Der Fall in den Fluß

Lene Levi lief besoffen
Nächtlich in den Nebenstraßen
Hin und wieder »Auto« brüllend.
Ihre Bluse war geöffnet,
Daß man ihre feine, freche
Unterwäsche und das Fleisch sah.
Sieben geile Männlein rannten
Hinter Lene Levi her.
Sieben geile Männlein trachten
Lene Levi nach dem Leibe,
Überlegend, was das kostet.
Sieben, sonst sehr ernste Männer
Haben Kind und Kunst vergessen,
Wissenschaft und die Fabrik.
Und sie rannten wie besessen
Hinter Lene Levi her.
Lene Levi blieb auf einer
Brücke stehen, atemschöpfend,
Und sie hob die wirren blauen
Säuferblicke in die weiten
Süßen Dunkelheiten über
Den Laternen und den Häusern.
Sieben geile Männlein aber
Fielen Lenen in die Augen.
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Sieben geile Männlein suchten
Lene Levis Herz zu rühren.
Lene Levi blieb unnahbar.
Plötzlich springt sie aufs Geländer,
Dreht der Welt die letzte Nase,
Jauchzend plumpst sie in den Fluß.
Sieben bleiche Männlein rannten,
Was sie konnten, aus der Gegend.
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Notes
Entstanden 1914. Erstdruck in: Gedichte und Geschichten. Herausgegeben von Kurt Lubasch, München (Georg Müller) 1919.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lichtenstein, Alfred. Der Fall in den Fluß. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EB91-5