[9] Heinrich Laube
Gottsched und Gellert
Charakterlustspiel in fünf Akten

[Widmung]

Herrn Eduard Devrient, Mitgliede des K. Hoftheaters in Dresden, gewidmet

Einleitung des Verfasser

Einleitung des Verfasser.

Die ganze Geschichte klingt wie ein Märchen.

In einer Stadt hatten sich die großen und die kleinen Kindes zusammen ein Theater errichtet. Darin spielten sie, und daraur wurden sie allmählich sehr stolz. Wie denn Kinder leicht sehr stolz werden, wenn ihnen etwas gelingt, was eigentlich den Großen zukommt. Hierbei tat indessen der Stolz nicht gut: man wollte die Darsteller und das Theater immer mehr putzen und geriet damit auf gar zu viel Geschmack für Äußerlichkeiten. Man wollte ferner durch aus Absonderliches leisten und wurde dadurch manieriert. Von den älteren Kindern bemerkten einige, daß es jetzt gar nicht mehr so hübsch sei wie ehedem in ihrer Komödie. Sie wußten nicht, woran das lag, und sagten kurzweg: Es wird nicht mehr gut gespielt. Da nahmen natürlich die anderen sehr übel, und es gab Streitigkeit, und eine große Anzahl der großen Kinder sagte endlich: Wir tun nicht mehr mit! und ging fort und kam wirklich nicht mehr wieder.

Jetzt spielen wir erst recht! sagten die Zurückbleibenden, und das taten sie denn auch. Um ja zu zeigen, daß sie gut spielten, trachteten sie nach allerlei avarten Dingen. Kurios ging das her! Was ihnen nur in der Schule vorkam aus Indien oder aus China, aus Griechenland oder aus Spanien, daraus machten sie ein Theaterstück, und wenn's nicht recht zusammengehn wollte, so ließen sie Musik dazu spielen, und da ging's zusammen. Ganz wie in der Küche, wo die Köchin vermittelst scharfer Saucen immer noch ein Ragout zustande bringt, wenn die Überbleibsel von allen möglichen Gerichten kein Gericht mehr hergeben wollen.

Einzelne Abtrünnige von den großen Kindern wurden durch dritte und vierte Hand vermocht, solche aparte Vorstellungen einmal [9] anzusehn. Nachdem dies geschehn, wurden sie durch dritte und vierte Hand gefragt, triumphierend gefragt: Na, war dies nicht außerordentlich?

Ja wohl, war die Antwort, aber es ist uns zu hoch, es unterhält uns wohl, aber es gefällt uns nicht recht!

Weil ihr nichts versteht! erwiderte ärgerlich das Personal der kleinen Akteurs und des kleinen Publikums. Heut' kommt ein Erwachsener zu uns, und sieht unsre Künste an, der wird euch sagen, was eine Harke ist.

So geschah's. Und als der Erwachsene die Vorstellung angesehen hatte, fragten sie ihn stolz: was er dazu meine? Liebe Kinder, sagte er, ich möchte euch nicht betrüben, aber ich glaube, eure Geschichte wird ein schlechtes Ende nehmen. Ihr habt euch den Magen verdorben durch Näscherei, und nun bringt ihr schon lange keinen gesunden Appetit mit zu eurer Theatermahlzeit. Euren Köchen da oben geht es um kein Haar besser, und deshalb sind sie auf lauter scharfe Saucen bedacht. Ihr müßt eure Bude zuschließen und ein Jahr hungern, sonst wird euch bald nichts mehr übrig bleiben gegen eure innere Langeweile, als nach Art der überreizten Römer Tierhetzen zu veranstalten. Löwen und Tiger habt ihr nicht, ihr werdet also wohl Hunde nehmen müssen. Dahin wird's kommen. Denn wenn man den Geist überreizt dadurch, daß man ihn ohne Hilfe des Herzens zu immerwährender Bewegung anspornt, so stumpft man ihn ab und versinkt einmal plötzlich auf tierische Gelüste. Wie gesagt, schließt eure Bude zu und fastet. Vielleicht kommt euch allmählich wieder der Sinn für Natürlichkeit und Einfachheit, den ihr dadurch verloren habt, daß ihr das Außerordentliche früher habt besitzen wollen als das Ordentliche. Nach diesen Worten erhob sich ein widerwärtiges Kindergeschrei: Steinigt den Böotier! Steinigt den Barbaren! Da aber nicht gleich Steine zur Hand waren, und der Erwachsene mit leichter Mühe die nächsten kleinen Helden beseitigte, so blieb's bei dem Geschrei, und er ging unbeschädigt von dannen.

