Zweites Buch. Die Hungersnoth

Dich will ich singen, du bleicher Hunger, mit allen den Schrekken
Die dich begleiten, dich will ich den satten Sterblichen singen
Die die brütende Sonne und träufelnden Segen aus Wolken
Und der Erde Bereitwilligkeit und den göttlichen Geber
Schmähen durch Wollust und Ekel und Murren, wie die Wüsten.
Senkrecht strömet die Sonne Feuer auf Fluren und Hayden,
Daß auf Sümpfen Staub liegt, Ströme zu Sümpfen vertroknen
Laub und Zweig ermatten: ein tödtlich Blaß überzieht sie;
Eingeschrumpft und verdorret stürzen beym Wehen des kleinsten
Zephirs, des sie sonst spotteten, sie nun rauschend zu Boden.
Himmel, wo sind deine Wolken, und Nacht deine fließenden Thaue?
Schikt nicht das Meer seinen Dampf empor und die Flur ihre Dünste?
O vergilt ihre willige Gab', unerbittlicher Himmel,
Laß dich zu ihr in Tropfen hernieder, erfreue die Aeren
Die ihre schwarzen erstorbenen Häupter zu dir erheben,
Da sie sonst frölich beschwert dem Landmann entgegen sich bükten.
Ach die Natur ist vergiftet. Die farbenspielenden Wiesen
Liegen izt falb ausgebreitet, und Pharaonische magre
Kühe suchen dort Nahrung, und füllen die Mäuler mit Staub an.
Auch scheint die Erde nicht mehr dem Landmann gehorchen zu wollen
Der verzweiflungsvoll hinter den Pflug tritt. Was säest du, Sämann?
Eh ihn der Akker empfängt ist schon dein Saamen erstikket.
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In hartnäkkiger Ohnmacht liegt die Natur: ein Bild des
Todes der Welt, des lezten Verderbens, wenn in das Chaos
Dieser Ball, von unsinnigen Würmern bewohnet, hinabstürzt.
Dort ist ein einsames Haus, ganz einsam, mit müßigem Schorstein:
Die umliegenden Ställe sind alle stumm von den Heerden
Die sonst muthig dort brüllten: nicht Enten wakkeln und schnattern
Mehr durch die Pfüzzen, kein Huhn lokt goldgefiederte Jungen
Unter die warmen Flügel, noch springen dummblökkende Schaafe
Im anlachenden Klee. Ein Schwarm von gierigen Raben
(Einzige Freunde der Theurung) fällt auf die in dem Hofe
Häufigen Aeser und krächzt die Todesgesänge der Schöpfung.
Jezo schlüpft ein dürrer Mann am leitenden Stekken
Aus der knarrenden Thür; eine Schaar von unmündigen Kindern
Eilt mit Geschrei ihm nach und kann nicht den Vater erreichen
Der die Hand vors Gesicht hält und fliehet: »Kann ich der Kinder
Winseln nach Brod noch länger hören, noch länger sie ansehn
Wie sie täglich verwelken, sehn die einsinkenden Wangen?«
So spricht er und wanket und hinket zum nakkenden Walde
Und am nächsten Baume hängt er sein lebend Geripp auf,
Daß der Versucher Hohnlachet und die Raben drob jauchzen.
Auf den Landwegen seufzet kein schwerer Wagen voll Korn mehr
Und in den lärmenden Wäldern erhebt sich ein Brüllen und Kreischen
Streitender Bestien, die, da Ställe und Weiden entblößt stehn,
Untereinander sich würgen. Es schießt der Jägerhund keichend
Ueber Fluren und durch den Forst: dann steht er und winselt,
Daß er kein lauschendes Wild mehr aufspührt. Lange schon waren
Die Harmonien des Waldes verstummt. Mit schlaffem Gefieder
Liegt über ihre Jungen erstarrt Philomele gebreitet.
