XXVII. Liebe und Tod.

(1836.)


Ὃν ϑοἱ εοὶ φιλοῦσιν, ἀποϑνήσκει νέος.

Der den die Götter lieben, scheidet jung dahin.

Menandros.


Als Zwillinge des Schicksals Schooß entsprossen,
Sind Lieb' und Tod Genossen.
Nichts Schönres ward hinieden
Der Erde, nichts der Sternenwelt beschieden.
Von Jener stammt die höchste,
Die seligste der Freuden,
Die je uns blühen mag im Meer des Seins,
Und von den schwersten Leiden
Kann ihr Genoß erlösen.
Das wundersame Wesen,
Holdselig anzuschauen,
Nicht wie's der Feigling pflegt sich vorzustellen,
Will gern der jungen Liebe
Sich oftmals zugesellen.
Vereint durchziehn sie dann des Lebens Auen
Und sind des Weisen Trost in aller Trübe.
[113]
Je mehr voll Liebesglut,
Je weiser ist ein Herz, je stolzer achtet's
Gering des Lebens Wehe.
Kein Machtgebot, o Liebe,
Befeuert so wie deins zu jedem Wagniß.
Entflammt ja deine Nähe
Ein jedes Herz mit Muth,
Belebt den sinkenden und pflegt zu Thaten,
Nicht nur zu müß'gem Brüten, wie sie pflegen,
Die Geister zu erregen.
Wenn in der Jugend Blüte
Sich regt in Herzenstiefen
Ein zärtliches Verlangen,
Erwacht zugleich mit ihm ein müdes Bangen,
Ein schmachtend Todessehnen im Gemüthe,
Nicht weiß ich, wie; doch Allen,
Die war und heiß geliebt, ist's so ergangen.
Dann wohl mit Grau'n betrachtet
Der Mensch die Oede rings, und diese Erde
Dünkt unbewohnbar ihm, wenn seinem Herzen
Der eine Wunsch versagt wird,
Die neue, grenzenlose
Glückseligkeit, wonach die Seele trachtet.
Und ahnt er gar den Sturm, der seine Brust
Erschüttern wird um sie: ersehnt er Ruhe
Und möcht' im Hafen landen,
Dem Aufruhr zu entrinnen
Der Leidenschaft, die ihm die Welt umnachtet.
Wenn Alles dann ringsum
Die wilde Macht verschlungen
Und Gram wie Wetterstrahl im Busen wüthet,
Wie innig tausendmal
Wirst du herangefleht,
[114]
O Tod, vom Liebenden in seiner Qual,
Wie oft im Abendstrahl,
Wie oft, wenn früh er sinkt aufs Lager nieder,
Preis't er als höchstes Glück, wär's ihm vergönnt,
Nie mehr die matten Glieder
Zu heben, nie die Sonne mehr zu sehen;
Und hört er mit des Todtenglöckleins Klange
Gesang herüberwehen,
Ein Grabgeleit zu ewigem Vergessen,
Wie innig dann erseufzend
Aus tiefster Brust, beneidet
Er Den, der bei den Schatten Wohnung fand!
Ja, selbst die rohe Menge,
Der Bauer, der den Segen,
Der von der Bildung ausströmt, nie gekannt,
Das Mädchen, dem das Haar zu Berge stand
Vor Schaudern, hört' es sagen
Vom Tod: sie alle wagen
Mit festem Muth auf Grab und Sterbekleid,
Wenn Liebesgram sie nagt, den Blick zu lenken,
Gelassen zu bedenken,
Ob Dolch, ob Gift sie wählen,
Und ihre schlichten Seelen
Verstehen ganz des Todes Lieblichkeit.
So locken uns zum Tod
Der Liebe strenge Noth und Machtbefehle.
Oft auch, wenn so sich mehrt die innre Qual,
Daß ird'sche Kraft nicht länger kann genügen,
Sehn wir den Leib erliegen
Dem wilden Sturm, und schwesterlich gesellt
Hilft Liebe dann der Macht des Todes siegen.
Dann wieder spornt sie dergestalt die Herzen,
Daß selbst der schlichte Landmann freientschlossen,
Die Jungfrau selbst ihr Leben
[115]
Mit eigner Hand gefährden,
Die jungen Glieder in die Grube betten.
Die Welt lacht ihrer Schmerzen;
Ihr sei's beschieden, friedlich alt zu werden.
Der glücklichen Gemeinde
Begeistert glüh'nder Seelen
Mag Einen doch von euch das Schicksal gönnen,
Geliebte Herrn und Freunde
Der armen Menschheit, denen
Sich keine Macht kann ebenbürtig wähnen
Im unermessnen All und mächt'ger nur
Das Fatum, waltend über der Natur.
Du aber, den schon seit den Jugendtagen
Ich huld'gend angerufen,
O holder Tod, du einz'ger
Erbarmer in der Erde Noth und Plagen,
Wenn ich dich je gepriesen
Und trotz der Schmach, die Thoren undankbar
Dir anthun, immerdar
Dir Ehrfurcht fromm erwiesen,
Laß nicht mein Flehn vergebens,
Das seltne zu dir dringen,
Und dies mein Augenpaar
Hüll ein in ew'ge Nacht, du Fürst des Lebens.
Mich wirst du stets, zu welcher Zeit und Stunde
Du mir erlösend nahst auf dunklen Schwingen,
Aufrechten Hauptes sehen
Dem Schicksal widerstehen,
Und färbt es seine Hand, die Wund' um Wunde
Mir schlägt, mit meinem Blut,
Nie werd' ich's darum preisen
Und segnen, wie, befangen
In altem Sklavensinn, die Menschheit thut.
[116]
Nein, jeder Hoffnung trügerischen Schein,
Mit dem die Welt so kindisch
Sich zu getrösten glaubt,
Will ich verschmähn und nie auf Hülfe bauen,
Als nur vor dir allein.
So will ich heiter nun
Den Tag erharren, wo mein schlummernd Haupt
Darf dir am Busen ruhn.

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TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 27. Liebe und Tod. 27. Liebe und Tod. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E444-D