So klingt's, wer mag es deuten?! Wehe dem heutigen dramatischen Schriftsteller, der nicht den Mut hat, etwas Eigenes zu wollen, der nicht den Mut hat, etwas anderes zu wollen als das zehnfach verschiedene Urteil eines in Wandelungen begriffenen Publikums, als die hundertfach verschieden fordernde Kritik zu wollen scheint; wehe [10] vollends demjenigen, der sich von manieriert gewordenen Hauptstädten Gesetze vorschreiben ließe. Die Spaltungen und Widersprüche auf der einen Seite, die Kapricen auf der anderen Seite sind nur ein sicheres Zeichen, wie groß das Bedürfnis neuer Wege ist. Nicht das Publikum, nicht die Kritik erfindet die neuen Wege. Sie sagen nur nein, sie sagen nur ja; der Autor muß erfinden. Jenes Nein und Ja sind ihm Fingerzeige, nicht aber Gesetze. Oder sollte diese Ansicht dem Autor zu viel zumuten und zutrauen und der Kritik und dem Publikum zu wenig einräumen? Diese vorwurfsvolle Frage ist meines Erachtens nur richtig, wo es sich um Formen handelt, welche in geringere Berührung kommen mit dem unmittelbaren Leben, und welche deshalb gesicherter sind vor täglichen Einflüssen. Das Drama ist unmittelbare Schlacht. Das Drama besteht nur durch immerwährende Eroberung, der Dramatiker muß den Mut der Anmaßung haben, und wenn er ihn nicht hat, so muß er ihn suchen. Was er bringt, das will und soll unmittelbare Gegenwart werden: diese ist nicht zu gewinnen durch bloße Befolgung von Regeln, welche gestern das Leben trafen, sie ist nur zu gewinnen durch immer neues Leben innerhalb alter Regeln. Die Kritik hat die Regeln, das Publikum besitzt das Leben, der Autor muß beides in sich vereinigen zu einer unerhört neuen Gestalt. Nur dann wird er schöpferisch. Man kann diese neue Gestalt verwerfen, entweder von seiten der Kritik oder von seiten des Publikums: der selbständige Hauch, welchen sie mit sich gebracht, wird dennoch befruchten und weiter zeugen. Ja, Publikum und Kritik können sie verwerfen, der Autor wird dennoch das Recht gehabt haben zu seinem selbständigen Wege, und er wird mit seiner Niederlage einflußreicher und lobenswerter sein als der Verfasser nach Rezepten, der nicht siegt und nicht fällt. Wer auf dem Theater eine Niederlage nicht wagen und erleiden kann, der wird auch das Theater nicht fortbewegen.

Ich kam von Berlin zurück mit der herben Erfahrung, ein Drama, Rokoko, unwirksam gesehen zu haben, welchem ich Wirksamkeit zugetraut, welches Wirksamkeit bewährt hatte. Am selbigen Abende meiner Rückkehr fand ich die sechste Vorstellung desselbigen Stückes im Leipziger Theater, und fand das Haus so überfüllt, daß ich Freund Kuranda, welcher das Stück noch nicht gesehen, hinter den Kulissen ein dürftiges Plätzchen verschaffen mußte. In Berlin, mußte ich ihm sagen, würden wir schon für die dritte Vorstellung die schönsten [11] Plätze in größter Anzahl und größter Auswahl finden! Und es ist hier wie dort ein und dasselbige Stück! Woher kommt das? Bloß von der Aufführung? Bloß vom Publikum? Allerdings ist ein Theaterstück ganz wie ein Segelschiff den Steuer- und Bootsleuten vorzugsweise, den berechenbaren Winden und Wellen und den unberechenbaren Winden und Wettern des Zufalls preisgegeben. Eine glückliche Fahrt beweist nicht immer die Güte des Schiffes, eine unglückliche Fahrt beweist nicht immer die Untauglichkeit des Schiffes. Zahlreich wiederholte glückliche Fahrten sind allerdings ein wichtigeres günstiges Zeugnis als ein Schiffbruch ein ungünstiges Zeugnis ist für das Schiff. Aber ein Schiffbruch ist doch immer lehrreicher als eine glückliche Fahrt, wie jedes Unglück lehrreicher ist als gutes Glück. Was ich auch der Aufführung zubürden mußte, ich war doch nicht so verblendet, darin allein die Erklärung zu suchen. Und so fand ich denn, daß man in Deutschland auch bei der Abfassung des Stückes einem verderblichen Aufführen desselben vorbauen müsse, und daß man ein ungenügendes Verständnis in der Anlage des Stückes vermeiden müsse und könne.

