast noch Morgenlüfte trafen,
Schon hoch im Meer mit seiner Sendung ging,
Und als die Flut zum drittenmal sich sonnte,
Im Angesicht Carthago's ankern konnte.
Auf seinem Thron, umgeben von Vasallen,
Vernahm die Botschaft König Geiserich.
Sein Antlitz überflog ein Wohlgefallen,
Mit wildem Lachen rief er: Sicherlich,
Die Zeit ist da, die welken Blätter fallen,
Ich werde kommen. Rom erwarte mich!
Er sprach's, und ließ sofort als Friedenszeichen
Den Boten Becher und Geschenke reichen.

Fußnoten

1 Eudoxia, die Witwe des ermordeten Kaisers Valentinian, hat dem Nachfolger desselben, dem Petronin Maximus, auf sein dringendes Werben die Hand am Altare Gereicht. Da ihr aber Maximus in der Brautnacht unvorsichtig seine Mitschuld an dem Tode ihres ersten Gemahls entdeckt hat, fühlt sie sich vom tiefsten Abscheu gegen ihn erfüllt und sinnt darauf, ihn zu verderben.

Geiserich's Abzug von Rom

Als nun mit ungeheuern Beutelasten
Die Flott' ins Meer ging durch den Tiberstrom,
Daß alle Schiffe kaum den Reichtum faßten
Und wie verwaist schien und erstorben Rom,
Da standen Marmorgötter an die Masten
Gebunden, Zierden sonst im Tempeldom,
Erzbilder, weggeführt aus heil'gen Nischen,
Sahn unter sich den Schaum der Woge zischen.
[227]
Gelagert in der Segel langen Schatten,
Bestaunten Krieger, was vom Capitol,
Was in den Villen sie geplündert hatten.
Gefiel sein Römerschwert dem Einen wohl,
So pries ein Andrer schwere Silberplatten,
Kunstwerke von Rubin und Karneol;
Armspangen, Ringe, goldner Ketten Splitter
Entschüttelte aus seinem Helm ein Dritter.
Und Vasen, Münzen, Leuchter, Gürtelbänder,
Trophä'n aus jedem Sieg, den Rom erfocht,
Pupurne Teppiche und Kriegsgewänder,
Dran wohl noch jüngst ein tapfres Herz gepocht,
Dies alles mit den Schätzen fernster Länder
Lag da in großen Ballen aufgejocht;
Daneben saßen stumm in Gram verloren
Gefangne Ritter, Frauen, Senatoren.
Oft, wenn ein Schiff sich um das andre wandte,
Erhob sich an den Borden Haupt um Haupt.
Hier rief ein Freund dem Freunde; Küsse sandte
Der lieben Tochter, die man ihr geraubt,
Dort eine Mutter zu; ein Sohn erkannte
Den Vater wieder, den er tot geglaubt;
Ein kurzer Augenblick voll Lust und Leiden
Vereinte Wiedersehn und neues Scheiden.
Wo ist nun euer Gott, der Weltenlenker?
Rief ein gefangner Römer, sprich du dort,
Du Mann des Kreuzes, sag mir, grauer Denker:
Bekämpfst du heute noch mein Zweifelwort?
Doch ja, dein Gott vergab ja seinem Henker,
Erlösend, sagst du, wirkt sein Leiden fort.
Nur – wenn vom Druck nicht, der uns jetzt betroffen,
Von welchem sollen wir Erlösung hoffen?
[228]
Der Herr erlöst uns aus der Haft der Sünden,
Aus keiner sonst, entgegnet ihm der Christ;
Doch statt den Grund des Bösen zu ergründen
Und wie der Schmerz der Sünde Sold nur ist,
Laß mich von jenem Bischof dir verkünden,
Den du im bleichen Schwarm dort walten siehst,
Wie nimmer müd' er sich zu allen wendet,
Verlassnen Trost, Arznei Erkrankten spendet.
Als einer Witwe einz'ger Sohn gefangen
An Bord geführt ward von der Sieger Hand,
Und Kind und Mutter weinend sich umschlangen,
Und tatlos klagend rings die Menge stand:
Da trat er vor, der Priester ohne Bangen,
Und sprach, zur beutegier'gen Schar gewandt:
Wollt ihr zur Arbeit einen Sklaven haben,
Nehmt mich, den Mann, statt dieses zarten Knaben!
Und als der Führer ihm erstaunt die Bitte
Gewährt, da streift er ab den Kreuztalar,
Und bietet, nicht, als ob er Schmerz erlitte,
Nein, lächelnd seinen Arm der Fessel dar,
Und hoch die reine Stirn, mit festem Schritte
Das Schiff betritt er in der Sklaven Schar.
Sprich Zweifler nun, wen so ein Gott begeistert,
Ob dessen Herz ein Übel noch bemeistert?
Der Alte schwieg und sah vertief vom Rande
Des Schiffs, wie Schaum an Schaum vorüberfloß.
Da trat zu ihm ein Sohn der Morgenlande
Und sprach: Jehovah nur, der Herr, ist groß.
Was Titus einst geraubt im Tempelbrande,
Sieh jene goldnen Leuchter Salomos!
Jetzt führt sie jener König aus dem Norden
Hinweg, vor welchem Rom ein Spott geworden.
[229]
