24.

A.
An mein Herz

Kleines Ding mit Müh und Leiden
Hier in dieser Brust gepflegt,
Herz! wenn sich dein Sturm nicht legt,
Herz! wo sind denn deine Freuden?
Deine Schläge! wie so selten
Mischt sich Lust in sie hinein!
Und wie schnell sind sie, mit Pein
Jede Lust mir zu vergelten!
[108]
Phillis! ach nur Augenblicke
Lacht, was jeden Unmuth stillt,
Lächelt dein geliebtes Bild
Es von ew'gem Gram zurücke.
Ganz verwandelt, neu geboren
Fühl ich dann mich, Göttern gleich:
Und die Welt ein Himmelreich,
Das du dir zum Sitz erkoren.
Ja ein Blick von dir zertheilet
Der Verzweiflung Nacht in mir,
Daß mit Riesenschritt zu dir
Meine Hoffnung siegreich eilet.
Alles sind mir deine Augen
Was der Erde Sonnenschein,
Wo die Trauben ihren Wein,
Die Geschöpfe Leben saugen.
Könnt ich dir zu fühlen geben,
All' die Wohlthat deines Blicks!
Schöpfer meines ganzen Glücks,
Spricht er über Tod und Leben.
Aber Angst und Furcht und Schröcken
Ueberfällt im höchsten Wohl
Mich auf einmal: Phillis! soll
Diesen Blick einst Nacht bedecken?
Sollen diese Zaubermienen,
Wo der Liebe ganze Macht
Mir das Herz hinweg gelacht,
Einst dem trüben Unmuth dienen?
[109]
Dieser Busen, der mir Triebe
Banger Lust entgegen schwoll,
Soll er schwinden? Himmel! soll
Ihn kein Wunsch empören, Liebe?
Phillis, soll sogar dein Feuer
Und dein schöner Witz dich fliehn?
Ungetreue – sieh mich knien,
Dennoch bleibst du, bleibst mir theuer.
Fährt dein Herz nur fort zu schlagen,
Für das Herz das dich verehrt,
Dem du diese Glut gelehrt,
Sie bis in sein Grab zu tragen.
Ach ich will dich mit Entzücken,
Wenn dein Herz nur fühlbar ist,
Selbst wenn du es nicht mehr bist,
An des Greisen Schneebrust drücken.
Auf verwelkten Lippen schweben
Unsre Seelen noch vereint,
Wenn das Auge nicht mehr weint,
Soll es doch zu weinen streben.
Zitternd falten wir die Hände
Ineinander, halb vertaubt,
Stützen wir noch Haupt an Haupt,
Und erwarten so das Ende.

[110] B.
a. Unser Herz

Kleines Ding, um uns zu quälen
Hier in diese Brust gelegt,
Wüste mancher was er trägt,
Würde wünschen, thätst ihm fehlen.
Deine Schläge, wie so selten
Mischt sich Lust in sie hinein
Und wie sind sie schnell, mit Pein
Jede Lust ihm zu vergelten.
Dennoch, weder Lust noch Qualen
Wär weit schröcklicher als das.
Lieber schmelzt mein Herz zu Glaß,
Meines Schicksals heiße Strahlen.
Lieben, hassen, streben, zittern
Hoffen, zagen bis ins Mark.
Ach das Leben wär ein Quark
Thätest du es nicht verbittern.

B.
b. An das Herz

Kleines Ding, um uns zu quälen,
Hier in diese Brust gelegt!
Ach wers vorsäh, was er trägt,
Würde wünschen, thätst ihm fehlen!
[111]
Deine Schläge, wie so selten
Mischt sich Lust in sie hinein!
Und wie Augenblicks vergelten
Sie ihm jede Lust mit Pein!
Ach! und weder Lust noch Qualen
Sind ihm schrecklicher als das:
Kalt und fühllos! O ihr Strahlen,
Schmelzt es lieber mir zu Glas!
Lieben, hassen, fürchten, zittern,
Hoffen, zagen bis ins Mark,
Kann das Leben zwar verbittern;
Aber ohne sie wärs Quark!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. 24.. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E30E-2