Heinrich Lautensack
Die Pfarrhauskomödie
Carmen Sacerdotale
Drei Szenen

Personen

[160] Personen.

    • Achatius Achaz, Pfarrer.

    • Johann Vincenz Mauerermeier, Kooperator.

    • Ambrosia Lindpaintner.

    • Irma Prechtl.

1. Szene

Die erste der drei Szenen

Die Zeit der Frühmesse. Eines Sonntags.
Drüben läutets Wandlung. Hoch vom Turm. Die beiden, der Pfarrer und die Ambrosia, lösen die Hände auseinander, die sich bis dahin hielten, und bekreuzen sich zu diesem Augenblick und schlagen an die Brust, so wie man muß und wie mans, seit man denken kann, in der Gewohnheit hat.
Dann eine ganze Weile Schweigen.

AMBROSIA
mit einer Feindlichkeit im Ton.
Du, die ist noch nicht aufgestanden, du.
ACHATIUS
der nicht gern darüber reden möchte, fragt drum fürs erste lieber, obwohl er genau weiß, wer gemeint ist.
Wer?
AMBROSIA.

Na, die Neue.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und dieses, das sie jetzt sagt, sagt sie ganz ohne Feindlichkeit und so lieb fast, wie eine Frau zu einem kleinen Kind, das unterhalten sein will. Aber jetzt, jetzt. Hörst?

ACHATIUS
geht ziemlich auf den Ton ein.
Ja. Und horcht eine ganze Weile.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ja, jetzt steht sie also auf.
AMBROSIA.
Ja. Jetzt. Sie sagt das sehr vorwurfsvoll, sehr strafend.
ACHATIUS
entschuldigend.
Sie hat auch keine leichte Herreise gehabt, bis her zu uns. Ich glaub, an sieben Stund.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und nun muß er doch das Thema anschneiden und will auch. Du magst sie nicht?
AMBROSIA
seufzt.
Ach.
ACHATIUS.
Das ist schon begreiflich.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
[163]
Aber sie nimmt dir nichts. Für die paar Monat.
AMBROSIA
wimmert.
Für die paar Monat.
ACHATIUS.
Nimmt sie dir denn was?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Dann bist dann du, dann bist du wieder da. Bei uns. Und sehr leise. Bei mir.
AMBROSIA
ganz Wunsch, daß es so sei, und zugleich so befriedigt, als obs schon wäre.
Bei dir, Achaz. Bei dir.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nun wieder seufzend und wimmernd.

Wenns nicht so schwer sein tät. So gar so schwer. Das was jetzt kommt. Das was mir jetzt bevorsteht. Ich bin so jung nimmer, ich bin schon –

ACHATIUS
fällt ihr in die Rede.
Du.
AMBROSIA.
Ich bin so jung nimmer. Nimmer die jüngste. Ich bin so jung nimmer. Ich kanns voraussagen –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
In Sterbensangst. Du, wenn ich –
ACHATIUS.
Du. Du, du.
AMBROSIA.
Du, wenn ich –
ACHATIUS.
Du.
AMBROSIA.
Ich bin so jung nimmer. Ich überstehs nicht. Ich überdauers nicht. Ich bin schon –
ACHATIUS
ächzend.

Du.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Mit leisem Vorwurf. Gegen sie und sich selber. Wie oft ist jetzt die Red schon zwischen uns von dem gewesen –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Vertraun. Vertraun. Aufschaun zu IHM.

AMBROSIA
die Hände, die fast alte Weiberhände sind, fahren ihr mädchenhaft genug empor und suchen die Augen zu verdecken.

Wie singend. Aufschaun? Zu IHM? Aufschaun? Ich kann nicht aufschaun. Ich kann nimmer. Ich trau mich nimmer. Nein. Nein, nein. Nein, nein. Ich darfs gar nimmer. Nein.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[164]

Andere Melodie. Wir. Zwei so alte Leut. Und daß uns das noch – oh, daß uns das noch – oh – 's ist nicht zu sagen. 's ist kaum zu glauben.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Steht schnell auf. Nach seiner Hand langend. Du, ich mein, sie kommt. Horcht. Ich hab ihr in der Küch' draußen alles hingstellt. Ihren Kaffee – ich schau nur schnell noch nach. Hält seine Hände.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und alles zu Mittag hab ich lang ang'richt. Und fürn Koprator – Aber ich schau noch nach. Sie geht nach der Küche.

ACHATIUS
geht wartend umher.

Und viele Male an der Brille rückend. Denkt an seine Predigt und an was er Ambrosia noch sagen möchte.


Grad als ob sichs heut schlechter durch die Brille sah als sonst. Drum, wie seine Sehkraft prüfend, sieht er den Rest des Wartens zum Fenster hinaus.

Wie die Ambrosia dann zurückkommt, zählt sie anstelle eines Geeigneteren vorerst ihre unterschiedlichen Gepäckstücke, ganz ohne aufzusehn und Achatius anzusehn, noch einmal nach. Nämlich die liegen auf dem Tisch, auf dem Kanapee, auf der Kommode und auf zwei Stühlen. Alles Wäsche- und Kleidungsstücke. In Bündeln. In Leinentücher, geränderte Halstücher und bunte gar großformatige Schnupftücher eingeknüpft. An einem der Stücke löst sie nun einen Knoten auf und knüpft ihn dann um so fester zu. Und erst ganz gen Ende dieser Arbeit, die ein wenig müßig scheint, findet sie ein paar Worte, die die Situation von vorhin neu geben sollen, die halb einen zu einer Fortsetzung des früheren Gesprächs aufmunternden Sinn haben und doch im Ton zur Hälfte abweisend sind. Ich hab ihr gsagt, du bist noch da herin. Das heißt soviel wie sie soll nicht hereinsehn jetzt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


[165] Und setzt sich dann und sitzt, wie eine Bäuerin im Wartesaal eines Bahnhofs, inmitten ihrer Bündel.
ACHATIUS
macht erst zur Einleitung ein paarmal.

Hm. Es ist schwer, was er sagen will.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ambrosia, das mit der Sünde, das mit dem Sündgefühl, das du mir gsagt hast, mit dem nicht Aufschaun können –

schau frei auf!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Was sind wir? Menschen. Ich bin auch nur ein Mensch. Das ist eben Erbsünd. Herausfordernd. Aber möchts in vielen was man so Ehen nennt, in christlichen Ehen, möchts in gar vielen nur grad sein als wie –

wie zwischen uns zwei! Das ist keine Sund nicht.

AMBROSIA.

Das sagst du jetzt, Achaz, das sagst zu mir, weil –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das sagst du jetzt und sagst nur jetzt zu mir, weil ich jetzt so bin – Ja, jaja. Eija.

Verweisend. Du, bitt dich, nimm mirs nicht in Übel, aber wie hast du früher gsagt, wies angfangt hat, dasselbige mit uns, selbiges zwischen uns? Da hast du gsagt, du nimmst die Schuld auf dich, die ganze Schuld, die doppelte, auf dich, die meinige wie die deinige, auf dich, und trittst dann gradaus hin vor unsern Herrgott. Denn ich bin frei von Sund, so hast du gsagt. Ja. Denn mir vergibst dus ja, wie ich dirs beicht. Ja. In heiliger Beicht, kraft deines Priesteramts. Du bist als Beichtvater an Gottes Statt und absolvierst mich! Dortmals hast du so gsagt, heut sagst du so. Heut sagst du gar, es ist – ist überhaupt nicht Sünd –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wimmert wieder. Ich kann nicht aufschaun!

ACHATIUS.
Ambrosia.
AMBROSIA
es hat sie wie ein Fieber gepackt.
Jetzt weiß ich, was ich tu –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
[166]
Ich geh jetzt – und –
komm nimmer wieder –
ACHATIUS
beispringend.
Du!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ganz eigen. Und's Kind? Und's Kind? Und unser Kind!
AMBROSIA.
Ach Gott –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Sie weint. Weint sehr und lang. Weint, wie um sich zu erlösen. Denn nun ist manches ausgesprochen, und für manches andere, das noch unausgesprochen blieb, gibt es in dieser altbayerischen Denk- und Redeweise keine Worte.
Weinen, weinen. Das Weinen eines Weibleins, das über seine jungen Jahr lang hinaus ist.
Und nun endlich hat sie mit Weinen aufgehört.

Und nun kann Achatius seine paar Fragen tun. Äußerliche. Geschäftliche sozusagen. Die Frühmeß ist gleich aus. Ich hab jetzund Amt und Predigt vor mir. Seh ich dich nachher nimmer?

AMBROSIA.
Nein. Ja. Nein.
ACHATIUS.
Zu wann hats dich denn unser Posthalter wissen lassen? Wann solls denn fortgehn mit dir?
AMBROSIA.
Zu nach der Frühmeß. Während Amt und Predigt.
ACHATIUS.

So.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Dann geht er auf sie zu. Und in drei Wochen komm ich dann das erste Mal zu dir hinüber. Recht so? Ja?

AMBROSIA
schmiegt sich an ihn.
Ich möcht –
ACHATIUS.
Na was denn?
AMBROSIA
so wie sie diese folgenden Worte sagt, so rankt, so klammernd rankt sich Efeu an einem Stamm hoch und höher.
Ich möcht –
zuvor die Predigt noch hörn von dir, Achaz –
ACHATIUS
preßt sie unwillkürlich und jäh an sich.

Dann zwingt [167] er sich zu einem Lächeln, zu fast einem Lachen. Die ist nicht sonders neu, die kennst du lang schon.

AMBROSIA
wiederholt nur.
Zuvor die Predigt noch hörn von dir, Achaz –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Achaz –

Da setzt Läuten ein, da läutets Sanktus von drüben.
ACHATIUS.

Alsdann – Er nickt ihr zu und geht. Er muß nach der Kirche.

Eine Weile; und Ambrosia geht zur Tür, die nach der Küche führt, und öffnet die und ruft verschiedene Male. Prechtlin. Prechtlin. He! Prechtlin.

IRMA
von draußen antwortend.
Ja? Dann tritt sie ein. Den letzten Bissen ihres Frühstücks kauend.
AMBROSIA
nicht allzu freundlich.
Paßts auf, Prechtlin. Der Koprator muß gleich da sein. Und da will er seine Frühmahlzeit.
IRMA.
Ich kann mirs denken.
AMBROSIA.