Doch diesem auch, und mag er noch so prächtig
Am hohen Seestrand thronen, einmal naht
Auch ihm die Wolke schwarz und mitternächtig,
Und tilgt vom fremden Boden fremde Saat.
Kein Reich wird durch erdrückte Völker mächtig,
Vergeltung zeugt sich jede Freveltat.
Wie viele Völker waren Zions Hasser
Und sind dahin wie Schaum auf diesem Wasser?
Am Steuer saß, umringt von erznen Streitern,
Karthago's Fürst. Jetzt winkt' er und befahl,
Mit Liedern, die ein banges Herz erweitern,
Mit Feuerwein und reichbesetztem Mahl
Die Seelen der Gefangnen zu erheitern.
Auch mir, so rief er, füllt den Festpokal!
Wer weiß von morgen! Weil wir's heute dürfen,
Laßt uns des Sieges froh Falerner schlürfen!
Der König rief's. Und bald in freudevollster
Bewegung war das Schiff; manch brauner Schlauch
Ward hergeschleppt, man legte Purpurpolster
Um Marmortisch' und Bretter schwarz von Rauch,
Und Heil'ges und Profanes ward in tollster
Vermischung nun verwandt zum Trinkgebrauch,
Vom Weine troff beim wilden Bacchanale
Der Kelch des Nachtmahls wie die Opferschale.
Doch als allmählich sich in Abendferne
Die letzte Küste dämmernder verlor,
Da kamen nicht wie sonst die goldnen Sterne,
Da stieg vom Norden schwarz Gewölk empor.
Von jedem Maste nun, als flücht' es gerne,
Bog ängstlich sich das weiße Segel vor;
An jedes Kiels umerzter Eichenwandung
Zischt' höher schon und rauschender die Brandung.
[230]
Laut sausend kommt der Sturm; da bäumt mit Grollen
Die Woge sich, eisgrün emporgeschwellt.
Die schaumgekrönten Flutgebirge rollen,
Von blauen Flammen schrecklich nun erhellt,
Nun wieder zugedeckt von schauervollen
Verfinstrungen, die der Orkan durchgellt.
Bald irrt nach allen Winden die zerstreute
Vandalenflotte mit der Römerbeute.
An Bord des Schiffs, auf welchem in Verbannung
Von Götterbildern ein Olymp entflog,
Trotzt' heldenkühn im Sturme die Bemannung.
So oft ein Windstoß tief die Masten bog,
So oft das Segel in der höchsten Spannung
Das Schiff fast mit sich in die Wogen zog,
Erhoben sie, das Element zu höhnen,
Ein lachend Lied in lauten Jubeltönen.
Doch wie nun Blitz um Blitz mit grellen Strahlen
Die Götterbilder flammend übergoß,
Erschienen wie belebt die kolossalen
Metallnen Glieder bleich und riesengroß.
Zu drohen schien ihr Antlitz den Vandalen,
Ein Zürnen wie erzürnter Geister schoß
Aus ihrem starren Blick und ließ hingegen
Erstarrung auf die Lebenden sich legen.
Ein Bild Neptuns stand zwischen Eichenkloben
Aufrecht gebunden an den Vordermast.
Wenn nun das Schiff vom Sturm emporgehoben
Hoch in die Wellen sprang mit seiner Last,
Erschien der Meergott wie in Wolken oben,
Den goldnen Dreizack hielt sein Arm gefaßt,
Und neben ihm, der finster niederdrohte,
Stand furchtbar Hermes da, der Götterbote.
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Ein Steuermann rief aus: Gewiß beschwören
Den Sturm uns diese fremden Götzen nur;
Denn ihrer dunkeln Höllenmacht gehören
Noch stets die blinden Kräfte der Natur.
Wohlauf denn, Brüder, laßt uns sie zerstören,
Eh' das Verderben auf uns niederfuhr!
Kein Zaudern mehr! Ergreift die Waffen schnelle!
Zerschlagt und werft sie stückweis in die Welle!
Er ruft's, und Jene folgen ihm. Durchs Heulen
Des Sturmes brüllt ihr Kampfruf in die Nacht.
Mit Äxten, Schwertern, ries'gen Eisenkeulen
Beginnen sie die unerhörte Schlacht.
Schon trümmern Glieder von den Göttersäulen,
Da fährt der Blitz ins Schiff. Der Mast zerkracht,
Bordüber schlägt die Flut, entführt das Steuer,
Und durch die Taue prasselnd saust das Feuer.
So gegen Götter mit den halbverbrannten,
Halbnackten Leibern gleicht ihr Kampf dem Drohn
Der alten Himmelsstürmer und Giganten,
Wie sie mit Zeus im Zwist vom Pelion
Machtlose Schwerter gegen Blitze wandten.
Und so ihr Tod: die nächste Sturzflut schon
Begräbt mit donnerähnlichem Gedröhne
Ins Meer die nordischen Titanensöhne.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lingg, Hermann von. 12. Bilder aus der Völkerwanderung. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-F06A-5