Worin bestünden dergleichen Sicherheitsmaßregeln gegen eine ungenügende und besonders gegen eine unklare Aufführung? Gegen ein ungesammelt hörendes, zerstreutes, in seinen Sympathien schwankendes Publikum? In Folgendem:

Man wähle starke, naheliegende Interessen, starke, ja grobe Züge; wenig Interessen, wenig Züge; einen starken Mittelpunkt und massenhafte Gruppierung um denselben, und nur um denselben; große Einfachheit in der Exposition, sorgfältiges Vermeiden einer Führung des Stückes durch Wendungen, welche nicht alle sichtbar aus den Charakteren und aus der in Bewegung gesetzten Handlung entspringen; nachdrückliche Wiederholung dessen, worauf der Nachdruck liegt; große Sparsamkeit in dem bloß Geistreichen, in alledem, was die Verstandesoperation übermächtig zeigt; nachdrückliche Behandlung dessen, was den Menschen in seinen Gefühlen darstellt, und alledem entsprechend die einfachste, natürlichste Rede.

Wie beleidigend! mag man sagen, solche Hausmittel auszubieten! Als ob wir krank wären, und so recht bauernkrank!

Wir? Das ist eine unrichtige Bezeichnung. Ich glaube, es ist in unserem Vaterlande wenigstens ebensoviel Bildung, ja noch mehr Bildung als in irgend einem Lande. Wäre diese Bildung so leicht [12] wie anderswo vereinigt, wäre diese Bildung die herrschende Stimme in unserm Theater, dann wäre es allerdings nicht nötig, von einer solchen Kur zu reden. Aber die Erwachsenen haben das Theater zu lange schon aufgegeben, deshalb ist die Entwickelung des Theaters gestört worden. Ein gemischtes Publikum richtet in der Arena, und doch verlangen die Besten, daß auch ihnen gleichzeitig Genüge werde. Was ist da anders übrig, als die Form dergestalt zu vereinfachen und von dieser Einfachheit dergestalt organisch aufzubilden, daß sich die zersprengten Teile des Publikums allmählich wieder in einem kernigen Mittelpunkte begegnen können! Ist der Kern wieder gewonnen, wird auch die Feinheit gewonnen werden.

Und was ist dieser Kern? Ist er vorhanden? Und bietet er vielleicht gar in seiner einfachen Tüchtigkeit all' jene Eigenschaften, welche oben durch sogenannte Hausmittel angedeutet worden sind? Freilich! Auf so viel Umwegen kommt man zum Nächsten. Dies Nächste heißt: nationales Schauspiel. Betrachten wir's in der Nähe, so werden sich alle obigen Eigenschaften und Kennzeichen daran bemerklich machen. Starke, naheliegende Interessen soll man wählen; wo gäbe es stärkere und näher liegende als daheim? Wessen bedarf's denn, um sich für die Heimat zu interessieren? Nichts als eines natürlichen, gesunden Sinnes. Und fehlen uns etwa die starken, ja groben Züge? Ei, es erscheint schon stark und grob, was uns so nahe vor Augen ist, und daß wir nicht hoch hinaus dürfen, dafür ist gesorgt. Was sich in die Regentengeschichte hinauf versteigt, das ist nicht erlaubt. Man will offenbar unserm Anteil eine ganz andere Richtung geben, man will die regierenden Familien ausgeschlossen sehn von dem mächtigen Kultus einer Kunst, welche so lebendig eindringt in alle Klassen. Man will uns bürgerlich haben um jeden Preis. Wer verliert dabei? Die Nation, welche sich bilden will, welche Mittelpunkt werden will für massenhafte dramatische Gruppen; sie wundert sich eine Zeitlang, daß die Häupter unsrer Reichsgeschichte von ihr ausgeschlossen sein sollen, aber sie ist gehorsam, und »man gewöhnt's!«, wie Bauernfeld in seinem »Deutschen Krieger« sagt.

Unsre bürgerlichen Zustände ferner, auf welche wir somit angewiesen sind, bieten von selbst eine einfache Exposition, schließen von selbst eine vorherrschende Führung durch Intrige aus, drängen von selbst auf Charaktere, welche nicht in übermächtiger Verstandesoperation, sondern auch besonders in gemütlicher Wendung sich [13] entwickeln, drängen von selbst auf einfachste, natürlichste Rede. Ein nationales Schauspiel zu suchen in der Tat, nicht in unbestimmten Phrasen, dies war die Lehre meiner Theaterschicksale, war die Antwort auf meine erstaunten Fragen.