Mit weitausgespreiteten Flügeln, die selten nur in der
Luft sich bewegen, das Gleichgewicht haltend, (wie Ruder, wenn mit dem
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Strom ein Boot schwimmt) gleitet der tükkische Habicht; einzeln
Abgebrochen ertönt sein Feldgeschrei: aber vergebens
Strömt sein räubrischer Blik in Höhlen der Bäume, vergebens
Sucht er unter dem Hausdach in stillen Nestern den Raub auf:
Ihm ist der Hunger zuvorgekommen, und wird ihn bald selber
Fressen. Käfer und Mükken schwirren nicht mehr in den Lüften
Und an erstorbenen Waldrosen hängt die vertroknete Biene:
Schönes Grab! So stirbt am Busen der Liebsten ein Jüngling.
In den versiegten Teichen wühlen mit forschendem Schnabel
Hungrige Störche vergebens und ziehn statt Fröschen und Fischen
Schlamm und Mooß aus der Tiefe hervor. Nur im Bauche des Hirsches,
Den izt leichte Beine und Waffen des Haupts vor dem Tode
Retten nicht konnten, wimmeln gesättigt die frohen Gewürme.
Wie, wenn ein Sohn des Goldes von Schmeichlern und Schuldnern gestürzt wird,
Dann die neidischen Nachbarn in seinen Ruinen sich theilen.
Dort liegt Zadig ein Greiß am Weidenbaum, der mit entlaubten
Zweigen vergeblich strebt ihm gewohnten Schatten zu reichen.
Auf seinem müden Knie sizt der ihn anlallende Enkel,
Sieht oft nach ihm hinauf und weint nach Nahrung und Labsal.
Ach wie zerschneidet diß Weinen das Herz des zärtlichen Greises!
Hundert mal hebt er sich auf, zu fliehn, und hundert mal sinkt er.
Ueber ihm schwebet in Wolken höllischer schwarzer Verzweiflung
Satan, und strömet ihm Sünde ins offene Herz, und versucht ihn
Wie den in der Wüste, der nie von Sünde was wußte.
»Ich, so schwärmen Gedanken in seiner Seele, muß langsam
Sterben! den langsamen Tod des Knaben sehen! Er winselt:
Und ich kann ihm nicht helfen! Ich, der ich sonst ihm mit offnen
Armen väterlich zärtlich zueilte, der ich entzükket
An meine alte Brust ihn drükte, ich kann ihm nicht helfen –
Und muß sterben: Greisen selbst schrekliches Wort! – – Wie oft hat
Seine unschuldige Hand mit meinen silbernen Lokken
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Schmeichelnd gespielt? – Wie soll ich ihm helfen, wie soll ich die lange
Pein von ihm wenden, die ihn wie fressend Feuer verzehret?
Tod, komm schnell über ihn: dann segn' ich dich. Stürzet ihr Hügel!
Und begrabt ihn, daß ich sein leztes Girren nicht höre. –
Aber ich selbst muß mich seiner erbarmen; der Himmel ist eisern,
Und die Erde ist eisern: ich selbst muß mich seiner erbarmen! –
Ich will ihn schlachten, eh Hunger ihn tödtet. Wie Abraham seinen
Isaak schlachtete, will ich ihn schlachten. Vielleicht daß in jenen
Hekken sich dann mir ein Bok entdekket, wie jenem: dann wollt ich
Froh ihn nehmen, den Bok, ihn würgen und meinem Enkel
Niedliche Bissen bereiten und mit seinem Blute ihn tränken;
Denn der Fluß ist vertroknet und Seen und Teiche sind Sümpfe.«
Und nun sizt er und sinnet. – Nun hebt er den dürren, entnervten
Arm und durchboret das Herz des Enkels – doch schleunig von innrer
Heftiger Reu ergriffen, zieht er mit bebenden Händen
Bleich, den Dolch aus der Brust des Kindes und wirft ihn weit von sich.
»O verfluchtes Eisen!« ruft er und rauft sich die weissen
Haare aus dem Haupt, und heulet mit furchtbarer Stimme.
