Margareta Sophia Liebeskind
Maria
Eine Geschichte in Briefen

Erster Theil

Vorbericht

Folgende Briefe sind von einem Frauenzimmer geschrieben, und würden wohl schwerlich jemals vor die Augen des Publikums gekommen seyn, wenn der Vorredner die Verfasserinn nicht dazu ermuntert, und die Besorgung der Herausgabe übernommen hätte.

Es kann seyn, daß ein Theil des lesenden Publikums mir für diese Mühe wenig Dank weiß. Der andere Theil hingegen [1] ist gewiß mit mir darinn einig, daß gut geschriebene Frauenzimmerbriefe Reize und Schönheiten haben, die Männer nur höchst selten den ihrigen zu geben vermögen. Eine reichere und lebhaftere Einbildungskraft, feinere, sanftere, biegsamere und mannichfaltigere Wendungen im Ausdruck, kurz, alle diejenigen einzelnen Schönheiten, aus deren Zusammensetzung der Charakter des Weiblichschönen entsteht, scheinen das Gepräge solcher Ausarbeitungen zu seyn, und werden gewiß bey Lesern von warmer Empfindung nie verfehlen, eine höchst angenehme, und selbst (wenn der Gegenstand darnach gewählt ist) nützliche Unterhaltung [2] zu seyn. Sollten auch diese Vorzüge noch nicht allen und jeden Briefen dieser Sammlung in gleichem Maaß zu Theil geworden seyn, so wird der Leser doch wenigstens überall die beste Anlage dazu gewahr werden, und, in diesem Betracht, meine Ermunterung zur fernern Vervollkommnung solcher Anlagen nicht übel angewendet finden.

Die hier erzählte Geschichte gründet sich größtentheils auf Wahrheit; ist also in so ferne nur als Dichtung anzusehen, als Charaktere untergemischt sind, die bloß der größern Mannichfaltigkeit und der bessern Unterhaltung wegen gewählt wurden. Einige Hauptcharaktere wird [3] man vielleicht für übertrieben und unnatürlich halten, weil sich die Originale dazu in dieser Welt selten finden lassen. Ob es aber überhaupt eine billige Forderung sey, die man in den neuesten Zeiten an diese Gattung der Dichtungsarten macht, daß sie nämlich bloß kopiren, nie aber sich zu nachahmungswürdigen Idealen hinauf schwingen soll, will ich hier unausgemacht lassen. Ich kann aber nicht umhin, zu bemerken, daß nach meinem Bedünken diese Dichtungsart mit allen übrigen schönen Künsten das Grundgesetz: einzeln in der Natur befindliche und zerstreuete Schönheiten zu gewissen Zwecken in ein Ganzes zu versammeln, gemein haben [4] muß. Was soll die Darstellung eines Gegenstandes mit allen seinen Gebrechen, Mängeln und Fehlern für Nutzen stiften? Und liegt nicht eben die größte Nützlichkeit aller schönen Künste und Wissenschaften in der erregten Nacheiferung nach Vollkommenheiten, die in dieser Welt selten vereinigt anzutreffen sind? Mir scheint es daher in der That eine sehr nachtheilige Forderung zu seyn, nach welcher man den Künstler seines größten Vorzugs, der in der Schöpfung musterhafter Ideale besteht, berauben, und ihn in die enge Sphäre eines bloßen unnützen Copisten einschränken will.

Auch unsere neuere Pädagogen werden, im Fall ihnen diese Briefe in die Hände [5] fallen sollten, vielleicht einige Steine des Anstoßes finden. Die Verfasserinn ist in ihrem Erziehungssystem Sirachs eifrige Anhängerinn, und traut in gewissen Jahren dem Stock und der Ruthe weit nützlichere Wirkungen zu, als den vernünftigsten und gütigsten Vorstellungen. Jedoch erstreckt sich ihre Meynung hierinn bloß auf die ersten Jahre der Kindheit, die aber um so viel wichtiger sind, je gewisser in ihnen der Grund zur ganzen Erziehung des Menschen gelegt werden muß. Da also die neuern Anti-Sirachianer spätere Jahre der Kindheit zum Augenmerk haben, so könnten die geäußerten Erziehungsgrundsätze der Verfasserinn dennoch [6] vielleicht ohne beträchtliche Collisionen davon kommen, und wohl gar Gnade vor ihren Augen finden.

Uebrigens wird der Leser in dem Verfolg dieser Briefe bald sehen, daß die Hauptabsicht der Verfasserinn dahin gehe, in dem höchstliebenswürdigen, aber schwachen Charakter der Marie die Gefahren und Nachtheile einer allzu großen Empfindsamkeit, auch selbst dann, wenn sie von den allervorzüglichsten Tugenden des Herzens, Verstandes, und sogar der Religion begleitet wird, zu zeigen. Wenn auch alle diese vereinigte Tugenden im Stande sind, ein allzuempfindsames Herz vor wirklich groben Vergehungen zu bewahren, [7] so können sie doch nicht verhindern, daß ein solches Herz am Ende nicht sich selbst aufreibe, und ein in gewissem Betracht zwar erhabener, aber doch unglücklicher Märtyrer seiner eignen Gefühle werde.

Ich wünsche, daß diese Briefe den Lesern eben so viel Vergnügen machen mögen, als sie mir gemacht haben.

Der Herausgeber.

1. Brief. Sophie an Marien
Erster Brief
Sophie an Marien

Wären Sie doch jetzt ein Stündchen bey mir, meineMarie! Es sollte uns an Stoff zur Unterhaltung nicht fehlen. Sie werden zwar wohl meynen, daß ich Ihnen ja meinen Schatz von Neuigkeiten auch schriftlich mittheilen könnte. Aber, beyseite gesetzt, daß Schreiben und alle solche sitzende Handlungen eben nicht die Lieblingsgeschäfte meiner flüchtigen Person sind; so käme ich ja um alle Ihre Anmerkungen, oder erhielte sie wenigstens sehr spät, wenn ich vielleicht die ganze Sache schon vergessen habe.

[1] Doch die Vorrede darf nicht so lang, als die Erzählung selbst, seyn; diese Bemerkung ist mir noch so von meinem letzten Informator hängen geblieben. Also wollen wir zur Sache selbst schreiten.

Höre, Fiekchen, sagte diesen Morgen mein Onkel, legte wohlbedächtlich seine Pfeife nieder, schob die weiße baumwollne Mütze um zwey Zoll weiter zurück, rückte seinen Stuhl mir näher, und hub folgender Gestalt an:

»Du hast schon einige hübsche Parthien gehabt, die aber alle dein Eigensinn zurückgewiesen hat. Lege nun deine Grillen ab, mein Kind, und denke ernsthaft daran, daß eine alte Jungfer, die es aus eignerSchuld wurde, eine erbärmliche Creatur ist. Ich werde dir heute einen wackern Mann vorstellen, der ein Auge auf dich geworfen hat. Sey ja vernünftig gegen ihn.«

[2] Ich hatte zwar so allerley Anmerkungen auf der Zunge, weil aber mein Onkel in einigen Punkten keinen Scherz versteht, so unterdrückte ich sie, ob es mir gleich ein wenig sauer wurde. Ich kleidete mich an, und erwartete – vielleicht wohl ein klein wenig unruhiger als sonst – den Glockenschlag, der das Signal unserer Visiten ist. Es kamen einige Herren und Damen zum Besuch, die sich bey mir hatten melden lassen. Als eben die ersten. Unterhaltungen vom Wetter und vom jetzigen Moderoman zu Ende waren, trat meine Tante in das Zimmer, geführt von einem Herrn, dessen Gesicht seine Kleidung Lügen strafte; denn diese letztere zeigte einen Jüngling von 18 bis 20 Jahren an, da hingegen das erstere wenigstens 38 verrieth. Sein Haar war in künstlich nachlässige Locken gelegt; keine neidische Halsbinde verdeckte die Schönheit seines magern Halses, der sich ganz entblößt dem Auge [3] zeigte. Ein himmelblaues seidenes Kleid, merde d'oie gefüttert, Strümpfe vom schönsten Karmelit, machten einen vortrefflichen Kontrast, und zeigten, daß Herr Sternfeld Meister in der Farbenmischung sey. Er trug ein paar Schuhe, deren Vordertheil eben hinreichte, die Fußzehen zu bedecken; die Hacken waren so hoch, daß sie mit den meinigen wetteifern konnten. Schnallen, die gerade so breit waren, als die Schuhe; zwey Uhren mit den klingelndsten Berloquen versehen, welche die Ankunft seiner wichtigen Person schon von weitem verkündigten. Die Beinkleider waren an den Knien mit niedlichen Bändern zugebunden; in der einen Hand trug er ein Stöckchen, an der andern führte er meine Tante, die alles angewandt hatte, ihre Reize so zu erhöhen, daß sie dieses allerliebsten Führers nicht unwerth schien.

[4] Nachdem dieser Herr ein tiefes Kompliment gegen die Damen, und ein etwas nachlässigeres gegen die Herren gemacht hatte, hüpfte er auf mich zu, und küßte mit vieler Grazie meine Hand.

»Dieß ist also die Göttinn – so sprach er – von deren Macht und Reizen ich schon in der Ferne bezaubert worden bin?«

»In der That, Herr Sternfeld, diese Macht der Bezauberung in der Ferne hätte ich mir nie zugetraut. Sie müssen wohl sehr leicht zu bezaubern seyn.«

»O wenn so viel Schönheit mit solcher Bescheidenheit vereinigt ist, welches Herz kann dann ungerührt bleiben?«

»Mich dünkt, um den wahren Werth einer Sache zu schätzen, muß man doch wenigstens etwas davon selbst besitzen, und das scheint, mit der Bescheiden heit wenigstens, nicht Ihr Fall zu seyn.«

[5] Es scheint wohl, als wenn Herr Sternfeld nicht viel aus dem Stegreif zu reden vermag; wenigstens konnte er hierauf keine schickliche Antwort finden. Er drehte sich einmal auf dem Absatz herum, nahm Taback und fieng eine andre Materie an.

»Aber, mon Dieu, was ist heute für ein heißer Tag! Es ist nicht möglich, eine gescheidte Frisur zu behalten. Sollten Sie es wohl glauben, daß ich heute vonMonsieur Dechamp nach der neuesten Pariser Mode frisirt bin? Und doch sieht jetzt mein Kopf so malgoufteux aus, daß ich mich schämen muß, vor den Damen zu erscheinen.«

Mamsell Ebard. »O, Ihr Kopfputz hat sich noch recht gut gehalten. Uebrigens aber ist es wahr, die Sonne ruinirt alles. Sehn Sie nur meinen Teint. Ob ich gleich nie ohne Schleyer und Sonnenschirm ausgehe, so bin ich doch gestern auf der Promenade so[6] schwarz gebrannt, wie eine Mohrinn. Nicht wahr,Herr von Grün, ich sehe ganz scheuslich aus?«

Herr von Grün widerlegte dieß natürlich sehr sinnreich, und nun kam die ganze Gesellschaft auf ein sehr interessantes Kapitel: wie die Haut im Sommer zu conserviren sey? Zwey Mittel, die besonders angepriesen wurden, notirte Herr Sternfeld in sein Taschenbuch. Mit dieser und ähnlichen Unterhaltungen verstrich der Nachmittag, und die Gesellschaft gieng aus einander.Sternfeld empfahl sich mir mit einem sehr zuversichtlichen Wesen, und schien zu glauben, daß er einen sehr günstigen Eindruck auf mein Herz gemacht hätte.

Und nun sagen Sie, Marie, kann ich mir nicht zu einem so liebenswürdigen Bräutigam Glück wünschen? Die mir so oft von Ihnen gepriesne Wahrheit:daß der Ehestand [7] unser Beruf sey, macht jetzt doppelten Eindruck auf mich, da ich einen so niedlichen Gefährten finde. Wahrhaftig, es würde eine allerliebste Ehe werden!

Nein, Marie, Freyheit ist das edelste Gut, und ich will dessen genießen, so lange ich kann. Ach! ich kenne die Männer: als Liebhaber sind sie schmeichelnd und kriechend, wie die Schooßhündchen; aber nach der Trauung verändert sich die Scene. Unser unterthäniger Diener wird hochgebietender Herr, und tyrannisirt das arme Weib für jede Schmeicheley, die er als Bräutigam ihr sagte. Und unter ein solches Joch sollte ich meinen Nacken beugen? Nimmermehr! Ich betrachte die Männer als Geschöpfe, die zum Scherzen und Tändeln in müßigen Stunden recht gut sind, die man sich aber ja nicht darf zu nahe kommen lassen. Es hat noch kein Mann Eindruck auf mich gemacht, und ich glaube gewiß, [8] daß es auch nie geschehen wird. Mein Herz soll eine unüberwindliche Festung bleiben, und nie andre als die Gefühle der Freundschaft kennen. Allein diese Empfindungen sind gegen meine Marie desto stärker, und stets wird mit gleicher Wärme für Sie schlagen das Herz

Ihrer Sophie.

2. Brief. Marie an Sophien
Zweyter Brief
Marie an Sophien

Ich erkenne Sie ganz in Ihrem muntern Briefe, liebeSophie. Aber ob mir gleich das Lesen desselben viel Vergnügen gemacht hat; so bin ich doch mit Ihrer letzten Erklärung nicht zufrieden. Ich höre meine muntre Freundinn gern scherzen, aber nur nicht über einen so wichtigen Gegenstand, als die Ehe [9] ist. Sie haben zwar darinnen Recht, daß mit dem Liebhaber als Ehemann oft eine Veränderung vorgeht, aber wer ist mehr Schuld daran, als die Mädchen selbst? Sie verlangen als Göttinnen von ihrem Liebhaber angebetet zu werden, und fordern eine kriechende Verehrung von ihm. Ist es nicht sehr begreiflich, daß er diese ihm höchst unnatürliche Lage so bald als möglich ablegt, und daß er nun vielleicht die Rechte übertreibt, die ihm der Priester vor dem Altare giebt? Dieser neue Ton muß denn wohl freylich die junge Frau sehr befremden.

Sie, meine Freundinn, werden gewiß nie eine solche nachtheilige Veränderung zu befürchten haben. Ich traue Ihnen zu, daß Sie als Braut wohl zärtliche Liebe und gegenseitige Gefälligkeit von Ihrem Geliebten fodern, aber nie zugeben werden, daß der Mann sich zum sklavischen Anbeter erniedrige. Sie werden [10] sich gewiß durch nachgebende Aufmerksamkeit und durch eine genaue Erfüllung Ihrer Pflichten die Achtung Ihres Gatten zu erhalten wissen. Und was kann denn wohl schöneres gedacht werden, als die Vereinigung zweyer Personen, die sich verbinden, alle Freuden des Lebens durch gemeinschaftlichen Genuß sich zu verdoppeln, und das Leiden durch gegenseitiges Theilnehmen sich erträglicher zu machen!

Und welch eine noch größere Quelle der Freude glänzt uns im Ehestande! Giebt es ein erhabeners Glück als das, sich selbst wieder in Kindern aufleben zu sehen, mit ihnen aufs neue wiederum die Ruhe und den Frieden zu fühlen, der so ganz das Eigenthum dieser Jahre der Unschuld ist? Zu sehen, wie eine Seelenkraft nach der andern sich entwickelt? – Wie ist es der zärtlichen Mutter so leicht, den Keim zu Tugend und Glückseligkeit [11] in das junge Herz zu legen, und wie ärndtet sie schon in dem zarten Alter des Kindes den süßen Lohn ihrer Sorgfalt durch seine unschuldsvolle Anhänglichkeit an sie!

O wie hasse ich die Mütter, die, gleichgültig gegen diese Freude, ihre Kinder fremden Ammen und Wärterinnen übergeben! Durch diese Art der Erziehung höchst unartig und eigensinnig gemacht, muß sich die Mutter bey jeder Gelegenheit der kleinen Unglücklichen schämen. Was ist also zu thun? Sie entfernt sie ganz von sich, und steckt sie in eine Kinderstube. Die Töchter werden unerträgliche Geschöpfe, die nur ihr Geld, oder ihres Vaters Ansehen an den Mann zu bringen fähig ist. Die Söhne werden auf Universitäten geschickt, ohne das mindeste der dazu nöthigen Kenntnisse zu haben. Froh, der Ruthe der Französinn entlaufen zu seyn, führen sie das ungebundenste Leben, kehren mit leerem [12] Kopf und Beutel zurück, und sind dann die würdigen Glieder, von welchen die Bedienungen unsers Staats bekleidet werden.

Nie werde ich meiner Mutter die Sorgfalt genug verdanken können, mit der sie mich erzog. Nie kam ich von ihrer Seite. Geschäfte. Vergnügungen, alles opferte sie mir auf. Wenn ich noch an die rührenden Ermahnungen denke, womit sie zu Pflicht und Tugend mich ermunterte, so fließen ihrem Andenken heiße Thränen, und ich bitte Gott, daß er mich werth mache, einst meinen Kindern das zu seyn, was die Selige mir war. Gott sey gedankt, daß er mir das Glück aufbehielt, noch in ihren letzten Stunden ihr Freude zu machen, und sie mit einem zufriedenen Lächeln über meine Folgsamkeit aus der Welt gehen zu sehen!

Sie wissen die Geschichte meiner Jugend. Sie wissen, daß ich mich lange der Verheyrathung [13] mit Albrecht wiedersetzte, daß auf ihrem Todbette die Selige in mich drang, ihn zu heyrathen. Ich konnte ihren Bitten nicht widerstehen; und wäre auch nun mein Ehe stand unglücklich, so würde doch das mir meine Leiden versüßen, daß ich durch meine Einwilligung die letzten Stunden einer sterbenden Mutter erheiterte. Aber Gottlob! unglücklich ist er nicht. Mein Albrecht ist ein guter Mann. Er ist zwar etwas zu kalt, um alle Forderungen meines Herzens zu befriedigen, das so ganz zur innigsten Liebe geschaffen ist. Aber ich hoffe, wenn es mir erst gelungen ist, alle Eindrücke vergangner Zeiten, die sich zuweilen mir aufdrängen, völlig zu verbannen, die gar zu große Empfänglichkeit meiner Empfindungen zu mäßigen – mein Mann kränkt mich oft dadurch, daß er dieses übertriebne Empfindsamkeit nennt – und mein Herz ganz unter die Herrschaft der Vernunft zu beugen, [14] daß dann unser Ehestand einer der glücklichsten seyn wird.

Ganz glücklich zu seyn, ist freylich schwer, wenn die Empfindungen von Natur nicht gleichgestimmt sind. Aber es ist Pflicht für die Frau, sich nach der Denkungsart ihres Mannes zu bilden, und ihn den Unterschied ihrer Gefühle so wenig als möglich fühlen zu lassen. Verzeihen Sie mir diese lange Ausschweifung, meine Liebe. Es wird vielleicht bald die Zeit kommen, da Sie ganz meiner Meynung seyn werden. Ihr Herz wird gewiß nicht immer so unempfindlich bleiben, als es bisher gewesen ist. Es kömmt nur darauf an, daß ein gefährlicherer Feind, als HerrSternfeld, es angreift. Ihre Beschreibung von diesem hat mich sehr belustigt. Melden Sie mir doch ja immer die weitern Fortschritte, die er bey Ihnen macht. Leben Sie recht wohl, meine Sophie.

Marie. [15]

3. Brief. Sophie an Marien
Dritter Brief
Sophie an Marien

Ich habe heute einige komische Originale kennen gelernt, die ich Ihnen, liebe Marie, auch bekannt machen will. Wir waren von dem Amtmann Cleberg zum Besuch gebeten; er wohnt zwey Stunden von hier zu Mayfeld, und ließ uns in seinem Wagen dahin abholen. Als wir ankamen, stand der Herr Amtmann nebst seiner Frau und zwey Töchtern vor der Thür, um uns zu empfangen. Ihr Anzug war ein sonderbarer Mischmasch von Stadt- und Landmode. Die Frau Amtmänninn freute sich denn sehr der Ehre mich zu sehen, wurde gewaltig bekümmert, wie sie hörte, daß mir vom Fahren etwas übel geworden wäre, erheiterte sich sehr, da ich versicherte, daß mir jetzt besser wäre, und bedauerte nur wiederum, daß ich so mit der Bewirthung ihres schlechten [16] Hauses würde vorlieb nehmen müssen. Bey dieser letzten Aeußerung zogen sich die Augenbraunen des Herrn Amtmanns etwas merklich zusammen. Ey, mein Kind, man muß nicht auf Kosten der Wahrheit höflich seyn; du solltest unsern Gästen wohl eine schöne Idee von unsrer Einrichtung beybringen! Dieß ist freylich nur ein Landhaus, aber es übertrifft denn doch wohl manche Stadthäuser. Sie sollen selbst davon urtheilen. Freylich, als ich hier einzog, sah es ganz anders aus; ich habe alles, was sie Gutes drinn sehen werden, müssen machen lassen. Aber nun ist es auch ein Haus geworden. Jeder, der es sonst gesehen hat, kann seine Verwundrung nicht genug bezeigen. Der Geheime Rath B. klopfte mir noch neulich auf die Schultern: ja, sagte er, unser Amtmann Cleberg, das ist doch noch ein Mann von Geschmack, der – Papa, unterbrach ihn Minchen, das jüngste Mädchen, [17] Sie vergessen ja, daß Sie die Fremden herumführen wollten.

Nun schleppte er uns, meiner Müdigkeit ungeachtet, durchs ganze Haus, und wir mußten uns an seinen Verbesserungen (so nannte ers, jeder andre hätte es Verschlimmerungen geheißen,) fast außer Athem bewundern. Ich will Ihnen nur eine dieser Veränderungen anführen. Es war ein großer Saal im Hause gewesen, den man immer, auch seiner schönen Aussicht wegen, als das vorzüglichste Zimmer betrachtet hatte. Der Herr Amtmann aber glaubte, es sey viel schicklicher, wenn eine Gesellschaft sich in mehrere Parthien vertheilen könne, und hielt es für sehr abgeschmackt, in Einem Zimmer zu seyn. Er ließ also vier Wände durchziehen, und machte aus dem schönen Saal fünf kleine Zimmerchen. Ein Fenster, das die schöne Aussicht hatte, wurde dadurch verbaut. Aber [18] nun zeigte sich ein schlimmer Umstand. Man hatte nun keinen Platz, wo eine zahlreiche Gesellschaft speisen konnte, auch keinen Raum zu den Bällen, die oft zu Mayfeld gehalten wurden. Was sollte der Herr Amtmann nun anfangen? Den Saal wieder in den vorigen Zustand setzen? Das hieße ja bekennen, daß man geirrt hätte, und das gesteht er nie ein, es koste auch was es wolle. Er ließ also ein ganz neues Nebengebäude errichten, in welchem zwey schöne Säle gebauet wurden. Dieses Nebenhaus kostete ihm mehr als dreytausend Thaler, denn er bezahlt alles noch einmal so theuer, als andre Leute, ob er gleich glaubt, alles wohlfeiler zu haben. Dem ohngeachtet aber ist er weit davon entfernt, dieß Geld zu bereuen, sondern hält es noch immer für sehr nützlich angewandt.

Als wir mit dem Hause fertig waren, wurden wir in den Garten geführt. Dieser war [19] sonst zum Küchengarten bestimmt gewesen. Er aber fand es angenehmer, ihn auf englische Art zu haben. Es wurden also viele auswärtige Gewächse herbey geschafft, und ein Bosquet, Grotten und Einsiedeleyen darinn angelegt. Um aber auch Abwechselung zu haben, ließ er einen andern Obstgarten auch umarbeiten. Wo sonst eine kühle dunkle Laube stand, prangte jetzt ein schönes Gewächshaus, und statt der Bäume, die sonst so voll Aepfel hiengen, daß die selige Frau Amtmänninn sie nie ohne Freude betrachtete, ragten griechische Büsten und Säulen hervor. Um den Theil des Gartens, der aufs Feld gieng, war ein Graben gezogen, wozu das Wasser sehr weit durch Kanäle hergeleitet wurde. Man konnte zwar mit einem Sprung bequem herüber kommen, um aber ganz vor Dieben gesichert zu seyn, hatte er eine kostbare Zugbrücke verfertigen lassen, die des Nachts aufgezogen wurde. Auch auf dem[20] Felde waren viel geschmackvolle Veränderungen angebracht. Es ist wahr, sprach er, ich kaufe jetzo viele Früchte, die mein Vorfahr verkaufte, aber solche Sachen sind auch jetzt so spottwohlfeil, daß es sich wahrhaftig der Mühe nicht verlohnt, sie selbst zu bauen, und das Vergnügen, das meine jetzige Einrichtung mir und meinen Freunden macht, ersetzt mir den kleinen Verlust reichlich, den ich etwa dabey habe.

Nun giengs zur Tafel, die zwar reichlich besetzt, aber gar nicht schmackhaft bereitet war. Zudem war das Tischgeräthe nebst Tellern und Schüsseln zwar kostbar, aber gar nicht reinlich; auch die Wahl und der Aufsatz der Speisen war abgeschmackt. Die Frau Amtmänninn verlangte ein Glas Wasser; ein Bedienter eilte es ihr zu reichen. Sie bog sich auf einmal so stark zurück, daß sie dem Menschen das Glas aus der Hand stieß. Nun hätten [21] Sie das Spektakel hören sollen, das sie machte. Der arme Kerl hieß nun ein Tölpel und Flegel über den andern. Schert euch nur gleich vom Tisch, ihr dummer Klotz, ihr seyd doch zu nichts zu gebrauchen. Daß Johann statt eurer herauf kömmt. Nun, ihr Schöps, was steht ihr noch? Packt euch, oder ich werde euch das Glas an den Kopf werfen.

Minchen. »Ach liebe Mama, der arme Friedrich konnte ja nichts dafür, daß das Glas hinfiel, Sie waren selbst Schuld daran.«

Amtmänninn. »Schweig, dummes Mädchen, ich werde dich lehren deiner Mutter widersprechen. Augenblicklich geh vom Tisch, und leiste dem niederträchtigen Kerl Gesellschaft.«

Und nun mußte das arme Kind mit einer tüchtigen Ohrfeige zur Thür hinaus wandern. Das ist recht, sprach Lotte, die älteste Tochter, das kleine Mensch ist auch immer so naseweiß, [22] und will alles besser wissen. Karlsheim, ein liebenswürdiger Jüngling, der auch zum Besuch da war, wagte es mit der einnehmendsten feinsten Art von der Welt, der barbarischen Mutter einige Vorstellungen zu Minchens Besten zu thun; aber sie wiedersprach ihm mit einer solchen Art, die ihn auf immer abhielt ihr noch einmal zu widersprechen, wenn sie auch die ungereimtesten Dinge behauptete.

Nach Tische lenkte sie das Gespräch aufs Lesen. Weil diese Unterredung wirklich merkwürdig ist, so will ich sie Ihnen ganz hersetzen.

Fr. Amtm. »Was ist denn jetzt die Hauptlektüre in der Stadt, Herr Karlsheim?«

Karlsheim. »Das kann ich wirklich nicht sagen, Frau Amtmänninn, denn ich bin als ein Neuling noch in der Stadt bekannt. Ich lese jetzo zum zweytenmale den Messias

[23] Fr. Amtm. »Ey, ist denn das ein hübscher Roman?«

Karlsh. (lächelnd) »In der That ein sehr erhabener Roman, von dem erhabensten Gegenstande geschrieben.«

Fr. Amtm. »O so schicken Sie mir es doch, liebster Herr Karlsheim; so wird wohl vermuthlich viel von Prinzen und Prinzessinnen drinn stehen, so etwas lese ich gar zu gerne.«

Lotte. »Aber so müssen Sie mir auch ein Buch mitschicken, damit die Mama nicht allein eins hat. Hören Sie, vergessen Sie es doch ja nicht.«

Karlsh. »Nein, ich werde es gewiß nicht vergessen. Wenn ich nur wüßte, was ich Ihnen schicken sollte. Haben Sie den Wandsbecker Bothen gelesen?«

Fr. Amtm. (laut lachend) »Den hinkenden Bothen? O ja, aber das ist schon lange.«

[24] Karlsh. »Verzeihen Sie, den Wandsbecker Bothen meyne ich, der ist von etwas andrer Art, als der hinkende. Ist Ihnen der Name Asmus mehr bekannt?«

Lotte. »Ach Mama, ich besinne mich drauf, das ist der Mann, der mit seinen Kindern auf der Erde kroch, und blinde Kuh spielte. Es ist zum Todtlachen schnakisch.«

Fräulein B. »Ach ja, zum Lachen für den gemeinen Mann ist er wohl, aber auch zu weiter nichts. Es geht mir, wie den Leuten, die sich an starke Brühen und gewürzte Ragouts gewöhnt haben; denen schmeckt denn kein Milchbrey mehr. Ich überlasse den Wandsbecker Bothen gemeinen Leuten. Für meinen Geist ist er zu simpel.«

Nach diesem Ausspruch, den sie gewiß irgendwo entlehnt hatte, warf sie mit einer zufriednen Miene den Kopf zurück, als hätte sie den Ausspruch der Weisheit gethan. Karlsheim [25] lächelte wieder und schwieg, ohngeachtet sie ihn mit einem Beyfall fordernden Blick ansah. –

Fr. Amtm. »Ach ja, es war nicht viel Rares daran, das erinnere ich mich auch noch wohl. Ich lobe mir dafür die Geschichte des – –«

Lotte. »Ich ja, das ist auch ein herrliches Buch. Es steht so viel vom lieben Mond darinn, und von dem Blümlein »Vergißmein nicht,« daß es einen recht rührt, und das ist so schön, wie Wilhelm sich zu den Füßen seiner Grausamen erstechen will. Es ward mir dabey im Herzen so bange, daß ich über eine Stunde weinte. Der arme Wilhelm! Ich war so begierig auf das Ende, daß ich drüber vergaß in die Küche zu gehen, und da war der Braten ganz verbrannt, und das Gemüse hatte sich an den Topf gehängt. Der Papa keifte so sehr, aber meine Mama[26] sagte, es wäre besser, daß ich ein empfindsames Herz hätte, als wenn ich nach der Küche sähe, sollten auch noch mehr Braten darüber verderben. Papa behauptete zwar, eine gute Mahlzeit sey für einen hungrigen Magen besser, als Empfindsamkeit, aber Mama belehrte ihn eines andery. Ach, Sie glauben gar nicht, wie weichherzig ich bin. Es geht mir so nahe, wenn ich ein Huhn schlachten sehe; ich möchte über das arme Thier weinen.«

Ein alter gebrechlicher Mann unterbrach sie, und bat demüthig um eine kleine Gabe. Ihr fauler Kerl, schrie Lotte, könnt ihr nicht arbeiten? ihr seyd ja noch ganz rüstig. – Ach Mamsell, wenn Sie meine Umstände wüßten, so würden Sie nicht so hart seyn. – Was? ihr habt noch ein loses Maul dazu? Gleich packt euch vom Hofe, oder ich lasse die Hunde auf euch hetzen. – Der alte Mann blickte [27] seufzend gen Himmel, und schlich gebückt an seinem Stabe fort. Während daß Lotte und ihre Mutter sich noch über das unverschämte Lumpenpack ereiferten, gieng Karlsheim unter einem Vorwande hinaus.

Minchen, das gute Kind, war vors Thor gesprungen, um dem Mann heimlich ein Stück Brod zu geben, und erzählte mir nachher, es hätte eine lahme Frau mit zwey Kindern vor dem Thore gesessen; das eine Kind wäre dem Alten entgegen gesprungen, und hätte gefragt, ob er viel Brod mitgebracht habe; der Mann hätte sehr betrübt geantwortet. Darauf seyKarlsheim gekommen, und habe dem Alten einige große Stücke Geld gegeben, und wäre eilig weggegangen. Der alte Mann hätte mit gefaltnen Händen ausgerufen: O Gott! so giebt es doch noch barmherzige Menschen, vergieb mir, Vater, wenn ich eben gegen dich murrte! und darauf wären sie weiter gegangen.

[28] Wir wurden stark genöthigt, den Abend da zu bleiben. Mein Onkel aber, dem es auch sehr da misfiel, lehnte es ab, und wir fuhren weg. Ich wurde, von den Danksagungen der Amtmänninn für meinen angenehmen Besuch ganz betäubt, und von den Liebkosungen der Familie fast erstickt, in den Wagen geführt.Minchen weinte, als ich wegfuhr; auch mir gieng der Abschied von dem kleinen lieben Mädchen nahe.Karlsheim fuhr mit uns zurück. Ich muß gestehen, ich erwartete, daß er nun viele spöttische Anmerkungen über die Familie, die wir verließen, machen würde. Aber, wie wurde ich beschämt, als er gar nichts davon erwähnte, sondern uns auf die angenehmste Art von andern Dingen unterhielt! Er ist ein sehr angenehmer Mensch: schlank gewachsen, blondes Haar, blaue schöne Augen, die etwas Schmachtendes haben, und oft sehr viel sagen, einen allerliebsten Mund, eine [29] griechische Nase und Stirn, eine sanfte, liebliche Sprache: kurz, er würde für jedes Mädchen ein gefährliches Geschöpf seyn, außer für Ihre Sophie, deren unüberwindliches Herz Sie kennen. Beym Abschiede küßte er mir die Hand: ich glaube, es kam von einer Bewegung des Wagens, daß er sie etwas drückte; ich fühlte aber doch, daß ich ein wenig roth wurde. Er bat sich die Erlaubniß aus, sich morgen nach meinem Wohlseyn erkundigen zu dürfen. Mich soll es Wunder nehmen, ob er kömmt; vielleicht vergißt er es wohl. Ich bin vom Schreiben so müde, daß ich Ihnen heute nichts auf Ihren schönen Brief antworten kann. Schlafen Sie recht wohl, liebeMarie. Ewig die Ihrige

Sophie. [30]

4. Brief. Marie an Sophien
Vierter Brief
Marie an Sophien

Hätte ich doch nicht gedacht, daß meine Prophezeihung so bald bey Ihnen eintreffen würde! Ich glaube, Sie haben in Ihrem ganzen Leben von allen Mannspersonen, zusammen genommen, noch nicht so viel gutes gesagt, als Sie mir jetzt in einem Briefe vonKarlsheim schreihen. Eine große Ehre für ihn! Doch muß ich gestehen, daß es mir scheint, nach verschiednen Zügen zu urtheilen, die Sie mir von ihm schreiben, als wenn er Ihres Beyfalls vollkommen würdig ist. Ich beklage nur den armen Herrn Sternfeld. In einem bogenlangen Briefe gedenkt Sophie seiner mit keinem Worte. Der arme Mann! Es ist aber doch ein sichres Zeichen, daß Ihr Geist und Herz ganz mit andern Dingen beschäftigt gewesen ist; sonst wäre doch wohl wenigstens sein [31] Name einmal genannt worden. Quälen Sie ihn nur nicht lange, und geben ihm bald seinen Abschied, denn das haben Sie ja doch wohl beschlossen. Und alsdann wünsche ich, daß der kleine Liebesgott sein bald das Herz Ihres neuen Verehrers mit dem Ihrigen zusammen bringen möge. Aber nun auch ein Wörtchen im Ernst mit meiner Freundinn. Karlsheim scheint zwar ein liebenswürdiger Junge zu seyn. Erkundigen Sie sich aber doch erst etwas näher nach seinem Charakter; suchen Sie zu erforschen, ob seine Liebe wirklich standhaft und zärtlich ist, oder ob sie nur ein vorübergehendes Gefühl, eine Aufwallung seines vielleicht zur Liebe geneigten Herzens war, damit Sie nicht nachher bereuen mögen, Ihre Liebe zu voreilig ihm geschenkt zu haben.

Verzeihen Sie diese Erinnerungen, meine Liebe. Sie scheinen Ihnen vielleicht eben so überflüßig, als sie es den meisten Mädchen zu [32] seyn scheinen, wenn sie lieben. Das junge Herz, zum erstenmal von den Eindrücken der Liebe bezaubert, hält diese für ewig. Ihr Geliebter widerlegt jeden Zweifel, der etwa bey ihr aufkeimen könnte, und schwört ihr die festesten Versichrungen immerdaurender Liebe. Vielleicht meynt er es wirklich redlich, glaubt in diesem Augenblick, daß nie etwas fähig seyn würde, seine Zärtlichkeit zu schwächen; aber ach! sein Herz, schwach und unerfahren, wird von einem andern Gegenstande hingerissen; er verläßt die Erstgeliebte, und widmet die Neigungen, von deren ewiger Dauer sie so gewiß überzeugt zu seyn glaubte, einer Andern. Ach Sophie, ich werde zu stark von diesem Bilde angegriffen. O Gott, warum mußte dieß auch meine Geschichte seyn? Doch, weg mit diesen Gedanken! Sie sind nicht mehr für mich. Ach! da höre ich meinen Albrecht kom men, ich will mich bemühen, mich bey ihm [33] zu zerstreuen. Schreiben Sie mir doch bald wieder, liebeSophie. In Herzensangelenheiten müssen wir doch eine Vertraute haben. Und die werde ich doch bey Ihnen seyn?

Marie.

5. Brief. Sophie an Marien
Fünfter Brief
Sophie an Marien

Liebes böses Weib, hätte ich doch nicht gedacht, daß Sie so schalkhaft seyn könnten. Welch eine ganze Reihe von Schlüssen und Vermuthungen folgern Sie aus einem unschuldigen Worte, das mir entfuhr, als wenn ich nicht so gut wie andere Leute einen Mann artig finden könnte. Brauche ich deswegen gleich in ihn verliebt zu seyn? Aber warten Sie, Marie, ich werde mich schon an Ihnen rächen. Wäßte ich nur gleich, wodurch! – Nun es wird sich chon einmal eine Gelegenheit finden. Uebrigens [34] will ich Ihnen, Ihrem Verlangen gemäß, recht viel von – Karlsheim meynen Sie? o behüte! was geht der Sie und mich an? – nein, von dem braven Herrn Sternfeld will ich Ihnen recht viel erzählen. Den andern Morgen nach unsrer Zurückkunft kam meine Tante. Sie sollen unser ganzes Gespräch hören.

Die Tante. »Guten Morgen, liebes Fiekchen! wie haben Sie denn geschlafen?«

Ich. »Recht sehr gut, liebe Tante.«

Die Tante. »O, das ist kein Wunder, in in Ihren Umständen. Eine Braut schläft immer gut.«

Ich. »Eine Braut? Damit werden Sie mich doch wohl nicht meynen? Ich wüßte wahrhaftig nichts Aehnliches zwischen mir und einer Braut.«

Die Tante »O Kind, was kann das Zieren helfen? Ihr jungen Dinger thut immer als wärs eine Schande, einen Bräutigam [35] zu haben. Im Grunde ist es doch nur Verstellung. Ihr hört doch gern vom Heyrathen sprechen.«

Ich. »Das kann wohl seyn, Frau Tante, es kömmt aber drauf an, mit wem man uns verheyrathen will. Und ich muß gestehen, daß Herr Sternfeld, denn von dem werden Sie doch wohl reden – – –«

Die Tante. »Herr Sternfeld ist ein recht braver Mann. Immer so geputzt und geschniegelt wie eine Puppe. Es ist eine Freude, ihn anzusehen, und wahrhaftig, er ist Ihnen recht gut, das glauben Sie nur, Kind. Er hat Sie sehr gelobt, und ist recht von Ihnen charmirt.«

Ich. »Aber ich bin es nicht im mindesten von ihm, und das würde denn doch wohl erfordert, wenn aus uns ein Paar werden sollte.«

[36] Die Tante. »Nein, wahrhaftig, das geht zu weit. Sie sollten es mit Dank erkennen, daß man sich so weit herabläßt, Sie gleichsam um Rath zu fragen. Mit mir wurden so viele Umstände nicht gemacht. Höre, Miekchen, sagte mein Vater seliger, der Herr Burgemeister hat um dich angehalten. Er ist ein braver Mann, der einen hübschen Pfennig Einnahme hat. Ich habe ihm das Jawort gegeben; in vierzehn Tagen soll die Hochzeit seyn. Sehr wohl, Papa, sagte ich, und machte einen Knix. Und ich habe es nachher niemals bereut. Es war so ein guter Mann, er that alles, was er mir nur an den Augen ansehen konnte; während unsrer ganzen Ehe hat er mir kaum zweymal widersprochen. Und als ich ihn da nur unfreundlich ansah, standen dem guten Mann gleich die Thränen in den Augen, er bat mich aufs beweglichste um Verzeihung, und – –«

[37] Der Onkel. »Und schluchzte wohl gar dabey, wie ein altes Weib? Du weißt, daß ich das dumme Geschwätz nicht ausstehen kann. Schlimm genug, daß dein Mann eine solche Nachtmütze war, Gott hab' ihn selig! Ich hoffe aber, Fiekchen wird ihremSternfeld auch nie so begegnen, wie du ihm thatest; auch hoffe ich, daß er es nicht leiden würde.«

Ich. »Ums Himmelswillen, theuerster Onkel, was sagen Sie? Sternfeld, mein Sternfeld? O Sie werden mich doch nicht zwingen wollen, diesen verhaßten Menschen zu heyrathen? Sie waren ja immer so gütig gegen mich, wie ein Vater gegen sein Kind seyn kann, und nun wollen Sie so hart seyn? O ich beschwöre Sie bey ihrer Zärtlichkeit!«

Der Onkel. »Zwingen werde ich dich auch nicht, mein Töchterchen, dazu habe ich dich zu lieb; aber ich möchte dich denn doch gern bey meinen Lebzeiten verheyrathet sehen. Sage [38] mir, mein liebes Kind, was hast du denn an Sternfeld auszusetzen? Ein Bißchen geckenhaft kam er mir wohl vor, aber das habt ihr Mädchen ja sonst gern, und das wird sich wohl im Ehestande geben.«

Ich. »Ach nein, bester Onkel, bey Leuten, die schon so alt sind, wie er ist, und doch noch den Narren spielen, giebt sich das nicht so leicht. Es ist immer ein Zeichen, daß sie wenig Verstand haben, und daß ihnen auch andre gute Eigenschaften fehlen, wenn sie noch im vierzigsten Jahre durch die Thorheiten der jungen Herren zu gefallen suchen. UndSternfeld ist auch sonst ein schlechter Mensch. Er hat viele Schulden, die er aus keinen löblichen Gründen gemacht hat, und sucht nur eine Frau, mit deren Aussteuer er diese tilgen kann.«

Diese Nachrichten hatte mir mein Aufwartemädchen mitgetheilt. Diese wurde nun vorgefordert, [39] und bewies ihre Aussage auf eine Art, die keinen Zweifel an der Wahrheit mehr übrig ließ. Mein Onkel und meine Tante erstaunten, und der erste, der ohnedieß eben keinen besondern Gefallen an Herrn Sternfeld gefunden hatte, gab mir denn Erlaubniß ihn zu verabschieden. Der Himmel wird ja dem Mädchen schon einen andern Mann zuschicken, der besser für sie ist, als dieser Schurke, sprach mein Oheim, und ich hatte dabey meine eignen Betrachtungen. Als wir in diesem Gespräch begriffen waren, kam ein Brief von HerrnSternfeld an mich, in welchen ein gar rührendes Gedicht eingeschlossen war, das er gewiß aus irgend einem verjährten Roman abgeschrieben hatte. Der Brief war auf rothes Papier geschrieben, und ganz erbärmlich buchstabiert. Daß lauter Unsinn darinnen stand, vermuthen Sie wohl, ohne daß ich es Ihnen sage. Ich beantwortete denn [40] stehendes Fußes dieses Sendschreiben, dankte ihm sehr für die Ehre, die er mir zugedacht hätte, bedauerte aber höchlich, daß ich keinen Gebrauch davon machen könnte, und bewies ihm dieß mit so triftigen Gründen, daß er hoffentlich nie wieder etwas von seinen gütigen Gesinnungen gegen mich erwähnen wird.

Ach Marie, ich wollte Ihnen nichts vonKarlsheim schreiben; aber, was soll ich es Ihnen läugnen? sein Name schwebt mir immer auf dem Papier. Ja, liebe Freundinn, ich glaube mit Ihnen, daß die Liebe sich mit desto stärkerer Macht an uns rächt, je länger wir ihrer spotten. Ich hielt mich für unüberwindlich, glaubte, daß nie ein Mann mein Herz würde rühren können. Ich war so sicher, so voll Selbstvertrauen auf meine Kräfte; ach! ich bin dafür bestraft. Ich will es Ihnen nur gestehen. Ich liebe den einnehmenden Jüngling mit der stärksten Leidenschaft. Auch scheine [41] ich ihm nicht gleichgültig zu seyn. Zwar hat er mir noch nichts von Liebe gesagt, aber seine Blicke sind so redend, sein Betragen so einnehmend, so zärtlich. – Er hat so viel Achtsamkeit auf jede meiner Bewegungen, auf meine unbedeutendsten Worte; seine Augen folgen mir allenthalben, wo ich hingehe, und wenn denn unsre Blicke sich begegnen, so erröthen wir beyde. Doch ich bin wohl Thörinn genug, Ihnen seinen Handkuß, seine Verbeugung, und alle dergleichen Kleinigkeiten zu beschreiben. Ich bitte Sie, Marie, spotten Sie nicht über mich, ich schäme mich vor mir selbst. Wie oft habe ich nicht sonst über die Thorheiten der Verliebten gelacht, die oft so viel Aufhebens von Kleinigkeiten machen! und jetzt sind mir die unbedeutendsten Sachen so wichtig, wenn sie ihn betreffen. So viel habe ich wenigstens daraus gelernt, daß ich nie wieder über Sachen spotten will, die ich selbst noch [42] nicht gefühlt habe. Leben Sie wohl,Marie, ich bitte Sie noch einmal, lachen Sie nicht über mich.

Sophie.

6. Brief. Marie an Sophien
Sechster Brief
Marie an Sophien

O meine Sophie, welch eine die Menschheit entehrende Scene habe ich angesehen! Ist es möglich, daß deine Geschöpfe so ausarten können, Vater der Liebe? daß Menschen, die du schufst, um gut und barmherzig gegen einander zu seyn, wie du es gegen uns bist, barbarischer gegen ihre eignen Abkömmlinge verfahren können, als die Raubthiere des Waldes? O diese sind doch noch gütig gegen ihre Kleinen. Sie entziehen sich selbst ihre Nahrung, um sie ihnen zu geben, [43] und bewachen mit treuer Sorgfalt ihre Jungen, bis sie ihrer Hülfe nicht mehr bedürfen! Doch, Sophie, Sie können mich nicht verstehen, wenn ich Ihnen nicht die ganze Geschichte erzähle.

Mein Mann bat mich, einen kleinen Spaziergang mit ihm zu machen. Wir kehrten ganz heiter zurück, und kamen vor einem abgelegnen Hause vorbey, in welchem wir ein schwaches Wimmern hörten. Ich gieng nahe ans Fenster, um die Ursache davon zu entdecken, und hörte eine Mannsstimme sagen:

»Aber, Frau, ein unvernünftiges Vieh würde mehr Mitleid mit seinen Kleinen haben; ich kann das Gewinsel nicht länger anhören.«

»Halt das Maul, du Schaafskopf, schrie eine weibliche Stimme, oder du sollst mit dem Balge zugleich krepiren.«

[44] Wir giengen hinein. Mein Mann fragte mit starker Stimme, was die Ursache des Winselns sey?

»Siehst du, Frau, sagte hier der Mann ganz furchtsam, ich sagte dir wohl, daß die Obrigkeit dazu thun würde.«

Ein paar tüchtige Ohrfeigen hießen den Mann zu seinem Sitze zurücktaumeln, und das Weib antwortete ganz frech: »es hätte sich niemand darum zu bekümmern, was in ihrem Hause vorgienge.« Da mein Mann noch ernstlicher in sie drang, sprang sie auf, lief die Treppe hinauf, und schloß die Thür einer Dachkammer zu. Wir folgten ihr, und mein Mann stieß mit leichter Mühe die schwache Thür auf. Hier lag, o Anblick, vor dem sich die Menschheit empört! hier lag in einem Kasten mit Stroh ein sechsjähriges Kind beynahe nackend. In seinem blassen Gesicht herrschte schon der Tod, und der unerträglichste Gestank [45] von seinem eignen Unflath, worinn es lag, war umher verbreitet. Was bedeutet dieser Anblick? fragte mein Mann, starr von Entsetzen, ein Mädchen, das uns nachgefolgt war. Das Weib hatte sich gleich fortgemacht. Ach Gott! sagte das Mädchen, die Frau hat mit diesem Kinde ein sehr schweres Wochenbette gehabt, und eine Brust dabey verloren, und da that sie, denn sie ist immer ein gottloses Mensch gewesen, den Schwur, der kleine Nickel sollte für alle die Schmerzen büßen, die er ihr verursacht hätte. Sie hielt auch das arme Kind so hart, daß es einem recht jammerte, ließ es halbe Tage hungern, und prügelte es aufs unbarmherzigste, wenn es vor Hunger schrie. Eine Pathe des Kindes nahm es endlich aus Erbarmen zu sich, aber das teuflische Weib konnte es nicht ansehen, daß es ihm so wohl gieng; sie lockte es mit List wieder ins Haus, und da die Pathe starb, hatte sie freye Macht,[46] mit ihm zu schalten, wie sie wollte. Sie quälte nun das arme Kind auf alle ersinnliche Art, bis es endlich krank wurde; da es ihr aber doch mit der Krankheit zu lange währte, ob sie es gleich ganz hülflos liegen ließ, so sperrte sie es hier ein, und will es verhungern lassen, denn ein altes Weib, das man für eine Hexe hält, hat ihr prophezeiht: sie würde nicht eher gesund werden, als bis das Kind stürbe. Es ist nun schon der dritte Tag, daß es hier liegt. Es ist immer ganz stille gewesen; denn wenn es anfieng zu weinen, prügelte es die gottlose Mutter, und drohte ihm, sie wolle es todtschlagen, wenn es noch einen Laut von sich gäbe. Ich habe so viel drüber geweint, und habe schon zweymal nach der Stadt laufen wollen, um Hülfe für das Kind zu holen, aber sie hat mich immer wiedergekriegt, und mich so lange geschlagen, bis ich versprach, niemand wieder etwas zu entdecken. [47] Ich habe aber doch Mittel gefunden, dem Kinde einigemal ein Bißchen Brod zuzustecken. Der Vater ist auch ein Bösewicht; allein es jammert ihn doch jetzt auch, er darf aber nichts sagen. – –

Mein Mann schickte eilig das gute Mädchen hin, um die Wache und eine Sänfte zu holen, begleitete es bis an die Hausthür, und schloß ab. Ich nahm das elende Kind aus dem Kasten, aber fast wäre ich vor Gestank ohnmächtig geworden. Ich überwand aber meinen Ekel, reinigte es von dem Unflath, worinn es lag, und bedeckte es mit meinen Kleidern; es sah mich mit einem so rührenden Blick an, der mir ins Herz drang, sagte aber nichts. Unterdessen kam die Wache an. Das Weib hatte sich gleich Anfangs im Keller versteckt, man holte sie aber mit Gewalt heraus. Sie tobte, wüthete, fluchte aufs gräßlichste, und spie dem einen Kerl ins Gesicht. Aber, alles [48] Sträubens ohngeachtet, wurde sie sammt ihrem Mann mit fortgeschleppt. Ich setzte mich in die Sänfte und nahm das Kind auf meinen Schooß, aber nun bat mich Christiane, das Mädchen, welches vorhin erzählte, mit Thränen, sie doch auch mitzunehmen. Ich thats, und will sie so lange behalten, bis ich ihr eine gute Herrschaft ausgemacht habe. Wie ich zu Hause kam, legte ich gleich das arme kleine Lieschen ins Bette, und gab ihm etwas Stärkendes. Unterdessen kam der Arzt. Nachdem er seinen Zustand untersucht hatte, fand er, daß. es die Auszehrung habe. Da sie aber noch im Anfang sey, und es eine starke Natur zu haben schiene, so hoffe er es mit Gottes Hülfe noch zu retten. Wird es wieder besser, so werde ich die sonderbare Art, durch die ich es fand, für einen Wink des Himmels ansehen, und auf alle mögliche Art für seine gute Erziehung sorgen. Dieser Auftritt [49] hat mich so erschüttert, daß ich heute nicht im Stande bin, Ihren Brief, meine Theure, zu beantworten. Ich muß auch wieder zu dem armen Lieschen gehen. Ewig bleibe ich die Ihrige

Marie.

7. Brief. Sophie an Marien
Siebenter Brief
Sophie an Marien

Ihr Brief hat mich sehr gerührt, theuerste Freundinn. Denn ob ich gleich oft ein unbesonnenes, lebhaftes Ding bin, so ist doch mein Herz auch fähig, von den Gefühlen des Mitleids bey dem Leiden andrer Menschen sehr lebhaft durchdrungen zu werden. Der Segen des Himmels muß bey Ihnen wohnen, meineMarie, daß Sie zu einem so schönen Werkzeug der Rettung eines unschuldigen Kindes ausersehen wurden.

[50] O! meine Freundinn, mein Herz wird von einem schweren Kummer niedergedrückt. Schon sechs Tage sind vergangen, ohne daß ich Karlsheim sah! Er scheint unser Haus, er scheint meine Gesellschaft zu meiden, und sonst suchte er so eifrig alle Gelegenheit auf, mich zu sehen. Und o, wie schien er so ganz von den zärtlichsten Gefühlen durchdrungen, wenn er bey mir war! Wie entzückte ihn mein Blick! wie zitterte seine Hand, wenn sie die meinige berührte! und jetzt vermeidet er mich. O Gott! und doch fühle ichs, daß ich ihn noch unaussprechlich liebe, daß ich nur in ihm lebe. O, ich glaubte zu fühlen, daß die Freuden des Lebens, von denen ich bisher nur die Oberfläche berührte, in seiner Liebe mir aufblüheten. Unseliger Irrthum! Was mag ihn wohl zu dieser sonderbaren Aufführung bewegen? Ich beleidigte ihn ja nie mit einem Gedanken; aber was sollen diese Klagen? Ich will mich bemühen, [51] den Undankbaren zu vergessen. Leben Sie wohl, Marie, und bedauern Sie mich.

Sophie.

8. Brief. Marie an Sophien
Achter Brief
Marie an Sophien

Ich nehme den lebhaftesten Antheil an allem, was Ihnen begegnet, und der Kummer meiner Sophie geht mich so nahe an, als mein eigner. Aber verzeihen Sie mir, liebe Freundinn, noch scheinen Sie mir keine gegründete Ursache zum Klagen zu haben. Vielleicht ist Karlsheim verreist, und sehnt sich aufs stärkste nach Ihnen zurück; vielleicht auch verhindert ihn eine Unpäßlichkeit, Sie zu besuchen, oder doch andere wichtige Ursachen. Nach dem, was Sie mir von ihm geschrieben haben, scheint er mir nicht der Mann zu seyn, der Liebe [52] gegen ein Mädchen erkünstelt, um ihrer zu spotten. Ich halte ihn zwar für etwas weich – vielleicht zu weich – für fähig schnell Eindrücke zu empfangen; aber Ihre Bekanntschaft mit ihm ist doch noch zu neu, als daß sein Herz schon Ihrer satt seyn könnte, wenn er wirkliche Liebe gefühlt hat, und dieß sein Betragen gegen Sie schien doch von Liebe zu zeugen. Doch vielleicht liegt schon der wiederkehrende Karlsheim zu Ihren Füßen, hat schon Vergebung seines langen Außenbleibens von Ihnen empfangen, während daß ich sitze und lauter Vermuthungen über eine Sache Ihnen schreibe, die er selbst bereits Ihnen erläutert hat.

Mein kleines Lieschen bessert sich mit jedem Tage. Heute war sie zum erstenmal aufgestanden, und kam auf ihren schwachen Füßchen in mein Zimmer. Ich hatte ihr ein neues Kamisol und Röckchen von Catun machen lassen, [53] nebst Wäsche und allem, was sonst dazu gehört. Sie sah recht artig darinn aus, und blickte einigemal mit einem ziemlich wohlgefälligen Blick in den Spiegel. Ich nahm daher Gelegenheit, mit ihr zu reden, und ihr Gefühl ihres verbesserten Zustandes zur Dankbarkeit gegen Gott zu leiten. Bey dieser Unterredung sah ich zu meiner größten Freude, daß sie ein Herz besitzt, jedes Eindrucks zum Guten fähig, und daß sie auch einen guten Verstand hat. Ich werde sie selbst im Lesen und in den faßlichsten Lehren des Christenthums unterrichten, auch werde ich sie weibliche Arbeiten lehren.

Christianen habe ich bey der guten Inspektorinn F. als Kindermagd untergebracht. Lieschens gottlose Mutter ist auf Zeitlebens ins Zuchthaus gebracht, weil sich Zeugen fanden, die sie selbst den unmenschlichen Vorsatz haben äußern hören, das Kind umzubringen, wenns [54] nicht bald sterben wollte. Der Mann, weil er dieß wußte und nicht ernstlich verhinderte, ist auf zwey Jahre zum Karrenschieben verurtheilt.

Ich kann Gott nicht genug danken, daß er uns zu Werkzeugen wählte, diesen scheuslichen Plan zu zerstören. Es giebt doch keine reinere Freude hienieden als die, eine gute nützliche Handlung verrichtet zu haben. Dieß ist das seligste aller Gefühle. Es zeugt von der Weisheit des Schöpfers, daß er auch hier schon einer jeden guten Handlung, durch die herrliche innre Zufriedenheit, die sie mit sich selbst führt, ihre Belohnung gab.

Ich muß hier abbrechen, liebste Sophie. Ich hoffe nächstens einen Brief voll fröhlicher Nachrichten von Ihnen zu erhalten. Glauben Sie sicher, meine Beste, daß niemand auf der Welt so lebhaft alles das mitfühlt, was Sie [55] betrifft, und innigere Freundschaft gegen Sie hegt, als

Ihre ganz eigne Marie.

9. Brief. Sophie an Marien
Neunter Brief
Sophie an Marien

O Marie, wie unglücklich bin ich! von welchen Quaalen, sonst nie gefühlt, wird mein Herz zerrissen! Er ist für mich verloren, der falsche, niedrige Verräther! O, daß ich je seine verführerischen Reden anhörte, seine Blicke mit Wohlgefallen gierig verschlang! Doch ich will mich fassen, ich will Ihnen die ganze schändliche Verrätherey schreiben; hören Sie nur an!

Diesen Morgen besuchten mich die beyden Demoiselles Ebard. Nach einigen Gesprächen von nichtswürdigen Kleinigkeiten kam man auf Karlsheim. Ich zitterte beynahe, als sein Name [56] genannt wurde, und mußte alle mögliche Mühe anwenden, das heftige Schlagen meines Herzens, und den Wechsel meiner Farbe zu verbergen.

Lotte Ebard. »Nein, Minchen, das muß man ihm lassen, er ist ein hübscher Junge, und weiß sich recht gut zu betragen.«

Minchen E. »Das mag alles seyn, es ist und bleibt immer ein dummer Streich von ihm, daß er sich sogleich verplempert hat.«

Ich. (In größter Verlegenheit) »Verplempert? Und mit wem denn?«

Lotte E. »Mein Himmel! Wissen Sie denn wirklich noch nicht, daß er Louisen Dalberg die Cour macht? Das ist ja stadtkündig. Gestern ist die Verlobung gewesen, sagte mir mein Friseur. Sie haben einen großen Schmaus gehabt. Man meynt, der alte Dalberg hätte Karlsheim durch seinen Gönner, den Geheimden Rath von S, seine Bedienung verschafft, [57] und da wäre denn die Heyrath so ausgemacht. So gar übel ist das Mädchen freylich eben nicht, wenn sie nur – – –«

Minchen B. »Ach! schweig mir doch von dem Affengesichte. Er hätte wahrhaftig können viel beßre wählen. (Hier warf sie einen sehr zuversichtlichen Blick in den Spiegel.) Das Mädchen hat ja gar keinen Teint, so gelb wie eine Zigeunerinn, und dann die kirschrothen Backen. Wahrhaftig, sie sieht so gesund aus, wie eine Bäuerinn. Man hört sie auch nie über Kopfweh, Nervenschwäche und dergleichen klagen, wie es doch jetzt bey uns der gute Ton erfordert. Denken Sie einmal an, Sophie, wie ich mich neulich über den Affen ärgern mußte. Es lief mir eine Spinne über den Hals. Sie wissen, welch einen Ekel ich vor diesen Thieren habe. Ich schrie, wie ich sie sah, und war einer Ohnmacht nahe. Herr von Grün sprang mir zu Hülfe, indem er aber [58] in ein anderes Zimmer gieng, um seinen Flacon zu holen, sagte mir Lou ise sachte:

›Pfui, Kind, zieren Sie sich doch nicht so; solche Dinge schaden uns in der Achtung der Mannspersonen, und machen unserm Verstande keine Ehre. – War das nicht die ärgste Grobheit? Und was noch das Aergste ist, oft spricht sie in Gesellschaft wie das Buch der Weisheit selbst, ohne daß jemand sie dazu auffodert.‹«

Lotte. »Da sagst du nun auch nicht die Wahrheit, Minchen. Das muß man Louisen lassen, sie spricht wenig, und nicht leicht anders als wenn – – – –«

Hier unterbrach Minchen, durch ihrer Schwester Widerspruch höchst aufgebracht, sie voller Hitze. Doch, Marie, was sollte ich Sie und mich durch solche Sachen noch länger ermüden? Sie haben aus diesem Gespräch Louisen gewiß schon kennen gelernt. Karlsheims Geliebte! Karlsheims [59] Braut! O Gott, wie quält mich der Gedanke! Der Falsche, wie zärtlich that er nicht! Seine Blicke waren so voller Ausdruck, der Ton seiner Sprache so sanft, wenn er mit mir redete O wenn ich noch dran denke, wie ich zuerst ihn sah, wie er so vor mir stand – aber warum denke ich noch an den Ungetreuen? Ich will ihn hassen, verabscheuen, und mit ihm sein ganzes Geschlecht. O! hätte ich das geglaubt, daß meine erste Liebe so unglücklich seyn würde, ich hätte sie geflohen, wie den Tod. O Marie, könnte ich mich doch des Gedankens an ihn entschlagen! – Schlafen Sie wohl, Theure. Diese Nacht wird, so wie die vergangnen, schlaflos seyn für Ihre

Sophie. [60]

10. Brief. Marie an Sophien
Zehnter Brief
Marie an Sophien

Theure Freundinn, wie bedaure ich Sie! O Gott, ich weiß, wie sehr getäuschte Liebe schmerzt, wie hart es ist, zärtlich und treu geliebt zu haben, und dann den andern untreu zu finden. Ach Sophie, ich darf nicht daran denken, ich würde sonst die Wunde aufreißen, die ich mit unsäglicher Mühe zugeheilt habe! – –

Ich bin weit davon entfernt, den Schmerz des Leidenden noch durch Vorwürfe zu erhöhen. Aber meine Aufrichtigkeit dringt mich doch, Ihnen meine Gedanken zu sagen. Daß Sie Karleheim liebten, ohne ihn genau zu kennen, das war zwar ein Fehler, den aber gewiß nur der tadeln kann, bey dem Alter und Umstände die Gefühle stumpf gemacht haben. Aber das tadle ich, daß Sie sich gleich von dieser Liebe hinreißen ließen, ohne ihr Widerstand zu thun, [61] daß Sie sie nährten, ohne Karlsheims Gesinnung erforscht zu haben, und daß Sie, wie ich fürchte, diese Liebe nicht genug vor seinen Augen verbargen. Inzwischen gebe ich Ihnen den Rath, zu fliehen; das ist das beste Mittel. Kommen Sie zu mir, geliebte Sophie; mit Freuden werde ich Sie in meine Arme schliessen, und versuchen, ob die zärtlichsten Bemühungen der Freundschaft Ihr Herz von der Liebe heilen können.

Ihr Vorsatz, das ganze männliche Geschlecht zu hassen und zu fliehen, ist auch übertrieben. Was können die armen übrigen Männer dafür, daß einer von ihnen den Wünschen meiner Freundinn nicht entspricht? Doch das schrieben Sie auch nur in einer Stunde des Unmuths. Aber dazu wird Ihnen diese Begebenheit dienen, Sie vorsichtiger über Ihr Herz wachen zu lassen. Ach! daß wir immer erst durch traurige Erfahrungen so klug werden! und doch werden [62] wir es selten eher, bis Kummer und tiefes Leiden unsre Empfindungen so abgenutzt haben, daß wir keines lebhaften Eindrucks mehr fähig sind.

Es gehört wohl unter die schwersten Fragen, ob ein weiches Herz unser Glück oder Unglück macht. Wie zufrieden lebt nicht in manchem Betracht der Mann, dessen Leidenschaften alle durch kalte Ueberlegung beherrscht werden. Mit steter Vorsichtigkeit wägt er Schaden und Vortheil gegen einander ab, und wählt das Zuträglichste. Aber ob gleich seine Seele niemals durch starke Lasten des Kummers niedergedrückt wird, so ist er doch auch nicht fähig, die entzückende Freude zweyer Seelen zu empfinden, die zum erstenmal übereinstimmend fühlen, daß Gott sie für einander schuf. Welch ein himmlisches Gefühl, wenn nun der furchtsame Jüngling den ersten Kuß der Liebe auf die Wange [63] des sanft erröthenden Mädchens drückt, wenn dann ihre Lippen sich begegnen, ihre Seelen in Eins sich zu verwandeln scheinen, und Himmel und Erde vor ihren Augen verschwindet!

Aber auch welche Quaal, wenn nun die, die kaum sich gefunden, sich wieder trennen sollen, wenn unüberwindliche Hindernisse sich ihrer Vereinigung in den Weg legen! Der liebenswürdige Jüngling, dem nun erst des Lebens Freuden aufzublühen schienen, sinkt in schwarze Melancholie. Die rührende Grazie des Mädchens, ihre Reize, durch das Gefühl der Liebe belebt, sterben plötzlich ab. Wie der Wurm im Innern der Rose, so nagt der Schmerz am zarten Faden ihres Lebens.

Alles das fühlt das Kältere nicht. Er wählt ein Mädchen, weil seine Umstände es fordern, und weil dem Menschen vom Anfang an eine Gehülfinn als nothwendig angewiesen ist. Seine Absichten werden vereitelt; gut, er wählt sich [64] eine andre, wird Gatte, Vater, Wittwer, ohne aus seiner Fassung zu kommen.

Ich gebe zu, daß ein solcher Kaltblütiger dem gemeinen Wesen vielleicht nützlichere Dienste leisten wird, als jener, aber gewiß nur so lange, als sie aufs strengste mit seinem Nutzen übereinstimmen. Denn Selbstliebe ist bey ihm die Haupttriebseder aller seiner Handlungen. Er wird seinen Nebenmenschen dienen, so lange es seine Bequemlichkeit verstattet. Aber wird er auch etwas aufopfern, um des andern willen? O da wär' ich ein Narr, spricht er.

Ich kenne einen Mann, der nun schon dreyssig Jahre im Ehestande gelebt hat, ohne sich jemals zu ärgern. Das Glück hat ihn auf eine ansehnliche Stufe gesetzt, er hat keine Familie, verbraucht kaum den vierten Theil seiner Einkünfte. Nun, da wird er von seinem Ueberfluß den Armen wohlthun, er wird durch einen Aufwand, der seinen Umständen angemessen ist, den [65] Handwerker, den Bürger in Nahrung setzen Nein, dazu ist er zu klug.

»Wer weiß, spricht er, ob ich nicht manchen Armen durch Wohlthaten im Müssiggang unterstütze? Mich nach seinen Umständen zu erkundigen, erlauben meine Geschäfte nicht. Einen großen Aufwand zu machen, um meinem Mitbürger Nahrung zu verschaffen, ist auch meine Sache nicht, das würde mir nur Unruhe machen. Ich entziehe mir nichts von dem, was ich brauche, ich lebe vergnügt und bequem; warum sollte ich meine Ruhe durch eine größere Anzahl von Bedienten stören? Die wenigen, die man halten muß, machen schon Sorge genug.«

So sammelt er ein großes Vermögen zusammen, das nach seinem Tode bald genug zerstreut werden wird. Er könnte von seinem Gelde Schätze für die Ewigkeit sich sammeln, aber im Koffer, denkt er, ist es doch sichrer verwahrt.

[66] Nun wahrhaftig, ich habe große Anlage zur Philosophie. Schade, daß mir die Gründlichkeit fehlt. Ich muß gestehen, daß solche Betrachtungen noch immer einen gewissen Reiz für mich haben; und dazu liegt wohl der Grund in meiner ersten Erziehung. Mein Vater ließ mich Sprachen und andre dergleichen Kenntnisse lernen. Das hatte nun aber die schädliche Wirkung auf mich, daß ich im zwölften Jahre ein unerträgliches Geschöpf war. Voll Stolz und Einbildung auf mein Bißchen Wissen, sah ich verächtlich auf andre Mädchen herab, die nur von ihrem Nähzeug reden konnten. Mein sonst so vernünftiger Vater hatte die Schwachheit gegen mich, meinen Einfällen und Urtheilen oft lauten Beyfall zu geben, und dieß brachte mir eine große Meynung von meinem Verstande bey. Meine vortreffliche Mutter heilte mich zwar von diesem thörichten Stolze gänzlich, aber es blieb mir doch bis zu meiner Verheyrathung noch immer [67] eine gewisse Abneigung vor häuslichen Geschäften. Ich hielt es für sehr unwürdig, den ganzen Morgen auf die Zubereitung einer Mahlzeit zu wenden, die der wollüstige Gaumen in so kurzer Zeit verschlingt. Auch das Mechanische der meisten weiblichen Arbeiten war mir verhaßt. Aber, Gott Lob, jetzo denke ich anders. Ich sehe aufs überzeugendste ein, daß diese Geschäfte unsre Bestimmung sind, und daß es unser höchstes Verdienst ist, eine gute Hausfrau, eine guteMutter zu seyn. Wer mehr als gewöhnliche Fähig keit von der Natur bekommen hat, findet auch in der Erfüllung dieser Pflichten Gelegenheit genug, sie anzuwenden. Gute Erziehung der Kinder, kluges Betragen gegen das Gesinde, Ordnung und Sparsamkeit in der Wirthschaft – sehen Sie, das sind weit genug ausgebreitete Felder, um den besten Verstand zu beschäftigen, und die Frau, die diesem allem gut vorzustehen weiß, verdient unsre ganze Hochachtung. Ich bemühe[68] mich täglich mehr, um Einsicht von diesen Kenntnissen zu erlangen, und ich muß gestehen, daß mir die schönste Stelle eines Buchs kaum so viel Vergnügen gemacht hat, als ich jetzo empfinde, wenn ich ein schmackhaftes Gericht, von meinen Händen bereitet, meinem Mann auftrage, und er mir dann mit Vergnügen für meine Sorgfalt dankt. Albrecht ist zwar nicht dazu geschaffen, alle die kleinen zärtlichen Bemühungen und Gefälligkeiten zu fühlen, deren Erfüllung bey dem Gatten, der mich, so wie ich ihn aufs innigste liebte, mein größtes Glück machen würde. Aber demohngeachtet halte ich es für meine Pflicht, alles Mögliche zu thun, um ihn zufrieden und glücklich zu sehen, und mir seine Liebe und Achtung zu erhalten. Und zu diesem letzten Endzweck ist es durchaus nothwendig, die häuslichen Geschäfte gut zu besorgen. Strenge Ordnung, auch selbst in Kleinigkeiten, vorzüglich Reinlichkeit, und ein nie vernachlässigter [69] Anzug, erhalten uns die Achtung des Mannes. Bleibt zuweilen Zeit zum Lesen und andern solchen Beschäftigungen des Geistes übrig, so ist es desto besser; aber mit einer Frau, die bloß liest und schreibt, ist einem Manne eben so wenig gedient, als mit einem Putzaffen, die den ganzen Morgen vor dem Spiegel zubringt, und den Nachmittag und Abend vor dem Koffee- und Spieltisch vertändelt.

Meine Küche ruft mich vom Schreiben ab, und wenn ich diesem Rufe nicht folgte, so würde ich mich bey Ihnen in den Verdacht bringen, als gehörte ich unter die Moralisten, welche die schönste Moral schreiben, ohne auch nur einen Satz davon selbst auszuüben. Ich habe Ihnen auch schon einen gewaltig langen Brief geschrieben, und würde ich nicht, wie jetzt, unterbrochen, so fürchte ich, daß ich, weil ich eben im Zuge bin, noch lange in diesem Ton fortfahren würde, und dazu ist heute die unbequemste Zeit,[70] weil Sie gewiß nicht zum Nachdenken über solche Gegenstände aufgelegt seyn werden. Ich wünschte inzwischen sehr, daß mein Brief Sie etwas zerstreut haben möchte. Leben Sie wohl, theuerste Sophie, und kommen Sie bald in die Arme

Ihrer Marie.

11. Brief. Sophie an Marien
Eilfter Brief
Sophie an Marien

Wollte Gott, meine Freundinn, daß Ihr Brief, oder irgend etwas anders mich zu zerstreuen vermöchte; aber nichts ist fähig, sein Andenken in mir zu vertilgen. Hätte es nicht wenigstens die Höflichkeit erfordert, einmal zu kommen? Aber nein, seine Louise (meine Hand widerstrebt dieß Wort zu schreiben. Ha seine Louise! Ihr Karlsheim! Verwünschte Ausdrücke!) wird wohl sein ganzes Herz so ausfüllen,[71] daß nicht einmal mehr ein Platz für allgemeine Höflichkeit darinn leer ist.

