[28] Aus: Zweytes Hundert Christlicher Lieder

1780.

3. Sonntags-Lied

O du, der einst im Grabe lag,
Herr, heilig sey uns dieser Tag!
An diesem Tage giengest du
Verklärt aus deiner Todes-Ruh!
Du zeigtest dich der Jünger-Schaar,
Die andachtsvoll versammelt war;
Wie war sie vor Erstaunen bleich,
Da du sprachst: Friede sey mit Euch!
Wie unaussprechlich war entzückt
Die Schaar, die näher dich erblickt!
O! mögten, Christus, wir uns dein
Gleich deinen Jüngern herzlich freun!
Du lebst, und lebst für uns, und bist
Auch unser, unser Jesus Christ!
Du siehst und hörst uns, singen wir,
Und unser Loblied dringt zu dir!
[28]
Und von dem Himmel rufest du
Im Geist auch unsern Herzen zu!
Ihr Kindlein: Friede sey mit Euch,
Auch Euer ist mein himmlisch Reich!
Vergässen wir nur deiner nicht!
Nur Lust wär uns die schwerste Pflicht!
Du lebst für uns, o glaubten wir,
Wir lebten und wir stürben dir!
Die gerne hörten wir dein Wort!
Wie schritten wir im Guten fort!
Wie froh, wie andachtvoll, wie rein
Würd' unser Herz und Leben seyn!
Wie aufmerksam vernähmen wir
Heut jeden Unterricht von Dir!
Wie unerträglich wär uns heut',
Was unsern Geist von dir zerstreut!
Drum send' uns, Jesus, deinen Geist,
Der stets an dich uns denken heißt!
Sey immer nah uns, Jesus Christ,
Der du vom Tod erstanden bist!

11. Fürbitte für ein fehlbares Kind

(In den Schulen oder in den Familien.)


Ach! tiefgebeugt erscheinen
Wir, Herr, vor dir und weynen
Empor zu deiner Vater-Huld:
Trag mit dem Fehlenden Geduld!
Gieb, Vater, seine Sünden
Ihm lebhaft zu empfinden!
Gieb seinem Herzen Schaam und Reu
Und Abscheu vor der Heucheley!
[29]
Sprich laut in dem Gewissen!
Laß reine Thränen fließen,
Und schreckt ihn, Richter, dein Gericht,
So schenk' ihm wieder Zuversicht!
Und hast du ihm vergeben,
So hilf ihm, heilig leben!
Gieb ihm zur Tugend neuen Muth
Und seegn' ihn, wenn er Gutes thut!
Bewahre, Vater, alle!
Wer steht, daß er nicht falle,
Der wach und beth und halte sich
An Gott! Und Gott spricht: Hie bin ich!
Wie elend sind die Sünder!
Wie seelig Gottes Kinder!
Ach! laß von aller Sünde rein
Uns, Vater, deine Kinder seyn!

85. Christus muß wachsen; ich aber muß abnehmen

Am Neujahrstage 1780


O Jesus Christus wachs' in mir!
Und alles andre schwinde!
Mein Herz sey täglich näher Dir
Und ferner von der Sünde!
Laß täglich deine Huld und Macht
Um meine Schwachheit schweben.
Dein Licht verschlinge meine Nacht,
Und meinen Tod dein Leben!
Beym Sonnenstrale deines Lichts
Laß jeden Wahn verschwinden,
Dein Alles, Christus, und mein Nichts
Laß täglich mich empfinden!
[30]
Sey nahe mir, werf' ich mich hin,
Weyn' ich vor Dir im Stillen!
Dein reiner gottgelaßner Sinn
Beherrsche meinen Willen!
Blick immer herrlicher aus mir,
Voll Weisheit, Huld und Freude!
Ich sey ein lebend Bild von Dir,
Im Glück, und wenn ich leide!
Mach alles in mir froh und gut,
Daß stets ich minder fehle,
Herr, deiner Menschenliebe Glut
Durchglühe meine Seele!
Es weiche Stolz, und Trägheit weich',
Und jeder Leichtsinn fliehe,
Wenn, Herr, nach dir und deinem Reich
Ich redlich mich bemühe.
Mein eignes eitles leeres Ich
Sey jeden Tag geringer!
O würd' ich jeden Tag durch dich
Dein würdigerer Jünger!
Von Dir erfüllter jeden Tag!
Und jeden von mir leerer!
O du, der über Flehn vermag,
Sey meines Flehns Erhörer!
Der Glaub an dich, und deine Kraft
Sey Trieb von jedem Triebe!
Sey du nur meine Leidenschaft!
Du meine Freud und Liebe!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lavater, Johann Kaspar. Aus: Zweytes Hundert Christlicher Lieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DC6A-9