Ich nahm mir Lehre und Antwort zu Herzen und wartete geduldig ab, ob mir ein heimatlicher Stoff und eine heimatliche Form sich bilden werde. Verzichtend legte ich alte Pläne zur Seite. Eins wußte ich endlich: Wer im Theater wirken will, muß die Gelüste und Wendungen besonderen Geistes und überraschender Laune verabschieden.

So lagen mir die Dinge im Winter zwischen 1844 und 45. Da kam an einem verschneiten Wintertage Robert Heller zu mir und sagte in seiner heiteren Weise: Was meinen Sie, Heinrich Laube, wäre es nicht auch bei uns tunlich wie in Frankreich, gesellschaftlich ein Theaterstück zu machen? Ich weiß einen guten Stoff!

Wirklich einen Stoff?

Wenn Sie so ernsthaft fragen, nein, bloß eine Gegend, eine Figur, einen Charakter, einen Vorfall, gleichviel, was meinen Sie zu einem Gesellschaftsstück?

Wenns ein Lustspiel werden soll, und die beiden Leute einander richtig ergänzen, so mag's wohl tunlich sein.

Nun, ich dächte, wir ergänzten einander gegenseitig, und natürlich müßte es ein Lustspiel werden. Gottsched ist der Held! Das Theater der Neuberin, die Hanswurstvertreibung und die Hanswurstwiederkehr könnte der Mittelpunkt werden.

Kurz, wir vertieften uns wirklich in dieser und einer zweiten Unterredung: was für Personen herbeizuziehen wären, und ob nicht auch Gellert mitspielen könne, und – hiermit war unser gemeinschaftlicher Eifer zu Ende. Je näher man an die Dinge und Charaktere rückt, desto deutlicher sieht man ein, daß die konsequente Durchführung des Eigenwillens ein Bedürfnis ist bei literarischer Schöpfung, und daß etwas innerlich Starkes nicht geschaffen werden kann in solcher gesellschaftlichen Produktion. Sie genügt nur für Stücke, welche im äußerlichen Aufbau und in abwechselnden Szenen ihr Genüge finden.

Ich verreiste außerdem, und wir sahen uns monatelang nicht wieder, und als wir uns wiedersahn, war uns das Thema vergessen. Vergessen? Wer hat die innern Gegenden in uns ergründet, welche [14] man Gewissen nennt! Gewissen ist eine unglaublich weite und mannigfaltige Landschaft. Da herrscht nicht bloß die Moral, da herrschen alle möglichen Systeme und Formen, die uns am Herzen liegen. Was wir zu wissen und zu besitzen für nötig erachtet haben einen Augenblick lang, das wird unser Gewissen. Dort ruht es, was der unabhängigste Menschenteil in uns jemals angeregt, dort gestaltet es sich sogar in völliger Verborgenheit oft jahrelang, und wenn der richtige Anstoß kommt, dann entdecken wir mit Schrecken oder mit Freuden, was in uns fertig geworden sei.

Nicht Gottsched war mein Gewissen geworden, sondern Gellert, welcher in den zwei Unterredungen nur so nebenher berührt worden war, und als die stille Stunde kam, in welcher man in sich schaut, in die dunklen Vorratskämmerchen des Innern schaut, hinter die wunderlich bemalten Vorhänge beseitigter Phantasiegebilde schaut, als diese Examenstunde kam: – da saß der kleine Mann im hechtgrauen Kleide, mit der schmächtigen Nase, mit den guten Augen fertig angekleidet da, den Spazierstock in der Hand, und sagte lächelnd zu mir: »Na, wollen wir anfangen?«


Herr Professor!