Auf heute Nachmittag sind wir zu Hofrath G. gebeten. Er wird vermuthlich da seyn, gewiß auch Louise. Wie werde ich ihren Anblick ertragen können? Wie wird sie sich brüsten, die Stolze! Ich wollte erst nicht hingehen; aber hätte das nicht geschienen, als flöhe ich vor ihm? Er sollte sich wohl gar eingebildet haben, ich wäre empfindlich über seine Gleichgültigkeit. Nein, den Triumph soll er nicht haben. Ich werde hingehen, ich werde ihm mit dem Kaltsinn begegnen, den er verdient. Aber ich werde ganz den Schein vermeiden, als befremde mich seine Grobheit. Ich werde mich zur Lustigkeit zwingen; will mit den jungen Herren scherzen, ihre Einfälle belachen, nur den seinigen durch verächtliches Lächeln antworten. Ich will sogar mit ihm und seiner Braut scherzen. Kurz, ich will meine Rolle meisterhaft spielen.

[72] Fortsetzung.

Der Tag ist vorüber. O Marie, wie schwach sind wir doch! Gott, wie reizend sah er aus! Eine gewisse Traurigkeit, die in seinem Gesichte herrschte, hätte beynahe meinen ganzen Zorn vertilgt. Mit einem seelenvollen Blick fragte er nach meinem Befinden. Was kostete es mich nicht, ihm mit einer kalten Miene und einem gleichgültigen Ton zu antworten! Ach! und ich fürchte, es gelang mir nur halb. Es war mir unmöglich, lustig zu seyn, und mit Beschämung gesteh' ichs, ich mußte alle Gewalt anwenden, um Thränen zu verbergen, die hervorbrechen wollten; aber sie fielen bitter auf mein Herz. Wenn sein Blick mir begegnete, so schlug er erröthend die Augen nieder, und einmal glaubte ich Thränen darinn zu sehen. Als wir nach Hause gehen wollten, bot er mir seine Begleitung an. Ich schlug sie unter einem Vorwande aus; er wurde hochroth und stutzte, entfernte [73] sich aber gleich mit einer tiefen Verbeugung, und ich war sehwach genug, meine abschlägige Antwort zu bereuen. Doch ich Thörinn! die Ursache seines Schmerzes war ja nur, weil Louise ihm fehlte. O so sey es auch verschworen, je wieder an dich zu denken, falscher Karlsheim! Uebermorgen komme ich zu Ihnen, Marie.

Sophie.

12. Brief. Karlsheim an Wilhelm B.
Zwölfter Brief
Karlsheim an Wilhelm B.

Ich bin verloren, Freund! Dieses Herz, das immer den Meister über mich spielt, wird auch dießmal siegen. Du solltest sie sehen, und du würdest mich entschuldigen. Ein Engel kann nicht reizender seyn. Grazie in jeder ihrer Bewegungen, die liebenswürdigste Lebhaftigkeit des Geistes, [74] mit dem gefühlvollsten Herzen, machen sie zur Liebenswürdigsten ihres Geschlechts. Nenne mich nicht schwach, Wilhelm, ich habe gekämpft, gerungen; habe zehn Tage (die quaalvollsten meines Lebens!) sie nicht gesehen. Oft riß meine Empfindung mich zu ihr hin. Ich sah schon von ferne das Haus, die Wohnung meines angebeteten Engels, und doch siegte ich über mich, und kehrte um. Nun war mein Zimmer mir ein Ort der Quaal; ich selbst mir eine Last. Möchtet ihr niemals wiederkehren, schreckliche Stunden! – Ach! Wilhelm, heute sah ich sie. Ich war zu Hofrath G. gebeten. Sie trat ins Zimmer. Eine lebhafte Röthe überzog ihre Wangen, als sie mich sah. Mein Herz schlug unbändig, ich mußte zu ihr hin. Aber, Gott, sie empfieng mich so kalt; ich glaubte Unwillen in ihren schönen Augen zu sehen, und so kalt und traurig blieb sie den ganzen Tag. Der lebhafteste Schmerz herrschte in ihrem Gesichte; tiefe, [75] halb unterdrückte Seufzer schwellten ihre Brust empor. Einmal sah ich eine Thräne in ihren Augen, die sie schnell verbarg. O, theure, kostbare Thräne! wem warst du geweiht? Wärest du mir und der Liebe geflossen, willig wollte ich mein Leben hingeben. Hätte ich mich doch zu ihren Füßen hinwerfen können, um nach der Ursache ihres Kummers zu fragen! Hätte sie dann mich nur eines solchen Blicks gewürdigt, wie der war, den sie beym Aussteigen aus dem Wagen mir gab, als wir von Mayberg zurückkehrten! Glücklichster Tag meines Lebens, noch entzückt mich dein Andenken! Aber nein, ihre Blicke waren nur selten auf mich gerichtet, und dann oft kummervoll, oft auch unwillig. Beym Nachhausegehen schlug sie meine Begleitung ab. O Wilhelm, wie kränkte mich das im Innern! Kaum konnte ich von meinem Wirth Abschied nehmen. Sophie, theures geliebtes Mädchen, womit beleidigte ich dich, oder [76] was ist dein Kummer? Ha, was fällt mir ein? Sollte ein Nebenbuhler – Entsetzlicher Gedanke! daß du in der tiefsten Hölle wärst! – Sophie, das Eigenthum eines andern? Ich muß hin zu ihr, ich muß mein Schicksal erfahren. O wäre doch der Morgen erst da! –


Den andern Morgen.


Ich wollte schlafen, aber der Schlaf floh mich. Sophie stand immer vor meiner Einbildungskraft. Und dann dachte ich wieder an deinen Brief, an Julien. – Aber was soll mir Julie? Sinds nicht zwey Jahre, daß ich nichts von ihr hörte? ließ sie nicht zwey Briefe unbeantwortet? reiste ich nicht selbst nach D.? Erfuhr ich wohl etwas von ihr? Hätte sie mir nicht einmal schreiben müssen, wenn sie mich noch liebte? Gewiß ist sie längst das Eigenthum eines andern, und ich Thor sollte um sie mein Glück, Sophien, verscherzen? Nein, das wäre wahnsinnig [77] gehandelt. Ich habe mehr gethan, als sie hätte fordern können; ich habe genug gekämpft; ist es meine Schuld, daß eine innre Macht mich unwiderstehlich nach Sophien zieht? Soll eine jugendliche Neigung mich auf ewig zum Märtyrer machen? Mich von dem herrlichsten Geschöpf zeitlebens trennen? Nein,Wilhelm, das ist zu viel gefordert. Es ist wahr, ich liebte Julien, aber sie ist selbst Schuld an unsrer Trennung. Liebte sie mich noch, und hätte sie mir nur einmal geschrieben, gewiß, Freund, dann würde ich ihr treu bleiben, wenn auch dieses Herz noch so sehr widerstrebte. Aber gewiß bin ich ihr gleichgültig. Ich muß hin zu Sophien, mein ganzes Herz ihr entdecken, und Tod oder Leben von ihren Lippen empfangen.

Fortsetzung.

O Wilhelm, kann ich die Fülle der Wonne tragen? erliege ich nicht bey dem schnellen Wechsel? [78] Vom tiefsten Kummer so schnell auf der höchsten Stufe des Glücks zu stehen! Sie ist mein. – Sophie mein – – sie liebt mich. Es ist kein Traum, es ist Wahrheit, diese Lippen berührten sie, dieser Arm umschlang sie. Ich fühlte das edelste Herz fest am meinigen schlagen; nun hat beyde ein ewiges Bündniß vereinigt, und keine Macht der Erde soll sie aus meinen Armen reißen. O Gott, wenn ich mir den Engel denke, wie sie bebend an meine Brust sank, wie die reinsten Thränen der Liebe in ihren Augen glänzten, wie ich, trunken von Wonne, sie umarmt hielt. Du Theure, Innigstgeliebte! jeder meiner Blutstropfen wallt nur dir; jede Ader hüpft vor Entzücken. Ich fühle mich über mich selbst, über Welt und alles erhaben, in eine höhere Sphäre hinaufgerückt. O Geliebte, mein ganzes künftiges Leben sey nur ein Bestreben, dich glücklich, mich deiner werth zu machen! Und nun bitte ich dich,[79] Wilhelm, komm mir nicht mit kalter Moral, mit keinen Sentenzen, und verbittre mein Glück mir nicht. – –

Karlsheim.

13. Brief. Sophie an Marien
Dreyzehnter Brief
Sophie an Marien

Ich glaube wirklich, ich bin schwindlich von allem, was sich mit mir zugetragen hat. Ich muß nur einmal an meinen Kopf greifen, um zu sehen, ob er noch auf seiner rechten Stelle steht.

Ja, er steht zwar noch, aber es sieht so konfus darinn aus, daß es mir schwer werden wird, Ihnen eine umständliche Erzählung von allem zu geben; doch ich will mich dazu zwingen, so schwer es mir auch werden wird.

Voller Unruhe brachte ich die vorige Nacht hin. Sonst schloß der Schlaf meine Augen, sobald [80] ich mich niederlegte; aber diese Nacht war schlaflos. Abgemattet vom Weinen, stand ich auf. Kaum war ich angekleidet, war nach dem Morgengruß von meinem Onkel wieder auf mein Zimmer geeilt, als Karlsheim herein trat. Ich erschrack, und verfärbte mich. Er bemerkte es:

»Verzeihen Sie, Mademoiselle, sagte er mit sehr ehrerbietiger Miene, daß ich es wage, Sie vielleicht zur Unzeit zu belästigen. Ich sah gestern Kummer in ihren Augen; und ob ich gleich kein Recht habe mich nach der Ursache zu erkundigen, so interessirt mich doch alles, was sie angeht, viel zu sehr, als daß ich unbekümmert dabey bleiben könnte. Auch glaubte ich, Zeichen des Unwillens gegen mich bey Ihnen zu sehen. Erlauben Sie mir, theuerste Mademoiselle, Sie zu fragen, wodurch ich das Unglück gehabt habe, Sie zu beleidigen?«

[81] Ich mußte die äußerste Mühe anwenden, mich zu fassen, und mit gleichgültigem Ton zu sagen:

»Sie haben sich in Ihren Vermuthungen gewiß geirrt, Herr Karlsheim. Ich wüßte gar nicht, wodurch Sie mich könnten beleidigt haben, und übrigens dächte ich, der Kummer jedes andern Frauenzimmers müßte dem Geliebten von Louise Dalberg gleichgültig seyn.«

»Louise Dalberg, die ich kaum ein paar male gesprochen habe? Glauben Sie, Mademoiselle, es thut weh, sich so verspottet zu sehen.«

»Ich sehe nicht ein, warum Sie eine Verbindung läugnen wollen, von der man allenthalben ganz laut spricht. Man hat sogar den Verlobungstag mir gesagt. Und Louise ist wirklich ein Mädchen, das gewiß – das vortreffliche Eigenschaften besitzt. – –«

»Und wenn sie deren noch mehr besäße, mir ist sie sehr gleichgültig, und ich müsse gleich hier vor ihren Augen vernichtet werden, wenn [82] je ein Gedanke an sie in meine Seele kam. Aber ach! es giebt ein Frauenzimmer, die mit unumschränkter Macht in meinem Herzen herrscht, die ich aufs innigste verehre, die ich auch dann noch lieben werde, wenn schon meine brechenden Augen sich schließen. Wenn meine Zunge schon stammelt, werde ich noch ihren theuren Namen nennen, den die Liebe mit der stärksten Macht in mein Herz grub. – O wenn ich es wagen dürfte, sie Ihnen zu nennen! – Theuerste, läßt mich dieses Erröthen hoffen, daß ich Ihnen nicht ganz verhaßt bin? O reden Sie ein Wort.«

»Karlsheim – sagte ich mit einer Bewegung, über die ich nicht mehr Herr war – Sie mir verhaßt? – Es gelang mir, mich wieder zu fassen – Ihr bisheriges Betragen zeigte wohl, daß Sie unser Haus mieden, und ließ eben nicht vermuthen – –«

[83] »Endigen Sie Ihre Rede nicht; ich weiß, was Sie sagen wollen. Ja, Theuerste, ich kämpfte mit meiner Leidenschaft, ich wollte die Gelegenheit fliehen, den brennenden Funken noch stärker anzufachen, aber vergebens; diese Neigung saß zu tief in meiner Seele, als daß irgend etwas auf der Welt fähig wäre, sie auszurotten. Ewig wird sie in meinem Herzen wohnen; auch dann noch, wenn Sie mit Ihrem Haß meine Verwägenheit strafen, auch dann noch wird der unglückliche, von Ihnen verbannte Karlsheim Sie zeitlebens verehren.«

Er faßte meine Hand, ich war zu sehr gerührt, um sie wegzuziehen. Mit dem Ton der stärksten Leidenschaft sagte er:

»Sophie

»Karlsheim

»Gott! ist es möglich, bin ich der Seligkeit werth?«

[84] Und nun fühlte ich zum erstenmal, da unsre Lippen sich begegneten, was der Kuß der reinen Liebe ist. OMarie, ich hätte nie geglaubt, daß mein leichtsinniges Herz solcher Empfindungen fähig wäre. – Eine Stunde war uns wie ein Augenblick entflohen, als mein Onkel herein trat. Er sah uns befremdet an.

»So? Das ist also das Hinderniß, das Sternfelden im Wege stand?«

Ich sprang auf, seine Hand zu küssen; Karlsheim that ein Gleiches. Unsre Blicke redeten mehr als unsre Worte. Gerührt gab uns der würdige Alte seinen Segen. Und nun, Marie, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, daß – ich morgen nicht zu Ihnen kommen werde.

Sophie. [85]

14. Brief. Ferdinand an Eduard
Vierzehnter Brief
Ferdinand an Eduard

Vielen Dank für deinen Brief, lieber Freund. Ich habe ihn mit Vergnügen gelesen. Die Ermahnungen, die darinn waren, hätten freylich wohl weg bleiben können. Auch deine Abschilderung des akademischen Lebens scheint mir etwas übertrieben zu seyn. Ich habe zwar noch wenig Studenten hier kennen gelernt, aber die wenigen gefielen mir recht wohl, und schienen brave Kerle zu seyn. Es herrscht freylich kein pedantischer Ton unter ihnen; sie sind lustig und geniren sich um niemand, und das gefällt mir sehr. Ich habe die Schulfüchse mein Tage nicht ausstehen können. Einer von diesen Studenten heißt Klinge. Ich habe ihn recht liebgewonnen; er scheint auch in großem Ansehen unter seinen Bekannten zu stehen, und ist Senior der Landsmannschaft. Heute sagte er zu mir: [86] Man kann ein ehrlicher Kerl seyn, und was Rechts lernen, ohne darum immer hinter den Büchern zu liegen. Die Leute, die den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen, in alle Kollegia laufen, und sich eine Todsünde draus machen, einmal zu schwänzen, haben gewöhnlich keinen Kopf, und bringen es auch zu nichts. Wer Genie hat, kann in einer Stunde mehr lernen, als ein solcher in zwey Tagen. Das viele Studieren machts nicht aus. In unsern Jahren muß man des Lebens genießen und lustig seyn. Im Alter hat man Zeit genug, zu murren und hinter dem Ofen zu sitzen.

Mich dünkt, daß Klinge hierinn ganz recht hat. Es ist nur Schade, daß sein Vater, ein alter Filz, ihn so genau hält. Dem Himmel sey Dank, daß ich Geld genug habe, um einen ehrlichen Kerl zu unterstützen. Mein Vater ist nicht karg, und hat mir eine ansehnliche Summe ausgesetzt, die ich für mich allein nicht verbrauchen [87] werde. Meine drey Jahre sollen mir hier recht gut verfließen, und ich denke sie auch nützlich anzuwenden. Ich werde meine Kollegia fleissig besuchen, und auch zu Hause arbeiten. Die Zeit, die mir dann übrig bleibt, sey dem Vergnügen gewidmet.

Ich wollte, du wärst auch hier, Eduard. Ich denke noch oft an die frohe Zeit, da wir als Knaben zusammen spielten, und, unsers ungleichen Alters ohngeachtet, immer fest zusammen hielten. Auch jetzt noch wollte ich willig Blut und Leben für dich lassen, liebster Bruder, das glaube mir. Du wärst mir aber doch noch einmal so viel werth, wenn du die zärtlichen Schäferideen ablegtest, und den Gedanken an deine unsichtbare Prinzessinn fahren ließest. Beym Henker, wäre ich mit einem so reizenden Mädchen in einem Hause, so wollte ich die Zeit besser nutzen, ohne sie mit Winseln über eine entfernte Schöne zu verderben, die in drey Jahren nichts von sich [88] hören ließ. Siehst du, daß ich auch moralisiren kann? – –

Dein treuer Ferdinand.

15. Brief. Eduard an Ferdinand
Funfzehenter Brief
Eduard an Ferdinand

Es befremdet mich gar nicht, lieber Ferdinand, dich über meine Lage spotten zu hören. Ich glaube wohl, daß es nur wenige Menschen giebt, denen meine standhafte Neigung gegen Marien nicht übertrieben scheinen wird. Ich fühle aber, daß ich so handeln muß, wenn ich mich vor künftigen Vorwürfen sichern will.

Denke dir einmal, wenn ich meine Marie, und alle heiligen Betheurungen der Liebe, die ich ihr gab, vergäße, wenn ich einer andern das Herz schenkte, das sonst bloß Liebe zu ihr athmete, und ich fände sie dann noch treu, noch zärtlich [89] gegen mich: Gott, wie elend wäre ich dann! Und ich weiß gewiß, daß sie mich noch liebt, noch eben so mit ganzer Seele an mir hängt, wie ehedem. Ihr Herz gehört nicht unter die wankelmüthigen, und wie liebten wir uns nicht!

Ja, Marie, theuerster Abgott meiner Seele, meine Ahndung täuscht mich nicht, ich finde dich wieder, so treu, so zärtlich, wie du am Tage des Abschieds es warst. Nie werde ich es vergessen, wie sie da weinend an meinem Halse hieng, wie ich noch in weiter Entfernung ihre weiße Gestalt sah, immer noch ihre sanfte Stimme zu hören glaubte. Und da ich nun zum letztenmal das Land betrachtete, das meine liebsten Wünsche in sich schloß, da glaubte ich zu vergehen; es war mir als würde ich von der ganzen Welt getrennt; ich sank in eine Betäubung, aus der ich erst nach einigen Stunden erwachte, und so war mirs die ganze Reise durch.

[90] Hier zerstreuten mich zwar Geschäfte, aber keine Geschäfte sind fähig, das Andenken an die lebhaften Freuden in mir auszulöschen, die ich mit Marien genoß. Daß ich auf fünf Briefe, die ich ihr schrieb, keine Antwort erhielt, schmerzt mich freylich; aber ich bin gewiß, daß besondere Zufälle diese Briefe unrecht geführt, oder daß Hindernisse, ihr unübersteiglich, ihre Antworten gehindert haben. Denn Marie kann gewiß nie mir untreu werden, nie mich vergessen. Dazu war unsre Liebe zu fest geknüpft.

Ich wünschte aber doch bald aus dieser quaalvollen Ungewißheit zu kommen, und auch noch andre Ursachen, als meine heiße Sehnsucht nach ihr, machen meine Entfernung nothwendig. Karoline ist wirklich ein gefährliches Geschöpf. Denke dir ein Mädchen von sechzehn Jahren, deren Reize eben sich entfalten, die ein vortreffliches Herz hat, einen guten Verstand, der freylich noch nicht ganz ausgebildet ist, eine Unschuld, [91] die selbst dem verworfensten Bösewicht heilig seyn würde, mit der liebenswürdigsten Naivität vereinigt, die mir täglich Beweise einer reinen unschuldsvollen Zuneigung giebt, und dann urtheile selbst, ob da nicht zuweilen strenge Zurückhaltung schwer wird. Und diese muß ich doch aufs gewissenhafteste beobachten, wenn ich nicht die Ruhe eines liebenswürdigen Mädchens untergraben will.

Karoline hat ein sehr gefühlvolles Herz. Sie lebte in steter Entfernung von Mannspersonen mit ihrer Mutter auf dem Lande, bis nach deren Tode ihr Onkel sie zu sich nahm. Zwar habe ich, Gott sey mein Zeuge, ihr immer mit der Zurückhaltung begegnet, die man, bey einem verschenkten Herzen, jedem jungen Frauenzimmer schuldig ist. Aber demohngeachtet ist es doch bey ihren Jahren natürlich, daß ein junger Mann, dessen Denkungsart sie mit der ihrigen übereinstimmend fühlte, mit dem sie stets bey Tische und[92] auch sonst oft beysammen seyn muß, Eindruck auf sie macht. Ich werde es mir aber von nun an zur Pflicht machen, ihre Gesellschaft, so viel möglich, zu meiden. Es wird mir schwer werden, denn nach Marien ist Karoline das reizendste Geschöpf, das ich kenne. Aber der Gedanke an die Gebieterinn meines Herzens, an alles, was sie für mich duldete, da ihr Vater sich unsrer Liebe widersetzte, wird mir den Sieg leicht machen.

Du hast meine Ermahnungen, wie du das zu nennen beliebst, unrecht verstanden, lieber Ferdinand. Genieße die Freuden deiner Jugend, so viel du kannst, aber vergiß dabey nicht den Zweck, um dessen willen du nach G. reistest. Das Vergnügen muß auf der Akademie nur Nebensache seyn, und unsre Hauptabsicht muß immer nur dahin gehen, die Kenntnisse für den Geist einzusammeln, die uns so nothwendig sind,[93] wenn wir einst brauchbare Glieder des Staats werden wollen.

Das, was dein Freund Klinge davon sagt, scheint mir nicht so ganz richtig zu seyn. Man braucht, um gelehrt zu werden, freylich nicht den ganzen Tag hinter den Büchern zu liegen, aber ohne anhaltenden Fleiß und Uebung ist es nicht möglich, gründliche Kenntnisse in irgend etwas zu erlangen. Zum Studieren müssen wir alle unsre Seelenkräfte beysammen haben, und das ist nicht möglich, wenn man nur dann und wann eine Stunde arbeitet, und sich oft durch allerley Lustbarkeiten zerstreuet. Die Arbeiten des Geistes sind nicht von der Art, daß man dabey den Faden so oft abreißen und wiederum anknüpfen kann, als man will. Und deswegen, ich wiederhole es noch einmal, müssen wir die Vergnügungen durchaus nicht anders als in Nebenstunden suchen. Auch noch in anderm Betracht hat dieses großen Nutzen. Ein mäßiger Genuß [94] der Freuden des Lebens hat die beste Wirkung auf Leib und Seele; aber ein übertriebner Gebrauch macht uns vor der Zeit stumpf und unfähig im männlichen Alter noch Theil an den Vergnügungen zu nehmen.

Noch eine Erinnerung wirst du mir verzeihen, bester Ferdinand. Suche so viel als möglich zu verbergen, daß du vieles Geld zu verzehren hast. Es giebt auf Universitäten hauptsächlich der Leute so viel, die nicht Geld genug haben, um alle die Ausschweifungen mitzumachen, zu denen sie oft großen Hang fühlen, und die dann, in Burschenränken eingeweiht, unter allerley Vorwand sich der Wechsel anderer, besonders der Neulinge, zu bedienen suchen. Ich weiß, liebster Freund, daß dein gutes Herz oft deiner Ueberlegung vorspringt; aber bemühe dich ja, vorsichtig in der Anwendung deiner Wohlthaten zu seyn. Es giebt der Unglücklichen genug, die gerechte Ansprüche auf unsre Mildthätigkeit haben, [95] und an diesen begehen wir einen Raub, wenn wir gegen Unwürdige freygebig sind.

Du schreibst mir ja nichts von unserm Barthold. Du setzest doch noch die Freundschaft mit ihm fort, die ihr auf der Schule hattet? Er ist ein trefflicher Jüngling, mit dem du manche angenehme Stunde zubringen kannst, und dessen Erfahrung, da er schon so lange in G. ist, dir in manchen Sachen nützlich seyn wird.

Ich hoffe, liebster Ferdinand, daß du diese kleinen Erinnerungen aus keinem falschen Gesichtspunkt ansehen wirst. Sie fließen aus einem dich liebenden Herzen, das die Beschaffenheit des akademischen Lebens aus eigner Erfahrung kennt. Lebe recht wohl, Lieber, und schreibe mir bald wieder.

Eduard. [96]

16. Brief. Ferdinand an Eduard
Sechzehnter Brief
Ferdinand an Eduard

Es hat mir sehr weh gethan, aus den letzten Stellen deines Briefs zu sehen, daß du eine schlechte Meynung von Klingen zu haben scheinst. Ich merke wohl, daß du auf ihn zielst, wenn du ihn gleich nicht nennst. Aber gewiß, du irrst dich sehr. Er ist der bravste, uneigennützigste Kerl von der Welt, der mir viel Freundschaft und Gefälligkeit erzeigt.

Vergangnen Sonntag nahm er mich mit in einen Garten, wo großer Burschenkommerz war. Es wurde tüchtig gepunscht. – Es ist hier so gewöhnlich, daß der Jüngste, mit dem die andern zum erstenmal Brüderschaft trinken, die Zeche bezahlt. Dieß fiel dann auf mich, und du kannst denken, daß ich mich nicht lumpen ließ. – Man sang den Landesvater, und jeder ließ sein Mädchen hoch leben, und verlachte [97] mich, daß ich hier noch keins hatte. Es wurde dann auch Pharao gespielt. Ich wollte anfangs nicht dran, weil ich mich wohl erinnere, daß ich sonst deiner Meynung von solchen Spielen vollkommen Beyfall gab; aber es versicherten mich alle, daß hier in Burschengesellschaften immer gespielt würde. Und Klinge zog mich beyseite, und sagte mir: man hätte mir eine besondre Ehre gethan, daß man schon Brüderschaft mit mir getrunken, da ich doch noch ein Fuchs sey; das pflegte sonst nie zu geschehen. Er bäte mich also, ich möchte mich doch durch solche Weigerungen, die noch gar zu sehr nach der Schule röchen, nicht lächerlich machen. – Ich spielte und verlor funfzehn Louisd'or.

Aber die andern versicherten mich, daß das beym Anfang im Spielen ein sehr gewöhnlicher Verlust sey, und daß man eine solche Summe das künftigemal oft doppelt wieder gewönne.

[98] Beym Anbruch des Morgens trennten wir uns. Ich verschlief nun freylich dießmal meine Kollegia, aber das werde ich leicht wieder einholen. Klinge hat mir auch gerathen, meine Stunden des Nachmittags aufzugeben, weil ich mich sonst im ersten halben Jahre zu sehr überhäufen würde.

Du riethest mir doch einmal, Familienbekanntschaft hier zu suchen, und empfohlst mich an Professor T. Aber dahin zu gehen, ist mir unmöglich. Es ist da ein gewaltig steifer Umgang, sagt mir Klinge. Er wolle mich dafür in einem andern Hause einführen, wo man sehr artig und ungezwungen wäre, und das ist mir gerade recht; denn das infame Complimentiren und Ceremonienmachen ist gar meine Sache nicht. Eben darum gefällt mirs in unsern Gesellschaften so wohl, weil man sich da gar nicht genirt. Adieu, Eduard. Ich werde dir nächstens [99] etwas von meinem Besuch in dem eben erwähnten Hause melden.

Ferdinand.

17. Brief. Eduard an Ferdinand
Siebenzehnter Brief
Eduard an Ferdinand

In einer so heitern Stimmung, wie sie mir in meiner Lage nur möglich ist, schreibe ich dir heute, liebsterFerdinand.

Ich gieng gestern auf einem Spazierwege, den ich deswegen sehr liebe, weil seine Einsamkeit mir Freyheit läßt, meinen Träumereyen ungestört nachzuhängen. Meine Seele hatte sich nach dem schönen heitern Abend gestimmt; und in süßen Gedanken an meineMarie vertieft, kehrte ich wieder heim. Ich sah im Mondenschimmer zwey Gestalten, Arm in Arm gelegt, in stummen Tiefsinn versenkt, neben einander stehen. Von ihnen unbemerkt, gieng ich näher, [100] und hörte nun den sanftklagenden Ton einer weiblichen Stimme:

»Nein, Jakob, du sollst um mich dein Glück nicht verscherzen. O Gott, aus uns kann ja doch nun nie ein Paar werden. Nimm die Bedienung an, so bist du doch wenigstens vor Mangel geschützt.«

»Wie kannst du mir nur einen solchen Antrag thun? Dich sollte ich verlassen, Kathrine, dich, der ich immer so gut war, jetzt, da du schwanger von mir bist? Nimmermehr!«

Nun fieng Kathrine jämmerlich an zu weinen, und ihr Jakob klagte mit ihr. Ich wurde bewegt, und zugleich neugierig ihre Geschichte zu hören. Ich redete sie also an, bezeugte ihnen mein Theilnehmen, und bat sie, mich näher von ihrem Zustande zu unterrichten; vielleicht könnte ich ihnen Hülfe leisten. Es kostete zwar im Anfang etwas Mühe, ihr Vertrauen zu gewinnen, aber sie fühlten doch bald, daß ich aus dem Herzen [101] zu ihnen redete, und vertrauten mir ihren Kummer an. Kathrine ist die Tochter eines Pachters, und schon in ihrer Kindheit waren sie undJakob, des Schulmeisters Sohn, einander gut gewesen. Ihre Liebe wuchs mit ihren zunehmenden Jahren, und beyde schmeichelten sich mit einer baldigen Verbindung, als der Schulmeister starb, und er, den man immer für reich gehalten hatte, kaum so viel hinterließ, als die Beerdigungskosten betrugen. Dieser Vorfall machte auf Kathrinens Vater einen starken Eindruck, und er wollte nun durchaus nicht zugeben, daß seine Tochter einen Mann ohne Vermögen heyrathete. Sie war ein hübsches Mädchen, und hatte schon manchen guten Antrag um Jakobs willen ausgeschlagen, weswegen sie nun tausend harte Vorwürfe von ihrem Vater anhören mußte. Sie entdeckte ihrem Geliebten ihren Kummer, und dieser besänftigte den Alten dadurch, daß er ihm sagte, der Amtmann des[102] Dorfs habe seinem Vater oftmals die Versichrung gegeben, daß er den sehr einträglichen Schulzendienst, mit dem auch noch die Stelle eines Einnehmers verknüpft war, sobald er vakant würde, bekommen sollte. Der junge Mensch hatte sich auch aus diesem Grunde vorzüglich auf Schreiben und Rechnen gelegt, und hatte sich durch Geschicklichkeit, Redlichkeit, und das allgemeine Zeugniß einer guten Aufführung, dieses Dienstes vollkommen werth gemacht. Der alte Schulze, schon seit einigen Jahren schwächlich, starb, und Jakob säumte nicht, sich bey dem Amtmann zu melden. Er wurde sehr höflich empfangen, erhielt die beste Hoffnung, und sein Gönner, der eben einige Leute bey sich hatte, sagte ihm, als er weggieng, er möchte doch den andern Tag wiederkommen, weil noch einiges zu verabreden wäre. Voller Freuden eilte Jakob zu seinem Mädchen, und diese eröffnete ihm, was sie bis jetzt sich zu sagen geschämt hatte, daß [103] sie die Frucht ihrer Vertraulichkeit an einem Abend einer ländlichen Lustbarkeit, wo er vom Wein, und sie von Tanz und Liebe berauscht war, unter ihrem Herzen trüge. Diese Nachricht erhöhte seine Freude noch mehr, und kaum konnte er den andern Morgen erwarten, von dem er die völlige Versichrung seines Glücks erwartete.

Zehnmal griff er nach seinem Hut, und eben so oft hieng er ihn wieder hin, weil es ihm noch zu früh dünkte, zum Amtmann zu gehen. Endlich machte er sich auf. Mit dem freundlichsten Gesicht empfieng ihn der Amtmann, der eben sein Morgenpfeifchen rauchte. Nach einigen gleichgültigen Gesprächen kam er auf das rechte Kapitel:

»Es wäre doch gut, Jakob, wenn er nun bey seinem Dienste auch auf eine junge Frau bedacht wäre. Mit einem jungen Manne will es doch immer so nicht recht fort, so lange [104] er unverheyrathet ist. Meynt er das nicht auch?«

»O ja, da haben Sie vollkommen Recht, Herr Amtmann. Ich bin auch gar nicht abgeneigt. Ich – habe – auch – –«

»Er hat das auch schon gedacht, nicht wahr? Ja und da wüßte ich ihm im ganzen Dorfe keine bessere Person vorzuschlagen, als meine Köchinn. Sie ist ein hübsches Mädchen, versteht eine gute Haushaltung zu führen, und – lächelnd – sie wird auch, weil sie mir treu gedient hat, ein arriges Heyrathsgut von mir erhalten. – –«

Er hielt seiner Köchinn – die schon seit einigen Jahren seine bekannte Hure war – noch eine lange Lobrede, von der aber der arme Jakob kein Wort hörte, so ganz war er von Schrecken betäubt. Er dachte zwar daran, ob er zum Schein thun wolle, als willige er in den Vorschlag, aber sein redliches Herz verabscheute [105] diese Falschheit. Er sagte also zwar blaß und zitternd, aber doch mit Standhaftigkeit, dem Amtmann seine Liebe zu Kathrinen, und erklärte, daß er nie eine andre nehmen könnte. Nach einigen fruchtlosen Vorstellungen, sagte ihm dieser mit höchst zornigem Gesicht und gebietrischem Ton, wenn er sich weigerte, die Köchinn zu heyrathen, so sey gar nicht daran zu denken, daß er den Dienst erhielte; es würde sich schon ein andrer finden, der mit Freuden diese Bedingung annehmen werde. Und nun wies er ihm auf eine höchst grobe Art die Thür. Kathrine stieß einen lauten Schrey aus, als Jakob, blaß wie eine Leiche, ins Zimmer trat. Der alte Pachter schimpfte zwar sehr auf den niederträchtigen Amtmann, verbot aber den jungen Leuten, unter vielen Drohungen, nie wieder an einander zu denken. Aus Furcht vor seiner Härte wagte es seine Tochter nicht, ihm ihren Zustand zu entdecken.

[106] Verzweifelnd gieng Jakob fort, und Kathrine verabredete noch heimlich eine letzte Zusammenkunft mit ihm auf den Abend, und eben hier traf ich sie an.

Von ihrer Erzählung durchdrungen, verließ ich sie, und gab ihnen tröstende Versichrungen. Der Geheimde Rath war noch nebst Karolinen auf seinem Zimmer. Ich erzählte mit vieler Wärme die Geschichte. Karolinens Thränen flossen dem Schicksal des armen Paars. Auch ihr würdiger Onkel, dem jede Ungerechtigkeit ein Greuel ist, nahm lebhaften Antheil daran. Er gab mir den Auftrag, genauere Erkundigung einzuziehen, ob auch alle Umstände sich so verhielten. Ich brachte ihm den andern Morgen unbescholtne Zeugen, welche die Wahrheit von Jakobs Aussage bekräftigten, und so wohl ihm alsKathrinen die besten Zeugnisse gaben. Und nun schrieb der vortreffliche Mann einen eigenhändigen Brief an den Amtmann, der gewissermaßen [107] unter seiner Gerichtsbarkeit steht, und verwies ihm sein Betragen in der Sache sehr ernsthaft.

Dieses hatte denn die Wirkung, daß der gestrenge Herr Amtmann selbst erschien, sich aufs beste entschuldigte, und den Geheimden Rath inständigst bat, die Sache nicht weiter zu treiben. Der G. R. versprach dieß, aber unter den Bedingungen: erstlich, daßJakob den Dienst erhielte; zweytens, daß ihm der Amtmann nicht durch allerley Kränkungen in seinem Aemtchen sein Leben verbittre; drittens, daß er ihm die hundert Reichsthaler Heyrathsgut gäbe, die er ihm mit der Köchinn versprochen habe.

Diese Bedingungen, besonders die letzte, giengen ihm zwar schwer ein, aber er mußte sich doch dazu verstehen, um größern Ungelegenheiten auszuweichen.

Der Pachter, Jakob und Kathrine wurden nun geholt. Aber diese Scene, die Freude der [108] Liebenden und die Verwundrung des Alten, ist unbeschreiblich. In acht Tagen wird die Hochzeit seyn, und zwar auf unserm Gute. Karoline ordnet alles hierzu mit liebenswürdiger Geschäftigkeit an.

Ich hätte dir wohl manches auf deinen Brief zu sagen, liebster Ferdinand. Aber im Grunde kannst du dieß alles finden, wenn du den Schluß meines vorigen Schreibens noch einmal aufmerksam durchlesen willst. Ich sage dir also heute nichts mehr, als das, wovon du gewiß schon lange überzeugt bist: daß mir dein Wohl so nahe am Herzen liegt, wie mein eignes, daß ich wünschte, den Mann aus dir werden zu sehen, der du nach deinen Fähigkeiten werden kannst, wenn du dir ihre Ausbildung sorgfältig angelegen seyn läßt, und daß ich endlich nie aufhören werde zu seyn

Dein eifrigster Freund, Eduard. [109]

18. Brief. Ferdinand an Eduard
Achtzehnter Brief
Ferdinand an Eduard

Bey meiner Treu, Eduard, du bist ein braver Kerl. Deine Geschichte, die du da schreibst, gefällt mir sehr. Ich möchte gleich aus der Haut fahren, wenn ich solche Niederträchtigkeit sehe. Ich wollte nur, daß der Schurke, der Amtmann, stärker bestraft wäre. Warte, du Bube, ich wollte dich anders haben tanzen lassen! Zwar mögen ihm die hundert Thaler wohl genug an der Seele gedrückt haben, aber die Strafe bleibt doch immer noch zu klein.

Nimm mirs nicht übel, Eduard, ich erinnere mich eben nicht, im Schluß deines vorletzten Briefs etwas besonders Anziehendes gelesen zu haben, und, ihn noch einmal durchzulesen, habe ich unmöglich Zeit. Sogar mit dem Studieren wills nicht recht mehr fort, seitdem ich das Wettermädchen gesehen habe. Ich nehme [110] wohl ein Buch in die Hand, aber gleich schmeiße ich es wieder fort, um wenigstens vor ihrem Hause vorbey zu gehen, wenn ich nicht hinein gehen darf. Mein Seel, es ist auch ein nettes Mädchen, viel angenehmer als weiland Lotte, unsers Rektors Tochter, der wir alle sonst so vielen Weihrauch streuten. Doch ich muß dirs wohl vom Anfang an erzählen.

Klinge holte mich, seinem Versprechen gemäß, ab, um mich in dem Hause der verwittweten RäthinnB. einzuführen. Wir fanden sie nähend an einem Tische sitzen; ein ungemein hübsches Mädchen saß auch da, und half ihr. Wir wurden sehr freundlich empfangen, und Klinge, der ein Vetter von Hause ist, unterhielt die Alte von Familiensachen. Während dessen sprach ich mit der Tochter. Ein dralles Mädchen von achtzehn Jahren. Recht schön, und so munter, daß es eine Freude ist, mit ihr umzugehen. Und dabey [111] soll sie sehr sittsam seyn, wie mir Klinge sagt, und wie ich aus ihren Reden schloß.

Wir blieben den Abend da. Es kam noch mehr Gesellschaft von jungen Leuten, auch noch ein paar Frauenzimmer, gegen Henrietten zwar Fratzengesichter, aber doch ganz umgänglich. Wir spielten Pfänder und waren sehr lustig. Beym Abschiede drückte mir Henriette die Hand, und bat mich, bald wieder zu kommen. Klinge sagt mir, sie hätte schon sehr viele Anbeter gehabt, aber noch keiner von allen hätte Eindruck auf sie machen können. Den andern Morgen gieng ich hin, und fragte, wie sie geschlafen hätte. Das Mädchen sah in ihrem Morgenzeuge allerliebst aus. Ich gestehe es, sie hat mich ganz bezaubert. Auch scheine ich ihr eben nicht verhaßt zu seyn. Sie sieht so freundlich aus, wenn ich komme. –

»Wollen Sie schon weg? sagte sie heute, als ich bereits eine Stunde da gewesen war.«

[112] »Ich muß in die Institutiones.«

»Ach was wollen Sie mit dem trocknen Zeuge, das hören Sie sich doch noch satt. Bleiben Sie immer noch ein Stündchen hier.«

Ein freundlicher Blick von ihr, und ich blieb. Das wirst du, zärtlicher Schäfer, mir doch gewiß vergeben? – –

Ferdinand.

19. Brief. Eduard an Ferdinand
Neunzehnter Brief
Eduard an Ferdinand

Bester Ferdinand! Wenn noch die Bitten eines Freundes, der dich aufs zärtlichste liebt, etwas über dich vermögen, wenn du noch kindliche Empfindungen gegen deinen alten Vater hegst, der seine ganze Hoffnung auf dich gründet, der gewiß stündlich, für dein Wohl besorgt, zu Gott betet, o so flieh Klingen, seine Bekannten und Henrietten!

[113] Klinge ist gewiß ein ausgelernter Bösewicht, der dich so unschuldsvollen guten Jungen zu verderben sucht. Dein Herz, gut und bieder, glaubt, daß andre Menschen auch so sind, und hat keinen Begriff von den Ränken andrer, da List und Bosheit von dir fern ist. Siehst du denn nicht, betrogner Freund, daßHenriette eine verschmitzte Buhlerinn ist, in deren Netze man dich zu fangen sucht? daß ihre Sittsamkeit bloße Affektation ist? – –

Geh einmal ihr Betragen unpartheyisch durch, und sage dann selbst, ob es mit der Sittsamkeit eines Mädchens besteht, einem jungen Menschen, den sie zum erstenmal sieht, die Hand zu drücken, und ihn zum öftern Wiederkommen zu nöthigen; beym zweyten Besuch ihn zum längern Bleiben zu bereden, sollte er auch ein Kollegium drüber versäumen? Bey einem unerfahrnen jungen Mädchen ließe sich das noch entschuldigen; aber so unerfahren ist ein Frauenzimmer auf einer [114] Universität nicht, die öftern Umgang mit Studenten hat. Es ist gewiß Klingens Absicht, dich durch diese Bekanntschaft, und durch allerley andre Zerstreuungen, vom Studieren abzuziehen, und dich so fest an sich zu ketten, daß er mit unumschränkter Macht über deinen Geldbeutel herrschen kann.

Ich bitte dich, bester Ferdinand, reiß dich von dieser Gesellschaft los, und halte dich zu dem bravenBarthold. Ich weiß, daß du beym Lesen dieses Briefes aufbrausen wirst; aber lies ihn noch einmal durch, und denke, daß dein treuer Freund ihn schrieb, der selbst von den Verführungen des Studentenlebens noch nicht gar lange entfernt gewesen ist, und der die jungen Herren aus mehrjähriger Erfahrung besser kennt, als du. Denke zurück, Ferdinand, an die glücklichen Zeiten unsrer Kindheit, an meine Liebe zu dir in diesen Jahren; wie ich oft willig die Schuld deines Versehens über mich nahm, [115] um dich vor der Strafe zu schützen; wie wir so ganz unzertrennlich waren; wie dem einen immer etwas zu fehlen schien, wenn er den andern nicht hatte: und dann urtheile selbst, ob etwas anders, als innige Liebe zu dir, meine Feder führen kann.

Mein Zustand wird von Tage zu Tage ängstlicher. Du weißt, daß es mein fester Vorsatz war, Karolinen zu vermeiden. Ich befolgte ihn treulich. Vor einigen Tagen war ich des Morgens in dem Garten.Karoline kam bald nach mir auch. Mit dem rührendsten Ton der Unschuld beklagte sie sich, daß ich ja fast gar nicht mehr hieher käme, und ihre Gesellschaft zu meiden schiene. Sie sey schon oft deswegen bekümmert gewesen, und habe nachgesonnen, ob sie mich durch etwas beleidigt hätte; sie könnte aber nichts in ihrem Betragen finden.

»Nein, Beste! Durch was könnten Sie mich wohl beleidigen? Ueberhäufte Geschäfte [116] hindern mich nur, so oft von meinem Zimmer zu gehen, als sonst, und allerley Unannehmlichkeiten machen mich oft seit einiger Zeit mismüthig.«

Nun nahm sie den lebhaftesten Antheil an meinem Kummer, und ich weiß gewiß, meine Marie selbst würde mir den feurigen Kuß verziehen haben, den ich auf des liebenswürdigen Mädchens Hand drückte. Sie erröthete sanft, und zum guten Glück kam ihr Onkel zu uns.

Aber, aller solcher Gefahren ungeachtet, werde ich dir treu bleiben, theuerste Geliebte. Nie soll dein Bild in meinem Herzen verlöschen; nichts auf der Welt soll mich jemals gleichgültiger gegen dich machen. Nie, o! nie wird dein Eduard sich deiner unwerth betragen, und keine andre Begierde soll jemals das Herz entweihen, das so ganz dein Eigenthum ist!

[117] Schreib mir bald wieder, lieber Freund. Alles, selbst jede Kleinigkeit, die dich angeht, interessirt auch mich.

Eduard.

20. Brief. Eduard an Barthold
Zwanzigster Brief
Eduard an Barthold

Heute ist Ferdinand die hauptsächliche Ursache meines Schreibens an dich, lieber Barthold. Ich schrieb dir zwar neulich schon meine Besorgnisse für ihn, aber damals war doch die Gefahr noch nicht so dringend, als jetzt. Hier hast du seine zwey letzten Briefe, aus denen du seine ganze Lage sehen wirst. Thue doch ja dein Möglichstes, um ihn von seiner jetzigen Gesellschaft abzuziehen. Es wäre ewig Schade, wenn der Junge verdorben würde. Er hat viel Anlage zum Guten, viel Feuer und Thätigkeit, aber noch das ganz offne Wesen und die Unerfahrenheit, [118] die seinen Jahren eigen ist. Seine Seele kennt kein Mistrauen, und jeder Schurke kann mit leichter Mühe sein Vertrauen gewinnen. Er besitzt vielen Ehrgeiz, der sich freylich jetzt noch auf ganz falsche Gegenstände gründet, und der niederträchtige Klinge weiß ihn bey dieser schwachen Seite zu fassen, und lenkt ihn, wohin er will. Wird er nicht bald von seinem jetzigen Wege zurückgezogen, so ist er gewiß verloren. Sey doch ja bemüht, ihn zu retten, und schreib mir den Erfolg davon. Der Junge liegt mir sehr am Herzen. Ich bin wie immer

Dein treuer Freund Eduard.

21. Brief. Sophie an Marien
Einundzwanzigster Brief
Sophie an Marien

Kommen Sie doch zu mir, theure Freundinn, und seyn Sie Zeuginn meines Glücks. Mein [119] Karlsheim würde Ihnen gewiß gefallen. Ich habe ihm auch schon die tiefste Ehrfurcht gegen Sie eingeprägt, und der Artikel, daß Sie ihm – nach mir versteht sich – die liebste Person unter dem ganzen weiblichen Geschlechte seyn sollen, wird in unsern Ehepakten einen der hauptsächlichsten ausmachen.

Braut zu seyn, das ist doch eine Sache, die unser eins nicht so leicht verschweigen kann. Um also mein Herz ausschütten zu können, bat ich heute Mädchengesellschaft zu mir. Da hätten Sie denn die Glückwünsche hören sollen. Neid und Unmuth verbargen sich unter so mancher tiefen Verbeugung; einige gratulirten mir mit gezwungnem Lächeln, und schielten dabey mit einem unterdrückten Seufzer verstohlen nach meinem neuen Ringe hin. Mehr als alle andere dauerte mich die gute W. Von früher Jugend an liebte sie einen Jüngling, den nun vor einem Jahre seines Vaters Härte von ihr [120] trennte, und dem man eine andre Frau aufzwang. Vor vier Wochen reisete er heimlich hierher, um in dem Wäldchen, welches sonst der Ort ihrer Liebe war, sie noch einmal zu sehen, und auf ewig Abschied von ihr zu nehmen. Alle diese Erinnerungen wachten bey dem guten Mädchen auf, da sie mich in meiner jetzt so glücklichen Lage sah. Der Gedanke an ihren ehemaligen Geliebten drang mit Macht in ihre Seele. Sie entfernte sich, und sprach, mich umarmend: »O Sophie, ich wünsche Ihnen ein glücklicheres Schicksal, als das meinige war.« Dieses durchdrang mich, ich warf es mir als eine höchst sträfliche Unvorsichtigkeit vor, daß ich sie hatte bitten lassen, und ein kalter Schauer überlief mich.

Als ich wieder herein kam, sagte die älteste Mamsell Berg – ein Frauenzimmer von sieben und dreyßig Jahren, die jetzt, da sie sich nicht mehr für einige zwanzig jährig ausgeben kann, wie sie [121] sonst noch immer that, anfängt die Prüde zu spielen –:

»Ich dächte, die W. könnte doch nun auch das Winseln seyn lassen, und sich vielmehr freuen, daß sie noch mit so gnädiger Strafe für ihre Thorheit davon gekommen ist. Das frühzeitige Versprechen der jungen Leute taugt gar nichts. Man muß die Frucht erst reif werden lassen, ehe man sie vom Baum abbricht.«

»Ja, Mamsell Berg – sprach eine junge lebhafte Brünette – wenn man sie aber so lange sitzen läßt, bis sie wurmstichig wird, und vom Baum abfällt, so ist auch niemanden mehr damit gedient.«

Die ganze Gesellschaft belachte diesen Einfall; nur Mamsell Berg, so roth wie ein gereizter Puter, der eben auffliegen will, antwortete:

»Sie sind wohl sehr besorgt, mein Kind, daß das einmal Ihr Schicksal werden möchte, sonst würden Sie nicht so viel Mühe anwenden, [122] sich bey jeder Gelegenheit den Mannspersonen aufzudringen.«

»O, wenn das Aufdringen nur hilft, so geht es doch noch an; aber, Mamsell, es giebt Leute, die sich immer aufdringen, und denen doch nichts dafür zu Theil wird.«

Nun war unsre alte Schöne in Feuer und Flammen; denn sie hielt dieß für eine Anspielung auf eine Geschichte, die sie kürzlich mit einem jungen Magister hatte, der ihr ihm angetragnes sieben und dreyßig jähriges Herz, in ein niedliches Körbchen gepackt, ihr zurückschickte. Der Streit wurde nun so laut, und so allgemein, – denn der geheime Groll aller anwesenden Frauenzimmer war froh, eine Gelegenheit zum Ausbruch zu finden – daß mein Onkel von seinem Studierzimmer herunter kam und Frieden gebot; die Ausfälle gegen einander währten aber doch noch immer fort – denn alle Zungen waren nun einmal im Gange – [123] und hörten auf, mich zu belustigen, weil sie gar zu pöbelhaft wurden; so daß ich froh war, als die Zeit des Aufbruchs kam, und alle sich entfernt hatten, mich in meines Karlsheims Armen von diesen Langweiligkeiten erholen zu können.

Ich bin sehr besorgt, meine liebe Marie, weil ich so lange keinen Brief von Ihnen gehabt habe, und sehe mit Ungeduld einer Nachricht von Ihnen entgegen, auf die ich schon so lange gewartet habe.

Sophie.

22. Brief. Marie an Sophien
Zweyundzwanzigster Brief
Marie an Sophien

Es ist ungerecht, dem Glücklichen seine Freude durch Klagen zu verbittern, und das ist die Ursache, warum ich so lange nicht schrieb. Ich bin in einer so melancholischen Stimmung, daß [124] nichts mich zu erheitern fähig ist. Ich wollte meine Traurigkeit bekämpfen, aber ich vermag es nicht.

Das Theilnehmen des Freundes mildert den Schmerz, und meine Sophie soll ihn mir tragen helfen.

Ich suchte neulich nach einem alten Briefe einer meiner Freundinnen ein Kästchen durch, das ich in einigen Jahren nicht geöffnet hatte. Und da fand ich einen Brief von Eduard, den er einst im Entzücken der Liebe mir schrieb, wie er von mir gegangen war, und die erste Versichrung meiner Neigung mit sich genommen hatte. Blaß und zitternd wollte ich ihn zerreißen, aber es war mir unmöglich; ich wurde hingerissen, ich las ihn.

Und, o Gott! welch ein Brief! Meine Seele wurde von allen den Erinnerungen niedergedrückt, die nun mit Macht in mich drangen. Matt, mit wankenden Knien, mit Thränen, die gewaltsam [125] aus meinen Augen brachen, sank ich auf einen Stuhl.

Und nun sah ich ihn vor mir stehen, den liebenswürdigen Jüngling, wie er furchtsam um meine Liebe bat, wie ich mit gesenktem Blick ihm nicht zu antworten vermochte, wie er wonnetrunken an meine Brust sank, und nun unaussprechliche Gefühle uns durchdrangen.

Und du, den ich so innig liebte, der du so oft die heiligsten Betheurungen ewiger Liebe mir gabst, du konntest untreu werden? Gott! Unmöglich! – Und doch muß ich es glauben. Schrieb er wohl ein einzigesmal nach seiner Abreise? Sah ich nicht die Beweise seiner neuen Liebe in meines Oheims Händen? –Eduard! du, der zärtlichste Jüngling, konntest eine andre Geliebte wählen, mich vergessen? Und doch kann ich dich nicht hassen; doch bringt noch dein bloßer Name eine Erschütterung in mein ganzes Wesen?

[126] O du, den ich sonst so heiß, so unaussprechlich liebte, wüßte ich nur, daß du glücklich wärest: ich wollte dir verzeihen, wollte meine Thränen trocken. Aber gewiß! du bist es nicht. Fremde Reize rissen dein weiches Herz hin, – ach, das meinige hätte sich nicht hinreißen lassen, wärst du auch zehn Jahre von mir entfernt gewesen; denn selbst der untreue Eduard saß noch zu tief in meinem Herzen, als daß ich je in eine andre Verbindung hätte willigen können. Aber das Dringen einer sterbenden Mutter besiegte mich – Man eilte wohl, dich zu verbinden. Aber gewiß dachtest du bald nachher an dein armes Mädchen, wie sie jammerte, die Hände ringend nach dem fernen Geliebten seufzte, der nun – das Eigenthum einer andern war! Und ach, ich fürchte, dein Herz, für jedes Leiden gefühlvoll, empfand nur zu tief das meinige; und dieses Andenken verbittert dir gewiß dein ganzes zukünftiges Leben.

[127] O Gott! straf ihn nicht so hart für den Fehler, den er begieng; ach! es war das Versehen eines schwachen, nicht eines boshaften Herzens. Möchte er doch beruhigt seyn, keine Gewissensbisse fühlen! Dieser Wunsch sey noch das Gebet meiner letzten Stunde. Wenn schon Todesschauer mich ergreift, wenn schon meine Seele den letzten Kampf der sterbenden Natur zwischen Tod und Leben kämpft, dann noch wird dein Bild in meiner Brust seyn, und meine kalten Lippen werden noch Wünsche für dein Wohl zu Gott hauchen!

O Sophie! Wenn ich die seligen Tage unsrer Liebe mir denke! – Wenn ich so den Tag mit Geschäften mancherley Art zugebracht hatte, und dann der Abend kam, und ich ans Fenster trat, und mich nach ihm umsah; wenn ich ihn dann erblickte: o wie wallte mein Herz ihm entgegen! mit welchem Entzücken schloß er mich dann in seine Arme! wie war unsre Liebe so rein, ein so heiliges Feuer!

[128]

Ich weiß, ich fühle, daß es Sünde ist, mich diesem Gedanken zu überlassen, sträfliches Vergehen gegenAlbrecht. Aber ich kann sie nicht los werden, die reizenden und quaalvollen Bilder; sogar wenn meine Augen, vom Weinen abgemattet, endlich sich schließen, verlassen sie mich nicht. Bey Tage suche ich mich zu zerstreuen, suche meinen Kummer vor Albrecht zu verbergen, und heiter zu scheinen. Aber was mein armes Herz dabey leidet, ist unbeschreiblich; oft dünkt mich, es müßte unter seiner Last zerspringen. Wissen Sie Trost für mich, Sophie, o! so schreiben sie ihn der unglücklichsten Ihrer Freundinnen.

Marie. [129]

23. Brief.Sophie an Marien
Dreyundzwanzigster Brief
Sophie an Marien

Ihr Brief, liebste Marie, hat mich sehr gerührt. Unzählige Thränen habe ich dabey vergossen. Aber wie lehrreich ist er nicht auch für mich! Meine Marie erträgt das schwerste Leiden mit unaussprechlicher Sanftmuth und Geduld. Ihr sanftes Herz, weit entfernt an ihrem untreuen Geliebten Rache zu nehmen, ist noch besorgt für sein Wohl. Wie beschämt mich Ihr Beyspiel, meine Freundinn! Wie brausete ich nicht bisher auf, wenn mir etwas unangenehmes begegnete! Wie ungeduldig machten mich nicht gleich kleine Leiden! Aber ich will an mir arbeiten, ich will mich bemühen, die Sanftmuth meiner Marie nachzuahmen.

Meines Geliebten schönes Herz entdeckt sich mir mit jedem Tage mehr. Gestern waren wir in einer Gesellschaft, in der sich auch Herr Fritzleben [130] befand. Sie wissen, daß dieser sonst den Anbeter von mir machte. Er konnte es nicht verschmerzen, dieses Amts durch Karlsheim so ganz entledigt zu seyn; er nahm also sein Bißchen Witz zusammen, und wagte verschiedne Ausfälle auf Karlsheim. Dieser ließ sie anfangs ganz unbemerkt hingehen. Da aber Fritzleben es zuletzt gar zu auffallend machte, schlug er ihn mit einer einzigen geistvollen Antwort nieder. Aber weit entfernt, nunmehr, daFritzleben beschämt schwieg und die Gesellschaft dem Sieger Beyfall lächelte, eine triumphirende Miene anzunehmen, lenkte er auf eine so feine Art ein andres Gespräch ein, daß bald der ganze Vorfall vergessen wurde.

Eins nur befremdet mich an ihm. Seine Blicke scheinen zuweilen einen gewissen Kummer zu verrathen, den er zwar sorgfältig zu verbergen sucht, der aber doch oft hervorscheint. Ich werde die Ursache davon zu erforschen suchen.

[131] Leben Sie wohl, beste Freundinn. Möchte doch Beruhigung in Ihr leidendes Herz fließen, und Ihre Seele wieder so unbefangen und heiter werden, wie sie es vorher war, ehe der – (verzeihen Sie, Marie, bald hätte ich gesagt verwünschte Brief; denn so wenig ich auch Ihren Kummer vergrößern will, so kann ich Ihnen doch mein Misfallen, daß Sie ihn lasen, nicht bergen –) unglückliche Brief in Ihre Hände kam.

Sophie.

24. Brief. Wilhelm an Karlsheim
Vierundzwanzigster Brief
Wilhelm an Karlsheim

Unglücklicher Weise war ich verreist, und erhielt deine Briefe erst heute. Karlsheim! was hast du gethan! Alle deine Entschuldigungen vermögen nicht dein Betragen vor dem Richterstuhl des Gewissens zu verantworten. Hätte [132] Julie dir nichts als bloß gewöhnliche Zärtlichkeit geschenkt, so könnten deine angeführten Gründe dich vielleicht entschuldigen. Aber du weißt, daß sie mehr, daß sie ihre Unschuld dir aufgeopfert hat, und dafür bist du ihr Ersatz schuldig, und solltest billig in keine andre Verbindung treten, so lange dir Juliens Schicksal unbekannt ist.

Sie denkt gewiß zu edel, um einen andern Mann zu wählen, dem sie nicht mehr des Mädchens größte Zierde, unbefleckte Unschuld, zubringen kann. Sie hat dir zwar nicht geschrieben, aber können nicht die Briefe verloren gegangen seyn? Ist es darum ausgemacht, daß sie auch nicht mehr an dich denkt? Hättest du nicht noch emsiger in deinen Nachforschungen seyn müssen?

Wenn es nicht schon zu spät ist, so ziehe dich noch wieder zurück. Entdecke dich Sophien. Ist sie wirklich das treffliche Mädchen, das du [133] mir beschreibst, so wird sie dir verzeihen, wird deine Nachsuchungen um Julien begünstigen. O Karlsheim, überlege, was du thust, damit nicht einmal der Gedanke an ein liebenswürdiges Mädchen, durch dich unglücklich gemacht, dein Leben verbittre!

Wilhelm.

25. Brief. Karlsheim an Wilhelm
Fünfundzwanzigster Brief
Karlsheim an Wilhelm

Wilhelm! welch ein schneidendes Schwerd hast du in mein Herz gestoßen! Ich wanke zwischen Pflicht und Liebe. Beyde zerreißen mit grausamer Macht mein Innres. Oft überwältigt mich der Gedanke an Julien. Ich gehe hin zu Sophien, will mich zu ihren Füßen werfen, ihr alles entdecken. Und wenn ich dann komme, hüpft sie mit der lebhaftesten Munterkeit mir entgegen, reicht mir ihre schöne Hand, und [134] fragt mich zärtlich: wo ich denn so lange geblieben sey? Und die Fröhlichkeit und Ruhe dieses reizenden Mädchens solltest du zernichten? Das entzückende Feuer dieses Auges in Thränen verwandeln? Dieser Mund, dessen zaubrischem Lächeln selbst der kälteste Einsiedler nicht würde widerstehen können, sollte in Wehklagen über dich ausbrechen? Dieses holde Geschöpf wolltest du den Spöttereyen der ganzen Stadt, die um unsre nahe Verbindung weiß, der Härte und den Vorwürfen ihrer Verwandten aussetzen?

So denke ich, und mein fester Entschluß wankt. Ich wills wenigstens verschieben, bis auf einen andern Tag, wenn sie ernsthafter gestimmt ist. Der andre Tag kömmt. Ihr gütiger Onkel spricht mit gerührter Freude von unsrer Verbindung, durch die alle seine Wünsche erfüllt werden. Erröthend hört Sophie von künftigen Enkeln ihn reden. Ihre Blicke begegnen den meinigen. Sie sinkt in meine Arme. Ich küsse [135] die Thräne der Freude weg, die verstohlen ihrem Auge entfließt, und dann an ihren Busen gelehnt, ihren schönen Mund auf meine heißen Lippen gedrückt, wie könnte ich da dem Gedanken an Trennung Raum geben?

Karlsheim.

26. Brief. Marie an Sophien
Sechsundzwanzigster Brief
Marie an Sophien

Ach, unbefangen und heiter war ich wohl nie. Ich hatte zwar mein Herz einigermaßen betäubt, und schien glücklich zu seyn, aber ich war es nicht. Die Erinnerung an Eduard wachte oft bey mir auf. Zwar gelang es mir dann eher, sie los zu werden, aber ich konnte sie doch selten ganz unterdrücken, wohl eigentlich nie.

Und was noch meinen Schmerz vergrößert, ist die wenige Nachsicht, die Albrecht gegen meinen Kummer hat. Ich suche ihn zwar so viel möglich [136] zu verbergen, aber ganz kann ich es doch nicht.

»Ist denn des Winselns und Weinens noch kein Ende? – sprach er heute, da er unvermuthet in einer meiner traurigsten Stunden ins Zimmer trat. – Ich möchte nur wissen, was dir eigentlich fehlt.«

»Liebster Mann, habe Geduld mit mir, ich habe zuweilen solche traurige Stunden, in welchen ich mir selbst zur Last bin. Der Grund dazu mag wohl in meinem schwachen Körper liegen.«

»Der Grund dazu liegt in deiner übertriebnen Empfindsamkeit. Das ist es, was deinen Körper und deine Seele schwächt. Wenn du diese verwünschte Mode unsers jetzigen Zeitalters ablegen wolltest, so wärest du mir noch zehnmal so lieb; dann würdest du auch über keine Schwächlichkeiten zu klagen haben.«

[137] Damit gieng er zur Thür hinaus. O Albrecht! hättest du mehr von dieser Empfindsamkeit, wie du es nennst, so würden unsre Seelen sich gleicher fühlen, als jetzt. Aber so, wenn ich bis zu Thränen gerührt bin, bist du noch gar nicht einmal bewegt, und so geht es immer. Unsre Empfindungen treffen niemals zusammen, und das ist sehr hart für mich.

Doch, Sophie, wie unartig und verkehrt ist mein Herz! Ich suche den größten Theil meiner Schuld aufAlbrecht zu schieben, und sie liegt doch bloß auf mir.

Müßte ich nicht, seiner Kälte ohngeachtet, ihn dennoch lieben, müßte ich nicht meine Empfindungen nach den seinigen zu stimmen suchen? Ist es nicht höchst strafbar, daß ich die Neigung, die ihm allein gehören sollte, auf einen andern Gegenstand fallen lasse? Müßte ich nicht jeden fremden Eindruck bekämpfen?

[138] Ach! ich kämpfe wohl. Mein Herz ist redlich, aber schwach. O du, der du seine Schwäche kennst, vergieb mir, reiche deinem hülflosen Geschöpfe die Hand, daß es nicht ganz unterliege! Ziehe mich wieder zu dir, Allliebender! Ach! sonst füllte deine Liebe ganz allein dieses Herz! Jeder Wunsch meiner Seele gehörte nur dir an! Ein fremder Götze hat dich verdrängt. Reiß ihn aus meinem Herzen, sollte es auch bluten. Matt und thränenvoll flehe ich zu dir, Gütiger! Stärke mich.

Sophie, ich wollte beten, aber mein Gebet würde Sünde seyn. Immer mischt der Gedanke an ihn sich unter den Gedanken an Gott. Ach! dieser Zustand ist der grausamste für mich; möchte es mir doch gelingen, mein Herz wieder zu beruhigen!

Mein kleines Lieschen fragte mich heute: ob ich böse auf sie sey? Ich hätte sie ja so lange nicht lesen lassen. Dieser Vorwurf rührte und [139] beschämte mich. Ich küßte sie, und hieß sie ihr Buch holen. Freudig sprang sie hin. Ja, Sophie, ich fühle, daß das beste Mittel, meinen Kummer zu zerstreuen, stete Beschäftigung ist, und die will ich mir zu machen suchen, so viel ich kann.

Seyn Sie mit Ihrem Karlsheim so glücklich, wie Sie beyde es verdienen. Der Himmel schütze Ihre Liebe vor allen widrigen Zufällen, und lasse Sie, Hand in Hand gepaart, freudig durchs Leben hingehen. Dieß ist der eifrigste Wunsch Ihrer bekümmerten

Marie.

27. Brief. Ferdinand an Eduard
Siebenundzwanzigster Brief
Ferdinand an Eduard

Ich muß dir aufrichtig gestehen, daß ich beym Lesen der ersten Zeilen deines Briefes ihn unmüthig wegwarf, und ihn beynahe zerrissen hätte. [140] Ich überwand mich aber doch, ihn durchzulesen, und das Ende versöhnte mich einigermaßen wieder mit dir. Indessen kann ich dir doch die schlechte Meynung nicht vergeben, die du von Klingen und Henrietten hast. Klinge ist der rechtschaffenste Kerl von der Welt. Er liebt mich aufs uneigennützigste, und sorgt bloß aus Liebe zu mir für mein Vergnügen.

Zum Beweise, daß er gar nicht mein Geld an sich zu reißen sucht, will ich dir einen Vorfall erzählen. Gestern war er bey mir. Es kam jemand und brachte ihm einen Zettel. Er wurde ganz blaß, und erschrack heftig als er ihn las. Ich fragte ihn, warum er so erschrocken wäre? Er bat mich aber sehr, nicht in ihn zu dringen, weil er mir doch unmöglich die Ursache davon sagen könne. Höchst niedergeschlagen gieng er weg, und ließ aus Versehen den Zettel auf die Erde fallen. Ich hob ihn eilig auf, und sah, daß es ein Mahnbrief war, von einem [141] Gläubiger geschrieben, der eine Summe von ihm zu fordern hatte, und der ihm mit dem strengsten Arrest drohte, wenn er nicht heute noch Rath schaffte. Ich lief Klingen eilig nach, und bot ihm meine Börse an; aber er wollte sie durchaus nicht annehmen.

»Du brauchst dein Geld selbst, liebster Bruder, sprach er. Ich will nicht, daß meine Freunde um meinetwillen leiden sollen.«

Nur mit vieler Mühe brachte ich ihn dahin, meine Hülfe anzunehmen, und ich könnte dir mehr solcher Fälle nennen, da ich ihm mein Geld habe recht aufdringen müssen.

Auch Henriette kennt keinen Eigennutz. Diesen Morgen brachte ich ihr einige Geschenke, die ich auf Klingens Rath eingekauft hatte, der es der Mutter wegen für gut hielt; denn diese denkt nicht ganz so uneigennützig, wie das treffliche Mädchen. Aber, wie erschrack ich, als sie sich sehr dadurch beleidigt fand!

[142] »Meine Liebe läßt sich nicht durch Geschenke erkaufen. Nehmen Sie sie wieder mit, Ferdinand, ich werde sie nicht annehmen. Ich sehe bey der Wahl eines Geliebten bloß auf das Herz. Reichthum wird mich nie rühren. Die Liebe bedarf keiner Güter; sie muß eben so glücklich in Mangel und Elend als im Ueberfluß seyn.«

Siehst du nun, Eduard, was sie für ein herrliches Mädchen ist? Ich mußte die Geschenke durchaus wie der mitnehmen, und gab sie heimlich der Mutter, mit der Bitte, sie Henrietten auf irgend eine Art beyzubringen.

Schreib mir doch nicht so oft von Barthold. Ich kann mit ihm nicht umgehen; denn er ist ein Feind von Klingen. Sie haben sich einmal gezankt, und die Ursache des Streits macht Bartholden keine Ehre, wohl aber Klingen. Und diesem letzten bin ich für seine Freundschaft doch wohl so viel Dank schuldig, daß ich kein Bündniß [143] mit seinem Feinde errichte. Also sage mir von diesem Punkte nichts mehr.

Ferdinand.

28. Brief. Barthold an Eduard
Achtundzwanzigster Brief
Barthold an Eduard

Bis jetzt ist noch alle meine Mühe um Ferdinand vergeblich gewesen. Ob er mir gleich wirklich einigemal auf eine beleidigende, geringschätzige Art begegnete, so bin ich doch zweymal bey ihm gewesen; ich habe ihn aber nicht antreffen können. Ich machte verschiedne Versuche ihn auf der Straße zu sprechen, aber vergebens. Sein Complot hält ihn stets so fest umlagert, daß es nicht möglich ist, ihm beyzukommen; ich glaube fast, sie wittern meine Absicht. Kollegia besucht er gar nicht mehr. Den größten Theil des Tages ist er bey Henrietten, den andern bey seinen Genossen; den Abend wird [144] getrunken, gespielt, geschwärmt, und Ferdinand muß die Zeche bezahlen. Klinge ist ein ausgelernter Bösewicht. Er ist schon lange auf Universitäten und kennt alle Burschenränke genau. Er hat von Natur viel Verstand, ist aber im ersten Jahre seines akademischen Lebens so ausschweifend geworden, daß er durch die äußerste Lüderlichkeit sowohl seinen außerordentlich starken Körper, als auch seine Geisteskräfte ruinirt hat: er besitzt aber doch noch List und Bosheit genug, um unter seinen Bekannten ein gewisses Ansehen zu behaupten, und die jungen Ankömmlinge, deren Bekanntschaft er sucht, zu verführen.

Er hat die Geschicklichkeit, so ziemlich den Ton desjenigen anzunehmen, auf den er seine Absicht gerichtet hat. Er wollte auch einmal mit mir Freundschaft errichten, aber zum guten Glücke war ich vor ihm gewarnt, und mied seinen Umgang sorgfältig. Seit der Zeit hat er einen [145] Groll gegen mich gehegt, und ich vermuthe auch, daß er Ferdinand von mir abhält.

Um dir seinen Charakter zu schildern, will ich dir einige Züge von ihm erzählen:

Zu J–a, wo er zuerst studierte, war er durch seine Lebensart so sehr heruntergekommen, daß er keinen Pfennig Geld, und, was noch schlimmer war, auch keinen Credit mehr hatte. Er machte mit einer alten reichen Wittwe Bekanntschaft, schmeichelte ihr ungemein, schwatzte von Liebe und dergleichen, küßte in einer Minute zehnmal ihre dürren Hände, und wandte sich dann auf die andre Seite, um auszuspucken. Daß ichs kurz mache, er entzückte die Alte – der man in der Blüthe ihrer Jahre nicht halb so viel Süßes gesagt hatte, als sie jetzt beständig von Klingen hörte – so sehr, daß sie im ganzen Ernst den Entschluß faßte, ihn zu heyrathen. Er schien darüber vor Freuden außer sich zu seyn, ob ihm gleich an der Ehre nicht viel [146] lag; denn er wußte, daß die alte Dame, alles guten Willens ohngeachtet, ihn nie zum Erben einsetzen konnte, weil ihr Vermögen schon rechtmäßigen Anverwandten bestimmt war.

Eines Tages gieng er zu ihr, und nachdem er durch die stärksten Schmeicheleyen und Liebkosungen die gute Wittwe in die zärtlichste Stimmung gesetzt hatte, sagte er ihr:

Er sähe mit stärkster Sehnsucht dem Tage ihrer Verbindung entgegen, und hoffte auch diesem glücklichen Zeitpunkte nahe zu seyn. Es wäre ihm eine Bedienung angetragen, nur die einzige Schwierigkeit sey dabey, daß er, um sie zu bekommen, zweyhundert und funfzig Thaler anwenden müsse, und die wüßte er sogleich nicht zu schaffen.

