VII. An den Frühling
oder
Ueber die Mythen der Alten.

(1824.)


Nun alle Himmelsunbill
Die Sonne sühnt und lauer West gelinde
Die kranke Luft belebt, daß fortgescheucht
Der Wolken schwerer Schatten niedersinkt,
[52]
Die Vögel neu dem Winde
Die nackte Brust vertrauen und das Licht
Mit neuem Liebessehnen, neuer Hoffnung
Sogar das Wild auf dunklen Waldespfaden
Belebt, wenn kaum der Nebelduft gewichen:
Kehrt auch vielleicht zu euch, so grambeladen
Und müd, ihr Menschenseelen,
Die schöne Zeit, die Unglück und die düstre
Fackel der Wahrheit euch
So früh zerstört? Sind Phöbus' goldne Strahlen
Dem Armen nicht für ew'ge Zeit verdunkelt
Und ausgelöscht? Und du auch,
Duftender Lenz, willst du die eis'gen Qualen
Wegthau'n der Brust, die schon in jungen Tagen
Gelernt das herbe Weh des Alters tragen?
Lebst du, o lebst du, heil'ge
Natur? Lebst du, und ist's der Mutter Sprache,
Die lauschend das entwöhnte Ohr vernimmt?
Einst wohnten holde Nymphen in den Flüssen,
Dort und im klaren Bache
Das Antlitz spiegelnd; von geheimen Tänzen
Göttlicher Füße bebten Bergeshöh'n
Und hohe Wälder, jetzt den Stürmen nur
Ein öder Wohnsitz, und der Hirt, im Duft
Des Mittags, wenn er durch die blum'ge Flur
Zum Fluß die durst'gen Lämmer
Hinuntertrieb, vernahm ein helles Lied
Des Waldgotts längs dem Ufer,
Sah kräuseln sich die Flut
Und stand verdutzt, wenn jedem Blick verhüllt
Die pfeilbewehrte Göttin
Stieg in die lauen Wellen, Staub und Blut
Der heißen Jagd vom schneeigen Arm zu spülen
Und ihren jungfräulichen Leib zu kühlen.
[53]
Es lebten einst die Blumen,
Es lebte Gras und Busch. Vertraute waren
Die Lüfte, Wolken, Titan's hehre Leuchte
Dem sterblichen Geschlecht, als über Auen
Und Hügeln deinem klaren
Gestirn, o Cypria, der Wandrer folgend
Mit Sehnsuchtsblicken in der stillen Nacht
Dich als Gesellin seiner Fahrt, voll Huld
Den Menschen träumte. Wenn, entflohn dem Treiben
Der wüsten Städte voller Sünd' und Schuld
Und Zwist und roher Schmach,
Ein Andrer rauhe Stämme tief im Wald
An seinen Busen drückte,
Wähnt' er zu fühlen, wie lebend'ges Feuer
Blutlosen Stamm durchlodre, wie erbebe
In schmerzlicher Umarmung
Daphne und Phyllis, wie in immer neuer
Wehmuth den Liebling Klymene betrauert,
Deß stolzer Sonnentraum so kurz gedauert.
Nicht taub für Menschenleid,
Ihr starren Felsen, warft ihr Klagetöne
Achtlos zurück, als eure bangen Gründe
Echo, die einsam Trauernde, bewohnte,
Statt leerer Luft Gestöhne
Der unglücksel'gen Nymphe irrer Geist,
Den Liebesgram und hartes Schicksal bannten
Aus zartem Leibe. Durch die hohlen Klüfte,
Die nackten Klippen und verlassnen Stätten
Erfüllte sie des Aethers hohe Lüfte
Mit unsern Wehelauten,
Die sie verstand. Und du galtst in der Sage
Als aller Menschenloose
Wohlkundig, süßer Vogel, der du immer
Den jungen Lenz im laubigen Wald begrüßest,
[54]
Und wenn die Fluren schliefen
In stummer, dunkler Nacht, schienst du zu klagen
Um alte Nöthe, ruchlos wilden Haß
Und diese Zeit, von Zorn und Kummer blaß.
Doch nicht verwandt dem unsern
Ist dein Geschlecht, nicht Schmerz entlockt dir alle
Die süßen Weisen; frei von jeder Schuld
Wohnst du im dunklen Wald, uns minder theuer.
Ach, da nun leer die Halle
Des ragenden Olymp und blind der Donner
Hinrollend durch die wolkendunklen Berge
Ruchlose Seelen gleich den reinen schreckt
Mit kaltem Grausen; da die Heimathflur,
Fremd und nichts wissend von den eignen Kindern,
Sie auferzieht zur Trübsal:
Leih du ein Ohr den Sorgen der vom Schicksal
Bedrängten Menschenkinder,
Holde Natur, und hauch die alte Glut
Zurück in meinen Geist, wenn du beseelt bist,
Wenn Etwas lebt im Himmel,
Auf blumiger Erde, in des Meeres Flut,
Was alle Qual, die wir erdulden müssen,
Zwar nicht bedauern mag, doch darum wissen.

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TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 7. An den Frühling. 7. An den Frühling. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E427-F