Und wenn Hochwürden aus der Predigt kommt, wenns Amt aus ist, dann steht auch schon ein Bissen und eine Taß Fleischsuppen auf dem Tisch.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Er ist viel hungrig jedsmal. Nach Amt und Predigt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

So. Und's Andere wißt ihr? Alles? Alles genau?

IRMA: Alles genau. Eija.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Was nun kommt, das ist nicht etwa purste Gemeinheit von der Irma. Irma sieht teils diese Ambrosia eben als ihre Kollegin an, und so macht sie vertraut sein mit ihr, und so sollen, so meint sie, keine großen Geheimnisse zwischen ihnen beiden sein. Zum andern Teil ist etwas Lauerndes in Irmas Fragen und sind ihre Fragen von einem etlichen Neid diktiert, darum daß Irma hier nur wieder Aushilfsperson sein soll und ihr wie [168] schon öfter eine feste dauernde Stellung wieder nicht winkt. Darum: wie sie Kollegenschaft aufsucht, das ist begreiflich, denn Irma ist ein Weib; und daß sie von Neid erfüllt ist, das scheint mir noch begreiflicher, denn Irma ist ein Weib, das anders noch Weib sein möchte und zu wiederholten Malen nun schon zusehn muß, wie solche Ambrosien längst und gut unter der Haube sind. ... So fragt sie nun. Wann gehts denn schon dahin mit euch? Jetzt gleich?

AMBROSIA
nimmt die Gepäckstücke, die auf dem Tisch liegen fort und legt sie woanders hin und antwortet nicht.
IRMA.
Na, und nachher kommts wieder zurück, wenns –
wenns vorbei ist?
AMBROSIA
mit einer plötzlichen Angst, sich etwa vor dieser Irma zu verraten, mit einer solchen Angst, daß sie sich dreifach verrät.
Wenns – wenns vorbei ist?
IRMA.
Na ja. Ihr seids doch hops?
AMBROSIA
versteht den Ausdruck wirklich nicht.
Was heißt hops?
IRMA.
Na, schwanger seids!
AMBROSIA
die bis jetzt wähnte, kein Mensch außer Achaz und ihr wisse davon, könne davon etwas wissen.
Wie flehend. Nein.
IRMA.
Ja. So recht trocken.
AMBROSIA
noch flehender.
Nein.
IRMA
noch trockener.

Ja.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Gar nicht so eifrig oder übelhaberisch begründend. Sehr ruhig, sehr selbstverständlich. Das sieht man doch. Wenn einer halbwegs Augen im Kopf hat –

Abschätzend. So an die sechs – na – oder sechseinhalb Monat –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In diesem Augenblick tritt der Kooperator, der Vincenz Mauerermeier, von draußen ein. Grüßt. Guten Morgen.

AMBROSIA
daß sie nicht aufschrie, als wäre der Kooperator ein Gespenst, das gerade nicht.
Aber es hätte wohl nicht viel dazu gefehlt.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
[169]
In solcher Verfassung bedeutet sie nun der Irma. Den Kaffee für Hochwürden –
IRMA
gebt nach der Küche.
VINCENZ
natürlich ganz ahnungslos.
Wann fahrts ihr denn fort, Köchin?
AMBROSIA
wieder so fast flehend wie vorhin.
Nach dem Amt –
VINCENZ.

Ich schau nur erst noch auf mein Zimmer, Köchin, und komm dann zum Kaffee – Geht durch die Tür ab, durch die man zur Küche hinausgeht.

Und Irma bringt auch schon die Frühmahlzeit herein. Sie hat sich das Erstrecken der Ambrosia vorhin beim Eintreten des Kooperators ziemlich falsch ausgelegt. Sie fragt nun ganz in ihrer Art weiter, indem sie sich den noch vom Frühstück fettigen Mund mit der Schürze wischt. Na. Und aber – von wem seids denn hops?

AMBROSIA.
Von – wem?
IRMA.
Na ja. Von dem oder von dem?
AMBROSIA.
Von dem oder von dem? Sie fliegt am ganzen Körper.
IRMA
ungeduldig.
Vom Pfarrer oder vom Kooperator?
AMBROSIA
begreift durch diese letzte Frage erst vollends und spürt die ihr ungeheuerlich scheinende Zumutung wie einen physischen Schmerz.
So weint sie statt aller Antwort und aller Verteidigung laut auf. Eine ganze Weile.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Du Mein Gott, oh du Mein Gott! Jetzt du Mein Lieber Gott –

Läuft ab nach der Küche.
Das Amt drüben wird eingeläutet.
IRMA
bleibt sehr ratlos zurück.
Und fängt unter Kopfschütteln an, den Tisch zurechtzumachen.
VINCENZ
kommt wieder.

Setzt sich umständlich. Sehr umständlich sogar. Dieser Neuen wegen. Und des Ungewohnten, das mit ihr kam. Dann siegt der Hunger aber doch über die Verlegenheit, und der Kooperator beginnt eine sehr reichliche Frühmahlzeit. Stumm. Stark dreinhauend, wie man hier sagt. Ganz Kauwerk. Einfach nicht aus der Rolle zu bringen.

[170]
IRMA
steht wo und schaut bald auf den schlingenden Geistlichen, wie darauf wartend, daß er ihr etwas befehle oder sich sonst mit ihr ein wenig unterhalte, bald zu den Fenstern hinaus, hinüber nach der Kirchenwand.

Da kommt auch Ambrosia wieder herein. Aber noch gar nicht erholt von ihrer Bestürzung von vorhin. Ich hör mir drüben noch die Predigt an – Wenn der Posthalter derweil schicken sollt, so –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

so – Ergänze. sagt ihm –

ich hör mir drüben noch die Predigt an.


Sie geht ab. Hinüber nach der Kirche.
Und das Einläuten des Amtes geht hier zu Ende.
VINCENZ
ißt und ißt und ißt.

Und endlich beginnt, angeregt durch die Irma, langsam eine Unterhaltung, die sich in ihrer ersten Hälfte sehr, sehr innerhalb der niederbayerischen Grenzen zu halten weiß. Eine Unterhaltung begleitet mit Essen. So wie sonst oft ein Essen mit Musik begleitet ist.

IRMA.

In einer Tour weint sie.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Indes, das scheint ihr Partner wenig gehört zu haben. So sagt sie es nochmal. Sie weint grad in einer Tour fort.

VINCENZ
der gerade einen Lammsknochen in der Arbeit hat.
Wer?
IRMA.
Eure Köchin.
VINCENZ
philosophierend und zugleich mit Fingern und Zähnen von dem Lammsknochen abschälend.
Das ist auch nichts Leichtes, was sie hat –
IRMA
langsam.
Ich will ja nicht sagen, daß es was Leichtes ist, was sie hat –
VINCENZ
wie oben.
Und sie selber ist grad die Jüngste nimmer –
IRMA.

Freilich, freilich. Es ist nicht grad was Leichtes, was sie hat. Und sie selber ist grad die Jüngste nimmer. Aber –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[171]

Aber gar so schwer, so gar soviel schwer ist es wieder auch nicht. Das weiß sie, so, wie man so etwas eben weiß.

VINCENZ
der aber muß mit dem Essen innehalten und sie sehr dumm ansehn.

Gedehnt, sehr gedehnt. Was? Und überlegt etwa bei sich: ist er, der Vincenz, denn um soviel dümmer als diese Neue, daß er sich sowas sagen lassen muß?.

IRMA
wiederholts.

Wort für Wort. Und offenen Gesichts. Es ist freilich grad nichts Leichtes, was sie hat. Und sie selber ist grad die Jüngste nimmer. Alles schön und gut. Aber – aber gar so schwer, so gar so viel schwer ist es wieder auch nicht. Nein. Nein, nein.

VINCENZ
der möchte in diesem Augenblick fast einen völligen Eid darauf schwören, daß er um gar viel dümmer sein muß als diese Irma Prechtl.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Er kann nichts sagen. Er ist schlechthin überzeugt. Wenn dabei auch maßlos verwirrt.
IRMA
in grader Linie weiter.

Und zu einem Abschluß ihrer Meinung drängend. Sie wirds überdauern. Gewiß wird sies überdauern. Ganz gewiß. Warum soll sies denn nicht überdauern?

VINCENZ
das ist ihm nun doch ein wenig zuviel.

Überdauern? Das glaub ich nicht. Davon kann gar keine Red sein. Absolut nicht. Sie wirds eben nicht überdauern!

IRMA
nun geht es ihr ähnlich wie erst dem Kooperator.
Das glauben –
Das glauben Sie nicht?
VINCENZ.
Nein, das glaub ich nicht. Das glaub ich gar nie und nimmer. Wie heut die Sache steht –
Es soll gar schlimm stehn! Recht gar schlimm –
IRMA
verzweifelnd.

Aber so gar so schlimm kanns doch noch gar nicht stehn! So gar so weit ists doch noch gar nicht! Sie denkt stark an die sechs oder sechseinhalb Monate, die sie abschätzte. Das ist – übertrieben.

VINCENZ.
Das ist gar nicht übertrieben. Gar nicht –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
[172]

Und da spielt er den letzten Trumpf aus. Sie ist in tausend Ängsten, daß sie sie überhaupt nimmer am Leben antrifft!

IRMA
beinahe stammelnd.
Was? Wen? Am Leben?
VINCENZ.
Die Mutter.
IRMA.
Was –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Was für eine Mutter?
VINCENZ
nun beinahe grob, so sicher ist er seiner Sache wieder.
Na, die Mutter von der Köchin!
IRMA
aus tausend Gründen nicht viel freundlicher als er.
Die Mutter von der Köchin?
VINCENZ
noch ein wenig gröber.