»O! wenn weiter nichts ist, unterbrach ihn eilig seine Schöne, dazu wollen wir wohl Rath finden. Hier in meinem Schranke ist die Summe, und noch wohl mehr.«

[147] »Ihre Güte rührt mich, theuerste Frau! Aber man soll mir nicht den Vorwurf machen, als mißbrauche ich dieselbe. Ich erwarte in einigen Wochen meinen Wechsel, und nehme das Geld unter keiner andern Bedingung an, als daß es bloß ein Darlehn bis dahin seyn soll. Ich gebe Ihnen eine Verschreibung, die Sie selbst zur größten Sicherheit unterschreiben sollen.« Die Alte wurde von seiner Großmuth entzückt. Sie gab ihm das Geld, und ihren Namen auf einen Bogen Stempelpapier geschrieben. Er setzte zu Hause eine Verschreibung von eben der Summe über den Namen, und gieng mit diesem Papier, das nun ein förmlicher Wechselbrief war, zu einem Juden, der ihm willig mit gehörigem Abzug zweyhundert und funfzig Thaler darauf auszahlte: denn die Wittwe war als eine sehr reiche Frau bekannt. Er ließ die Verschreibung in des Juden Händen, miethete ein Pferd, und ritt mit seinen fünfhundert Thalern in der Tasche [148] zum Thor hinaus, und eilte in vollem Gallop nach G. – Der Jude drang zwar bald nachher auf seine Bezahlung bey der Wittwe, und diese sah dann den Betrug ein, den man mit ihr gespielt hatte. Sie schämte sich, gab dem Juden das Geld, und noch etwas drüber, damit er verschwiegen blieb, und nahm sich, indem sie Klingen verwünschte, vor, künftig nicht so leichtgläubig zu seyn.

Mit diesem Gelde nun lebte er ganz seinem Hange gemäß in G. Leider aber war es bald durchgebracht, und er kam so sehr in übeln Rufdaß ihm niemand mehr borgen wollte, sogar der Jude und Weinschenke nicht.

Jetzo lebt er wieder herrlich und in Freuden, und rühmt sich der mannichfaltigen List, durch die erFerdinands Einfalt zu berücken weiß. Noch neulich hat er durch einen erdichteten Schuldbrief, den einer seiner Genossen schrieb, und den er als von ohngefähr bey Ferdinand [149] verlor, von diesem eine starke Summe erpreßt, und er weiß sich dabey so schlau zu betragen, daß der arme Betrogne ihm immer das Geld aufdringen, und sich ihm verbunden glauben muß, daß er ihm die Ehre erzeigt, es anzunehmen.

Zum Unglück hält man hier Ferdinand für sehr reich. Er hat also allenthalben Credit, und ich habe von unglaublich starken Schulden gehört, die er hier schon gemacht haben soll. Wie bedaure ich den guten Jungen, daß er schon so früh in die Hände dieses listigen Verführers fiel!

O Freund, wie mancher Jüngling hat hier Ferdinands Schicksal! Gut und unbefangen kömmt er her, mit den besten Vorsätzen, seine Zeit klug zu nützen. Das erste Vierteljahr ist er fleißig, im zweyten schon weniger. Das künftige halbe Jahr besucht er nur selten die Kollegia, und so überläßt er sich nach und nach allen Ausschweifungen. Kommen einmal Gewissensbisse, [150] so wird er von seinen Bekannten übertäubt und verlacht. Wo sollte er auch an seine Pflichten erinnert werden? Die Vorlesungen seiner Lehrer besucht er nicht mehr. In die Kirche zu gehen, wie lächerlich ist das für einen Studenten! Höchstens läuft man einmal hindurch, um die andern Zuhörer in der Andacht zu stören. Der Vater und die zärtlich besorgte Mutter schreiben vergebens Briefe voll rührender Ermahnungen.

»Wie leicht wird es denen, uns zu ermahnen, sagen seine Freunde, für die das Vergnügen keinen Reiz mehr hat! In ihrem Alter wollen wir auch moralisiren. Als sie in unseren Jahren waren, machten sie es wie wir. – –«

So wird alles unterdrückt, was den armen Jüngling zu seiner Pflicht zurückführen könnte. Im Taumel der Lüste verlebt er seine Zeit, und nun geht er mit siechem Körper zurück, den Geist und das Herz leer von allen den Kenntnissen [151] und Gesinnungen, um deren willen er auf die Universität gesandt ward; und doch besitzt er wohl Unverschämtheit genug, seine blassen eingefallnen Wangen für Folgen des Fleißes und nächtlichen Studierens auszugeben.

Der Vater dringt jetzt in ihn, sich um ein Amt zu bewerben. Er sinkt entweder ganz in Muthlosigkeit, und ergreift einen verzweiflungsvollen Entschluß, oder die Vorwürfe seines bisher schlafenden Gewissens wachen nunmehr auf. Er fühlt lebhaft seine Unwürdigkeit, er strengt sich an, das Versäumte nachzuholen. Sein geschwächter Körper vermag nicht, dieses anhaltende Arbeiten, dieses nächtliche Studieren auszuhalten. Hypochondrie, mit ihrem schrecklichen Gefolge, kömmt über ihn. Höchstens schleppt er sein elendes Leben, sich selbst und andern zur Last, bis an vierzig fort. Und dann, da er billig erst die Freuden des Lebens recht genießen sollte, stirbt er dahin. Seine Wittwe – wenn er das [152] Herz hatte, eine Frau zu wählen – ringt wehklagend die Hände; seine Kinder, deren ganzes Erbtheil ein siecher Körper ist, irren verlassen umher. Bedaurenswürdige Unglückliche! Doch gewöhnlich entreißt sie ein früher Tod dem auf sie wartenden Elend.

Nenne dieses Gemälde nicht übertrieben, lieberEduard. Leider zeigen uns täglich traurige Erfahrungen genug, daß es mehr als zu oft gegründet ist. Zwar giebt es der Unverschämten genug, die, ihrer Unwürdigkeit ohngeachtet, mit dreister Stirn um Aemter anhalten. Angesehene Familie oder Geld – (beydes gilt oft mehr als Verdienst –) verschaffen ihnen auch wohl eine brillante Stelle. Aber ohngeachtet des äußern Scheines sind sie doch im Herzen nicht glücklicher, als jene. Die Strafe der Jugendsünden bleibt auch hier schon nicht aus.

Wie danke ich es meinem Schöpfer, daß er meine Jugend rein von solchen Vergehungen erhielt, [153] die in der Folge der Jahre mich schmerzen könnten! Mit frohem Muthe kann ich doch nun meinem Vater, meiner zärtlichen Mutter zueilen; bey ihren Freudenbezeugungen, bey ihren Liebkosungen, wird doch kein peinliches Gefühl mir sagen, daß ich ihrer unwerth bin.

Möchte doch unser Ferdinand auch wieder von seinem Irrwege zurückkommen! Ich habe einige Hoffnung, wenigstens den schändlichen Plan zu entdecken, den gewiß Henriette mit ihm im Sinn hat. Es wohnt ein junger Mensch in ihrem Hause, dem ich einst einen wichtigen Dienst erzeigte, für den er mir noch immer dankbar ist. Diesen will ich zum Kundschafter brauchen. Er ist verschlagen, und wird seine Sachen gewiß gut machen. Gott, welche Freude für mich, wenn es mir gelänge, unsern Ferdinand zu retten! Ich schreibe dir bald wieder.

Barthold. [154]

29. Brief. Ferdinand an Eduard
Neunundzwanzigster Brief
Ferdinand an Eduard

O daß deine ernste Moral es dir zuließe, sich mit mir zu freuen! Ich bitte dich, Eduard, lege den steifen Ton einmal ab, und nimm Theil an meinem Glück, dessen höchste Stufe ich erstiegen habe.

Heute Mittag trank Klinge ein paar Bouteillen Wein mit mir, weil er besonders fröhlicher Laune war. Nach Tische lasen wir in einem Buche, welches er eben in der Tasche hatte, dessen Verfasser freylich kein Lehrer der Keuschheit ist, das aber einen ungemein hübschen, interessanten Stil hat. Ganz voll von dem, was ich gelesen hatte, gieng ich zu Henrietten, und o, in welch einer verführerischen Stellung traf ich sie nicht! Sie schlummerte auf einem Ruhebette. Die schönste Röthe auf ihrem Gesicht, ihr wollüstiger Busen fast ganz entschleyert, ihr [155] schlanker Leib nur von einem dünnen Gewand umgeben; so lag sie, reizend, wie eine Göttinn.

Entzückt näherte ich mich ihr. Sie erwachte von meinen feurigen Küssen. Beschämt verwies sie mir meine Dreistigkeit, und hieß mich fortgehen. Ich schloß sie fester in meine Arme. Meine Einbildungskraft war entflammt: sie widersetzte sich meinen Liebkosungen, aber vergebens. Ich besiegte sie. –

Aber welch einen Auftritt hatte ich nun!

»Was hast du gethan, Nichtswürdiger! rief sie aus – – Du hast mich unglücklich gemacht. Meine Tugend, Ehre, Glück, alles ist dahin. Arme Henriette!«

Sie zerfloß fast in Thränen. Gerührt sank ich zu ihren Füßen, aber sie stieß mich zurück, und floh aus dem Zimmer. Ihre Mutter kam herein, und weckte mich aus der Betäubung, in die ich gefallen war. Das Wehklagen ihrer Tochter hatte ihr das Geschehene entdeckt. Auch [156] sie überhäufte mich mit Vorwürfen. Ich erbot mich zu jeder Genugthuung, schwur, daß ich Henrietten nie verlassen würde.

»Es ist leider kein andres Mittel übrig, als daß Sie meiner Tochter eine Eheversprechung geben. O! daß ich das erleben muß, mein Kind, das schon die besten Parthien ausgeschlagen hat, an einen Studenten versprechen zu müssen!«

Ich beruhigte sie, so viel ich konnte; die Sache wurde richtig gemacht, und ich bin nun der glücklichste Mensch, Henriettens Verlobter, geworden. Mein Vater wird vielleicht nicht ganz zufrieden mit meiner Verbindung seyn, denn er befahl mir beym Abschiede ausdrücklich, mich mit keinem Mädchen zu verplempern; aber er braucht ja auch noch nichts davon zu wissen. Und wenn er es ja eher erfährt, als ich wünsche, so werden Henriettens Annehmlichkeiten mich gewiß bey ihm entschuldigen. Du solltest das Mädchen [157] sehen, und du würdest mich beneiden, wenn deine Marie nicht wäre. Adieu,Eduard. Störe mein Glück nicht durch unnöthige weise Anmerkungen. Sie würden sehr am unrechten Orte bey mir angebracht seyn.

Ferdinand.

30. Brief. Barthold an Eduard
Dreyßigster Brief
Barthold an Eduard

Wo soll ich meine Erzählung anfangen? Ich bin ganz betäubt von allen den Begebenheiten, die sich hier zugetragen haben. Du wirst über die Bosheit und Ränke erstaunen, die man dem armen Ferdinand spielte. Henriette ist eine verschmitzte Buhlerinn, die mit Liebhabern wie mit Spielzeug wechselt. In ihrem vierzehnten Jahre war sie – ich habe ihren ganzen Lebenslauf erfahren – ein liebenswürdiges Mädchen, voller Geist und Schönheit.

[158] Sie erregte allenthalben Aufmerksamkeit, und zog durch die allgemeine Bewundrung der Mannspersonen gar bald den Neid ihrer Gespielinnen auf sich. Sie selbst wurde bald durch die Schmeicheleyen der jungen Herren verwöhnt, und wurde eine der gefährlichsten Coketten, die mit dem verbuhltesten Herzen stets von Tugend und Sittsamkeit reden. Sie fieng viele der reichsten jungen Leute in ihr Netz, erschöpfte sie durch unmäßige Geschenke, die sie ihr machen mußten, und wenn sie dann den einen ganz ausgesogen hatte, so gab sie ihm den Abschied und wählte einen andern. Es fehlte ihr auch nie an einem Liebhaber, weil sie wirklich sehr viel Angenehmes besaß.

Endlich aber kam ihr fünfundzwanzigstes Jahr heran. Sie gab sich zwar noch immer für achtzehnjährig aus, es gab aber der Leute viele, die zu gut rechnen konnten, um dieser Aussage vollen Glauben beyzumessen. Sie stand nunmehr [159] in so sehr üblem Ruf, und kam in so merkliche Abnahme, daß ein Mensch, der noch etwas Ehre besaß, sich ihres Umgangs schämte.

Klinge lernte sie kennen, verliebte sich in sie, und er, den sie sonst kaum angesehen hätte, wurde jetzt erhört. Ihr Umgang wurde bald sehr vertraut; denn sie so wenig als er waren zur platonischen Liebe geschaffen, und eine gewisse Veränderung, die sie an sich spürte, ließ sie etwas befürchten, davon sie sich, als eine Kennerinn, bald mit Gewißheit überführte. Was war nun zu thun? So bald Papa zu werden, war gar nicht nach Klingens Wunsch. Auch vermochte sein Beutel nicht die Unkosten zu tragen, die gewöhnlich mit dieser Ehre verknüpft sind. Er konnte sich auch nicht von ihr losmachen, und sie hatte Geschicklichkeit genug, ihn so verliebt zu erhalten, daß er noch immer den lebhaften Wunsch behielt, sein Einverständniß mit ihr fortzusetzen.

[160] Da nun Delikatesse in der Liebe eben nicht seine Schwachheit war, so entwarfen beyde den Plan, einen reichen Tropf in Henriettens Garn zu ziehen, der den Namen und die Kosten des Vaters vom Kinde trüge. Diesen fand man, wie man ihn nur wünschen könnte, in Ferdinand. Er war unerfahren genug, um aus dem schleunigen Betrieb, den die Sache foderte, nicht den mindesten Argwohn zu schöpfen. Es kostete Klingen eben so wenig Mühe, ihn zur Liebe anzufeuern, als Henrietten, die Tugendhafte vor ihm zu spielen. Er lief selbst in die Fallstricke hinein, die man ihm legte, und glaubte Henriettens Unschuld zu Fall gebracht zu haben, da sie die seinige zu Grunde richtete.

Sie verließ wehklagend das Zimmer, um in einem andern mit Klingen Ferdinands Einfalt zu belachen, der verzweifelnd seiner Geliebten Unglück beklagte, und sich glücklich schätzte, das Geschehene durch eine Eheversprechung wieder [161] gut machen zu können. Dieses gieng über ihre Erwartung. So viel hatten sie sich kaum vorgestellt. Klingens Freude war unbändig. Er wollte nun über eine Weile Ferdinands Vater einen Theil der Sache stecken lassen. Dieser, hoffte er, würde sich aus allen Kräften der Verbindung seines Sohnes widersetzen. Henriette sollte dann so viel von Tugend und vom Raub ihrer Ehre schwatzen, daß der reiche Alte sich glücklich schätzen würde mit ein paar tausend Thalern von der Sache los zu kommen. Mit diesem Gelde wollte sich dann Klinge einrichten, und seine Schöne heyrathen. So dachte er. Henriette aber dachte an ders.

Sie war seiner Liebe satt, empfand mehr Wollust in Ferdinands Armen, als bey ihm, den die Folgen eines schlecht geführten Lebens matt und kraftlos gemacht hatten. Auch war Ferdinand reich und konnte sie ernähren. Bey Klingen aber fiel es bloß auf sie, für ihren [162] Unterhalt zu sorgen, denn er, nur in Nänken geschickt, war unfähig es je zu etwas zu bringen. Hingegen fand ihr Stolz sich nicht wenig geschmeichelt, wenn sie dachte, welch eine vornehme Dame sie noch einmal bey Ferdinand werden könnte. Sie legte es also im ganzen Ernst darauf an, ihn zu heyrathen. Dieses aber verbarg sie sorgfältig vor Klingen, und indem sie in seinen Plan einzustimmen schien, dachte sie heimlich darauf, sich ihn vom Halse zu schaffen.

Dieß alles erfuhr ich durch Koch – so heißt der junge Mensch, von dem ich vorigesmal dir schrieb – und erstarrte. Zugleich sagte er mir auch die Zeit, in der Klinge bey ihr zu seyn pflege; es waren gerade die zwey Stunden, welche Ferdinand auf dem Fechtboden und im Reitstall zubrachte; dieses waren die einzigen Uebungsstunden, die er noch besuchte.

Klinge pflegte ihn in die Straße zu begleiten, und dann nach Henriettens Wohnung zu [163] gehen. Ich begab mich in den langen Gang, der zum Fechtboden führt. Ferdinand kam, und stutzte, als er mich sah. Ich gab vor, daß ich einen wichtigen Brief von dir ihm zu geben hätte, und bewegte ihn, mit mir an einen abgelegnen Platz zu gehen. Hier suchte ich sein Herz zu erweichen. Ich erinnerte ihn an die Freundschaft unsrer Kindheit, an seinen alten Vater. Anfangs war alles umsonst, und ich erstaunte über die schnellen Wirkungen, die ein schlechter Umgang auf das Herz macht. Ich merkte aber doch, daß er zuletzt dem Eindruck nicht länger zu widerstehen vermochte, den die Vorstellungen von seinem Vater auf ihn machten. Er wollte seine Rührung verbergen. Ich warf mich um seinen Hals.

»Bester Ferdinand, verbirg nicht diese Rührung, die deinem Herzen Ehre macht!«

»Barthold! Ists möglich, du noch mein Freund?« Er lag nun schluchzend an meinem [164] Halse. Was ich fühlte, kann ich dir nicht beschreiben. Nun, glaubte ich, sey der rechte Zeitpunkt. Ich entdeckte ihm den ganzen Plan der Verschwörung gegen ihn. Aber, aller Vorsicht ungeachtet, brauste er hier wie rasend auf. Er fluchte, schimpfte mich einen Verläumder, und wollte nichts von dem, was ich sagte, glauben.

Zuletzt blieb mir kein andres Mittel übrig, als ihn zu fragen, ob er mit mir zu Henrietten gehen, und sich selbst überzeugen wolle.

»Ja – schrie er wüthend – das will ich, aber hast du gelogen, so sollst du ein schreckliches Opfer meiner Rache werden.«

Er lief erst eilig nach Hause, und in einer Minute war er wieder da. Koch hatte mir den Schlüssel zu einer Hinterthür gegeben, durch die man unbemerkt ins Haus kommen konnte. Wir giengen hinein, und ich führte ihn an einen Ort, von dem man eine Stube übersehen konnte, die in den Hof gieng, und die, ihrer [165] einsamen Lage wegen, von Henrietten zu dem Gemach ihrer geheimen Liebesgeschichten ausersehen war. Hier sah er, auf eben dem Sopha, auf welchem er zuerst ihrer genoß, sein treues Mädchen auf Klingens Schooß, der sich allerley Freyheiten bey ihr heraus nahm.

Ich Thor, ich wollte ihn bewegen, wieder mit mir umzukehren, und nur durch Verachtung sich an dem niederträchtigen Paar zu rächen. Aber weit gefehlt! Er war nach Hause geeilt, um zwey Degen, unter seinem Mantel verborgen, zu holen. Wüthend stürzte er ins Zimmer: »Stirb, schändlicher Verräther! Aber da, Memme, vertheidige dich! Fast schäumend eilte er mit dem Degen auf ihn los.« Der verrätherische Klinge brachte dem unbesonnenen Ferdinand hinterlistig einen Stich bey, der wohl, seiner Absicht nach, tödtlich seyn sollte, und nun wollte er aus dem Hause entspringen; aber die Jägerwache, durch den Lärm aufmerksam gemacht, [166] hielt ihn an, und auch Ferdinand, der zum Glück von dem Stich, welcher fehl traf, nur leicht verwundet war, so wohl als ich erhielten Stubenarrest. Ich verließ den beynahe sinnlosenFerdinand sehr ungern. Morgen werden wir vor Gericht erscheinen.

Barthold.

31. Brief. Sophie an Marien
Einunddreyßigster Brief
Sophie an Marien

Sie haben den ersten Schritt auf dem Wege der Beruhigung gethan, da Sie den Entschluß faßten, Ihrem Kummer durch stete Beschäftigung entgegen zu arbeiten. Möchte doch Ihre vortreffliche Seele völlig über Ihren Schmerz siegen!

Eduard ist auch der Thränen meiner Freundinn unwerth. Er, der nicht edel genug dachte, um die trefflichen Eigenschaften meiner Marie nach ihrem ganzen Werth zu schätzen, er, der [167] leichtsinnig genug war, um in den ersten Monaten seiner Trennung von ihr eine andre Geliebte zu wählen, verdient auf keine Weise ihre Zärtlichkeit.

Der Tag unsrer Verbindung rückt nun heran.Karlsheim sieht ihm zwar auch mit dem Entzücken. eines Liebhabers entgegen, aber doch herrscht noch immer, und jetzt fast mehr noch, als sonst, zuweilen eine gewisse Aengstlichkeit, eine Schwermuth bey ihm, die ich nicht zu erklären weiß. Es ist mir unmöglich, ihn um die Ursache davon zu befragen. Ich begnüge mich lieber damit, den Nebel durch meine muntere Laune zu zerstreuen. Es gelingt mir auch gewöhnlich; dann nennt er mich eine kleine Zauberinn, die mit ihm machen kann, was sie nur will, und er ist zärtlicher als vorher. Ich glaube also, daß diese traurige Stimmung wohl in seinem Körper liegt, und daß ich sie mit leichter Mühe werde ganz wegschaffen können.

[168] Wenn ich Ihnen jetzo nicht so oft schreibe, so werden Sie es meiner Lage zu gute halten, Meine Liebe gegen Sie ist, aller Zerstreuungen ohngeachtet, immer von gleicher Stärke. Doch alles das will ich Ihnen weit besser mündlich sagen; denn Sie werden doch meinen Hochzeittag feyern helfen? Das versteht sich, hoffe ich, von selbst. Meine Freundinn wird mir diese Bitte nicht abschlagen. Auch Ihr Albrecht wird uns willkommen seyn, und wir wollen einmal sehen, ob seine Kälte von unserm Hochzeitfeuer nicht auch wird entzündet werden.

Jetzt ruft mich ein Geschäft – für jedes Mädchen wichtig – vom Schreibtisch. Meine Tante und noch einige Bekanntinnen warten meiner im Nebenzimmer, um den Brautputz auszusuchen. Es hat schon viele Streitigkeiten über diesen Punkt gegeben; denn eine jede will dabey ihrem Geschmack Ehre machen. Auch jetzt höre [169] ich die Stimmen sehr laut und unterscheidend reden.

»Nein – sagt meine Tante – himmelblau ist die beste Farbe zum Brautkleide.«

»Ach! gehn Sie doch mit Blau, das ist ja so gemein. Merde d'oye muß sie wählen.«

»Merde d'oye kleidet keiner Brünette; auch fängt diese Farbe schon an, aus der Mode zu kommen. Am Hochzeittage muß man eine sanfte Farbe wählen. Blaßroth, die Farbe der Liebe, würde ihr am schönsten stehen.«

»Blau ist die sanfteste Farbe unter allen – ruft meine Tante, durch den Widerspruch der beyden Mädchen aufgebracht – und kleidet jedermann gut. Mich dünkt, ich habe auch hier das größte Recht zu sprechen, ich weiß durch längere Erfahrung als ihr jungen Dinger, was sich schickt. Blau, mit weißen Schleifen, soll Sophie tragen. Das war mein Hochzeitputz.«

[170] »Warum nicht lieber mit grünen Schleifen und karmoisinrothen Schuhen? Das wäre noch elegant! hahaha!«

Dieser unhöfliche Spott scheint meine Tante sehr aufzubringen; denn das Gezänk wird so arg, daß ich kein Wort mehr verstehe. Ich muß nur dem Streit ein Ende machen. Weißen Sommerstoff werde ich wählen, mit blaßrothem Bande. Das ist der Geschmack meines Karloheims. In diesen Farben sah er mich zuerst. –

Sophie.

32. Brief. Marie an Sophien
Zweyunddreyßigster Brief
Marie an Sophien

Denken Sie an, Sophie, Albrecht ist verreiset. Dringende Geschäfte machten seine Abwesenheit auf einige Monate nothwendig. Beym Abschiede umarmte er mich ziemlich kalt.

[171] »Ich bitte dich, Marie, suche dich während meiner Entfernung aufzuheitern. Du weißt, ich kann das weinerliche Wesen nicht ausstehen. Laß mich dich heiter wieder finden, meine Liebe. Ich habe Wildberg aufgetragen, dich unter der Zeit so viel möglich zu zerstreuen, und dir auch bey etwan vorkommenden Fällen mit gutem Rathe beyzustehen.«

Mit diesen Worten verließ er mich, und meine mühsam aufgehaltnen Thränen flossen nun reichlich. Gott, ist das der Abschied, den er von mir nimmt, auf so lange Zeit! Der ganze Abschied, diese wenigen kalten Worte! Ach! wenn Eduard nur auf einige Tage, nur auf wenige Stunden sich von mir trennte; wie waren dann unsre Empfindungen so ganz anders gestimmt!

Ich bemühte mich diese Gedanken zu verbannen, aber völlig verscheuchen konnte ich sie nicht. O Sophie! Sie beurtheilen Eduard ganz falsch. Er war weder leichtsinnig noch unedel. Sein [172] Herz war nur großen Empfindungen offen. Ich wiederhole es Ihnen noch einmal: nur ganz besondre Umstände konnten ihn zu dem Schritt bewegen, den er that.

Warum mußte Albrecht zu meinem Gesellschafter in seiner Abwesenheit Wildbergen wählen? Ihn, dessen Schmeicheleyen, dessen Aufdringen mir so verhaßt ist! Doch, was fürchte ich von ihm? Ich werde mich so gegen ihn betragen, wie Pflicht und Klugheit es gebieten.

Wie gern brächte ich die Zeit meiner Wittwenschaft bey Ihnen zu, liebe Freundinn! Ich fürchte, die Einsamkeit wird die traurige Stimmung meines Herzens nähren. Sie wird den Bau wieder einreißen, den ich mit so vieler Mühe anfieng. O daß meine Vernunft so sehr Sklavinn der Empfindung ist! Wäre ich bey Ihnen, Sophie, so würde zwar ihr lebhafter Geist meine Seele aufheitern, aber ach! tausend Erinnerungen an das Vergangne würden [173] auch in mir erwachen, wenn ich Sie und Karlsheim sähe; die Ausbrüche Ihrer Zärtlichkeit würden meine Augen mit Thränen füllen; ich würde in ihm die sanfte Stimme meines ehmals so innig geliebten Eduards wieder zu hören glauben; ich würde nur eine Störerinn ihrer Freude seyn.

Das, was sie mir von Karlsheims Schwermuth sagen, zusammen genommen damit, daß er im Anfang seine Liebe zu Ihnen bekämpfen wollte, macht mich unruhig. Versäumen Sie doch ja nicht, mit zärtlichem Ernst in ihn zu dringen, um die Ursache seines Kummers zu erfahren. Vielleicht kann sie noch gehoben werden.

Ihren Hochzeittag werde ich hier mit stiller Wehmuth feyern. Meine Seele wird Sie umschweben, und meine innigsten Wünsche werden Sie bis zum Altar begleiten, wo Sie beyde ein festes Band auf ewig zusammen knüpfen wird. Kein Wölkchen müsse an diesem schönen [174] Tage den heitern Himmel trüben, und die ganze Natur sich mit Ihnen freuen. Und wenn Sie dann wonnetrunken an Ihres Jünglings Seite sitzen, so denken Sie an Ihre Marie, für die hienieden die Freuden der Liebe dahin sind, und wünschen Sie ihr, bald einer Welt entrückt zu werden, die außer meinen Freunden nichts Anziehendes mehr für mich hat.

Marie.

33. Brief. Karlsheim an Wilhelm
Dreyunddreyßigster Brief
Karlsheim an Wilhelm

Noch drey Tage, und ich bin auf ewig der Ihrige. OWilhelm, oft ist dieser Gedanke der Wonne Quaal des Todes für mich. Und doch kann ich nicht zurück. Ich bin mit festen Ketten gleichsam angeschmiedet. Meine Zunge ist wie gelähmt, wenn ich reden will. Und nun ists auch zum Reden zu spät. Oft, wenn ich an des besten [175] Mädchens Seite sitze, entzückt von ihrem himmlischen Reiz, auch dann, selbst im Taumel der Liebe, erscheint mir Juliens Bild. Sophiens Kuß zaubert dann zwar den Schmerz von meiner Seele weg, aber in der Einsamkeit durchdringt er mich wieder.

Diese Nacht sah ich Julien, in ein Leichentuch gehüllt, auf mich zu gehen. Sie winkte mir, ich folgte ihr nach; sie verschwand, und ich sank in eine tiefe Gruft. Ich erwachte, und Todesschweiß stand auf meiner Stirn. Und noch schwebt immer die schreckliche Leichengestalt vor mir.

Wilhelm, wenn du noch mein Freund bist, so reise hin, schicke hin, erforsche ihren Aufenthalt; damit ich erfahre, ob sie lebt, oder ob ihr schöner Geist schon entflohen ist. Eher ist doch keine Ruhe für mich möglich.

Karlsheim. [176]

34. Brief. Sophie an Marien
Vierunddreyßigster Brief
Sophie an Marien

O Marie, hätte nicht dein sanfter Geist mich umschwebt, dein Edelmuth im Leiden meine Seele gestärkt, gewiß, so hätte ichs nicht überstanden. Nun ist es geschehen, es ist vorbey, und nur das Gefühl, gut und pflichtmäßig gehandelt zu haben, vermag mich aufzurichten.

Ich saß und nähte die letzten Stiche an den Bräutigamsmanschetten für Karlsheim, als ein fremdes Frauenzimmer um die Erlaubniß bitten ließ, ein paar Worte mit mir zu sprechen. Eine dunkle Ahndung durchschauerte mich.

Sie kam herein. Nie sah ich eine rührendere Gestalt. Ein Mädchen von mittler Größe, blondes Haar, große blaue Augen, die einen sehr melancholischen Ausdruck hatten, der von tiefem Gram zeigte, das einnehmendste Gesicht, Wangen, auf denen sonst Rosen geblüht zu haben [177] schienen, die aber jetzt die blasse Farbe des Kummers hatten. Ihre Blicke hatten einen Ausdruck, den ich nicht beschreiben kann, und waren dabey so anziehend, daß man gleich alles hingegeben hätte, um den Schmerz zu heben, der sie niederzudrücken schien.

»Verzeihen Sie – sagte sie mit einnehmender, aber bebender Stimme – daß eine Unbekannte es wagt, sich Ihnen zu nähern; nur meine traurige Lage, und die vortreffliche Schilderung, die man mir von Ihrem Charakter gemacht hat, konnte mich so dreist machen.«

»So wenig auch meine eigne Ueberzeugung Ihre schmeichelhafte Meynung von mir rechtfertigt: so ist doch gewiß eine meiner Hauptneigungen die, jedem Kummer meines Nebenmenschen so viel beyzustehen, als es in meinen Kräften ist, und wenn nun vollends das Unglück in einer so einnehmenden Gestalt erscheint, wie [178] die Ihrige ist, wer würde da nicht aufs lebhafteste gerührt werden?«

»Ihre Güte, Mademoiselle, macht mir meinen Vortrag nur noch schwerer. O Gott, ich werde Ihr Glück, Ihre Ruhe untergraben! Ich werde – –«

»Sie machen mich zittern. Ach! nur eine Frage: Betrifft das, was Sie sagen wollen, Karlsheim

»Leider Ihn selbst! Glauben Sie sicher, mein Herz denkt gut genug, um meine Ruhe willig Ihrem. Glück, seinem Glück zu opfern; aber heiligere Pflichten, die Pflicht der Mutter gegen ein hülfloses Kind, heischen diesen Schritt von mir.«

»O Gott, ich errathe die ganze Geschichte. War das dein geheimer Kummer, Karlsheim? Verbargst du ein so unedles Herz unter der zärtlichsten schönsten Larve?«

[179] »Ists möglich? Er hatte Kummer? Ach! so dachte er noch vielleicht an die unglückliche Julie? – Darf ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen? Oder hassen Sie ein armes Mädchen, das eine so grausame Störerinn Ihres Glücks ist? –«

»Wie könnte ich Sie hassen, – (ich schloß sie mit Thränen in meine Arme –) weil Sie auch den liebenswürdig fanden, der es in so hohem Grade ist? Sagen Sie mir alles, ich bitte Sie darum.«

»Ich bin die Tochter eines Professors in L. In dem zartesten Alter verlor ich meine Mutter. Mein Vater war über diesen Verlust untröstlich, und wandte nun alle Sorgfalt, die ihm bey seinen Geschäften möglich war, auf meine Erziehung, die ihm die letzten Bitten der Sterbenden noch anempfohlen hatten. Mein sechzehntes Jahr rückte heran. Ich hatte Kenntnisse von mancherley Dingen, nur noch nicht [180] von Liebe. Ach! nur leider zu bald lernte ich auch diese kennen.

Mein Vater befahl mir einst, ein gutes Abendessen zu veranstalten, weil er den Sohn eines Freundes, der ihm empfohlen war, und bey uns wohnen sollte, erwarte. Der Erwartete kam. Ich sah ihn bey Tische, und fühlte ein gewisses Etwas, mir bisher unbekannt, bey seinem Anblicke. Ich hatte oft schon Männer gesehen, war oft von Ihnen geschmeichelt worden; aber mein Herz war bey allen ihren Galanterien gleichgültig. Noch nie hatte ich den Eindruck gefühlt, den jetztKarlsheim auf mich machte. Noch niemals war ich so roth geworden, als eben diesen Abend, bey einem schmeichelhaften Lobspruch, den er von ohngefähr mir gab. Ich, die sonst gleich lebhafte – man sagte witzige Antworten fertig hatte, beantwortete das, was er mit mir sprach, mit so ungewohnter Blödigkeit, daß mein Vater mich durch die Frage – [181] ob mir was fehle? – noch verlegner machte. AuchKarlsheims Blicke waren beständig auf mich geheftet, und folgten jedem meiner Schritte.

Nach einigen Gesprächen, die den jungen Mann auch meinem Vater werth machten, kam man auf die englische Sprache. Mein Vater äußerte den Wunsch, mich darinn unterrichtet zu sehen. Karlsheim, der das Englische sehr gut verstand, erbot sich zu diesem Geschäfte. Er lehrte mich diese Sprache, und mit ihr die Liebe. Wie feurig übersetzte er mir die Dichter, die von Liebe sangen! Wie bald lernte ich sie verstehen! Mit welchem Antheil lasen wir eine gefühlvolle Stelle! Unsre Empfindungen trafen stets auf einen Punkt zusammen, und stimmten so ganz überein!

So schwanden zwey Jahre, durch die Freuden der Liebe beseligt, uns wie Augenblicke dahin. Karlsheims Abreise, und gränzenlosee [182] Kummer unsrer Herzen mit ihr, rückte heran. Wir saßen, in zärtlichen Unmuth versunken, einst in einer einsamen Laube. Es war der schönste Abend, den ich jemals sah; nur der Mond ließ seinen blassen Schimmer auf uns fallen. Unsre Empfindungen waren aufs höchste gespannt – ersparen Sie mir ein demüthigendes Bekenntniß – –Karlsheims Liebkosungen wurden mir zu mächtig, – dieser reine heitre Abend wurde das Ende meiner Ruhe. O wie oft habe ich nachher in deinem Schatten gekniet, einsame Laube, die du das Grab meiner Unschuld warest! Mit aufgehobnen Händen, mit thränenden Augen habe ich mich vor dir angeklagt, keuscher Mond, reine Gottheit, zu der ich nicht mehr hinaufzusehen wagte.

Der Gedanke, in Karlsheims Achtung verloren zu haben, machte mir seine Abreise noch quaalvoller. Er vernichtete meine Befürchtungen, schwur, daß seine Liebe ewig in ihm mit gleichem [183] Feuer leben würde, und unter den zärtlichsten Betheurungen steter Liebe und Treue verließ er mich, von seinen Küssen und Thränen bedeckt. Seine ersten Briefe athmeten lauter Zärtlichkeit. Sehen Sie selbst den Beweis in einem Schreiben von ihm, das ich immer noch als ein heiliges Andenken aufbewahre.«

»O Gott! – rief ich aus, wie ich ihn gelesen hatte – welch ein Brief! welche ein hinreißender Ton der Liebe! Nie las ich etwas Rührenders. Und dieses Feuer konnte erlöschen! Ach ich hätte ihm nach diesem Briefe ewige Dauer zugetraut.«

»Ja, Mademoiselle, auch ich glaubte, eher würde das Feuer der Sonne erkalten, als Karlsheims Liebe. Unglücklicher Wahn! Mein Vater starb plötzlich. Eine alte Tante nahm mich zu sich. Ich mußte mit ihr nach Holland reisen, und alles gieng so eilig zu, daß ich nicht vorher an Karlsheim schreiben konnte: denn [184] meine Tante – eine Feindinn aller Versprechungen, die eher als vier Wochen vor der Hochzeit geschahen – ließ mich nicht aus den Augen. Ich fand aber doch unterwegs Gelegenheit ihm zu schreiben. Ich schrieb noch zweymal, und erhielt auf keinen Brief Antwort.

Sein Schweigen bekümmerte mich sehr. Seine letzten Briefe waren schon minder feurig als die ersten; nun schrieb er mir gar nicht. Kein Wort des Trostes in dem Kummer um einen geliebten Vater, der erblichen war. Mir schien also seine Untreue gewiß. Und nun wurde noch das Trostlose meines Zustandes durch die Gewißheit vermehrt, mit der ich die Frucht meines Vergehens unter meinem Herzen fühlte. Ich verbarg meinen Zustand so lange als möglich meiner Tante, deren Härte in einem solchen Fall ich genug kannte. Endlich aber entdeckte sie selbst meine Schwangerschaft. Ich [185] warf mich zu ihren Füßen. Aber meine rührendsten Bitten, meine Thränen konnten sie nicht erweichen. Sie stieß mich fort, belegte mich mit niedrigen Schimpfnamen, und mit den härtesten Worten hieß sie mich aus dem Zimmer gehen.

Halb sinnlos gieng ich fort. Als ich mich wieder etwas gesammelt hatte, kam ich wieder vor ihr Zimmer, um noch einen Versuch zu machen. Aber ach! die Thüre war verschlossen. Sie ließ mir durch eine alte Magd sagen: ihr Haus würde mir nie wieder geöffnet werden; ich solle nur gleich meine Sachen zusammen suchen und mich fortpacken, mich auch nie wieder unterstehen, vor ihre Augen zu kommen; sie wolle einen solchen Nikel, der ihre Familie mit Schande belegte, nie wieder ansehen. Verzweiflungsvoll packte ich meine Sachen ein, entschlossen zu gehen, es sey wohin es wolle.

[186] Liese, ein junges Mädchen, das bey meiner Tante diente, kam herauf. Ich hatte sie oft bey meiner Tante vertreten, und ihr mancherley Dienste geleistet, für die ihr gutes Herz sich sehr dankbar gegen mich fühlte. Sie brachte mir zwanzig Louisd'or, die meine Tante noch in Betracht meines redlichen Vaters mir sandte. Seine Erbschaft hatte kaum hingereicht, die Schulden zu bezahlen, die er hinterließ; denn von einer uneinträglichen Bedienung hatte er viele Ausgaben zu bestreiten.

Das gute Mädchen – (wie ich hernach erfuhr, so hatte ich auch diese letzte Beysteuer meiner Tante ihr zu danken –) wurde durch meine traurige Lage sehr gerührt, und bot mir an: sie wolle mich in das Haus einer Verwandtinn bringen, die eine sehr ehrliche Frau sey; daselbst könnte ich meine Niederkunft halten. Ich nahm ihren Vorschlag mit Dankbarkeit an. Sie führte mich in ein armseliges Haus, und ließ [187] mir meinen Koffer nachbringen. Hier wohnte ich in einer erbärmlichen Kammer. Die treue Sorgfalt meiner ehrlichen Wirthinn suchte zwar meinen Zustand, welcher der Verzweiflung nahe war, etwas zu mildern, aber vergeblich. Mein Herz war jedem Troste verschlossen. Sobald ich mich wieder etwas besinnen konnte, schrieb ich noch einmal an Karlsheim. Selbst ein Ungeheuer würde durch diesen Brief bewegt worden seyn. Und doch bekam ich keine Antwort. Zur Ehre des menschlichen Herzens, das der Schöpfer gut und edel bildete, hoffe ich, daß er ihn nicht bekommen hat. Nein, gewiß, das hat er nicht. Seine Seele, den Eindrücken des Mitleids so offen, wäre gerührt worden. Wäre auch seine Liebe zu mir abgestorben gewesen, so hätte doch gewiß Menschlichkeit ihn zu mir geleitet. Der Gedanke an seine sonst so geliebteJulie, der er so oft schwur, sie sey ihm theurer als sein Leben, die mit so unbefangner Liebe an [188] ihm hieng, die noch jetzt willig sich selbst seinem Glück aufopfern würde, die in einer elenden Hütte den Schmerzen der Geburt fast unterlag; hätte sein Herz erschüttert; er wäre mir zugeeilt!

O! verzeihen Sie, meine Theure, daß meine Empfindungen so oft den Faden der Erzählung abreißen. Ich will mich bemühen, durch sie ungestört fortzufahren.

Ich kam mit einem Knaben nieder. Oft badete ich ihn mit meinen Thränen; oft auch war sein Anblick Erquickung in meinem Schmerz. Der Gedanke, dem Kinde, wenn es einst lallend nach seinem Vater mich fragen würde, nur mit Seufzern antworten zu können, war mir mehr als Todesquaal. Ich entschloß mich, so bald es meine Kräfte zuließen, nach meinem Vaterlande zu reisen, und Karlsheim aufzusuchen. Nach einem halben Jahre fühlte ich mich und das Kind erst stark genug, die Reise [189] auszuhalten. Mein Geld war geschmolzen. Ich hatte mich die Zeit über mit allerley Arbeiten genährt, die meine Wirthinn zum Verkaufe trug; denn ich schämte mich auszugehen. Aus dem Verkaufe meiner Sachen, von denen ich nur das Nothwendigste behielt, und aus der Veräußerung eines Ringes – eines theuren Andenkens meiner Mutter – lösete ich so viel, daß ich glaubte, die Reisekosten damit bestreiten zu können. Liese begleitete mich. Sie war bald nach meiner Abreise von meiner Tante verabschiedet, und wollte gern nach ihrem Vaterlande zurück. Es gieng meiner Schwächlichkeit und meines Kindes wegen sehr langsam. Endlich kam ich an den Gränzen meines Vaterlandes an. Ich sah die Thürme der Stadt, in der ich geboren ward, und durfte mich aus Furcht vor der Schande ihr nicht nähern. Die Erinnerung an alle Freuden meiner Jugend, die ich da genoß, drang in meine Seele; in [190] stummen Tiefsinn versenkt, saß ich auf dem Pestwagen.

Endlich kam ich in der Stadt an, wo Karlsheim wohnte. Ich schickte nach seinem Hause hin; aber, welch ein Schmerz für mich, die eine so weite beschwerliche Reise um ihn gemacht hatte! er war schon über ein Jahr von dem Orte weggezogen, und sein ehemaliger Wirth wußte auch nicht, wohin. Ich spähte einen Bekannten von ihm aus, und erfuhr von diesem, daß Karlsheim eine Reise in einige Städte Deutschlands gemacht, und seit kurzem in D. wohne, wo er eine Bedienung erhalten habe.

Nun glaubte ich die Erklärung seines Stillschweigens gefunden zu haben. Ich dachte ihn mir, voller Besorgniß über meinen Zustand, über meinen Aufenthalt, den er nicht hatte erfahren können. Ich malte mir mit den lebhaftesten Farben die Freude, die er empfinden [191] würde, wenn er mich wiedersähe. Mit einer Eile, die mir nicht einmal ein Nachtlager zu nehmen zuließ, reiste ich nach D. Und können Sie nun das Schrecken, die Verzweiflung sich denken, die mich überfiel, als ich hörte, in wenig Tagen würde seine Hochzeit seyn? Lange kämpfte ich mit mir, ob ich gehen und schweigen, und alle Gedanken auf den Besitz desjenigen wollte fahren lassen, dessen Liebe allein mich beglücken konnte, dessen Herz aber mir nicht mehr gehörte. Welch eine erbärmliche Verbindung, die Zwang und Mitleid schließen! Ich glaube, diese Vorstellungen hätten die Oberhand behalten. Ich würde, fern von ihm, mein unglückliches Schicksal beweint haben. Aber ein Blick auf mein Kind, auf das Elend, das seiner warten würde, wenn es vaterlos, ohne Unterstützung, einsam umher irrte! Und ich entschloß mich zu Ihnen zu gehen, deren Edelmuth man mir gerühmt hatte.

[192] Aber selbst jetzt noch liebe ich ihn zu sehr, um ihn zu einer Verbindung mit mir zu nöthigen, wenn sie nicht sein eigner Wunsch ist. Hat der Treulose mich ganz vergessen, bin ich ihm verhaßt, o! so soll meine Gegenwart ihn nicht quälen; er sorge nur für mein unglückliches Kind, und ich will die wenigen Tage, die der Gram meinem Leben noch übrig lassen wird, von ihm entfernt zubringen, und mich auf das stille Grab freuen, das alle Leiden der unglückchen Julie enden wird! –«

Sie zerfloß fast in Thränen. Auch ich war äußerst bewegt.

»Theure unglückliche Julie! Können Sie glauben, daß ich noch einen Gedanken an den Besitz desjenigen haben kann, der mit so vollem Recht Ihnen gehört? Er liebt Sie gewiß noch. Seine Unruhe zeigt es deutlich genug.«

»Ach! wenn das wahr wäre, Karlsheim! Nur ein zärtlicher Blick auf mich, auf dein Kind, und ich habe nichts gelitten.«

[193] »Wir wollen ihn erforschen. Erinnern Sie sich noch wohl des letzten Briefes, den Sie ihm aus Holland schrieben?«

»Ach! die Empfindungen, die ich damals aufs Papier brachte, stehen noch aufs lebhafteste vor meiner Einbildung.«

»Gut, liebste Julie, schildern Sie ihm Ihren damaligen Zustand noch einmal, so rührend wie Sie ihn mir erzählten. Wir wollen den Brief in einen Umschlag schließen, als sey er bis jetzt liegen geblieben, weil man nun erst erfahren habe, wo der wohne, an den er gerichtet sey. Er soll ihm, als käme er von der Post, in meiner Gegenwart eingehändigt werden. Ich will die Wirkungen beobachten, die er bey ihm hervorbringt, und wenn er dann in größter Angst wegen Ihres Schicksals schwebt, so sollen Sie ihm erscheinen.«

Julie war von Dank und Rührung so bewegt, daß sie kein Wort sagen konnte. Ich [194] ließ sie in ein andres Zimmer gehen. Unterdessen daß ich schrieb, ließ ich ihr Kind holen. Aber ich hatte noch ein schweres Geschäft vor mir: meinen Onkel in den Plan zu ziehen. Ich gieng zu ihm, und trug ihm die Sache vor. Er war sehr aufgebracht, wollte von keiner Trennung zwischen mir und Karlsheim hören, beschuldigte mich romanhafter Grillen, und schalt Julien für eine Landstreicherinn.

Ueberzeugt, daß ihr rührender Anblick mehr wirken würde, als meine Reden, führte ich ihn zu ihr, bat ihn aber inständig, ihrer zu schonen. Er stutzte, als er sie sah.

»Was sehe ich! Das Bild meines ehrlichen Behrwalds? O, sind Sie die Tochter des Mannes, der mein Busenfreund war, dem ich so vieles verdanke? Gott, ein unseliges Misverständniß mußte uns die letzten Jahre trennen. Sein Tod, den ich kürzlich erst erfuhr, hat mir manche bittre Stunde gemacht. Sie sind [195] die Julie, die ich als Kind so oft auf meinem Schooß hielt? Komm in meine Arme, liebes Mädchen, und erzähle mir selbst deine Geschichte.«

Ich war höchst erfreut über diese glückliche Wendung, und rettete Julien von einer nochmalen Wiederholung ihrer Begebenheit. Jetzt kam der kleine Junge. Nie sah ich ein liebenswürdigers Kind. Sein kleines Gesicht ist ganz der Abdruck von den Zügen seines Vaters. Eben dieses süße Lächeln, dasKarlsheim so schön steht. Holder Knabe, bald, bald hätte ich deinen Vater dir entzogen! – AchMarie, der Antheil an Juliens Schicksal, die Beschäftigung mit meinem Plan, alles das ließ mich damals nicht an mein eignes Herz denken. O, wie schäme ich mich jetzt oft seiner Schwäche! –Karlsheim kam. Wie liebenswürdig sah er aus! Das Bewußtseyn, daß seine Liekosungen mir nicht mehr gehörten, machte, daß ich dabey bebte. [196] Ich mußte mir viel Gewalt anthun, damit er meinen Zustand nicht merkte. Unter einem Vorwand verließ ich das Zimmer, und gieng durch eine andre Thür in meinen Alkoven, aus dem ich ihn genau beobachten konnte.

Man brachte ihm den Brief. Er öffnete ihn, wurde todtenblaß, als er die Hand erkannte, und sank ganz außer sich auf einen Stuhl. Er sprang wieder auf, gieng heftig im Zimmer umher, rang die Hände, rief einigemal Julie, und fiel wieder auf den Stuhl zurück. Sein Zustand gieng mir so nahe, daß ich nur mit äußerster Mühe mich enthielt ihm alles zu sagen. Aber ich überwand mich noch; denn er hatte diese Strafe verdient, und die Wirkung war desto besser, wenn er Julien nicht gleich sah. Ich gieng ins Zimmer.

»Was fehlt Ihnen, Karlsheim? Sie sind ja ganz außer sich.«

[197] »Lassen Sie mich, Sophie. Ich bin ein Ungeheuer, nicht werth, daß Sie mit mir reden! Gott! ist dieß das Traumbild, das mich schreckte? Gewiß ist sie todt. Julie! ich sehe deinen Schatten auf mich zueilen, o wie fürchterlich, wie bleich! Stoß mich hinab! Hinab in die Gruft mit dem Nichtswürdigen, der dich tödtete! Aber was seh ich? Du weinst, du winkst mir. Seliger Geist, Bild des sanften Engels, durch mich zu Grunde gerichtet, vergieb mir, ich folge dir nach.«

Mir ward bange für ihn.

»Karlsheim! theurer Karlsheim! kommen Sie zu sich, was ist Ihnen?«

»Da, lesen Sie, und verabscheuen mich Elenden. Verzeihen Sie mir, Sophie, ich bin außer mir.«

»Das sehe ich; aber, Karlsheim, ich sehe nicht, warum Sie es sind. Sie haben sich freylich gegen das Frauenzimmer, das diesen [198] Brief schrieb, nicht so betragen, wie Sie gesollt hätten. Aber jetzt muß alles unter Ihnen und ihr vorbey seyn. Sie sind mein verlobter Bräutigam: und ich habe die gerechtesten Ansprüche auf Sie.«

»Sophie! Ich verkenne Sie ganz. Nein, ich muß abreisen, um zu sehen, ob sie noch lebt, wo sie ist, wo das Kind ist, das sie mir gebar. Ach Gott! wahrscheinlich ist auch dieß kleine Schlachtopfer nicht mehr.«

»Was hör' ich! Sie wollten mich verlassen, und unser Hochzeittag ist schon bestimmt? Das geb' ich nie zu. Lebt das Kind noch, so wollen wir es zu uns nehmen, aber die Mutter – –«

»Soll in Elend und Schande verschmachten? Nein,Sophie. Ich bin Ihnen viel schuldig, Ihre Liebe hat mir glückliche Stunden gemacht; aber die armeJulie hat stärkere Ansprüche als Sie.«

[199] Ich glaubte nun Juliens Bitten, ihn auf eine starke Probe zu setzen, Genüge geleistet zu haben; auch weigerte sich meine Zunge, länger so ganz gegen meine Ueberzeugung zu sprechen. Unsrer Abrede gemäß hätte ich ihn zwar noch etwas ängstigen sollen – eigentlich war diese Abrede nur zwischen meinem Onkel und mir getroffen; denn Julie ist zu zärtlich und sanft, als daß sie Rache nehmen könnte – aber er war schon genug auf der Folter, und sein Schmerz gieng mir zu nahe.

Ich hieß ihn mit mir gehen, öffnete eine Thür, und nun sah er Julien, mit dem Kinde an ihrer Brust. Sie erwartete ihn nicht, und schrie laut, als sie ihn sah.

»Was seh' ich? Täuscht mich meine Phantasie? Sie ist es selbst! – Zu ihren Füßen: Julie, kannst du mir verzeihen?«

»O Karlsheim, o Geliebter! Wie belohnt mich dieser Augenblick für alles, was ich litt! [200] Du liebst mich noch? Ich bin dir nicht ganz gleichgültig geworden?«

»Julie mir gleichgültig? – Engel, voller Huld und Sanftmuth, du vergiebst dem Reuvollen, dem Wiederkehrenden. An dieser himmlischen Güte erkenne ich meine Julie wieder.«

Er lag an ihrer Brust. Ihre Thränen vermischten sich mit den seinigen. O! gewiß, Engel sahen mit Wonne diesem Auftritt zu; der Allliebende selbst sah gewiß gütig auf ihn herab. Meine Seele fühlte sich erhoben; noch nie hatte ich eine reinere Freude, ein seligeres Gefühl geschmeckt. Alles, was ich je inKarlsheims Armen empfand, war nichts gegen die Zufriedenheit, die ich jetzt fühlte, als er bald mit Thränen der Zärtlichkeit das Kind an seine Brust drückte, bald wieder zur Mutter gieng. Doch,Marie, das muß empfunden, nicht erzählt werden. Das Bewußtseyn, gehandelt zu haben, wie ich sollte und mußte, beruhigt [201] mich auch jetzt, wenn zuweilen ein schwermüthiger Gedanke mich überfällt.

Sophie.

35. Brief. Marie an Sophien
Fünfunddreyßigster Brief
Marie an Sophien

Wie soll ich Sie genug bewundern, vorireffliche Freundinn? Ich wußte immer, daß Sie das beste liebenswürdigste Herz besaßen, aber so viel Stärke des Geistes, so viel Edelmuth hätte ich kaum von Ihnen erwartet. Der Segen des Himmels belohne dich, herrliches Mädchen! Gewiß fühlst du jetzt größere Wonne über deine edle Handlung, die einem unglücklichen Mädchen ihren Geliebten, einem verwaisten Kinde seinen Vater wieder gab, als du je würdest gefühlt haben, wenn Karlsheim der Deinige geworden wäre. Julie muß ein liebes Geschöpf seyn. Ihr Unglück hat mich bis zu Thränen gerührt. [202] Dem Himmel sey Dank, daß Karlsheim sie noch liebt; sonst wäre das arme Geschöpf doch unglücklich. Denn welch ein Schmerz kann größer für eine empfindliche Seele seyn, als der, einem Gatten anzugehören, der gleichgültig gegen uns ist, den bloßes Mitleid zu uns leitete, und dem wir es täglich anmerken, daß ihn die Verbindung mit uns gereut?

Sophie, führen Sie mich ja nie mehr als ein Muster an. Sie wissen nicht, was für beschämende Gefühle Sie dadurch in mir erwecken. Ich fühle es nur zu sehr, daß ich weit unter Ihnen stehe. Nie, o! nie werde ich Ihre Stärke des Geistes im Leiden haben. Denken Sie, wie schwach ich bin. Juliens Geschichte, statt mich zu heilen, erinnerte mich nur lebhaft an mein Schicksal, an meinen Eduard: und die Thränen, die ich vergoß, flossen nicht allein ihr; der größte Theil davon gehörte ihm. Haben Sie Geduld mit mir, Sophie, mein Körper [203] ist sehr schwach. O! daß Sie doch zu mir kämen, und Beruhigung in meine Seele flößten, die des Trostes so sehr bedarf! Mit inniger Zärtlichkeit würde ich Sie an meine Brust drücken, und die Freude, Sie zu sehen, würde mich gewiß sehr erheitern. Erfüllen Sie, wenn es möglich ist, die Bitte

Ihrer Marie.

36. Brief. Sophie an Marien
Sechsunddreyßigster Brief
Sophie an Marien

Ja, Theuerste, ich will zu Ihnen kommen. In acht Tagen bin ich bey Ihnen. Ich fühle, daß auch mir eine Entfernung von hier nöthig ist. Dann wollen wir zusammen weinen, und eine in der andern Kummer Trost suchen. Auch mein Herz blutet noch oft, wenn ich an Karlsheim denke.

[204] Julie ist seit der Entwicklung ihres Schicksals ein ganz andres Geschöpf geworden. Ihr Auge ist heller, ihre Wange lebhafter; auch ihre Munterkeit und ihr Witz, durch das Unglück niedergedrückt, kömmt wieder hervor. Kurz, sie ist jetzt ein liebenswürdiges Mädchen, die auch durch andre Mittel, als durch die redende Miene ihres Kummers, die Herzen einzunehmen weiß. Ihre Hochzeit wird künftigen Donnerstag seyn.

Mein gütiger Onkel hat mir erlaubt, ihr meine Aussteuer zu schenken; auch mein Brautkleid und den dazu gehörigen Putz hat sie bekommen. Als ich ihr dieses antrug, wurde sie höchst gerührt, und sagte mir vieles zu meinem Lobe, das ich nicht ganz verdiene. Wäre ich nicht das schändlichste Geschöpf, wenn ich anders hätte handeln können? Und doch hält der größte Theil unsres Publikums meine Handlung für übertrieben. Meine Bekanntinnen spotten mit hämischer Schadenfreude darüber, und [205] nur wenige giebt es, die mich recht beurtheilen.

Neulich mußte ich in der Komödie ein Gespräch einiger Frauenzimmer anhören, die es nicht wußten, daß ich hinter ihnen saß.

»Wer hätte das gedacht, daß die Sache einen solchen Ausgang nehmen würde?«

»Ja wohl, wer hätte das denken sollen? Sie that ja so dick mit ihrem Karlsheim; wenn sie auf der Straße mit ihm gieng, sah sie triumphirend umher, als wollte sie aller Welt sagen: Seht, das bin ich. Es war ja kaum, als wenn sie einen noch kennte. Ich glaube auch, es wäre Karlsheim nie eingefallen, auf sie zu denken, wenn sie ihm nicht so nachgelaufen wäre. Allenthalben war sie ja hinter ihm her.«

»Ja, sie war bis über die Ohren in ihn verliebt, und man sagt auch, ihr Onkel möchte wohl gemerkt haben, wie sehr es ihr um einen Mann zu thun wäre, und daß es vielleicht nothwendig [206] wäre, ihr bald einen zu geben; er habe sie ihm also angetragen. Ich glaube es auch wohl, denn sie baten ihn ja gleich anfangs immer zu Gaste, und suchten ihn an sich zu ziehen.«

»Ich hätte ihn wahrhaftig nicht genommen, wenn er zu mir gekommen wäre. So ein Fremdling, den man nicht kennt! Ach! er that anfangs so süß gegen mich –« (er hatte sie erst kennen gelernt, als ich sie nebst den andern Mädchen an jenem Nachmittage, den ich Ihnen beschrieb, zu mir gebeten hatte – –) »daß es allen Leuten auffiel; aber ich sah ihn kaum an, und führte ihn bey jeder Gelegenheit ab.«

»Das habe ich nun zwar niemals bemerkt. Aber, wie gesagt, Sophie hat recht dumm gehandelt. Da er nun einmal ihr Bräutigam war, so hätte sie ihn auch sollen fest halten. Die andre muß ein listiges Mensch seyn, daß sie so bis auf die letzte Stunde gewartet hat. Es [207] ist ihr gewiß nur um ein gut Stück Geld zu thun gewesen, – denn, im Vertraun gesagt, sie soll nur eine gemeine Hure seyn, und wer weiß, ob das Kind nicht mehr Väter hat, als Karlsheim allein? – und da hätte ich doch lieber meinen Staat ein wenig eingeschränkt, und ihr eine Summe hingeschmissen, als mich so blamirt.«

»Ja, ja, das Ding muß so einen eignen Haken haben. Aber das weiß ich gewiß, so stolz sie auch immer that, so wird, aller ihrer Coketterie ohngeachtet, sich gewiß kein Liebhaber wieder zu ihr finden.«

»Werdet Ihr noch nicht aufhören, durch Eure Lästerzungen eure Nachbarn zu stören? Sophie wird gewiß eher zehn vernünftige Freyer finden, als Ihr einen. Ihr solltet es gar nicht einmal wagen, von ihr zu reden, da Ihr gar nicht einmal fähig seyd, ihr edles Betragen zu beurtheilen. Schämt Euch Eures Geschwätzes, [208] aus dem doch bloß Neid und Schadenfreude hervorleuchtet. Alles Zierens ohngeachtet ist doch gewiß keine einzige unter Euch, die nicht mit größter Freude Karlsheims Hand würde angenommen haben, und bloß Eure getäuschten geheimen Hoffnungen machen Eure Zungen so hämisch. Es ist nur gut, daß Euer Tadel wahres Lob für den ist, auf welchen er er fällt.«

So sprach die alte geheimde Näthinn B., eine verehrungswürdige Frau, von allen Guten geliebt, und von den Bösen gefürchtet, und sie schwiegen, wie vor den Kopf geschlagen. Der Beyfall dieser vortrefflichen Matrone ist mir wichtiger, als aller Spott und Tadel der Gänschen unsrer Stadt. Man läßt sie schnattern, ohne auf sie zu hören, und dann verstummen sie bald.

Karlsheim und Julie sind zwar über diese kleinen Geister zu sehr erhaben, um nur im mindesten auf sie zu hören; um sich aber doch gar keinen Unannehmlichkeiten auszusetzen, wird ihre [209] Hochzeit bey einem Pachter meines Onkels, eine Stunde weit von hier, gefeyert werden. Doch das alles beschreibe ich Ihnen im nächsten Briefe.

Sobald sie verbunden sind, und ich ihre Einrichtung besorgt habe; denn Julien sind die Preise der Sachen und alle solche Dinge hier ganz unbekannt: so komme ich zu Ihnen, liebe Marie, um in Ihren Armen auszuruhen.

Sophie.

37. Brief. Karlsheim an Wilhelm
Siebenunddreyßigster Brief
Karlsheim an Wilhelm

Vergieb mir, Wilhelm, wenn es mir unmöglich ist, dir heute etwas Zusammenhängendes zu schreiben. Die himmlische Güte meiner wiedergefundnenJulie, die mir alles vergiebt, und mich noch eben so zärtlich liebt wie sonst, die mir bisher unbekannten, unbeschreiblich süßen Vaterfreuden, Sophiens beyspiellose Großmuth, alles [210] das macht einen zu mächtigen Eindruck auf mich. Ewige Vorsehung! wie sind deine Wege so unerforschlich, und doch so weise! Mit heißester Inbrunst danke ich dir, daß du mir Unwürdigen noch ein solches Glück bereitetest, bey dem keine Gewissensbisse mich beunruhigen werden, daß du noch zu rechter Zeit mich rettetest.

Gott, noch zwey Tage, und es wäre zu spät gewesen. Eine fürchterliche Reihe schrecklicher Vorwürfe hätte dann ewig mich gemartert. Eine durch mich elend gemachte Mutter; ein verwaistes Kind; eine Gattinn, der mein Anblick mit jedem Tage Kummer und Abscheu eingeflößt haben würde! Ich mag nicht daran denken. Dank dir, gütiger Gott, daß du von diesem Abgrunde mich zurückzogst.

Liebster, bester Freund, komm zu mir, daß ich auch dich um Vergebung bitte, dich, dessen treuen Rath ich nicht hörte, daß ich alle Empfindungen meines Herzens vor dir ausschütten [211] kann. Nicht ich allein, auch meine geliebte Julie, Sophie und ihr trefflicher Onkel sehen dir mit Verlangen entgegen.

Dein glücklicher Karlsheim.

38. Brief. Marie an Sophien
Achtunddreyßigster Brief
Marie an Sophien

O Sophie, kommen Sie zu mir. Nicht nur mein innres Leiden zehrt mich ab; auch noch der nichtswürdige Wildberg sucht mich zu kränken. Er belästigt mich täglich mit seiner Gegenwart, weint mit heuchlerischen Thränen, als nähme er den größten Antheil an meinem Schmerz, fragt mich unruhig nach der Ursache meines Kummers und schwört, daß ihm sein Leben selbst nicht zu theuer seyn soll, um es für meine Zufriedenheit aufzuopfern. Bisher begnügte ich mich damit, ihm äußerst kalt zu begegnen, und hütete mich, so gegen ihn zu verfahren, wie ich sonst [212] würde gethan haben, um nicht Albrecht zu beleidigen, der sein eifriger Freund ist, und dem ich die wahre niedrige Gesinnung Wildbergs nicht entdecken mochte.

Diesen Morgen wurde er so unverschämt, mir ohne Scheu von Liebe vorzuschwatzen, und der Freche wollte sogar einige Liebkosungen wagen; aber ich verließ ihn mit der ganzen Verachtung, die er verdiente, und befahl meinen Leuten, niemand ungemeldet vor mich zu lassen. Mein Mädchen sagte mir, er hätte vor Zorn mit den Füßen gestampft, und im Weggehen drohende Worte ausgestoßen. Mag er doch. Mir soll seine Wuth nicht schaden. Aber, meiner Maaßregeln ohngeachtet, könnte er es vielleicht doch noch einmal versuchen wollen, zu mir zu kommen. Und ich wünschte mir Ihre Gegenwart, um mich vor allen solchen Unfällen zu schützen.

[213] Gott, wäre Albrecht doch erst wieder da! Es ist mir immer, als läge eine gewisse Ahndung schwer wie Bley auf mir. Es ist mir unmöglich, mich in den hiesigen Gesellschaften zu zerstreuen. Der Ton, der darinn herrscht, stimmt zu wenig mit meinen Grundsätzen und Empfindungen überein. Mich dünkt immer, es sey ein ungerechter sträflicher Raub, die Zeit, die Gott zu so edlen Endzwecken uns schenkte, damit zu tödten, daß wir sie vor dem Spiegel und Putztisch verschwenden, um den Nachmittag am Kaffeetisch mit Nichtswürdigkeiten, oft gar mit den schändlichsten Verläumdungen hinzubringen. Mein Innres empört sich immer, wenn es anhören muß, daß so hämischer Weise dem Nächsten Ehre und alles geraubt wird. Ich kann mich nicht enthalten, ihn zu vertheidigen, ob ich gleich wohl einsehe, daß es nichts hilft, und mich nur verhaßt macht.

[214] Noch kürzlich nahm eine solche mächtige vornehme Verläumderinn von einer monatlichen Abwesenheit eines jungen Mädchens Gelegenheit, ihr die schändlichsten Dinge nachzusagen, sie zu einer Hure und dergleichen mehr zu machen, die nur deswegen verreiste, um ihr Wochenbette heimlich zu halten. Ich kannte die Unschuld des Mädchens, das zwar sehr lebhaft ist, aber gewiß noch ein reines Herz hat, in welchem noch nie ein lasterhafter Gedanke entstand. Ich widerlegte die Beschuldigung, und bewies, daß sie falsch wäre. Was halfs indessen? Man schwieg zwar beschämt, aber bald sahen alle mit hämischem Lächeln einander an, und nachher haben sie denn gefunden, daß ich die Unterhändlerinn des jungen Frauenzimmers und ihres Galans sey.

Und was ist die Ursache dieses schändlichen Lasters? – Bosheit? Nein, Vater, so verkehrt schufst du das Herz deiner Menschen nicht! Gewiß giebt es nur wenige Menschen, bey denen [215] eigentliche Bosheit der Trieb zu diesem Laster ist: Langeweile und Eitelkeit. Manches unerfahrne Mädchen oder Weib geht vor Langerweile in Gesellschaft. Anfangs hört sie mit Unruhe die Lästerungen an, aber aus Gefälligkeit schweigt sie dazu. Bald sieht sie, daß Spöttereyen, skandaleuse Geschichten und dergleichen der Weg sind sich angenehm zu machen, Beyfall und Lob sich zu erwerben. Sie wendet also ihr Bißchen Witz dazu an. Nach und nach erstirbt auch der letzte Funken moralischen Gefühls, und sie durchschneidet des Nächsten Ehre eben so leicht, wie ein Stückchen Flor.

Gott im Himmel! wenn du einst von jedem unnützen Worte Rechenschaft von uns foderst, was wirst du dann von solchen Verläumderischen für Verantwortung heischen! Möchten doch in der Seele einer jeden, die nun da sitzt, und mit hämischem Witz die kleinste unschuldigste Handlung der andern verdreht, schrecklich die Worte [216] erschallen: So wie ihr richtet, werdet ihr auch wieder gerichtet werden! Möchte sie dann schnell ihre Rede endigen, und sich bemühen, das geschehene Unrecht nach allen Kräften wieder gut zu machen! Eile daheim, Unbesonnene, wirf dich vor deinem Gott nieder, und lies mit Andacht und Ehrfurcht die Bergpredigt unsers Erlösers, dieß göttliche Meisterstück! Und ist dann dein Herz ganz von den seligen Empfindungen der Bewundrung, der Liebe und Dankbarkeit durchdrungen, o so ruf ihn an – daß er dein Herz heilige, und es mit den erhabnen Gefühlen der Menschenliebe erfülle.

Sie fragen mich, Sophie, wie denn dem Uebel abzuhelfen sey? ob man sich durch Widerspruch dem Haß, den Bitterkeiten einer ganzen Menge aussetzen solle? Suchen Sie solche Gespräche zu vermeiden. Haben Sie Witz und Talente, o, so wenden Sie sie an, die Gesellschaft mit andern Dingen zu unterhalten. Suchen Sie [217] dieselben so interessant vorzutragen als möglich. Erzählen Sie merkwürdige edle Handlungen von andern. Will alles das nicht helfen; gähnt die ganze Gesellschaft: nun, so vermeiden Sie in Zukunft solche Besuche. Ist das nicht ganz möglich, so sprechen Sie von Putz, und dergleichen. Muß durchaus verläumdet werden, so wählen Sie zum Gegenstand ihrer Spöttereyen kleine unschädliche Thorheiten – das muß aber Ihr letztes Mittel seyn – und fallen doch Verläumdungen vor, die Ihrem Nächsten schaden könnten, so widerlegen Sie dieselben herzhaft, aber sanft und ohne Bitterkeit, und kehren Sie sich nicht daran, wenn eine oder die andre Ihnen ein scheeles Gesicht macht. Für dieß scheele Gesicht wird einst der Unschuldige Ihnen danken, dessen Ehre Sie retteten.

Verzeihen Sie meine Weitschweifigkeit, liebe Freundinn. Sie wissen ja einmal meine Art. [218] Erfüllen Sie meine Bitte, und kommen Sie bald in die Arme

Ihrer Marie.

39. Brief. Sophie an Marien
Neununddreyßigster Brief
Sophie an Marien

Der Himmel möchte unsern Assembleen und Kränzchen gnädig seyn, wenn Sie Präsidentinn unsrer Obrigkeit wären. Sie würden mit eben so viel Strenge als Sultan Maßoud die Verläumdung ahnden. Aber Scherz beyseite, meine Marie, ich pflichte Ihrer Meynung vollkommen bey. Ihr Brief hat eine sehr ernsthafte Wirkung auf mich gehabt, und ich empfand bittre Schaam und Reue über die unvorsichtigen Reden, zu welchen mich zuweilen meine geläufige Zunge verführte. Ich habe auch den festen Vorsatz gefaßt, sorgfältiger über mich zu wachen, und mich nie wieder durch meinen Leichtsinn zur [219] Tadelsucht gegen andre hinreißen zu lassen. Da es mir aber doch ein Bißchen schwer fallen möchte, alle spöttischen Anmerkungen zu unterdrücken, so will ich in Zukunft nur über meine eignen Thorheiten spotten. Mit diesem Vorsatz sind Sie doch zufrieden, liebste Marie, nicht wahr?

Den Tag vor der Hochzeit kam Wilhelm an.Karlsheim flog in seine Arme. Ihre Liebkosungen waren äußerst zärtlich, und Wilhelm schien sich sehr über die Wendung zu freuen, die seines Freundes Schicksal gehabt hatte. Wie ihre Freudenbezeugungen etwas vorüber waren, bemerkte er auch uns, – Julien und mich – und kam auf uns zu. Wir hatten uns vorgenommen, ihm nicht zu sagen, welche von uns die Braut wäre; sein Scharfsinn errieth es aber gleich. Er küßte mit Wärme Juliens Hand, und sagte auch mir viel Schönes, aber gar nicht in dem Ton der Schmeicheley unsrer jungen Herren. Ueberhaupt haben alle seine Handlungen [220] etwas Charakteristisches, das ihm sehr gut steht, und jede seiner unbedeutendsten Handlungen anziehend macht.