»Bloß außerordentlicher, lieber Herr Nachbar aus Schlesien, und deshalb können Sie schon dreister mit mir umspringen. 's ist wohl wahr, was ich da in Ihrem Gesichte lese, daß ich mir später bittre Vorwürfe machen werde, wiederum dem Theaterspiel, Gott verzeih mir's, die hilfreiche Hand, ja diesmal sogar meine ganze kleine Person geboten zu haben. Man wird schelten, ja, ja, man wird auch mit Recht schelten, daß ich meiner Würde als Lehrer christlicher Moral nicht immer eingedenk geblieben sei, indem mit dieser Würde der Theaterspektakel doch nicht recht vereinbar ist. Aber, lieber Gott, es könnte doch auch aus dem Theater eine recht preiswürdige Schule gemacht werden – unterbrechen Sie mich nicht mit Vorwürfen, ich weiß wohl, daß ich damit altmodisch geworden bin! aber es war doch etwas Gutes an diesem lehrsamen Gedanken meiner Zeit, vielleicht ließe er sich nach Art des Ovidius metamorphosieren, was meinen Sie? Machen Sie keine Umstände mit mir, ich bin über fünfundsiebenzig Jahre tot, und Sie müssen am besten wissen, was etwa von mir noch lebendig ist unter den Menschen, und bloß das müssen Sie an mir herauskehren. Am Ende ist's doch wohl das Beste, weil [15] es lebendig geblieben ist, was meinen Sie? Sie sehen ja doch, ich lasse mir's gefallen, daß ich Komödie spielen soll!«

Allerdings war ich von lange her willens, nur das herauszukehren an geschichtlicher Person und Begebenheit, was lebendig geblieben ist. Diese Lehre war mir bei der »Bernsteinhexe« tief eingeprägt worden. Und zum Teil darum wurde mir Gottsched Nebenperson, obwohl er doch eigentlich viel wirksamer angetan zu sein scheint für ein Lustspiel. Der Leser möge sich an das erinnern, was ich in der Einleitung zu »Rokoko« über die innere Form des Lustspiels gesagt. Ich hielt mich für talentlos zu einer ganz heiteren Form, welche sich nur in Kraft der Wendungen und Abwechselungen schaukelt, und welche der Gegensätze nicht bedarf. Ich habe mich leider nicht bessern können in diesem Mangel und brauche immer noch einen starken ernsthaften Halt auch für die Komödie. Diesen Fehl möchte ich weder verleugnen noch verkleinern, es ist wirklich ein Fehl, und ein größerer Fehl als vor unserm Publikum sichtbar wird. Unser Publikum nämlich ist auch nicht absonderlich begabt gegenüber der echtesten und freiesten Lustspielform, es ist verzweifelt geneigt zu der abgeschmackten Äußerung, nachdem es sich notabene eben ungemein belustigt hat, zu der Äußerung: das war aber doch lauter dummes Zeug! Es weiß die reine Lustigkeit nicht recht zu würdigen. Dieser Mangel entschuldigt freilich den meinigen nicht im mindesten. Es ist beim Publikum ein Mangel, der nur die Kehrseite ist von einem großen Vorzuge des deutschen Publikums. Der Humor wirkt mächtiger im deutschen Publikum als die bloße Lustigkeit. Wir sind »ernsthafte Kanaillen«, wie sich ein Grobian ausgedrückt hat, welche das Lachen nur als Mitgift einer soliden und ernsthaften Braut brauchen können. Fehlt dieser solid ausgerüstete Brautstand, so sprechen wir leicht von einer reizenden Komödie verächtlich wie von einem Freudenmädchen. Deshalb könnte man sich wohl über den Mangel echter Komödienform mit leichtem Gewissen entschuldigen wie mit etwas »Ungermanischem«, was eben nur bei den romanischen Völkern zu suchen sei. Aber dies Gewissen ist leicht, diese Entschuldigung ist nicht viel wert. Die echte Komödienform ist auch uns, das heißt, einem starken Lustspieltalente auch unter uns erreichbar, wenn sie auch noch selten oder gar nicht erreicht worden ist.

Genug, ich habe nicht den Mut und also auch nicht das Talent für solche Aufgabe, und mochte und konnte nicht auf Gottscheds [16] Hanswurstgeschichte ein Stück bauen, wie anfangs in den Unterredungen mit Heller unsere Absicht war, und wie Heller allein wahrscheinlich besser vermocht hätte als in Gemeinschaft mit mir. Ich konnte diesen lustigen Bestandteil des Themas nur streifen, und als das Stück fertig war, mußte ich mir eingestehn, daß auch dies Streifen ungeschickt genug geraten war und zum Vorteil der Aufführung herausgestrichen werden könne. Was denn auch geschah. Bei diesem Herausstreichen erinnerte Marr sehr richtig, daß ich diesen Bestandteil auch für den Druck weglassen möchte, weil aus ihm ein ganz anderes Stück noch zu machen sei. Ich kann es aber nicht machen, es liegt über meiner Fähigkeit. Vielleicht veranlaßt diese Partie einen anderen, der sich begabter fühlt, zu solcher Gottsched-Komödie. Während ich dies schreibe, wird bereits von Wien aus ein Stück »Karoline Neuber« 1 angekündigt, welches sich den Andeutungen nach mitten in diesen Kreis hineinbegibt. Die Ausgabe ist also vielleicht schon gelöst, welche ich nicht lösen konnte.