Aber der Knabe sinkt hin, fällt von seinem Schooß auf die Erd
Zappelt im Blut und schreyt nicht, nein erstikket im Schreyen.
Grausamer Stoß du bist geschehn. Umsonst stürzt der Alte
Auf das durchstochene Herz des Ermordten und hält mit blassen
Lippen das gewaltsam aussprudelnde Blut auf. Noch einmal
Schreyet das Kind, noch einmal zukt es den Mund und wirft die
Schon erstarrende Hand mit Angst der röchelnden Brust zu;
Da entflieht seine Seele, und bald wird Hunger und Ohnmacht,
Reu und Wuth und Verzweiflung auch seinen Mörder entseelen.
Nahe dich Muse! der Stadt, dem Sammelplaz schändlicher Thaten,
Dieser Geburten der harten und menschenfeindlichen Herzen,
Wenn die Noth sie beklemmt. Von unabsehbaren Heeren
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Schreklich umzingelt liegt sie: in ihren Maureu verbreitet
Hunger und um sie von aussen der Feind, ein anhaltendes Sterben.
Göttin Aurora, so sahst du, so oft du dein Zelt an dem Himmel
Aufschlugst Jerusalem ehmals von aussen mit Spiessen umpflanzet,
Und inwendig voll schwarzer entstelleter Leichen. –
Schaut: wie hier Nebukadnezare, gierig entbrannt sind die Blikke,
Auf den Aesern liegen und selbst halb Aas sie verzehren.
Ueber sie flattern neidische Krähen und scheltende Raben
Stehlen sich oft hinzu, und theilen mit ihnen die Beute.
Jünglinge nagen die Zähne stumpf an Sätteln, und Greise
Füllen mit stinkendem Mist den ekelloßschmachtenden Schlund an.
Aus jenem dumpfen Gewölb erwacht eine klägliche Stimme,
Und ich gukke durchs äussere Gitter. – Entsezliches Schauspiel!
Würdig die Hölle zu zieren! Vom schröklichsten Dunkel beschattet,
Schlachtet ein wüthendes Weib ihr Kind. Umsonst fällt es nieder,
Dreimal nieder aufs Antliz und flehet mit heissen Tränen
Mit erblaßtem Gesicht und lautem Zittern und Schluchsen
Um sein jugendlich Leben; vergeblich schlingt es die Aermchen
Um die stampfenden Füsse der Mutter. Oft zwar empöret
Sich das Muttergefühl, es schwillt der abscheuliche Busen
Der das unschuldige Opfer genährt, von erschütterndem Schmerze,
Und der ausgestrekkete Arm weicht kraftloß zurükke;
Aber ihn lenket die Macht der Höll', er vollführt, er vollführet,
Er vollführet den schröklichsten Streich. Sie schreyt, sie mordet und knirschet,
Rauft ihr Haar mit der Linken, und tödtet ihr Kind mit der Rechten.
Bebst du, Muse? Verlaß sie, verlaß die verfluchteste Scene!
Laß die Höll' ihre That mit gräßlichem Heulen besingen!
Stimme die silbernen Sayten die solch ein Thema erniedrigt!
Sieh, dort ruft eine edlere Mutter die hungrigen Kinder
Traurig zusammen; sie hat vom kleinen Reste des Mehlkorbs
Und des Oelkrugs das lezte nothdürftige Mahl zubereitet:
»Kinder, die ich mit Schmerzen gebar, mit größerem Schmerze
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Seh ich euch sterben. Kommt! erquikket die schmachtende Zunge!
Dann, mit brechendem Herzen will ich euch segnen, ihr Satten!
Und will sterben.« Nun pflanzt sich das magre Geschlecht um die Schüssel –
Schnell ist sie leer. Mit Wangen auf welchen die Tränen vor Hizze
Stehn blieben, schlang die Jugend eilfertig die sparsame Kost ein:
Und nun sizzet sie sprachloß: noch tobt der müßige Magen
Und der Gaumen vertroknet, wie heisses Eisen, auf welches
Wenige Tropfen fallen; die Tränen rollen von neuem.