Ich würde nicht so viel von ihm geschrieben haben, wenn ich nicht aus einem Gemälde, das er im Ringe trägt, wüßte, daß er eine Braut hat. Und wäre auch das nicht, so ist doch mein Herz, durch meine Begebenheit mit Karlsheim, der Liebe auf ewig verschlossen. Ich gebe es zu, daß der Ehestand unsre Bestimmung ist, aber es giebt auch Ausnahmen. Man hat auch im ledigen Stande Gelegenheit genug, gut und nützlich zu seyn. Sie sollen mich in der Erziehungskunst unterrichten, liebe Marie, und dann will ich mir ein süßes Geschäft daraus machen, kleine Mädchen zu mir zu nehmen und zu erziehen. Mein sonst so flatterhafter leichtsinniger Geist, den Sie so oft vergebens auf ernsthafte Gegenstände zu richten suchten, findet jetzt selbst Geschmack [221] an ernsten Dingen; alle andere Spielereyen, die sonst mich ergötzten, sind mir verhaßt.

Julie war an ihrem Hochzeittage schön, wie ein Engel. Das schmachtende Wesen, welches ihr ehemaliger Kummer so fest in ihre Gesichtszüge gewebt hat, mit der stillen Freude, das Ziel ihrer Wünsche nun erreicht zu sehen, vereinigt, machte eine höchst liebenswürdige Vermischung in ihrem Gesichte. Sie trug ein simples weißes taffetnes Kleid mit einer blaßblauen Brustschleife. Sie hatte einen leichten Florputz um den Hals, und eben solche Aermel – Spitzen wollte sie nicht annehmen. Statt der jungfräulichen Krone hatte sie eine Rose auf ihrem blonden Haar, und einen Straus von Vergißmeinnicht vor ihrer Brust.Karlsheim betrachtete sie mit Entzücken, und sagte ihr, sie sey ihm jetzt schöner als an dem Tage, da er sie zuerst sah. Sie wurden in einer ländlichen Kirche getraut. Wir hatten den Weg dahin mit Blumen bestreut. Auch die Pfeiler [222] und den Altar hatten wir mit Blumenkränzen umwunden, und die jungen und alten Bewohner des Gütchens folgten paarweise uns nach. Die Traurede war kurz und rührend. Nach der priesterlichen Einsegnung kehrten wir in des Pachters Wohnung zurück. Vor dem Hause ist ein großer freyer Platz. Hier wurden drey Tafeln gedeckt. An der ersten saßen Braut und Bräutigam, der Prediger und seine Frau – ein rechtes gutes Weib – Wilhelm, mein Onkel, ich, unser Wirth, einige Aeltesten des Orts, in allem zwölf Personen. An der zweyten saßen alle Männer und Weiber, die alten und jungen, an der dritten das unverheyrathete junge Volk und die Kinder. Mein Onkel hatte für alle Tafeln simpel, aber gut zubereiten lassen; auch Wein und Bier floß reichlich, und es herrschte bald eine ungezwungne Fröhlichkeit unter allen Gästen.

Nach der Mahlzeit wurde getanzt. Dieses war zwar nicht nach dem Geschmack des jungen [223] Ehepaars, welches den Tag der Verbindung lieber in stiller Freude, ohne Geräusch, gefeyert hätte; aber sie mußten meinem Onkel nachgeben, der alles nach seinem Geschmack veranstalten wollte. Er selbst tanzte auch sehr rasch für seine Jahre mit der Braut und mit allen Weibern und Mädchen Menuet, und sah nachher mit vielem Antheil den englischen und schwäbischen Tänzen zu. Je lustiger es dabey zugieng, um desto mehr erfreute es den alten Mann, und er litt durchaus nicht, daß vor dem Anbruch des Morgens aufgehört wurde. Ein feyerlicher Kehraus mußte den ländlichen Ball schließen, und das junge Paar wurde von Anwesenden, unter Musik und Tanz, in das Brautgemach geführt. Einigemal rief mein Onkel mit gerührter Stimme aus: Wollte Gott, daß der alte Behrwald noch lebte, und daß ich ihm durch die Feyer dieses Tags vergelten könnte, was er an mir that!

[224] Es müssen besondre Umstände unter ihm und dem Seligen vorgefallen seyn; denn er gedenkt seiner niemals, ohne daß Thränen in seine Augen steigen. Ich muß doch einmal nach der wahren Ursache forschen.

Künftigen Sonnabend bin ich bey Ihnen, meine Liebe, und hoffe in Ihrer Gegenwart mein Herz völlig zu heilen. Julien scheint meine Entfernung nahe zu gehen. Wenn sie mich ansieht, so dringt noch immer eine Thräne der Rührung in ihr Auge, und ich habe oft Mühe, die häufigen Ausbrüche ihrer Dankbarkeit zu unterdrücken.

Leben Sie wohl, Theuerste! Der Himmel gebe, daß Sie mit erheiterter Seele finden mag

Ihre Sophie. [225]

40. Brief. Barthold an Eduard
Vierzigster Brief
Barthold an Eduard

Ich bin noch auf meinem Zimmer, und kann nur durch die dritte Hand Nachricht von Ferdinand erfahren. Morgen aber hoffe ich von meinem Arrest befreyt zu werden. Wie ich vor Gericht meine Aussage gethan hatte, erstaunten alle. Der Prorektor sagte mir nachher beym Herausgehen: »Er bedaure, daß ihn die Gesetze abhielten, meinen Arrest aufzuheben. Er sey aber von meiner Unschuld in der Sache hinreichend überzeugt, kenne mich auch schon lange von einer guten Seite, und würde suchen, mir bald meine Befreyung zu verschaffen.«

Klinge wird wohl relegirt werden: auch fürchte ich, daß das Schicksal des armen Ferdinands schwerlich viel besser seyn wird; denn man straft den Zweykampf hier sehr strenge.

Eben bekomme ich einen Brief von Ferdinands Vater. Man hat ihm den Verlauf der [226] Sache geschrieben, nebst der unglaublichen Summe Schulden, die Ferdinand hier gemacht hat. Der dienstfertige Scribent hat, allem Ansehen nach, die Sache noch übertrieben, und das Betragen seines Sohns äußerst schwarz gemalt; denn der Alte scheint sehr aufgebracht. Du kennst ja seine unbändige Hitze, ob er gleich sonst der beste Mann und zärtlichste Vater ist. Er ist schwer zu reizen, und übersieht besonders die Fehler seines Sohns nur zu sehr. Ist er aber auch einmal aufgebracht, so kennt man in ihm den Vater nicht mehr. Er hat einen Brief an Ferdinand eingeschlossen. Ich möchte ihn fast zurück behalten; er dürfte den jungen Menschen zu sehr niederdrücken. Doch nein, er soll ihn haben. Vielleicht werden diese gehäuften starken Eindrücke desto besser dazu dienen, ihn auf immer vor Ausschweifungen zu sichern. Ich schreibe dir bald mehr.

Barthold. [227]

41. Brief. Der alte Gudheim an seinen Sohn
Einundvierzigster Brief
Der alte Gudheim an seinen Sohn

Ungerathner Bösewicht, den ich nicht mehr meinen Sohn nennen kann, der mein graues Haar vor der Zeit in die Grube bringt! O daß ich das an dem Jungen erleben muß, der meine einzige Freude war, von dem ich hoffte, er würde mein Alter mir versüßen, und mein Trost im Leiden seyn! Aber nein! Ich habe dem Ungeheuer schon zu lange gelebt. Er konnte meinen Tod nicht erwarten, und sucht ihn durch seine schändliche Aufführung zu beschleunigen. Das ist dir nun zwar gelungen – ich fühle, daß ich dieses nicht lange überleben werde; – aber die Früchte, die du von meinem Tode hoffest, sollst du nicht genießen. Ich habe dich nichtswürdigen Buben enterbt, und mein Vermögen zu andern Endzwecken bestimmt, damit es doch nicht in lüderlichen Wollüsten verschwendet wird. Untersteh [228] dich nicht, mir jemals wieder vor Augen zu kommen. Dein Anblick würde mich auf der Stelle tödten. Meine alte Hand zittert mehr zu schreiben; ich muß aufhören, an den Bösewicht zu denken, dem ich das Leben gab.

42. Brief. Barthold an Eduard
Zweyundvierzigster Brief
Barthold an Eduard

O Gott, Eduard, was ist aus dem armen Ferdinand geworden! Eben bringt man mir die Erlaubniß wiederum auszugehen. Ich laufe zu Ferdinand. Das ganze Haus und die Wache ist in Aufruhr. Er ist in der Nacht entwischt, und niemand weiß, wohin. Auf dem Tische lag ein kleiner Zettel des Inhalts:

»Verzweiflung und Schande treiben mich von hier. Verflucht seyn meine Verführer, mein verdammtes Schicksal und ich selbst! –«

[229] Der arme Junge! Gewiß hat ihn seines Vaters harter Brief zu dem verzweifelnden Entschluß bewogen. Wer weiß, was nun aus dem Unglücklichen wird! O ich Thor, daß ich ihm den Brief gab! Ach! ich dachte nicht, daß er eine solche Wirkung haben würde. OFerdinand! wärst du doch wieder da! Könnte ich mein Versehen wieder gut machen! Man setzt ihm scharf nach. Hascht man ihn wieder, so wird seine Strafe sehr vergrößert seyn.

Gott, welch ein neuer Auftritt! Sein Vater ist hier. Gleich nachdem er seinen harten Brief abgesandt hatte, bereute ers. Er hatte sich die Verzweiflung seines Ferdinands vorgestellt. Seine Liebe war wie der aufgewacht, und hatte ihn hergetrieben. Nun hört er die Entweichung seines Sohns. O! du solltest den alten Mann sehen, wie er winselt und die Hände ringt, wie er sich die größten Vorwürfe über seine Härte[230] macht. Sein Zustand rührt auch die Wildesten zu Thränen.

Klinge ist auf Bitten seines Vaters auf zehn Jahre ins Zuchthaus verbannt. Man hat noch schändliche Dinge von ihm entdeckt. Zwey seiner Bekannten, die auch mit in Ferdinands Geschichte verwickelt waren, sind relegirt. Alle diese schrecklichen Auftritte haben mich so erschüttert, daß ich meinen Brief schließen muß.

Barthold.


N. S. Wie kömmts, daß ich so lange nichts von dir hörte?
43. Brief. Eduard an Barthold
Dreyundvierzigster Brief
Eduard an Barthold

Ein solches schreckliches Ende der Begebenheit unsers Ferdinands hätte ich nicht erwartet. Ich war ganz außer mir, als ich deinen Brief zuerst las. Armer Jüngling! Hättest du dir im Anfange [231] diese harten Folgen deines Fehlers vorgestellt! Gewiß, du hättest die Bahn der Tugend und des Fleißes nie verlassen. Wer weiß, wo er jetzt umher irrt, ein Raub der Verzweiflung! O daß doch sein unglückliches Beyspiel allen zur Warnung dienen möchte, die, unbesonnen wie er, den ersten Schritt zum Laster thun! Möchten sie doch vom Rande des Abgrundes zurückschaudern, vor dem sie stehen, und aufs neue Tugend und Fleiß liebgewinnen!

Gestern war auch noch in anderer Rücksicht ein angstvoller Tag für mich. Du kennst meine Lage. Ich war meinem Vorsatze treu geblieben, hatte Karolinen gemieden. Dieses bewirkte eine gewisse Melancholie in ihrem Wesen, die ihren Reiz sehr vergrößerte. Auch ich war stets in einer ängstlichen Lage bey ihr, und konnte meine Unruhe nicht ganz verbergen.

Ihr Onkel, der sie sehr zärtlich liebt, bemerkte bald die Veränderung, die mit ihr vorgieng; [232] auch meine Unruhe entwischte seinem scharfen Auge nicht. Er glaubte, daß unsre Liebe gegenseitig sey, und daß ich zu furchtsam wäre, die meinige zu gestehen. Er hat viel Neigung für mich, und wünschte unsre Verbindung, ob gleich Karolinens Schönheit und Vermögen auf die glänzendste Parthie Anspruch machen können.

Ich merkte wohl, daß er gestern Mittags etwas auf dem Herzen hatte. Nach einigem Räuspern fieng er nach Tische an:

»Sie haben nun lange genug dem Posten eines Sekretairs mit Fleiß und Treue vorgestanden. Ihre Geschicklichkeit macht Sie einer andern Versorgung werth, in der Sie Ihre Talente besser und thätiger nützen können. Die ** Stelle ist jetzt an unserm Kollegio offen. Unser Fürst hat mir aufgetragen, ein Subjekt dazu vorzuschlagen. Ich weiß keinen jungen Mann, der fähiger wäre sie gut zu bekleiden, als Sie. – Aber ich sehe, daß Sie stutzen. Ich kenne Ihr [233] feines Gefühl in solchen Sachen. Ich denke aber, es wird sich beruhigen, wenn ich Ihnen versichre, daß ich diesen Vorschlag nicht zuerst geäußert habe, sondern daß einige würdige Männer gleich auf Sie fielen. Sie können also diese Stelle sicher annehmen, ohne den Vorwurf zu befürchten, als hätte ich sie Ihnen verschafft. Auch andre Wünsche Ihres Herzens sind mir nicht unbekannt, liebster Sohn.«

– (so nennt mich der würdige Alte gewöhnlich –)

»Ich habe schon lange Eure Neigung bemerkt. Ich werde Eurer Liebe kein Hinderniß in den Weg legen. Meinen Segen und meine Einwilligung gebe ich euch von Herzen. Ihr seyd eines des andern werth.«

Die sanfteste Purpurfarbe bedeckte Karolinens Wangen. Meine Augen begegneten den ihrigen, und verschämt senkte sich ihr Blick zur Erde. Meine Verlegenheit war unbeschreiblich. [234] Und hätte nicht die Liebe selbst Mariens Namen mit den feurigsten Zügen in meine Seele geschrieben, ich wäre überwältigt worden, hätte das liebenswürdige Mädchen in meine Arme gedrückt. Aber ein Gedanke an die Erstgeliebte meines Herzens vernichtete schnell alle die Eindrücke, die des Mädchens Liebreiz und des Alten Güte auf mich machten.

»Karolinens Herz ist ein unschätzbares Kleinod – sprach ich gerührt – aber es muß nur einem solchen Besitzer zu Theil werden, der es nach seinem ganzen Umfang zu schätzen weiß, bey dem es unumschränkt regiert. Karoline muß in der Seele ihres künftigen Gatten ohne andre Nebengötzen herrschen. Ich verehre mit tiefer Werthschätzung die trefflichen Eigenschaften, die sie zu einem so liebenswürdigen Gegenstande machen, aber meine Liebe gehört schon seit mehreren Jahren einem Frauenzimmer, die auch eine der würdigsten ihres Geschlechts [235] ist. Ohngeachtet dieser Verbindung blutet mein Herz, die Güte eines so ganz verehrungswürdigen Mannes, und den Besitz des liebenswürdigsten Mädchens ausschlagen zu müssen, der – wäre meine Marie nicht auf der Welt – meine kühnsten Wünsche übersteigen würde. Entschuldigen Sie mich, ich bin zu bewegt und muß in der Einsamkeit mich zu fassen suchen. Glauben Sie, daß ich die ganze Größe des Opfers fühle, welches ich Marien bringe.«

Ich gieng hinaus, und sah Todtenbläße auf Karolinens Wangen. Mein Herz blutete für sie; ich sank betäubt auf eine Rasenbank.

»Wie, wenn Marie einen andern Geliebten – – –«

Ich zitterte, mochte den Gedanken nicht weiter denken. Nein, es ist unmöglich. Schöne Seele! die du nur Zärtlichkeit für mich athmetest, du bist mir treu, du liebst mich noch! Vergieb mir, angebeteter Abgott meines Herzens, vergieb [236] deinem Eduard diesen Zweifel. Nie komme ein ähnlicher wieder in meine Seele. Aber ich muß von hier abreisen. Es sey morgen.

Das war der Entschluß, den ich nach einer quaalvollen Stunde endlich faßte. Der geheimde Rath kam mir entgegen.

»Können Sie mir verzeihen, theuerster Mann?

»O! reden Sie nicht von Verzeihen, lieber Eduard! Ich verehre Ihre Treue gegen Ihre Geliebte. Aber warum waren Sie so geheim mit Ihrer Geschichte? Hätte Karoline Ihre Lage gewußt, so würde sie ihr Herz vor dem Eindruck der Liebe bewahrt haben; auch ich hätte dann ihre aufkeimende Neigung gleich anfangs erstickt.«

»Wenn meine Unvorsichtigkeit traurige Folgen fürKarolinens Ruhe haben sollte, so würden mich diese Vorwürfe ewig quälen; aber ich fürchte nicht, daß mich der Himmel so hart strafen wird.«

[237] »Ich fürchte für ihr empfindliches Herz. Doch, Mädchenliebe kömmt und geht. Ich hoffe, daß auch meine Nichte sich in die Umstände wird zu finden wissen. Aber dieser verunglückte Plan hebt meinen ersten Entwurf nicht auf. Ich trug Ihnen die Bedienung nicht an, um dem Gatten meiner Nichte eine Versorgung zu verschaffen, sondern um den Platz mit einem Mann zu besetzen, dem ich die Geschicklichkeit zutraue, ihm gut vorzustehen.«

Ich wurde von seinem Edelmuth durchdrungen, und erzählte ihm aufrichtig die ganze Geschichte, meine vorhabende Reise, und die Schwierigkeit, daßMarie mir hieher folgen würde. Er schüttelte den Kopf:

»Lieber Sohn, Sie können vielleicht glauben, daß die Liebe zu meiner Nichte mich so reden läßt, aber ich kann es Ihnen nicht bergen: Ihr Entschluß scheint mir unüberlegt. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Sie ein Mädchen, [238] von dem Sie in drey Jahren nichts hörten, noch treu, noch auf sich wartend finden werden.«

»Sie kennen die standhafte Seele meiner Marie nicht. Unsre Liebe war kein Bündniß des Eigennutzes, oder sinnlicher Triebe; es war die Vereinigung zweyer Seelen, die es fühlen, daß sie ganz Eins sind, daß keins ohne das andre leben kann, ohne sich von sich selbst getrennt zu glauben.«

»Hätte ich Ihnen doch nicht so viel Empfindsamkeit zugetraut« – (sagte er mit einem Lächeln, das bey jedem andern mich würde beleidigt haben, bey ihm aber schmerzte es mich bloß –) Es wäre grausam, Sie von Ihrem Vorsatz abzuhalten. Reisen Sie ab, sobald es Ihnen beliebt, und ich wünsche aufrichtig, daß Sie die Gebieterinn Ihres Herzens Ihren Wünschen getreu finden mögen. –«

Ich antwortete bloß mit einer Verbeugung, und eilte auf mein Zimmer, voller Schmerz, [239] mich so von ihm verkannt zu sehen; denn dieses mußte ich aus dem zweydeutigen Ton und Gesichte schließen, mit dem er die letzten Worte sagte. Mags doch seyn! Es verkenne mich die ganze Welt, beurtheile meine Handlungen falsch, nenne mich immerhin einen empfindsamen Schwärmer; ein Blick von dir, meineMarie, wird für das alles mich schadlos halten. Was kümmert mich die Welt mit allen den kalten fühllosen Menschen, die drauf herum wandeln? Wenn du nur mich liebst! Wenn nur eine Thräne von dir meine treue Liebe segnet, so bin ich unaussprechlich glücklich!

Ich werde morgen in aller Frühe hier abreisen, ohne Karolinen zu sehen. Eine Zusammenkunft würde uns beyde verlegen machen. Möchte doch das gute Mädchen ihr Herz beruhigen, und einen andern Gegenstand finden, der ihre Liebe besser zu schätzen weiß als ich!

[240] Der Gedanke, nun bald meine Marie wieder zu sehen, bringt mein ganzes Wesen in Wallung. Wäre ich nur erst bey dem himmlischen Geschöpfe! Wie unerträglich langsam werden mir die Tage während der weiten Reise schleichen! O! gienge sie so schnell wie meine Wünsche: so läge ich schon jetzt zu ihren Füßen.

Eduard.

44. Brief. Amalie an Wildberg
Vierundvierzigster Brief
Amalie an Wildberg

Der verwünschte alte Geck nebst seiner hochweisen Frau Gemahlinn! Mir einen solchen Queerstrich durch meine Rechnung zu machen! Alle meine Plane sind vereitelt. Womit mag ich wohl das Schicksal beleidiget haben, daß es immer meine Absichten vernichtet, wenn ich der Erfüllung so nahe bin? Doch, wenn Sie mich verstehen sollen, muß ich Ihnen wohl eine umständlichere [241] Erzählung machen. Wir sind ja nun einmal durch sonderbare Umstände seit anderthalb Jahren vertraute Freunde geworden, und haben seit der Zeit keine Geheimnisse mehr für einander gehabt.

Ich schrieb Ihnen doch vor einiger Zeit von dem jungen Baron L. dem Vetter meiner gnädigen Frau. Er ist ganz gut gebildet, ist der einzige Erbe eines reichen Vermögens, hat nur gerade so viel Verstand, als er braucht, um dereinst den Befehlen seiner künftigen Frau Gemahlinn, ohne weitere Untersuchung und Widerrede, Folge zu leisten, ist also ganz der Mann, den ein Frauenzimmer von meiner Denkungsart sich nur wünschen kann. Dieser junge Herr also verliebte sich gar ernstlich in mich. Ich spielte die Spröde gegen ihn sehr gut, redete viel von Tugend und Ehre, ließ ihn mondenlang seufzen, ohne ihm die mindeste Hoffnung zu machen, und als seine Liebe nun auf dem höchsten Punkt getrieben war, [242] und er zu meinen Füßen kniend aufs dringendste um Erhörung flehte; da stellte ich mich auch gerührt. Ich bat ihn mit Thränen, mich zu verlassen, verwünschte den Unterschied des Standes, der das Hinderniß unsrer Liebe wäre, denn ich würde nie einem Manne mein Herz schenken, mit dem nicht priesterliche Einsegnung mich verbände. Zum ersten und letzten mal gestände ich ihm, daß er den tiefsten Eindruck auf mich gemacht hätte, aber ich beschwöre ihn, wenn er einige Zärtlichkeit für mich besäße, mich nie wieder zu sehen, und michmeinem unglücklichen Schicksal zu überlassen.

Diese Erklärung überwog bey einem so schwachen Kopfe, wie meines Barons seiner war, alle adelichen Vorurtheile. Er trug mir seine Hand an. Die Einwendungen, die ich zum Schein machte, wurden leicht gehoben, und es wurde eine heimliche Heyrath verabredet. Dieses hatte ich gewünscht. Er war der einzige Sohn einer [243] Mutter, und ihr Abgott. Waren wir einmal verehlicht, so hoffte ich sicher, daß seine Bitten und meine Schmeicheleyen die Alte erweichen würden. Dann war ich gnädige Frau – Sie wissen, Wildberg, daß ich den adelichen Stand sehr liebe – Besitzerinn eines Vermögens, mit dem ich nach meinen Phantasien schalten und walten konnte. Herrliche Aussichten! O warum mußten sie so vereitelt werden?

Meine einzige Sorgfalt gieng nun dahin, unser Verständniß bis nach der Trauung geheim zu halten. Vergebliche Vorsicht! Der Baron war nicht dazu gemacht, sich zu verstellen. Die gnädige Frau merkte Unrath. Sie ließ uns belauren; wir wurden behorcht, als wir eben von unsrer Verabredung sprachen, und sie erfuhr die ganze Geschichte. Man ließ sich gegen uns nichts merken, aber der gnädige Herr sandte einen heimlichen Boten an die alte Baronesse, und malte ihr in einem Briefe die Gefahr ihres Sohns so [244] groß ab, daß er Vollmacht von ihr erhielt, mit demselben alle die Maaßregeln zu nehmen, die er für die zuträglichsten halten würde. Ich mußte auf einen ganzen Tag mit der gnädigen Frau auf ihr Landgut reisen. Unterdessen nahm ihr Gemahl meinen Baron auf sein Zimmer, stellte ihm die schädlichen Folgen vor, die eine Heyrath mit mir haben würde, und redete zuletzt mit so viel Ernst, daß der furchtsame Tropf aufs feyerlichste versprach, auf immer von mir abzulassen. Der gnädige Herr, der schon vorher alle dazu nöthigen Anstalten getroffen hatte, sandte ihn nun noch denselben Tag an den Hof zu B. Ein erfahrner Hofmeister begleitete ihn, und hatte den strengsten Auftrag, ihn die zwey Monate seines dortigen Aufenthalts keinen Augenblick aus den Augen zu lassen.

Als wir am Abend zurückkamen, war der Baron fort, und Ihro Gnaden erläuterten mir nun gnädigst die ganze Sache. Diese Erläuterung [245] war nichts weniger als angenehm für mich, zumal da sie mit einigen ernstlichen Verweisen verknüpft war. Ich suchte mich, so gut ich konnte, zu entschuldigen, aber vergebens. Man erklärte mir, daß ich binnen acht Tagen das Haus verlassen sollte. So lange wollte man mir Zeit lassen, theils darum, damit niemand die wahre Ursache meiner Verabschiedung ahndete, theils auch, damit ich mich erst nach einer andern Stelle umsehen könnte.

Es bleibt mir also kein andres Mittel übrig, als wieder nach meiner Vaterstadt zurückzukehren. Ich werde denn freylich die Ursache meiner Wiederkunft ganz anders erzählen, als ich sie Ihnen geschrieben habe. Genug, daß mir der infame Vorfall äußerst fatal ist. Glauben Sie wohl, Wildberg, daß es mich jetzt sehr gereut, daß ich Albrecht nicht fester gehalten habe? Hätte ich mir nicht damals sichre Rechnung auf den Hauptmann von B. gemacht, wäre ich nicht, [246] als ihn sein Regiment nach S – s rief, um mit ihm in einer Stadt zu seyn, als Gesellschafterinn mit meiner gnädigen Frau gereist, so hätte wahrlich Albrecht niemals der empfindsamen Marie zu Theil werden sollen. Es ist wahr, man hatte ihm meinen Umgang mit dem Hauptmann verdächtig gemacht; seine Liebe zu mir war schon im Abnehmen; er hatte Marien in einer Gesellschaft gesehen; war – so drückte er sich damals aus – von ihrem vortrefflichen, reellen Geist und Charakter bezaubert worden. Aber, aller dieser mislichen Umstände ohngeachtet, wäre es mir doch ein leichtes gewesen, ihm seinen Verdacht zu benehmen, seine Liebe zu mir wieder anzufeuern, und ihm Marien als die abgeschmackteste Person vorzumalen, wenn ich nur gewollt hätte.

Ich Thörinn, daß ich nicht wollte, daß ich Titel und Rang einem guten Auskommen vorzog! Der undankbare Hauptmann. Wie schlecht [247] belohnte er meine Liebe! Doch ich mag an diese Dinge nicht denken, sie machen mich nur noch melancholischer. Ich lege Ihnen hier ein Zettelchen, in unsrer Sprache geschrieben, bey. Sie werden daraus sehen, daß mir daran liegt, die darinn enthaltnen Dinge vor meiner Abreise beantwortet zu sehen. Schreiben Sie also mir eiligst Nachricht darauf. Ich wünschte, daß Sie mir einen recht langen interessanten Brief schrieben, mit welchem ich mich in der Postkutsche amüsieren könnte; denn meine Reisegesellschaft wird sehr trauriger Art seyn.

A propos, Wildberg, es fällt mir eben ein, daß Sie selbst einmal stark von Marien angeschossen waren. Das ist doch, hoffe ich, längst vorüber, sonst würden Sie mir wohl meine Aeußerung von ihr nicht verzeihen. Ich möchte nur wissen, was das wimmernde, moralisirende Geschöpf Anzügliches für die Männer haben kann. Leben Sie wohl, und lassen Sie mich künftigen [248] Posttag nicht vergebens auf einen Brief warten. Ich glaube, es sind wenigstens acht Wochen, daß ich nichts von Ihnen sah und hörte.

Amalie.

45. Brief. Wildberg an Amalien
Fünfundvierzigster Brief
Wildberg an Amalien

Ich nehme den größten Antheil an Ihrem Kummer,Amalie. Der Rückfall von der Baronesse zum bürgerlichen Mädchen mag nicht der angenehmste seyn. Sie hätten sich mit Ihrem jungen Herrn Baron hurtiger expediren sollen, ehe Ihnen die Alten in die Queer hätten kommen können. Daß die verschlagne Amalie nicht merkte, warum man mit ihr aufs Landgut reiste, wundert mich sehr.

Sehen Sie, dieser spöttische Ton – den ich gern noch weiter fortsetzte, wenn ich Sie nicht zu sehr zu beleidigen fürchtete – ist Wiedervergeltung [249] für das, was Sie mir von Marien schrieben. Ein Frauenzimmer kann so wenig von dem andern urtheilen, als der Blinde von der Farbe; denn ihre Augen, so hell sie auch sonst sehen mögen, werden in diesem Fall immer von einerley Leidenschaften geblendet. Also wundert es mich gar nicht, Sie über Marien spotten zu hören. Um eben so aufrichtig zu seyn, wie Sie, muß ich Ihnen auch offenherzig gestehen, daß ich oft über mich selbst spotte, und nicht begreifen kann, wie es möglich ist, daß ich ein Frauenzimmer von Mariens Art schon seit so langer Zeit mit der größten Heftigkeit liebe, daß ich auch noch jetzt – ob ich gleich aufs bitterste von ihr beleidigt bin, ob ich gleich in meinem Herzen ihr die stärkste Rache schwur – dennoch zu Zeiten ihren Besitz wünschen kann.

Albrecht ist verreiset. Er trug mir auf, während seiner Abwesenheit oft zu seiner Frau zu gehen. »Sie wäre seit einiger Zeit sehr melancholisch, [250] ich möchte doch suchen, ihren Kummer zu erforschen und zu zerstreuen; denn das weinerliche Wesen hasse er bis in den Tod.«

Der Tropf! Er wußte nicht, daß er den Bock zum Gärtner machte, und daß es gewiß nicht an mir lag, wenn er ohne Hauptschmuck von seiner Reise wiederkehrte. Ich benutzte die Gelegenheit Marien zu sehen sehr häufig. Ich sparte keine Bitten, keine Schmeicheleyen, sogar wußte ich Thränen aus meinen Augen zu pressen. Alles umsonst. Sie war taub gegen meine Bitten, hörte mit verächtlichem Blick meine Schmeicheleyen, und blieb bey meinen Klagen und Thränen fühllos. Dieser Widerstand erhitzte mich nur noch mehr. Als mein Flehen nichts half, versuchte ich Gewalt. Ich wollte sie in meine Arme schließen. – Sie saß auf einem Kanapee, welches mir auch noch zu andern Liebkosungen bequem schien, zu denen ich bey ihr hinaufzusteigen hoffte; – aber, hilf Himmel, mit welch [251] einem Wesen riß sie sich los! Sie gab mir – kaum kann ich vor Wuth diese verdammten Worte schreiben – eine Ohrfeige und gieng aus dem Zimmer. Beynahe schäumend gieng ich fort, und schwur mich zu rächen, es koste auch was es wolle. Und diesen Schwur will ich halten. Dieß ist die erste Ohrfeige, die ich bekam, und du sollst sie theuer büßen. Zorn und Rache haben meine Liebe überwältigt. Du sollst sehen, was Wildberg vermag, wenn man ihn aufbringt!

Ich habe da so einen Plan, Amalie, der Sie auch mit angeht. Wir wollen mündlich davon reden. Sie werden aus der Beylage sehen daß ich es aus Ursachen für besser halte, wenn Sie sich eine halbe Viertelstunde von der Stadt bey der Wittwe A. eine Wohnung miethen. Dieß ist wirklich weit besser als in der Stadt selbst, und erweckt Ihnen, außer den Ihnen bekannten Gründen, weit besser den Ruf einer [252] anständigen eingezognen Lebensart; denn da Ihre Tante todt ist, können Sie doch, als ein lediges Frauenzimmer, nicht mit Anstand eine Wohnung hier beziehen.

Ich werde Ihnen eine Stunde weit entgegen kommen, und freue mich sehr, Sie wieder zu sehen. Ich bin heute gar nicht in der Laune einen langen Brief zu schreiben, glaube auch übrigens, daß Ihre eignen Gedanken weit mehr vermögend seyn werden, Sie auf Ihrer Reise zu beschäftigen, als mein Brief.

Der Ihrige Wildberg.

46. Brief. Sophie an Julien
Sechsundvierzigster Brief
Sophie an Julien

Ihre zärtliche Freundschaft, meine Julie, ist gewiß bey dem heftigen Gewitter für mich besorgt gewesen. Wir bekamen es auch wirklich unterwegs. [253] Bey unsrer Abreise war der Himmel so schön und heiter, daß auch wir diese Stimmung annahmen. Auf einmal erschienen Wolken. Es wurde fürchterlich dunkel; die Arbeiter eilten alle von den Feldern; sogar die Vögel schienen in ihre Wohnungen zu fliehen. Wir stiegen aus, und indem zersplitterte ein starker Schlag die majestätische alte Eiche, unter deren Zweigen wir Schutz suchten. Unsre Pferde wurden flüchtig, und liefen mit dem Kutscher und Wagen davon.

Ich war ganz betäubt, und mein Onkel schleppte mich mit vieler Mühe fort, um mit mir auf ein Dorf zu kommen, welches wir vor uns liegen sahen. Es fiel ein starker Platzregen, der den Erdboden so glatt machte, daß ich bey jedem Schritt wieder zurücksank. Endlich kamen wir abgemattet und durchnäßt in einem Bauernhause an. Ohngeachtet es schon dunkel war, sandten wir doch gleich einen Boten – der sich [254] freylich nur durch vieles Bitten und Geld dazu brauchen ließ – nach unserm Kutscher und Wagen aus. Man fand bey des am Fuße eines steilen Bergs, den die Pferde herunter gestürzt waren. Der arme Friedrich lag ganz zerquetsche da, gab aber doch noch Zeichen des Lebens von sich. Ich machte ihm Umschläge von warmem Wein, und schickte nach einem Chirurgus. Dieser giebt zwar Hoffnung zu seiner Genesung, aber ein Bein wird er wohl verlieren. Der arme Kerl! Es war eine gute treue Seele; sein Schicksal geht mir nahe. Denn wenn auch mein Onkel für seinen lebenslangen Unterhalt sorgt, so ist doch nichts vermögend, ihm den Verlust seiner Gesundheit zu ersetzen.

Ach! man sollte doch ja stets gut und liebreich gegen Dienstboten seyn. Diese armen Leute müssen sich für uns so manchen Gefahren ausfetzen, und doch belohnen wir sie gewöhnlich nur mit Härte und Unterdrückung, sind so besorgt, [255] Ihnen jede kleine Lebensfreude zu verbittern, und sie stets die tiefe Abhängigkeit fühlen zu lassen, in der sie gegen uns stehen. Ein liebreiches und sich immer gleiches ernstes Betragen würde uns die Herzen dieser armen Menschen gewinnen, und weit besser auf sie wirken, als die große Strenge, mit der wir gegen sie verfahren. Aber leider sind sie der Gegenstand, an dem man gewöhnlich jede üble Laune ausläßt; und indem manche oft zu andern Zeiten allzugroße Vertraulichkeit gegen sie hegen, und ihnen Geheimnisse aller Art anvertrauen, machen sie dieselben falsch und niederträchtig, und setzen sich allen Folgen der Geschwätzigkeit ihres Gesindes aus. Es ist wahr, es ist sehr schwer, die Mittelstraße zwischen Familiarität und zu großer Entfernung zu halten. Beydes verdirbt gleichviel.

Ich glaube, man muß mit seinen Leuten nicht mehr reden, als die Umstände nöthig machen, aber dieses Wenige mit Güte und Sanftmuth. [256] Man muß sie nie zu Vertrauten seiner eignen Handlungen machen, wohl aber in den ihrigen ihnen mit Rath beystehen. Man muß nie befehlen, ohne erst den Befehl gehörig überlegt zu haben, damit man nicht oft nöthig hat zu widerrufen; dadurch verliert er sonst den Eindruck, und wir gerathen bey ihnen in Verdacht, daß wir ohne Grund befehlen, und bloß unsern Launen folgen, und dieses macht sie unwillig uns zu gehorchen. Man muß ihnen aber doch auch zu Zeiten erlauben, uns in Dingen, worinn sie mehr Erfahrung haben, als wir, mit Bescheidenheit Gründe anzuführen, wenn ihnen das, was wir befohlen, nicht vortheilhaft für uns scheint. Und alsdann muß man auch nicht hartnäckig seyn, ihrem Rathe zu folgen, wenn er wirklich gut ist. Dieses hat für uns einen vorzüglichen Nutzen, wenn wir Neuerungen oder Abweichungen ihrer gewöhnlichen Art zu handeln von Ihnen fodern, weil uns alsdann ihre Einwendungen [257] Gelegenheit geben, sie desto besser von unsrer Sache zu überzeugen. Merkt man aber, daß sie sich uns aus bloßem Eigensinn und Verdrossenheit widersetzen, so muß man sie strenge anhalten, uns genaue Folge zu leisten.

Versehen sie etwas, so verweise man es ihnen nach Maaßgabe des Fehlers, doch ohne Schimpfreden; denn diese erniedrigen uns bis zu ihnen, oft unter sie, machen uns verächtlich, und dienen nur, sie zu erbittern und boshaft zu machen. Uebrigens halte man sie gut im Essen und Trinken, gebe ihnen einen guten Lohn – denn das sind die Dinge, die vorzüglichen Eindruck auf sie machen, weil alle ihre Handlungen hauptsächlich durch sinnliche Gefühle geleitet werden – halte sie aber auch dafür zu strenger Ordnung und Arbeitsamkeit in Geschäften an. Man gewöhne sie durch sein Beyspiel zur Reinlichkeit; man halte sie zu den Uebungen der Religion an, und zeige ihnen, daß man selbst Gott von ganzem [258] Herzen verehrt. Beobachtet man dieses Betragen, so wird man gewiß selten Klagen über das Gesinde zu führen brauchen. –

Ich sehe Ihr Erstaunen über meine Weisheit, liebeJulie, denn man ist sonst eben nicht gewohnt, dergleichen ernsthafte Betrachtungen aus meinem Gehirne kommen zu sehen. Ich will Ihnen auch nur lieber gleich gestehen, daß ich mit einem fremden Kalbe gepflügt habe, und daß ich Sie nur überraschen wollte. Hören Sie also an:

Wir giengen, wie ich Ihnen schon erzählt habe, in ein Bauernhaus. Aber dieses Haus hatte nur eine Stube, und diese Stube war so voll von Alten und Kindern, von Knechten und Mägden, daß es unmöglich war, noch ein Plätzchen für uns darinn zu finden.

»Ist denn hier im Dorfe kein gutes Wirthshaus? fragte mein Onkel.«

[259] »Nein! für vornehme Leute ist es wohl eben nicht eingerichtet, denn es trifft sich sehr selten, daß jemand hier ein Nachtlager sucht.«

»Weißt du was, Christoffel, – sprach die Frau – bring sie hin nach der Pfarre. Da unser Pastor und die Frau Pastorinn so liebreich gegen unser einen sind, so werden sie es ja auch gegen diese Fremden seyn. –«

Nun sprachen auf weiteres Nachfragen meines Onkels alle die Bauern mit solcher Ehrfurcht und Liebe von ihrem Pfarrherrn, daß wir begierig wurden, diese Familie kennen zu lernen. Wir ließen uns also hinführen. Sie schienen eben zu Bette gehen zu wollen; als wir aber den Unfall erzählten, der uns hergeführt hatte, empfiengen sie uns sehr freundlich. Die Pastorinn besorgte reine Wäsche und trockne Kleider für uns, und war so gütig, uns mit einer stärkenden Suppe, die sie sehr geschwind verfertigte, zu erquicken.

[260] Der Pfarrer ist ein Mann von sechzig Jahren, aber noch so stark und munter, als wäre er erst vierzig. Eine stete Heiterkeit, ein heller Verstand, Kenntnisse mit Erfahrung vereinigt, machen ihn zum angenehmsten Gesellschafter. Er ist nun schon vierunddreyßig Jahre Prediger in diesem Dorfe, welches wegen der schlechten und rauhen Lebensart seiner Einwohner bekannt war. Er hatte erst einige saure Jahre; aber zuletzt gelang es ihm, durch unermüdeten Fleiß, durch stete Leutseligkeit, und vorzüglich durch seinen frommen Wandel, die Herzen seiner Bauern zu gewinnen. Er gieng oft selbst zu ihnen, erzählte von seinen Universitätsjahren, von seinen Reisen, und, ohne daß sie selbst seine Absicht merkten, wußte er beständig gute Lehren in seine Erzählungen zu mischen, und so besserte er zugleich ihr Herz, und klärte ihren Verstand auf. Seine Predigten waren stets faßlich, und griffen an das Herz. Im Anfange giengen die Bauern selten[261] zur Kirche, jetzt aber war es ein Wunder, wenn Sonntags mehr als einer in einem Hause zurück blieb. Man konnte dann gewiß auf eine Krankheit rechnen.

Der Kranken nahm sich die Frau Pastorinn vorzüglich an. Sie pflegte und wartete sie selbst mit unermüdeter Sorgfalt, erquickte sie durch stärkende Speisen, und war bemüht die Vorurtheile auszurotten, welche gewöhnlich die Krankheiten dieser Leute hartnäckig zu machen pflegen.

Auch in der Kinderzucht machte sie manche heilsame Veränderung. Die Kinder waren bisher bis ins zwölfte Jahr ganz ohne Aufsicht, wie das liebe Vieh, umher gelaufen, und wußten, wenn sie confirmirt wurden, kaum die zehn Gebote und die drey Glaubensartikel papageyenmäßig herzuplappern. Der Pfarrer setzte einen wackern Schulmeister her, der die Kinder treu und gut unterrichtete, und sie lesen lehrte. Nachher machte er selbst ihnen die heiligen Wahrheiten[262] unsrer Religion bekannt; er brachte ihnen auch in einer andern Stunde die nöthigen Kenntnisse vom Feldbau bey, und lehrte sie oft in Spaziergängen aufs freye Feld die Weisheit und Größe des Schöpfers bewundern.

Die Frau Pastorinn lehrte zu gewissen Stunden des Tags die Mädchen allerley weibliche Arbeiten, und sie hat die jungen Bäuerinnen wirklich so weit gebracht, daß sie jetzt jährlich durch Weißnähen große Summen aus der Stadt verdienen. Auch verfertigen sie alle ihre Kleidungsstücken selbst, und sogar der Mannspersonen ihre.

»Aber – so unterbrach ich sie – wo nehmen sie denn die Zeit dazu her? Leidet nicht die Haushaltung und die Feldarbeit darunter? Ihr Einwurf, meine Liebe, ist sehr vernünftig. Wenn nicht die Zeit zu solchen Arbeiten auf eine andre Art erspart würde, so wären diese Beschäftigungen sehr schädlich für meine Landleute, und der Gewinn ihrer Arbeit würde lange nicht [263] hinreichen, den Schaden zu ersetzen, der aus der Vernachläßigung ihrer Haushaltung entstünde. – Sonst brachten die Bäuerinnen wöchentlich drey halbe Tage damit zu, um dem wollüstigen Städter an den Wochenmärkten die Lebensmittel aus ihrer Haushaltung zuzutragen, die sie oft sich selbst entzogen. Dieses hat viele schädliche Folgen für sie. Sie nehmen dadurch manche üppige Stadtsitte an, sie werden zum Wohlleben gewöhnt, lernen allerley Bedürfnisse kennen, von denen sie vorher nichts wußten. Wenigstens ein Drittel dessen, was sie lösen, wird für Näschereyen oder andre eben so entbehrliche Dinge ausgegeben. Sie bekommen Geschmack am Müssiggehen und Herumschlendern, und entblößen ihre Haushaltung von allerley nöthigen Sachen, die sie selbst brauchen müßten, theils aus Geldgier, theils um nur einen Vorwand zu haben, nach der Stadt zu gehen, mancher andern schädlichen Folgen nicht [264] einmal zu gedenken. Es hat mir unsägliche Mühe gekostet, diesen üblen Gebrauch abzustellen; aber endlich bin ich doch, mit Hülfe meines Mannes, durchgedrungen.«

»Aber wo lassen denn die Bauern das, was sie überflüßig haben? Oder bauen sie nicht mehr Früchte als sie brauchen?«

»Gerade umgekehrt. Sie bauen mehr zum Verkaufe als sonst. Jeder sammelt seine Eyer, seine Butter, seine Gartenfrüchte, und was er sonst Entbehrliches hat, zusammen. Alle Monate gehen zwey Fuhren von hier ab, nach einer Stadt, die eine Stunde weiter von hier entfernt liegt, als die, nach welcher sonst die Bauern giengen, und in der man die Victualien nicht so theuer bezahlte. Auf diesen Wagen packt nun jeder seinen Vorrath besonders zusammen. Zwey bejahrte Männer und Frauen, welchen die Dorfschaft dafür eine gewisse kleine Einnahme giebt, und die wegen ihrer Ehrlichkeit [265] bekannt sind, fahren mit, und verkaufen die Sachen. Ein jeder bekömmt das, was aus seinem Vorrathe gelöset ist, und hat den Vortheil, das Geld auf einem Haufen einzunehmen, das er sonst groschenweise einnahm, und wieder durch die Finger gehen ließ, ohne großen Nutzen davon zu haben. So aber, da er mehr auf einmal einnimmt, wendet er das Geld an, die großen Punkte seiner Ausgaben damit zu bestreiten und vertändelt nichts davon. Die Weiber bringen die Zeit, welche sie sonst zu ihren Wanderungen nach der Stadt brauchten, mit Nähen zu, und auch die kleinen Kinder, die sonst sehr lange müßig herum liefen, werden gleich früh zur Arbeitsamkeit gewöhnt.

Auch den Juden, und den herumziehenden Galanteriekrämern, die sonst unsern Landleuten manchen Groschen und Thaler für unnütze Waaren abschwatzten, und ihnen für ihr baares Geld den Ausschuß dessen gaben, was der Städter [266] nicht wollte, haben wir den Eingang verschlossen. Dasjenige, was unsre Einwohner an Kleidungsstücken nothwendig brauchen, lasse ich in Quantität kommen, und sie stehen sich viel besser dabey. Dieses ist aber ein seltner Fall; denn die meisten Kleidungsstücke, die hier die Männer und Weiber tragen, bestehen aus Zeugen, die ich sie selbst machen lehrte, und die, ihrer Stärke und ihres guten Aussehens wegen, auch außerhalb dieses Dorfs von ihnen verkauft werden.«

Ich hörte dieser Frau mit Aufmerksamkeit und Bewundrung zu. Sie sagte dieses alles gar nicht im Lehrton, oder mit einem gewissen ruhmredigen Wesen, sondern ihr Vortrag war so sanft und leutselig, daß es immer schien, als wollte sie in manchen Dingen mich um meine Meynung fragen, und sich daraus belehren.

Auf mein Befragen erzählte sie mir denn auch ihre Verfahrungsart mit ihrem Gesinde, – deren [267] ich oben gedacht habe. Nur vermag ich nicht ihren schönen faßlichen Vortrag nachzuahmen. –

»Auf diese Art, sprach sie, gelingt es mir, stets gute Leute zu haben, die sich nur dann von mir trennen, wenn sie heyrathen. Dieses geschieht nun zwar häufig; denn da ich immer junge Mädchen in meine Dienste nehme, die ich unterweise, so drängen die Alten unsers Dorfs ihre Söhne, ihnen diese Mädchen zu Schwiegertöchtern zu geben. Die jungen Kerls bewerben sich auch von selbst lieber um sie, als um andre, weil sie gute arbeitsame Haushälterinnen von ihnen erwarten.«

– Es ist eine Lust, zu sehen, wie flink und reinlich die Mädchen der Pastorinn sind –

»Es ist zwar etwas lästig für mich, so oft neue Mädchen zu haben, die ich denn immer erst an meine Art gewöhnen muß; aber ich nehme diese Mühe gern über mich, und die Mädchen erleichtern sie mir auch durch ihre [268] Willfährigkeit und Aufmerksamkeit; denn jede freuet sich, wenn ich sie in Dienste verlange. Gewöhnlich aber wähle ich die Unwissendsten dazu, um unser Dorf, so viel möglich, mit lauter guten Hausfrauen zu versehen.«

Diese bescheidne Frau sagte mir nicht einmal alles. Sie giebt jedem dieser Mädchen eine artige Aussteuer mit, und theilt überhaupt große Wohlthaten im Dorfe aus. Die jungen Bäuerinnen, die sich verheyrathen wollen, läßt sie zu sich kommen, und unterrichtet sie in den neuen Pflichten, die im Ehestand ihrer warten. Der Pfarrer thut ein Gleiches mit den jungen Burschen. Alle Einwohner verehren auch diese trefflichen Menschen fast bis zur Anbetung, und würden willig ihr Leben für sie lassen. Das ganze Dorf ist in einem blühenden Zustande; den Armen hat man Arbeit und Unterhalt zu verschaffen gewußt, und ein vorsätzlicher Müssiggänger wird auf das härteste bestraft.

[269] Ich bin von den tiefen Eindrücken, die diese ehrwürdige Frau auf mich gemacht hat, ganz durchdrungen. Gott, was ist doch eine solche Person, die mit vernünftig geleiteten Empfindungen dem menschlichen Uebel abzuhelfen sucht, gegen eine empfindsame Seele, wie es deren so viele giebt, die zwar aufs innigste von dem Elend ihrer Nebenmenschen gerührt werden, und deren Herz allen Eindrücken des Guten offen steht, die es aber bloß beym Empfinden bewenden lassen, ohne durch thätige Hülfe dem Nächsten beyzustehen!

Welches Verdienst ist größer: derjenigen ihres, die bloß innige schöne Empfindungen hat, ohne denselben gemäß zu handeln, oder das Verdienst der andern, die mit minder starkem Gefühl gute und nützliche Handlungen verrichtet? Welches Empfinden ist das wahre? Welcher Lohn wird in der Ewigkeit größer seyn?

Ich erstaune selbst über meine ernsthaften Betrachtungen. Sonst waren mir solche gar nicht [270] eigen. Aber das Bild dieser Matrone, die mit jedem Tage neue Früchte für die Ewigkeit einsammelt, hat meine Seele durchdrungen, und ich bitte Gott, daß er auch mich fähig mache, meinen Nebenmenschen wirklich Gutes zu thun, damit auch ich einem so freudigen Alter entgegen sehen kann. Auf dem Todbette dieser würdigen Matrone werden viele Gebete derer, welchen sie Gutes that, mit den ihrigen vereint, zu Gott empor steigen, und unter heißen ungeheuchelten Zähren und Dankgebeten wird ihr seliger Geist zu Gottes Thron hinauf eilen. O möchte ich doch auch einst mit einer so himmlischen Freude meinem Tode entgegen sehen können!

Es stand ein Klavier im Zimmer, auf dem die Gellertschen Oden mit der Bachischen Composition aufgeschlagen lagen. O Julie, könnte ich Ihnen den herrlichen Ausdruck beschreiben, der das Gesicht des Greises und seiner Gattinn beseelte, als er das unnachahmlich schöne Lied: [271] Trost des ewigen Lebens – spielte und sang, und nun auf den Vers kam:


»Dann ruft, o möchte Gott es geben!
Vielleicht auch mir ein Selger zu:
Heil sey dir; denn du hast mein Leben,
Die Seele mir gerettet, du!
O Gott, wie muß das Glück erfreun,
Der Retter einer Seele seyn!«

Wir mußten bis den andern Mittag in Berghausen (– so heißt das Dorf –) bleiben, weil unser zerbrochner Wagen ausgebessert werden mußte. Mit äußerster Rührung trennte ich mich von diesen vortrefflichen Leuten. Sie umarmten mich; und ich empfieng ihren Kuß mit Ehrfurcht, und erhielt von ihnen die Erlaubniß bald wieder kommen zu dürfen, um mich durch ihren Umgang aufs neue im Guten zu stärken.

Ein unangenehmer Zufall hält uns auch noch eine Stunde unterwegs auf. In so fern ist es mir zwar lieb, weil ich dadurch Gelegenheit habe, [272] Ihnen, liebe Freundinn, zu schreiben; aber ich besorge nur, daß sich das zärtliche Herz meiner Marie über meine verzögerte Ankunft ängstigen wird. Leben Sie wohl, liebe Julie, der Fuhrmann ruft mich vom Schreiben ab.

Sophie.

47. Brief. Sophie an Julien
Siebenundvierzigster Brief
Sophie an Julien

Gott! wie hat mich Mariens Anblick erschreckt! Wie blaß, wie abgezehrt sieht sie aus! Ich kannte sie kaum mehr. Ihr Leiden scheint ihre Gesundheit ganz zu Grunde gerichtet zu haben. Sie freute sich sehr über meine Ankunft; aber selbst in ihrer Freude war etwas Krankes. O! hätte sie etwas mehr Gewalt über ihr Herz und weniger Empfindsamkeit: so wäre sie ein unverbesserliches Muster für unser Geschlecht. Sie hat die größte Anlage zum Edeln und Guten, und würde [273] täglich die herrlichsten Handlungen verrichten; nur Schade, daß sie vor allzuvielem Gefühl selten zum Handeln kömmt.

Ich werde alles Mögliche anwenden, sie zu zerstreuen, und ihren Geist auf andre Gegenstände zu leiten; aber ich fürchte fast, daß ich vergebens arbeiten werde, denn Eduard sitzt zu fest in ihrer Seele. Wäre er ihrer werth, so würde ich ihr noch eher verzeihen; aber einen Ungetreuen, der sie so bald vergessen konnte, noch nach Jahren zu lieben, durch das bloße Lesen eines ehemals von ihm geschriebnen Briefs wiederum so zu ihm hingezogen zu werden, als wären sie beyde im stärksten Zeitpunkte der Liebe, das kann ich meiner Marie, so sehr ich sie auch liebe, nicht vergeben. Ich muß diese Gedanken sorgfältig vor ihr verbergen.

Heute beleidigte ich sie dadurch, daß ich etwas davon gegen sie äußerte. Mit Thränen verließ sie das Zimmer, und ich machte mir selbst [274] den Vorwurf, daß ich vielleicht nicht fein genug in der Behandlung eines leidenden Herzens gewesen war. Von ihrem Kummer durchörungen, folgte ich ihr nach, und wollte sie durch die zärtlichsten Bitten wieder beruhigen; aber ehe ich zum Reden kommen konnte, warf sie sich um meinen Hals, und bat mich, ihr zu verzeihen, wenn sie mich durch ihre schleunige Entfernung beleidigt hätte. Sie fühle leider, daß meine Vorwürfe nur allzugegründet wären, und beweine die Schwäche ihres Herzens.

Ich schreibe Ihnen des Nachts; denn ich habe mir vorgenommen sie bey Tage nicht zu verlassen, um die schädlichen Folgen zu verhüten, welche die Einsamkeit bey ihr hervorbringen möchte. Schreiben Sie mir doch ja bald, liebste Julie, grüßen Sie Ihren Mann, und küssen Sie Ihren allerliebsten Jungen von mir. Ich bin stets mit größter Zärtlichkeit

die Ihrige Sophie. [275]

48. Brief. Julie an Sophien
Achtundvierzigster Brief
Julie an Sophien

Könnte ich Ihnen doch alle Empfindungen meines Herzens gegen Sie schildern, Theuerste! Welch ein lebhaftes Gemälde der innigsten Liebe und Dankbarkeit würden Sie dann bekommen! Allein so haben Sie allzugroßmüthig sogar den Ausbruch dieser Empfindungen in meinen Briefen mir untersagt, und ich muß mich Ihren Befehlen unterwerfen. Aber in der stillen Einsamkeit, oder bey dem Gefühl, daß wir jetzt unaussprechlich glücklich sind, segnen wir gemeinschaftlich die edle Sophie, die Schöpferinn unsers Glücks. Karlsheims Herz hat sich ganz wieder zu mir geneigt; er ist der zärtlichste, beste Gatte gegen mich, und unsre Ehe wird gewiß immer glücklich bleiben.

Ich bin hier noch nirgends zum Besuch gewesen. Wir wollen erst die häufigen Stadtgespräche [276] über uns etwas verrauchen lassen, und alsdann unsern Umgang doch nur auf sehr wenige einschränken. Ich bin gar nicht für große Gesellschaften und Zerstreuungen, sondern finde mehr Vergnügen daran, die stillen Pflichten der Mutter und Hausfrau zu erfüllen, und in meinem häuslichen Kreise das Glück meines Lebens zu finden.

Karlsheim denkt hierinn mit mir einstimmig. Die rauschenden Freuden der großen Welt haben auch für ihn keinen Reiz. Wenn ihm von seinen Geschäften Zeit übrig bleibt, so mag er sie lieber zu einsamen Spaziergängen anwenden, auf welchen wir nur von unserm kleinen Gustav begleitet werden. Alsdann gehen wir auf einem schönen Wege nach einem etwas entlegnen Dorfe, wo wir bey einer Schaale Milch oder einem andern ländlichen Gerichte, im Schatten einer dunkeln Linde verzehrt, königlich vergnügt sind. Unterwegs unterrichtet mich mein [277] Mann in der Naturgeschichte und andern solchen Kenntnissen, die mir nothwendig sind, um meinem Vorsatze gemäß die Erziehung meines Knaben so lange als möglich allein zu besorgen. In dieser Rücksicht danke ich es meinem Vater, daß er mich in allerley Dingen unterrichtete, die man sonst nur dem männlichen Geschlechte beyzubringen pflegt; was ich davon vergaß, werde ich durch Lesen zweckmäßiger Bücher nachzuholen suchen.

Leben Sie wohl, beste, edelmüthige Freundinn! Ich wünsche, daß Ihre Bemühungen, Ihre leidendeMarie zu beruhigen, von dem besten Erfolg seyn mögen. Karloheim küßt Ihnen ehrerbietigst die Hand.

Julie Karlsheim. [278]

49. Brief. Neunundvierzigster Brief
Neunundvierzigster Brief
Sophie an Julien

Unsre arme Marie leidet noch immer sehr. Es ist mir aber doch schon gelungen, sie um vieles ruhiger zu machen; aber, sie ganz zu beruhigen, das werden ihre gar zu hoch gespannten Empfindungen wohl nicht zulassen.

Ich suche sie so viel möglich zu zerstreuen: ich habe sie auch ein paarmal bewogen, mit mir in Gesellschaft zu gehen; aber ich sehe, daß dieser Weg nicht der rechte bey ihr ist. Ernsthafte Betrachtungen über allerley Materien machen noch den größten Eindruck auf sie, und sind in guten Stunden ihre liebsten Unterhaltungen. Sie würden mich sehr verbinden, liebste Julie, wenn Sie mir in Ihren Briefen Stoff zu dergleichen geben wollten. Es würde von großem Nutzen für meine Freundinn seyn, wenn ich sie so oft als möglich zum Nachdenken über solche [279] Gegenstände bewegen könnte. Die lebhaften Erinnerungen an ihren Eduard würden dadurch etwas verbannt werden.

Verzeihen Sie, daß mein Brief diesesmal so kurz ist, und daß ich nicht Zeit habe, Ihnen mehr zu schreiben, als die Versichrung, daß es mich unaussprechlich freut, Sie und Ihren Karlsheim so glücklich zu sehen, als Sie beyde es zu seyn verdienen. Ich bitte Sie recht sehr, liebe Julie, machen Sie mir doch ja kein Verdienst mehr aus einer Handlung, die nichts mehr als meine Pflicht war, und deren Unterlassung mich unter die niedrigste Klasse der Menschen würde gesetzt haben. Leben Sie wohl, meine theure Freundinn, und lieben Sie immer so zärtlich wie jetzt

Ihre Sophie. [280]

50. Brief. Julie an Sophien
Funfzigster Brief
Julie an Sophien

Heute habe ich Stoff genug zu ernsthaften Betrachtungen; und wenn Ihnen, liebste Freundinn, etwas daran liegt, so will ich Ihnen denselben gern mittheilen, nebst der angenehmen Art, wie ich dazu gekommen bin. Mein Gustav liegt schon in süßem Schlummer; – eben bog ich mich über sein Bettchen, und sah mit Entzücken den schuldlosen Ausdruck der Ruhe und Zufriedenheit auf seinem kleinen Gesichte. – Mein Karlsheim ist heute bey dem Hofrath G. zu Gaste. Ich fühle diesen Abend einen besondern Trieb mit meiner Sophie zu schwatzen. Sehen Sie, meine Liebe! Aussichten genug, Sie mit einem lange Briefe zu bedrohen.

Ich gieng heute Nachmittag unsern gewöhnlichen Weg spazieren, bloß von meiner treuen Liese, welche meinen Kleinen trug, begleitet. [281] Dieser Weg führt auf lauter schönen Wiesen an der Krümmung eines breiten Bachs hin. Ist man so eine halbe Stunde gegangen, so kömmt man durch ein kleines Buschwerk in eine artige Weidenallee, welche zu der Mühle führt, die Ihnen bekannt seyn wird. Dann pflege ich gewöhnlich in einer Laube am Wasser Platz zu neh men, und mich an der schönen Aussicht und dem Rauschen des Wassers zu laben. Dieser schöne Ort wird sehr selten besucht, – zur Schande der Städter, die bloß aus dem elenden Vorwande nicht hingehen, weil nichts Ordentliches da zu haben wäre. – Um desto mehr befremdete es mich, eine junge Frau in der Laube zu sehen, die ein ganz kleines Kind auf der Erde kriechend, und noch zwey etwas ältere bey sich hatte; die Kinder sowohl als sie selbst waren sehr schön.

Ich stutzte ein wenig. Sie aber kam mir gleich mit der angenehmsten Art entgegen, fragte mich, ob ich auch Geschmack daran fände, hier, [282] ungestört vom Gewühl der Stadt, der schönen Natur zu genießen, und nöthigte mich, neben ihr Platz in der Laube zu nehmen. Wir wurden bald sehr bekannt, und ich erfuhr, daß meine Gesellschafterinn die junge Kriegsräthinn B. war, von der ich schon durch Karlsheim viel Gutes gehört hatte. Es war sehr natürlich, daß zwey junge Mütter von ihren Kindern – dem interessantesten Gegenstande für sie, versteht sich den Mann mit eingeschlossen – redeten. Ich bewunderte die ihrigen, und ich muß auch gestehen, daß ich noch nie so allerliebste kleine Geschöpfe gesehen habe. Und was mich am meisten befremdete, das war die Standhaftigkeit dieser so zärtlichen Mutter gegen diese Kleinen, beynahe schien es Härte zu seyn. Der kleine Wil helm – ein Kind von fünf Vierteljahren, begehrte etwas, das er nicht haben sollte, und fieng an zu weinen. Man hörte gar nicht auf ihn. Als er stärker schrie, gab ihm seine Mutter [283] ein paar Schläge mit der Ruthe, und legte ihn ganz gelassen in eine entfernte Ecke. Ich erwartete nun ein verdoppeltes Weinen. Aber weit gefehlt. Er schwieg augenblicklich still, kam zu seiner Mutter – er fängt eben an zu gehen – und flehte mit den schmeichelndsten Geberden sie an, ihn auf den Schooß zu nehmen. Sie wies ihn ab; er zog ein weinerliches Gesicht; sie drohte ihm mit dem Finger, sagte ein ernsthaftes Wilhelm! und der Junge spielte auf der Erde so vergnügt, wie vorher.

»Ich bewundre Ihre Standhaftigkeit, Frau Kriegsräthinn. Ich muß gestehen, daß ich es nicht so weit gebracht habe, und daß mir der jetzt mit Macht wachsende Eigensinn meines Gustavs viel Sorge macht.«

»Glauben Sie mir, meine Liebe, es ist kein besseres Mittel, diesen Eigensinn gleich früh zu unterdrücken, als wenn man dem Kinde gar keine Achtsamkeit auf sein Weinen zeigt.«

[284] »Aber, mein Gott, wie ist das möglich? Die Thränen eines so hülflosen Geschöpfes zu sehen, ohne sie zu trocknen! Ich muß gestehen, daß das Weinen eines kleines Kindes oft die stärksten Vorsätze seiner Erziehung in mir zernichtet hat.«

»Diese Weichheit dient gewiß nur dazu, dem Uebel einen Augenblick abzuhelfen, um es nachher desto stärker zu machen. Das Kind wird bald den Eindruck merken, den seine Thränen auf Sie machen. Es wird bald Dinge fodern, welche Sie ihm ohne den größten Nachtheil nicht gewähren können, und wird alsdann bey jeder Verweigerung in das gellendste Geschrey ausbrechen.«

»Aber ein starkes Schreyen kann doch der Gesundheit gefährlich werden?«

»Das ist der Deckmantel, unter dem sich gewöhnlich die Schwäche der Mütter verbirgt. [285] Ich habe über diesen Punkt mehrere Aerzte befragt, und immer die Antwort erhalten, daß das Weinen einem Kinde nicht schade, wenn es nicht allzuheftig und oft wiederholt würde, und auch dann schade es ihm nur äußerst selten. Man kann das ja auch an den Kindern sehen, die, aller Verpäpelung ohngeachtet, doch oft mehrere Stunden hinter einander schreyen, ohne nachtheilige Folgen für ihren Körper davon zu haben. Und dann, meine Beste, kann ich Ihnen aus der Erfahrung bezeugen, daß ein Kind, welches man anfangs einigemal vergeblich weinen ließ, eines solchen heftigen Geschreys gar nicht fähig ist, da hingegen ein solches, dem man immer nachgiebt, gar wohl im Stande ist, wenn ihm einmal etwas verweigert wird, so heftig zu weinen, daß es aus Bosheit Verzuckungen bekömmt und ganz blau wird, wie ich schon mehrmal gesehen habe, und das kann denn wohl freylich der Gesundheit schaden, [286] ob gleich immer auch in diesem Fall die Ruthe das beste Mittel bleibt.«

»Ich sehe freylich wohl ein, daß diese Zärtlichkeit falsch ist, und dem Kinde selbst sehr nachtheilig wird; aber sagen Sie mir, beste Frau, wie wollen Sie unterscheiden, ob ein ganz kleines Kind aus wahrem Bedürfniß oder aus Eigensinn weint? Und im ersten Fall werden Sie selbst es doch wohl für hart halten, ihm nicht beyzustehen.«

»Allerdings. Aber bey einem kleinen Kinde sind die Bedürfnisse bloß Hunger, Schlaf und Reinlichkeit. Diese muß ich immer befriedigen und – –«

»Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche. Rechnen Sie denn die Unpäßlichkeit dieser Kleinen gar nicht?«

»Wenn das Kind von gesunder Leibesbeschaffenheit ist; wenn die Mutter es durch Mäßigkeit vor Leibkneipen und Blähungen schützt; [287] wenn sie durch kein festes Einwickeln seine kleinen Glieder zusammen preßt; wenn sie alle Sorgfalt darauf wendet, es stets reinlich zu halten, und durch trockne Wäsche und öfteres kaltes Waschen es für Wundwerden zu hüten, und überhaupt bemüht ist, seinen Körper durch eine harte Erziehung abzuhärten: so glaube ich, daß es von keinen Schmerzen wird beunruhigt werden. Und wenn es ja ein unangenehmes Gefühl hätte, sagen Sie mir, können Sie dadurch, daß Sie es aufnehmen und hätscheln, seinen Schmerz vertreiben?«

»Das wohl nicht. Aber ich kann es doch dadurch zerstreuen.«

»In der That, Sie sind eine gefährliche Gegnerinn. Ich denke aber doch, daß es besser ist, es gleich so zu gewöhnen, daß es zu seiner Zerstreuung und Belustigung so wenig als möglich fremder Hülfe bedarf. Indessen will ich Ihnen nur meine eigne Schwäche gestehen. Mein [288] Wilhelm kränkelte vor kurzem an einem Stickhusten. Ich war so besorgt und zärtlich für ihn, daß ich allen seinen Einfällen während der Krankheit nachgab, und habe dafür das Misvergnügen, ihn jetzt – wie Sie erst gesehen haben – viel eigensinniger zu finden, als er sonst war.«

»Wer könnte aber ein krankes Kind mit Härte behandeln?«

»Es ist allerdings schwer, und oft bat mich ein ihm gegebner Schlag eine heimliche Thräne gekostet, und ich bin nur mit äußerster Mühe standhaft geblieben. Aber ist es nicht noch weit trauriger, wenn eine Krankheit in so kurzer Zeit den ganzen Bau verdirbt, den wir so mühsam aufführten? Wenn der Körper des Kindes gesund, aber seine Seele verdorben wird? Und das geschieht so leicht! Das Kind merkt, daß wir stärker besorgt, aufmerksamer auf seine Wünsche sind, als gewöhnlich; es macht einen Versuch, Sachen zu begehren, die [289] man ihm sonst nicht würde erlaubt haben; es sieht, daß es ihm gelingt. Ein wunderliches Begehren folgt dem andern; alle werden erfüllt – und der kleine Tyrann ist da. Diesem kann man gewiß vorbeugen, wenn man sich auch in der Krankheit gleich anfangs seinen ungewöhnlichen Einfällen widersetzt. Ein gut erzognes Kind wird durch eine solche Verweigerung in kein heftiges Weinen, oder andre ähnliche Ausbrüche des Unwillens gerathen, und wenn es also sieht, daß man es ganz so wie gewöhnlich behandelt, und seine Unarten eben so wie sonst bestraft, so wird die Krankheit gewiß keine nachtheilige Veränderung in seinem Betragen bewirken. Ueberhaupt, dünkt mich, ist es sehr vortheilhaft für die Kinder selbst, wenn man sie daran gewöhnt, ihre Wünsche oft unbefriedigt zu sehen. Gewöhnt man sie, alle thörichte Neigungen zu erfüllen: so macht man sie in ältern Jahren unglücklich. Denn es wird sich doch oft bey ihnen zutragen, [290] daß Menschen oder Umstände nicht die unweise Nachgiebigkeit ihrer Eltern gegen sie haben, und dann werden sie unwillig und ungeduldig werden, und unfähig seyn, das geringste Leiden zu ertragen.«

»Ich fühle mit Beschämung, daß ich bisher nur schwach, und nicht mit weiser Zärtlichkeit gegen mein Kind handelte. Aber sagen Sie mir, meine Beste, woher haben Sie diese trefflichen Einsichten erlangt?«

»Ach Gott! die Einsichten machen es nicht allein aus. Man kann sie haben und doch zu schwach seyn, ihnen gemäß zu handeln. Ueberhaupt ist es ein ganz andres Ding, idealische Erziehungsplane zu lesen, und ein Kind im Lauf des menschlichen Lebens wirklich zu erziehen. Ich war schon als Mädchen lebhaft davon überzeugt, daß es eine Thorheit sey, ein Kind in den Jahren, wo es noch keine Vernunft hat, durch vernünftige Vorstellungen leiten zu wollen. In den ersten Jahren ist der Mensch bloß Thier, [291] und muß durch sinnliche Gefühle geleitet werden. Ihn ohne Schläge erziehen zu wollen, wäre eben so thöricht, als wenn ich einen Jagdhund – verzeihen Sie das Unedle des Gleichnisses – zu dressiren dächte, ohne den Stock zu gebrauchen. Es versteht sich, daß man nur wenn es nothwendig ist, und ohne Hitze, schlagen muß. Aber ohne dieses Mittel ist es nicht möglich, dem Kinde Gehorsam gegen die Eltern einzuprägen. Und strenger Gehorsam muß die Hauptstütze der Erziehung seyn. Von allem diesem also war ich – durch eine vortreffliche Frau, deren letzte Ausbildung ich genoß – (gesegnet sey ihre Asche!) – lebhaft überzeugt, und doch kostete es mich viel, meiner Ueberzeugung gemäß zu handeln; ich war einigemal im Begriff, zu der so guten Methode, ein ungestüm weinendes Kind zu schlagen, die sehr unvernünftige hinzuzusetzen, es aufzunehmen, wenn es fortfuhr, oder sich fest um meine [292] Knie klammerte. Aber Dank sey es meinem vernünftigen Mann, daß er meiner Schwäche widerstand!«

»Aber wird nicht die Neigung des Kindes durch solche harte Mittel von der Mutter abgewandt?«

»Das war auch meine Besorgniß. Allein ich habe sie dadurch vernichtet, daß ich mich selbst zur einzigen Wärterinn meiner Kinder machte, sie fütterte, kurz, daß ich auch das, was sie vergnügte, durch niemand anders ihnen thun ließ, als durch mich, und dafür hängen auch meine Kinder mit unaussprechlicher Zärtlichkeit an mir. Ich würde es auch nicht ertragen können, wenn sie ein Dienstmädchen oder sonst jemand mehr liebten als mich.«

»Es ist mir auch immer ein schlechter Beweis für die Güte der Mutter, wenn ihr Kind mehr an ihren Mägden als an ihr selbst hängt, und ich habe es auch mir immer zur [293] Pflicht gemacht, meinen Gustav selbst zu warten: aber bey dreyen Kindern ist es doch nicht möglich, ihre Wartung allein zu besorgen.«

»Und warum nicht, meine Liebe? Mir ist es möglich gewesen. Freylich, wenn man sie an ein stetes Tragen oder Wiegen gewöhnt, so ist es nicht möglich. Aber das ist sehr lästig für die Mutter, und auch lange nicht so gut für die Kinder, als wenn man ihnen selbst den freyen Gebrauch ihrer Glieder überläßt. Ich habe meine Kinder gleich anfangs auf ein Küssen auf die Erde gelegt, und sie da sich selbst überlassen.«

»Aber verlangte denn das Kind nicht aufgenommen zu werden?«

»Weil es von Anfang an nicht anders gewöhnt wurde, so wußte es auch nichts Bessers. Aber einige Tage lang hielten mich unabänderliche Geschäfte von ihm so entfernt, daß ich selten bey ihm seyn konnte, als wenn ich es [294] saugen ließ. Eine Tante, die bey mir war, hatte es, meiner Bitten ohngeachtet, oft in der Zeit getragen, und nun wollte ihm das Liegen nicht mehr schmecken. Aber ich ließ es – ohngeachtet mir der Kummer seines kleinen Herzens in die Seele drang – ruhig liegen und schreyen, bis es endlich vor Mattigkeit einschlief. Dieses versuchte ich einigemal, und es ließ sich nicht einfallen, sich aufs neue wiederum durch unnütze Arbeit zu erschöpfen. Die Wartefrau und Tante schrien zwar über mich, und konnten nicht aufhören, den armen Wurm zu bejammern; mein Gesinde brachte mich in der ganzen Stadt in den Ruf einer unmenschlichen Grausamkeit; aber ich setzte mich über alles das hinaus, überzeugt, daß meine anscheinende Härte zu des Kindes wahrem Besten gereichte.«

»Sollte denn das viele Liegen den Kindern nicht schädlich seyn? Sie bedürfen doch so gut der Bewegung, wie wir.«

[295] »Ich habe Ihnen schon gesagt, daß der Mensch in diesen ersten Jahren bloß Thier ist. Und wer trägt wohl jemals die jungen Thiere? Und doch sind sie verhältnißmäßig weit stärker als unsre Kleinen. Ich habe meine Kinder nur die ersten acht Tage, und doch nur des Nachts, ganz locker wickeln lassen. Ich habe. ihr Waschwasser mit jedem Tage weniger lauwarm machen lassen, so daß ich sie mit der dritten Woche schon ganz kalt badete. Ich hielt sie nur gerade so bedeckt, als es nöthig war, um sie vor der äußersten Kälte zu schützen, gewöhnte sie stufenweise alle Arten von Luft zu ertragen, und auf diese Art wurden sie so stark, daß sie sich bald auf ihrem Küssen bewegten, und herunter zu kriechen anfiengen.«

»Ich sehe an den geraden Beinen Ihrer Kinder, daß auch die Besorgniß ungegründet ist, als wenn das Kriechen ihre Füße schief machte.«

[296] »Sie werden zuweilen wohl etwas krumm, aber das Manteltragen giebt ihnen eine noch ungleich schiefere Richtung. Und dann werden ihre Füße von selbst gerade, wenn sie gehen lernen.«

»Auch das haben ihre Kinder wohl von selbst gelernt. Aber sind sie nicht oft dabey gefallen?«

»Sie fielen anfangs sehr häufig, aber ohne Schaden zu nehmen; denn ihr Körper, sich selbst überlassen, hatte seine kleinen Glieder so gut brauchen lernen, daß sie sich immer zu helfen wußten, und diese Gelenkigkeit ihrer Glieder soll ihnen auch, hoffe ich, noch in der Folge gute Dienste thun. Ich hüte mich auch sehr, sie zu bedauern, und erschrocken zu thun, wenn sie fallen; denn dieses macht, daß sie weinen, nur selten verursacht es der Schmerz. Sollten sie einmal in Thränen ausbrechen, so muß man sie zuerst zerstreuen, und ihnen, wenn [297] es nothwendig ist, Hülfe leisten, aber ja keine Aengstlichkeit, kein Bedauren, oder gar Unwillen auf den Gegenstand, über welchen sie fielen, merken lassen. Man muß aber ein Kind so wenig als möglich an fremde Hülfe gewöhnen; denn es kömmt ihnen in der Folge ihres Lebens sehr zu Statten, wenn sie darinn geübt sind, sich stets selbst zu helfen. – Aber verzeihen Sie, daß ich Ihnen so viel von meinem Lieblingsgegenstande vorgeplaudert habe.«

»Ich kann Ihnen nicht genug danken, daß Sie meine Begriffe über diese Materie so sehr aufgeklärt haben. Ich werde von nun an mit gedoppelter Sorgfalt über die Erziehung meines Gustavs wachen, und sollte es mir einmal an Geduld und Standhaftigkeit gebrechen, so komme ich zu Ihnen, meine Theure.«

Diese liebe Frau antwortete mir mit vieler Güte, und trug mir ihre Freundschaft an, die mir unendlich viel werth ist. Wir kehrten unter [298] den angenehmsten Gesprächen nebst unsern Kindern nach Hause zurück, und ich konnte nicht unterlassen, Ihnen, liebe Sophie, meinen neu erworbnen Schatz mitzutheilen. Gott! wie ehrwürdig ist doch eine Mutter, die ihre Kinder gut erzieht! Ach diese kleinen unschuldigen Geschöpfe sind es gewiß wohl werth, daß man alles aufopfert, um für ihre Bildung zu sorgen. Menschen für die Ewigkeit zu erziehen, welch ein Gedanke! Gott! stärke mein Herz, an meinem Kinde dein großes Beyspiel gegen uns nachzuahmen. Entferne alles aus meiner Seele, was seine gute Erziehung hindern könnte, und reinige und beßre mein Herz, damit ich mehr durch Beyspiel, als durch Lehren, es zum Guten anführe!