Ja, von was red ich denn die ganze Zeit, wenn ich nicht von der Mutter von der Köchin red? Und von was reden wir denn überhaupt die ganze Zeit, wenn wir nicht von der Mutter von der Köchin reden?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Resümierend. Nicht ohne Verve. Da ist die Mutter von der Köchin. Nicht? Na also. Und kränkeln tuts schon lang genug, die alte Mutter von der Köchin. Die alte Mutter, die alte – na ja, wo unsere Köchin selber, ihrige Tochter, unsere Ambrosia, grad keine von den Jüngsten mehr ist. Sie muß sogar sehr alt sein, die Mutter von der Köchin. Und jetzt liegts auf n Tod, die alte Mutter. Und die Ambrosia ist in tausend Ängsten – so hat mir wenigstens der Pfarrer gsagt – daß sie, wenn sie jetzt hinüberfahrt zur Mutter, ans Sterbebett, daß sie sie überhaupt gar nimmer am Leben antrifft. Daß sie statt an ein Sterbelager ans Totenbett – an einen vollbeschwerten Sarg kommt.

IRMA.
So hats Euch – wenigstens – der Pfarrer gsagt?
VINCENZ.

Ja und so hats mir der Pfarrer gsagt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nun hat er die Sache geklärt. Er ist mit sich selbst zufrieden. Das ist sehr deutlich aus dem Ton herauszuhören, in dem er dieses Folgende, diesen Schlußschnörkel sozusagen, anbringt. Und dann muß die Ambrosia eben gleich für eine Zeitlang daheim [173] bleiben. Dem alten Vätern für die ersten Wochen die Wirtschaft tun. Wie sichs ghört. Dem alten Vätern. Und deswegen ists – wie mir der Pfarrer gestern auf d' Nacht nochmal gsagt hat, ja – deswegen ists, daß es gradhin vier oder viereinhalb Monat währen kann, bis daß unsere Ambrosia wieder zu uns zurückkommt.

IRMA.
Wie Euch der Pfarrer gestern auf d' Nacht nochmal gsagt hat?
VINCENZ.

Ja.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und nun noch schnell einen allerletzten Schnörkel. Und so lang, bis daß die Ambrosia wieder zurückkommt, seids eben ihr da. Punktum.


So war es denn nun an Irma, daß sie im Verlauf dieser Darlegungen erst immer verwirrter wurde, bis sie dann mit einem Mal erschreckend klar sah. Und da steht nun das Weibsleut da, in Staunen, nein in Entsetzen vor soviel Naivität des Vincenz, vor soviel blinder Überzeugung und Unerschütterlichkeit, wo ihn doch ein, nur ein einziger halbwegs kundiger Blick auf die Schürze der Ambrosia längst hätte eines ganz andern belehren müssen. Und kann keine Silbe mehr hervorbringen. Nur noch einen Seufzer.
VINCENZ
der Sieger, herablassend.
Und – seids ihr öfters schon in einem Pfarrhof gewesen?
IRMA
für jeden andern als für Vincenz wäre das nur sehr schwer mißzuverstehen, was sie nun sagt.

Das ist meine dritte, schon meine dritte derartige Stellung. Immer weint eine in einer Tour fort, wenn ich komm, weil ihr so ein altes Elternleut am Sterben ist, und weil sie in tausend Ängsten glaubt, daß sie statt ans Sterbelager an ein Totenbett – an einen – wie habts Ihr vorhin gsagt –

VINCENZ
geschmeichelt.
Und an einen vollbeschwerten Sarg, hab ich gsagt –
IRMA.
Ja.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
[174]

Immer also ist es so. Und das ist schon meine dritte derartige Stellung. Ich bin die reinste Aushilfsperson!

VINCENZ.
So
IRMA
heftig.
Ja, die reinste Aushilfsperson bin ich!
VINCENZ.

Na. Aber das galt weniger ihr und ihrem Reden als seiner Frühmahlzeit, die er nun völlig bewältigen will.

IRMA
überlegt nur ganz kurz.

Dann weiß sie, was sie will, bis aufs kleinste. Dann weiß sie jedes Wort, das sie bis ans vorgefaßte Ziel reden wird. Das ist das Zigeunerische, von dem ich schon einmal sprach. Wenn mans zigeunerisch nennen kann. Es kommt ein eigener Rhythmus in ihre Rede. Und – jetzt geh ich in die Küche, den Sonntagsbraten aufs Feuer setzen, denn Arbeiten gilt noch vor dem Kirchengehn, und –

erst hab ich Euch nicht für ganz so gutgläubig gehalten, Herr Kooperator!

VINCENZ.
Was?
IRMA.
Aber nun muß ich Euch ganz dafür halten, für gar viel gutgläubig und –
muß in die Küche hinausgehen und den Sonntagsbraten aufs Feuer setzen!
VINCENZ
fährt auf seinem Stuhl eine ganze halbe Wendung herum.
Wie?
IRMA.

Nur –

gar so gutgläubig, um nichts anderes zu sagen, ist keiner von den andern zweien in den zwei Pfarrhöfen gewesen, in denen ich schon früher zur Aushilfe gewesen bin. So gar so gutgläubig seids nur Ihr, Herr Kooperator!

VINCENZ
beschwörend.
Köchin! Was ist denn jetzt –
IRMA.

Erst hab ich glaubt, Ihr könnts Euch rasend gut verstellen – und Ihr, und nicht der Herr Pfarrer wärts der gewesen, der die Sach mit der Ambrosia angestellt hat!

VINCENZ.
Der die Sach mit – Köchin!
IRMA.
Ja – von dem nämlich die Ambrosia hops ist!
VINCENZ
kennt den Ausdruck noch weniger als früher die Ambrosia.
Was heißt hops?
[175]
IRMA.
Schwanger!
VINCENZ.
Was heißt schwanger?
IRMA
nicht ganz ohne Humor.

Aber Ihr werdets doch wohl wissen, was schwanger heißt!

Und jetzt werden Euch doch endlich die Augen aufgehn und Ihr werdets nicht länger mehr glauben, daß Schwangersein etwa nur soviel heißen soll, daß eine alte Mutter im Sterben liegt und man in tausend Ängsten lebt, daß man sie überhaupt nicht mehr –

Der Herr Pfarrer, das muß man sagn, das kann man mit bestem Gewissen sagn, der Herr Pfarrer hat Sie schön anglogen, Herr Kooperator. Mit dem, was er Ihnen gestern auf d' Nacht nochmal gsagt hat!

VINCENZ.
Angelogen?
IRMA
geht auf ihn zu.

Und rührt ihn fast an, und das fast hurenhaft an, wie sie nun sagt, und fast hurenhaft sagt. Sind Sie ein Kind, Hochwürden Herr Kooperator!

VINCENZ.
Köchin –
IRMA.

Also die Ambrosia ist schwanger, vom Herrn Pfarrer schwanger, und das ist meine dritte derartige Stellung, und jetzt ists höchste Zeit, daß ich den Sonntagsbraten übers Feuer bring und für Sie höchste Zeit, daß Sie sich nicht allerhand solche neckische Gschichteln mehr vom Herrn Pfarrer vorerzählen lassen –

Punktum!


Sie geht hinaus. Ab nach der Küche.
VINCENZ
allein gelassen, steht wie ein Kind, das noch nicht gehen kann und das man nun zum ersten Mal allein stehen läßt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und mittlerweile geht sehr langsam der Vorhang herab. Und draußen beginnt – wieder einmal – etwas zu läuten. Vom Turm. Und da ist aber der Vorhang endlich ganz herab, und so kann auch das Läuten nicht mehr sein und hört auf, wie vom Vorhang abgeschnitten.

2. Szene

[176] Die zweite der drei Szenen

Es ist am Nachmittag.

Irma steht an einem offenen Fenster und sieht hinaus und wartet auf wen. Eine ganze Weile. Auf dem Tisch steht ein großer Bierkrug; mit aufgeschlagenem Deckel; leer. Mit einem Mal winkt sie wem, der da draußen kommt, schließt das Fenster, ergreift den großen Krug und läuft schnell fort. Die Tür, die nach draußen führt, offen lassend.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


Die Szene ist leer. Gut eine halbe Minute.
Nach dieser halben Minute aber tritt Vincenz, der Kooperator, ein. Von draußen. Der wars, auf den sie wartete. Und dem sie mit dem großen Krug dann entgegenlief. ... Er läßt die Tür, durch die er eintrat, offen stehen, so wie sie offen stand. Sieht sich ein paar Augenblicke in diesem Zimmer um und geht dann zur andern Tür hinaus. Hinauf wohl auf sein Zimmer. Die Tür, durch die er nun hinausgeht, ebenfalls offen lassend.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


Und dann ist eine Weile nichts als dies: daß diese
beiden Türen in diesem Zimmer und wohl auch sonst noch zwei, drei andere in diesem Hause sperrangelweit offen stehen. Nichts als dies. Dann kommt die Irma zurück. Mit dem großen Bierkrug, den sie draußen voll mit Dorfbier hat anfüllen lassen, gestrichen voll, so daß vom Schaum überläuft.
Man hört sie, wie sie zurückkommt. Hört erst, daß die schwere Haustür ins Schloß fällt. Und dann ihre schweren Schuhe auf den Fliesen im Hausflur. Und dann, wie sie schon nahe ist, einen Schrei von ihr, einen recht unbekümmerten, leichtsinnigen, von irgendeiner Lust ausgestoßenen, einen Schrei, der sonst in diesem Hause sehr verboten wäre.
[177] Die offenen Türen, ihr fast mehr als leichtsinniges Kommen, ihr Schrei und dies ganz Ungezügelte, wie sie den vollen Krug nun schwer und laut auf den Tisch aufsetzt, dies alles muß eine Ahnung ausmachen davon, daß die beiden allein im Hause sind.

IRMA
wieder schreiend, zur Tür, durch die der Kooperator fortgegangen ist, hinausschreiend.
Du. He! Du. Vincenz!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Kosend. Vinci! Vincerl!
VINCENZ
zurückrufend.
Ja, Irma?
IRMA
ungeduldig.

Na so komm schon!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und dann tut sie etwas wie ein paar Tanzschritte und wirft sich in Erwartung auf das Kanapee, daß dieses in allen Fugen ächzt. Singend. Vincerl.

VINCENZ
tritt ein.
Bleibt an der Tür stehen.
IRMA
bleibt liegen, wie sie liegt.

Sind die beiden etwas befangen, trotz allem und vielem befangen? Es scheint so.
VINCENZ
steht immer noch da, wo er eingetreten ist.
IRMA
bleibt immer noch liegen, wie sie sich legte.

In ihrer halb ausgedachten Pose. Sie liegt so, daß sie ihn nicht sehen kann, daß sie den Kopf ganz wenden müßte, um zu ihm hinzusehn.