Aber die Mutter, sie hat für ihre Kinder gefastet,
Hebt die Augen zum Himmel, ihr mütterlich Herz ist in Aufruhr:
Balde sinkt sie, zu heftig von Schmerz und Liebe bekämpfet,
Von ihrem Siz zu Boden. Erschrokken stürzen die Kinder
Auf sie: »Mutter, stirb nicht! stirb nicht geliebteste Mutter!«
Aber ihr Geist verläßt sie. Der lezte Blik ihrer Augen
Ist noch mitleidig zärtlich auf ihre Kinder geheftet;
Zwar sie kann nicht Worte stammeln, nicht Seufzer erpressen,
Denn die Zung' ist gebunden, ihr sterben die Seufzer im Busen;
Aber inwendig rufet ihr starkes Geschrey zu dem Höchsten,
Zum dem Höchsten, der Raben ernährt und krümmenden Würmern
Auf ihrer langsamen Reise die Speis' entgegen führt. Und der
Herr, der Erbarmer hörts und spricht: – es feyern die Himmel –
»Ich will aufhören, sie zu plagen. Sie sind meine Kinder,
Ihr Geschrey ist vor mir gekommen. Ich hörte dich röcheln!
Stimmen des Todes, ich hört' euch. – Flieh, verderbender Hunger!«
Wie ein räubrischer Adler, wenn hezzende Stimmen der Jäger
Und das schmetternde Hüfthorn weit durch die lauten Gesträuche
Tönen: er lauschet und regt die schwarzen Fittige, hebt sich
Und beschattet die Wipfel der Linden; dann fliegt er zur nächsten
Eiche, schwingt sich empor, durchschiffet die seufzenden Lüfte,
Wird dicht unter den Wolken zur Lerche – und verschwindt dann:
So schrekt den gierigen Hunger der Ruf des allmächtigen Vaters;
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Ungern verläßt er die Erde. Da regnet der eiserne Himmel.
Dankbar richten die Blumen sich auf: die schwimmenden Wiesen
Und die Hügel und Hayne beginnen zu lächeln; die Teiche
Schwellen empor und die stillen Flüsse murmeln von neuem,
Wie dem Ohnmächtigen, wenn ihn ein Balsam erfrischet, das Auge
Wieder entwölkt wird, die Glieder sich regen, und langsam zum Herzen
Durch die schlaffen Adern sich das belebete Blut drängt.
O wie sammlen die Menschen den nassen Regen des Himmels
In Gefässen auf, und löschen die brennenden Schlünde!
So drangen einst die Hebräer mit offenen Mäulern und Krügen
Zu dem strömenden Felsen, wie hier die lechzende Menge
Unter geöfneten Wolken harrend stehet und Wasser
Einerndtet, dann ihre Beute liebkosend und jauchzend ins Haus trägt,
Wo sie sich labt, erquikter als Funchals Fürst bei Pokalen.
Balde winken die Früchte von wieder umkleideten Bäumen,
Und in den leeren Vorrathskammern der Hülsen der Aeren
Keimt der Segen des Landes. Doch kennt die heisse Begierde
Keine Geduld, noch läßt sie der wohlthätigen Erde
Und dem Thau des Himmels und den nun fruchtbaren Stralen
Zeit die Körner und Früchte zu reifen. Heimlich unmuthig
Ueber den Lauf der Natur entreissen zalenlose Hände
Die vom angestammeten Gift nicht befreite, unzeitge
Nahrung den sträubenden Halmen: und sieh! die verderbende Seuche
Schwebt, ein weitausgebreitetes Ungeheuer über die satten
Städte, und droht mit scheußlichlächelndem Antliz den Schlemmern,
Die von neuem an Tafeln, beladen mit Mißbrauch und Wollust,
Den verkennen, der Thau an Spizzen der Gräsgen und Tropfen
An die Kronen der Aeren hängt und die Erde befruchtet.

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TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Zweites Buch. Die Hungersnoth. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E22E-D