Es ist ausgemacht, daß jede gute Handlung ihre schönen Folgen mit sich führt, aber gewiß wird keine derselben eine so schöne Quelle des [299] Glücks für uns seyn, als die gute Erziehung unsrer Kinder; so wie hingegen eine Vernachläßigung derselben uns durch ihre ungerathne Gemüthsart aufs empfindlichste bestraft.

Ich bin ganz müde vom Schreiben, und Sie werden viele Mühe haben, mein unleserliches Geschmier zu verstehen. Schlafen Sie wohl, meine Theure. Morpheus gaukle mit den angenehmsten Bildern um ihre Phantasie. Möchte doch unter denselben auch befindlich seyn

Ihre Julie Karlsheim. [300]

51. Brief. Sophie an Julien
Einundfunfzigster Brief
Sophie an Julien

Vielen Dank, liebes bestes Weib! für Ihren vortrefflichen Brief. Er hat uns auf die angenehmste Art unterhalten, und wir bewundern die liebenswürdigeCharlotte B. Marie aber glaubt doch, daß sie kaum zu einer solchen Erziehung Standhaftigkeit genug haben würde. Ich meiner Seits aber denke dereinst bey meinen Kindern ganz dieser Methode zu folgen, die mir sehr vernünftig scheint. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr es mich kränkt, diese Frau bisher nicht genau gekannt zu haben, und wie ich mich schäme, daß ich so oft in Spöttereyen über ihre Kinderzucht mit einstimmte, von der ich doch bis jetzt einen ganz falschen Begriff hatte. Ich hörte von ihr nur als von einer Frau reden, die gar keine mütterliche Liebe gegen ihre Kinder hätte, die sie vielmehr hassete, [301] und dieses sagten Weiber, welche wirklich durch eine ganz verkehrte Erziehung, und durch alle mögliche Päpeley, wahren Haß gegen ihre Kinder beweisen. Wie sehr bin ich gedemüthigt, daß ich diesen Verläumdungen wohl gar Glauben beymaß, ohne sie zu untersuchen!

Hier ist die Erziehung im kläglichsten Zustande. Man zwängt die kleinen Kinder gleich nach ihrer Geburt in feste Windeln. Das erste Vierteljahr kommen sie nicht aus der Kinderstube, woselbst man stets beschäftigt ist, sie zu tragen, und wenn dann der Wärterinn die Arme weh thun, so packt sie es in eine Wiege, und schaukelt es so, daß ihm Hören und Sehen vergeht, bis es vor Betäubung einschläft. Mit dem vierten Monat wagt man es denn wohl zuweilen, sie an die Luft zu bringen, aber nur an recht warmen Tagen; und dann hüllt man sie so fest in einen Mantel ein, daß nichts als die Hälfte des Gesichts heraus guckt, damit sie ja in beständig [302] starker Transspiration bleiben. Ist das erste Jahr vollbracht, so entwöhnt man sie, und ist sehr besorgt, die abgehende Nahrung dadurch zu ersetzen, daß man ihren Magen Tag und Nacht mit Brey verkleistert, und ihnen in den Zwischenzeiten einen Zuckertiß – so nennt man einen zusammengebundnen Lappen, der mit Zucker und Zwieback ausgestopft ist – in den Mund steckt; denn jede Mutter sucht darinn ihre Ehre, wenn das liebe Kind recht fett gemästet ist.

Im zweyten Jahr denkt man denn wohl daran, daß ihnen die Natur doch vermuthlich die Füße zum Gehen gegeben haben könnte. Man wagt es nun also zuweilen, sie im Gängelband auf der Erde zu leiten. Dieses wird ihnen wegen ihres schweren Körpers, und wegen der Ungewohnheit, ihre Glieder selbst zu gebrauchen, herzlich sauer. Ihre Füße, die schon im Mantel eine schiefe Richtung bekommen haben, wachsen nun ganz einwärts; die Brust beugt sich vor-[303] und macht mit dem aufgetriebnen Bauch eine gerade Linie. Auch die Schultern werden durch das Gängelband in die Höhe getrieben. Das Gesicht ist aufgedunsen, und hat eine kränkliche Farbe, und der Tanzmeister hat alle Mühe von der Welt, dieser verzerrten Figur eine erträgliche Stellung beyzubringen. Fällt nun das Kind zuweilen einmal – (und wegen seiner Ungeschicktheit wird es häufig fallen, wenn es sich selbst überlassen wird –) so erhebt man ein Angstgeschrey; die Wärterinn nimmt es auf den Schooß, giebt ihm Zucker und andre magenverderbliche Sachen, läßt es die böse Erde schlagen, und sucht es auf alle Weise zu besänftigen.

Nun beschäftigt man sie damit, ihnen Gespenstergeschichten zu erzählen, sie hübsch angeputzt vor den Spiegel zu stellen, und sich selbst bewundern zu lassen; ihnen von Braut und Bräutigam und von andern thörichten Dingen vorzuschwatzen, die der hirnlose Kopf der Wärterinnen [304] aussinnt. Eine französische Gouvernantinn fängt an, sie mit Vokabeln und Buchstabieren zu quälen; der Hofmeister giebt ihnen Religionsunterricht, welcher darinn besteht, sie Sachen herplappern zu lehren, von welchen sie kein Wort verstehen. Kurz, man bemüht sich, ihren Kopf zu einem Chaos von lauter verworrnen undeutlichen Ideen zu machen.

Bis jetzt hat die Mutter sie wenig anders als bey Tische gesehen; nun fängt sie an, sie zuweilen mit in Gesellschaft zu nehmen. Sie unterrichtet sie also sorgfältig von ihrem vornehmen Stande, wie sie sich demselben gemäß betragen, gegen Vornehme ein unterthäniges höfliches, und gegen Geringere ein nachläßiges verächtliches Betragen annehmen sollen. Versieht das Kind etwas, so heißt es: das war einmal wie ein Bauernkind gehandelt; und durch mehrere solche Aeußerungen bringt man ihnen eine Verachtung gegen [305] diesen Stand bey, ohne den doch alle andern Stände nicht bestehen können.

Doch ich ermüde, Ihnen die thörichte Kinderzucht der hiesigen Damen noch weiter zu beschreiben. Genug, daß die jungen Mädchen die unerträglichsten Zieraffen und die Söhne entweder roh und ungeschliffen, oder auch fade Stutzer sind. Mariens Geist und Herz ist zu edel, um an dieser Gesellschaft Geschmack zu finden; auch wird sie von diesen Weibern, für die sie freylich nicht gemacht ist, gehaßt.

Vor einigen Tagen waren wir zum Besuch bey einer solchen Gans gebeten. Es befanden sich ein kleiner Knabe und zwey Mädchen von sechs und acht Jahren im Zimmer. Das älteste Mädchen war schön, aber schon ganz eines von den Gesichtern, die stets bemüht zu seyn scheinen, es selbst zu sagen. Das jüngste war von den Pocken verdorben worden, hatte aber doch eine gute offne Miene. Ich bemerkte dieses letzte gegen die Mutter.

[306] »Ach! sprach sie, was thue ich mit der offnen Miene, da das Mädchen so häßlich ist wie eine Fratze? Sie glauben gar nicht, was ich für Aerger von ihr habe. Keinen Augenblick kann sie auf einer Stelle sitzen. Ruckst du schon wieder auf deinem Stuhl, du garstiges Thier! Du möchtest wohl gern den ganzen Tag auf der Straße liegen, wie die Bauernkinder, und du hättest doch gewiß nicht nöthig, den Leuten dein Fratzengesicht zu zeigen. Ehe ich michs versehe, entwischt das alberne Mensch vor die Straßenthür, und spricht mit den gemeinen Kindern. Habe ich dir es nicht so oft verboten, du solltest dich nicht mit dem schlechten gemeinen Volk abgeben? Wenn ich es noch einmal sehe, so werde ich dich so derb abprügeln, daß dir die Lust wohl vergehen soll.«

Das Kind. »Unser Informator sagte mir heute in der Stunde, die gemeinen Kinder wären so gut von Gott erschaffen, als wir.«

[307] »Du naseweißes Thier, was hast du zu reden? Der Informator ist nicht gescheidt, wenn er euch solches dummes Zeug vorschwatzt. Kein Unterschied unter vornehmen und gemeinen Leuten? Wie albern ist das! Malchen ist darinn viel klüger, als du. Die läßt sich nicht mit allen Leuten in Gespräch ein; und läuft auch nicht den ganzen Tag herum. Sieh, wie sie so still sitzt! Und sie hat doch ein ganz anderes Gesicht, als du, garstiges Ding! Glauben Sie nicht auch, Mademoiselle, daß das Mädchen recht schön werden wird? Sie verdirbt aber auch ihre Haut nicht so in der Luft, wie jene. Sie gienge nicht um vieles nur über den Hof, wenn die Sonne scheint: nicht wahr, Malchen? Ein klein Bißchen eigensinnig bist du wohl manchmal, aber dafür bist du auch mein ältstes schönes Töchterchen. So, halte nur den Kopf recht gerade, mein Kind!«

[308] Das Mädchen saß da, und verlor kein Wort von dieser klugen Rede. Es wurde Obst gegeben, und die Kleine hob hurtig einen Apfel auf, der zur Erde fiel.

»Sehen Sie wohl, Mama – schrie Malchen – da nimmt Justchen schon wieder, ehe andre Leute was haben. Willst du mir bald den Apfel hergeben?«

Das Kind weigerte sich. Malchen schlug und kratzte es, und wie es sich wehrte, erhub sie ein Zetergeschrey:

»Sehn Sie doch nur, Mama, hier hat sie mir meine Brustschleife abgerissen.«

Nun sprang die Mutter wüthend auf, stieß die kleine mit vielen Schimpfreden aus der Stube, und war sehr bemüht, Malchen durch allerley Liebkosungen zu trösten. Auf einmal vermißte ich meinen Fächer, und siehe, der Knabe hatte ihn, während der Bataille der andern, heimlich weggenommen. Es war mein bester, und also [309] können Sie wohl denken, liebeJulie, daß es mir ein Stoß ins Herz war, ihn in des Knaben Händen zu sehen.

»Liebes Kind, wollten Sie mir wohl den Fächer geben? Er ist sehr zerbrechlich; ich will Ihnen etwas anders dafür geben.«

Die Mutter. »Fritzchen, gieb doch hin, du sollst auch Zuckerplättchen haben.«

»Ne doch, ich will noch mit spielen.«

Sie war in großer Verlegenheit, und nahm Fritzchen auf den Schooß, der sich mit Händen und Füßen wehrte. Sie versprach ihm alles Mögliche, küßte und streichelte ihn, aber umsonst! Der Junge fieng so entsetzlich an zu kreischen, daß sie ihn erschrocken herunter ließ. Darauf schlug er sie mit dem Fächer ins Gesicht, und ich sah, daß schon ein Stab gebrochen war.

»Wollten Sie mir wohl erlauben, liebe Madam, dem Kinde den Fächer wegzunehmen? Es ist ein Andenken von meinem Onkel, und ich möchte ihn nicht gern zerbrochen sehen.«

[310] Ich versuchte es; aber der Junge trat mit dem Fuße nach mir, so daß er gleich ein großes Loch in meine Florschürze riß; endlich wand ich ihn aus seiner Hand. Nun hätten Sie das Toben, das Heulen sehen sollen. Ich dachte er bekäme jeden Augenblick das böse Wesen. Die Mutter sprang erschrocken auf ihn zu.

»Fritzchen, liebes Fritzchen, gieb dich doch zufrieden, du sollst ein ganz neues Kleid haben. Daß man auch immer von Fremden solchen Aerger haben muß! Was wäre denn an dem Lumpenfächer gelegen gewesen – so brummte sie zwischen den Zähnen. – Das arme Kind! Es wird sich gewiß Schaden thun.«

Nichts wollte helfen. Sie bat mich, ihm doch den Fächer wieder zu geben, sie wolle mir gern einen andern kaufen. Ich that es, obgleich höchst ungern. Nun wollte ihn der Junge nicht einmal, und sie hatte viele Mühe, seinen Trotz so weit zu überwinden, daß er ihn hinnahm.

[311] Zu meinem Verdruß waren wir auch auf den Abend gebeten. Es wurde mir sehr sauer, Wort zu halten; denn Madam sah mich sehr scheel an, weil ich so unhöflich gewesen war, und mir nicht gleich hatte wollen meinen Fächer verderben lassen. Die Gesellschaft ihres Mannes, der beym Essen zu uns kam, und uns sehr vernünftig und angenehm unterhielt, erheiterte mich wieder. Es verstand sich, daß die Kinder auch mit an den Tisch kamen, Justchen ausgenommen.

Wie würde ich doch das Herz haben, solche ungezogne Geschöpfe unter Fremde zu bringen, und die ganze Gesellschaft durch sie beunruhigen zu lassen? – Malchen spielte die Zierpuppe, und aß sehr wenig, weil ihr fest eingeschnürter Leib ihr nicht mehr zuließ. Fritz aber verlangte mit Ungestüm von allen Speisen. Der Vater sah mit unwilligen Blicken nach ihm und der Mutter hin, sagte aber nichts, und bemühte sich interessante Gespräche aufzubringen, welche uns nicht zuließen, [312] alle Ungezogenheiten des Jungens zu bemerken. Endlich verlangte er von einem feinen Gerichte, davon nur eine kleine Portion da war. Wie die Mutter es ihm verweigerte, wollte er laut weinen, und sie gab ihm voller Angst ein Bißchen hin.

»Ne, schrie er laut, ich will den ganzen Teller haben.«

»Sey doch still, Fritzchen, es ist ja nur ein wenig für die Fremden da. Du kriegst noch Kuchen.«

»Den will ich nicht. Geben Sie mir den Teller.«

Bey einer nochmaligen Verweigerung warf er seinen Löffel nach der Mutter hin, und stieß ein Glas Wein um. Nun konnte sich der Vater nicht länger halten. Er stand auf, und wollte den Buben beym Arm die Treppe hinunter bringen, aber nun sprang sein Weib auf:

»Rühren Sie ihn mir nicht an. Schämen Sie sich, Ihren Aerger an dem armen Wurm auszulassen. Komm, Fritze

[313]

»An der Mutter, die durch Affenliebe ihre Kinder zu Grunde richtet, sollte ich ihn freylich zuerst auslassen. Kurz und gut, ich will solche Unarten nicht länger dulden.«

Drauf erhob sie ein Geschrey von alle dem, was er ihr zu danken hätte, und nun wollte ein solcher Schuft, durch sie zum Mann gemacht, sich sö mausig machen. – Er schämte sich, und wollte schweigend zu seinem Platz zurückkehren, aber sie stieß eine Menge Schmähungen aus, und schimpfte ihn einen schlechten Kerl, so, daß er höchst aufgebracht wieder umkehrte.

»Nein, das ist zu viel. Meine Geduld reißt endlich. Da, heule und schreye mit deinem Jungen um die Wette!«

Mit den Worten stieß er beyde in ein Nebenzimmer, und schloß die Thür ab.

»Verzeihen Sie – sprach er zitternd vor Aerger – daß Sie Zeugen eines solchen Auftritts seyn mußten. Ich habe bisher nur zu viel Nachsicht [314] gegen eine Frau gehabt, der ich leider mein äußres Glück zu danken habe. Streit und Zank hasse ich bis in den Tod; darum habe ich bisher meinen Gram stillschweigend erduldet: aber der Greuel der Kinderzucht geht zu weit. Ich kann es vor Gott nicht verantworten, wenn ich diese unschuldigen Geschöpfe so ganz ihrem Verderben überlasse. Ich will sie morgendes Tages alle drey in eine Pension schicken; denn hier werden sie ganz ruinirt.«

Ein paar Tage nachher hörte ich, daß der gute Mann nicht durchgedrungen ist. Sein mächtiger Schwiegervater, der ihm sein Amt verschaffte, hat sich ins Mittel geschlagen; er hat zu Kreuze kriechen müssen, und unter der Bedingung Gnade erlangt, daß er sich nie wieder in die Kinderzucht seiner theuren Hälfte mischen wollte. Wer ist nichtswürdiger, ein solches Weib, oder ein Mann, der niederträchtig genug ist, um zeitlicher Vortheile willen sich mit einem solchen [315] Teufel zu verbinden, und Ehre, Vernunft und alles zu verläugnen? Wie glücklich werden Sie sich jetzo schätzen, liebste Julie, daß Sie Verstand und Stärke genug haben, ihr Kind mehr zu lieben als das Ungeheuer, Vorurtheil!

Marie ist sehr bekümmert, weil sie ein Blatt vonEduards Briefe vermißt. Sie hat allenthalben nachgesucht, aber vergeblich. Wir können beyde nicht begreifen, wo es hingekommen seyn mag. – Adieu, liebste Julie. Wenn Sie Ihre neue Freundinn sprechen, so empfehlen Sie mich ihr, und versichern Sie die liebe Frau meiner ganzen Hochachtung.

Sophie. [316]

Zweyter Theil

52. Brief. Wildberg an Amalien
Zweyundfunfzigster Brief
Wildberg an Amalien

Ich schreibe Ihnen, halb rasend vor Wuth und Eifersucht. Die fromme Marie! Gegen mich schwatzt sie von lauter Tugend und Pflicht, und unterhält dabey einen geheimen Briefwechsel mit ihrem ehemaligen Liebhaber! Teufel und Hölle! ich darf es nicht wagen, ihre Hand zu berühren, und der elende Kerl schreibt ihr die zärtlichsten Liebeserklärungen, und bekömmt eben solche von ihr! Aber ich werde mich rächen. Zittre, du Schwachkopf! Wildberg hat schon einmal Eure Plane vernichtet; er wirds wieder thun.

[3] Ich habe ein Mädchen, das bey Marien dient, mit Gelde bestochen. Diese nun sagte mir, daß ihre Frau oft Papiere läse, und dann ganz tiefsinnig säße und weinte. Ich versprach ihr einen Dukaten, wenn sie mir das Papier brächte. Susanne ist ein listiges Mensch, und zog ihr einst des Morgens beym Anziehen ein Blatt aus der Tasche, die sie ihr holen mußte. Und nun denken Sie meine Wuth, als ich es las. Es war der Schluß eines Briefs, und lautete folgendermaaßen:


»Ich muß aufhören zu schreiben, Inniggeliebteste, und doch ist mein Herz noch so voll; ich sehe auch, daß es unmöglich ist, diesem Blatt das Feuer mitzutheilen, das für dich hier in meiner Brust lodert. O! warum kann ich nicht zu dir hinfliegen, und noch einmal zu deinen Füßen den Taumel der Wonne fühlen, in welchem meine Seele dahin floß? Lebe wohl, Abgott meines Herzens. Ewig werde ich dich so heiß, so [4] unaussprechlich lieben, als jetzt. Ich fühle es, daß mein Geist geschaffen ward, um mit dem deinigen verbunden zu seyn. Keine Zeit, selbst nicht die Ewigkeit, soll dein geliebtes Bild mir entreißen. Noch im Reiche der Schatten werde ich ganz so wie jetzt, nur noch mit veredelterer Liebe – wenn das möglich ist – der Deinige seyn.

Eduard.


N. S. Melde mir doch, wenn ich dich sehen kann. Wäre es auch des Nachts. Du kennst ja meine Ehrfurcht gegen dich, Geliebte!«


O! wie wohl ist mirs, daß ich dich habe, verdammtes Blatt! Du sollst ihr Verderben seyn. Ich möchte nur wissen, auf welche Art sie unsre falsche Karte entdeckt haben. Doch davon wissen Sie nichts, Amalie! Aber ich weiß, daß Sie – gegen die Gewohnheit Ihres Geschlechts – schweigen können. Sie sollen also erfahren, was – [5] so glaubte ich wenigstens; verdammt sey der alte Tropf! er muß vor seinem Tode geplaudert haben, woher wüßten sie es sonst? – was außer mir keine Seele weiß. Wir haben ja mehr Geheimnisse von einander in Verwahrung. Also mag dieses auch noch hinzukommen.

Als Mariens Vater starb, wurde ihrem Onkel die Vormundschaft über sie aufgetragen. Der alte Geck war schon lange in das Mädchen verliebt gewesen; aber die Uneinigkeit, in der er mit ihrem Vater lebte, hatte ihn gezwungen, seine Neigung heimlich zu halten. Er war froh, durch den Tod des Alten dieses Zwangs entledigt zu seyn, als zu seinem großen Schrecken die Mutter ihm die Verbindung ihrer Tochter mir Eduard entdeckte. Er sah, wie fest das Mädchen an ihrem Geliebten hieng, und wie hoch auch die Mutter den jungen Menschen schätzte. Er wußte die Sache nicht anzugreifen, – das viele Denken war seine Gewohnheit nicht, und [6] wenn er einmal dachte, so war es doch nie etwas gescheidtes – entdeckte sich also mir; denn er hatte ein großes Vertrauen zu meiner Klugheit und Treue gegen ihn. Ich wohnte bey ihm und hatte mich immer bey ihm fest zu setzen, und mir sein Zutrauen zu erwerben gewußt, weil es mir damals an Gelde gebrach, und er desselben überflüßig hatte. Auch mir leuchtete Marie schon damals sehr in die Augen, und ich hatte schon so allerley Absichten auf sie. Um desto mehr erschrack ich, denn ihre Amour mit Eduard war mir ganz unbekannt.

Ich stimmte also gleich darinn ein, daß man die Verbindung mit Eduard zerstören müßte, aber wahrhaftig nicht um das schöne Mädchen dem alten Knaster zu Theil werden zu lassen, sondern um sie zum Lohn für mich selbst davon zu tragen. Er war seit kurzem von hier abgereiset, und nun gieng also unsre erste Sorge dahin, seine Briefe unterzuschlagen. So ließen [7] wir eine geraume Zeit verstreichen, ohne daß sie etwas von ihm hörte. Ich trug auch Sorge zu verhindern, daß sie keine Briefe an ihn senden konnte. Meine genaue Bekanntschaft mit dem Postsekretair, und des Alten Geld – es versteht sich, daß auch ich meinen Schnitt dabey machte – erleichterten mir dieses.

Und welche Briefe waren das! Wie beneidete ich den Kerl um die Liebe eines solchen Mädchens! – Sehen Sie so sauer als Sie wollen. Amalie. Marie war damals die Krone unsrer Stadt. – Ich hätte mein Leben hingegeben, wenn einer ihrer Briefe an mich gerichtet gewesen wäre.

Mit wüthender Eifersucht im Herzen lief ich wie unsinnig umher. Nach und nach faßte sie einige Zweifel gegen seine Liebe; oft hielt sie ihn auch für todt. Dieses letzte mußte ihr Oheim widerlegen; ich ließ ihn überhaupt ihre Zweifel künstlich nähren, und endlich durch falsch geschmiedete [8] Briefe seine Untreue so gewiß beweisen, daß sie wider ihren Willen davon überzeugt wurde. Nun hätten Sie ihren Jammer sehen sollen. Ich mußte ihren Anblick vermeiden, um nicht durch ihren Schmerz äußerst gerührt zu werden; denn damals war ich solcher Eindrücke noch nicht so gewohnt, und nicht so abgehärtet dagegen, wie jetzt.

Nach Verlauf eines Vierteljahrs starb ihr Onkel an einem Schlagfluß, ohne die Früchte seiner Bemühungen genossen zu haben. Sein Tod war sehr schwer. Er stammelte mit großen Zeichen der Reue noch allerley abgebrochne Worte, die aber zum Glück außer mir niemand verstand. Ich wurde zwar etwas dadurch erschüttert, aber ich faßte mich bald wieder; denn ich hatte ihm schon lange vom Grunde meines Herzens eine glückliche Reise nach dem Ufer des Styres gewünscht, und freute mich sehr, daß [9] er so gefällig war, gerade so zu rechter Zeit meine Wünsche zu erfüllen.

Nunmehr wollte ich allmälig zur weitern Ausführung meines Entwurfs schreiten, und sah mich schon in Gedanken – ohngeachtet mir Marie immerfort mit einem Kaltsinn begegnete, der mich äußerst schmerzte – im Besitz von ihr, als eine Erbschaft, die ich in der Ferne heben mußte, mich abrief. Diese Bothschaft war mir nur halb so willkommen, als sie es sonst gewesen seyn würde; indessen hatte mein Geldbeutel eine solche Verstärkung zu nöthig, als daß ich sie hätte können fahren lassen, und es ist nie meine Sache gewesen, bey Wasser und Brod zu lieben. Bisher hatte mich des alten Onkels Geldkasse unterhalten, aber er starb, ohne mich im Tode so reichlich, als im Leben, zu bedenken, und ich konnte kaum so viel erhaschen, als ich nothwendig brauchte, um meine drückendsten Gläubiger zu bezahlen, und meine Ehre zu retten.

[10] Ich mußte also abreisen. Besondere Umstände hielten mich anderthalb Jahr an dem Orte auf, an dem ich nur einige Monate bleiben wollte. Ich hatte zwar unterdessen allerley Liebesgeschichten gehabt, die michMarien so ziemlich vergessen ließen; auch hörte ich, daß sie arm geworden wäre, und meine Umstände erforderten eine reiche Parthie. Ich weiß aber doch nicht, was ich gethan hätte, wenn sie bey meiner Zurückkunft noch ledig gewesen wäre. Aber so fand ich zu meiner großen Verwundrung, daß mich Albrecht, durch seine Heyrath mit ihr, aller Zweifel überhoben hatte.

Bey ihrem Anblick wachten alle alten Eindrücke so lebhaft wieder bey mir auf, daß ich mir vornahm, ihre Liebe zu erlangen, es koste auch, was es wolle. Sie wissen, was ich für Versuche machte. Aber alle schlug die spröde Schöne zurück. Sogar Albrechts letzte Entfernung half mir nichts. VerwünschterEduard! [11] Nichtswürdige Memme! Du steht mir im Wege? Aber ich will dich herausschleudern, daß du das Wiederaufstehen vergessen sollst! Wenn ich nur wüßte, wo er sich aushielte. Er muß wohl in der Nähe seyn. Ich werde es auszukundschaften suchen.

Heute Abends komme ich zu Ihnen. Dann wollen wir mehr reden.

Wildberg.

53. Brief. Wildberg an Albrecht
Dreyundfunfzigster Brief
Wildberg an Albrecht

Deine Besorgniß wegen der Traurigkeit, die Deine Frau seit einiger Zeit zu haben scheint, hat mich sehr aufmerksam gemacht. Ich habe, Deinem Auftrage gemäß, alles angewandt, um die Ursache davon zu erforschen. Aber vergeblich. Denn Du weißt, ich schicke mich nicht zum empfindsamen Ritter, und Deine Frau, die denn [12] gar gewaltig viel Feinheit besitzen will, wirft mir auch darinn immer einen großen Mangel vor. Ich überraschte sie einigemal bey dem Lesen gewisser Papiere, welche sie stets sorgfältig bey meiner Ankunft verbarg. Endlich war ich so glücklich, durch eine unschuldige List, ohne daß sie es merkte, eins davon zu erhaschen, und nun sah ich die ganze Veranlassung ihres Tiefsinns. Ich stand zwar erst bey mir an, ob ich Dich durch diese Erzählung kränken wollte, aber ich glaube doch, daß es besser ist, wenn Du alles erfährst; vielleicht kannst Du dann eher die rechten Mittel brauchen, um sie zu heilen.

Der Brief war von Eduard, ihrem ehemaligen Liebhaber, um deswillen sie ehemals Deine Bewerbung ausschlug. Endlich beehrte sie Dich mit ihrer Hand; ihr Herz und ihre heimliche Liebe aber behielt er. Ich weiß nicht, wodurch ihr Verständniß aufs neue mag wiederum erweckt worden seyn – eigentlich haben sie wohl [13] immer einen Briefwechsel mit einander gehabt – genug, der Brief enthielt Zärtlichkeitsversichrungen, im erhabensten Romanenstyl geschrieben. Er dankte ihr für die Nachricht von Deiner Abreise, bat sie, ihm die Nacht zu benennen, in der er sie sprechen könnte, kam mit ihr darinn überein, daß ein solcher Unwürdiger, wie Du, ihre Liebe nicht verdiene, und schrieb noch mehrere Sachen, mit deren Erzählung ich Dich nicht kränken mag. Ich selbst hätte dieß nie der Frau zugetraut, die beständig so viel von schönen Empfindungen, Tugend und Herzensgüte schwatzt! Ich werde mich näher nach der Sache erkundigen, und Dir weitere Nachricht geben. Nimm auch eher keine Maaßregeln, und schreib ihr nichts, bis Du noch einen Brief von mir bekommen hast. Zu Deiner Ueberzeugung schicke ich Dir hier das Ende des Briefs, den ich ihr raubte. Den Anfang mußte ich wieder an den Ort legen, wo ich ihn gefunden hatte, um ihr [14] keinen Verdacht zu machen. Theils fürchtete ich auch, Dich durch die darinn enthaltnen Schmähungen gegen Dich zu sehr aufzubringen. Ich bedaure Dich von ganzem Herzen, Freund, denn ich weiß, wie sehr Hörner die Stirne des Mannes drücken. Bald schreibe ich Dir mehr.

Wildberg.


N. S. Amalie ist wieder hier. Sie erröthete, als ich von ungefähr deinen Namen nannte: Ach Gott, sprach sie, nennen Sie ihn nicht. Der Gedanke, daß er, durch falschen Argwohn bewogen, sich von mir trennte, schmerzt mich noch immer unendlich tief.

»Ach schweigen Sie doch, Amalie. So ganz richtig war es doch wohl nicht mit dem Hauptmann und Ihnen. Und dann sind Sie auch zu liebenswürdig, als daß Sie nicht viele Anbeter unterdessen sollten gehabt haben.«

»Sie beleidigen mich, Herr Wildberg. Was sollte ich für ein Interesse dabey haben, Ihnen [15] die Wahrheit zu läugnen, da Albrecht doch leider! auf immer für mich verloren ist? Aber, ich schwöre es Ihnen zu, der Hauptmann hat nie Eindruck auf mich gemacht. Wie hätte ich auch neben Albrecht einen andern lieben können? Und so leichtsinnig ich sonst auch war, so ernsthaft hat mich jetzt der Kummer gemacht. Es haben sich wohl einige Männer um meine Liebe beworben, aber es ist mir unmöglich, für irgend einen andern Mann Gegenneigung zu haben. Jene unglückliche Liebe hält mich noch immer zu sehr gefesselt.«

Sie ist auch wirklich nicht halb so munter mehr, als ehemals. Sie wohnt eine Viertelstunde von der Stadt, und lebt sehr einsam. Sie hat mich auch gebeten, sie nur selten zu besuchen, theils, damit nicht durch meinen Anblick die Erinnerung an Dich – die sie zu verbannen bemüht seyn wollte – zu lebhaft erneuert würde, theils auch, damit sie auf keine Art ihren guten [16] Ruf in Gefahr setzte. Dieses Verbot ist mir sehr unangenehm; denn ihr Umgang ist einer der angenehmsten, den ich kenne. Ich kann Dir die Thorheit nicht vergeben, daß Du sie einem so empfindsamen Affen aufopfertest, wie Marie ist, und die Dir Deine Liebe so schlecht lohnt.

54. Brief. Albrecht an Wildberg
Vierundfunfzigster Brief
Albrecht an Wildberg

Dank Dir, Wildberg, daß Du den Zettel beylegtest. Ich hätte sonst Mistrauen in die Treue eines Freundes gesetzt, so unwahrscheinlich war mir die Untreue des Weibes, von deren schönem Charakter ich so viele Proben zu haben glaubte. Die nichtswürdige Gleißnerinn! War das die Ursache des Gewinsels, der Seufzer, der Thränen ohne Ende? Die Schändliche! Schon lange war ich ihrer Empfindsamkeit müde; denn ich kann die schwachen Nerven, die Reizbarkeit, [17] über die das Frauenzimmer jetzt immer klagt, nicht ausstehen. – Darum war mir Amalie so lieb, weil sie gar nichts von solchen Zierereyen an sich hatte. O Wildberg, warum schriebst Du mir von ihr? War meine Lage nicht ohnedieß desperat genug? O Amalie! ich fühle, daß meine Leichtgläubigkeit Deine Verachtung verdient, und Du liebst mich noch! Ich Thor! – Zwar kann ich nicht sagen, daß Marie alle die Päpeleyen und Vapeurs ihrer Zeitgenossinnen gehabt hätte, allein sie war mir doch zu weich, und ihre Klagen über meine Unempfindlichkeit bey Dingen, die sie tief rührten, wurden mir oft verhaßt. Aber eines solchen schlechten Betragens hätte ich sie nie fähig gehalten. Desto mehr bringt es mich gegen die Nichtswürdige auf. Aber warte! ich will Dich und Deinen elenden Liebhaber aus einander treiben, daß eure zarten Seelchen erbeben sollen, und daß die Lust zu solchen empfindsamen Zügen euch ins künftige vergehen soll!

[18] Hätte ich doch nicht gedacht, daß mich etwas so sehr aufbringen könnte! Aber Du sollst es erfahren,Marie, daß der kalte Albrecht eines heftigen Zorns fähig ist, wenn man ihn reizt! – Ich werde meine Geschäfte zu Ende bringen, und dann gleich nach Empfang Deines Briefs zu dem zärtlichen Turteltäubchen reisen, und ihren Täuber verjagen, daß er staunen soll. Schreib mir ja aufs schleunigste.

Albrecht.

55. Brief. Wildberg an Albrecht
Fünfundfunfzigster Brief
Wildberg an Albrecht

Er ist angelangt, der zärtliche Liebhaber. Sie hat ihn vor Freuden fast erdrückt, und ihre Zärtlichkeit ist über alle Maaßen weit gegangen. Es ist keine platonische Liebe, wie man sie von so feinen Seelen erwarten könnte, sondern sie sind sehr körperlicher Eindrücke fähig. Man hat [19] sie beyde in sehr zweydeutiger Stellung auf dem Kanapee sitzen sehen, und seit der Zeit werden auch immer nächtliche Besuche abgestattet. Die gute Frau! Es mag ihr wohl zuweilen in dem großen Bette grauen, in welchem sie seit Deiner Abreise so ganz allein liegen muß. Sehr natürlich also, daß sie Sorge trägt, diesen leeren Platz durch ihn zu besetzen. Vielleicht wird man bald die Spuren der Fruchtbarkeit an ihr wahrnehmen, deren Mangel sie bisher so oft beweinte.

Ich bedaure Dich von ganzem Herzen, guter Albrecht; aber es ist kein andres Mittel, dem Dinge ein Ende zu machen, als wenn Du Dich von ihr trennst. Dieses hat sie verdient, und es ist nicht zu erwarten, daß eine Frau von so verderbtem Herzen sich je bessern wird. Was willst Du auch noch mit ihr? Du dienst ja doch zu nichts, als zu einem Deckmantel ihrer Schande, und wirst nie wieder eine frohe Stunde mit ihr [20] haben können. Lebtest Du nicht vor Deiner Heyrath viel glücklicher als jetzt? Du betriebst Deine Geschäfte, und in Nebenstunden genoßest Du einen vergnügten ungezwungnen Umgang mit Deinen Freunden. Du warest in allen Gesellschaften willkommen, und hattest die besten Aussichten zu Glück und Ehre vor Dir.

Alles das ist seit Deiner Heyrath verdorben. Dein empfindsames Weib verscheuchte alle Deine Freunde, deren Umgang ihr zu rauh schien: Du wurdest allenthalben weniger geachtet, weil man Deine Frau und ihre moralischen Unterhaltungen nicht ausstehen konnte. Sogar der Geheimde Rath G., Dein mächtiger Gönner, wurde dein Feind, weil Marie einmal seiner Frau in einer großen Gesellschaft widersprach. Er hat einigemal gesagt, und viele mit ihm: »Schade, daß der Mann die Närrinn zur Frau hat!«

[21] Und was ward Dir für diesen Verlust? Ein weinerliches Geschöpf, dessen Umgang Dir nur Misvergnügen machte, bey der Du gar keine Erholung, keine Aufheitrung fandest, wenn Dich Geschäfte ermüdet hatten. Kam sie Dir nicht allenthalben mit ihrem feinen Gefühl in die Queer?

Oeffne die Augen, Freund! Laß sie mit ihrem Romanhelden laufen, und bey Wasser und Brod sich von Liebe satt schwatzen. Und Du wirst dann wieder so glücklich, so ruhig leben, wie vorher. Du wirst Deine Bekanntschaft mit Amalien zu erneuern suchen. Ihre Gesellschaft, ihr muntrer Witz, durch Deinen Anblick wiederum belebt, wird bald die Eindrücke von Deiner kopfhängerischen Marie bey Dir vertilgen.

Vor dem Urtheil der Welt brauchst Du Dich nicht zu fürchten. Man weiß hier schon allenthalben die Geschichte, man bedauert Dich und wünscht, daß Du Dich von der Treulosen scheiden [22] möchtest. Und ich bin gewiß, daß man Dich hier allenthalben mit Verachtung ansehen, und mitleidig die Achseln über Dich zucken würde, wenn Du Deine Hahnreyschaft so gelassen ertrügest. Du wunderst Dich vielleicht über meinen Eifer. Aber die Ehre und das Glück meines Freundes liegen mir zu sehr am Herzen, als daß ich bey einer für ihn so wichtigen Sache gleichgültig bleiben könnte.

Du wirst wohl gleich nach Empfang dieses Briefs abreisen, und ich bitte Dich, zuerst zu mir zu kommen, damit wir zuvor unsre Maaßregeln nehmen können, ehe Du in Dein Haus gehst. Lebe wohl bis dahin.

Dein treuer Wildberg. [23]

56. Brief. Sophie an Julien
Sechsundfunfzigster Brief
Sophie an Julien

O Julie! die ganze Frucht meiner Bemühung beyMarien ist vereitelt; sie ist jetzt elender, als je.

Wir saßen im Zimmer und redeten von Ihrem lieben Briefe, als plötzlich die Hausthür sich öffnete, und eine Mannsperson mit starken schnellen Schritten auf unser Zimmer zuzukommen schien. Marie sprang auf, in der Meynung, daß es Albrecht sey. Schnell wird die Thür aufgemacht, und Eduard tritt herein. Marie sank mit einem Schrey ohnmächtig zurück. Er fiel vor ihr nieder, und bedeckte ihre Hände mit Küssen und Thränen.

»Kehre wieder, himmlischer Geist meinerMarie! Dein Eduard, der Dich anbetet, beschwört Dich. Ach! aus dieser Bestürzung sehe ich, daß Du mich noch liebst, daß Du den fernen [24] treuen Geliebten nicht vergaßest! Du schlägst die Augen auf, Du lebst wieder? Engel des Himmels, Du liebst mich noch?«

Er schloß sie in seine Arme, und sie vermochte in der ersten Betäubung nicht, ihm zu widerstehen, aber bald siegte ihre vortreffliche Seele. Sie riß sich von seinen Lippen los.

»Gehen Sie, Eduard. Um Gottes Willen, lassen Sie mich! Ich kann Ihre Liebkosungen ohne Sünde nicht annehmen. Ich bin die Gattinn eines andern.«

»- Indem er heftig aufsprang – Du, Marie, das Weib eines andern? Tod und Verderben über das Herz, das die Schwüre der Liebe brach! Du, das Weib eines andern? Welche Quaalen der Hölle für mich! Und das kannst Du mir sagen, Treulose? Gott! ist dieß das Mädchen, das ich drey Jahre hindurch bis zur Vergötterung liebte? Unglücklicher Eduard! Elender Thor, der ich auf Mädchentreue baute! [25] der ich glaubte, ich würde Dein Herz so treu, so zärtlich wieder finden, wie das meinige war!«

»Halten Sie ein, Grausamer! oder wollen Sie sie tödten?«

Sie war ganz außer sich, in eine neue Ohnmacht zurückgesunken, und die Farbe des Todes herrschte schon auf ihrem Gesichte. Er sah sie, und seine Wuth schmolz bey ihrem Anblick.

»Was sehe ich! O Marie, Innigstgeliebte, lebe wieder auf; nie sollen meine Vorwürfe Dich kränken. Vergieb mir! Die Quaal getäuschter Liebe sprach aus mir.«

Sie erholte sich langsam, und sprach mit schwacher Stimme:

»O Eduard! Sie können mir Vorwürfe machen? und Sie verdienen die größten! Schrieben Sie mir wohl ein einziges mal? Wählten Sie nicht gleich eine andre Geliebte? Und dem ohngeachtet gieng ich doch nur mit Thränen, mit Widerwillen – – –«

[26] »Heuchlerinn! Ich eine andre Geliebte? O! ewig brennende Vorwürfe sollen mich martern, nie fühle dieses Herz Ruhe, von endlosen Quaalen sey es genagt, wenn ich je an eine andre dachte. Du warest es allein, die ich noch bis heute anbetete, bis zum Unsinn liebte! Dein Bild wich nie aus meiner Seele; schlafend und wachend schwebtest Du vor meiner Einbildungskraft! Wie viele Briefe der zärtlichsten Liebe schrieb ich Dir nicht, und erhielt keine Antwort! Ich verblendeter Thor! Ich glaubte, Deine Liebe wäre so fest, wie die meinige, geknüpft. Unüberwindliche Hindernisse, so dacht ich, hielten Deine Briefe zurück. Voll des sichersten Zutrauens zu Dir, durchlebte ich drey Jahre, schlug noch kürzlich die Hand der liebenswürdigen Nichte meines Prinzipals aus, voll des Gedankens, in Deinen Armen meinen Lohn und meine Seligkeit [27] zu finden. Auf den Flügeln der Liebe eilte ich hieher, flog mit klopfendem Herzen zu Dir, und nun finde ich Dich so! Gott, ich Elender!«

Mariens Erstaunen glich dem meinigen. Er sprach zu sehr aus dem Herzen, als daß sie hätte zweifeln können. Gewiß war Verrätherey im Spiel. Ihr Zustand war trostlos. Sie verwünschte ihre Leichtgläubigkeit, und bat Eduard in den rührendsten Ausdrücken, ihr zu verzeihen. Er wurde bewegt, und beyder Thränen flossen reichlich. Endlich ermannte sie sich. Sie bat ihn, sie zu verlassen, und er gieng verzweifelnd fort. Ihre Seele war zerrissen, und sie war taub gegen alles, was ich ihr sagen konnte. Endlich fiel sie auf ihre Knie. Ihre Thränen und Seufzer drangen gewiß durch die Wolken.

»Es ist geschehen – sagte sie, indem sie mit erheitertem Gesicht aufstand – Gott hat mich erhört. Mein Herz ist losgerissen; es fühlt [28] sich gestärkt, und nun will ich ihm zum letzten male schreiben.«

Ich widerrieth es ihr, aber vergeblich. Sie setzte sich nieder und schrieb. Giebt es ein unglücklicheres Paar als diese beyden? O Gott! warum muß das beste weibliche Herz von solchen Quaalen niedergedrückt werden? Beten Sie mit mir, Julie, um Trost für sie.

Sophie.

57. Brief. Marie an Eduard
Siebenundfunfzigster Brief
Marie an Eduard

Meine Seele, von Kummer schon vorher niedergebeugt, wurde durch Ihren Anblick zu sehr erschüttert, als daß ich vermocht hätte, mit Ihnen zu reden, so wie ich mußte. Jetzt habe ich durch Gebet mich gestärkt. Ich Aermste! Ehemals war unsre Liebe die größte Angelegenheit, die ich Gott vortrug, und jetzt muß ich[29] ihn anflehen, diese Liebe aus meinem Herzen zu reißen. O Gott, du siehst, wie es blutet. Ich scheine mich von mir selbst zu trennen, abgerissen von dem, was ich sonst abgöttisch liebte! Und doch heischt meine Pflicht dieses Opfer. Ich muß Ihnen – welcher Schmerz durchwühlt mein Innres! – Das letzte Lebewohl schreiben. Ich darf Sie nie wieder sehen, nie wieder einen Brief von Ihnen lesen, keinen mehr schreiben! – Gott! welch ein Schauder überfällt mich! Kaum kann meine zitternde Hand die Feder halten! Ich muß mich von dem trennen, den ich so innig liebte; o könnte ich auch den Gedanken an ihn verbannen! Aber, so müßte die ganze Denkkraft meiner Seele vernichtet werden, denn jede Erinnerung ruft mir sein Bild zurück.

O Eduard, vergieb mir! Ich habe das Glück Deines Lebens gestört; ich habe Dich, mich selbst, elend gemacht! Jede Freude ist für mich verloren. Kummer und Thränen werden mein Loos [30] seyn. Lebe zum letzten male wohl, Abgott meiner Seele! In einer Welt finden wir uns wieder, wo kein Schicksal mehr die Herzen trennt, die ganz für einander geschaffen waren. Da wird mein Geist Dir entgegen eilen. Ich werde Dich zu den Füßen des Throns führen, wo der Allliebende selbst unsre Thränen trocknen wird, und ewig vereint wandeln wir dann in die Gefilde der Seligen.

Dieß Bild einer glücklichen Zukunft stärke und beruhige Dich. O Eduard! bete auch für meine Seele – nicht um Ruhe hienieden; ach, die ist für mich dahin! – bete, daß ich bald einem Schauplatz entrückt werde, auf dem nur Auftritte des Jammers meiner warten.

Marie. [31]

58. Brief. Eduard an Barthold
Achtundfunfzigster Brief
Eduard an Barthold

Freund, hast Du noch Thränen: so zolle sie dem unglücklichsten der Menschen! In den tiefsten Abgrund des Elends gestürzt, ringe ich mit der Verzweiflung. O, wäre nicht eine andre Welt, fürchtete ich nicht, daß der Augenblick meines Sterbens auch der ihrige wäre – ich würde meinem quaalvollen Leben ein Ende machen!

Ich kam in D. an. Ich stieg vor einem Wirthshause ab, gab mein Pferd dem ersten, den ich sah, und nun eilte ich dem Hause zu, in welchem jedes Plätzchen mir heilig war, weil sie es einst betrat. Mit lautschlagendem Herzen gieng ich hinein, öffnete das Zimmer, in welchem ich zuerst die himmlische Gestalt sah. Sie kam mir entgegen. Welch ein Anblick! Dieß blühende Mädchen, gemacht, um das unempfindlichste [32] Herz zu besiegen, wie war sie entstellt! Die blühenden Rosen ihrer Wangen waren verwelkt, das sanfte Feuer des blauen Auges erloschen. Das zaubrische Lächeln des Mundes, das sonst mich entzückte, war geschwunden. Ihre ganze Gestalt war der rührendste Ausdruck des Kummers. Sie schrie, als sie mich sah, und sank ohnmächtig zurück. Ich warf mich zu ihren Füßen. Die lauten Ausbrüche meiner Empfindungen riefen sie ins Leben zurück. Ich drückte sie an mein Herz, und glaubte vor Wonne zu vergehen, als sie schnell sich aus meinen Armen wand.

Gott! kann ich das Schreckliche schreiben? – Sie ist das Weib eines andern. Welcher Jammer für mich! O Marie, hätte ich das von dir gedacht, daß du wärest wie andre: ich wäre vor deinem Anblicke geflohen, wie vor einer Schlange. Nie würden mich deine gefährlichen Reize besiegt haben; sie würden mir lachende Schaalen, mit [33] Gift angefüllt, gewesen seyn. Gott! wie blutet mein Herz, wenn ich die ehemaligen Zeiten mir denke, da ich im süßesten Taumel der Liebe vor ihr stand! Wie war sie da so zärtlich! Wie schienen nicht meine Blicke ihr neues Leben einzuflößen! Wie oft sagte sie mir, daß ohne mich keine Freude des Lebens sie entzücke! Und brachte ich einen Zweifel an ihrer Liebe ihr vor – es geschah nur, um ihn widerlegt zu hören – so betheuerte sie mir, daß ihre Liebe unsterblich, wie ihr Geist, sey. Und jetzt – ist sie eines andern Weib? Die Mächte der Hölle haben keine stärkeren Quaalen. Tödtende Furien, ihr nagt an meinen Gebeinen. Zerreißt mich völlig! Raubt mir ein Leben, das mir eine Last ist!

Barthold! mein tobender Schmerz zerfließt in Thränen. Eben schickt sie mir einen Brief. Die herrliche Seele des Engels leuchtet aus jeder Zeile hervor. O Gott! wie schäme ich mich meiner Wuth vor dir, sanfte Dulderinn! Sie liebt [34] mich noch so stark, so innig, als je. Ihr Herz setzte wider ihren Willen die Beweise davon auf dieß Papier. Nie, o nie sollst du von meiner Seite kommen, theurer Vrief, letztes, unschätzbares Geschenk meiner Marie. Für keine Reiche und Kronen bist du mir feil. Stets sollst du auf meinem Herzen wohnen, von meinen Thränen und Küssen benetzt.

Sie befiehlt mir, sie zu fliehen, sie nie wieder zu sehen. Ich will ihrem Befehl folgen. Mein Anblick soll nicht, mit dem ihrigen zugleich, auch den Frieden ihres Mannes stören. Aber noch einmal muß ich sie sehen, auf ewig Abschied von ihr zu nehmen. O daß ich meine Seele zu ihren Füßen aushauchen könnte! –

Eduard. [35]

59. Brief. Sophie an Julien
Neunundfunfzigster Brief
Sophie an Julien

Mit jedem Tage stürzt neues Elend auf die armeMarie. Sie wird gewiß ihren Quaalen unterliegen. Sie faßte den Entschluß, Eduard nie wieder zu sehen. Es geht über alle Beschreibung, wie viel ihr dieses kostete. Sie erhielt aber doch so viel Macht über sich, den Befehl an ihre Leute auszustellen, daß man keinen Fremden zu ihr lassen sollte. Kaum war ihr Mädchen hinaus, so zerfloß sie in Thränen.

»Gott! ist es so weit mit mir gekommen, daß ich ihm die Thür verschließen muß? Und sonst hätte ich um einen Blick von ihm hundert Thüren und Schlösser geöffnet! Auch ihm war kein Hinderniß unüberwindlich für meinen Anblick. Eduard! ArmeMarie

Sie saß auf ihrem Sopha. In der einen Hand hielt sie ein Tuch, naß von ihren Thränen, [36] die andre unterstützte ihr mattes Haupt. Eduard trat herein. Man hatte ihn außen nicht bemerkt. Er fiel, einige Schritte von ihr entfernt, auf ein Knie:

»Marie, verzeihen Sie, daß ich Ihrem Befehl zuwider handle. Wollen Sie es, so verlasse ich gleich das Zimmer. Es war mir unmöglich von hier zu gehen, ohne von dem Abschied genommen zu haben, was mir ewig das theuerste auf Erden seyn wird.«

»O Eduard, Sie haben nicht wohl gethan. Ich darf Sie nicht mehr hören, gehen Sie.«

»Marie, ist dein Herz mir ganz entwandt? Hast du alles vergessen? Unsre zärtliche Liebe, meine stete Ehrfurcht für dich, Alles? Wallt in deinem Herzen nichts mehr für mich? O so sey Verzweiflung mein Loos: ich will dich mit meinem Anblick nicht länger quälen.«

»Eduard! du wirst mich tödten.«

[37] »Was seh ich, Marie! du weinst? Du weinst meinem Schicksal noch Thränen? O! ich muß diesen Ausbruch der edelsten Zärtlichkeit wegküssen – Es sind die letzten Thränen meiner Marie, die ich fließen sehe.«

Ihr Haupt sank auf seine Brust. Er umfaßte sie, und drückte seine Lippen auf die ihrigen. Sie war zu schwach, um zu widerstehen. Ihre Thränen flossen auf seine Küsse. Und nun – trat Albrecht ins Zimmer.

Nichtswürdiges Weib! du selbst bestätigst die Nachricht von deiner Untreue. Doch sowohl du, als dein elender Liebhaber, ihr seyd zu klein für meine Rache. Ich will euch eurem Schicksal überlassen. Jetzt gehe ich auf mein Zimmer. Mache dich unterdessen, mit allem, was dein ist, aus dem Hause. In einer Stunde bin ich wieder da, und finde ich dann noch eine Spur von euch hier, so zittert vor meiner Rache.

»Um Gottes Willen, höre mich doch nur erst!«

[38] »Ich will nichts hören! Ich hörte und sah genug!«

»Herr Albrecht! sind Sie wahnsinnig, das beste Weib eines bloßen Anscheins wegen zu verstoßen, ohne sie einmal gehört zu haben? Bedenken Sie, was Sie thun.«

»Ich habe genug bedacht, Mademoiselle, bin von allem unterrichtet. Mein Entschluß steht fest, und ich will niemand rathen, sich ihm zu widersetzen! Ich wiederhole es noch einmal: Bist du in einer Stunde noch hier, so will ich ein Beyspiel an dir zeigen, das deine empfindsame Seele erschüttern soll!«

Er zog die Augenbraunen auf eine erschreckliche Art zusammen, und verließ das Zimmer.

»Gott – sprach Marie – strafst du so hart die Schwäche meines Herzens? Ach! noch nie sah ich ihn so. Ich weiß, er ist auf eine schreckliche Art beharrlich in seinen Vorsätzen. Was wird aus mir werden!«

[39] »Komm, theuerste Marie, entflieh in den Armen deines zärtlichsten Anbeters einem Ungeheuer, das deinen Abscheu verdient.«

»Halt, Eduard. Den Sie jetzt Ungeheuer nennen, der ist mein Mann, vor Gottes Altar mir angetraut. Wenn ich Ihnen folgte, so würde ich die Behandlung verdienen, die er jetzt ungerecht mich empfinden läßt. Ich werde ihm zeigen, daß ich nur schwach, nicht lasterhaft war. Die wenigen Tage meines Lebens sollen in stiller Einsamkeit dahin fließen, und der Gedanke soll mich trösten, daß einst mitleidige Thränen mein Grab benetzen werden! – Und nun noch eine Bitte an Sie, Eduard! Verlassen Sie mich und versprechen mir bey dem, was Ihnen das Heiligste ist, mich nie wieder zu sehen! –«

»Vortrefflichste Ihres Geschlechts! mit zerrißnem blutendem Herzen verspreche ich, Ihrem Befehl zu folgen; und sollte ich unterliegen, [40] o himmlischer Geist meiner ewig angebeteten Marie, so stärke du mich!«

Er verließ schnell das Zimmer, und nun brachenMariens zurückgehaltne Thränen mit Macht aus. Ich mußte sie ihrem Kummer überlassen, und war beschäftigt, ihre Sachen zusammen zu packen, und einen Wagen bestellen zu lassen. Ich fuhr mit ihr und dem kleinen Lieschen, welches sie durchaus mitnehmen wollte, nach meiner vortrefflichen Pastorinn zu, von der ich Ihnen neulich schrieb. Diese Frau, nur geschaffen um Gutes zu thun, nahm uns gern auf, und wurde sehr von Mariens Unglück bewegt. Ist es noch möglich sie zu retten, so werden es gewiß diese vortrefflichen Leute vermögen; aber ich fürchte, daß sie alles dieses nicht lange überlebt. Ihr Körper ist sehr geschwächt.

Ich möchte nur wissen, wer Albrecht so aufgebracht hat. Marie glaubt, daß vielleicht der [41] nichtswürdige Wildberg Antheil daran habe. Ach! sprach sie, gewiß ist er es auch, der Eduard von mir trennte. Das schreckliche Ende meines Onkels, und seine bisher unerklärbaren Worte, die er kurz vor seinem Hintritt in die Ewigkeit sprach, hellen sich mir auf: Marie – sprach er, als schon Stimme und Augen sich brachen – ver – gieb – Wild – berg – wird – Und indem verließ ihn die Sprache. Er reichte noch immer nach seinem Schreibtisch, und bald darauf – doch ich will einen Vorhang über die schreckliche Scene seines Todes fallen lassen. Er war meiner Mutter Bruder! Ich vergebe ihm. O Gott! räche auch du nicht seine Missethat. Verzeih ihm um der Gerechten willen, die seine Schwester war! –

Gott, Julie! Das Herz des Menschen ist so klein, und doch ein solcher Sammelplatz von List und Ränken! – Ich kann Marien nicht verlassen. [42] Bitten Sie doch meinen Onkel, daß er mir erlaubt, noch hier zu bleiben.

Sophie.

60. Brief. Ferdinand an Eduard
Sechzigster Brief
Ferdinand an Eduard

Wenn Du noch an einen Elenden denken magst, der mit jedem Augenblicke sich und sein verdammtes Schicksal verwünscht, so lies diesen Brief. Doch ich verdiene nicht, daß ein Rechtschaffner an mir Theil nimmt. In der schändlichsten Verbindung, unter Leuten, die das Fünkchen Ehre, das noch bey mir übrig ist, mich verabscheuen läßt, an die aber mein unseliges Schicksal mich fest geschmiedet hat!

O daß ich den besten, treusten Rath verachtete, daß jener Nichtswürdige und seine verdammte Buhlerinn mich so fest in ihren Netzen hielten! Wie mögen sie über meine Einfalt gelacht [43] haben! Tod und Verdammniß! Das Spiel solcher Elenden gewesen zu seyn!

Ich wagte es nicht, einen Menschen anzusehen. Sogar vor der Wache und vor meiner Aufwärterinn schlug ich beschämt die Augen nieder. Es schien mir, als wäre ich sogar das Ziel des Spottes bey solchen Leuten geworden. Ein Brief meines Vaters brachte mich vollends zur Verzweiflung. Der arme Greis! Wenn er wüßte, was jetzt aus seinem Sohn geworden wäre! Doch vermuthlich schreyt schon sein entflohner Geist Rache über mich! Weh mir! Er schied, dem ungerathnen Sohne fluchend, aus der Welt! Die Haare steigen mir zu Berge! Weh mir!

Aber was soll das Winseln? Es schickt sich nur ein abgehärtetes Herz für mich Elenden. Ich will ununterbrochen weiter erzählen:

Ich stieg des Nachts aus meinem Kammerfenster auf das Dach eines Stalls; von da kam ich mit leichter Mühe herunter, und nun eilte [44] ich unbemerkt über die Stadtmauer aus der Stadt. Nun gieng ich mit starken Schritten auf einem mir unbekannten Wege fort. Es war mir gleichviel, wohin. Ich hatte ja keinen Vater, und kein Vaterland mehr! Gegen Mittag hatte ich, meiner Rechnung nach, wenigstens fünf Meilen gemacht. Furcht und Verzweiflung hatten mich keine Ermattung fühlen lassen. Aber nun wollten mich meine Füße nicht weiter tragen. Aus Hunger und Müdigkeit schlief ich unter einem Baum im Walde ein, und wachte erst des Abends spät wieder auf. Durch diesen Schlaf, den ersten, den ich seit einigen Tagen genoß, gestärkt, setzte ich meinen Weg fort, und gieng die ganze Nacht durch. Am andern Morgen konnte ich das Schreyen meines Magens nicht mehr ertragen; bisher hatte ich mich gefürchtet, einen Menschen anzureden, jetzt aber glaubte ich mich sicher, und eilte auf ein entlegnes Haus zu, das ich an einem einsamen Orte erblickte.

[45] Ich pochte an. Nach langem Warten öffnete man mir die Thür. Ein altes Weib – glaubte man noch an Hexen, so würde ich sie für die Oberste derselben gehalten haben – sah mich mit ihren triefenden Augen forschend an, und fragte: Was ich wollte, wo ich herkäme, und wer ich sey?

»Ich bitte um einen Bissen Brod, bin ein Reisender, und kann vor Hunger nicht weiter gehen.«

Sie machte mich noch mit tausend Fragen toll: wer denn meine Reisegefährten wären, wo ich mein Pferd hätte, und dergleichen mehr. Ich Ich sagte endlich höchst erbost:

»Ich bin nicht zum Examen hieher gekommen, sage Sie nur, ob Sie mir was zu essen geben will oder nicht; sonst geh ich weiter.«

»O ja warum nicht? mein lieber Herr Baron, Dieß Haus ist zwar kein Wirthshaus für jedermann, aber einem so hübschen jungen Herrn, [46] als Sie, thut man wohl einen Gefallen. Ich bin immer sehr mitleidig gegen die hübschen Mannspersonen gewesen, und –«

»Das glaube ich gern. Aber sey Sie auch jetzt so mitleidig, und gebe Sie mir zu essen. Ich kanns nicht länger aushalten.«

»Mein Sohn hat einige Bekannte mitgebracht, auch recht artige Leute, die – –«

Ich war des Geschwätzes mit der häßlichen alten Vettel satt, und drang, ohne auf sie zu hören, mit Gewalt in die Stube. Eine verfluchte Hexe! Sie legt sich, glaub' ich, auf die Kunst, den Hunger durch Worte zu befriedigen!

Dieses Ausrufs wegen betrachtete mich die ganze honorable Gesellschaft aufmerksam. Sie bestand aus Kerlen, deren rauhe schreckliche Gesichtsbildungen mir noch mehr aufgefallen seyn würden, wenn ich nicht so beschäftigt mit meinem Frühstück gewesen wäre. Als dieses verzehrt war, betrachtete ich sie noch einmal, und alle [47] misfielen mir aufs höchste, einen jungen Menschen ausgenommen, der in einer Ecke saß, und eine edle, aber traurige Miene hatte. Ich wollte sogleich weiter gehen, weil es mir hier sehr misfiel, als einer von ihnen mich sehr höflich fragte, wo ich denn hinzureisen gedächte? Ich antwortete ihm: ich könnte den Ort nicht genau bestimmen, ich wollte Kriegsdienste suchen. (Es war auch mein Plan Mousquetier zu werden.)

»Ey, ein junger Mann von ihrem Ansehen sollte sich doch nicht todtschießen lassen. Glauben Sie, mein Herr, das ist eine garstige Sache.«

»Wem das Leben eine Last ist, dem kann es auch gleichviel seyn, auf welche Art er es verliert!«

»In Ihrem Alter pflegt man doch sonst das Leben zu lieben.«

»Ja, aber es kann Unglücksfälle geben, die uns das Gegentheil wünschen lassen. Doch dieses [48] Reden macht Ihnen Langeweile, und mir nur unangenehme Erinnerungen. Leben Sie wohl, meine Herren!«

»Junger Mann, Sie flößen mir viel Theilnehmen an Ihrem Schicksal ein. Können Sie mir nicht mehr davon sagen?«

»Ersparen Sie mir eine Erzählung, die Ihnen und mir unangenehm seyn würde. Ich muß gehen.«

»Hören Sie, mein Herr, ich fühle eine starke Neigung gegen Sie. Ihre Aussichten als Soldat sind ungewiß, Ihre Börse ist wahrscheinlich nicht im besten Zustande.« (Dieß mußte er bemerkt haben, als ich meine Rechnung bezahlte.) »Bleiben Sie bey uns. Ich will für Ihren Unterhalt sorgen, und Sie werden sehen, daß Sie ein angenehmes Leben gewählt haben.«

»Sie sind sehr gütig, aber darf ich fragen, worinn meine Beschäftigung bestehen sollte?«

[49] »Das heißt – sagte er lächelnd – wer wir sind? Wir sind Leute, die sich bemühen, die Glücksgüter, welche das Schicksal oft an den unrechten Mann gebracht hat, besser auszutheilen. Es versteht sich, daß wir uns selbst bey dieser Theilung nicht vergessen.«

Schrecken und Abscheu erfüllten mich; denn ich sah nun, unter welchen Menschen ich mich befand. Ich wünschte mich weit entfernt. Brand, so hieß der Redner, schien meine Bestürzung zu merken:

»Sie haben gewiß auch das Vorurtheil der Welt gegen uns, und doch sind wir verdienstliche Leute. Wir halten manche durch unsre Beraubung von einer schlechten Anwendung ihres Geldes ab. Wir bringen manchen Müßiggänger zur Arbeit zurück, und wahrhaftig, wir wissen sein Geld gut zu gebrauchen. Sagen Sie mir, handeln wir schlechter, als viele angesehene Männer, die sich durch List und Betrug [50] ein großes Vermögen sammlen? Ist es rechtmäßiger, durch List, als durch Gewalt rauben? Nein, die Welt ist gewiß ungerecht, uns den Namen Diebe und Räuber zu geben, und jene größern Spitzbuben ruhig im Besitz ihres Vermögens zu lassen, und mit Ehre und Ansehen zu schmücken. – Sie schweigen, und schütteln den Kopf? Hören Sie, junger Mensch, Sie werden hoffentlich selbst so klug seyn, zu glauben, daß wir Sie, unsrer Sicherheit halber, nicht so können wiederum weggehen lassen, wie sie angekommen sind. Sie wissen unsre Geheimnisse, und das wäre für uns gefährlich.«

»Ich verspreche bey meiner Ehre – –«

»Das Versprechen hilft uns nichts. Sie würden es bey der ersten Gelegenheit wiederum brechen. – Wir schreiten ungern zu Gewaltthätigkeiten, wenn wir unsern Zweck in Güte erreichen können; bey Ihnen aber wird es nothwendig seyn. Wählen Sie also: Entweder wir [51] machen Sie durch den Verlust Ihrer Zunge und rechten Hand unfähig uns jemals zu verrathen, und dann können Sie gehen, wohin Sie wollen, oder Sie schwören, uns treu zu bleiben. Es sollte mir leid thun, wenn das erste geschehen müßte – einen andern Ausweg erlaubt uns die Strenge unsers Gesetzes nicht – denn Sie scheinen mir ein beherzter Mann von gutem Kopf zu seyn. Beydes ist nothwendig zu unserm Metier, und darum fiel meine Wahl gleich auf Sie. Nun, wie stehts? Bedenken Sie sich kurz.«

Ich fühlte jetzt die ganze Strafe meines Verbrechens, die mir so schnell nachfolgte, da sie mich in die Hände dieser Nichtswürdigen fallen ließ. Ich, der ich mir immer so viel auf meinen Muth zu gute that, zitterte vor Schrecken. Verstümmelt zu werden, welch ein grausames Schicksal! Und doch, Räuber! Dieb! das schallte fürchterlich in meinen Ohren. Aber es blieb mir [52] ja immer noch die Hoffnung zu entwischen; ich war ja doch ein verlorner Mensch. Entlaufen, vom Vater enterbt, mein Name vielleicht als infam an die Ecken der Stadt geschlagen! Wie lächerlich, in meiner Lage von Gefühl der Ehre reden zu wollen! Was ist es denn weiter? Eine Stufe niedriger als jetzt. Andre Entwürfe des Glücks sind doch für mich verloren. Der junge Mensch blickte mit einem äußerst rührenden Wesen auf mich. Alles das zusammen, und ich sagte: Ja. Nun erschallten Glückwünsche und Freudengeschrey von allen Seiten. Es wurde noch eine Schüssel auf den Mittag bestellt, und alle faßten den Vorsatz tapfer auf meine Gesundheit zu saufen. Nun war ich ein Genosse von Leuten, die der Auswurf der Menschheit sind. Bloß der Hauptmann Brand hatte noch einen kleinen Anstrich von ehemaliger guter Erziehung übrig behalten. Um meinen Kummer zu zerstreuen, erzählte er mir seine Geschichte. Ich will [53] sie auch Dir mittheilen, aber heute ist es mir unmöglich. Ich muß schließen.

Fortsetzung.

In der Gesellschaft meiner Bundsgenossen verabscheue ich mich selbst. In der Einsamkeit foltern mich auch unaufhörliche Vorwürfe. Um meinen Schmerz zu verjagen, will ich des Hauptmanns Erzählung wiederholen:

»Eine sogenannte feine Erziehung habe ich freylich gehabt, und mein Vater dachte wohl nicht, daß ich einmal der Vorsteher einer so honorablen Gesellschaft werden würde; denn als ich ihm von der Wehmutter überreicht wurde, verdoppelte er bey der Nachricht von meiner Knabenschaft das Geschenk, welches er ihr machen wollte. Und von der Zeit an war ich sein Augapfel und meiner Mutter Herzblättchen. Beyde erzogen mich mit der größten Sorgfalt; [54] das heißt: sie hatten alle mögliche Aufmerksamkeit, mir in allen Dingen meinen freyen Willen zu lassen; denn meiner Mutter Hauptgrundsatz war: daß man die Kinder nie ärgern müsse, weil der Aerger der Gesundheit schade. Ihre Zärtlichkeit hatte denn auch so vortreffliche Wirkung auf mich, daß ich noch vor dem vierten Jahre allgemein gefürchtet ward. Ich übte alle möglichen Tyranneyen an meinen Geschwistern, Gesinde, Hunden und Katzen, ja zuweilen auch an meinen liebwerthesten Eltern selbst aus. Diese freuten sich denn immer gewaltig über meine witzigen Einfälle, wie sie es nannten.