VINCENZ
kann sie wohl sehen.

Aber er sieht nicht auf sie hin. Er sah nur einen Augenblick, wie er eintrat, auf sie hin. Und sieht aber jetzt krampfhaft ganz woanders hin.

IRMA
endlich.
Und gleich aufs Ganze gehend. Es ist warm. Willst deinen Rock nicht ausziehen?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Girrend. Und mir ists auch so warm.
VINCENZ
war sie wie die Täubin, so ist er wie ein Täuberich.
Was willst denn nachher du ausziehn?
IRMA
wie bei einer belagerten Festung.
Unter der Bedingung, daß du den Rock ausziehst?
VINCENZ.
Ja.
[178]
IRMA.
Unter der Bedingung, daß du den Rock ausziehst, zieh ich –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Lacht. Aber das sag ich nicht.
VINCENZ
er sieht immer noch krampfhaft ganz woanders hin.
Sags.
IRMA
liegt noch immer, wie sie lag.
Nein.
VINCENZ
zwei Schritte näher.
Aber immer noch krampfhaft woanders hinsehend. Sags doch.
IRMA
als ob sie dummes Zeug nicht weiter reden wollte.
Als ob sie wieder Vernunft angenommen hätte. Aber nein!
VINCENZ
da drängt er natürlich noch mehr.

Geh sag, Irma! sags!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und da will ers mit Gewalt zuweg bringen, unser Naivus. Er zieht schnell, ganz schnell den Rock aus und steht in Hemdsärmeln und ... schämt sich, als ob er nackt stünde. Steht wie Adam und sucht ein Feigenblatt und meint es darin zu finden, daß er flieht. Ja, er flieht. Es treibt ihn fort. Ich trag ihn auf mein Zimmer, ich – ich trag den Rock da auf mein Zimmer, und – und komm gleich wieder.


Ab. Mitsamt dem Rock, den er in der Hand hält. Da wos nach der Küche und auf sein Zimmer geht.
IRMA
springt, sobald er nur fort ist, geschwind auf und löst in fiebriger Hast die Schnüre ihrer Schuhe, läßt die schweren Schuhe schwer zu Boden fällen und liegen, so wie sie zu liegen kommen, und wirft sich wieder aufs Kanapee, derart, drapierend, daß man ihre Füße, die in weißen Zwirnstrümpfen stecken, grad ein wenig unter den Röcken herausschauen sieht.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ohne einen Laut aus ihrem Munde.
VINCENZ
zurückkommend, bleibt ungefähr beim Eintreten da stehen, wo er vorhin beim Eintreten stehen geblieben ist.

Und sieht zu ihr hin. Sieht erst die Schuhe, dann die Strümpfe. Als ob ihm was in der Kehle säße. Du hast deine Schuh ausgezogen –

IRMA
mit Absicht ganz im Alltagston.
Wenns mir doch so warm ist. Grad ganz warm ist mir.
[179]
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
So warm –
wie dir!

Langes Schweigen.
VINCENZ
versucht nun gleichfalls einen möglichst unverfänglichen Ton anzuschlagen.
Und jetzt wollen wir Bier trinken. Oder?
IRMA.
Sonst steht sich das amend auch noch warm –
VINCENZ.
Ja.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Er sieht auf den Tisch. Aber Gläser.
IRMA
dionysisch.
Einfach aus dem Krug.
VINCENZ
das scheint dem geistlichen Herrn doch etwas zu heidnisch.
Nein –
IRMA
sich vom Kanapee aufrichtend.
Na alsdann Gläser.
VINCENZ
eigen.
Bleib.
IRMA.
Ich muß doch Gläser holen.
VINCENZ.
Nein, ich –
ich hol die Gläser.
IRMA.
Du? Aber nein. Du? Das könnts nicht verlangen von mir, Herr Kooperator.
VINCENZ.

Aber ja. Warum denn nicht? Warum denn nicht?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das, was er jetzt sagt, ist etwas wie nur ein Vorwand. Er macht es noch ganz anders sagen. Hast ja keine Schuh mehr an. Hast ja gar keine Schuh mehr an. Und da sagt ers noch anders. Da gelingts ihm, das Ureigentliche, das er sagen wollte, zu sagen. Sollst überhaupt so liegen bleiben. Ja? Ganz so liegen bleiben. Ja? Ganz so. Und geht hinaus, nach der Küche.

IRMA
tut ganz nach seinem Willen.
VINCENZ
kommt zurück.

Mit zwei Gläsern.

Und Irma steht nun doch auf, wie er zurückkommt. Springt auf. Kniet auf dem Kanapee. Schenk derweil ein, und – ich weiß uns dann noch was! Recht verheißend vermag sie das zu sagen. Und kniet dabei auf dem Kanapee und langt in ihr Haar.

VINCENZ.
Was?
[180]
IRMA
recht geheimnisvoll.
Nichts!

Und kniet immer noch und lacht. Und springt ganz auf und steht so mit beiden Füßen auf dem Kanapee und tritt ein wenig auf den singenden Federn herum.
VINCENZ
wie die Frau so hoch steht, scheint ihm das gefährlich.

Und er verschanzt sich gewissermaßen vor dieser gefährlichen Situation, indem er recht gewissenhaft und umständlich einschenkt, und verschanzt sich auch hinter dem Ton seiner eigenen Worte, die er nun sagt. Was denn? Irma, was denn?

IRMA
springt vom Kanapee und läuft ab, da wos nach der Küche geht.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und kommt sehr bald darauf und stark schnaufend zurück, mit einer bunten Studentenmütze.
VINCENZ
sieht die Mütze.
Die? Die da?
IRMA
geht nah an ihn heran.
Setzt ihm die Mütze auf.
VINCENZ
sieht nun gar grotesk aus und ist sich, sagen wir, halb bewußt, daß er gar grotesk aussieht.

Und sagt so, weil ihm nichts anderes einfallen mag, und sagt dies aber in einem Ton, der sein Aussehen entschuldigen soll. Die hätt ich doch vorhin selber aus meinem Zimmer mit herunternehmen können.

IRMA
sagt ihm das nach.
Aus meinem Zimmer.Lacht.
VINCENZ.
Von was denn sonst? Aus meinem Zimmer.
IRMA
berichtigt ihn.

Und in ihrer Stimme ist viel Leidenschaft und Neuverlangen. Aus unserem Zimmer! Von mir und von dir – Aus Unserm!

VINCENZ
rührt sie an.
Du!
IRMA
gibt sich seinen Armen hin.

Bis gestern ist es zum größern Teil immer noch dein Zimmer gewesen. Grad wie meine Kammer heut noch zum größern Teil meine Kammer –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aber über heut nacht –

Dein Zimmer –

nimmer Dein Zimmer –

Unsers!

[181]
VINCENZ
an dem alles aufs Äußerste angespannt ist, entfährt ein Wort, für das der gewöhnliche Vincenz nichts kann, für das nur dieser außergewöhnliche augenblickliche Vincenz verantwortlich gemacht werden könnte.
Ein Wort aus seiner Seele. Ein Bote aus der Landschaft seiner Seele. Die Welt lauft in – Strümpfen!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und lacht. Und lacht fast idiotisch.
IRMA.

Weils jetzt da so heimlich ist? Oder was –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wie er darauf keine Antwort gibt, weil er keine geben kann, fordert sie ihn zu völligem Gemütlichsein auf. Zieh doch auch die Schuh aus –

VINCENZ
fast blasphemisch.
Denn der Boden, den du trittst –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und nun ist ihm, als ob ihm kinderleicht sei. Ach ja!
Ach –

Er setzt sich; und zieht wahr und wahrhaftig die Schuh aus. Vor unsern sehenden Augen. Die fallen grad so schwer und auf polternd zu Boden, wie vorhin die andern ... Der Kooperator trägt Socken, die ebenfalls weiß und zwirnen sind.
Wieder eine Weile Schweigen. Es ist da zum Teil immer noch eine Müdigkeit von der vergangenen Nacht, und zum Teil eine große Befangenheit
trotz all der letztvergangenen Nacht.
Und jedes sucht und möchte gern den Ton finden, in dem sich vieles und fast alles abhandeln ließe; und keins hat diesen Ton bis jetzt gefunden.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Sie gehen an den Tisch und trinken.
IRMA.
Gesundheit!
VINCENZ.
Auf dein Wohl!

Und wieder Schweigen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und da fragen sie – seltsam, seltsam, und doch wieder gar nicht seltsam – alle beide ganz zugleich.
[182]
IRMA UND VINCENZ.
Wann meinst du, daß der Pfarr –

Sie sehen sich schnell an und lachen laut heraus.
IRMA.
Komisch. Aber komisch.
VINCENZ.
Nein so was von zu gleicher Zeit.
IRMA
zu der Frage, die sie ganz zu gleicher Zeit taten, zurückkehrend.
Na? Also?
VINCENZ.
Ja, morgen, hat er gsagt, der Pfarrer. Vor morgen kaum.
IRMA.
Zu mir auch. Weil er nämlich in Passau –
VINCENZ.
Beim Domkapitel –
IRMA.
Ja.
VINCENZ
nun wieder zu dem kuriosen Fall zurückkehrend.
Aber sowas Komisches.
IRMA.
Nein, sowas von zu gleicher Zeit!
VINCENZ.
Zwei Seelen!
IRMA.
Und ein Gedanke!
VINCENZ.
Ja!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Aber – das ist schon mehr eine – Gemeinheit von uns, daß wir uns sowas ganz zu gleicher Zeit –
IRMA.
Gemeinheit? Das ist doch aber schön gwesen! Direkt schön!

Sie trinken.
VINCENZ.
Schön! Direkt schön!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ja – jung bin ich! Jung! Geht umher und reckt die Arme.
IRMA
einstimmend.
Und die Welt lauft in – Strümpfen!
VINCENZ
wie auf ein Stichwort.
Weils so heimlich ist –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und weil er erst –
IRMA.
Wer?
VINCENZ.
Du weißt schon, wer!
IRMA.
Weil er erst morgen zurückkommt?
VINCENZ.
Siehst dus, daß dus weißt?
IRMA.
Ja! Von seiner Ambrosia! Erst morgen zurückkommt! Von seiner Ambresl!
[183]
Von seiner Ambresl!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Weißt du noch?

