[48] VI. Der jüngere Brutus.

(1824.)


Als hingesunken lag in Thraciens Staube,
Ein weites Trümmerfeld,
Italiens Kraft, und das Geschick beschloß,
Daß nun Hesperiens grüne Fluren und
Des Tiber Ufer das Barbarenroß
Zerstampfen sollt' und aus den nackten Wäldern
Im Bann der eis'gen Bärin
Das Gothenschwert vorbrechen und die Mauern
Des stolzen Roms zerschmettern:
Da saß, mit Schweiß benetzt und Bruderblut,
Brutus in düstrer Nacht auf öder Stätte,
Zum Tod entschlossen schon, und mit den Göttern,
Den mitleidslosen, grollend,
Erschüttert seine Stimme
Umsonst die müde Luft in trotz'gem Grimme:
O thör'ge Tugend, nur die leeren Nebel,
Das Reich unstäter Schatten
Sind deine Schule; hinter deinen Fersen
Folgt bald die Reue nach. Euch Marmorgöttern –
Ob ihr nun wohnt am Phlegethon, ob über
Den Wolken droben – dünkt nur Hohnes werth
Das klägliche Geschlecht,
Von dem ihr Tempel heischt, dem ihr ein trüglich
Gesetz wollt auferlegen.
So also reizt der Menschen Frömmigkeit
Den Haß der Götter? So als Hort der Bösen
Thronst du, o Zeus? Und wenn Gewitterregen
Die Luft durchrauscht und Donner
Ras't mit dem Blitz zumal,
Triffst du der Frommen Haupt mit heil'gem Strahl?
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Ein unbezwinglich Schicksal, eine eh'rne
Nothwendigkeit bedrückt
Des Todes kranke Sklaven. Wenn sie Nichts
Erretten kann, getröstet sich die Menge:
So sei's verhängt. – Ist minder hart ein Leid,
Weil unabwendbar? Fühlt die Schmerzen nicht,
Wer jeder Hoffnung baar ist?
In ew'gem Kampf mit dir auf Tod und Leben,
Unwürd'ges Fatum, liegt,
Wer sich nicht beugen mag; und deine Hand
Abschüttelnd, wenn sie ihn gewaltsam trifft,
Ruft er Triumph, indem er unterliegt,
Wenn mit dem herben Stahl
Er lös't die stolzen Glieder
Und lachend wandelt zu den Schatten nieder.
Mißfällig ist den Göttern, wer gewaltsam
Des Hades Pforte stürmt.
Wär' auch ein weichlich Götterherz so kühn?
Hat sich vielleicht der Himmel unsre Trübsal,
All unser Herzeleid und herbes Müh'n
Zu seiner Muße Kurzweil auserkoren?
Kein Dasein voller Plagen,
Ein Leben frei und rein in Wald und Feld
Hat uns Natur gegeben,
Die göttlich einst geherrscht. Und jetzt, da rings
Gottloser Brauch verdrängt die sel'gen Zeiten,
Darf da der Eigenmacht
Natur den Stolzen zeih'n,
Der von sich wirft ein Leben voller Pein?
Von Schuld nichts wissend, noch vom eignen Elend
Führt sanft ein spätes Alter
Die ahnungslose Thierwelt einem schnellen
Verscheiden zu. Doch triebe sie Verzweiflung,
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An rauhem Stamm die Stirn sich zu zerschellen,
Vom schroffen Fels sich stürzend ihr zerschmettert
Gebein umherzustreuen,
Die arme Wohlthat würde kein geheimes
Gesetz dem Thier versagen,
Kein trüber Wahngedanke. Ihr von allen
Beseelten Wesen, ihr Prometheussöhne,
Fühlt Ueberdruß, das Dasein zu ertragen;
Und euch nur, wenn die Parze
Verzögert ihre Gnade,
Wehrt Zeus zur Unterwelt die stillen Pfade!
Nun steigst du aus dem Meer, das unser Blut
Gefärbt, du klarer Mond,
Die ruhelose Nacht, das Feld zu grüßen,
Das der ausonischen Kraft verderblich ward.
Der Sieger tritt verwandte Brust mit Füßen,
Die Hügel beben, von der Höhe stürzt
Das alte Rom in Trümmer –
Und du bleibst still und klar? Du sahst Lavinia's
Geschlecht entstehn, die Zeit
Des Glückes sahst du und die stolzen Lorbeern.
Und doch unwandelbar in stummem Glanz
Wirst du herabschau'n, wenn in Schmach und Leid
Italien Knechtschaft duldet
Und diese öden Stätten
Vor fremden Horden Nichts mehr kann erretten.
Das Raubthier im Geklüft, im grünen Laube
Der Vogel, deren Brust
Voll ahnungsloser Dumpfheit, wissen nimmer,
Wie tiefer Sturz das Schicksal einer Welt
Verwandelt hat; und wenn im Morgenschimmer
Sich röthen wird des fleiß'gen Landmanns Hütte,
Erweckt der Vogel wieder
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Die Thäler mit Gesang, und in den Klippen
Flieht schwächeres Gethier
In Todesangst, gescheucht vom wilden Raubthier.
Wir eitlen Menschen! Welch armsel'ger Theil
Der Welt sind wir! Den blut'gen Boden hier,
Die schmerzdurchstöhnten Gründe
Wird unser Loos nicht kümmern,
Kein Stern um Menschentrübsal matter flimmern.
Nicht des Olymp und Hades taube Herrscher,
Nicht die unwürd'ge Erde
Und nicht die Nacht ruf' ich im Sterben an,
Noch auch des dunklen Todes letzten Strahl,
Den Spruch der Nachwelt. Feiger Pöbel kann
Mit Klag' und Weihgeschenk mein herbes Grab
Nicht sänft'gen. Unaufhaltsam
Verschlimmert sich die Zeit. Bei trägen Enkeln
Ist übel aufgehoben
Der Nachruhm edler Seelen und des Unglücks
Dereinst'ge Sühne. Kreise denn um mich
In gier'gem Flug der dunkle Vogel droben;
Raubthier' und Regengüsse
Soll'n meine Hülle finden,
Und mein Gedächtniß liefr' ich aus den Winden.

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TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 6. Der jüngere Brutus. 6. Der jüngere Brutus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E418-2