Ja, sagte mein Vater und nahm mich auf seinen Schooß, aus unserm kleinen Georg wird noch einmal ein ganzer Mann werden.

Wenn das liebe Kind nur leben bleibt, – erwiederte meine Großmutter und schüttelte den Kopf, der ohnehin schon sehr stark auf dem Rumpfe wackelte – es ist mir gar zu klug für [55] sein Alter, und die Kinder, welche so früh klug werden, kommen selten auf. So sagt das Sprüchwort.

Sprüchwort hin, Sprüchwort her. Der Junge wird schon groß werden. Nicht wahr, Schorschen, aus dir wird noch einmal ein großer Jurist?

Ey Gott behüte! Juristen, böse Christen. Ich will das auf Sie nicht gedeutet haben, Herr Sohn – mein Vater war Justizrath – aber ein Advokat soll er nicht werden. Es wird gewiß einmal ein Superintendent aus ihm. Nicht wahr, Kind?

Ich hatte mich während der Hitze des Streits ganz sachte von meines Vaters Schooß unter der Großmutter Stuhl geschlichen, und stach sie mit einer großen Nadel auf eine schmerzhafte Art an einen empfindlichen Ort, der bey ihr nicht mehr mit vielem Fleisch überzogen war. Sie sprang, vor Schmerzen über den kleinen [56] Superintendenten laut schreyend auf, und mein Vater lachte in seinem Stuhl, daß er mit beyden Händen seinen dicken Bauch halten mußte.

Aehnliche Streiche spielte ich auch meinen Informatoren. Verstanden sie es unrecht und wollten mich bestrafen; so klagte ich es der Mama, und die machte sie denn für ihre Grobheit gar weidlich herunter. Auch mein Vater meynte, daß Strenge das Genie bey mir unterdrücken würde. Dadurch kam es denn so weit, daß kein Lehrer mehr in unser Haus ziehen wollte. Dieß war mir gerade recht. Ich lief nun ungestört auf der Straße herum, und wurde bald durch die feine Geschicklichkeit berühmt, mit der ich meinen Kameraden ihr Naschwerk wegzukapern wußte. Aber leider endigte sich diese Freude bald.

Herr Treuwerth wurde meinem Vater von einem würdigen Manne zum Hofmeister bey mir vorgeschlagen, und zog bey uns ein. Er betrug [57] sich gegen mich immer sehr leutselig, aber mit einem gewissen ernsten Wesen, welches mich im Anfange scheu machte, meine dummen Streiche vor ihm auszuüben. Er hielt oft die rührendsten Ermahnungen an mich, die auch zuweilen wirklich Eindrücke machten. Aber die Gesellschaft des Gesindes, der Straßenbuben – denn hievon versuchte er vergeblich mich zurückzuhalten – vertilgten diese Eindrücke bald wieder. Die Spöttereyen der Bedienten, auch oft meine Mutter selbst – (in die Ungnade der letzten war er gefallen, weil er einmal behauptete, eine Mutter sey verbunden ihr Kind selbst zu stillen. Der gute Mann wußte nicht, daß sie bey uns allen Ammen gehabt hatte –) die ihn nur den Pedanten nannte, und der Zwang, den ich mir in seiner Gegenwart anthun mußte, machten ihn mir fatal.

Ich fieng an, ihn durch Ungehorsam und allerley Neckereyen recht vorsätzlich zu ärgern, [58] aber er wußte mich die erstenmale so ernsthaft zu behandeln, daß mir der Muth zu ähnlichen Versuchen vergieng.

Aber meine böse Natur brach bald durch. Und die Rathschläge der Bedienten, welchen er verhaßt war, weil er nicht mit ihnen soff und Karten spielte, wie der letzte Informator gethan hatte, trugen auch dazu bey, daß ich bald anfieng, ihn aufs neue durch allerley Beleidigungen so oft und vorsätzlich zu ärgern, daß er es meinem Vater klagte, und ihn um Erlaubniß bat, den Stock bey mir gebrauchen zu dürfen; denn er merke, daß ich mich zu sehr auf die Bedingung verließe, die ihm verbiete, mich zu schlagen.

Mein Vater verweigerte es, und Herr Treuwerth erklärte: wenn man ihm dieses Mittel, das einzige, welches noch wirksam bey mir seyn würde, nicht gestatten könne, so müsse er um seinen Abschied bitten.

[59] Mein Vater wollte ihn nicht gern verlieren; denn es war sichtbar, daß ich in der Zeit, die er da war, viel gelernt hatte. Er bat sich also Bedenkzeit aus. – Ich hatte sie behorcht, und wußte meine Mutter durch Schmeicheleyen so sehr auf meine Seite zu bringen, daß sie alles anwandte, meinen Vater zu vermögen,Treuwerth seinen Abschied zu geben. Er wollte aber durchaus nicht daran, und sie erhielt weiter nichts, als das Versprechen von ihm, daß er durchaus nicht gestatten wolle, daß ich geschlagen würde. Der Mittag kam, und Treuwerth erschien bey Tische. Nun waren die Sticheleyen und Grobheiten meiner Mutter gegen ihn so groß, und ich lachte so triumphirend dazu, daß er noch denselben Tag unser Haus verließ.

Seine Stelle bekam Herr Gutmann, die frömmste Seele, die man sich denken kann. Ich konnte bey ihm machen, was ich wollte, und er lachte immer herzlich mit, wenn ich ihm [60] heimlich das Gesicht schwarz gemalt hatte, und er dann, durch das Lachen der Bedienten aufmerksam gemacht, im Spiegel seine schöne Gestalt erblickte. Meine Fertigkeit in allerley listigen Streichen nahm nun auch so sehr zu, daß meiner Eltern Geldschränke keinen Augenblick sicher vor mir waren. Mein Vater bemerkte den Verlust einer starken Summe. Er visitirte und fand einige auszeichnende Stücke bey mir. Beweis genug gegen mich. Zu dieser Entdeckung kamen noch allerley andre hinzu, die ihn so aufbrachten, daß er mich – zum erstenmal in seinem Leben – tüchtig ausprügelte. Ich wollte mich meiner Haut wehren; er sperrte mich also, weil das Schlagen nicht angieng, auf mein Zimmer, und schickte mich ein paar Tage nachher, alles Sträubens von meiner Mutter ungeachtet, in eine Pension, mit der Bitte, mich äußerst strenge und in der genauesten Aufsicht zu halten.

[61] Dieses kam mir sehr spanisch vor. Ich machte mehrmals Versuche zu entlaufen. Sie wurden aber immer vereitelt, und ich mußte ein Jahr an diesem infamen Orte aushalten. Ich hatte in den Stunden, die mir vom Lernen übrig blieben, kein andres Amusement, als witzige Streiche auszusinnen, deren Ausübung ich auf eine günstigere Zeit verschieben mußte. Endlich konnte ich die Strenge, mit welcher man mich zum Fleiß anhielt, nicht länger ausstehen. Ich schrieb also so bewegliche Briefe an meine Mutter, und so weisheitsvolle, mit den besten Versprechungen durchspickte an meinen Vater, daß dieser endlich einwilligte, mich auf die Universität zu schicken.

Ich kam nach Hause, und fand meinen Vater auf dem Todbette. Seine letzten Ermahnungen drangen so auf mich ein, daß ich mit dem festesten Vorsatze, fleißig und ordentlich zu leben, nach Jena gieng. Aber ich war schon zu lange [62] auf dem ungebundensten Wege fortgegangen. Es war zu spät, um noch einen andern einzuschlagen. Das lustige Leben der Musensöhne gefiel mir zu sehr. Mein Vater war todt, und ich rechnete darauf, daß meine Mutter mich nie würde Mangel leiden lassen. Ich lebte also recht flott drauf los, folgte meinem Hange zu Mädchen, und zu Vergnügungen aller andern Art. Es studierte noch ein Mensch da, Namens Schlichtberg, der eben die Art von Talent besaß, die ich hatte. Wir führten auch solche witzige Einfälle auf der Universität aus, besonders an den Professoren und Pedellen, daß wir bald unter allen Burschen berühmt wurden.

So giengen zwey lustige Jahre hin; aber nun erfuhr ich, daß meine Mutter todt wäre, daß das übriggebliebne Vermögen lange nicht hinreichte, die vielen Schulden, die da wären, zu bezahlen, und daß ich also auf keinen Pfennig mehr zu rechnen hätte. Diese Nachricht [63] machte mich zwar anfangs desperat, aber ich hatte das Vergnügen zu sehr geschmeckt, als daß ich meine Lage hätte verändern mögen. Ich ließ also den Muth nicht sinken, und lebte auf Kredit eben so flott fort, wie vorher. Fehlte es mir an Gelde, so nahm ich bey dem einen Juden Uhren und dergleichen Kostbarkeiten aus, für die er mir doppelt so viel anschrieb, als sie werth waren, und verkaufte sie um ein Drittheil des Preises an einen andern. Auch trug das Spiel, welches ich aus dem Grunde verstand, viel dazu bey, meine Kasse in gutem Stande zu erhalten.

Einst wurde ich von einem jungen Edelmann, der eine große Summe an mich verlor – freylich nicht ganz nach dem Laufe des Spiels – öffentlich der Prellerey beschuldigt. Ich wurde hitzig, sagte ihm die gröbsten Schmähreden, und es kam zu einem Duell. Ich erstach ihn, und floh eilig davon, ehe die Sache ruchbar [64] wurde. Unterwegs stieß ich auf eine Truppe Komödianten, und bot mich bey ihnen zum Akteur an, denn ich dachte mir ihre Lebensart ganz passend für meinen Geschmack. Ich schien dem Direkteur nicht unfähig: er nahm mich an, und ich spielte auch wirklich mit großem Beyfall in komischen Rollen.

Unser Direkteur hatte ein junges niedliches Weib, und liebte sie – wider die Gewohnheit der Komödianten – bis zur stärksten Eifersucht. Sie leuchtete mir gewaltig in die Augen, und ich machte ihr allerley Liebeserklärungen; aber sie war keine Buhlerinn, und gab mir niemals Gehör. Endlich gelang es mir durch vielerley List und Kunstgriffe, sie mir geneigter zu machen. Man entdeckte unsern Umgang ihrem Manne, und er überraschte mich im Bette bey ihr in keiner der ehrbarsten Stellungen. Seine Wuth gieng über alle Vorstellung, und ich würde auf eine oder die andre Art ein Opfer derselben geworden [65] seyn, wenn ich mich nicht schleunig aus dem Staube gemacht hätte.

Auf meiner Flucht wurde ich des Abends spät von zwey Menschen an einem abgelegnen Orte angehalten. Sie forderten mir meine Börse ab, und drohten im Weigerungsfall mich zu erschießen.

Mit meiner Börse wird Ihnen eben so wenig gedient seyn, als mit meinem Leben. Hier ist sie – Sie sehen, meine Herren, daß sie ziemlich leer ist. Ich bedaure von Herzen, daß ich Ihnen nicht mit reicherer Beute dienen kann.

Du scheinst mir ein lustiger Teufel. Wer bist du?

Ich offenbarte mich ihnen, und wir gefielen einander so gut, daß ich mich ihrem Hauptmann vorstellen ließ, der mich auch willig annahm. Meine Geschicklichkeit im Beutelschneiden brachte mich bald auf einen ansehnlichen Posten. Und da mein Hauptmann durch seine [66] Dummheit den Galgen zieren mußte – es fielen zugleich noch einige brave Kerle – so sammelte ich den Ueberrest unsrer Bande zusammen, und wurde zu ihrem Oberhaupt erwählt, welchem Amte ich schon vier Jahre lang mit Ruhm und Ehre vorgestanden habe. Nicht wahr, Brüder?«

Ein lautes: Lange lebe noch unser braver Hauptmann Brand! erscholl von allen Seiten. Und nun wurde das Mittagsessen aufgetragen, wobey sich die ganze Gesellschaft den Wein so vortrefflich schmecken ließ, daß sie fast alle taumelnd unter den Tisch sanken. Auf mich hatte die Erzählung des Hauptmanns einen allzudemüthigenden Eindruck gemacht, als daß ich einen Bissen zu essen vermocht hätte. Auch der Jüngling, der mich so sehr anzog, saß tiefsinnig da, ohne an dem pöbelhaften Scherz der andern Theil zu nehmen. Ich fühlte einen starken Hang zu ihm, und würde mich ihm gern genähert haben, wenn nicht Brand – (ob er gleich mehr als [67] die andern gezecht hatte, so war er doch vollkommen bey Sinnen –) ein sehr wachsames Auge auf uns gehabt hätte.

Gegen Abend kamen noch einige andre Glieder der Gesellschaft nach Hause. Sie stutzten bey meinem Anblick. Da ich ihnen aber als ein neuer Genosse vorgestellt wurde, umarmten sie mich, zu meiner Quaal, sehr freudig, und legten dem Hauptmann Rechenschaft von den Streifereyen ab, die sie vorige Nacht unternommen hatten. Auf die künftige verabredete man einen Ausfall auf den Geldkasten einer reichen Wittwe.

Ich bin noch zu keiner Ausführung gebraucht worden, so wenig als Feldheim; man hütet uns aber sehr sorgfältig, so daß es nicht möglich ist, ein Wort mit ihm zu reden.

Ich habe vierzehn Tage an diesem Briefe geschrieben; denn ich muß unter allerley Vorwande die Zeit dazu stehlen. Aber ich verwünsche noch eben so heftig als Anfangs das Schicksal, das [68] mich in diese Mördergrube brachte. – Was soll ich Dir noch weiter schreiben? Du verachtest gewiß

den elenden Ferdinand.

61. Brief. Eduard an Barthold
Einundsechzigster Brief
Eduard an Barthold

Da hast Du Ferdinands Brief. Rette ihn, wenn Du kannst, und suche zu erforschen, wo er sich aufhält. Mir ist es nicht möglich, die Gegend zu verlassen, in welcher der leidende Engel wohnt. Ich lebe in einer Bauerhütte, einsam und unerkannt, und suche die einzige Wollust bey meinen Leiden darinn, daß ich des Abends um das Pfarrhaus herum gehe, und dann durch das Dunkle der Nacht den Schein ihrer Lampe schimmern sehe.

[69] Gestern wagte ich es durch ihr Fenster zu blicken, und o Gott! wie ward mir da, als ich ihre himmlische Gestalt sah! In ein weißes Gewand gekleidet, schien sie mir ein schon verklärter Engel zu seyn. Sie schwebte mit matten Schritten im Zimmer umher, sank dann kraftlos auf einen Stuhl und weinte. O ihr Mächte des Himmels, was fühlte da mein Herz! Vielleicht mischte ein Andenken an mich sich in diese Zähren, und ich Elender durfte nicht hinein, sie zu trocknen, und stand ihr doch so nah! Hätte ich nur eine Thräne von diesen Wangen wegküssen dürfen, so würde die unbändig tobende Hitze in mir gelöscht seyn; aber so waren diese Tropfen brennende Quaalen für meine Seele.

O Himmel! kannst du es zulassen, daß das edelste Geschöpf, geschaffen zum Vorbild ihres Geschlechts, solchen Schmerzen unterliegt? daß sie, die die Anbetung der ganzen Welt verdiente, [70] als eine Schändliche verachtet und verstoßen wird? O Schicksal, o Menschheit!

Barthold! oft liege ich ganze Nächte hindurch vor ihrem Fenster. Wenn ich dann meine Arme vergebens nach ihr ausstrecke, und nun der grauende Tag mich von ihrer Thür wegtreibt, dann eile ich in mein einsames Lager zurück, aber der Schlaf flieht mich. Schreckliche Bilder stehen vor meiner Einbildungskraft; matt und kraftlos stehe ich wieder auf, um dem neuen harmvollen Tage entgegen zu gehen! Habe Mitleid mit mir, Barthold! Oft scheints, als verlassen mich meine Sinne. Wärs Wunder, wenn der Schmerz sie zerrüttete, da ich ihn so ganz in meiner Brust verschließen muß? Keine Seele um mich, die mich versteht. Ach wäre noch ein eben so Unglücklicher als ich auf der Erde – (doch das ist nicht möglich –) o so wollte ich ihn mir zum Gesellschafter wünschen. Wie wollte ich mich an seinem Umgange laben! Die Luft würde von [71] unsern wechselseitigen Klagen ertönen. Thränen sollten unser Trank, und Seufzer unsre Speise seyn!

Hier ist niemand, der mein Leiden fühlt. Lauter unbefangne heitre Gesichter, auf welchen man keine Spur des Kummers sieht. Ich möchte rasend werden, wenn ich diese fröhlichen Leute sehe und ich – undMarie! Wüthend laufe ich auf mein Zimmer, wenn mich der Gedanke ergreift, und überlasse mich meinem tödtlichen Schmerz.

Eduard.

62. Brief. Barthold an Eduard
Zweyundsechzigster Brief
Barthold an Eduard

Um Gottes willen, Eduard! was fängst Du an? Willst Du Dein eigner Mörder werden? Was hilft Marien alle Dein Jammern und Wehklagen? Hat sie wohl die mindeste Erleichterung davon? Du zehrst die Kräfte Deines Körpers [72] und Deiner Seele ab, und bringst Dich vor der Zeit zum Grabe. Ist das der Gebrauch, den Du von Deinen Fähigkeiten zu machen schuldig bist, daß Du unthätig in einer Bauernhütte sitzest und winselst? Ermanne Dich, Eduard, komm zu mir, verlaß den traurigen Ort, und suche durch Geschäfte Deinen Kummer zu zerstreuen. Denke, daß Dir Gott Verstand und ein edles Herz gab, um Deinen Nebenmenschen zu nützen, nicht um beydes durch Gram über Sachen aufzureiben, die Du doch nie wirst ändern können. Marie würde ihrer selbst unwürdig handeln, wenn sie jemals Deiner Liebe Gehör gäbe, und Du verdientest nicht, jemals von ihr geschätzt worden zu seyn, wenn Du ihr einen Antrag dieser Art thun könntest. Aber es ist nicht genug, daß Du diese Liebe gegen sie nicht äußerst, Du mußt sie auch zu unterdrücken suchen, und ihr nicht noch immer mehr Nahrung geben.

[73] Höre auf meine Bitten, bester Freund! Komm zu mir. Wir wollen uns mit einander bemühen, des armen Ferdinands Aufenthalt zu erforschen, um ihn zu retten. Der Gedanke an den unglücklichen Jüngling macht mich sehr traurig. Wüßte ich nur, wo er wäre, so wollte ich ihm schnell zu Hülfe eilen. Gott! wenn sein Vater seinen Zustand erführe! Der Sohn, auf den er so feste Hoffnungen künftiger Größe baute, ist jetzt unter Dieben und Räubern! Wie würde der Alte sein graues Haar zerraufen! Er hat schon jetzt keine frohe Stunde mehr, und schreibt mir immer die rührendsten Briefe.

Lebe wohl, Bester; ich sehe mit der stärksten Erwartung Deiner Ankunft entgegen, und bin versichert, daß mein Eduard jetzt schon selbst das Unanständige seiner Lage fühlt, und eilen wird, sie mit einer andern, seiner würdigern, zu vertauschen.

Dein zärtlichster Freund, Barthold. [74]

63. Brief. Eduard an Barthold
Dreyundsechzigster Brief
Eduard an Barthold

Wenn Ihr Leute mit kalter Vernunft und kaltem Herzen Euch doch nicht anmaaßtet, über die Empfindungen warmer, gefühlvoller Menschen zu urtheilen! Kreuzen und segnen möchte man sich vor einem solchen Moralisten! Was soll wir Dein Brief? Ich kann Deinem Rathe nicht folgen. Mit einem blutenden Herzen und halb zerrütteten Seelenkräften bin ich der menschlichen Gesellschaft nichts nütze. Was liegt auch am Ende dran, ob einer mehr oder weniger unter ihr herumgeworfen wird? Meine Seele ist zu fest anMariens Schicksal geknüpft, als daß ich von hier reisen könnte. Muß ich nicht zu ihrer Beschützung bleiben? Könnte nicht sonst der tolle Albrecht sie zu einem Opfer seiner Wuth machen? Ich kann und darf nicht von hier. Schreibe mir nichts mehr davon.

[75] Ich werde mein Leben da beschließen, wo Marie das Ende ihres Leidens finden wird. Ein Grab soll die Ueberreste der unglücklich Liebenden bedecken, und so vereint sollen unsre Leichname ruhen, bis zu jenem großen Tage der Auferstehung. Dann werden wir mit einander aus dem Staube hervorgehen zu dem Gott, der unsre Seelen so einstimmig für einander schuf, um sie einst ewig unzertrennlich zu verbinden. Ewig unzertrennlich! Fühlst Du, was das heißt? Und ich sollte hier mich von ihr trennen? sollte nicht mit ihrem letzten Hauch auch den meinigen mischen?

Nein, Marie, Inniggeliebte, ich lasse dich nicht. Die Stunde deines Hinscheidens soll auch die meinige seyn, und so lange will ich harren, bis die wohlthätige Hand des Todesengels uns abruft. Tod, sonst mir schrecklich, jetzt ein unaussprechlich süßer Name! beflügle deine Schritte! Du allein kannst mir wiedergeben, was Menschen mir raubten! Scheußliches Gerippe! du bist mir [76] lieblicher, als das holde Lächeln der Braut dem Heißverliebten. Wärest du doch schon da, seliger Augenblick, der mich mit Marien vereinigt!

Geliebte, Engel des Himmels! hast du nicht auch diesen Wunsch? O ja gewiß! Unsre Gefühle sind ja so einstimmig! Und du selbst schriebst mir ja diesen Trost der Zukunft! Ach! sahest du vielleicht vorher, daß oft der Gedanke mich überfallen würde, meinem Leben ein Ende zu machen? Schriebst du mir darum diese erquickenden Zeilen?

Sey ruhig, Theure! Mit feurigen Zügen stehen deine Worte in meinem Herzen, und nie wird dein Eduard durch eine so kleinmüthige Handlung sich deiner unwerth machen! Ich will geduldig ausbüßen, ohne zu murren. Dank dir, du Engel, daß du mein innres Toben so sanft stimmtest!

[77] Fortsetzung.

Ich habe den Gefährten meines Kummers gefunden. Ich kehrte, wie gewöhnlich, des Nachts von Mariens Fenster zurück, und hörte eine winselnde Stimme auf dem Kirchhofe. Ich gieng hinzu, und sah im Mondenschimmer einen Jüngling auf einem Grabe sitzen und jammern.

»Wer bist du, Freund, der du in der schauerlichen Stunde der Nacht hier sitzest und wehklagst? Verlorst du eine Geliebte? Entriß man sie dir durch Gewalt oder Trug? Oeffne mir dein Herz. Ich will Balsam in deine Wunde gießen.«

»Ja, Herr, ich verlor ein Mädchen, das schönste des Dorfs. Sie war so gut, so zärtlich. Jedermann beneidete mich um ihren Besitz.«

»Und wer raubte sie dir?«

»Ihr eigner Vater. Er widersetzte sich unsrer Liebe, weil ich nicht reich genug war, und wollte sie zu einer andern Heyrath zwingen. Ich [78] gieng des Nachts heimlich zu ihr. Er überfiel mich, als ich aus ihrem Fenster stieg, und schlug mich mit Hülfe meines Nebenbuhlers halb todt. Er sperrte das Mädchen ein, begegnete ihr sehr hart, und wollte ihr mit Gewalt den andern aufdringen. Sie sträubt sich vergebens. Der Tag der Hochzeit wird angesetzt. Sie hat kein andres Mittel mehr als mit mir zu entfliehen. Sie eilt in dunkler Nacht aus ihrem Hause, um zu mir zu gehen. Sie tritt fehl auf einem schmalen Stege, der über unsern Fluß führt, und ich selbst finde den andern Tag ihren todten Leichnam im Wasser! Ich wollte ihr nachstürzen, aber man hielt mich zurück. Ich fiel in ein hitziges Fieber und rasete. Unser Herr Pfarrer brachte mich zur Vernunft zurück. Ich würde meine Hanne im Himmel wieder finden, und den würde ich verscherzen, wenn ich selbst Hand an mich legte, sagte er. Er ermahnte mich auch, wiederum [79] eben so fleißig meine Arbeit zu treiben, wie vorher. Das thue ich auch am Tage, aber des Nachts sitze ich auf ihrem Grabe und weine.«

Ich schluchzte laut: »Wie heißest du, Unglücklicher?«

»Ich heiße Schwarze. Aber Henrich höre ich lieber. So nannte mich meine Hanne.«

»Hast du noch Eltern, Henrich

»Nein. Ich bin allein, und gehe auf Tagelohn.«

»Nun, armer Henrich, so geh mit mir. Ich will dich unterhalten. Du sollst mehr mein Freund als mein Diener seyn. Ich hatte auch ein zärtliches Mädchen, das ich verlor. Komm mit mir, guter Junge! Wir wollen mit einander klagen und einer in des andern Jammer Trost finden.«

Seitdem ist er bey mir. Jede Nacht gehen wir zusammen aus: er zu dem Grabe seiner Hanne, ich vor das Fenster meiner Marie. In [80] schweigendem Tiefsinn kehren wir zurück, und so wird ein Tag nach dem andern dahin schleichen, bis endlich der so sehnlich gewünschte erscheint.

Eduard.

64. Brief. Sophie an Julien
Vierundsechzigster Brief
Sophie an Julien

O Julie, was leidet mein Herz bey dem Kummer meiner Marie! Der herrliche Umgang unsrer vortrefflichen Wirthinn hat zwar ihren Schmerz sanfter gemacht und gemildert, aber ihre Seele leidet doch noch immer sehr tief. Es ist ein rührender Anblick, zu sehen, wie sie in den Stunden die kleinen Kinder unterrichtet, wie ihre schwache Stimme oft ausruhen muß, um weiter reden zu können.

Die Frau Pastorinn erlaubt ihr dieses Geschäft gern, ob es gleich ihre schwachen Kräfte angreift; denn sie glaubt, daß solche Beschäftigungen das [81] kräftigste Gegengift ihres Kummers sind. Mariens sanftes Herz macht auch, daß sie die Kinder liebt, und ohngeachtet ihres innern Leidens beträgt sie sich doch so gefällig und liebreich gegen diese Kleinen, daß sie ihr sehr anhängen. Oft, wenn sie ein solches Kind auf ihrem Schooße hält und seine Wangen streichelt, überfällt sie ein so heftiger Schmerz, daß sie das Zimmer verlassen muß, um sich in der Einsamkeit zu erholen. Die liebenswürdige Pastorinn sucht sie auf alle mögliche Art zu beruhigen, und Marie erkennt dieses sehr dankbar.

– »Ich schätze, sagte sie gestern zu mir, mit äußerster Verehrung diese treffliche Matrone. Aber ach, sie kann sich wohl nicht ganz in meine Lage denken. Ihr Herz, von geheiligtern Empfindungen durchdrungen, fühlte gewiß nie die Schmerzen der Liebe.«

[82] Die Pastorinn selbst kam ins Zimmer, als Marie dieses sagte, und diese letzte verbarg ihr diesen Zweifel nicht.

»Sie irren, liebe Freundinn. Ich habe in Ihren Jahren auch viel gelitten, glaubte auch oft, ich würde nie wieder heiter werden, und doch genieße ich jetzt ein glückliches Alter. Ich will Ihnen meine Jugendgeschichte erzählen; vielleicht finden Sie etwas Beruhigendes darinn.«

– Auch Ihnen, liebe Julie wird sie interessant seyn; Sie lernten auch früh die Leiden kennen. –

»Ich bin von vortrefflichen Eltern geboren, die mein junges Herz schon früh zur Liebe Gottes, und zum Wohlthun gegen meine Nebenmenschen gewöhnten. Oft zeigte mir mein Vater auf Spaziergängen die Schönheiten der Natur, und machte mich auf ihren Schöpfer aufmerksam. Mit Weisheit und Güte beantwortete er meine kindischen Fragen von Gott, und[83] pflanzte schon früh Liebe und Ehrfurcht gegen den Allmächtigen in meine zarte Seele.

Meine Mutter gewöhnte mich auch zum Wohlthun. Sie lehrte mich früh den Gedanken fassen, daß wir nur Verwalter unsers Vermögens wären, und daß Gott den Reichen darum mehr Geld gegeben hätte, damit sie mehr Macht haben sollten, Gutes zu thun, und ihren armen Brüdern beyzustehen. – Ich entzog mir oft ein neues Kleid oder so etwas, und gab das Geld einer Mutter, um ihr nacktes Kind vor Kälte und Hunger zu schützen. Meine Mutter lehrte mich den Dank und die Freudenthränen der Armen mehr schätzen, als alle die Eitelkeiten, mit welchen man sonst den Kopf der kleinen Mädchen anfüllt.

Ich hatte einen Hang zur Schwärmerey, und diesen lenkten meine Eltern bloß auf das Gute und Tugendhafte; denn sie glaubten mit Recht, daß Gefühle und Begriffe von Tugend, [84] wenn sie auch übertrieben wären, bald genug mit zunehmenden Jahren in der Welt herabgestimmt würden, und daß es also weit besser sey, zu viel als zu wenig Empfindungen für sie zu haben. Im zehnten Jahre verlor ich meine Mutter. Wie wurde ihr auf ihrem Todbette der Gedanke so schwer, mich in dem gefährlichsten Alter allein hier zurückzulassen! Mit welchen innigen heißen Gebeten empfahl sie mich der Fürsorge Gottes! Der gütige Vater erhörte auch ihr frommes Gebet. Er schickte zwar Prüfungen, aber nur um mich zu läutern!

Nach ihrem Tode – stets werde ich wünschen, so selig, mit solcher Ergebung in den Willen Gottes zu sterben, wie sie starb – mußte mein Vater seine Schwester zu sich nehmen, damit sie die Haushaltung versähe, und die Aufsicht über mich führte, zu der ihm seine überhäuften Geschäfte, die ihn auch oft auf ganze Wochen entfernten, keine Zeit mehr übrig ließen. [85] Diese Tante war eine gute Person, die sich aber durch beständiges Lesen der Ritterbücher und Romane den Kopf mit lauter überspannten Grillen angefüllt hatte. Sie hielt auch mich zu dieser Lektüre an. Mein Verstand war schon zu gut gebildet, als daß ich an den abgeschmacktesten derselben hätte Vergnügen finden können; aber desto mehr rissen mich diejenigen hin, deren Helden die Maske der Tugend und des Edelmuths hatten. Ich fand immer mehr Geschmack daran. Meine Einbildungskraft nahm warmen Antheil an den Schicksalen der so tugendhaft scheinenden Heldinnen. Sie schienen mir erhabne Muster zu seyn, nach welchen ich mich bildete; sie erweckten in mir den Wunsch zu ähnlichen Begebenheiten, und mein junges Herz sehnte sich bald nach einem Gegenstande, dem es seine Liebe widmen könnte.

Der Fleiß in häußlichen Geschäften, die Wohlthätigkeit gegen Arme, die warme Liebe [86] zu Gott, erkaltete nach und nach. Es schien mir zwar, daß ich alles weit lebhafter fühlte als sonst; aber ungeachtet ich von der Erzählung der Leiden eines andern bis zu Thränen gerührt werden konnte, so war ich doch im Grunde weit weniger thätig, ihm beyzustehen, als sonst, es sey denn, daß er mir eben in dem Augenblick der Rührung erschienen wäre. Denn ob gleich meine Gefühle des Mitleids sehr lebhaft schienen, so waren sie doch nicht anhaltend genug, um mich zu vermögen, die Gelegenheit zu thätigem Beystande aufzusuchen.

Geschäfte riefen meine Tante in die Stadt, und ich reiste mit ihr. Wir wurden zu einem Ball eingeladen; ich hatte heftige Begierde dahin, denn ich war noch nie auf einer öffentlichen Lustbarkeit gewesen. Meine Tante erfüllte meine Bitten, und gieng mit mir hin. Unter den vielen jungen Leuten fiel mir besonders einer auf, der eine schöne Gestalt und bescheidne[87] Miene hatte. Er nahte sich mir, und foderte mich zu einem Tanz auf. Sein sittsames Betragen reizte mich sehr, weil es so merklich gegen die Unverschämtheit der andern abstach. Er begleitete uns nach Hause und nahm so wohl mich als meine Tante durch seinen Verstand und sein angenehmes Wesen ein. Er suchte seit der Zeit alle Gelegenheit auf, mich zu sehen, und betrug sich dabey so, daß meine Tante bald seine Neigung gegen mich merkte. Er war von Adel, und die Verbindung mit ihm, die sie für gewiß hielt, schmeichelte ihrem romanhaft gebildeten Geiste sehr.

Auch mir schienen seine Gefühle den meinigen so ähnlich, daß ich bald in ihm den Gegenstand zu finden glaubte, nach welchem ich mich schon so lange gesehnt hatte. Ich glaubte in ihm das höchste Ideal der Vollkommenheit, die meine Romane mir geschildert hatten, realisirt zu sehen. Einige Monate verflossen uns in [88] unaussprechlicher Zärtlichkeit. Aber nun, denken Sie sich meinen Schmerz! erfuhr ich, daß mein angebeteter Liebhaber – ein nichtswürdiger Betrüger war. Er war schon lange verheyrathet, aber ein eben so treuloser Gatte gegen seine entfernte Gattinn, als er sonst ein flatterhafter Liebhaber gegen jedes Mädchen gewesen war. Meine Jugend und Unschuld hatte ihn gereizt. Er machte den Plan, durch die Larve sittsamer Zärtlichkeit mich zu hintergehen, um die letzte zu Grunde zu richten, und mich dann zu seiner Buhlerinn zu machen, wenn er den Stolz meiner jungfräulichen Tugend zernichtet hätte. Er hatte mich gleich bey meiner Ankunft gesehen, und den Ball veranstaltet, um mit mir Bekanntschaft zu machen.

Schrecken und Abscheu machten mich erstarrend. Statt daß ich auf meinen Knien Gott hätte danken sollen, daß er mich so zu rechter Zeit aus den Händen des Bösewichts rettete, [89] überließ ich mich einem unbändigen Kummer, verfiel endlich in eine melancholische Schwärmerey, und durch dieselbe in eine gefährliche Krankheit.

Mein Vater ließ mich nach Hause holen. Er und der vortreffliche junge Prediger des benachbarten Dorfs wandten alles zu meiner Beruhigung an. Der letzte brachte die romantischen Hirngespinnste aus meinem Kopf, und lehrte mich meine Empfindungen auf der rechten Seite anwenden. Ich genas, und mit meinem Körper wurde auch meine Seele gesund. Ich bemühte mich, meinem Nächsten so nützlich zu werden, als ich mich ehemals zu seyn bestrebt hatte. Und nun glaubte der würdige Geistliche mit Sicherheit hoffen zu können, daß er in mir eine Frau finden würde, die ihm, seinen Wünschen gemäß, in der Ausführung seines Plans beystände, die Einwohner seines Dorfs zu guten und glücklichen Menschen zu [90] machen. Er lehrte mich die vernünftige Liebe kennen, und ich lebe nun seit dreyßig Jahren in der glücklichsten Ehe. Zwar hatte ich den Schmerz, mein einziges Kind an den Pocken sterben zu sehen, aber die feste Ueberzeugung beruhigte mich, daß Gottes weise Vorsehung auch über die kleinsten Theile der Schöpfung waltet, daß er es mir entriß, damit ich es einst als einen Engel Gottes wiederfände! Seit diesem Zufall hat nichts mehr meine Ruhe stören können, und ich bemühe mich, jeden Abend mit der Beruhigung schlafen zu gehen, daß ich den Tag über mich bestrebet habe, meinen Nebenmenschen so gut und nützlich gewesen zu seyn, als möglich.«

Marie seufzte am Ende dieser Erzählung. Die Pastorinn umarmte sie, und sagte ihr noch viel Schönes zu ihrer Beruhigung. Sie glaubte auch, es wäre Mariens Pflicht, an ihren Mann zu schreiben, und ihm den Argwohn zu benehmen, [91] den er gegen sie gefaßt hätte. Marie selbst glaubte die Verbindlichkeit dazu zu fühlen, und schrieb noch denselben Morgen an ihn. Hier haben Sie die Abschrift des rührenden Briefs. 1 Ich muß schließen. Schreiben Sie mir doch bald, liebe Julie.

Sophie.

65. Brief. Julie an Sophien
Fünfundsechzigster Brief
Julie an Sophien

Ich nehme so vielen Antheil an dem Leiden Ihrer Freundinn, daß ich selbst seit einiger Zeit ganz schwermüthig geworden bin. Mein kleiner Gustav zerstreut indessen gewöhnlich meinen Tiefsinn durch seine kindischen Tändeleyen. Der gute Knabe kennt noch keinen andern Kummer, als den, wenn seine Speise einmal zu lange ausbleibt! [92] Wie glücklich sind diese kleinen Geschöpfe, deren Bedürfnisse noch so leicht zu befriedigen sind! Ach Sophie, daß doch dieses goldne Zeitalter, diese Jahre der schuldlosen Freude, nicht wiederkehren! Ach daß mit den zunehmenden Kenntnissen auch so viele neue Wünsche in uns aufwachen, die wir oft nicht erfüllen können, und die dann nur zu eben so vielen Quellen des bittern Jammers für uns werden!

Diese Betrachtungen rühren mein Herz, und erfüllen es mit lebhaftem Danke gegen Gott, der so bald meinen Kummer endigte, und meine Wünsche über meine Erwartung erfüllte! Ich lebe jetzt so glücklich, als es nur möglich ist. Das schwärmerische Heftige der Liebe ist nun bey uns gemildert, und wir lieben uns mit der zärtlichsten Freundschaft, die nur unter Eheleuten möglich ist. Wenn sich mein Mann von Geschäften ermüdet fühlt, so glaubt er eine angenehme Erholung [93] im Umgang mit mir und meinem Kinde zu finden. Die Erziehung dieses lieben Knaben giebt uns Stoff genug zu angenehmen Unterhaltungen, und ich freue mich nicht wenig, wenn er meinen Meynungen in diesem Punkte beypflichtet. Zuweilen kömmt auch wohl des Abends ein Freund zu uns, auch wohl meine liebe Charlotte mit ihren Kindern. Ich finde stets viel Nutzen und Vergnügen in ihrem Umgang, denn sie ist eine liebe Frau, von großem Verstande und mancherley Kenntnissen, und dabey ganz ohne den falschen Stolz, der oft an Frauenzimmern die schönsten Vorzüge des Geistes verdunkelt. Sie ist sehr bescheiden, und kann in Gesellschaften gewöhnlicher Weiber eben so gut von Alltagssachen schwatzen wie diese, ohne nur durch ein Wörtchen die Ueberlegenheit ihres Geistes zu verrathen. Auch in Gesellschaft von Mannspersonen mischt sie sich nicht in ihre gelehrten Gespräche, und dringt ihnen nie Urtheile über Bücher [94] oder andre Sachen auf, die in das Fach der Wissenschaften gehören.

»Den meisten Männern – sagt sie oft – ist die so genannte Gelehrsamkeit an uns verhaßt, weil sie glauben, daß unser Verstand nicht dazu bestimmt ist, um über schwere tiefsinnige Materien nachzudenken, und eine Halbgelehrte, voll Stolz und Einbildung auf ihr Bißchen Wissen, ist ihnen mit Recht ein unausstehliches Geschöpf. Die ernsthafte Miene des Philosophen paßt nicht zu der angenehmen Grazie, die sie so gern immer bey uns finden möchten. Sie suchen in einer Gattinn keine starke Denkerinn, sondern ein holdes Geschöpf, das ihnen die lästigen Sorgen der Haushaltung abnimmt, und durch gefälligen Scherz ihren Geist aufheitert, wenn er vom Nachdenken ermüdet ist.«

»Aber eben dazu, meine Liebe, dünkt es mich doch gut, wenn die Frau ihren Geist etwas [95] angebaut hat, damit sie ihren Mann doch auch von andern Dingen als von Putz und dergleichen unterhalten kann.«

»Ich bin vollkommen Ihrer Meynung, liebeJulie. Wenn ein Frauenzimmer Zeit und Anlage hat, so wird es für sie in vielem Betracht gut seyn, ihren Geist mit Kenntnissen zu bereichern. Nur wünschte ich nicht, daß sie Dinge wählte, die bloß für Männer sind, und weiter gar keinen Nutzen für sie haben. Naturgeschichte, das Interessanteste der Historie, Musik, Malerey, Lektüre von solchen Büchern, die den Geist und das Nachdenken schärfen, und unsern moralischen Charakter bilden; sehen Sie, das sind meiner Meynung nach Dinge, die auch für unser Geschlecht von großem Nutzen sind, und ihm Gelegenheit geben, die Zeit, die ihm von weiblichen Geschäften übrig bleibt, angenehm und nützlich anzuwenden. Nur muß ein Frauenzimmer diese Dinge nicht gegen jedermann [96] auskramen, und sich nicht berechtigt glauben, Wettstreite mit Männern einzugehen, am wenigsten mit ihrem eignen Gatten. Er wird diese Vorzüge zeitig genug an ihr entdecken, und die Bescheidenheit seiner Gattinn wird ihren Werth verdoppeln. Die Mannspersonen haben einmal eine höhere Meynung von ihren Geisteskräften, als von den unsrigen. Sie sehen es also lieber, daß wir von ihnen zu lernen scheinen, als daß wir Miene machen, sie belehren zu wollen.«

Diese liebenswürdige Frau sagte dieß mit dem angenehmen Wesen, welches ihr so eigen ist, und wir setzten diese Unterhaltung noch eine Weile fort. Ich gehe jetzt mit doppeltem Vergnügen nach der Mühle, wo ich sie kennen lernte. Ihr Umgang ist mir mehr werth, als die Gesellschaft aller übrigen Damen unsrer Stadt. Um Ihrer Vaterstadt, liebe Sophie, kein Unrecht zu thun, gebe ich gern zu, daß noch viele vortreffliche [97] Frauenzimmer hier seyn können, die mir unbekannt sind, und die auch das Vorurtheil, welches man hier gegen mich hat – (und auch wirklich gute Menschen, denen es nur an Zeit und Gelegenheit mangelt, sich genauer von der Ungründlichkeit desselben zu überzeugen, können gegen mich eingenommen seyn –) von meinem Umgang zurückhält. Aber im Ganzen stehen doch, wie Sie selbst mir oft sagten, Ihre Landsmänninnen nicht eben im besten Ruf. Ich kenne, wie Sie wissen, nur wenige. Einige Familien begegnen uns zwar mit vieler Achtung, die andern aber rümpfen doch noch immer das vornehme Näschen, wenn sie mich sehen. Ich beruhige mich deswegen sehr leicht, und überlasse es der Zeit, sie billiger zu machen. Ich würde, wenn auch diese Hinderung nicht wäre, meinen Umgang doch nur auf eine kleine Anzahl einschränken. Ich bin nicht für große Gesellschaften, und sie würden mich auch nur in meinen[98] häuslichen Geschäften und hauptsächlich an der Erziehung meines Kindes hindern, die doch meine erste Pflicht ist. Dieser liebe Knabe ist mir zu theuer, als daß ich ihn ohne wichtige Ursachen, bloß um meines Vergnügens willen, das im Grunde nicht einmal wahres Vergnügen ist, den Gefahren aussetzen sollte, die seinem Geist und Körper unter den Händen des Gesindes drohen. Ich begreife nicht, wie es möglich ist, daß Mütter von mehreren liebenswürdigen Kindern sie so ganz verwahrlosen können; wie es möglich ist, daß sie alle Tage ihren Vergnügungen nachhängen, und diese unschuldigen Kleinen dem unachtsamen Gesinde überlassen. Leuten, vor welchen sie sorgfältig geringere Schätze verschließen, überlassen sie das, was ihnen der kostbarste Schatz seyn sollte, ein Kind in dem Alter, wo die zarte Seele willig jeden Eindruck aufnimmt, und wo so vieles darauf ankömmt, gute Eindrücke in ihre Herzen einzuprägen, und sie vor den bösen zu hüten!

[99] Doch ich vergesse, liebe Sophie, daß ich Ihnen einen Freundschaftsbrief, und keine moralische Abhandlung, schreiben wollte. Ueberdieß ist auch Ihr theilnehmendes Herz gewiß zu sehr mit dem Kummer Ihrer Freundinn beschäftigt, als daß Ihnen etwas anders interessant seyn könnte. Es fällt mir schwer, Ihnen zu sagen, daß Sie Ihre liebe Marie auf einige Wochen verlassen müssen. Ihr Herr Onkel wünscht Ihre Gegenwart; er ist etwas unpaß, und dringt darauf, Sie hier zu sehen. Ich kann mir vorstellen, wie sehr meine zärtliche Sophie dabey leiden wird, daß sieMarien jetzt verlassen soll, da sie Ihres Beystandes so sehr bedarf. Indessen wird es zu Ihrer Beruhigung dienen, daß doch die wackere Frau Pastorinn ihr bleibt, und diese wird sich gewiß mit aller Sorgfalt der armen Leidenden annehmen. Morgen schon wird der Wagen kommen, um Sie abzuholen. Ich werde Sie also bald wirklich an mein Herz drücken, [100] theuersteSophie, und Ihnen selbst sagen, wie ich mit ganzer Seele bin

Ihre zärtliche Freundinn, Julie Karlsheim.

66. Brief. Wildberg an Amalien
Sechsundsechzigster Brief
Wildberg an Amalien

Bey meiner Seele, Amalie, Sie sind eine Zauberinn. Sie haben Ihre Rolle meisterhaft gespielt. Fast hätte ich selbst geglaubt, Ihr Erröthen, Ihre Verwirrung, die halbzurückgehaltne Thräne in Ihrem schwarzen Auge bey Albrechts erstem Besuche, wäre Ernst gewesen. Der Kaltblütige wurde auch ganz davon hingerissen. Ich glaube, er hätte gern zu Ihren Füßen Sie um Verzeihung wegen des vermeynten Kummers angefleht, den er Ihnen gemacht zu haben glaubte. Aber es ist nicht genug, daß [101] Sie ihn gefangen haben, Sie müssen jetzt alle Ihre Kräfte anwenden, ihn fest zu halten, und sein Herz gegen Marien zu stählen.

Sie hat ihm einen Brief geschrieben, der fast mich selbst gerührt hätte – wenigstens sah ich daraus, daß es mit dem Briefe von Eduard, den ich fand, ganz anders zusammen hängt, und daß sie an seiner Ankunft unschuldig ist. Doch das will ich Ihnen mündlich erklären; genug, daß mir dieser Brief bey Albrecht treffliche Dienste geleistet hat – dessen Wirkung auf ihn nur Amaliens Liebkosungen vernichten können. Ich suchte vergeblich, den Eindruck ganz zu vertilgen, den er auf Albrecht zu machen schien. Ihre Hülfe ist also durchaus nothwendig, um ihn ferner bey seinem Vorsatz, sich von ihr scheiden zu lassen, zu erhalten.

Es wäre ein verfluchter Streich, wenn er jetzt zurückspränge; ich werde auch alles so beschleunigen, daß der Scheidungsbrief schon übermorgen [102] ausgefertigt seyn wird. Für Geld kann man ja, dem Himmel sey Dank! alles bey unsern Gerichten zwingen, und ich habe auch die Sache glaubwürdig genug vorzutragen gewußt. Wenn es nur erst so weit wäre! Ich brenne vor lauter Ungeduld, uns an Marien gerächt zu sehen.

Ich will es Ihnen nur gestehen, mögen Sie doch spotten! die Liebe zu ihr ist noch nicht erloschen. Sie lodert noch aufs stärkste in meiner Brust, und ich hoffe noch immer ihr Herz zu gewinnen, wenn es nicht mehr an Albrecht gebunden ist. Der Schaafskopf Eduard soll mir nicht im Wege stehen; denn das ist ein Kerl ohne Muth und Stärke, der nichts kann, als winseln. Beym Teufel! eine solche Memme soll es nicht wagen, sich neben Wildberg zu stellen! Wenn sie nur erst geschieden ist, so soll es mir keine Mühe machen, die Schlafmütze aus ihrem Herzen zu vertreiben. Sie ist ohne ihn abgereiset; ich kann auch noch nicht erfahren, wo er [103] seyn mag. Indessen sey er wo er wolle. Mich soll er nicht hindern. Ich habe auch auf der Post Maaßregeln genommen, daß keine Briefe von ihm an sie einlaufen können, die nicht durch meine Hände gehen.

Leben Sie wohl, bis aufs Wiedersehen. Es ist mir höchst fatal, daß ich nicht zu Ihnen kommen darf, wenn ich will. Machen Sie Ihre Sache ja gut.

Wildberg.

67. Brief. Amalie an Wildberg
Siebenundsechzigster Brief
Amalie an Wildberg

Besorgen Sie nichts, Wildberg. Albrecht liegt fest in meinen Ketten. Es ist die Art solcher Leute, die ein kälteres Blut haben als wir andern, das, was ihnen einmal gefällt, mit weit mehr Beharrlichkeit zu lieben, und es braucht keiner großen Kunst, sie standhaft zu erhalten. [104] Die heftige Liebe unsrer jungen Herren hingegen, die alle Augenblicke vor Zärtlichkeit schmelzen wollen, stirbt eben so geschwind wieder ab, als sie entsteht, und diese eine Zeit lang fest zu halten, ist wirklich eine schwere Kunst.

Ich habe, wie Sie wissen, Erfahrungen genug gemacht, ob es mir gleich gelungen ist, meine Affaires d'amour stets so geheim zu halten, daß man kaum auf die Vermuthung davon gekommen ist. Daß mir Albrecht, den ich so gewiß mit dem Titel eines Ehemanns zu belegen dachte, damals verloren gieng, war freylich ein dummer Streich, den ich Marien niemals verzeihen werde. Ich möchte nur wissen,Wildberg, was Sie an dem jämmerlichen winselnden Geschöpfe für Geschmack finden können! Was für Freuden werden Sie denn von Ihrer Liebe haben, wenn Sie auch noch am Ende Ihren Zweck erreichten? – Und es wundert mich sehr, wie Sie einmal darauf rechnen können. [105] Nicht Sie, sondern ein solcher Schaafskopf, wie Sie ihn zu nennen belieben, alsEduard ist, paßt für Marien, und Ihre Klugheit ist auf großem Irrwege, wenn Sie den letzten für eine unbedeutende Person bey ihr halten. Sie wird denselben Ihnen beständig tausendmal vorziehen. – Statt Küsse und Liebkosungen wird sie Ihnen Thränen und Klagen auftischen, und Sie von dem Erhabnen einer bloßen Seelenvereinigung unterhalten. Und ich erinnere mich noch wohl, daß bloße Seelenverbindungen nie Ihre Sache waren.

Lassen Sie die Thörinn fahren. Sie verdient keinenWildberg zu besitzen. Wollen Sie der Liebe genießen: so will ich Ihnen einen andern Gegenstand vorschlagen, der Ihnen die Zeit besser vertreiben wird, als diese Romanheldinn. Halt! da kömmt mein ehrenfester weisheitsreicher Liebhaber angeschlichen. Er darf mich nicht [106] schreibend antreffen; ich muß das Papier verstecken.

Amalie.

68. Brief. Wildberg an Amalien
Achtundsechzigster Brief
Wildberg an Amalien

Triumph! Triumph! Bald werde ich auf dem Gipfel meiner Wünsche seyn! Der Hauptschritt ist gethan, das Eheband zerschnitten; nun sollen die andern Schritte mir leicht werden. Geld! mächtige Göttinn! du knüpfest Ehen und trennst sie wieder!

Da haben Sie das Scheidungsurtheil, Amalie. Sagen Sie zu Albrecht, ich wäre in seinem Hause gewesen, und da ich ihn nicht gefunden, hätte ich es zu Ihnen geschickt, weil ich vermuthet, daß er bey Ihnen wäre. Bewegen Sie ihn, es mit ein paar trocknen Zeilen an Marien zu schicken. Sie wird ihm gehäßig werden, [107] und zugleich wird ihr angeblicher Edelmuth und die Feinheit ihres Gefühls sie alle Verbindung mit Eduard aufheben lassen, und dann hindert mich nichts mehr.

Ihre Spöttereyen über mich und Marien verbitte ich ernstlich. Genug, daß ich sie besitzen will, es koste auch, was es wolle. Meine Liebe ist durch ihren Widerstand nur noch stärker entflammt. Der Sieg ist der süßeste, den man mit Mühe erkämpft. Hol es der Teufel, daß ich mich noch einige Wochen wenigstens ganz ruhig halten muß. Jetzt darf ich es noch nicht wagen, sie zu sehen; aller meiner Vorsicht ungeachtet, glaubt sie doch vielleicht, daß ich Schuld an der ganzen Sache sey, und dann würde auch Albrecht selbst große Augen machen, wenn ich mit der Beute davon gienge. Ich muß also warten, bis Eure Hochzeit vorüber ist, und dann sollst du selbst es mir danken, meine Marie, daß ich [108] dich von den beyden Pinseln entfernte, um dir einen gescheidten Kerl zum Mann zu geben.

Die Zeit bis dahin wird mir verwünscht lang dauren. Es soll mir also willkommen seyn, wenn Sie mir eine kleine Zerstreuung unterdessen verschaffen wollen; denn ich hoffe doch, daß Sie ein hübsches Mädchen für mich auf dem Korn haben.

Wildberg.

69. Brief. Sophie an Marien
Neunundsechzigster Brief
Sophie an Marien

Der Schmerz, mit welchem ich Sie verließ, meineMarie, geht über alle Beschreibung. Den ganzen Weg über war ich nicht fähig an etwas anders zu denken, als an Sie. Ich sah oft mit wehmüthigem Verlangen nach Ihrem stillen Dorfe, und wünschte mich wieder in das Haus zurück, das die besten Menschen in sich [109] faßt. Ich hoffe gewiß, daß unsre würdigen Freunde sich Ihrer auf alle Art annehmen werden. Die vortreffliche Pastorinn ist gewiß besser im Stande, ihr krankes Herz aufzurichten, als ich Schwache! Doch hoffe ich auch bald wieder bey Ihnen zu seyn; denn mein Onkel bessert sich sehr. Ich fand ihn wirklich viel schlimmer, als die zärtliche Julie mir geschrieben hatte.

Könnte ich Ihnen doch das liebe Weib mitbringen! Ihr sanftes Wesen würde gewiß Ihre Liebe gewinnen. Es ist eine rechte Wonne, die liebenswürdige Frau in ihrem Hause zu sehen, wie die kleinsten weiblichen Geschäfte Anmuth unter ihren Händen erhalten. Sie und ihre Charlotte mit ihren allerliebsten Kindern um sich zu sehen, das ist eine Freude, die sich nicht beschreiben läßt. Gewiß würden auch Sie durch diese liebenswürdigen Kinder erheitert werden, die, ihrer Lebhaftigkeit ungeachtet, doch fast gar nichts von Eigensinn oder Laune besitzen, und [110] äußerst folgsam gegen die kleinsten Winke ihrer Mutter sind, die ich oft kaum bemerke.

Ich fühle es mit starker Ueberzeugung, daß ich fürKarlsheim keine solche treffliche Gattinn gewesen wäre, wie sie ihm ist, und es war gewiß eine weise Fügung des Himmels, daß er unsre Verbindung störte. Sein Charakter stimmt weit mehr mit Juliens ihrem überein als mit dem meinigen. – Julie sowohl als er unterholten mich oft mit einem bedeutenden Wesen von Wilhelm. Ich möchte wissen, was sie mit ihm wollen; er hat ja eine Braut, und auch ich werde nicht leicht wieder einen Mann lieben. Ich läugne zwar nicht, daß Wilhelm – doch, was geht er mich an? Ich will es der Gebieterinn seines Herzens überlassen, ihm Lobreden zu halten. –

Möchte ich Sie doch ruhiger wissen, als Sie waren, da ich Sie verließ! Beste Marie, so lange ich Sie so in Kummer versenkt weiß, ist auch alle meine Munterkeit dahin, und keine [111] Freude will mir mehr schmecken; denn in eben dem Augenblick, da sie sich mir darbeut, denke ich an meine theure Freundinn, und das Bild Ihres Leidens reißt auch mich zu ähnlichen Empfindungen hin. –

Sophie.

70. Brief. Marie an Sophien
Siebzigster Brief
Marie an Sophien

Jede Zeile Ihres Briefs athmet Güte und Liebe, zeigt mir das zärtliche Herz meiner Freundinn. Ach Sophie! warum muß mein Kummer meinen Lieben solchen Schmerz verursachen? Ist es nicht genug, daß ich allein leide? O, daß mein Herz so schwach war, und den mächtigen Eindrücken der Liebe nicht zu widerstehen vermochte! Und noch lodert dieß sträfliche Feuer in meinem Busen; noch immer ist er der einzige Punkt, um den alle meine Gedanken sich drehen, beym [112] Schlafen und beym Erwachen! Des Tags und des Nachts auf meinem Lager, von Thränen benetzt, steht er vor mir. Bey jeder Handlung, selbst bey den heiligsten der Religion, stört mich sein Andenken; in meine eifrigsten Gebete zu Gott mischen sich Wünsche für ihn. Ich kämpfe, mich zu besiegen; aber vergebens. Matt vom innern Kampfe, von Seufzern und Klagen, stehe ich von meinem Knien auf, und ringe trostlos die Hände. Ach, ich beleidigte meinen Gott dadurch, daß ich Anfangs dieser sträflichen Neigung nicht genug widerstand; er hat sich von der Sünderinn gewendet! Weh mir! für meine Seele wird kein Trost hienieden mehr seyn! –

Sophie! wenn Eduard auch so elend wäre als ich! Gott im Himmel, er ist ja unschuldig! Ich allein verdiene Vorwürfe. Warum hatte ich nicht ein eben so festes Vertrauen auf seine Liebe, wie er auf die meinige! Doch diese Betrachtungen dienen nicht, mich zu beruhigen. Ich will [113] hoffen, daß seine Seele – sie ist ja die Seele eines Mannes, vom stärkerm Stoff gebaut als ich – solchen Leiden nicht unterliegt wie die meinige.

Ach! daß ich fähig wäre, etwas anders zu denken und zu schreiben, als von ihm! Kommen Sie doch wieder zu mir, meine Sophie. Mich dünkt, vor Ihnen schäme ich mich der Schwäche meines Herzens nicht so, wie vor unsrer Matrone. Wäre sie nicht so sanft und liebreich, ihr Herz nicht ein so herrlicher Tempel der edelsten Menschenliebe, so müßte sie mich verachten; aber so sieht sie mitleidig und gütig auf meine Schwäche, und sucht stets mich aufzurichten. Durch ihre Vorsorge gerührt, stelle ich mich oft erheitert, um sie nicht zu kränken; aber dieser Zwang kostet mich sehr viel.

Meine Schwäche gestattet mir nicht mehr zu schreiben. Leben Sie wohl, Theure, und grüßen Sie Ihre liebe Julie von mir.

Marie. [114]

71. Brief. Eduard an Barthold
Einundsiebzigster Brief
Eduard an Barthold

Ein Strahl von Hoffnung erhellt die düstre Nacht, die mich umgiebt. Ich habe einen Kundschafter in der Stadt, der mir von allen Bewegungen Albrechts Nachricht geben muß, damit ich jede Gefahr sehe, die meiner Marie droht. Dieser nun schreibt mir, daß der Unwürdige mit einem Mädchen sehr vertraut umgeht, welches er schon vor seiner Heyrath kannte, und daß er um die Scheidung von Marien anhalten will.

Der unaussprechlich Nichtswürdige, der im Stande ist, einen reinen Engel einer Buhlerinn aufzuopfern! Aber wenn er selbst das Band löset, in welches er sie wahrscheinlich durch Verrätherey verwickelte, so ist sie wieder so frey, wie vorher, als noch jene glückliche Zeit war. Barthold! wenn sie wiederkehrte, diese seligste Zeit [115] meines Lebens! Marie, himmlisches Mädchen, wenn du noch mein würdest! Ich wollte an deinem Busen, dem Göttersitz der Liebe, alles vergessen, was ich um dich litt. Wie wollte ich durch unaussprechliche Zärtlichkeit dich für deinen Kummer trösten! Welches selige Gefühl, deine Thränen zu trocknen!

Aber wäre die Seligkeit nicht zu groß für mich? Ich fühle, daß ihre Seele weit über der meinigen steht. Doch mit himmlischer Güte würde sie mich zu sich hinauf ziehen, auf eine höhere Stufe mich heben. Willig würde ich dir folgen, du Engel! Meine Gedanken verwirren sich in dem süßen Taumel. Ich muß diesen Phantasien in der Einsamkeit nachhängen.

Eduard. [116]

72. Brief. Marie an Sophien
Zweyundsiebzigster Brief
Marie an Sophien

Wie hart straft der Himmel den Fehler, den ich begieng, da ich mein Herz so verwahrloste! Ich bin verlassen, entehrt, der ganzen Welt als eine Lasterhafte zur Schau gestellt! Dieser letzte Schlag hat mein Leben getroffen.

Sie wissen, daß ich an Albrecht schrieb, ihm die Geschichte meines Fehlers erzählte, und ihn um Verzeihung wegen meiner Beleidigung bat. Meine Pflicht befahl mir diesen Schritt. Ich zitterte zwar vor dem Gedanken, ihn wieder zu sehen, und mit ihm vereinigt zu werden; aber ich hoffte doch, durch Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf jeden seiner Wünsche den Mangel der Liebe zu ersetzen, die ich für ihn aus meinem Herzen nicht erzwingen konnte, und durch ein äußerst vorsichtiges gefälliges Betragen mir seine Neigung wieder zu erwerben. Da ich mich eben mit diesen [117] Gedanken beschäftige, kömmt ein Brief von ihm. Eine geheime Ahndung machte, daß ich zitterte; es war als weigerte sich meine Hand das Siegel zu erbrechen. Endlich öffnete ich ihn. – Ein Scheidungsurtheil fiel mir entgegen, und ich sank sinnlos zur Erde nieder. Erschreckt durch meinen Fall, kam meine Wirthinn herauf. Sie brachte mich auf mein Bette, und es dauerte eine Stunde, ehe ich wieder zum Leben kam. Ich war noch sprachlos, und zeigte nur auf den Tisch hin, auf welchem das Papier lag.

Als ich wieder völlig zu mir selbst gekommen war, las ich den Brief:


»Madam,

Ich bedaure, daß mir der Mangel der Zeit nicht verstattete, Ihre pathetische, empfindsame Abhandlung, die wahrscheinlich aus irgend einem Roman – und ich liebe Romane dieser Art gar nicht – abgeschrieben war, völlig durchzulesen. [118] Ueberhaupt wünsche ich, daß Sie mich in Zukunft mit ähnlichen Klagliedern verschonen. Richten Sie dieselben lieber an Leute, bey denen sie besser angebracht sind als bey mir. Dieses Scheidungsurtheil giebt Ihnen dazu ungestörte Freyheit.

Madam,

Ich habe die Ehre zu seyn

Ihr

gehorsamer Diener

Albrecht


Gott, welch ein Brief! Einer feilen Buhlerinn kann man nicht schnöder schreiben. Dieß hat meinen Kräften den letzten Stoß gegeben. Ich bin ein Baum, dem man nach und nach die besten Lebenszweige abgehauen hat, und der nun verstümmelt da steht, dem Auge der Vorübergehenden ein grauenvoller Anblick. O daß doch die wohlthätige Hand des Zimmermanns[119] den verstümmelten abgelebten Stamm ganz niederhauen möchte!

Marie.

73. Brief. Sophie an Marien
Dreyundsiebzigster Brief
Sophie an Marien

Unglückliche Freundinn! Wie beweine ich Ihr Schicksal! O das Ungeheuer von Mann, der die beste würdigste Frau verstieß! Wenn ich es recht bedenke, meine Marie, so ist Ihr Loos nicht so unglücklich, als es gewesen seyn würde, wenn Sie wieder zu dem Nichtswürdigen zurückgekehrt wären. Da Ihr rührender Brief, der das härteste Herz würde bewegt haben, seine unempfindliche Seele nur zum Spott reizte, so würde er auch gewiß gleichgültig gegen alle Sanftmuth und Gefälligkeit gewesen seyn, die Ihr vortreffliches Herz ihm beweisen wollte. Sie sind gewiß weit glücklicher, von ihm entfernt, als [120] bey ihm zu leben. Er würde nur Ihr Tyrann seyn. Freylich ist es hart, in den Augen der Welt eine Nichtswürdige zu scheinen, aber was fragt der edle Geist meiner Marie nach solchen Menschen, die weit unter ihr stehen? Wenn nur Ihr Herz sie rechtfertigt – und dieses Herz war ja nur schwach, nicht lasterhaft – so kann Ihre erhabne Seele ruhig über alle diese kleinen Geister wegschauen. Sie können gelassen eine Welt über sich spotten sehen, die Ihrer nicht werth ist, und sich auf einen andern Schauplatz freuen, wo die leidende Tugend Schutz findet. –

Ich werde bald nach diesem Briefe bey Ihnen seyn.

Sophie. [121]

74. Brief. Eduard an Marien
Vierundsiebzigster Brief
Eduard an Marien

Darf Ihr zärtlichster Verehrer noch einmal es wagen, an Sie zu schreiben, ewiggeliebteste Marie? Jetzt ist ja die Pflicht der Ehegattinn bey Ihnen aufgehoben, die Ihnen sonst verbot, meine Briefe anzunehmen. Ich verehrte damals Ihre hohe Tugend, die Ihnen diese Strenge auflegte; ich gehorchte Ihnen; aber der Himmel weiß, wie kummervoll seitdem meine Tage dahin flossen!

O Marie! in einer elenden Hütte, nicht weit von dir, wohnt dein treuer Eduard, glücklich genug die Luft einzuathmen, die deine Lippen aushauchen. Ich suche meinen Trost darinn, des Tags an dich zu denken, und des Nachts kniend vor deinem Fenster zu liegen, und den Schimmer deiner Nachtlampe zu sehen.

[122] Gestern sah ich dich selbst. Dein Haupt sank thränenschwer auf deine Brust, deine schönen Hände waren gen Himmel aufgehoben! Gott, wie war mir da! Mein Leben hätte ich hingegeben, um mich zu deinen Füßen werfen zu dürfen; aber meine Ehrfurcht gegen dich hielt mich zurück. Ich gieng fort, aus Furcht, daß du mich sehen, und durch meine Dreistigkeit beleidigt werden möchtest. Mit wüthendem Schmerz in der Brust kam ich in meine Wohnung; aber der Schlaf floh mein Lager. Ich sah immer nur dich und deine harmvolle Miene, und mein Herz vergaß durch den sympathetischen Antheil an deinem Leiden das seinige, und jammerte nur, dir keine Beruhigung einsprechen zu können.

Marie! Theuerste, Engel des Himmels! du hast nun keine Verbindlichkeit mehr gegen den, der sonst dein Mann war. Er selbst – ich nenne ihn nicht mit dem Namen, den sein Betragen verdiente; denn er war einst Mariens [123] Gatte – hat sich von dir getrennt. Ich flehe hier auf meinen Knien dich an, entziehe den erquickenden Anblick deiner himmlischen Gestalt nun nicht länger deinem Eduard, der dich mit so gränzenloser Liebe anbetet. Vergönne mir nur einmal, an deinem Anschauen mich zu laben. Dieser glückliche Augenblick wird reichlicher Ersatz für alle die Quaalen seyn, die ich um dich litt. Meine erschlafften Nerven, mein Geist, durch Trauern ganz unthätig gemacht, mein ganzes Ich wird durch den Gedanken, dich zu sehen, aufs neue belebt.

O Geliebte! vernichte diese süße Hoffnung nicht! Doch, das ist deiner sanften Seele nicht möglich. Gewiß nimmst du noch warmen Antheil an dem Kummer deines Eduards, und wirst gern mitleidsvoll seine Schmerzen mildern. – Ewig

dein Eduard. [124]

75. Brief. Sophie an Julien
Fünfundsiebzigster Brief
Sophie an Julien

Dank sey es Ihnen, zärtliche Julie, daß Sie meinen Oheim mit Ihren einnehmenden Bitten beredeten, mich wieder zu meiner Freundinn reisen zu lassen, daß Sie so gütig alle Sorge für ihn unterdessen übernehmen wollten, damit doch der liebe Alte nicht durch meine Freundschaft für Marien leidet.

Es war mir schlechterdings unmöglich, einen ruhigen Augenblick in der Stadt zu haben, seitdem das Schicksal meiner Marie diese Wendung bekommen hat. Ich sah sie immer weinend und jammernd vor mir stehen, und diese Ideen liessen mir keinen Augenblick Frieden.

Ich kam den Dienstag Abends hier an. Die Freude über meine Ankunft verbreitete ein gewisses Lächeln auf ihrem Gesichte, welches mit den übrigen ausgehärmten Zügen eine äußerst rührende [125] Wirkung machte. Sie stand vom Stuhl auf, um mir entgegen zu gehen; aber es war gut, daß meine Arme sie auffiengen; denn ihre wankenden Knie vermochten nicht länger, sie zu halten. Ihr Zustand preßte mir bittre Thränen aus.

»Weinen Sie nicht um mich, Sophie, – sprach sie – Alle die Thränen, die meine Lieben um mich vergießen, fallen zentnerschwer auf mein Herz. O daß ich die Ursache alles dieses Jammers seyn mußte!«

»Aber gewiß eine unschuldige Ursache, meineMarie. Ist es Ihre Schuld, daß Albrecht nichtswürdig genug war, sich unter einem so elenden Vorwande von Ihnen zu trennen?«

»Nennen Sie ihn nicht so, Sophie. Nichtswürdig war er nie. Ich bin überzeugt, daß er nur durch böse Rathschläge verführt wurde, so zu handeln, wie er that. O Gott, was sollte ihm auch eine Gattinn, deren stärkste Neigung, [126] deren ganze Seele einem andern gewidmet war? Ach! ich bin die Strafbare, ich allein,Sophie! Warum bewachte ich nicht sorgfältiger mein Herz? Warum flehte ich nicht sogleich eifrig zu Gott um Rettung? Ich betete wohl, aber mit getheiltem Herzen. Und das will der Schöpfer nicht. Er verlangt ein reines Herz von uns, in welchem keine andern Götzen herrschen. Und ach! so war das meinige nicht. Ich klebte stärker an der Welt, an Eduard, als an meinem Gott! Schrecklicher Gedanke! O! ihr schuldlosen Zeiten meiner Jugend, wo seyd ihr hin? Damals hatte noch keine andre Leidenschaft diesen Tempel der Unschuld entweiht. Alle Kräfte meiner Seele waren nur Gott gewidmet. Ihm trug ich mit stiller kindlicher Ergebung in seinen Willen, mit innigem Vertrauen auf seine Vatergüte, meine Bitten und Leiden vor; und der Erhörung versichert, fühlte mein Herz sich gestärkt und beruhigt. [127] Wie bekümmerte mich jeder Fehler, den ich begieng! Mit unruhigem Gewissen gieng ich umher, bis ich mich im Gebet getröstet hatte. Und dann war mir so wohl! O ihr seligen Gefühle der reinsten Liebe zu Gott, werdet ihr nie wiederkehren?«

Nun stürzten Thränenströme aus ihren Augen auf ihre Brust herab. Unsre würdige Pastorinn beruhigte ihre leidende Seele, und flößte den sanften Trost der Religion ihr ein. Durch die herrlichen Worte unsers Erlösers: Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken – merklich getröstet, legte sie sich schlafen, und stand den andern Morgen etwas erheiterter auf.

Eine Stunde nachher kam ein Brief von Eduard. Sie wollte ihn unerbrochen weglegen.

»Aber wer weiß, was er mir zu sagen hat?« sprach sie bald hernach. »Es wäre hart und ungerecht, ihn gar nicht hören zu wollen. Er hat [128] mich ja durch nichts beleidigt. Ich muß den Brief lesen.«

Sie öffnete ihn, und nun schwammen ihre Thränen auf das Papier hin. Schweigend gab sie ihn mir. OJulie, wie erschütterte er auch mich! Eduard liebt sie noch mit gränzenloser Zärtlichkeit. Er wohnt hier in einem Bauernhause, um nur in ihrer Nähe zu leben; er hat die Nachricht von ihrer Scheidung erfahren, und nun scheinen die alten Hoffnungen wieder bey ihm aufgewacht zu seyn. Er bittet in den rührendsten Ausdrücken nur um eine Zusammenkunft.