Sie karikiert ihn.

»Da ist die Mutter von der Ambrosia. Nicht? Na also! Und kränkeln tuts schon lang genug, die alte Mutter von unserer Köchin. Und wie mir gestern auf d' Nacht der Pfarrer nochmal gsagt hat –«

Weißt dus nimmer?

VINCENZ
lacht.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und karikiert dann die Irma.

Weißt aber du noch?

»Ihr werdets doch wissen, was schwanger heißt? Und jetzt werden Euch doch endlich die Augen aufgehn – und jetzt ists höchste Zeit, daß ich den Sonntagsbraten übers Feuer bring – und für Sie höchste Zeit, Herr Kooperator, daß Sie sich nicht allerhand solche neckische Geschichteln mehr vom Herrn Pfarrer vorlügen lassen – Punktum!«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Sieht sich förmlich in seiner damaligen Lage. Dasselbe hast du fein gemacht dortmals, gar recht fein, das muß man schon sagen.

IRMA.

Und dann nachher. Wie ihr zwei dann beim Essen gsessen seids.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Pfarrer kann nicht essen, weil die Ambrosia fort ist. Und der Herr Kooperator kann nicht essen, indem daß ihm endlich die Augen aufgemacht worden sind –

VINCENZ
sieht sie an.
Du Satan, du schwarzer!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ja,
Satan!
IRMA
spielt mit ihm.

Bin ich vielleicht deine Verführerin gwesen? Hab ich dich verführt? Kommts jetzt so raus, daß ich dich –

[184]
VINCENZ
in all seiner eingebildeten, vor ein paar Tagen erst und sonders in der letztvergangenen Nacht erworbenen, neuen völligen Männlichkeit.
Oh nein. Das nicht. Aber –
IRMA.
Aber?
VINCENZ
wie ein Truthahn so stolz.

Ich glaub, nein, ich weiß es sogar ganz gewiß, ich tät in jeder Beziehung, verstehst? in einer jeden Beziehung heute noch als bar hinnehmen, daß die Mutter von der Ambrosia im Sterben liegt –


In dem Wein Männlichkeit, von dem er voll ist, ist ein Bodensatz Sehnsucht nach seiner frühern Knabenunschuld. Der Truthahn, der sich wie ein Pfau gebärden wollte, läßt sein kümmerlich gespreiztes Rad zusammenklappen.
IRMA.
Möchtst du das? Möchtet du das vielleicht heut noch?
VINCENZ
suchts noch einmal, ein Truthahn, einem Pfau gleichzutun.
Ach geh – So mußt du dich nicht anstellen, so darfst du mich nicht fragen! Du weißt doch –
IRMA.
Bist du nicht ein anderer heut?
VINCENZ
das kümmerlich gespreizte Rad klappt wieder zusammen.
Ein anderer –
IRMA.
In – Hemdärmeln, in – in Strümpfen!
VINCENZ.

Der Pfarrer mag meine farbige Kappen nicht. Hat sie nie mögen. Er ist überhaupt gegen eine jede Studentenverbindung, und wenn sie noch so katholisch ist –


Er nimmt sie ab, die farbige Mütze.
IRMA.
Warum nimmst du sie denn jetzt ab? So bhalt sie doch auf!
VINCENZ.
Nein –
IRMA.
Aber ja! Das klang sehr herrisch.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und aber nicht, daß ich sie dir etwa wieder auf setz. Nein, selber sollst sie dir wiederaufsetzen!
VINCENZ
gehorcht.
IRMA.
Und trink – und trink!
VINCENZ
er stürzt sich fast aufs Bier.
Ja!

Sie trinken.
[185]
IRMA
hat nun eine Mission.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und dann, was wollen wir wetten? Was wetten wir? Der Pfarrer traut sich seit einem ganz gewissen Tag und einer gewissen Stunde kein einziges Wörterl mehr gegen dich zu sagen! Nicht einmal mehr wegen – deiner farbigen Kappen da! Was wetten wir? Wollen wir wetten? Die Ambrosia hats ihm damals, noch ehe sie fortgfahren ist an demselbigen Sonntag – hats dem Pfarrer noch gsagt, daß ich weiß, wies um sie steht. Und ich, ich hab denselbigen Sonntag auch gleich noch sowas einfließen lassen, wie daß der Herr Kooperator amend auch schon wüßt, was es mit dem Verreisen auf vier Monat für eine richtige wahre Bewandtnis hat. Er ist nur ein zu – zu seelensguter Mensch, der Herr Kooperator, hab ich gsagt –

VINCENZ.
Das hättst du nicht sagen sollen –
IRMA.
Das hätt ich nicht sagen sollen? Aber das hält ich ja sagen sollen –
und habs auch gsagt!
VINCENZ.
Wenn aber der Pfarrer von dem zwischen uns zweien erfahrt –

Er trinkt.
IRMA.
Das hab ich mir schon lang überlegt –
VINCENZ
bauernschlau.
Na na. Gar so lang kann das noch nicht her sein, daß du dir das überlegt hast –
IRMA.

Wenn der Pfarrer jetzt von dem zwischen uns zweien erfahrt, dann – laß mich ganz allein machen, Vincenz. Dann laß nur mich ganz allein machen, Vincenz, und tu du selber gar nichts. Denn – du bist nämlich wahr und wahrhaftig ein zu – zu seelensguter Mensch –

VINCENZ.
Na na.
IRMA
demonstrierend.

Da stehn zwei zusammen, und das ist der Pfarrer und das ist die Ambrosia, und –

und kriegen sogar ein Kind!

Herausfordernd. Na und wenn sies dann wissen wollen, dann sollen sies eben erfahren, daß aber da auch zwei zusammenstehen, [186] und das ist der Kooperator und das ist die Irma Prechtlin, und –

und die haben sogar – kein Kind!

Oder haben wir ein Kind?

Haben wir vielleicht ein Kind?

VINCENZ
in einem zwiefachen Sinn erschreckend.
Nein, das nicht.
Das nicht. Das ja nicht.
IRMA.

Alsdann!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Kooperator, dafür laß mich nur sorgen! der bleibt auch dann noch der seelensgute Mensch, der seelensgute! Aber – aber die Irma Prechtl, die – die sorgt eben dafür, daß – daß ers bleibt, der Herr Kooperator!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und – dafür hat ein Weiberleut zu sorgen. Ihr andern, ihr Mannerleut, versteht das nicht.

VINCENZ
der immer größere Mengen Eier zu sich nimmt.
Wir andern, wir Mannerleut, verstehn das nicht. Nein. Und wie erst ich –
IRMA
besitzsicher.
Ja, wie erst du. Du – Junges. Du Jungs!
VINCENZ
trinkt.
Das heißt, er trinkt schon wieder. Ich bin ein anderer worden, ja! Jung bin ich worden! Jung!
Jünger bin ich worden!
Alt wär ich worden – ohne dich! Trink!

Sie trinken.
IRMA.
Neu bist du worden!
VINCENZ.
Neu bin ich worden!
IRMA.
Wie geputzt bist du jetzt und blank!
VINCENZ.
Geputzt und blank!
IRMA.
Ich kenn mich aus in diesen Dingen!
Ich kenn mich aus!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Wie du überhaupts so – so leben hast können, bis – bis daß ich gekommen bin?
VINCENZ
halb für sich, wie sich selber anspornend.

Ich tus doch [187] und schreib davon einem Schulkameraden von mir, einem Freund von mir, der wo jetzt auch Kooperator ist, und der auch ein Corpsbruder von mir gewesen ist. Ja, ich tus doch noch und schreib ihm. Schreib ihm alles. Oder –

oder ich reis' mal direkt zu ihm hin und – beichts ihm –

IRMA.
Das von uns? Das was jetzt zwischen uns ist?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich furcht nur –
ich furcht nur, das möcht ihm keine allzugroße Neuigkeit sein, was du ihm zu beichten haben wirst!
VINCENZ.
Ja, glaubst du denn, daß der auch – wie ich – wie wir zwei da –
IRMA.
Ja, warum denn nicht?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ja, warum denn nicht?
VINCENZ.

Wie ich überhaupt so leben hab können, bis daß – bis daß du gekommen bist? Das kannst du nicht wissen. Das macht – der Glaube. Das hat mein Glauben gemacht. Er hat mich beschützt. In meinem Glauben war ich stark, bis –

bis daß du gekommen bist –

IRMA.

Aber jetzt glaubst du auch noch? Deswegen kannst du doch in deinem Glauben noch grad so stark sein wie frühers?

Was hat denn das soviel mit dem Glauben –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


Trinkt.

Ich wenigstens glaub immer noch und glaub und glaub –
und glaub bis an mein End –
VINCENZ
trinkt.
Ich – auch.
IRMA
ausrufend.
Ich glaub an eine – ewige Seligkeit!
VINCENZ
trinkt.
Ich – auch –
IRMA.
Das sagst du so?
VINCENZ.
Trink!
IRMA
spielt fast mit den Worten.

Ihre Sinne sind alle wach und aufgestanden. Versauf dich nicht, Vincenz! Versauf keinen Tropfen von der ewigen Seligkeit!

[188]

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ich tät mich fürchten einzuschlafen, wenn ich nicht zuvor –

Ich bet vor jedem Einschlafen. Allemal. Ich könnt überhaupts glaub ich gar nicht einschlafen, wenn ich nicht erst beten tät –

VINCENZ
Alkohol.
Hast du heute nacht auch erst gebetet –
IRMA.
Ja, warum denn nicht?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ja, warum denn nicht?
VINCENZ
spricht ihr nach.
Ja, warum denn nicht?
IRMA.
Und beichten –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Warum soll ich nicht beichten? Muß man denn nicht beichten?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Aber dem Pfarrer beicht ichs nicht. Du, dem Pfarrer beicht ichs aber nicht. Dir,
dir beicht ichs.
Ja?
Dir –
VINCENZ.

Mir –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ich glaub, ich schreib, wenn du für d' Nacht das Essen hermachst, ich glaub, ich schreibs heut noch an meinen Studierkameraden, der wo ebenfalls Kooperator geworden ist, an meinen Freund –

IRMA.
Tus. Ja.
VINCENZ.
Und ich weiß ganz genau, was ich ihm schreib –
IRMA.
So ists recht.
VINCENZ.
Ganz genau weiß ichs –
IRMA.
Das ist gscheit.
VINCENZ.

Ganz genau.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und auch das, daß du mir alles beichten wirst – und nicht dem Pfarrer –

Und selber grad als wie eine Beicht schreib ichs an meinen Freund. Wie eine Beicht. In der Form wie eine Beicht –

[189]
IRMA.
Und er schreibt dir dann die Absolution zurück. In der Form wie eine Absolution –
VINCENZ.
Ja.

Er trinkt.
IRMA
die trinkt auch.
VINCENZ.
Priester-Ehen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Er führt lautlose Selbstgespräche; mit der Welt ist er nun so ziemlich im reinen. Und so.
IRMA.
Die Welt lauft in – Strümpfen.
VINCENZ.
Priester-Ehen.
IRMA.

Wenn man so dasitzt wie wir und trinkt als wie wir und der Pfarrer zu einer solchen Ambresl verreist ist –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –


Sie mag kein Bier mehr.
Sie steht auf und geht zum Kanapee und legt sich hin.
Es ist Dämmerung.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Aber du bleib sitzen und steh nicht auf und geh nicht her zu mir –
VINCENZ
folgsam statt unfolgsam.
Nein. Ich bleib schon sitzen und steh nicht auf und –
Trink noch was.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
IRMA.

Ich mag kein Bier mehr. Und ich muß auch in die Küche jetzt. Und du mußt – denn du mußt auch was essen jetzt, sonst –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ich hab schon beinah zuviel trunken. Trink nur das Bier aus, das noch dasteht –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und derweil geh ich in die Küche und mach was zurecht für dich. Recht was guts zum essen. Und dann restaurierst du dich fein wieder.

[190]
Ja?

Sie steht auf, geht zu ihm hin, drängt sich an ihn. Ein wenig Küsserei.
Dann geht sie hinaus, nach der Küche.
VINCENZ
kommt die Lust, ein wenig zu rauchen an.

Er raucht sonst sehr selten. Aber jetzt will ers probieren. Wozu hat denn der Pfarrer Zigarren –Steht auf. Geht schwankenden Schritts nach der Kommode und findet auch gleich, was er sucht. Beißt die Zigarrenspitze ab und spuckt sie fort. Setzt die Zigarre in Brand.

Und begibt sich wieder auf seinen Platz zurück.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Da ging ihm die Zigarre aus. Er muß sie neu in Brand setzen.

Und in diesem Augenblick, wo der Schein des brennenden Streichholzes das Zimmer erhellt,.

Tritt der Pfarrer ein.

ACHAZ
nichts als dies.
Na na.
VINCENZ.
Ich –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Er hält das brennende Streichholz, so lang bis es abgebrannt ist.
Da ruft Irma aus der Küche. Vincenz!
Vinzi! Vinzierl!
Und kommt, wie er nicht antwortet.
Tritt ein.
Bist leicht eingeschlafen, Vinzierl?
ACHAZ
räuspert sich.
IRMA.
Ah? Hochwürden sind schon – von der Ambrosia da? Ah so!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Sie sagt nichts mehr. Sie liest nur die Schuhe alle auf. Einer entfällt ihr dabei und fällt wieder hin, aber da hebt sie ihn eben von neuem auf.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Dann hält sie in der rechten Hand alle Schuhe; mit der linken [191] aber faßt sie nach einer Hand des Kooperators und sagt. Komm, Vincenz, kommt mit mir –


Sie geht hinaus und führt ihren Vincenz mit hinaus.
ACHAZ
macht ein Fenster auf.
Und dann fällt der Vorhang.

3. Szene

[192] Die dritte der drei Szenen

In aller Herrgottsfrüh. Im Herbst, denn es ist vier Monate später. ...
Es wird schon nicht mehr so bald hell, morgens, um solche Jahreszeit. Und heut wills schon gar nicht heller werden. Es ist trübes Wetter draußen.
Erst gegen Schluß dieser Szene dringt die Sonne ins Zimmer. ...

IRMA
tritt halbangezogen ein.

Hustet ein paarmal. Sie scheint ziemlich erkältet. Der Morgenhusten einer, die sich erkältet hat. Erkältet hat, wohl auf heimlichen beschwerlichen listigen Nachtfahrten, von einer gewissen Kammer in ein gewisses Zimmer. ... Viel Gepäck von der Ambrosia liegt hoch herum. Von gestern am Abend, wie die spät, sehr spät ankam. Gepäckstücke, die uns aus der ersten Szene her bekannt sind. Irma räumt das Herumliegende nun auf eine Stelle zusammen, auf das Kanapee. Wobei sie nicht allzu zart zugreift.


Dann geht sie ab nach der Küche, die Tür offen lassend. Und man hört sie von draußen husten. Erst laut, dann ein wenig überlaut.
Dann kommt sie wieder herein. Und hakt sich hier ihre Bluse zu, vollends zu.
VINCENZ
kommt.
IRMA.
Morgen.
VINCENZ
mit einer gewissen Zärtlichkeit.
Guten Morgen, Irma.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Na? Das ist ein wenig kurz, aber das soll heißen: gut geschlafen? und ähnliches.
IRMA
fängt von neuem zu husten an.
VINCENZ.
Der dumme Husten.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und der will um nichts besser werden, der Husten?
[193]
IRMA
hustet noch einmal.
VINCENZ
seine Frage von vorhin, nur diesmal ausführlicher.
Wie haben wir denn geschlafen, Irma?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Indem daß – indem daß es die – die letzte Nacht in dem Haus gewesen ist?
Na?
IRMA.
So und so.
VINCENZ.
Nicht anders wie sonst, Irma?
Gar nicht anders wie sonst?
IRMA
hustet nur.
VINCENZ.

Der dumme Husten. Nein, so ein dummer Husten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aber – es ist nicht viel schmeichelhaft, wenn du diese letzte Nacht in diesem Haus nicht viel anders geschlafen hast als wie sonst.

IRMA.
Was soll –
was soll denn da schmeichelhaft sein und was nicht schmeichelhaft?
VINCENZ
bittend.
Irma.
IRMA
nichtsdestoweniger.
Du – du bist schmeichelhaft.
VINCENZ.
Irma –
IRMA.
Ja, weils jetzt fortgeht mit mir.
VINCENZ.
Irma.
IRMA.
Ach laß.
VINCENZ.
Laß? Was soll ich dich denn lassen?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Hab ich denn das verdient um dich, Irma? Bin ich heut anders, als ich je zu dir gewesen bin?
IRMA.
Vielleicht kannst du dich nur zu gut verstellen –
VINCENZ.
Die ganze Zeit her? Unablässig? In einem fort?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Da muß ich grad lachen, Irma.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich und mich verstellen –
[194]
IRMA.

Nein, das muß wahr sein – ja, was wahr ist, das ist wahr – du bist heut nicht anders, als wie du je zu mir gewesen bist.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aber – vielleicht –

VINCENZ.
Irma –
IRMA
ungeduldig.

Ich weiß ja selber nicht, warum ich mir wünsch, daß du ein paarmal anders hältst sein sollen, als wie du immer zu mir gwesen bist. Ich weiß es ja selber nicht. Ich –

VINCENZ.
Das ist dein – Zustand, Irma.
IRMA.
Ich –
VINCENZ.
Das sind die – das ist der Umstand, in dem du bist, Irma.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Soll immer so sein, wenn eine so ist. Wie du. Aber –
aber woher soll ich das wissen –
IRMA.
Was?
VINCENZ.
Daß das immer so ist, wenn eine so ist wie du.
IRMA.
Ist die Ambrosia dortmals nicht so gwesen, wie ich jetzt bin?
VINCENZ.
Was?
IRMA
heimlich abbittend.
Hat die Ambrosia dortmals nicht grad so dahergredt, wie ich jetzt daherred?
VINCENZ.

Wenn die so gwesen ist, die Ambrosia – na, und sie wird ja wohl grad so gwesen sein – aber wenn die so gwesen ist, dann ist sies doch nur zum Pfarrer gwesen und nicht zu mir!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und jetzt laß die Ambrosia. Mir scheint, du denkst viel zuviel dran, daß, wie du gekommen bist, die Ambrosia so hinausgegangen ist, wie du jetzt hinausgehst, wo –

IRMA
hilft ihm.
Wo die Ambrosia wiedergekommen ist?
VINCENZ.
Ja.
IRMA.
Ja, aber daran muß – daran muß ich doch denken? Wie soll ich denn nicht daran denken? Sie seufzt.
VINCENZ.
Nicht so – nicht so daran denken.
[195]
Anders vielleicht.
Oder nur halb soviel –
IRMA
seufzt.
Und hustet dann.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Die hat ihr Wiederkommen in der Taschen ghabt, die Ambrosia, noch eh sie fortgangen ist.
VINCENZ.
Und du, Irma, und du?
IRMA.
Ich?
VINCENZ.
Tu doch nicht, wie wenn dus nicht wissen tätst –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Gehst du denn überhaupts fort?
IRMA.
Aber doch aus dem Pfarrhof!
VINCENZ.

Aus dem Pfarrhof, ja.

Aber gehst du vielleicht ganz aus der Gegend? Nein. Du gehst doch nicht ganz und gar aus der Gegend. Bis ins zweitnächste Dorf nur. Den Katzensprung!

IRMA.
Wer weiß –
VINCENZ.

Irma, jetzt muß ich aber schon fast einmal – massiv mit dir reden! Ist nicht alles abgemacht zwischen uns? Will ich nicht ganz und gar für dich sorgen?

Betrübt. Ach geh, Irma, liebe Irma, daß du dich jetzt, zum Abschied, so – so zu mir stellst –

Und – ist es denn ein Abschied?

Es ist doch nicht einmal ein Abschied!

IRMA
lächelnd.
Du kannst nicht massiv zu mir sein –
VINCENZ.
Ja, wär denn das schön, wenn ich so zu dir sein tät?
IRMA.
Ich weiß nicht, aber –
ich weiß ja nicht, aber –
aber oft möcht ichs direkt!
VINCENZ.
Irma!
IRMA.
Ich weiß nicht –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich weiß nicht und weiß nicht –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich weiß eben nicht –
[196]

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aber nach was wie Strafe oder wenigstens nach was wie Verzeihung verlangts mich oft – Strafe oder eben nur Verzeihung, ganze Verzeihung –

obwohl mir eine ordentliche Strafe lieber wär wie eine Verzeihung – ja! ja –

VINCENZ.