»Was sagt meine Sophie zu diesem Briefe?«

»Ich kann gar nichts dazu sagen, beste Marie, Ihr Herz muß ihn beantworten. Es muß bestimmen, ob Sie Eduards treue Liebe noch belohnen wollen. Ich bin geneigt, Albrechts Scheidung von Ihnen als eine Fügung des Himmels anzusehen, die vielleicht geschah, um zwey Herzen [129] wieder zu vereinigen, die für einander geschaffen zu seyn scheinen.«

»Ach Sophie, Ihre Erklärung ist zwar süß, aber ein innres Gefühl läßt mich an ihrer Richtigkeit zweifeln. Es scheint mit – beste Frau Pastorinn, sagen Sie Ihre Meynung.«

»Haben Sie durch wirkliche Untreue Albrecht Gelegenheit zur Scheidung gegeben?«

»Beste Frau, welche Frage!«

»Können Sie dieselbe mit Nein beantworten?«

»Ja, Gott sey mein Zeuge, das kann ich mit dem größten Gefühl der Wahrheit.«

»Gut! kann denn eine Scheidung rechtmäßig vor Gottes Augen seyn, zu der keine gültige Ursache da war?«

(Wie schämte ich mich jetzt meines übereilten Urtheils!)

»O Gott, nein, das ist sie nicht. Ich fühle mich jetzt lebhaft überzeugt, daß ich vor Gott [130] und meinem Herzen noch eben so gesetzmäßig Albrechts Weib bin, wie vorher. Ach! mein Herz, durch Leiden niedergebeugt, ist auch nicht mehr fähig, die Freuden der Liebe zu genießen. Ich werde bald von der Bürde des Körpers bebefreyet werden. Ich fühle, daß eine sanfte Beruhigung in mein Herz dringt; möchte sie doch auch das deinige erfüllen, o Eduard

Sie glaubte nun stark genug zu seyn, um an ihn zu schreiben. Hier lesen Sie selbst den Brief.

76. Brief. Marie an Eduard
Sechsundsiebzigster Brief
Marie an Eduard

Nur vom Wahn der Liebe getäuscht, konnten Sie Ihren letzten Brief an mich schreiben. Ich kann und darf Ihren Vorschlag nicht annehmen. Albrecht schied sich von mir, durch ungerechten Argwohn verleitet. Verbände ich mich mit Ihnen, [131] so würde ich ihm und der ganzen Welt zeigen, daß sein Verdacht gegründet sey, daß ich wirklich die Treulose wäre, für die er mich hielt.

Nein, Eduard, wenn er auch seine Pflichten vergißt, so darf ich doch deswegen die meinigen nicht hintansetzen. Der Scheidungsbrief, den das Gericht ausfertigte, war ungerecht; also kann er nicht gültig seyn; also kann ich nicht handeln, wie eine Geschiedne, da ich vor Gottes Augen noch verheyrathet bin. Und wenn ich es auch ohne Sünde könnte; wenn es auch nicht so sträflicher Ehebruch wäre: so fühle ich doch zu lebhaft, daß Gott uns hier nicht für einander bestimmt hat. Mein Leben wird nicht lange mehr dauern; ich fühle mit jedem Tage die Abnahme meiner Kräfte. Ich will mich bemühen, mich vom Irrdischen loszureißen, und die wenigen Stunden, die ich noch hienieden wallen werde, bloß meinem Gott widmen.

[132] Ach Eduard! ich fühle, daß es meine Kräfte übersteigt, mich von dir loszureißen. Du herrschest zu sehr in jedem meiner Gedanken; ich fühle es, daß meine Liebe zu dir nur mit meinem Leben sich endigen wird. Und auch selbst dann noch nicht. Meine Liebe zu dir war kein körperliches Gefühl, das mit dem Verlust unsrer Sinne zugleich schwindet. Es war eine feste Ueberzeugung der Verschwistrung unsrer Seelen, und kann nie aufhören, so lange dieses unsterbliche Wesen lebt. Sie wird nur durch die Befreyung von unserm Körper geläutert, und so veredelt wird sie mir in die Ewigkeit folgen.

Das ist meine Beruhigung. Wenn es doch auch die Ihrige wäre! Wie bald sind nicht die wenigen Tage des Lebens vorüber, nur ein Augenblick gegen die Ewigkeit! Und um dieses Augenblicks willen wollten wir uns den reinen Genuß der zukünftigen Freuden verderben? wollten die schöne Beruhigung verscherzen, so gehandelt [133] zu haben, wie uns Gott und Tugend befahl? Nein, Eduard, das sey fern von uns. Aber wir wollen auch nicht durch unbändigen Schmerz gegen die weise Fügung Gottes murren. Unter Ergebung in seinen heiligen Willen, und in stiller Wehmuth fließe unser übriges Leben hin. Wir wollen uns bemühen, unsern Nebenmenschen noch so gut und nützlich zu seyn, als unsre schwachen Kräfte es erlauben.

Ich werde nicht aufhören zu beten, daß diese sanfte Beruhigung, welche Gott so gnädig mir schenkte, auch Ihnen zu Theil werden möge. Und so, über Menschen und Unglück erhaben, wollen wir ohne Murren und ungeduldige Wünsche, mit stiller Sehnsucht die selige Stunde ererwarten, in welcher uns Gott diesem irrdischen Schauplatz entrücken wird.

Marie.


[134] Fortsetzung. Sophie an Julien.


Hätten Sie doch, meine Julie, die himmlische Ruhe gesehen, die von Mariens Antlitz stralte, als sie diesen Brief geschrieben hatte! Sie schien mir schon eine selige Bewohnerinn des Himmels zu seyn.

»Ich danke dir, Gott, sprach sie, daß du meine Gebete erhörtest, und meinen lauten Kummer hinwegnahmst. O Allliebender! stärke auch seine Seele, daß sie nicht unterliege. Laß auch ihn den erquickenden Trost deiner Religion fühlen!«

Mit noch größerm Ernst, als vorher, nimmt sie jetzt der Erziehung der Kinder und der Pflege der Kranken sich an. Zu ihrer Erquickung muß ich ihr dann zuweilen ein Lied von Gellert singen, und ihre dankbare Rührung ist dann gewiß ein Lohn mehr für dich, seliger Mann, der [135] du durch deine sanfte fromme Muse schon so manchen Trost in die Seele des Leidenden flößtest. – Ich muß aufhören. Leben Sie wohl, meineJulie!

Sophie.

77. Brief. Barthold an Eduard
Siebenundsiebzigster Brief
Barthold an Eduard

Aller Nachforschung ungeachtet, habe ich noch nicht entdecken können, wo Ferdinand sich aufhält. Ich bin jetzt auf einer Reise, um ihn aufzusuchen, und folge von Posthaus zu Posthaus der Spur des Briefs, den er Dir schickte. Ich bin jetzt nicht weit von der Gegend, in der du Dich aufhieltest; denn daher scheint mir der Brief gekommen zu seyn. Man spricht auch wirklich von häufigen Diebstählen, die hier geschehen, und schließt daraus, daß eine Diebesbande in der Nähe seyn müsse. Ich werde mich eifrigst bemühen,[136] ihren Aufenthalt zu entdecken; denn ich fürchte, daß unser Ferdinand verloren ist, wenn es nicht bald geschieht.

Ich habe in langer Zeit nichts von Dir gehört,Eduard. Sollte wohl ein Brief verloren gegangen seyn? Mache nur die Addresse nach D**. Von dort lasse ich meine Briefe abholen. Ich bin sehr begierig etwas von Dir zu hören. Bist Du noch immer ein Raub des Kummers? O Freund, wenn Du Dich doch mehr fassen wolltest; wenn Du Dich ernstlich bemühtest, die Last des Schmerzens von Dir abzuschütteln! Dieser Schmerz verführt Dich zu Handlungen, die Deiner ganz unwerth sind. – Du handeltest gar nicht gut, da Du den armen Henrich zum Genossen Deines Kummers machtest. Der gute Mensch hätte sich vielleicht bald beruhigt, hätte seine Liebe einem andern Mädchen gewidmet, und wäre wieder der glückliche Bauer geworden, der er sonst war. Aber so zernichtest Du sein Glück, Du [137] stärkst das Gefühl seines Leidens, welches der menschenfreundliche Geistliche zu dämpfen suchte; Du machst, daß er seinen Verlust nur noch mehr empfindet, und er ist nun vielleicht auf immer unfähig wieder das zu werden, was er vorher war. Laß ihn gehen, und die Gesellschaft seiner Bauern, die stete Arbeit, mit welcher er beschäftigt seyn wird, werden seinen Kummer von selbst mildern. Nimm Du an seine Stelle einen muntern Menschen, der Dich aufzuheitern vermag; denn das solltest Du doch billig einsehen, daß es sträflich ist, alle Mittel von sich zu stoßen, welche zu unsrer Erheiterung dienen könnten, und sich recht mit Vorsatz durch ununterbrochnes Trauern zu Grunde zu richten. Ist es eines Mannes, den Gott zu höhern Endzwecken schuf, wohl würdig, des Nachts wie ein Bettler vor der Thür seiner Geliebten zu liegen, und den Tag mit Wehklagen zu verseufzen?

[138] Ermanne Dich, Eduard, und hebe Deine Seele unter dieser schimpflichen Bürde des Kummers wiederum hervor. Du selbst fühlst die Unanständigkeit und Sträflichkeit des Selbstmords. Ist es minder sträflich, sich durch unmäßigen Kummer nach und nach aufzureiben, als mit einem male sein Leben zu endigen? Jenes Gift wirkt langsamer, aber es bleibt eben so wohl Gift, als dasjenige, dessen Wirkung schnell folgt, und der Gebrauch von beyden ist gleich unerlaubt. Vergieb mir diese Betrachtungen, lieber Eduard! Ich wünschte, daß sie nicht ganz ohne Wirkung bey Dir seyn möchten!

Dein treuer Barthold. [139]

78. Brief. Eduard an Barthold
Achtundsiebzigster Brief
Eduard an Barthold

Da Dich das Schicksal des armen Henrichs so sehr zu beunruhigen scheint, so wird Dich die Nachricht erfreuen, daß er nicht mehr bey mir ist. Seine Seele war freylich nicht für feine Gefühle geschaffen, und ich merkte wohl, daß ihm die Art, wie wir unser Leben führten, nicht recht anstand. Der Prediger hatte sich auch nach ihm erkundigt, und ließ ihn zu sich holen, als er seinen Aufenthalt erfuhr. Er redete ihm seinen Kummer aus dem Herzen, verschaffte ihm eine andre Stelle, und wahrscheinlich wird er bald auch eine andre Frau wählen. Er war so gutherzig, Theil an meinem Kummer zu nehmen, und kam zu mir, um auch mich zu bekehren. Seine treuherzigen Reden rührten mich. Ich versicherte ihn aber, daß unsre Lage und Empfindungen gar zu verschieden wären, als daß[140] sein Trost bey mir recht wirksam seyn könnte. Ich billigte seinen Entschluß, – denn freylich der wäre ein Thor, der dem Kummer nachhängen wollte, wenn sein Herz freudiger Empfindungen fähig ist, – und gab ihm eine kleine Summe zur Unterstützung seiner neuangefangnen Haushaltung.

Auch ich bin nicht mehr der trostlose Eduard, der ich war. Eine süße Hoffnung hat mein Herz erfüllt. Ich habe an Marien geschrieben. Mit klopfendem Herzen sehe ich der Antwort des Engels entgegen. Wenn ich einen Menschen gehen höre, so springe ich ans Fenster, und denke, er kömmt von ihr, und mismüthig kehre ich um, wenn ich nur einen langsam schleichenden Bauer sehe. Aber was höre ich! Man nennt meinen Namen, man fragt nach mir? Glücklicher Eduard! ein Brief von Marien?

Barthold! ich bin verloren. Sie darf, sie kann nicht die Meinige werden. O Gott! so sollen [141] die übrigen Tage meines Lebens öd und in schrecklicher Einsamkeit dahin schleichen? Elender, unglücklicher Eduard!

79. Brief. Ferdinand an Eduard
Neunundsiebzigster Brief
Ferdinand an Eduard

Endlich ist es mir gelungen, ein paar Worte mit dem unglücklichen Jüngling zu sprechen, der mir, ohne daß ich weiß, wodurch? so vielen Antheil an seinem Schicksal eingeflößt hat.

Brand wollte vergangne Nacht einen Hauptausfall vornehmen, bey dem er nur seine geschicktesten Leute mitnahm. Wir furchtsamen Hasen – so nennt er uns, – die noch kein Pulver riechen können, blieben zurück, nebst noch einigen andern, die er aus besondern Ursachen auch nicht mitnahm. Des Abends wurde stark gezecht. Feldheim trank unter dem Vorwand eines heftigen Kopfwehs gar nicht, und winkte auch mir [142] verstohlen mit den Augen. Dieses wäre nicht einmal nöthig gewesen, um mich vom Trinken zurückzuhalten: denn die Lust zum Weintrinken ist mir vergangen; auch erregt es immer ein äußerst peinliches Gefühl in mir, mit diesen Lotterbuben aus einem Glase zu trinken, und mich von ihnen Bruder nennen zu hören. Im Anfang sah ich mich immer ängstlich um, ob auch jemand unsre Vertraulichkeit sähe.

Die andern also machten sich unsre Mäßigkeit auf eine so vortheilhafte Art zu Nutze, daß sie, von der doppelten Portion benebelt, bald auf die Bank taumelten und laut schnarchend schliefen. Sobald Feldheim dieses merkte, kam er näher zu mir.

»Mich dünkt, sagte er, ich sehe an Ihnen beständig so deutliche Zeichen eines geheimen Verdrusses, daß ich glaube, Sie sind eben so ungern in der Gesellschaft dieses Auswurfs der Menschheit als ich. Ich bin von gutem Hause. [143] Allerley Umstände, deren Erzählung jetzt zu weitläuftig seyn würde, brachten mich zu dem Entschlusse, mein väterliches Haus zu verlassen. Ich wurde nebst meinem Gefährten von Brand und einigen andern im Walde angehalten. Mein Gesellschafter wurde ermordet. Voller Angst flehte ich um mein Leben; meine Jugend schien Eindruck auf sie zu machen.«

»Den Burschen könnten wir brauchen, sprachBrand: er ist schmächtig, und würde gut zum Einsteigen durch schmale Löcher zu brauchen seyn. Höre, junger Mensch, willst du uns folgen, und dich zur Treue verpflichten, so sollst du es recht gut bey uns haben. Willst du aber nicht, so mußt du sterben, wie dein Gefährte.«

»Die Liebe zum Leben überwand meinen Abscheu gegen diese Mörder. Ich folgte ihnen, aber nur um so lange bey ihnen zu bleiben, bis sich mir eine Gelegenheit zur Flucht zeigte. Vier Tage nach meiner Aufnahme kamen Sie [144] zu uns. Bey Ihrem Anblick belebte mich eine gewisse süße Hoffnung, die mich auch noch nicht verlassen hat. Wollen wir uns verbinden, einander zu retten, so bald wir können?«

»Ich bin es gern zufrieden; denn diese niedrige Lebensart ist mir verhaßt.«

»Aber wollen Sie mir auch versprechen, mich nach meines Vaters Hause zu bringen? Wie mag der gute Alte wegen meines Schicksals in Sorgen seyn! Ich bin sein einziges Kind, und er hat mir gewiß meinen Fehler vergeben, und seufzt nach meiner Zurückkunft. Sie sind alter und beherzter als ich, deswegen wäre mir Ihre Begleitung lieb; denn ich getraue mir kaum, die Reise allein zu machen.«

Ich versprach dieß; denn, wie gesagt, ich liebeFeldheim sehr, und es ist ja gleichviel, wohin mich mein Schicksal führt. Wir versuchten, ob es nicht möglich wäre, jetzt gleich zu entkommen, aberBrand hatte sorgfältig alle Ausgänge [145] verschlossen, und wir durften keinen Lärm machen, damit unsre Kameraden unsern Vorsatz nicht merkten. Wir verabredeten also, uns heiter zu stellen, und zu thun, als wären wir begierig, auch bey einem Diebstahl gebraucht zu werden; alsdann wollten wir zu entfliehen suchen. Wollte der Himmel, unser Vorsatz wäre schon ausgeführt! Mein Leben wird mir hier zur Quaal, und der Gedanke an meinen armen Vater martert mich unaufhörlich. O daß ich so muthwillig das Glück meines Lebens zerstörte! denn zerstört ist es auf immer. Wenn ich auch aus dieser höllischen Bande entrinne, so ist doch das Trommelfell mein höchstes Ziel. Einer andern Bestimmung habe ich mich unwerth gemacht.

Ferdinand. [146]

80. Brief. Ferdinand an Eduard
Achtzigster Brief
Ferdinand an Eduard

Es ist uns gelungen, das Vertrauen des Hauptmanns ganz zu gewinnen. Als er den andern Morgen zurückkam, stellten wir uns ganz mismüthig. Er bemerkte es und fragte mich, was mir fehle?

»Meynen Sie denn – sprach ich – daß es mir gleichgültig seyn kann, bey allen den schönen Unternehmungen, die Sie machen, zu Hause gelassen zu werden? Zeigt das nicht deutlich, daß Sie mich für einen Schaafkopf halten, der zu nichts zu gebrauchen ist? Oder vielleicht glauben Sie, daß ich kein Pulver riechen kann. Und das ist mir sehr empfindlich.«

»Ich bin freylich wohl nicht so beherzt – sprach Feldheim – wie unsre andern tapfern Brüder, und getraue mir nicht, mit der Pistole oder dem Degen in der Hand so gut wie Sie, Herr Hauptmann, [147] zu fechten; aber wenn es auf List und Ränke ankömmt, so bin ich gewiß so gut als einer; denn die habe ich in meiner Kindheit gelernt. Ich kann so sachte auf den Zehen schleichen, daß mich niemand hört, getraue mir auch wohl ganz leise ein festes Schloß aufzubrechen; meiner Mutter Geldschrank hat diese meine Geschicklichkeit wenigstens oft genug erfahren.«

Brand. »Es ist mir lieb, Kinder, daß ihr so viel Muth und Ambition habt. Ich hätte es euch nicht zugetraut.«

Ich. »Zum Teufel, Herr Hauptmann! Sie haben mir keine Courage zugetraut? Das sollte mir beym Henker kein andrer sagen. Ich bin jetzt eben in der Laune, mir einen Gegner zu wünschen; ich wollte wahrhaftig jeden zu Paaren treiben, der sich mir widersetzte!«

Brand. »Verspare deinen Muth, mein Sohn, du sollst bald Gelegenheit finden, ihn zu gebrauchen.[148] Hier in der Nähe liegt ein artiges Gut, auf dem nur ein Alter mit seiner Tochter wohnt. Er hat viel Geld und eine öffentliche Kasse in Händen. Das kann ein reicher Schnitt werden. Ich muß nur noch nähere Kundschaft von dem Dinge einziehen. Bey dieser Unternehmung will ich euch brauchen, wenn ihr versprecht hübsch vorsichtig zu seyn.«

Feldheim. »O wenns auf Vorsicht und leises Wesen ankömmt! Beydes habe ich.«

Brand. »Gut, mein Sohn! Vielleicht brauche ich dich, ins Fenster zu steigen, weil du schmal bist. Aber würde dir nicht bange werden?«

Feldheim. »O! nicht im mindesten. Ich weiß ja, daß ich brave Gehülfen hinter mir habe.«

Brand. »Gut gesprochen, mein Kind! Du hast Recht, wir haben tafere Kerle unter uns, die mit dem Teufel selbst fechten würden. Wißt [149] ihr wohl, daß unsre Bande ihrer Herzhaftigkeit wegen in der ganzen Gegend berühmt ist? Es fürchten sich alle, die von uns gehört haben, uns anzugreifen. Sonst würden wir auch nicht mehr alle beysammen seyn. Man hat aber doch schon starken Argwohn auf uns, und sucht uns durch List nachzustellen; deswegen wollen wir diese Gegend gleich verlassen, wenn wir diesen Coup ausgeführt haben.«

Ich. »Was mich aber anbetrifft, so bitte ich unterthänig, daß Sie mich nicht bloß zum Einsteigen in die Fenster brauchen, sondern daß ich unter die andern Fechter gestellt werde.«

Brand. »Es wird meine Sache seyn, jedem von Euch seinen bestimmten Platz anzuweisen. Aber jetzt wollen wir erst eins saufen. Nicht wahr, Jungen, jetzt seyd ihr doch gern bey uns? Im Anfang saht ihr beyde aus, wie die Ritter von der traurigen Gestalt.«

[150] Ich. »Das hat sich geändert. Ich muß gestehen, daß ich freylich im Anfang so allerley Bedenklichkeiten hatte; aber jetzt sind sie überwunden, und ich wünsche mir in meinem Leben keine bessere Lage, als unsre jetzige ist.«

Brand. »Bravo, mein Sohn! Nun bist du mir noch einmal so lieb. –«

Wir gewannen den Tag sein Vertrauen völlig. Es kam mir sehr sauer an, so gegen meine Ueberzeugung zu sprechen; denn es ist gar nicht meine Sache, mich zu verstellen. Aber mein Wunsch, aus dieser Rotte zu kommen, und den armen Feldheim zu befreyen, ist gar zu lebhaft. Wir wissen nur noch nicht, auf welche Art die Sache am besten anzufangen ist; denn wir dürfen nicht allein mit einander reden, und müssen überhaupt sorgfältig allen Schein eines geheimen Verständnisses vermeiden. Doch ich hoffe, der Himmel wird um des unschuldigen Feldheims willen unser Unternehmen begünstigen. Wäre nur erst [151] der Tag der Ausführung da! Lange kann ich diese verhaßte Rolle nicht mehr spielen.

Ferdinand.

81. Brief. Barthold an Eduard
Einundachtzigster Brief
Barthold an Eduard

Freue Dich mit mir, Eduard, wenn Du kannst. Ich bin auf eine Spur gekommen. Ich halte mich täglich in der Schenke auf, und trinke einen Krug Bier, um etwas nähere Nachricht von den Dieben zu hören. Die Bauern sitzen denn alle um mich her, und hören mit aufgesperrtem Maul und Nase zu, wenn ich von politischen Händeln und dergleichen rede. Es sind hier im Dorfe zwey große Politiker. Der eine davon ist einmal ein Jahr auf einer lateinischen Schule gewesen, hat aber, da sein älterer Bruder starb, wieder zum Pfluge zurückkehren müssen. Dieser spricht denn noch immer gern von gelehrten [152] Sachen, und bedauert den Zufall sehr, der ihn von seiner gelehrten Laufbahn zurück rief; denn er meynt, es würde einmal ein großer Mann aus ihm geworden seyn, wenn er beym Studieren hätte bleiben können. Er weiß denn auch den andern Bauern so viel von Sachen vorzuschwatzen, die er einmal hat nennen hören, und deren Namen er ganz jämmerlich verdreht, daß sie ihn für ein Wunder der Gelehrsamkeit halten.

Der andre ist der Schmidt des Dorfs, der, wie er sagt, weit auf Reisen gewesen ist. – Im Grunde aber bestehen seine ganzen Reisen darinn, daß er in einem Städtchen, zwey Meilen von hier, als Schmiedegeselle gearbeitet hat. – Dieser steht denn auch – sein handfester Körper trägt dazu nicht wenig bey – hier in großem Ansehen. Beyde wollen oft mit dem Schulmeister von hohen Dingen sprechen. Dieser aber fühlt seine Schwäche gegen sie, weil er einmal in einer [153] solchen Streitigkeit über die Farbe vom Schwanz eines Cometen, der sich vor einiger Zeit am Himmel sehen ließ, von den beyden andern besiegt worden ist, und dann die Leibesstärke des Herrn Schmidts lange in seinen Knochen empfunden hat, so daß er ihnen nun immer auf die höflichste Art Recht giebt. Wollen sie durchaus Widerspruch haben, um ihre Stärke in der Widerlegung des Gegners zu zeigen, so schleicht er sich sachte davon, und überläßt die beyden Kämpfer dem Misvergnügen, das sie empfinden, ihre besondern Gaben – das ist der Lieblingsausdruck des ehemaligen lateinischen Schülers – nicht zeigen zu können.

Es ist sehr lustig, diesen gelehrten Streitigkeiten beyzuwohnen, und zu sehen, wie sich diese Leute mit den wichtigsten Mienen von der Welt über Kleinigkeiten zanken, die andern nicht einmal der Rede werth scheinen. Ich vergleiche sie oft mit unsern Gelehrten, die über ein beh und [154] bäh, und oft über noch geringfügigere Sachen ganze Stöße von Streitschriften schreiben, die zu weiter nichts dienen, als dem Verleger Absatz zu verschaffen, wenn nämlich recht grobe persönliche Anzüglichkeiten darinn stehen. Denn leider sind wir Menschen in dem verderbten Geschmack, daß die boshaft aufgedeckten Fehler unsrer Mitbrüder am meisten unsre Aufmerksamkeit reizen. Ist dieß aber nicht der Fall, sondern wird bloß die Ursache des Streits abgehandelt, ohne tückische Nebenanekdoten und Schmähungen, die gar nicht zur Sache gehören, so erregen diese Schriften weiter keine Aufmerksamkeit, und dienen bloß dazu, daß der Krämer Käse hineinwickelt, oder Pfeffertüten daraus macht, wenn sie nicht zu einem noch unedlern Gebrauch angewandt werden.

Doch was gehen Dich und mich und unsre Bauern solche Kämpfe an? Die mögen die Herren Gelehrten unter sich halten, und ich will [155] den Faden meiner Erzählung wiederum anknüpfen.

Meine Bauern sprachen denn also wirklich davon, daß die Diebesbande sich in dem benachbarten Walde aufhalten müsse, und daß man es kaum wagen dürfe, diesen Weg zu passiren. Ich spitzte beyde Ohren und fragte sie, ob sie denn nicht einmal mit vereinter Macht einen Ausfall auf diese Spitzbuben thun wollten?

»Da wären wir gewaltige Narren, versetzten sie, wenn wir uns der Gefahr aussetzten, von diesen Kerlen ermordet zu werden. Das mag die Obrigkeit thun, und die vornehmen reichen Leute, die von ihnen geplündert werden. Uns können sie nichts nehmen, dafür sorgt unser gnädiger Landesherr und unser Herr Amtmann. Die Abgaben, die wir zahlen müssen, die Haasen und andres Wildpret, das unsre Feldfrüchte verdirbt, und das wir doch bey Lebensstrafe nicht erschießen dürfen, machen, daß wir selbst kaum [156] das liebe Leben durchschleppen, geschweige denn, daß wir noch was für Diebe übrig haben sollten. Wir können also ganz unbekümmert bey allen Diebstählen seyn.«

»Das dächte ich doch nicht, meine Freunde; denn wenn Ihr selbst auch nicht bestohlen werden könnt, so suchen doch Eure Gutsherren von Euch den Ersatz desjenigen herauszupressen, was ihnen entwandt wird.«

Die Richtigkeit dieses Satzes wurde durch ein allgemeines Fluchen bewiesen, aber dem ohngeachtet hatten sie doch gar keine Neigung, ihre eigne Haut in Gefahr zu setzen. Ich muß also einen Plan ausdenken, dessen Ausführung ich allein zu übernehmen vermag. Vielleicht giebt diese Nacht mir günstige Träume ein.

Barthold. [157]

82. Brief. Barthold an Eduard
Zweyundachtzigster Brief
Barthold an Eduard

Als ich heute früh in tiefen Gedanken über die Ausführung meines Vorhabens auf dem Felde spazieren gieng, begegnete mir der Lumpensammler, und bey seinem Anblick fiel mir eine Idee ein.

»Höre, Freund – sagte ich ihm, könntest du mir wohl nicht einen Bettlerhabit verschaffen? Ich wollte einen Spaß damit machen. Wenn du ihn mir binnen einer Viertelstunde bringst, so sollst du diesen Louisd'or zur Belohnung haben, und wenn du schweigen kannst, noch einen Dukaten dazu.«

Der arme Kerl, der vielleicht in seinem ganzen Leben noch nicht so viel Geld beysammen gesehen hatte, war vor Freuden außer sich, und versprach alles Mögliche. Er hielt auch Wort, und brachte mir in kurzer Zeit einen recht vollständigen Bettlerhabit. Nun wanderte ich ins [158] Holz, in der Hoffnung einen von der erhabnen Gesellschaft zu entdecken. Aber bis jetzt habe ich noch niemand gesehen. Ich trage einen Brief an Ferdinand in der Tasche, der ihm von meinem Vorhaben Nachricht giebt, und nun will ich mich hier schlafen legen, und das Holz nicht eher verlassen, bis ich eine Spur von ihnen entdeckt habe. Gute Nacht, Eduard.

Barthold.


Fortsetzung. Barthold an Eduard.


Ich hatte noch nicht lange gelegen, als ich menschliche Stimmen hörte. Ich fieng an, so laut zu schnarchen, daß man es nothwendig weit weg hören mußte.

»Was Teufel giebt es denn da? sprach einer, vielleicht ein Reisender der den Weg verloren hat?«

Und nun kam man auf mich zu.

[159] »Wahrhaftig! eine artige Figur. Das war der Mühe werth, umzulenken!«

»Ich warf mich herum, rieb die Augen und sagte: Beym Teufel, ein hartes Lager! da wird einem das Schlafen wohl sauer.«

»Wie kömmst denn du Bestie hier in den Wald?«

»Je nun, ich hörte, daß hier oft vornehme Leute, so wie Ew. Gnaden, durchkämen, und da dacht' ich dann so eine kleine milde Gabe zu erhaschen.«

»Es ist eine Schande, daß ein so junger rüstiger Kerl sich schon aufs Betteln legt.«

»Ach! Ihro Gnaden wissen meine Umstände nicht. Ich bin wohl mit zehnerley Uebeln behaftet, habe Gicht und einen lahmen Fuß, und kriege oft das böse Wesen. Sehen Sie nur an, meine Herren.«

Nun ergriff ich meinen Stab und hinkte ihnen so natürlich vor, daß sie aus vollem Halse lachten.

[160] »Du scheinst ein lustiger Teufel zu seyn, und eben nicht zum Bettler geboren.«

»Nein, wahrhaftig nicht! Sie haben mich doch nun einmal überrascht, und es hat vielleicht eine bessere Wirkung auf Ihre Mildthätigkeit, wenn ich aufrichtig gegen Sie bin, als wenn ich noch versuchen wollte, Sie hinters Licht zu führen. Ich bin von vornehmen Eltern geboren, die mich mit äußerstem Zwange zum Studieren anhielten. Das war nun gar mein Flauß nicht, und ich beneidete oft das glückliche Leben der Bettelbuben, die für nichts zu sorgen brauchen, und allenthalben ihr Fortkommen finden. Als ich einsmals heftig gezüchtigt werden sollte, machte ich mich aus dem Staube, und seitdem habe ich diese Lebensart geführt. Des Abends sind meine Taschen reichlich angefüllt, und ich verstehe mich darauf, jedem, den ich um eine Gabe anspreche, das zu sagen, was er gern hört.«

[161] »Also gefällt dir deine Lebensart wohl sehr?«

»Nicht mehr so sehr als sonst. Meine Thätigkeit ist dabey auf zu kleine Gegenstände eingeschränkt, und es verdrießt mich immer, um ein paar Pfennige so viel Wesens machen zu müssen. Wären es Pistolen, so wollte ich meine Mühe für besser angewandt halten.«

»Höre einmal, Kerl, schickst du dich wohl zum Spion?«

»O vortrefflich! Ich dringe mich unter allerley Vor wand in Küche und Keller und in die Wohnzimmer, und unterdessen, daß mir die Leute andächtig zuhören, laufen meine Augen allenthalben herum, und es gelingt mir in vornehmen Häusern sehr häufig durch die Bedienten allerley nützliche Nachrichten von den Herrschaften einzuziehen.«

»Ich glaube wahrhaftig, Kerl, du machst dir auch gar kein Gewissen daraus, zuweilen zu mausen?«

[162] »O! was das Gewissen betrifft, das ist bey mir so delikat eben nicht. Ich darf es aber nur selten wagen; denn wenn man mich ertappte, wo sollte ich Hülfe hernehmen?«

Ich führte das Gespräch immer weiter, bis ich endlich glücklich zum Ziel gelangte. Der HauptmannBrand – so hieß der Eine – nahm mich auf. Freylich wurde mir ein fürchterlicher Schwur vorgelegt, bey dem mir die Haare aufstiegen, aber ich war durch eine List so glücklich, die Sache so zu drehen, daß sich dieser Schwur mit meinem Gewissen vereinigen ließ; auch beruhigte ich mich dießmal mit dem Jesuitergrundsatz: daß man wohl einmal zu einer guten Handlung durch böse Wege gehen könne. Ich muß aufhören, die Augen fallen mir zu.


[163] Fortsetzung. Barthold an Eduard.


Der Hauptmann nahm mich mit nach der Diebeshöhle. Die ganze Gesellschaft saß um einen langen Tisch. Ferdinand war unter ihnen. Sein Anblick erschütterte mich sehr. Die wilde Verzweiflung war auf seinem Gesichte; seine Augen hatten einen fürchterlichen Ausdruck bekommen. Auch den junge Menschen erkannte ich gleich, von dem Ferdinand schrieb. Er zeichnete sich durch sein einnehmendes Gesicht, und durch den zarten Bau seines Körpers, der von einer vornehmen Geburt und weichlichen Erziehung zeigte, auffallend genug von den übrigen aus. Brand stellte ihnen in mir seinen neuen Fund vor.

»Das ist der Mühe werth. Wahrhaftig, eine schöne Figur! –« schrien alle mit Hohngelächter.

»O ho, sachte, Kinder! Dieser Kerl ist vielleicht mehr werth als ihr alle. Du Jakob, [164] Moritz, Raufbold, Jäger, und du Schwarzer da – er zeigte auf fünf Kerle, welche die fürchterlichste Gesichtsbildung hatten – ihr, alle seyd zwar treffliche Fechter, aber dieser ist mir noch brauchbarer. Unter euch allen ist keiner, den ich zum Kundschafter in Häusern brauchen könnte, und ein solcher ist uns doch so nothwendig. Ueberhaupt ist dieser neue Bruder von so guter Familie, als irgend einer unter euch.«

Es kam mir höchst lächerlich vor, diese Lotterbuben von vornehmer Familie reden zu hören. Ich verbarg aber meine Betrachtungen, und sah Ferdinand an, der bisher in tiefen Gedanken gesessen hatte, nun aber aufsah, und bey meinem Anblick frappirt zu seyn schien. Er hatte mich aber nicht erkannt. Bloß die Aehnlichkeit meiner Gesichtszüge mit andern, welche er schon einmal gesehen zu haben glaubte, hatte ihn in Erstaunen gesetzt, und er schien, von diesem Augenblick an, über etwas nachzudenken. Ich fand [165] Gelegenheit, ihm unvermerkt mein Brieschen zuzustecken. Es war des Inhalts: »Lieber Ferdinand! Die Begierde Dich zu retten, treibt mich zu dieser sonderbaren Verkleidung. Wenn Du daran denkst, was Du Deinem Vater, der um Dich jammert, und Deinen Freunden schuldig bist, und also in meinen Plan einstimmst: so hoffe ich Dich und mich zu befreyen. Dein Vater weiß nichts von diesem Schritt, und es steht Dir ganz frey, zu gehen, wohin Du willst; wenn Du nur aus den Händen dieser Elenden bist, so bin ich zufrieden.«

Er schien zu stutzen, als er das Papier in seiner Hand fühlte, steckte es aber unvermerkt in die Tasche, und nun hieß Brand uns schlafen gehen. Den andern Morgen gaben sich alle beym Aufstehen die Hand. Ferdinand kam zuletzt zu mir, und drückte ein Papier in die meinige. Ich entfernte mich unter einem Vorwande, und las folgendes: »O Gott! Barthold! bin ich es [166] noch werth, daß meine Freunde sich meiner annehmen? Edelster! Bester unter den Menschen! O warum erkannte ich Deine Freundschaft nicht immer so wie jetzt? Ich bin von Deiner Großmuth durchdrungen, und werde ewig dankbar gegen Dich seyn; aber wenn Du mich retten willst, so rette auch meinen Feldheim, der diese unselige Verbindung eben so verabscheut wie ich.«

Voller Freuden eilte ich wieder zu den andern, und gab mir alle mögliche Mühe, Brands Liebe und Vertrauen zu gewinnen. Es gelang mir auch so gut, daß er mir bald einen Plan mittheilte, in dessen Ausführung er meine Fähigkeiten prüfen wollte:

»Es wohnt hier in der Nähe ein reicher Alter auf einem einsam gelegnen Gute, bey dem wir eine treffliche Beute finden werden. Aber weil wir hier gar nicht mehr sicher sind, so müssen wir diesen Ausfall so bald möglich, ich wünschte [167] schon zukünftige Nacht, unternehmen, und uns dann sogleich aus dem Staube machen. Kennst du das **sche Gut?«

– Gott, wie erschrack ich hier! Es ist eben das Gut, auf dem Du, mein Eduard, sonst wohntest, und dessen gefährliche einsame Lage Du kennst. Ich faßte mich inzwischen so gut, daß er meine Bestürzung nicht merkte, und antwortete:

»Dem Namen nach kenne ich es wohl. Ich habe es auch liegen sehen, wurde aber verhindert, meinen Weg dahin zu nehmen.«

»Nun! es ist genug, wenn du nur die Lage weißt. Wenn ich wüßte, daß du recht gescheidt wärest, so solltest du dahin gehen und Kundschaft von allen den Dingen einziehen, die wir nothwendig zu unsrer Sicherheit wissen müssen. Aber sollte ich mich auch wohl auf dich verlassen können, da du noch so neu bist? Ich wage wirklich zu viel.«

[168] »Gewiß nicht, Herr Hauptmann! Ich habe in meinem Leben keine größere Freude empfunden, als diejenige war, wie Sie mich in Ihre Gesellschaft aufnahmen, und Ihr Auftrag erfüllt alle meine Wünsche.«

»Wie so? sagte er etwas befremdet.«

»Je nun, weil er mir ein Zeichen Ihres Vertrauens ist. Ich bin zu solchen Geschäften geboren. Es wird mir einen rechten Spaß machen, wenn die Bedienten mir in aller Unschuld das entdecken, was uns zu wissen gut ist. O ich will sie so zahm und treuherzig machen, daß es eine Freude seyn soll. Aber, Herr Hauptmann, wäre es nicht besser, wenn ich in einer andern Kleidung da erschiene? Etwan als ein Korn- oder Viehhändler? Auf die Art könnte ich wohl leichter Zutritt zu dem Herrn selbst bekommen?«

Bravo, du bist ein tüchtiger Kerl. Aber mach fort, damit du bald wieder hier bist. Du siehst, was ich dir anvertraue. Billig –

[169] »Billig sollte ich den ganzen Plan fahren lassen; denn Ihr Mistrauen beleidigt mich sehr.«

Er besänftigte meinen anscheinenden Zorn, und ich wurde nun aufs beste mit einem Rocke aus Karls des zwölften Zeiten, und mit einer Perücke ausstaffiert, bekam das beste Pferd aus dem Stalle, und so eilte ich fort. Ich kam bald auf dem Hofe an. Ein junges Mädchen war beschäftigt, eine Menge Federvieh zu füttern, welches ganz zahm um sie herum lief. Ihre Gestalt war die schönste, die ich je sah. Ein gewisser Zug des Trauerns verbreitete ein sanftes Schmachten über ihr ganzes Wesen, das jedes Herz zu ihr zu neigen schien. Die lebhaften Rosen ihrer Wangen schienen vom Kummer in eine gewisse Blässe verwandelt zu seyn, die das Gesicht noch sanfter und anziehender machte. Sie trug ein weißes Kleid, das ihren Wuchs sehr vortheilhaft zeigte. Eine blaßblaue Schleife befestigte eine Rose an ihrer Brust, deren welkende [170] Blätter ein Sinnbild von ihr zu seyn schienen. Auf dem Kopf hatte sie einen weißen Hut mit einem Blumenkranz umwunden; ihr schönes blondes Haar wallte in ungekünstelten Locken auf ihren Busen herunter – daß ichs kurz mache, das ganze Mädchen stellte dem Auge eine so hinreissend schöne Figur dar, daß sie sogar auf das kalte Herz deines Bartholds die stärkste Wirkung machte.

Sie fragte mich mit einer Stimme, die so süß und lieblich in meinen Ohren hallte, ob ich etwan zu ihrem Onkel wollte? Und auf meine bejahende Antwort führte sie mich zu ihm ins Zimmer. Er saß eben vor seinem Schreibtische, stand aber bey meiner An kunft auf, und nöthigte mich – obgleich meine Figur nicht vortheilhaft war – sehr freundlich zum Sitzen. Ich verbat dieses:

»Ich habe Ihnen bloß einen Brief zu überreichen, dessen Inhalt von Wichtigkeit für [171] Sie ist, und für dessen Wahrhaftigkeit ich Ihnen Bürge bin. Verzeihen Sie mir aber, daß es meine Umstände nicht erlauben, Ihnen jetzt nähere Erläuterungen zu geben. Morgen werden Sie mehr erfahren. Befolgen Sie nur aufs pünktlichste die darinn angezeigten Maaßregeln, und entschuldigen Sie, daß ich schleunigst wieder von hier eilen muß.«

Mit diesen Worten verließ ich das Zimmer, schwang mich aufs Pferd und jagte eilig davon. Der Alte konnte vor Erstaunen kein Wort hervorbringen. Ich schrieb ihm – doch lies auch lieber selbst den Brief:


»Wohlgeborner Herr,

Ein Mensch, der Ihnen zwar unbekannt ist, der aber schon lange Ew. Wohlgeb. von der vortrefflichsten Seite kennt, hält es für seine Pflicht, Sie wegen eines Anschlags zu warnen, der von den schädlichsten Folgen für Sie und Ihr Haus seyn könnte.

[172] Eine Bande Räuber hält sich jetzt hier in der Nähe auf, und hat den Vorsatz gefaßt, Sie künftige Nacht zu plündern. Weil der Anführer Nachricht eingezogen hat, daß Ew. Wohlgeb. außer Ihren eignen Baarschaften noch eine öffentliche Kasse in Verwahrung haben, so verspricht er sich eine reiche Beute. – Es befinden sich außer mir noch zwey junge Leute unter dieser Bande, die durch sonderbare Unglücksfälle hineingerathen sind und wider ihren Willen einige Wochen in dieser schändlichen Verbindung haben leben müssen. Noch sind ihre Hände rein von Blut, und sie wünschen aufs lebhafteste aus den Händen dieser Bösewichte gerettet zu werden. Es scheint, als wenn der Himmel diese Gelegenheit veranstaltet habe, um Ew. Wohlgeb. zum Werkzeug der Rettung dieser Unschuldigen zu machen, und eine schändliche Bande zu zerstören, die hier schon so viel Unheil angerichtet hat.

[173] Der eine von diesen jungen Leuten soll diese Nacht in Ihr Fenster steigen, und den andern die Thür öffnen. Diese wollen dann hereindringen, und, wo möglich, ganz leise alles Geld und Kostbarkeiten tauben. Finden sie aber Widerstand: so haben sie die Absicht, alles zu ermorden, was sich ihnen widersetzt. Sie sind auch stark genug, diesen abscheulichen Vorsatz auszuführen. Um aber denselben zu vernichten, wäre es meiner Meynung nach, das beste Mittel, daß Ew. Wohlgeb. ein Commando Soldaten in Ihrem Hause versteckten. So bald nun die Räuber hineingelassen wären, müßten sie hervorkommen, sich ihrer bemächtigen, und sie den Händen der Gerechtigkeit überliefern.

Wir drey werden uns gleich auf die Seite der Soldaten schlagen, und hoffen alsdann, unter Ihrem Dache eine Zuflucht zu finden, bis wir uns mit Sicherheit auf den Weg zu unsrer Heimath machen können. Ew. Wohlgeb. können [174] sicher auf die Wahrheit meiner Aussage fußen, und sollte ja ein besonderer Zufall das schändliche Vorhaben diese Nacht zerstören, so wird es doch ganz gewiß die zukünftige ausgeführt werden. Ich werde durch ein lautes Zuschließen der Thür, oder durch dergleichen zu erkennen geben, wann es Zeit für die Soldaten ist, hervorzukommen. Ich verhaare, unter der Bitte, doch ja alle Anstalten geheim zu treffen, mit der vollkommensten Hochachtung

Ew. Wohlgeb.

gehorsamster Diener.

B.«


Freudig eilte ich nach unserm Aufenthalte zurück.Brand empfieng mich voller Freuden über meine baldige Wiederkunft. Ich dichtete ihm nun eine zu unserm Vorhaben so glücklich passende Geschichte vor, daß er weiter keinen Anstand nahm, den Anfall in der folgenden Nacht zu machen. Unter dem Vorwande, als wolle ich Feldheim [175] unterrichten, wie er seinen Weg vom Fenster bis zur Hausthüre zu nehmen habe, gelang es mir, mit ihm allein zu sprechen. Erst wußte er nicht, ob er mir trauen könnte, aber als ich mich ihm ganz entdeckte, war er vor Freuden außer sich; denn ohngeachtet seines Verständnisses mit Ferdinand würden sie beyde allein doch schwerlich ihr Vorhaben durchgesetzt haben.

Ein paar Worte waren hinreichend, diesen letzten von meiner Absicht zu benachrichtigen, und nun konnten sie ihre Freude nicht so unterdrücken, daß nicht, ihrer Bemühung ohngeachtet, doch noch genug davon aus ihrem Betragen hervorgeleuchtet hätte.Brand aber, weit entfernt, Argwohn zu schöpfen, glaubte, sie freuten sich der Ehre, heute zum ersten mal gebraucht zu werden, und lobte sie deswegen. Wir zählten alle Minuten bis zum Abend; aber nun machte ein heftiges Gewitter mit Platzregen verknüpft, die Gesellschaft wankend. Meine Freunde zitterten [176] nebst mir vor Angst, daß unser Vorhaben würde gestört werden; aber zum Glück wurde der Himmel still, und wir machten uns, mit dem nöthigen Handwerkszeuge versehen, auf den Weg. Wir kamen bald an Ort und Stelle, fanden das ganze Haus dunkel und still, setzten die Leiter an, und Feldheim stieg mit Zittern hinauf. Voller Todesangst eilt er durch viele Zimmer nach der Hausthür, öffnet sie, und wir alle – zwey ausgenommen, die zur Wache stehen blieben – dringen ins Haus. Ich bin der letzte und kann vor Zittern kaum abschließen. In dem Augenblick öffnen sich zwey Thüren. Es wird alles hell, und eine Menge Soldaten dringt von beyden Seiten auf uns zu.Brand schrie, vor Wuth schäumend: »Verrätherey! Nichtswürdiger Betrüger!« – und wollte mit dem Säbel auf mich einhauen. Ich schlug ihm denselben aus der Hand, hatte aber doch eine kleine Wunde bekommen, und nun wurde er mit allen seinen Genossen[177] – uns drey ausgenommen, denn wir warfen gleich unsre Säbel von uns – entwaffnet und eingesperrt. Er hatte aber doch noch einem Soldaten eine gefährliche Wunde beygebracht, und da seine Hände gebunden waren, noch einige mit den Füßen beschädigt.

Auf meine Anzeige setzte nun ein Theil der Soldaten den zwey andern, die draußen waren, nach. Einer war entwischt, den andern zwangen sie, sie nach der Höhle zu führen, in der noch drey Spitzbuben sich befanden, welche sie auch glücklich erhaschten. Wir wurden in ein Zimmer geführt, in welchem sich der geheimde Rath nebst Karolinen befand. Er umarmte mich:

»Großmüthiger Mann, womit soll ich Ihnen danken?«

»Das Vergnügen, eine gute Handlung verrichtet zu haben, und ein Werkzeug zu Ihrer und Ihrer liebenswürdigen Nichte Rettung gewesen [178] zu seyn, ist mir die größte Belohnung. Ich danke Gott, der es uns so schön hat gelingen lassen, diese Unschuldigen aus den Händen der Räuber zu befreyen.«

Ich sah mich nach beyden um, und bemerkte, daß Feldheim die Augen niederschlug und erröthete. Endlich warf er sich mit den Zeichen der stärksten Bewegung zu des Alten Füßen und umfaßte seine Knie.

»Theuerster Oheim, können Sie mir vergeben? – Beste Karoline, kann ich nicht auf Dein Vorwort rechnen? Habe ich auch Deine Liebe verloren?«

»Gott, ists möglich, bist Du's?«

Sie umarmte ihn, und wir waren vor Erstaunen ganz außer uns. Feldheim aber wollte die Knie des Alten nicht eher verlassen, bis er seine Vergebung erlangt hätte.

»Du hast einen großen Fehler begangen, und uns allen vielen Kummer gemacht.«

[179] »Ach Gott! dieser Ihnen gemachte Kummer lag schwer auf meiner Seele. Aber ich kann nicht eher von Ihren Füßen aufstehen, bis Sie dem Mädchen werden vergeben haben, das Sie sonst so väterlich liebten.«

»Du kennst meine schwache Seite. Wohlan, erzähle mir deine Geschichte. Ich wollte, ich könnte darinn Entschuldigung für dich finden.«

»Sie wissen, daß mein Vater, seiner Güte und Zärtlichkeit ohngeachtet, doch zuweilen eine Härte besitzt, die unglaublich scheint. Herr D-, ein reicher, aber nichtswürdiger Mensch, der allen Abscheu eines tugendhaften Mädchens verdient, der schon die Unschuld mancher Unglücklichen zu Grunde richtete, zugleich aber doch durch die schändlichste Heucheley den Ruf eines rechtschaffnen Mannes zu behaupten weiß, verliebte sich in mich, und hielt bey meinem Vater um mich an. Dieser, durch seinen Reichthum geblendet, gab ihm sein Jawort, und [180] stellte ihn mir zum Bräutigam vor. Ich haßte den Niederträchtigen, wie er es verdiente, und flehte mit Thränen meinen Vater an, mich doch nicht einem solchen Bösewicht zu geben. Aber er war taub gegen meine Bitten, und würdigte die Beweise von D-s schlechtem Charakter, die er für erdichtet hielt, nicht einmal einer Untersuchung. Die Verzweiflung brachte mich dahin, selbst an D. zu schreiben. Ich bat ihn, wenn er nur noch etwas Edelmuth besäße, so möchte er nicht auf eine Verbindung dringen, in die es mir unmöglich wäre einzuwilligen. Seine Beharrlichkeit würde nur dazu dienen, mich Unannehmlichkeiten von meinem Vater auszusetzen; in meinem Entschluß würde sie nichts ändern. Dieses begleitete ich mit den höflichsten Bitten, aber ich erhielt bloß die Antwort: Er glaube, es gäbe im Ehestande allerley Mittel von sanfter und harter Art, die Abneigung, die ich gegen ihn zu haben schiene, zu [181] überwinden. Es solle ihm zwar leid seyn, wenn er die letzten bey mir anwenden müsse; indessen versichre er mich, eben so fest, als ich entschlossen schiene ihn auszuschlagen, eben so fest sey er entschlossen mich zu nehmen, und es stände bey mir, zu versuchen, welcher Theil durchdringen würde. Er hielte es aber für zuträglicher, wenn ich mich gleich in die Umstände schicken wollte.

Zu diesem Briefe, dessen hämischer Spott mich äußerst aufbrachte, fügte er noch die Nieterträchtigkeit hinzu, den meinigen in meines Vaters Hände zu geben. Dieser begegnete mir darauf aufs härteste, sperrte mich ein, und befahl mir, mich ohne Widerrede zur Hochzeit anzuschicken, welche spätstens in acht Tagen vollzogen werden sollte.

In dieser traurigen Lage sah ich kein andres Hülfsmittel vor mir, als zu entfliehen. Ein Mädchen, das mir treu war, schaffte mir Mannskleider, um meine Flucht sichrer zu machen. [182] Ich entfloh des Nachts, entschlossen zu Ihnen zu gehen, und um Karolinens Vorsprache zu bitten. Diese sollte mich so lange verbergen, bis Sie auf meine Seite gebracht wären, und dann, hoffte ich, würden Sie meinen Vater zur Aenderung seines Entschlusses bewegen. Ich nahm einen Boten mit, denn ich getraute mir nicht, ein Fuhrwerk zu nehmen. Wir wurden im Walde von zwey Räubern angefallen, die meine gute Kleidung gelockt hatte. Mein Gefährte nahm die Flucht, und ich bat voller Angst um mein Leben, welches sie mir nur unter der Bedingung schenkten, wenn ich ihnen folgen wollte. Die Liebe zum Leben siegte über meinen Abscheu, ich gieng mit ihnen, und vier Tage waren mir höchst traurig verflossen, als Herr Ferdinand durch einen ähnlichen Zufall zu uns kam.

Wir merkten bald, daß unsre Gesinnungen des Abscheus gegen diese Bande einstimmig waren, und verabredeten unsre Flucht, die wir [183] aber doch schwerlich würden ausgesührt haben, wenn nicht dieser Herr uns behülflich gewesen wäre. Und nun, liebster, bester Oheim, was darf ich hoffen?«

»Meine Verzeihung. Aber ist die Unschuld meinerWilhelmine in keiner Gefahr gewesen? Blieb dein Geschlecht verborgen?«

»Ja. Ich schlief immer allein, und in Kleidern; und man hat nicht anders geglaubt, als daß ich ein Jüngling wäre.«

»Aber der zarte Bau deines Körpers?«

»Wurde für die Folge einer verzärtelten Erziehung gehalten, und oft verspottet.«

»Aber, Mädchen, gewiß hatte doch ein geheimer Liebhaber Antheil an deinem Entschluß und an deinem Widerstreben?«

»Nein, bester Onkel! Ich kann darauf schwören, daß noch nie ein Mann von Liebe mit mir gesprochen hat, und daß ich auch keinen in meiner [184] Vaterstadt kenne, der fähig wäre, auf mein Herz Eindruck zu machen.«

Ferdinand, der bey der Frage des Onkels ängstlich nach ihr hingeblickt hatte, erheiterte sich merklich bey dieser Antwort. Ihre Blicke begegneten einander, und beyde errötheten. Nun bat der Alte uns auch um die Erzählung der Unglücksfälle, die mich und Ferdinand den Räubern überliefert hätten. »Es ist doch beynahe Morgen, sprach er, ich denke, wir alle würden doch nicht viel schlafen können. Karoline wird uns Kaffee bestellen, und beym Trinken erzählen Sie mir Ihre Fata.«

»Die meinigen machen mir keine Ehre,« antwortete Ferdinand verlegen und stark erröthend, – im Grunde war ihm wohl das allerempfindlichste, daß er genöthigt war, die Geschichte mit Henrietten inWilhelminens Gegenwart zu erzählen – »aber ich hoffe, die Beschämung, die ich während der Erzählung meiner [185] Vergehungen empfinden werde, wird mich auf mein ganzes übriges Leben bessern.«

Er erzählte nun aufrichtig alle seine Begebenheiten, nebst dem Antheil, welchen ich daran hatte. Bey Erwähnung meines Namens erröthete Karoline. Wahrscheinlich hatte sie mich von Dir einmal nennen hören, und der Name Deines Freundes rief Dein Andenken bey ihr zurück. Am Ende der Erzählung sprach Ferdinand mit vieler Rührung von seinem Vater. Der geheimde Rath suchte ihn wegen seiner Gesinnung gegen denselben auszuforschen und schien zufrieden, daß Ferdinand seinen Fehler bereute, dessen Sträflichkeit und schlimme Folgen er ihm auf die sanfteste Art noch einleuchtender machte.

»Sie haben vieles wieder gut zu machen, junger Mann, damit Sie das Andenken Ihrer Vergehungen vertilgen. Bleiben Sie einige Tage bey mir. Wir wollen über die Mittel nachdenken, [186] durch welche Sie Ihren würdigen Vater zu versöhnen suchen müssen.«

Ferdinand war äußerst gerührt. Der Alte gab nun Karolinen den Auftrag, Wilhelminens Kleidung in die weibliche zu verwandeln, die ihr gebührte. Auch Ferdinand entfernte er unter einem Vorwande, und winkte mir, da zu bleiben. Ich glaubte, daß auch er vielleicht um unsre Freundschaft wisse, und von Dir reden wolle, aber der liebenswürdige Mann hatte eine andre Ursache. Er sagte mir: daß Ferdinands Vater sein genauer Freund wäre, daß er sich jetzt, Geschäfte halber, nicht weit von hier aufhielte, und daß er die Absicht hätte, diesen sowohl, als seinen Bruder, Wilhelminens Vater, holen zu lassen, und dann wolle er Vermittler der Aussöhnung mit ihren Kindern seyn. Er wünsche aber, daß die jungen Leute noch nichts erführen, damit die Ueberraschung von beyden Theilen größer wäre. Er bat mich, ihm hierinn behülflich zu seyn, ohne daß[187] Karoline etwas erführe, weil er fürchtete, daß diese gegen ihre Freundinn nicht verschwiegen genug seyn würde. Es wurden also sogleich Boten an beyde Väter abgeschickt. Als diese Veranstaltungen kaum getroffen waren, kam Karoline herein und führteWilhelminen ins Zimmer, die, als Mädchen gekleidet, reizend schön aussah. Ferdinand schien von ihrem Anblick bezaubert zu seyn, und betrachtete sie mit Entzücken. Die Zeit verstrich uns so angenehm, daß es mir äußerst schwer ward, mich loszureißen, um Dir zu schreiben. Ich muß Dir auch gestehen, daß ich schon oft in Versuchung gewesen bin, die Feder aus der Hand zu legen, und mich zu der Gesellschaft zu verfügen. Also nur noch ein paar Worte, welche die Freundschaft mir einflößt:

Marie ist für Dich verloren, liebster Eduard. Du siehst deutlich, daß sie Dir nicht bestimmt war.Karoline liebt Dich noch. Ihr stilles Trauern, ihre Bewegung, wenn etwas vorkömmt, [188] das sie an Dich erinnert, zeigt dieses deutlich. Sie ist das liebenswürdigste Mädchen, und übertrifft jedes Ideal, das die entzückende Phantasie des Dichters je zu entwerfen vermochte. Komm zu uns hieher, und bemühe Dich, bey ihr alle Erinnerungen an Marien, die ja doch nur äusserst schmerzhaft bey Dir seyn können, zu vergessen. Ich nehme es über mich, den Alten auf Deine Seite zu bringen. Er denkt zu schön, als daß der letzte Vorfall mit Dir seine Achtung für Dich sollte geschwächt haben. Höre auf meine Bitte, lieber Freund, und gieb Karolinen die Ruhe wieder, die sie um Dich verlor. Ihr Besitz wird Dich zum glücklichsten, beneidungswerthesten Manne machen! In der sichern Hoffnung, Dich bald zu umarmen, bleibe ich

Dein zärtlichster Freund Barthold. [189]

83. Brief. Eduard an Barthold
Dreyundachtzigster Brief
Eduard an Barthold

Deine edelmüthige Freundschaft rührt mich, und erweckt die dankbarsten Empfindungen gegen Dich in meinem Herzen, aber mehr kann sie nicht bey mir hervorbringen. Ich werde Marien hier nicht besitzen. Sie selbst hat diese Hoffnung auf immer vernichtet, und kein Wunsch nach ihrem Besitze bleibt mir mehr erlaubt. Aber dem ohngeachtet bin ich noch ganz der Ihrige. Ich liebe sie nicht mehr wie eine Sterbliche, ich verehre, ich bete sie an! Sie scheint mir nicht mehr ein menschliches Geschöpf voll Mängel und Schwachheit zu seyn, sondern eine Verklärte des Himmels. Ihr himmlischer, sanfter Geist ist auch über mich gekommen. Mein wüthender Schmerz ist gedämpft, und stille Wehmuth ist an seine Stelle getreten. Oft zwar überfällt er mich aufs neue, aber ein Gedanke an den Engel, [190] ein Blick auf ihren trefflichen Brief, den Abdruck ihrer schönen Seele, – und meine Wuth schmelzt in sanfte Thränen.

O du Engel des Himmels! warum mußtest du hier ein so trauriges Schicksal erdulden? Gewiß ließ es die weise Vorsehung zu, um durch dich ein Beyspiel des Heldenmuths im Leiden deinen Brüdern zur Stärkung zu geben! Theuerste Geliebte! ich will deinem großen Vorbilde folgen, will mich demüthig dem Willen des Himmels unterwerfen, und mit dir auf jene Welt mich freuen, die ewig uns vereinigen soll!

Und nun noch eine Bitte an Dich, lieber Barthold! Dringe nicht mehr Karolinens wegen in mich. Ich schätze ihre Verdienste, aber mein Herz kann ich ihr nie geben. Es soll ein reiner Tempel bleiben, in welchem meine Marie wohnt, und alle seine Wünsche und Begierden sollen nur ihr gewidmet seyn. Ich fühle, daß mit ihrem Leben auch das meinige zerreißen wird. [191] Ihr himmlischer Geist wird bald in eine Welt übergehen, die ihrer würdiger ist als diese, und dann werden meine Gebete zu Gott dringen, daß er auch mich von der Bürde des Körpers befreyen, und meinen Geist mit dem ihrigen zugleich hinnehmen möge!

Da, Freund! Ich habe Dir ihren Brief abgeschrieben. Diese Abschrift sey das letzte Denkmal, das ich Dir hinterlasse. Das Original soll mit mir in die Gruft gelegt werden, und mit meinem Herzen zugleich vermodern. Wehe Dir, wenn Du diese theuren Züge liesest, ohne der Dulderinn eine Thräne zu weihen, und wenn Du dann noch fähig bist, mir eine Zeile von einer andern Geliebten zu schreiben!

Eduard. [192]

84. Brief. Barthold an Eduard
Vierundachtzigster Brief
Barthold an Eduard

Nein, Freund! ich werde nicht mehr in Dich dringen. Ich fühle mit Ueberzeugung, daß Du nach Marien keine andre mehr lieben kannst. Ihr Brief hat mich durchdrungen. Ich saß in stummen Tiefsinn versenkt und von Bewundrung erfüllt. Indem trat Karoline herein.

»Was macht Sie denn so tiefsinnig? Sie scheinen ja sehr gerührt zu seyn.«

»O Mademoiselle, Sie würden es auch seyn, wenn Sie diesen Brief läsen.«

»Darf ich es nicht?« sagte sie mit einer gewissen Beängstigung, als ahndete sie, wen er beträfe. Ich hielt es für einen glücklichen Zeitpunkt, sie zu heilen, und alle Hoffnung zu zernichten, die sie vielleicht noch haben könnte. –

»Er betrifft meinen Freund Eduard, der so glücklich war, einige Jahre bey Ihnen zuzubringen.[193] – Sie erröthen, meine Theure? Sie brauchen sich der Empfindungen nicht zu schämen, die diese Röthe bey Ihnen hervorbringen. Eduard war ein liebenswürdiger Jüngling, werth des Antheils einer schönen gefühlvollen Seele, wie die Ihrige ist. – Ich küßte ihre Hand und führte sie zu einem Stuhl. – Glauben Sie sicher, daß er immer mit der feinsten Achtung von Ihnen schrieb, und daß ihm seine Treue gegen Marien manchen Kampf kostete.«

»Seine Treue ist mir immer ehrwürdig gewesen. Ich schäme mich des Eindrucks nicht, den er auf mein unerfahrnes Herz machte; aber ich bin weit davon entfernt, zu wünschen, daß er um mich seine Erstgeliebte möchte vergessen haben. Er würde mir sogar verächtlich gewesen seyn, wenn er es gekonnt hätte. Aber sagen Sie mir: war seine Geliebte so treu als er?«

[194] Ich erzählte ihr Deine Geschichte, und viele Thränen flossen über Dein Schicksal. Ich zeigte ihr Deine letzten Briefe und den von Marien.

»O Gott! – rief sie aus – welch eine Seele voll Größe und Edelmuth! Warum mußte sie von dem Jünglinge getrennt werden, der ihrer so werth war? Nein, ich würde Eduard hassen, wenn er nach ihr noch eine andre lieben könnte. Ich werde mich nun weit leichter über seinen Verlust beruhigen, da ich die selige erhabne Fassung Mariens zum Vorbilde habe.«

Ihr Onkel trat herein, und unterbrach sie.

»Nun was giebts? Ist ein neues Unglück geschehen? Ihr seht ja beyde so weinerlich aus.«

Karolinens feines Gefühl würde zu sehr bey einer nochmaligen Erzählung gelitten haben. Sie gieng also hinaus, und ich sagte ihm die Ursache unsrer Rührung. Er sah die Geschichte mit andern Augen an als wir, und sagte mir vieles, das ich nicht wiederlegen konnte, mit dessen Wiederholung [195] ich Dich aber nicht quälen will, weil ich glaube, daß solche Reflexionen doch fruchtlos bey Dir bleiben würden. – Er sprach aber doch noch mit vieler Liebe von Dir, und bedauerte, daß die schönen Anlagen, die Du – doch wozu diese Wiederholung?

»Die Stelle, fuhr er fort, die ich ihm antrug, ist noch offen. Ich wünschte sie von einem Mann bekleidet zu sehen, der fähig genug wäre, ihr gut vorzustehen. Sie haben mir eine vortheilhafte Meynung von Ihrem moralischen Werth beygebracht. Wollten Sie mir wohl durch ein kleines Examen Gelegenheit geben, Ihre wissenschaftlichen Kenntnisse zu prüfen?«

Ich dankte ihm gerührt von seiner Güte, und er prüfte mich mit so vielem Scharfsinn, daß ich erstaunte. Er war so gütig, mir seinen Beyfall zu geben, und fragte mich, ob ich wohl in der Verfassung zu seyn glaubte, die Stelle künftige Woche antreten zu können?

[196] Eine Versorgung hat mir also der gütige Himmel angewiesen, früher als ich zu hoffen wagte; aber, Freund, ich habe noch andre lebhafte Wünsche, deren Erfüllung mir mehr, als Ehre und Reichthum, am Herzen liegt! Doch ich vergesse ja unsern Ferdinand und Wilhelminen.

Die beyden Väter kamen den Tag nach unsrer Ankunft fast zu gleicher Zeit an. Der geheimde Rath hatte die jungen Leute zu entfernen gewußt. Ich war unter einem Vorwand zu Hause geblieben, und war in einem Nebenzimmer, in welchem ich unbemerkt alles sehen und hören konnte. Beyde Alten waren sehr bekümmert. Der geheimde Rath leitete zuerst das Gespräch auf Wilhelminen. Ihr Vater war noch unwillig auf sie. Sein trefflicher Bruder bemühte sich aber durch allerley Vorstellungen sein Herz wieder zu zärtlichen Vatergefühlen für sie zu stimmen, und als er merkte, daß seine Bemühung gelang, wußte er ihm auch so sanfte treffende Vorwürfe über seine [197] zu große Härte, und über die Sucht nach Reichthum, die ihn alle schlechte Eigenschaften des Herrn D. übersehen ließ, zu machen, daß er höchst gerührt mit Thränen das Gelübde that, seine Tochter nie wieder zu einer Heyrath zu zwingen, wenn er so glücklich seyn sollte, sie jemals wieder zu sehen. Er fürchtete aber, daß dieses Glück ihm nicht mehr aufbehalten wäre.

Seine Klagen machten, daß auch Ferdinands Vater den verlornen Sohn beweinte, und nun, da beyde in rührende Klagen ausbrachen, führte sie der geheimde Rath ins Speisezimmer, und beyde erblickten ihre Kinder, die, von Freude und Schrecken durch drungen, sich zu ihren Füßen warfen. Die rührende Scene, welche nun folgte, ist unbeschreiblich.

Unser Ferdinand ist durch Wilhelminens Umgang ganz umgeschaffen. Sein rauhes Wesen hat sich verloren; seine Sitten sind sanfter und milder geworden, und er ist jetzt ein liebenswürdiger[198] Jüngling. Aus seinem Betragen blickt die heftigste Liebe hervor; auch bey ihr ist der Eindruck nicht zu verkennen, den er auf ihr Herz gemacht hat. Ihre gegenseitige Neigung wurde beyden Eltern merklich. Sie waren vertraute Freunde. Ferdinand war reich – ein großer Beweggrund bey Wilhelminens Vater – Wilhelmine hat zwar nur mittelmäßiges Vermögen, aber der alte Sudsberg hielt den Reichthum für die unwesentlichste Eigenschaft bey seiner künftigen Schwiegertochter. Die unentbehrlicheren zum Glück seines Sohnes glaubte er bey ihr zu finden. Dieses alles waren Bewegungsgründe genug auf beyden Seiten, um die Väter ebenfalls eine Verbindung ihrer Kinder wünschen zu lassen. Aber unser würdiger geheimder Rath, weiser und durchschauender, als beyde, that jetzt den Ausspruch:

»Ferdinand hat in seinem bisherigen Betragen nur den jungen Unbesonnenen – ich wähle [199] den gelindesten Ausdruck – sehen lassen. Er muß erst durch edlere Thaten zeigen, daß er fähig ist ein guter Ehemann und ein nützlicher Bürger des Staats zu seyn, ehe er auf Wilhelminen Ansprüche machen kann. Wir wollen ihm zwey Probejahre setzen, die er in ** zubringen soll. Ist, während dieser Zeit, seine Aufführung untadelhaft, und sein Fleiß so groß, daß er das Versäumte einbringt, und alle die Kenntnisse erwirbt, die von ihm gefordert werden können; tilgt er ferner durch schöne Handlungen den Schandfleck aus, den er auf sich gebracht hat: so kann, nach Verlauf dieser Zeit, die Gründlichkeit seiner Ansprüche aufWilhelminen von ihr selbst und ihrem Vater bestimmt werden. Auch werde ich dafür sorgen, ihm eine anständige Bedienung zu verschaffen, wenn er meinen Wünschen ganz Genüge leistet. Aber ich werde ein strenger Richter seyn, sowohl in der Untersuchung seiner Aufführung, als in der [200] Prüfung seiner Kenntnisse. Ist die erste nur im mindesten zweydeutig, und die letzten mangelhaft: so ist Wilhelmine für ihn verloren. Finden Sie diesen Ausspruch zu hart?«

»O wie könnte ich Ihre weise Güte zu hart finden? Ich fühle, daß ich mich der Liebe Wilhelminens und meines Vaters, nebst der Achtung der Rechtschaffnen, unwerth gemacht habe; aber alle meine Kräfte sollen künftig nur dahin gehen, meine Fehler wieder gut zu machen. Ich müßte kein menschliches Gefühl haben, wenn ich je wieder vom guten Wege abfallen könnte, wenn nicht diese Güte, und die Verzeihung meines Vaters, meine ganze Seele durchdränge. Ob nach Verlauf der angesetzten Zeit das höchste Glück in Wilhelminens Armen mir blühen wird, das mögen Sie, Theuerste, selbst bestimmen.«

Wilhelminens Blicke bestimmten dieses so ziemlich deutlich, und nun herrschte die Freude [201] auf allen Gesichtern; nur auf Karolinens Stirn stand noch eine Wolke, und auch in meinem Herzen ist noch so ein gewisses Etwas, welches mir den ganz unbefangnen Genuß der Freude untersagt.

Barthold.

85. Brief. Amalie an Wildberg
Fünfundachtzigster Brief
Amalie an Wildberg

Rathen Sie mir, Wildberg. Ich weiß gar nicht, was ich mit Albrecht anfangen soll. Er ist seit einiger Zeit so tiefsinnig, daß er oft halbe Stunden bey mir sitzen kann, ohne ein Wort zu sprechen. Dann sieht er auf eine Stelle, und ist blind und taub bey allem, was vorgeht. Ich fürchte, es kommen ihm allerley Erinnerungen von Marien, die ihn so tiefsinnig machen. Wenn es mir nicht bald gelingt, ihn von seinen Grillen zu befreyen, so verzweifle ich fast, daß mein Plan, ihn zu heyrathen, durchgehen wird. [202] Ich bin es auch beynahe müde, mich in seiner Gesellschaft zu ennuyiren, und so genirt zu leben, wie ich jetzt thun muß.

Ich habe einen allerliebsten jungen Engländer, der sterblich in mich verliebt ist, mit dem ich aber sehr heimlich verfahren muß, damit Albrecht nichts merkt. Neulich traf er ihn in meinem Zimmer an. Er machte gewaltig große Augen, und ich war auch etwas verlegen, so daß mein junger Liebhaber es merkte und fortgieng. Nun hatte ich tausend Fragen von Albrecht auszustehen, und es kostete mir viel Mühe, ihn zu beruhigen. Dieses gelang mir nun zwar völlig, aber – ein weit größerer Kummer für mich – die Zeit verstrich, in der Sir Bredon mich zu besuchen pflegt, und er kam nicht, ließ sich auch den ganzen andern Tag nicht sehen. Ich schickte unter dem Vorwand, ein Buch holen zu lassen, zu ihm, und da mußte denn mein verschmitztes Mädchen ihm so ganz von ohngefähr erzählen, [203] daß ich sehr unpaß wäre. Bey dieser Nachricht ist er lebhaft erschrocken, und kurz nachher trieb ihn seine ängstliche Besorgniß für mich her.

Ich empfieng ihn mit einem zärtlichen Vorwurf über sein langes Ausbleiben, und der junge Herr erwiederte: ich hätte gestern bey der Ankunft des fremden Herrn so verlegen geschienen, und dieser hätte sich bey seinem Anblicke so sonderbar genommen, daß er gefürchtet hätte, mich zu belästigen, wenn er so bald wiederkäme.

Ich wußte denn meinem Bredon recht gut zu demonstriren, daß der fremde Herr ein Grobian wäre, dessen Besuche ich, meines Widerwillens ohngeachtet, doch besondrer Connexionen wegen dulden müßte, daß dieser Tropf es für ein Verbrechen hielte, mit einem jungen Menschen zu reden, daß die Furcht vor seiner trocknen Moral mich etwas verlegen gemacht hätte, und daß ich auch unsers Umgangs wegen vieles erdulden müssen.