Du lieber Gott, ihr Weibsleut! Und noch obendrein, wenns so seids, in einem solchen Zustand! Nach was es euch da nicht alles verlangt!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das hätt ich mir nie träumen lassen frühers, nein –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Strafe oder wenigstens Verzeihung! Was soll denn jetzt das wieder heißen? Strafe, wegen was? Verzeihung, wegen was? Ja, wegen was denn, ums Himmels willen!

IRMA
schnell von diesem Thema ab.
Ich glaub, da steht sie auf.
VINCENZ.
Wer?
IRMA.
Na, die Ambrosia.
VINCENZ.
So laß sie doch aufstehn!
IRMA
leicht drängend.
Und du mußt zur Frühmeß, Vincenz. Du mußt zur Frühmeß.
VINCENZ.

Und aber du mußt nicht außer Land, Irma! Dieser dritthalbe Stundenweg dann immer von da bis zu dir hinüber!

IRMA.
Vincenz, sie steht auf, glaub ich.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Oder es ist der Pfarrer, der aufsteht.
VINCENZ.
So laß ihn doch! So laß den doch auch, den Pfarrer!
IRMA
nach einer Weile Aufhorchens und nach einer Weile Nachdenkens.

Das ist ein Gutes wenigstens, und das ist durch mich worden, daß du zum Pfarrer hart bist heut. Seit dortmals. Du weißt schon, was ich sagen will.

VINCENZ.
Ja.
IRMA.
Aber –
aber bleib auch so, Vincenz, bleib so, auch wenn ich jetzt nimmer da bin.
[197]
VINCENZ.
Er ist doch auch gleicherweis hart zu mir, der Pfarrer. Von uns zwein ist es einer zum andern. Und –
das ist nicht gut, möcht mir scheinen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Denn,
ist mein Studierkamerad vielleicht hart zu mir gwesen, wie ich bei ihm drüben gwesen bin?
Nein.
Na da siehst dus.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Warum sind nur der Pfarrer und ich so hart gegeneinand?
Könnt das nicht anders sein? Und wärs nicht viel besser, wenns anders sein tät?
Wo wir doch so nah beieinand leben, der Pfarrer und ich!
IRMA.
Grad deswegen!
VINCENZ.

Grad weil wir so nah beieinand leben? Grad deswegen?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Frühers,

frühers, da haben wir doch wenigstens so alle zehn oder vierzehn Tag einmal über unsern Glauben oder über irgendeine Politik zueinand gredet. Heut –

IRMA.
Ich kann mir nicht helfen, Vincenz, aber ich finds besser so. Ganz ungleich besser.
VINCENZ.
Da müßtest du mir schon genauer sagen, warum –
IRMA.

Du hast doch deinen Freund, deinigen Studierkameraden, den Corpsbruder von dir!

Schreib dich an deinen Freund aus. An den schreib dir alles vom Herzen herab.

Hast dus ihm nicht gradaus in die Hand versprechen müssen, wie du bei ihm drüben gwesen bist, dortmals, wie du zu ihm hinübergfahren bist,

auf drei Tag –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das sind übrigens die einzigen drei Tag gwesen, seit wir uns kennen, daß wir nicht beieinander gwesen sind.


[198]
Sie sprach das mit einer eigenen Betonung. Und langte dabei nach seiner einen Hand. Und bäh sie nun, die Hand.
VINCENZ
das bringt ihn neu und eindringlich auf den Abschiedsgedanken.
Er seufzt.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Leer, recht leer wird mirs sein, jetzt überall, wenn du jetzt fortgangen sein wirst.
IRMA.

Nicht anders als wie früher. Wie ich noch gar nicht dagwesen bin. Wie die Ambrosia noch ganz dagwesen ist.

VINCENZ.

Nein – und nein.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Denn da liegt doch eine ganze volle Zeit dazwischen, von der ich dringend wünsch, daß sie gewesen ist –

grad – grad so, wie sie gewesen ist.

Und gar nicht anders!

IRMA.
Gar – gar nicht anders?
VINCENZ.
Nein. Gar nicht anders!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Er nimmt sie in seine Arme.
IRMA.

Vincenz.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aufsteigende Angst. Vincenz, du, Vincenz. Wenn ichs nun grad so schwer und grad so voller Gfahr überstehen und aushaken muß, als wie die Ambrosia? Wenn bei mir um nichts nicht leichter – Ich bin doch nicht viel jünger wie die Ambrosia. Ich bin –

VINCENZ.
Geh, du –
IRMA.

Und oft ist mirs grad so, als wie wenn ich dich nicht verdient hätt, und grad als ob du zu schad für eine wie für mich sein tätst – Ja. Jaja.

VINCENZ.

Hab doch keine solchen Ängste und Zweifel, Irma. Ist von uns zweien – und wie oft in der letzten Zeit hab ich dir das schon vorsagen müssen – ist von uns zweien nicht eins durchs andere anders – oder – ja, wie soll ich denn gleich sagen? – nicht eins durchs andere anders und auf diese andere [199] Weise ich wenigstens – gradaus zu sagen – besser geworden?

Hat nicht eins vom andern profitiert?

IRMA.
Ich von dir, Vincenz!
VINCENZ.
Was hätt ich dir besonders geben können? Aber – aber ich von dir, Irma!
IRMA.

Du von mir?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aber nein, nein, nein. Du wohl, ja, du hast mir wohl geben wollen. Wenn ich nur danach gewesen wär – Aber ich bin grad wie was, das keine Farb annehmen will! Ja, so bin ich – Das absolut keine Farb annehmen will!

VINCENZ.
Bleib wie du bist.
IRMA.

Nein, das taugt nicht. Ich sag dir doch, daß das nicht taugt. Und ich muß es doch wissen, daß es nicht taugt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ich furcht mich so viel, Vincenz, daß ich in nichts nicht besser werden kann – ja – daß ich ewig bleiben muß wie ich bin – wie ich gewesen bin –

Ich furcht mich, Vincenz –

Wie Sund ist mir das!

VINCENZ
führt sie gegen das Kruzifix bin.

Mit einem plötzlichen Einfall. Dann ist das eine Beichte gewesen, die du mir jetzt getan hast, Irma, und – ich hab dirs vergeben!

IRMA.
Sags nochmal, das war –
das war so gut –
VINCENZ.

Dann ist das eine Beichte gewesen, die du mir jetzt getan hast, Irma, und – ich hab dirs vergeben. Im Namen Gottes. In Gottes Namen. Er segnet sie. Und murmelt etwas wie die lateinische Nachlaß- und Vergebungsformel in der katholischen Beichte.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Weißt du übrigens, was der größere Segen der Beichte ist? Das ist nicht die stärkere Kraft, daß die Sünden vergeben werden, sondern die größere Kraft ist die, die das Beichtkind so anfüllt und so stark macht, daß es ganz mit Hilf dieser Kraft [200] die Sünde –

bereuen kann!

Daß es dakniet und zerknirscht und so stark bereut, wie es ein sündiger Mensch aus sich nie allein könnte – Das ists.

IRMA.
Ja.
VINCENZ.
Die Gabe, die Kraft, eine Sünde bereuen zu können –
IRMA.
Das ists?
VINCENZ.

Ja, das ists!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und nun, nachdem ich dir erst die Beicht abgenommen hab und dir deine törichten Sünden vergeben, Sünden, die fast keine Sünden gewesen sind –


Er lächelt. Er muß lächeln.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Da aber wird sein Gesicht ernst und bekommt einen Schimmer und hat etwas Heiliges.

– nun bist du meine Verlobte. Priester-Ehen! Nun bist du meine Verlobte. Und ich sags, denn ich wills, du bist meine Braut. Könnten die Hände, die geweiht sind, nicht Menschliches in Gott zusammentun, nicht alles und jedes Menschliche in Gott zusammentun, ohne Ausnahme,

auch mich

und dich?

IRMA
küßt seine Hände.
Vincenz. Vinzi. Vinzierl.

Darauf hat eine recht menschliche Umschlingung stattzufinden. Auf all die vielen geistlichen Dinge hin.
VINCENZ
zuletzt.
Und – ich seh dich nachher noch. Bis dahin – mit Gott.

Er geht ab. Nach draußen. Nach der Kirche. Seine Messe lesen.
Und gerade in diesem Augenblicke ertönen ein paar eilige, fast hastige Glockenschläge. Das Zeichen, daß die Messe sein soll. Aber eilig und fast hastig wie gesagt. Denn zu werkeltags nimmts der, der läutet, nicht so umständlich mit dem Strangziehn. Da gehts auch so. ...
[201]
AMBROSIA
tritt ein.
IRMA
mit den besten Absichten.
Guten Morgen.
AMBROSIA
kurz.
Morgen.
IRMA
tatsächlich teilnahmsvoll.
Wie stehts mit euch? Ihr habts noch wenig erzählt –
AMBROSIA
als Antwort.
Da liegt mein ganzes Zeugs noch da. O Gott o Gott –
IRMA
hilfreich.
Ich habs doch vorhin wenigstens schon auf einen Haufen zusammentan.
AMBROSIA
offen feindlich.

Dann hättet ihrs aber auch gleich ganz und gar mitrausnehmen können. Als ob das nicht in einem dahingegangen wär. Als ob das eine gar so große Arbeit gewesen wär –

IRMA
erregt sich.

Was hab ich euch denn euere Sachen mitrauszunehmen? Da schau mal an! Das wär mir das Allerschönste! Was hab ich euch denn euere Sachen mitrauszunehmen?

AMBROSIA
im Ton einer übergroßen, einer verletzenden Zufriedenheit.
Na ja. Jetzt hats ja bald ein End –
IRMA
scharf.
Was hat bald ein End?
AMBROSIA
augenblicklich eingeschüchtert.

Na ja –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aber nun schon wieder nicht mehr eingeschüchtert. Im Gegenteil. Äußerst schadenfroh. Wann gehts denn nachher dahin mit euch? Jetzt gleich?

IRMA.

Ihr könnts mir die Tür da nicht weisen, wißts ihr? Wißts ihr, daß ihr mir die Tür da nicht weisen könnts? Ihr seids unaufmerksam, Lindpaintnerin, ihr seids leichtsinnig, Lindpaintnerin, ihr vergeßts gar vieles viel zu schnell. Reckts euch nicht gar so hoch auf, Fräulein Ambrosia! Ich duck mich nicht gar so tief vor euch, so müßts ihr euch nicht gar so hoch aufrecken, Fräulein Ambrosia!

AMBROSIA
unverschämt.

Ist das eine Ruh für unsern Herrn Kooperator, wenns ihr wieder fort sein werdets! Wird das eine Erlösung für ihn sein!

IRMA.

Lindpaintnerin! Ledige Mutter von einem Pfarrerskind! [202] Ich meine immer, ihr habts demselbigen Ding gestern noch von euerer Milch ablassen – und heut tuts ihr, als ob das alles gar niemals und nie gewesen wär! Ist es ein Bub oder ist es ein Mädel? Was ist es denn, Lindpaintnerin? Sagts doch, Lindpaintnerin! Wißts amend schon gar nimmer mehr, obs ein Bub ist oder ein Mädel? Ists amend doch ein Bub – erinnerts euch gefälligst – und habts ihr etwa seit heut nacht schon die zukünftige Schwester zu demselbigen Buben im Bauch? Pfarrerskindermaschin, elendige! Dann komm ich so was heut in sechs oder sechseinhalb Monat wieder zu eurer Aushilf her, Lindpaintnerin, das heißt, wenns mich schön drum bitten tuts! Aber bitten müßts mich gar schön drum und mir hier nicht ganz so grob mehr die Tür weisen –

Meßgewandschleckerin!

AMBROSIA
steht in diesem Augenblick, als ob sie auf die Irma losstürzen wollte.
IRMA
noch herausfordernder.
Aufs Höchste aufreizend. Meßgewandschleckerin!!
AMBROSIA.
Das –
das –
das –
das sag ich –
das sag ich dem Pfarrer!
Das sag ich dem Pfarrer, dem Pfarrer, dem Pfarrer sag ichs!

Sie läuft ab.
IRMA
mit Worten nachtreibend.

Immer zu! Ich wart hier herin! Ich wart hier herin! Ich wart solang, Lindpaintnerin, bis ihrs ihm gsagt habts! Aber richtets ihm alles treu aus – vergeßts kein einzigs Wörterl! Und –


Rasend.

Kommts doch nochmal her, Lindpaintnerin! Dann sag ich euch noch ganz was anders – und wenns –
und wenns –

Da kommt sie neu ihr Husten an. Sie hustet sich aus. Eine ganze Weile. Und dann lacht sie. Laut und verzerrt.

[203]

Der Achatius, der Pfarrer, tritt ein. Und spricht hinaus zur Tür, wie er eintritt. Ihr bleibts draußen, Köchin. Vorläufig draußen. Habts mich verstanden, Köchin?

Die Stimme der Ambrosia. Nicht gar ganz, Hochwürden!

ACHATIUS.
Und ich sag euch, ihr bleibts draußen, und –
und ich weiß nicht einmal, ob ich euch überhaupts rufen werd!

Schließt die Tür.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Öffnet die Tür noch einmal. Seids ruhig und bleibts draußen, Köchin, denn ich denk, daß –
daß ich mit der andern Köchin da herin noch ganz allein fertig werd!

Schließt die Tür sehr kräftig zu.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Er ist größer aufgeregt wie die Irma.
IRMA
steht ganz wartend.
ACHATIUS.
Prechtlin –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Das – hätt nicht grad sein brauchen, Prechtlin –
IRMA.
Von – wem nicht sein brauchen?
ACHATIUS.
Von euch, Prechtlin.
IRMA.

Und ich hab bislang gemeint, von der andern nicht sein brauchen, von der Ambrosia – ja, von Euerer Ambrosia!

ACHATIUS
gestikuliert.
IRMA.

Ich sags Euch nochmal, Hochwürden, ja, eija, daß das nicht grad hätt sein brauchen – von der Ambrosia –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Kommt da herein und fahrt mich an! und wie ich ihr antwort, weist sie mir die Tür! wegen nichts und wieder nichts!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Lauernd. Oder –

spannt sie vielleicht was?

ACHATIUS.
Was heißt spannt?
IRMA.
Weiß sie was?
ACHATIUS.
Was –
[204]
IRMA.

Habts Ihr ihr vielleicht –

vielleicht beichten müssen?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Daß sich jetzt vielleicht einmal der Spieß umgkehrt hat – und daß der Pfarrer der Köchin hat beichten müssen –

ACHATIUS
bittend.
Irma.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich glaub, Ihr wärts im Stand und täts auch das noch alles aussagn –
IRMA.
In dem Umstand, in dem ich bin, könnt man leicht dazu im Stand sein –
ACHATIUS
bittend.
Irma –
IRMA.
Ja, Achaz?
ACHATIUS.

Irma –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Irma!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Irma! Daß – daß niemand nie was davon erfahrt! Wir beide denk ich haben gute Grund – gute Grund genug, jetzt und für alle Zeit gar fein und fast heimtückisch verschwiegen zu sein! Wir beide! Wir alle zwei, ja!

Wir wollen eins dem andern keinen Vorwurf machen. Nie einen Vorwurf. Niemals im allergeringsten dran denken wollen, wer etwa von uns mehr Schuld haben könnt. Es ist in unserm beiderseitigen Interesse, Irma.

Ich will um Gottes willen meinen Frieden mit der Ambrosia haben – und du sollst auf Frieden schaun, von wegen deinem Kooperator, der dir so sicher ist und auf diese Weis' sicher bleiben wird, und der dich gern hat.

Ich bleib bei dem, was ich heilig, was ich dir heilig versprochen hab, Irma. Die nächste Benefiziatenstellung, die wo irgendwo frei wird, die kriegt der Kooperator – durch mich. Ich habs auch schon beim Domkapitel eingereicht.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Na, und das Kind –

[205]
IRMA.
Ich bet zu Gott, bet alle Tag zu Gott, daß es von ihm ist, und –
und nicht von Euch!
ACHATIUS.

Und ich vielleicht nicht, Irma?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aber davon ist schwer reden. Ob aber so oder so, das Kind, das dir wird, das ist für dich und den Kooperator Kitt genug bis dahin, ein starker Kitt, bis dahin –

das will sagen, bis daß er die Benefiziatenstellung kriegt. Und dann, dann seids ja ihr zwei, du und er, durch mich zusammen, beieinander –

und grad so und genau so beieinander wie hier die Ambrosia und ich!

ganz genau so, und für alle Zeit, wenns nur wollts –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und deswegen, Irma, hättst du vorhin an dich halten müssen, vorhin, und wenn die Ambrosia noch tausendmal verletzender zu dir gewesen wär –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

IRMA.
Glaubts denn, ich habs nicht probiert, Hochwürden?
ACHATIUS.

Du hast ein gar starkes Interesse, daß der Kooperator nichts erfährt –

und ich, ich weiß, ein gleich starkes, daß die Ambrosia –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und was jenes Vergehen von uns zwei angeht, dortmals, wie dein Kooperator zu seinem Studienkameraden hinübergefahren –

IRMA.
Ich glaub, ich bin schuld gewesen, dortmals –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
aber ich
aber –
ich –
ACHATIUS.
Und ich nicht? Und ich soll nicht schuld gewesen sein dortmals?
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Wir sind beide zu gleichen Teilen dran schuld gwesen, Irma.
[206]
Und müssens nun eben leiden!
Denn ich kann dir sagen – ich leids –
IRMA.
Und ich nicht?

Wimmert.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
ACHATIUS.

Aber was gut zu machen ist an allem, das mach ich gut. Ich schwör dirs, ich stift alles zum Guten, soviel ich nur kann!

IRMA.
Und was ich an Vincenz gut tun kann, das tu ich auch und schwörs genau wie du!
ACHATIUS.

Nicht das was gewesen ist, gilt am meisten. Was in einem unbewachten Augenblick einmal gewesen ist, nicht das gilt am meisten. Sondern das was sein wird. Wie man sichs einrichten will. Der Wille nachher ists. Die Kraft, die man auf bringt. Wie man sich nach dem Begangenen verhält, das ists.

Eine Sünd, eine böse Sund ist ein Augenblick. Das Gute, das nachher werden soll, das ist die Dauer.

Gut sein. Gut werden wollen. Die Kraft dazu aufbringen, nachher unvergänglich gut zu sein – aus allem eine Lehre ziehn. Eine gute Nutzanwendung –

IRMA.
So ähnlich wenigstens hat der Kooperator auch vorhin gsagt –
ACHATIUS.
Hast du ihm – Sehr erschrocken.
IRMA.
Er ist einer ähnlichen Meinung, aber ohne daß er das geringste spannt –

Eine ganze Weile Schweigen.
ACHATIUS.

Na, und soll ich sie reinrufen jetzt! Es ist um den Frieden. Ich weiß, es mag schwer sein für dich. Aber der Form nach, der ganz äußerlichen Form nach sollst dus ihr tun –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Entschuldige dich nur ein ganz kleins bissel bei ihr, Irma –

Irma –

Ja?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[207]

Auch durch das kleinste bissel Bezwingung, indem du dir nach deinem Kopf was vergibst, trägst du einen neuen Teil von unserer Schuld ab –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ja?

Ja, Irma, ja?

Jetzt?

IRMA.
Ja –
ja.

Da dringt die Sonne durch; da läßt der gute alte Gott freundlich Strahlen scheinen.
ACHATIUS
geht zur Tür.

Und da läutets was von drüben, und die beiden bekreuzigen sich. Und da öffnet der Pfarrer die Tür und ruft hinaus. Köchin? Köchin?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und wendet sich wieder zur Irma und lächelt ihr zu. Na, Irma –

AMBROSIA
tritt ein.

Da fällt aber auch schon der Vorhang.
[208]

Notes
Erstdruck: Berlin-Wilmersdorf (Meyer), 1911. Uraufführung 1911, Wien.
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TextGrid Repository (2012). Lautensack, Heinrich. Die Pfarrhauskomödie. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DBE8-8