[204] Dieses alles stellte ich ihm auf eine so einleuchtende Weise vor, daß seine Zärtlichkeit noch stärker angefacht wurde; und er belohnte mich mit einer reichen Uhr für den Kummer, welchen er mir gemacht zu haben glaubte.

Sie sehen, Wildberg, daß dieser Liebhaber nicht zu verachten ist. Wenn also Albrecht nicht bald fortmacht, so werde ich alle meine Segel nach diesem Liebhaber ausspannen, um ihn in ein festes Garn zu knüpfen. Ich will aber doch erst Ihren Rath erwarten. Antworten Sie also aufs schleunigste

Ihrer

Amalie.


N. S. Als ich diesen Brief nach Ihrem Hause schicke, erhalte ich die Antwort, daß Herr Wildberg verreist wäre. Und davon weiß ich kein Wort? Was gilts, Sie sind auf einem Ritterzuge nach Ihrer Prinzessinn. Ich hoffe doch [205] aber, daß Sie den Abend wieder hier seyn werden, und will alsdann nochmals fragen lassen.

86. Brief. Wildberg an Amalien
Sechsundachtzigster Brief
Wildberg an Amalien

Ihre Vermuthung war gegründet, Amalie. Ich bin auf einer verliebten Reise gewesen, habe aber leider! nicht viel Trost erlangt. Es war mir unmöglich, länger zu leben, ohne Marien zu sehen, oder Nachricht von ihr zu haben; auch fürchtete ich, daß vielleicht mein Nebenbuhler seine Zeit bey ihr besser nutzen möchte, und Eifersucht und Liebe trieben mich nach ihrem Dorfe. Ich eilte ins Pfarrhaus; denn ich mochte mich nicht melden lassen, weil ich eine abschlägige Antwort befürchtete. Ich öffne ein Zimmer, in welchem ich reden hörte, und welch ein Anblick! Marie, oder vielmehr eine blasse abgehärmte Gestalt, mehr einem Geist ähnlich als ihr, einst [206] der größten Schönheit unsrer Stadt! saß auf einem Stuhl, lauter kleine Mädchen mit Arbeitszeug um sie herum. Eins davon ließ sie auf ihrem Schooß lesen; ein andres stand neben ihr, begierig wartend, bis die Gespielinn fertig wäre.

Ich kann Ihnen meine Empfindung, mit welcher ich dieses alles ansah, nicht beschreiben. Vielleicht würden Sie auch nur darüber spotten. Genug, ich hatte noch nie eine so starke Erschütterung gefühlt. Sie blickte von ihrem Geschäfte auf, welches sie anfangs mich wahrzunehmen gehindert hatte, sah mich, stieß einen lauten Schrey aus, und nun stürzte eine alte Frau nebst Sophien herein. Sie zeigte nach der Thür, und die Alte führte sie hinaus; denn sie vermochte nicht allein zu gehen. Die Kinder weinten, und Sophie sagte sehr ernsthaft zu mir:

»Mich wundert, Herr Wildberg, wie Sie sich erdreisten können, meiner Frundinn unter die Augen zu treten. Ihr Anblick müßte jetzt [207] auch den ärgsten Bösewicht erschüttern, und ihn abhalten, die wenigen Tage ihres Lebens nicht noch mehr zu trüben. Haben Sie noch einen kleinen Ueberrest menschlicher Gefühle, so verlassen Sie das Haus, und entweihen diese Freystatt der leidenden Tugend nie wieder durch Ihre Gegenwart!«

»Mademoiselle, sagte ich wüthend, Sie wissen nicht –«

»Mein Herr! Ihre Drohungen oder Schimpfreden, kurz, alles, was Sie mir sagen können, ist mir gleichgültig, und ich will Ihnen die Gelegenheit ersparen, Ihre Galle an mir auszuschütten.«

Mit diesen Worten gieng sie hinaus, und ließ mich in keiner rühmlichen Verfassung da stehen. Ich machte mich fort, als ich sah, daß ich nichts ausrichten konnte, voller Aerger, daß ich gekommen war. Ich kann nicht läugnen, daß Mariens elender Anblick allerley Empfindungen [208] in mir erregte, aber den Nachrichten von ihrem nahen Tode messe ich keinen Glauben bey. Frauenzimmer sterben nicht von Kummer. Sie wird ihre Gesundheit und ihr Ansehen hier auf dem Lande wieder erlangen, wenn erst ihr heftiger Schmerz vorüber ist. Bis dahin will ich mich gedulden, und dann die Sache schon anders einlenken; denn mein muß sie werden, es gehe wie es wolle. Ich liebe sie bis zur Raserey!

Seyn Sie Albrechts wegen nur unbesorgt. Er wird nicht umkehren, dafür lassen Sie mich nur sorgen. Verdoppeln Sie nur Ihre Zärtlichkeit gegen ihn, oder spielen Sie auch einmal die Spröde. Sie kennen ja seine Schwäche besser als ich. Ihr Projekt mit dem Engländer taugt nichts. Als Liebhaber können Sie ihn immer behalten, wenn Sie es heimlich genug zu treiben wissen. Aber denken Sie ja nicht daran, daß er Sie jemals heyrathen wird. Und als Maitresse würde er Ihrer bald satt werden, denn solche [209] junge Flüchtlinge lieben die Veränderung. Bey Albrecht gehen Sie weit sichrer. Ich habe das Vertrauen zu Ihrer mir bekannten Klugheit, daß Sie seine Grillen zerstreuen werden, sobald Sie nur wollen, und daß ich alles wieder im besten Zustand finden werde. Es wird Ihnen auch, falls es nöthig seyn sollte, aus allen Kräften darinn beystehen

Ihr ergebenster Wildberg.

87. Brief. Albrecht an Wildberg
Siebenundachtzigster Brief
Albrecht an Wildberg

Ich bitte Dich um Gottes Willen, Wildberg, reise zu Marien, und gieb mir Nachricht von ihr. Der Gedanke an sie ängstigt mich beständig und läßt mir keinen ruhigen Augenblick. Gewiß, es war Unrecht, so gegen sie zu handeln, ohne [210] einmal ihre Vertheidigung angehört zu haben, ohne selbst ihren Brief aufmerksam zu lesen! Und dieses Betragen gegen eine Frau, die immer so sanft, so nachgebend gegen mich war, an der ich nie einen schlechten Zug bemerkte. Die verdammte Empfindeley war ihr einziger Fehler. Ich kann Dir meine Unruhe nicht beschreiben. Schaffe mir doch schleunige Nachricht von ihr.

Albrecht.

88. Brief. Wildberg an Albrecht
Achtundachtzigster Brief
Wildberg an Albrecht

Ich bin Deinem Verlangen zuvorgekommen, lieber Freund! Ich war in dem Dorfe, in welchem Marie sich aufhält, habe aber sie selbst nicht gesprochen; denn sie ließ sagen: sie wolle niemand sehen, der mit dem verhaßten Albrecht in Verbindung stände. Die Nachricht von der Scheidung hat sie mit vieler Freude, und mit [211] dem Ausruf: Nun sind ja alle meine Wünsche erfüllt! – angenommen. Sie hat auch gleich darauf an Eduard geschrieben, und man glaubt, sie werde nächstens mit ihm fortreisen. Sie soll jetzt sehr gesund aussehen, und viel muntrer seyn, als sonst.

Diese Nachrichten, welche ich von einer Bauerfrau einzog, die eine Vertraute der Pastorinn ist, werden Dich, wie ich hoffe, beruhigen. Wenigstens wüßte ich nicht, wie Dich der Verlust einer Treulosen kränken könnte, die sich freut, Deiner los geworden zu seyn, bey der Du nur der Deckmantel ihrer Schande gewesen seyn würdest. Gewiß ist Deine Amalie der winselnden Marie tausendmal vorzuziehen. Sie vereinigt das beste Herz mit vielem Verstande und großer Lebhaftigkeit, und besitzt ein gewisses angenehmes Wesen, welches jedermann für sie einnimmt. Es ist wahrhaftig zu bewundern, daß ein Mädchen von so vielem Reiz Dir zwey Jahre lang [212] treu blieb, und keinem andern Liebhaber Gehör gab. Dein ungerechter Verdacht gegen sie, um dessen willen Du Dich von ihr trenntest, hat ihr viel Thränen gekostet, und doch liebte sie Dich dem ohngeachtet stets mit gleicher Stärke.

Bey meiner Seele! Du verdienst das Mädchen nicht, wenn Du noch einen Augenblick bey Dir anstehen kannst, ihre treue Liebe zu belohnen. Lebe wohl,Albrecht! Ich hoffe Dich das nächste mal ohne die melancholischen Spleen zu finden, in welchen Du Deinen vorigen Brief schriebst.

Wildberg.

89. Brief. Amalie an Wildberg
Neunundachtzigster Brief
Amalie an Wildberg

Dank sey es meiner Klugheit, und Ihrem gescheidten Briefe! Albrecht ist wieder eben so verliebt, wie er jemals war. Ich sehe nun in Kurzem [213] einer ernsthaften Verbindung mit ihm entgegen, die er selbst sehr lebhaft zu wünschen scheint. Sie sind ein vortrefflicher Mann, Wildberg, und haben sich meisterhaft bey der Sache betragen. Er erwähnt auch seit Ihrem Briefe Mariens gar nicht mehr, und scheint sie ganz aus seinem Herzen verbannt zu haben. In dem meinigen sitzt der liebenswürdige Engländer desto fester, und ich erhole mich in seinen Armen auf die angenehmste Art von der Langenweile, die Albrechts Umgang mir macht. Bredon ist aber so gut von mir unterrichtet, daß er bey Albrechts Ankunft gleich in ein Nebenzimmer schlüpft, damit dieser ja keinen Verdacht schöpft.

Wären wir nur erst verheyrathet, so wollte ich mir wahrhaftig so viele Mühe nicht geben. Wenn er auch hinter meine Liebesgeschichten käme, und tobte und fluchte: was läge daran? Er sollte mir schon wiederkommen. Thun Sie ja das Ihrige, um die Hochzeit zu beschleunigen. [214] Es wird mir sehr sauer, die zärtliche Rolle noch länger bey ihm zu spielen.

Amalie.

90. Brief. Sophie an Julien
Neunzigster Brief
Sophie an Julien

Der nichtswürdige Wildberg mußte auch noch dazu beytragen, meine Marie zu erschüttern! Nicht befriedigt dadurch, daß er ihren Mann gegen sie aufbrachte, und ihre Ehe trennte, kömmt er auch noch an diesen einsamen Ort, um ihre Ruhe zu stören; aber dem Himmel sey Dank, daß er zu ohnmächtig dazu war. Bey seinem Anblick überfiel sie zwar ein heftiges Schrecken, aber sie beruhigte sich doch bald wieder. Sie besitzt jetzt eine Heiterkeit der Seele, welche uns allen Bewundrung auspreßt. Ihre Liebe zu Eduard lebt zwar noch immer in gleicher Stärke bey ihr, aber sie ist ein sanftes Schmachten geworden, [215] ohne die Heftigkeit, welche sie sonst hatte. Alle ihre Leidenschaften scheinen jetzt gemäßigt zu seyn, und ihre einzige Freude besteht darinn, Gutes zu thun und sich in der Besiegung ihrer selbst zu üben. So sehr indessen ihre Seele mit jedem Tage größer und erhabner zu werden scheint, so schwinden doch die Kräfte ihres Körpers immer mehr. Ach ich fürchte, daß sie nicht lange mehr bey uns seyn wird. Aber ob sie gleich dem Tode mit lebhafter Freude entgegen sieht, so widersetzt sie sich doch dem Gebrauch der Mittel nicht, die ihr Leben noch länger erhalten können.

»Das Leben, sagt sie, ist ein Geschenk, das Gott aus Güte mir gab. Ich darf diese Güte nicht mit Undank belohnen, und es ist meine Pflicht, alle die Mittel sorgfältig zu gebrauchen, die er zur Erhaltung desselben mir schenkte. Er muß seine weisen Absichten dabey haben, es mir so lange zu lassen; vielleicht will er meine Geduld prüfen; vielleicht hat er auch meine Leiden bloß darum [216] über mich verhängt, um mich wieder zu sich zu ziehen, da ich von ihm abgefallen war. Ach Sophie! ich fühle es, daß Leiden unser Herz sehr bessern. Sie lassen uns unsre Abhängigkeit von Gott stärker fühlen, lassen es uns empfinden, daß wir nur schwache Geschöpfe sind, die ohne ihn nichts vermögen. Sie stärken unsre Menschenliebe, und unser Theilnehmen an dem Elend andrer, welches im Glücke so wenig Eindruck auf uns macht. O! ich will mich bemühen, deine Güte, mein Schöpfer, zu erkennen, die vielleicht mein Schicksal besser leitete, als Menschen es dachten; und ob gleich meine lebhaften Wünsche auf jene Ewigkeit gerichtet sind, so will ich doch nicht gegen deine Fügung murren, und geduldig so lange hienieden wandeln, als es dir gefällt. – O meine Sophie, wie danke ich Gott, daß er diesen heitern Abend auf den kummervollen Tag meines Lebens folgen ließ! Wüßte ich nur, daß [217] Eduard eben diese Beruhigung fühlte, daß er kein Raub der heftigen Leidenschaft wäre! Dieser Gedanke ist das einzige, was mich noch quält.«

Ich beruhigte sie über diesen Punkt; denn ich hatte auch wirklich erfahren, daß er nicht mehr, wie sonst, wüthend im Zimmer umher gienge, und alles vernichtete, was ihm in die Hände geriethe. Sein Wirth hat ihn sonst für wahnsinnig gehalten und ist einige mal im Begriff gewesen, ihn binden zu lassen; aber jetzt ist er ganz ruhig, sitzt oft einige Stunden, und sieht immer auf eine Stelle, bemerkt es auch nicht, wenn jemand ins Zimmer kömmt, oder heraus geht. Indessen ist er doch viel sanfter, spricht auch zuweilen mit den Leuten im Hause – sonst konnte er keine Menschen leiden – besonders beschäftigt er sich mit dem kleinen Knaben seines Wirths. Alle seine Handlungen haben das Gepräge [218] einer stillen Melancholie, ohne die rasende Heftigkeit, welche er sonst zeigte. –

Sagen Sie doch meinem Onkel: es wäre mir unmöglich, wieder zur Stadt zurückzukehren. Diese Schule des Leidens ist zu lehrreich für mich, und von zu großem Vortheil für mein Herz, als daß ich sie verlassen könnte, wenn auch meine Liebe zu Marien nicht so groß wäre, als sie ist. Ich halte jeden Augenblick für verloren, den ich nicht bey ihr zubringe, und ich stehle nur die Zeit zum Schreiben, wenn sie schläft, oder auf eine andre Art beschäftigt ist, die mir keine Unterhaltung mit ihr erlaubt.

Sophie.

91. Brief. Wilhelm an Karlsheim
Einundneunzigster Brief
Wilhelm an Karlsheim

Du hast mir so lange nicht geschrieben, liebster Freund, und Deine Briefe sind mir doch [219] jetzt noch weit interessanter, als jemals, weil ich immer hoffe, ein Wörtchen von dem Frauenzimmer darinn zu finden, welches ich mit so inniger Werthschätzung verehre. Ich bin jetzt nicht im Stande die Hälfte von den Geschäften zu verrichten, wie sonst. Immer schwebt mir Sophie auf dem Papier, und ich lasse die Feder aus der Hand fallen, um mich meinen Phantasien zu überlassen, und jede ihrer Reden, ihrer kleinsten Handlungen mir zurückzurufen. Dann ist eine Stunde mir verstrichen, ehe ichs weiß, und mein Bogen Papier ist noch so ledig als vorher.

So geht es mir mit allen Geschäften. Oft, wenn Leute bey mir sind, um mir Sachen vorzutragen, scheine ich tief nachdenkend sie anzuhören, – und wenn die Erzählung zu Ende ist, und sie mich um meine Meynung fragen, antworte ich oft so verkehrt, daß die guten Leute mich mit Erstaunen ansehen, und zuweilen scheinen ihre Mienen deutlich zu sagen, daß sie glauben, [220] es sey in meinem Gehirn nicht ganz richtig. Mit dem L'hombrespiel, welches sonst mein Lieblingszeitvertreib war, und mich in faden Gesellschaften vor der Langenweile schützte, darf ich mich gar nicht mehr abgeben, und da dieses eine Hauptbeschäftigung unsrer Zusammenkünfte ist, so spiele ich jetzt meistens den Einsiedler, zumal da unsre Gesellschaften mir jetzt mehr als jemals langweilig sind. Die schalen Witzeleyen unsrer Damen erfüllen mich mit Ekel, wenn ich den lebhaften ungekünstelten Witz meiner Sophie mit ihrem Geplapper vergleiche.

Meiner Sophie sage ich? Gott! und vielleicht bin ich ihr ganz gleichgültig, der unbedeutendste Mensch für sie! Wie glücklich würde ich mein Schicksal preisen, wenn sie nur ein Zehntheil der innigen Liebe fühlte, die ich für sie hege! Bitte doch Deine Julie, ihre Gesinnung gegen mich zu erforschen, und gieb mir Nachricht, ob ich hoffen darf. Die Zeit bis dahin wird für [221] mich die unruhigste seyn, die ich je verlebte. Säume also nicht, mir so bald möglich wieder zu schreiben.

Dein sehnlichwartender Freund Wilhelm.

92. Brief. Julie an Sophien
Zweyundneunzigster Brief
Julie an Sophien

Ihre Nachrichten von Marien haben mich sehr gerührt. Möchte die sanfte Dulderinn doch schon überwunden haben! Ich bin beym Lesen dieses Briefs äußerst erschüttert worden, und noch jetzt kann ich meine Thränen nicht zurückhalten, wenn ich an sie denke. Sie verdient die größte Bewundrung, und wird noch bey der Nachwelt ein Gegenstand derselben seyn! Ich verdenke es Ihnen gar nicht, liebe Sophie, daß Sie noch jeden Augenblick ihres Lebens bey ihr zuzubringen [222] wünschen, und habe Ihren Onkel – (Nein, sagte er anfangs, das Mädchen wird mir ganz melancholisch, wenn sie noch länger da bleibt –) bewogen, darein zu willigen.

Ach Sophie! Ihre Freundinn hat wohl Recht, daß sie die Schule des Leidens für die beste hält. Es ist gewiß, daß der ganze Charakter durch Leiden viel sanfter und biegsamer gemacht wird. Bey einigen wenigen nur hat es die Wirkung, sie bitter und menschenfeindlich zu machen; bey diesen aber ist auch gewiß die ganze Grundlage des Charakters nicht gut gewesen. Menschen, auch von den besten Anlagen, welche die Vergnügungen des Lebens genießen, ohne je durch Unglücksfälle gestört zu werden, werden dadurch leichtsinnig, betrachten ihre Nebenmenschen nur als Geschöpfe, geschaffen um sie zu vergnügen, und fühlen kein wahres Theilnehmen an dem Elend andrer. Es ist unangenehm, sich durch solche traurige Anblicke im Genuß des Vergnügens [223] stören zu lassen, und sie eilen wenigstens diese Eindrücke wieder wegzuschaffen, ehe sie auf ihr Herz haben wirken können.

Auch der Genuß des Glücks selbst verliert von seinem Werth bey uns, wenn er gar nicht unterbrochen wird, und wir uns also daran gewöhnen; denn es geht uns Menschen ja mit allen Dingen so. Sie ekeln uns, wenn wir sie zu häufig genießen. Wir sind mit unsern Wünschen wie die Kinder. Sie verlangen ein Spielzeug, bitten, weinen und lärmen, ehe sie es erhalten. Haben sie es einmal, so spielen sie eine kurze Zeit damit, werfen es dann in einen Winkel, und lassen es ruhig liegen, bis ein andrer es wegnehmen will; dann pflegt ihre Lust aufs neue zu erwachen. So wie man nun dem Kinde das Vergnügen an einer Sache lange erhalten kann, wenn man ihm den Genuß davon nur selten, und nicht jedesmal, wenn es darum bittet, erlaubt, so sollten wir Menschen auch uns dieses Mittels bedienen.

[224] In der Liebe, glaube ich, würde es von dem größten Nutzen seyn, und ein Mädchen würde die Neigung ihres Verehrers auch in der Ehe lange erhalten können, wenn sie klug genug wäre. Gewöhnlich aber handeln die Mädchen so, als wenn sie es recht darauf anlegten, diese Liebe in den ersten Monaten zu vernichten. Hat eine Schöne einmal einen begünstigten Liebhaber, so ist der Zärtlichkeit kein Ende. Sie bringen den ganzen Tag mit Liebkosungen zu; oft kömmt sie ihm auch wohl damit entgegen, dringt sich ihm gar auf; wenn er weggeht, so bittet sie ihn aufs dringendste, bald wieder zu kommen. Macht er einmal eine Einwendung, so zweifelt sie an seiner Liebe, räumt alle Hindernisse aus dem Wege, damit er keins zu übersteigen findet, und so ist er ihrer bey der Hochzeit – wenn er nicht früher zurücktritt – schon halb satt. Nun hat sie ihn. Der arme Mann! Er muß den ganzen Tag bey ihr seyn, beständig von Liebe sprechen, sie mit [225] Küssen beynahe ersticken, sonst bekömmt er Vorwürfe über seine Kälte.

So bringt man mit Mühe kaum die Flitterwochen hin, und beyde Theile sind einer des andern so herzlich satt, daß sie, um sich zu amüsiren, stets fremde Gesellschaft suchen müssen. Die junge Frau, nun einmal an das Liebeln gewöhnt, sehnt sich bald nach einem neuen Gegenstande. Dieser findet sich leicht. Ist er seiner Aufwartung überdrüßig: so kömmt ein andrer wieder, und so geht es immer fort. Das Hauswesen liegt ruhig. Wer wollte sich bey dem Küchenfeuer den Teint verderben? mit Schmuz von Töpfen die weißen Hände besudeln, welche die jungen Herren so gern küssen? Würde nicht der unappetitliche Geruch von der Küche ihre Nasen beleidigen?

Hat sie Kinder, so bekommen sie Ammen. Denn wer wollte wohl durch Säugen die Schönheit des Busens verderben, nach welchem durch [226] die dünne Verschleyerung so viele Blicke hinschielen? Die Kinder befinden sich ja auch bey Ammen besser. Man kann sich ja des Stillens wegen nicht einsperren, sich ja nicht den Bällen und dergleichen Lustbarkeiten, welche die Milch erhitzen und verderben, entziehen? Die Amme aber kann das, die wird ja dafür bezahlt. Eben so geht es nachher mit der Erziehung und mit allem. Und der Thörinn, die so handelte, wird dafür ein freudenleeres Alter, das sie oft unter der drückenden Bürde der Armuth hinschleppen muß. Keiner der Thoren, die sonst sie vergötterten, keine Gesellschaft, deren Seele sie ehemals zu seyn schien, in welcher man mit Freundschaft und schmeichelnden Liebkosungen sie überhäufte, würdigt sie jetzt eines Blicks. Im Leben verachtet, stirbt sie auch unbemerkt. Man trägt ihre Leiche hinaus, und niemand weint eine stille mitleidige Thräne auf ihr Grab. Auch das Schicksal ihres Mannes ist nicht viel besser. Entweder ergiebt [227] er sich ebenfalls einem ausschweifenden Leben, und sucht die Unterhaltung bey Fremden, welche er bey seiner Gattinn nicht findet, oder er härmt sich ab, und ein früher Tod ist die Folge seines stillen Grams.

Eine weit glücklichere Ehe könnte durch ein klügeres Betragen ein Mädchen sich und ihrem Gatten schaffen. Sie müßte ihren Liebhaber etwas entfernter halten, sich von ihm um einen Besuch als um eine Gefälligkeit bitten lassen, und nicht in jeder Stunde ihm den Zutritt erlauben. Sie müßte sorgen, daß auch andre Unterhaltungen als Küssen und Tändeln unter ihnen Statt fänden. Sie muß ihrem Liebhaber Achtung einzuflößen suchen. Ehrerbietung für ihre Tugend von seiner Seite, und Schamhaftigkeit von der ihrigen, sind die besten Mittel, ihre Unschuld zu sichern. Sie darf nie Zweydeutigkeiten anhören und bloß lächeln, oder nur ein scherzhaftes: Pfuy doch! sagen. Ein Frauenzimmer, das gleichgültig [228] oder gar mit Wohlgefallen Zweydeutigkeiten anhört, wird den Männern verächtlich, und wenn man einen jungen Mann in Gegenwart seiner Geliebten freye Reden führen hört, so kann man sicher schließen, daß ihr Umgang seine Reinigkeit verloren hat. Sind solche Reden nicht an das Frauenzimmer selbst gerichtet, so ist es am besten, wenn sie thut, als bemerkte sie dieselben gar nicht. Ist man aber so unverschämt, ihr selbst so etwas zu sagen, so wird ein verächtlicher Blick ohne weitere Antwort das Beste seyn. Ein Mädchen muß, dünkt mich, wenn sie merkt, daß Unanständigkeiten gesagt werden, auf eine schickliche Art das Zimmer verlassen, und in Zukunft sich mit größerer Zurückhaltung gegen den betragen, der einen solchen Ton anfieng.

Ist ein Mädchen genöthigt, viele Stunden des Tags mit ihrem Liebhaber zuzubringen, so sind wohl die besten Gegenmittel, um das Allzueinförmige ihres Umgangs zu verhüten, diese, daß [229] sie sich in Musik, Malerey, Naturgeschichte, Sprachen oder etwas dergleichen, welches er besser versteht als sie, unterrichten läßt. Oder geht dieses nicht an, so suche sie, durch gemeinschafliches Lesen, auch wohl durch Schach und andere solche Spiele, den Geist auf eine angenehme und nützliche Art zu beschäftigen. Auch im Ehestande sind diese Mittel sehr gut, um den Mann stets Geschmack an der Gesellschaft seiner Frau finden zu lassen. Und das ist doch wohl das beste eheliche Glück, wenn beyde Theile das größte Vergnügen in ihrem gegenseitigen Umgange schmecken? Da dieses aber wirklich bey dem steten Zusammenseyn unter ihnen schwer ist, so sind solche Mittel um desto nothwendiger. Sie müssen auch beym Anfang der Ehe sogleich ihre Geschäfte besorgen, damit sie nicht den Magen so sehr mit Süßigkeiten überladen, daß ihnen nachher auf immer davor ekelt.

[230] Nun wahrhaftig! der Bogen ist beynahe voll, und meine Sophie lacht gewiß über die Moralistinn. Ich will auch kein Wörtchen mehr sagen, und von einer andern Sache anfangen. Es ist zwar dazu jetzt nicht der rechte Zeitpunkt, aber ich kann dem vielen Drängen nicht länger widerstehen.

Es giebt einen jungen Mann, der Sie heftig liebt, meine Freundinn, und sein Schicksal mit dem Ihrigen zu verbinden wünscht. – Rathen Sie ihn nicht? – Nicht? – Aber, liebes Kind, warum erröthen Sie denn? – Nun wenn Sie denn seinen Namen gar nicht rathen können: so muß ich ihn wohl aufs Papier schreiben. Er heißt: – – Wilhelm. Ich kenne ihn von einer sehr vorzüglichen Seite, und bemerkte bey ihm bald nach seiner Ankunft unverkennbare Zeichen von Leidenschaft für Sie. Auch Sie fällten ein günstiges Urtheil von ihm; also entstand bey mir der Wunsch, ein paar Menschen, die einer des [231] andern so werth zu seyn schienen, näher vereinigt zu sehen. Sie schlossen aus einem Ringe – zu Ihrer Beruhigung melde ich Ihnen hiemit, daß es das Portrait seiner Schwester ist – daß er versprochen wäre. Ich widersprach dieser Vermuthung nicht, weil sie mir günstig schien, um ihm Ihre Freundschaft zu verschaffen, wenn Sie sich im Punkt der Liebe sicher bey ihm glaubten.

Sie verzeihen mir doch diese unschuldige List, liebe Sophie? Sie werden am besten von seiner Liebe urtheilen können, wenn Sie beyliegenden Brief lesen, welchen er an meinen Mann schrieb. Ich versiegelte ihn, damit Sie denselben nicht, ohne vorbereitet zu seyn, lesen sollten. Wilhelm ist ein Mensch von dem edelsten Charakter, von seltner Wissenschaft und von außerordentlichem Fleiß. Von dem Angenehmen seines Umgangs können Sie selbst urtheilen. Andre Ueberredungsgründe will ich Ihnen nicht schreiben. Ihr Herz muß seine Antwort bestimmen. Schreiben[232] Sie mir doch recht bald wieder, meine Sophie. Ich sehne mich immer von unsrer Mario Nachricht zu haben, und nehme den lebhaftesten Antheil an allem, was sie betrifft. – Karlsheim, welcher sich Ihnen empfiehlt, drängt mich zu schließen. Ich schreibe also nur noch den Namen

Ihrer Julie.

93. Brief. Sophie an Julien
Dreyundneunzigster Brief
Sophie an Julien

Vielen Dank für Ihren schönen Brief, meine Julie. Er hat mich zu lehrreichen Betrachtungen veranlaßt. Nicht ganz so zufrieden aber bin ich mit dem zweyten Theil Ihres Briefs; denn in meiner jetzigen Lage wird es mir sehr schwer, einen solchen Antrag zu beantworten. Ich will Ihnen den Eindruck nicht läugnen, den Wilhelm [233] auf mich gemacht hat. Ich halte ihn für einen in allem Betracht liebenswürdigen Mann, aber es ist mir schlechterdings unmöglich, jetzt eine neue Liebe anzufangen; denn der Anblick meiner leidenden Freundinn läßt meinem Herzen die dazu erforderliche Stimmung nicht zu. Weil aber Marie selbst sowohl als Sie, meine Freundinn, so sehr vielen Antheil an dieser Sache zu nehmen scheinen: so halte ich es auch in dem Betracht für meine Pflicht, eine so bestimmte Antwort zu geben, als mir in meiner jetzigen Lage möglich ist:

Hat Wilhelm Beharrlichkeit genug, mir eine Zeit lang, deren Dauer ich nicht bestimmen kann, treu zu bleiben, ohne auf eine gewisse Entscheidung zu dringen, und ist mein Herz unterdessen wieder fähig geworden, die Freuden der Liebe zu genießen: so werde ich in ihm den Mann zu wählen glauben, mit welchem ich unter allen am glücklichsten leben zu können hoffe. Eine ausdrücklichere [234] Erklärung kann ich jetzt nicht geben, und ich traue es der Feinheit meiner Julie zu, daß sie über diesen Punkt nicht weiter in mich dringen wird. Mariens immer zunehmende Schwäche verstattet mir nicht, sie länger zu verlassen. Ich schließe also diesen Brief.

Sophie.

94. Brief. Julie an Sophien
Vierundneunzigster Brief
Julie an Sophien

Ungeduld und Liebe hatten Wilhelm selbst zu uns getrieben. Er war zwar gegenwärtig, als Ihr Brief ankam, und seine Angst und Unruhe war sehr merklich. Ich wollte ihn ein Bißchen ängstigen, und legte sorglos den Brief hin, ohne ihn zu lesen, und gab vor, daß ich noch erst einige Geschäfte zu besorgen hätte. Nun bat er mich himmelhoch, beynahe kniend, doch erst den Brief zu öffnen. Während daß ich ihn las, verwandte [235] er kein Auge von mir, als glaubte er, der Inhalt wäre auch auf mein Gesicht geschrieben. ich wollte ihn noch ein wenig ängstigen, aber er machte mich so weichherzig, daß ich ihm den Brief hingab. Nun war er vor Entzückung außer sich, und gab mir so feste feurige Versichrungen seiner ewigen Liebe und Treue, als wäre ich selbst seine Geliebte gewesen. Er will in Geduld und Demuth Ihre völlige Entscheidung erwarten; denn er glaubt, Sophiens Besitz könne mit keinem Preise in der Welt zu theuer bezahlt werden. Doch, wenn ich alle seine Ausrufungen wiederholen wollte, so würde dieser Bogen nicht hinreichen, und meine Feder würde auch nicht fähig seyn, ihnen den Reiz zu geben, den sie aus seinem Munde für meine Freundinn würden gehabt haben. Er ist gewiß ein trefflicher Mann, und Sie werden die glücklichste Ehe mit ihm führen. Wenn wir nur an einem Orte wohnten! Wie viel wollte ich darum geben![236] Meine Charlotte ist jetzt verreift, und ich habe hier keine andre Freundinn, die fähig wäre, mir ihren Verlust zu ersetzen.

Die junge Räthinn L..n, ist die einzige, mit welcher ich etwas vertraut umgehen kann. Sie ist eine liebe Frau von gutem Verstand und Herzen; aber diese guten Eigenschaften werden durch einen starken Leichtsinn, und eine große Neigung zur Satire, etwas verdunkelt. Sie hat oft die schönsten witzigsten Einfälle. Es ist ihr aber nicht möglich, einen davon zu unterdrücken, sollten auch ihre liebsten Freunde, ja ihr Mann selbst, lächerlich dadurch werden. Eben diese ihre Stärke, die menschlichen Schwachheiten von der lächerlichen Seite zu zeigen, und ihre oft boshaft scheinenden Ausfälle auf andre, machen, daß sie wenig Freunde hat. Sonst ist ihr Herz vortrefflich, und nimmt keinen Theil an ihren Spöttereyen, ja sie würde gern den letzten Bissen mit dem theilen, über welchen sie in derselben [237] Minute aufs beißendste spottet. Wenn sie den Umgang mit meiner Charlotte dazu nützt, diese Spottsucht ein wenig zu mäßigen, so wird sie eine liebenswürdige Frau werden.

Leben Sie wohl, meine Sophie! Wilhelm untersteht sich nicht an Sie zu schreiben, wünschte aber sehnlich, es wagen zu dürfen. Es ist mir unmöglich, Ihnen alles das bekannt zu machen, was er an Sie mir auftrug. Wollen Sie es also durchaus wissen: so müssen Sie ihm die Erlaubniß geben, es Ihnen selbst zu sagen. Bis dahin mag Ihr Scharfsinn es errathen.

Julie.

95. Brief. Amalie an Wildberg
Fünfundneunzigster Brief
Amalie an Wildberg

Morgen wird unsre Hochzeit seyn! Dem Himmel sey Dank, daß ich nun bald meiner beschwerlichen Verstellung überhoben seyn werde! Bredon [238] wird große Augen machen, wenn er wieder von der braunschweiger Messe zurückkömmt, und mich verheyrathet findet. Doch ich werde ihm die Sache von einer solchen Seite vorzustellen wissen, daß seine Liebe zu mir noch heftiger werden soll, wenn das möglich ist; denn er liebt mich bis zum Unsinn.

Unsre Verbindung macht hier gewaltiges Aufsehen, und man spricht nicht vortheilhaft davon. Mag man doch schwatzen, was man will, wenn ich nur erstAlbrechts Frau bin, so bekümmre ich mich um alles das nicht. Sie werden doch morgen den Tag feyern helfen, der das Ziel meiner Wünsche, und das Grab meiner verstellten Zärtlichkeit gegen Albrecht seyn wird? Der Tropf! Wie muß ich über die Einfalt lachen, mit welcher er glaubt, ich sey wirklich in ihn verliebt! Ich mich in einem solchen Pinsel verlieben? Hohoho! Doch die Augen sollen ihm halb geöffnet werden.

Amalie. [239]

96. Brief. Barthold an Eduard
Sechsundneunzigster Brief
Barthold an Eduard

Bester Freund! könntest Du doch Theil an meiner Freude nehmen! Könnte ich doch an meine Brust Dich drücken, und Dir alle selige Empfindungen meines Herzens mittheilen! Ich bin der glücklichste Mensch: Karoline, das himmlische Geschöpf, ist mein! Ich will mich zu einer ordentlichen Erzählung zwingen, obgleich in meinem Kopfe alles verwirrt unter einander liegt.

Mit jedem male, da ich Karolinen sah, mehrte sich meine Liebe und mein Kummer. Wenn sie mit liebenswürdigem Fleiße jedem weiblichen Geschäfte unnachahmliche Anmuth mittheilte, wenn sie mit ihrer sanften Stimme die Leidenden tröstete, und durch Leutseligkeit ihrem Almosen doppelten Werth gab, so betrachtete ich sie mit Entzücken. Aber bald schlug mich der Gedanke nieder: [240] dieser weibliche Engel wird nie dein werden; ihr Herz ist gewiß keines andern Eindrucks der Liebe mehr fähig. So dachte ich, küßte mit einem Seufzer ihre Hand, und verließ einen Ort, der für meine Ruhe so gefährlich war.

Ihr Onkel fragte mich, warum ich so selten käme. Mit Erröthen entdeckte ich ihm nach einigen vergeblichen Ausflüchten die wahre Ursache. Der vortreffliche Greis umarmte mich:

»Sie besitzen alle die Eigenschaften, die ich an dem Gatten meiner Nichte zu finden wünschte, und ich möchte auch gern bey meinem Leben noch das Mädchen verheyrathet sehen. Sagen Sie ihr selbst Ihren Antrag.«

»Ach Gott! das ist mir nicht möglich. Wenn meine Dreistigkeit sie beleidigte – –

»Possen! Durch dergleichen beleidigt man kein Mädchen. Doch, wie Sie wollen. Ich kann ihr auch selbst die Sache vortragen, und, [241] wenn sie ja Zweifel haben sollte, sie besser allein, als in Ihrem Beyseyn, widerlegen.«

»O wie soll ich diese Güte mit genugsamer Dankbarkeit erwiedern? Und wann soll ich wiederkommen, um die Entscheidung meines Schicksals zu hören?«

»Sobald Sie wollen.«

Ich gieng und durchwachte die ängstlichste Nacht meines Lebens. Mit dem aufgehenden Tage ritt ich von dannen und kam so früh nach dem Gute, daß ich mich fast schämte, und bey mir überlegte, ob ich nicht noch eine Weile vor dem Thore warten wollte. Ich sah nach meiner Uhr, und nie war sie mir so unerträglich langsam gegangen. Endlich gieng ich ins Haus. Der geheimde Rath rauchte eben sein Morgenpfeifchen, und lächelte über meine Eilfertigkeit. Er hatte seiner Nichte meine Wünsche gesagt, und aus ihrer Verlegenheit geschlossen, daß sie ihr nicht gleichgültig wären. – Eduard, welche [242] himmlischen Töne für mein Ohr! – Sie hatte sich eine Stunde Bedenkzeit ausgebeten, und dann ihm gesagt: Meine bescheidne Liebe hätte schon lange Eindruck auf sie gemacht, und sie glaubte in mir den Mann zu finden, mit dem sie glücklich seyn würde; nur bäte sie sich noch einige Zeit aus, um alle ehemaligen Eindrücke völlig aus ihrem Herzen zu vertilgen, damit sie es mir ganz rein überliefern könnte.

Mein Entzücken gieng über alle Beschreibung. Ich suchte nun sie selbst auf. Sie war im Garten, und, ohngeachtet es kaum sieben Uhr war, schon vollkommen anständig gekleidet. Sie hatte einen Korb am Arm, in welchen sie Gartenfrüchte pflückte, und bemerkte mich Anfangs nicht. Als sie mich sah, erröthete sie sanft, und kam mit unbeschreiblicher Anmuth mir entgegen. Die Empfindung, mit welcher ich nun die schöne Hand küßte, die bald mein werden sollte, ihre reizende Verlegenheit bey dem ungewohnten[243] Feuer meines Kusses, das unschuldige Erröthen, mit dem sie zum erstenmal meine heiße Wange an der ihrigen fühlte, die Freudenthräne, die aus dem Auge des Alten drang – alles das vermag meine Feder nicht zu schreiben! Dir, Allwissender, sind die stummen Gefühle des Danks bekannt, welche ich auf meinen Knien zu dir hinauf sandte. Stärke du mich, Gütigster, die neubefestigten Vorsätze zur Tugend auszuführen, die mein Herz dir gelobte.

Meine Seele ist zu gedrängt von allem dem, was ich fühle. Lebe wohl, bester Freund.

Dein

Barthold.


N. S. Eben erhalte ich Briefe von unserm alten Freunde Kleinert. Er meldet mir, daß Henriettens Mutter gestorben ist; daß die Gläubiger Henrietten aus dem Hause getrieben haben, daß sie auf einem elenden Dachkämmerchen mit einem erbärmlichen Knaben niedergekommen ist, [244] und in äußerster Armuth und Verzweiflung fast ohne alle Unterstützung lebt. Gott! wie folgt doch schon hier die Strafe dem Verbrechen so bald nach! Oder vielmehr: wie führt jedes Vergehen seine natürlichen harten Folgen hinter sich! Glücklich, wer noch so gerettet wird, wie unser Ferdinand! Er war aber auch wegen seiner Jugend und seines Mangels an Erfahrung mehr zu entschuldigen. Er ist jetzt sehr fleißig, und ich hoffe, daß er auf immer vor ähnlichen Vergehungen gesichert seyn wird.

97. Brief. Albrecht an Wildberg
Siebenundneunzigster Brief
Albrecht an Wildberg

Ich bin nun, Deinem Rathe gemäß, verheyrathet, aber ich wollte, ich wäre es nicht. Meiner Frau Betragen hat sich seit ein paar Tagen so sehr verändert, daß sie mir gar dieselbe Person [245] nicht mehr zu seyn scheint. Sie ist jetzt auffahrend bey der kleinsten Erinnerung, die ich ihr mache, und höchst eigensinnig.

Marie besorgte doch meine Haushaltung selbst, und gab in vier ganzen Wochen nicht so viel Geld aus, als jetzt in einer einzigen ausgegeben wird. Sie hielt es auch für keine Schande, selbst zu kochen, und war immer besorgt, mir meine Lieblingsspeisen zu bereiten. Sie stand früh auf, und war dann gleich für den Tag nett und ordentlich gekleidet. Ich habe sie auch nie auf das Gesinde schelten hören, und doch thaten alle, was sie sollten, und liebten sie außerordentlich.

Welch ein Unterschied ist das jetzt! Ich habe außer den vorigen Domestiquen noch eine Köchinn und ein Putzmädchen annehmen müssen; denn meine Frau geht nicht anders in die Küche, als um zu lärmen, und den Mädchen Ohrfeigen zu geben. Kathrine, die ich drey Jahre lang [246] im Dienst hatte, ist gestern fortgelaufen, weil sie die jetzige Begegnung nicht ertragen könne, da sie es bey ihrer vorigen Frau ganz anders gewohnt gewesen sey. Amalie steht des Morgens nie vor neun Uhr auf; dann zieht sie ein buhlerisches – ich muß es so nennen – Morgenkleid an, trinkt Kaffee und Thee, und bringt den übrigen Morgen vor dem Fenster und Spiegel zu. Des Mittags muß immer jemand mit uns speisen, weil – wie sie sagt – eine Mahlzeit bloß unter Eheleuten eine langweilige Parthie sey. Des Nachmittags hat sie Gesellschaft, oder geht aus, und dann geht man vor eilf bis zwölf Uhr nie auseinander. Ich habe das Ding bisher schweigend angesehen und geglaubt, sie würde es bald von selbst überdrüßig werden; aber heute übernahm es mich, als Johann herauf kam und mir den Vorfall mit Kathrinen meldete.

Ja – setzte er hinzu – ich wollte, unsre, bald hätte ich gesagt, selige, Frau wäre noch [247] hier. Du lieber Gott, was ist das für ein Unterschied gegen diese! Wie gut und liebreich war sie gegen uns! Ich hätte wollen durchs Feuer für sie laufen. Ach! wenn ich noch daran denke, so gehen mir die Augen über. Gestern sprach ich einen Bauer aus ihrem Dorfe, der sagte, sie sähe so elend aus wie ein Schatten.

»Wie? sie wäre noch in dem Dorfe?«

»Ja freylich. Er wußte nicht genug von ihr zu rühmen, wie sie immer die kleinen Kinder beten ließe, und – –«

»Schweig davon, Johann, ich mag nichts hören.«

»Haben Sie sie denn so ganz vergessen? Ach, lieber Herr, davon wäre viel zu sagen. Es giebt so gewisse Leute, doch Sie wollen nichts hören. Aber sie meynte es gewiß recht gut mit Ihnen. Wenn sie mir etwas zu thun befahl, und Sie riefen, so sagte sie: laßt dieses liegen, und geht geschwind zu euerm Herrn, und wenn ihr denn [248] seinen Befehl ausgerichtet habt, so kommt wieder; ich will so lange warten. Aber die neue Madam hätte mir gestern beynahe ein paar Ohrfeigen gegeben, als sie mich ausschicken wollte, und als ich, wie Sie mich riefen, erst zuhören wollte, was Sie verlangten. – Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf: es kömmt hier immer ein junger Herr her, wenn Sie nicht zu Hause sind, und dann darf niemand ins Zimmer kommen, und es geht so allerley vor, was sich für eine rechtschaffne Frau freylich nicht schickt.«

»Halts Maul, Johann, und geh aus dem Zimmer. Ich will nichts mehr hören.«

Er gieng traurig hinaus; aber seine Reden waren tief in mein Innres gedrungen. Der verdammte junge Herr ist ein Engländer, der oft ins Haus kömmt, und den ich schon einmal vor unsrer Verheyrathung bey ihr gesehen habe. Ich [249] entschloß mich noch einmal in Güte einen Versuch zu machen und zu sehen, ob vernünftige Vorstellungen helfen wollten. Ich gieng zu ihr, setzte mich neben sie, küßte ihre Hand und bat sie mit so vieler Freundlichkeit, als mir nur möglich war: sich doch ein wenig mehr der Haushaltung anzunehmen, und die vielen Gesellschaften einzuschränken, denn meine Einnahme litte solchen Aufwand nicht. Auch in einem andern Punkt wünschte ich eine kleine Aenderung. Ich hätte zwar bisher noch keinen Zweifel in ihre Treue gesetzt, wünschte aber doch, daß sie, wenigstens der Leute wegen, ihren Umgang mit Herrn Bredon ein wenig einschränken möchte.

Sie ließ mich nicht endigen, und sagte sehr aufgebracht: Um die Reden der Leute bekümmre sie sich nicht. Sie fände an Gesellschaften Vergnügen, und würde fortfahren, sie zu besuchen. Sie wehre mir nicht, auch hinein zu kommen, [250] aber sie wollte ebenfalls ihre Freyheit haben. Sie wäre nicht gewohnt, selbst Küchenmagd zu seyn, und würde auch jetzt nicht solche für sie unschickliche Beschäftigungen anfangen. Sie hätte andre Dinge zu thun, und bäte mich ernstlich, ihr mit solchen unnützen Vorstellungen nicht wieder zu kommen.

Ich antwortete hierauf, wie es sich gebührte, und wir geriethen in einen heftigen Streit, der durch den Besuch eines Fremden unterbrochen wurde. Aber ich werde die Madam schon belehren, was für Pflichten sie mir schuldig ist. –

Himmel! was ist das? Johann bringt mir zwey Rechnungen für Sachen, die Madam als Braut ausgenommen hat, auf meinen Namen geschrieben. Die eine vom Juden Samuel zweyhundert Thaler, die andre von einem Galanteriekrämer fünfundsechzig Thaler. – Das hole der Teufel! Auf diese Art würde mich Madam bald [251] zum Bankerott bringen. Ich werde hingehen, und aus einem ernstlichern Tone mit ihr sprechen. Das wäre mir eine schöne Zucht!

Fortsetzung.

Hole der Teufel die Vettel und Dich dazu, der Du mich zu dieser Heyrath beredetest. – Ich gieng voll Aerger herunter. Die Thür war verschlossen. Ich öffne sie mit Gewalt, finde niemand im Zimmer, eile voll schrecklicher Vermuthung in die Kammer, und finde das schändliche Weib mit Bredon in meinem Bette. Ihr Buhler sprang hurtig heraus, stieß mich um, und eilte, während daß ich aufstand, zur Thür hinaus. Ich prügelte die Hure mit einem Stock derb ab, und sperrte sie, ihres Tobens ungeachtet, auf ein Zimmer, aus welchem sie, so lange ich lebe, nicht wieder heraus kommen soll.

Ich wahnsinniger Thor! der ich eine Frau verstieß, von deren Untreue ich nur schwache [252] Beweise hatte, und einen solchen Teufel zu mir nahm! Ich möchte rasend werden über meine Blindheit! Daß ich die Verstellung dieser Schlange nicht eher merkte! Aber du sollst mir büßen, Nichtswürdige, so war ich Albrecht heiße!

Albrecht.

98. Brief. Amalie an Bredon
Achtundneunzigster Brief
Amalie an Bredon

Ich finde Mittel, Dir diesen Brief durch mein treues Mädchen zuzustellen. Ach liebster Bredon, was muß ich ausstehen! Wie froh bin ich, daß Du der Wuth meines Barbaren entronnen bist! Er behandelte mich auf die unmenschlichste Art, sperrte mich in ein finstres Zimmer, und schwur, daß ich nie das Tageslicht wieder sehen sollte. Der Unmensch! Und doch ist seine Grausamkeit mir nicht so empfindlich, [253] als der Gedanke, von Dir, mein Geliebter, auf ewig getrennt, und an einen verhaßten Tyrannen gekettet zu seyn, den ich mehr verabscheue, als den Tod. Wenn ich nur noch einmal Dich wiedersehen könnte! Aber das ist mir unmöglich. Ich werde vor Kummer sterben, ohne den Liebling meines Herzens gesehen zu haben. Mit Thränen schreibe ich Dir das letzte Lebewohl.

Deine unglückliche, Dich ewigliebende Amalie.

99. Brief. Bredon an Amalien
Neunundneunzigster Brief
Bredon an Amalien

Nein, theuerste Amalie, Du sollst nicht, von mir getrennt, unter den Händen eines Ungeheuers sterben. Die Trennung von Dir ist mir schrecklicher als der Tod! Komm, Geliebte, entflieh [254] mit mir dem verhaßten Tyrannen, wir wollen in mein Vaterland zurückkehren, wo nichts unsre Liebe stören soll. Ich kann ohne Dich nicht leben, und muß Dich besitzen, sollte ich auch Deinen Besitz mit Blut erkaufen!

Louise sagt mir, daß ein Fenster aus Deinem Zimmer in den Garten geht. Ich will mit ihrer Hülfe diese Nacht durch die Gartenthür herein steigen, und eine Leiter an Dein Fenster setzen. Dann kömmst Du auf mein gegebnes Zeichen herunter in meine Arme. Wir eilen aus der Stadt. Vor dem Thore soll ein Wagen mit raschen Pferden unser warten, und uns aufs schnellste aus der verhaßten Gegend in ein Land bringen, wo kein Hinderniß sich gegen unsre treue Liebe auflehnt. Bedenke Dich nicht, mir zu folgen, meine Liebste. Du sollst das angenehmste Leben und eben so unumschränkte Macht über das Vermögen Deines Bredons haben, wie Du über sein Herz hast. Du weißt, daß ich der einzige [255] Erbe eines großen Reichthums bin. Hier ist ein Wechsel auf tausend Pfund, wenn Du vielleicht noch Ausgaben vor Deiner Flucht zu bestreiten hättest. Gieb mir doch Nachricht, um welche Stunde zu Dir kommen soll

Dein getreuster Verehrer Bredon.

100. Brief. Amalie an Wildberg
Hundertster Brief
Amalie an Wildberg

Wenn Sie diesen Brief erhalten, so bin ich schon weit von hier. Denn, unsrer Freundschaft ohngeachtet, hätten Sie es doch vielleicht nöthig erachtet, meinen Plan zu zerstören, damit Albrecht nicht zu früh Ihre Kartenmischung wahrnähme. Mir aber werden Sie verzeihen, daß die Selbstliebe bey mir über die Freundschaft siegte. Ich glaubte in der That keinen Beruf zu [256] haben, Ihnen zu Gefallen mein Leben in einem finstern Zimmer, von aller Welt abgesondert, zuzubringen. Sie werden die Geschichte mit mir undAlbrecht wohl schon wissen. Der Pinsel! Es ist ja jetzo nach dem großen Ton, seine Galane zu haben. Muß sich ein tölpischer Mann da hineinmischen? Ich dächte es wäre gut für ihn, wenn seine Frau Leute hätte, die ihren Putz und andre Ausgaben besorgten, ohne daß er den Beutel zu ziehen brauchte. Aber, ohngeachtet seines filzigen Geizes, der so weit gieng, daß er bey jedem Groschen, den er ausgab, seufzte, dachte Albrecht doch so kleinstädtisch, daß er die Sache unrecht verstand. Das Unthier unterstand sich, mich zu schlagen – (es kränkte mich am meisten, daß ich mich an dem Elenden nicht rächen konnte –) und einzusperren, und gab mir die feste Versichrung, daß ich nie wieder aus diesem Gefängnisse kommen sollte.

[257] Ich war nur zu sehr überzeugt, daß er Wort halten würde, und hatte gar keine Neigung, in einem finstern Loche zu versauren. Ich sah gleich ein, daß das beste Mittel, mich zu befreyen, eine Flucht mit Bredon sey. Diesem also schrieb ich so beweglich, als ich nur konnte, ein letztes Lebewohl. Meine treue Louise, die glücklicher Weise ausersehen war, mir das Essen zu bringen, brachte ihm meinen Brief, heulte ihm viel von meinem Elend vor, und als er denn recht weich war, und meinen Verlust bejammerte, that sie ihm, als wäre es ein plötzlicher Einfall von ihr, den Vorschlag, mit mir zu entfliehen. Er fieng gleich Zunder, und die listige Hexe wußte ihre Sache so gut zu machen, daß sie ein ansehnliches Geschenk von ihm bekam; denn sie überredete ihn, daß es viele Mühe haben würde, mich zur Einwilligung in diesen Entschluß zu bewegen. Ich machte zum Schein viele Schwierigkeiten, und ließ mich auch nur unter sehr vortheilhaften [258] Bedingungen zu dieser Flucht bewegen. Bredon, der eben so verliebt als reich ist, gieng alles ein, und wir reisen nun in einer Stunde mit Louisen ab.

Ich melde Ihnen dieses, damit Sie sich so gut als möglich aus der Sache wickeln können. Denn wenn Albrecht jetzt schon Ihre Verrätherey in PunktoMariens merkte, so würden vermuthlich alle Ihre Plane auf sie vereitelt werden. Hören Sie, Wildberg, ich kann nicht unterlassen Ihnen noch einmal meinen letzten freundschaftlichen Rath zu geben – es kann ja seyn, daß wir einander doch noch einmal brauchen: – Lassen Sie die Tugendheldinn fahren. Sie sind ein gescheidter Kopf, und es wäre Schade um Sie, wenn Sie sich mit der Närrinn verbänden. Und es ist ja gar nicht einmal daran zu denken, daß sie jemals Ihre Liebe begünstigen wird. Die Grillen von übertriebner Feinheit, mit denen ihr Kopf angefüllt ist, lassen das nicht [259] zu, und Sie sehen ja deutlich, daß die Stolze Sie verachtet.

Doch ich habe Ihnen diese Leyer schon so oft fruchtlos geleyert, und fürchte fast, daß Sie in diesem Punkte nicht klüger zu machen sind. Leben Sie wohl. Ich denke, wir werden ja noch immer Freunde bleiben; also werde ich Ihnen mit nächster Post melden, wohin Sie Ihre Briefe zu addressiren haben. Ich bleibe wie immer

Ihre Freundinn Amalie.

101. Brief. Sophie an Julien
Hundertunderster Brief
Sophie an Julien

Unsre Marie wird nun bald ein vollendeter Engel Gottes seyn. Sie ist ihrer Auflösung nahe, und fühlt mit der größten Heiterkeit ihren Tod heranrücken. Mit gefalteten Händen segnet sie [260] die Stunde, die ihre Seele zu Gott bringen wird. Seit einigen Tagen hatte sie oft Zweifel gehabt, ob Gott ihr auch die Schwäche ihres Herzens verzeihen könnte, ob sie nicht äußerst strafbar sey, an einem andern Gegenstande so fest gehangen zu haben? Auch glaubte sie, ihr Leben wäre nicht thätig und nützlich genug für ihre Nebenmenschen gewesen.

»Ach Sophie! sprach sie, wie manche Stunde habe ich über das Elend eines andern bloß geweint, statt daß ich ihm wirklich beyzustehen hätte suchen sollen! Wie viele Zeit, die ich hätte nützlicher anwenden können, habe ich bloß damit zugebracht, meinem Gefühl nachzuhängen! Ich bin zwar wohlthätig gegen Arme gewesen, aber ich gab ihnen gewöhnlich nur von meinem Ueberfluß. Die wahre Wohlthätigkeit ist, wenn man sich selbst Vergnügungen, und auch Bedürfnisse entzieht, um den Armen [261] beyzustehen; und ach wie selten that ich das! Was ist wohl verdienstliches bey einem Almosen, welches wir bloß von dem Gelde geben, das uns ganz entbehrlich ist! Das ist nicht die Barmherzigkeit und Menschenliebe, die der Heiland uns vorschreibt, und die er selbst an uns bewies.«

Ihre Rührung verstattete ihr nicht, weiter zu reden. Der einsichtsvolle Geistliche beruhigte ihr Herz, und ließ sie in eben der barmherzigen Güte Gottes, von welcher sie jetzt redete, ihren Trost finden, Und nun empfieng sie in Gemeinschaft mit uns das heilige Abendmahl. O wie war ihre Seele von seligen Gefühlen der Andacht und Dankbarkeit gegen Gott durchdrungen! Wie schien sie schon so selig auf Erden zu seyn, und den Vorschmack des Himmels zu fühlen! O möchten doch diese Erinnerungen nie aus meiner Seele weichen, und auch mir dereinst Beruhigung in der Todesstunde seyn! O Gott! stärke [262] du meine Bemühungen, mir einen Schatz von guten Handlungen zu sammeln. Das ist ja der einzige Reichthum, den wir mit in jene Welt nehmen!

Marie beschäftigt sich mit Schreiben; ich glaube, sie schreibt an Albrecht; denn sie hat seit einigen Tagen davon gesprochen, daß sie ihn noch einmal zu sehen und sich mit ihm zu versöhnen wünschte. Jetzt ist sie fertig und giebt mir den Brief. Es soll sogleich ein Bote damit nach der Stadt gehen, damit sie ihn, wo möglich, noch sieht. Sie ist äußerst matt.

Welch eine rührende Scene! Eben ließ sie noch ein mal alles Gesinde aus dem Hause, und die Kinder, an deren Unterricht sie bisher geholfen hatte, herauf kommen. Sie nahm Abschied von ihnen, hielt eine kleine Rede an sie, und ermahnte sie darinnen, stets so gut und rechtschaffen zu handeln, daß sie ruhig mit jeder Stunde ihrem Tode entgegen sehen könnten. Sie schluchzten [263] alle vor Wehmuth, und nun bat sie uns insgesammt, ein schönes Lied von Gellert zu singen. Die vereinigte Andacht so vieler Menschen war ein angenehmes Opfer für den Herrn. Sie selbst sprach nun auch noch ein kurzes Gebet, und gab jedem noch einmal die Hand zum Abschiede. Gewiß war kein einziger unter allen, dessen Herz nicht von den stärksten Vorsätzen zur Frömmigkeit durchdrungen gewesen wäre. Sie konnten vor Bewegung kein Wort sprechen; sie selbst mußte sich von diesem Auftritt erholen, und wird jetzt durch einen sanften Schlummer erquickt. Jetzt rührt sie sich. Sollte sie schon wieder erwachen? Ich will zu ihrem Bette eilen, damit keine Minute ihres Lebens mir verloren geht.

Sophie. [264]

102. Brief. Marie an Albrecht
Hundertundzweyter Brief
Marie an Albrecht

Ich fühle, daß der Augenblick meines Todes herannaht, daß ich nur noch wenige Stunden zu leben habe. Diese letzten Stunden sollen dazu gewidmet seyn, Dich mit mir auszusöhnen. Ich gestehe, daß ich Dir die erste Veranlassung gab, Dich von mir zu trennen. Ich war zu schwach, um dem Andenken an einen Mann zu widerstehen, den ich einst mit vieler Zärtlichkeit liebte, von dem erdichtete Erzählungen seiner Untreue mich trennten, und dessen Unschuld ich nun erfuhr. Dieses war die Ursache meines Kummers. Ich kämpfte zwischen Leidenschaft und Pflicht, und mein Herz und meine Kräfte wurden durch diesen Kampf zerrissen. Aber nie kam ein sträflicher Gedanke in meine Seele, und nie verletzte ich durch irgend eine niedrige Handlung die Treue [265] gegen Dich. Sophie kann Dir die Beweise davon geben.

Und nun, Albrecht, vergieb mir die Schwäche meines Herzens, das nicht vermochte, sich ganz unter die Herrschaft meiner Vernunft zu beugen. Gott hat mir vergeben; mit sanfter Beruhigung erfüllt dieser Gedanke mein Herz! Verzeihe auch Du mir eben so herzlich, wie ich Dir verzeihe, daß Du ohne hinlängliche Ursache mich verstießest. Du bist völlig bey mir entschuldigt; ich weiß, daß Du gut und edel denkst, und daß man Dich mit Trug und List hintergieng. Aber ich hege auch keinen Groll gegen den Störer unsrer Ruhe; ich vergebe ihm von Herzen, und bitte Dich, meinen Tod nicht an ihm zu rächen, und dem nicht vorzugreifen, der oben im Himmel unsre Schicksale regiert!

Es würde sehr zu meiner Beruhigung dienen, wenn ich Dich noch einmal sehen könnte, um [266] mich vor dem Angesicht meines Gottes mit Dir zu versöhnen, und die Ueberzeugung mit in jene Welt zu nehmen, daß in unsern Herzen kein Unwille gegen einander mehr wohnt. Versage mir diese Bitte nicht. Es ist die letzte, die ich an Dich thue; und wenn dieser Wunsch befriedigt ist, so werde ich mit Ruhe in jene Gefilde übergehen, deren Aussicht mein Herz aufs sanfteste erheitert. Ich will Gott bitten, daß er auch dem Deinigen eine solche Ruhe schenken wolle, damit wir in jener Welt uns wiederfinden.

Marie. [267]

103. Brief. Sophie an Julien
Hundertunddritter Brief
Sophie an Julien

O Julie! ihr himmlischer Geist ist entflohen, er ist jetzt gewiß schon bey Gott, und sieht unsre Thränen fließen. Ach warum weine ich? Sie ist ja in dem seligen Genuß der Freuden einer Ewigkeit, für die sie geschaffen ward. Hätten wir andern doch auch überwunden! Ich will mich zu fassen suchen, um Ihnen die Geschichte ihrer letzten Augenblicke zu geben.

Während ihres Schlummers lächelte sie, und streckte die Arme aus, als wollte sie einen Gegenstand umfassen, den ihre Phantasie sah. Sie erwachte:

»Bist du verschwunden, selige Gestalt, und hast mich nicht mit dir genommen? Aber warte, ich komme!«

Sie phantasierte und wollte aus dem Bette. Ich umarmte sie:

[268] »Liebste Marie, besinnen Sie sich. Sie sind noch bey uns, in den Armen Ihrer Freundinn.«

Bist du's Sophie? – sagte sie mich starr ansehend; aber in eben dem Augenblicke kehrte auch ihr Bewußtseyn wieder. Sie sagte, daß sie im Traum ihrer Mutter Gestalt, von himmlischem Glanz umgeben, gesehen habe. Sie habe ihr gewinkt, und sey darauf unter einer Menge seliger Geister, die neben ihr gestanden, verschwunden.

Sie sprach nun noch mit Entzücken von Gott, und dem sie erwartenden Himmel, trug mir auf, für Eduards Beruhigung zu sorgen, und ihm einen Brief zu geben, welchen sie zu seiner Beruhigung schrieb. Auch bat sie mich, die Erziehung ihres kleinen Lieschens zu übernehmen, legte nun, matt vom Reden, ihr Haupt aufs Kissen, und bat mich, die Bachische Composition [269] einiger herrlichen Gellertschen Lieder zu spielen, und dazu zu singen. Dieses war seit ihrer Krankheit ihre liebste Erquickung gewesen. Darauf mußte unsre Pastorinn ihr aus der Bibel vorlesen. Sie hörte mit andächtiger Aufmerksamkeit zu, und winkte ihr zuweilen, inne zu halten, um über das Gelesene nachzudenken. Während einer solchen Pause stürzte Albrecht ins Zimmer, und fiel vor ihrem Bette nieder.

»Marie! himmlische Seele, voll Güte und Sanftmuth, kannst du mir, deinem Mörder! vergeben?«

»O Albrecht! nicht du, die gar zu große Empfindlichkeit meines Herzens hat meinen schwachen Körper zu Grunde gerichtet. Aber ich danke Gott, daß er mich so bald zu sich nehmen will, und –«

Sie bestrebte sich noch mehr zu sagen, aber die Sprache verließ sie. Sie drückte schweigend [270] seine Hand, und lächelte mit einem himmlischen Blick ihn an. Sie bemühte sich noch einigemal vergebens, zu reden; endlich brachte sie mühsam die gebrochnen Worte hervor:

»Vergieb Wildbergen und räche nicht –« Mehr konnte sie nicht sagen, die erhabne großmüthige Seele, die noch in ihren letzten Augenblicken die edelste Tugend des Menschen, die Liebe der Feinde, übte!

Sie richtete nun schwach sich auf, reichte mit beyden Händen in die Höhe, ihr Gesicht wurde erhellet, und sie sank leblos zurück. Albrecht lag noch auf seinen Knien, und blickte noch mit stummer Verzweiflung starr sie an. Endlich sprang er auf, gieng zum Schreibtisch und schrieb:

An Wildberg

Fühlest Du es, Verräther! daß sich ihr Geist jetzt von dannen schwang? Sankest Du nicht [271] bebend zur Erde nieder? Die Heilige fluchte Dir nicht, sie verbot auch mir, Rache an Dir zu nehmen. Das war das letzte, was ihr sterbender Mund sprach. Ich muß ihr gehorchen; aber ich beschwöre Dich, vermeide meinen Anblick. Wenn ich Dich sähe, so würden alle ihre Bitten vernichtet werden; ich würde ihren Tod an dem Schändlichen rächen, und ihr seliger Geist würde durch meinen Ungehorsam beleidigt werden. O ich Elender! der ich mich durch einen Teufel verleiten ließ, einen Engel zu verstoßen! Marie, Marie! Du empfahlst mir Sanftmuth, Beruhigung! Aber ach! ich bin ihrer nicht fähig. Unruhe und Gewissensvorwürfe werden meine Begleiter seyn! Wäre doch mein elendes Leben geendigt!

[272] Fortsetzung. Sophie an Julien.

Diesen Brief schickte er an den verrätherischenWildberg, und nun bat er mich, ihm die Briefe des Engels zu zeigen, welche die schreckliche Geschichte enthüllten. Ich gab ihm die ihrigen, und die Abschriften von den meinigen an Dich, erzählte ihm auch die letzten schönen Tage der Seligen. Anfangs hörte er mit stummer Verzweiflung zu, aber am Ende erweichte ich ihn, und seine Thränen flossen. Er erzählte mir die teuflischen Ränke Wildbergs und noch eines verworfnen Geschöpfs, Namens Amalie. Diese liebte er, ehe er Marien kannte, entzweyte sich wegen eines Liebeshandels mit ihr, und heyrathete Marien. Wildberg wußte nun die letzte Schwäche Mariens ihm so schwarz vorzumalen, und seine schlafende Liebe für Amalien, die er ihm treu und tugendhaft schilderte, [273] so künstlich wieder aufzuwecken, daß er ihn zur Scheidung beredete.

Und nun das Schrecklichste noch! – Wie gut, daßMarie nichts davon wußte! – Albrecht heyrathete die Buhlerinn, fand sie bey einem Liebhaber, sperrte sie ein, und findet den andern Morgen ihr Zimmer leer. Sein Johann giebt ihm einen Brief von ihr anWildberg, welcher ihm von Amaliens Mädchen zur Bestellung gegeben war. Albrecht sieht daraus die schändliche Verrätherey, die man an ihm begieng. Er geräth ganz von Sinnen, stellt seine Marie in ihrer leidenden Gestalt sich vor, will zu ihr, aber Furcht und Schaam halten ihn zurück. Und nun bekömmt er ihren Brief. Voll Verzweiflung wirft er sich aufs Pferd und eilt zu ihr. Bey ihrem Anblicke glaubt er zu vergehen. Auch noch ist sein Zustand so trostlos, daß er mir, seines Vergehens ohngeachtet, Mitleid einflößt.

[274] Ach Gott! auch ich werde den Verlust meinerMarie noch immer tief fühlen. Nie werde ich ihre sanfte himmlische Seele, nie die rührenden Auftritte ihres Todes vergessen! Mein Herz ist gewiß auf immer der rauschenden Freude verschlossen. – Ich muß ihren Brief an Eduard schicken, und Nachricht von seinem Zustande erfahren. –

Sophie.

104. Brief. Marie an Eduard
Hundertundvierter Brief
Marie an Eduard

Mein Geist wird nun bald diese gebrechliche Hütte verlassen, und sich in jene Gefilde der Ruhe und des Friedens hinaufschwingen! Ich werde Dich nicht mehr sehen, Eduard! Eine Zusammenkunft unter uns würde uns beyden nachtheilig seyn. Sie würde die ruhige Fassung stören, mit der ich jetzt meiner Auflösung entgegen [275] sehe. Mein Tod würde erschwert, und meine Seele, die sich schon halb bey Gott fühlt, würde wieder zur Erde gezogen werden. Du erhältst also dieses Papier, wenn ich nicht mehr bin. O möchte es Dich beruhigen, und mit der seligen Gewißheit erfüllen, daß Du bald bey mir seyn wirst! Ich werde noch in meinen letzten Augenblicken Gott bitten, daß er diese selige Fassung Dir schenke, und ich hoffe, er wird mein Gebet erhören.

Traure nicht um mich, Eduard. Ich fühle, daß ich glücklich seyn werde. Ich gehe ja nur voran, um Dir den Weg zu bahnen; in der Gesellschaft seliger Geister will ich Deiner harren, und den Augenblick erwarten, in welchem auch Deine Seele vor Gott kommen wird. Ist es mir erlaubt, so werde ich oft Dich umschweben, und himmlischen Trost Dir einhauchen. Hörst Du dann ein sanftes Säuseln: so denke, daß es der Geist Deiner Marie ist, die noch jenseits [276] mit den geläuterten Empfindungen reiner Geister Dich liebt. Aber, theurer Eduard, verkürze auch nicht selbst Dein Leben durch unmäßigen Gram. Erhalte es sorgfältig, so lange Dein Schöpfer befiehlt, der es Dir gab! Harre geduldig, bis der Todesengel kömmt, der Dich von dieser Welt abruft; und dann schwinge Deine entfesselte Seele, über Tod und Leiden erhaben, sich zu Gott empor!

Marie.

105. Brief. Sophie an Julien
Hundertundfünfter Brief
Sophie an Julien

Gott! welch ein Auftritt war das! Man hatte Marien in den Sarg gelegt, und wollte nun den Deckel befestigen, um sie auf ewig unserm Anblick zu entziehen. Eduard, der noch einmal ihre Leiche zu sehen gekommen war, lag [277] sinnlos auf der Erde neben dem Sarg. Albrecht war in ein andres Zimmer gebracht, und ich stand bey dem erblichnen Leichnam der Seligen, um den letzten Kuß auf ihre blassen Lippen zu drücken. Ihr Mund schien noch sanft zu lächeln, und ihre Gesichtszüge – nicht verzerrt, wie sie sonst bey Todten zu seyn pflegen – hatten noch das sanfte Gepräge der himmlischen Fassung, mit der sie verschied. Ich glaubte, meine Seele auf ihren Lippen auszuhauchen, und hieng in tiefer Schwermuth über ihr, als mit fürchterlichen Blicken Wildberg herein trat. Er eilte auf den Sarg zu, stieß ein schreckliches Geschrey aus, und prallte zurück:

»Du bist gerächt, Marie! Hier in diesem verfluchten Herzen wohnt die Hölle mit allen ihren Quaalen. Eine Legion böser Geister ist in mich gefahren. O weh mir! – sie zerreißen mich! Halt! – da kommen sie! Schreckliche Gestalt, mit Blut befleckt, wer bist du? O! [278] schiele nicht so fürchterlich her. Zucke deinen Dolch nicht so schrecklich. Weh mir! Wer rettet mich? – Marie! Marie! Kannst du so grausam seyn? Ach! du fluchtest mir ja nicht. – Aber du, Weibsgestalt, was spottest du über mich? Wer bist du? Halt! ich kenne dich. Du sollst mit ihr hinab!«

Er sprang auf mich los. Man entriß mich ihm, und band ihn fest. Ein eben gegenwärtiger Arzt sagt, seine Tollheit sey unheilbar. Er wird in ein Haus gebracht werden, wo mehr solcher Unglücklichen sind. O Julie! ich selbst bin äußerst matt. Die Feder fällt mir aus der Hand. O wären wir alle doch erst da, wo die Selige jetzt ist!

Fußnoten

1 Der Brief selbst sowohl als die Abschrift sind verloren gegangen.


Notizen
Erstdruck (anonym): Leipzig (Weidmanns Erben und Reich) 1784.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Liebeskind, Margareta Sophia. Maria. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EC90-0