Mein Stützpunkt sollten die Charaktere sein, der deutsche Pedant in seiner prahlerischen Hohlheit, der deutsche Gelehrte in seiner Schüchternheit, in seiner inneren, endlich zur Äußerung genötigten Tüchtigkeit, mein Mittelpunkt sollte Gellert sein. Gottsched vorauf mit dem Titel und im Titel, und Gellert bescheiden hinterdrein und den Nachdruck und den Sieg still in sich tragend.

Das Element, welches Gellert bezeichnet und vertritt, ist grunddeutsch. Es nötigt von selbst zu nationaler Form, zu nationalem Ausdruck. Nur darum ist der Name und der Begriff Gellert so unvergeßlich, so unverwüstlich geblieben. Seht in die Literaturgeschichten! Da werdet ihr diesem Manne ein so dürftig Plätzchen, ein so beschränktes Lob eingeräumt finden! und der kritische Historiker wird sich dafür noch entschuldigen, als ob er zu viel eingeräumt habe. In diesem Punkte liegt das Geheimnis eingesargt von der Wirkungslosigkeit einer künstlichen Literatur, von der Entstehung und Preisung eines künstlichen Theaters, welches keinen rechten Halt, keine sichre Stütze findet in dem Publikum, weil es seinen Halt und seine Stütze nicht in der Nation gesucht hat. Diese weiß einen einzigen aber echten Ton des Schriftstellers höher zu achten als die zehnfache [17] künstlich durchgeführte, künstlich zusammengesetzte Melodie. Das Herz ist beteiligt und getroffen bei jenem einzigen Tone, bei dieser künstlichen Melodie aber nicht. Und das Herz einzurechnen hat unsere kritische Geschichte so lange vergessen. Der Herzenston Gellerts war Epoche machend in Deutschland, ihn erkannte der gesunde Instinkt der Nation, und obwohl ihn die Kritik nicht zu würdigen gewußt, so ist dies Verdienst Gellerts doch trotz aller Literaturgeschichten unvergeßlich und unverwüstlich am Leben geblieben in Deutschland, ein sicheres Zeichen, daß sich ein Volk immer besser auf den Kern versteht als die Gelehrsamkeit. Nach unserer heutigen Erkenntnis verdient Gellert eine viel wichtigere Stelle in der Literatur, als ihm bisher zugestanden worden ist, weil er in einfacher Form und einfachem Ausdrucke das wirklich deutsche Leben zuerst literarisch wirksam gemacht, dergestalt wirksam gemacht hat, daß seine besseren Sachen heute noch nach beinahe hundert Jahren klassische Kraft ausüben. »Wie groß ist des Allmächt'gen Güte, ist der ein Mensch, den sie nicht rührt!« und ähnliche Lieder Gellerts sind heute noch musterhaft in dem klaren, wohllautenden, natürlichen Ausdrucke eines einfachen, herzlichen Gedankenganges. Darin liegt ein Triumph der Kunst, welchen man nur übersehen kann, wenn man den Wald vor Bäumen nicht sieht. Haben wir doch neuerer Zeit eine ähnliche Erfahrung gemacht von so schreiender Gewalt, von so erschreckendem Unrecht, und sie hat doch so wenig genützt! Das Rätsel muß also wohl tief mit unseren literarischen Fehlern verwachsen sein: Schiller trat Bürgers Gedichte in den Staub, in jenen kritischen Staub, welchen wir mit so viel Ernsthaftigkeit und gerichtlicher Würde selbst zu bereiten wissen, ehe wir das Schlachtopfer vom Armensünderschemel stoßen. Schiller, unser geliebter Schiller tat's in einem schwachen Momente, da er sich in Kategorien die Kraft des Auges stumpf gesehn, er tat's gegen einen Dichter, welcher nach Gellert den unmittelbarsten deutschen Ton und Sang mit heute noch unübertroffenem Wurf zu treffen wußte, tat's gegen Bürger, der gerade in diesen rezensierten Formen Größeres leistete als Schiller selbst! Konnte dies Unglück geschehn, wie muß man auf der Hut sein! Und gewiß, gerade des Dramatikers Beruf kann es sein, solche Sünden der Literatur zur Absolution zu bringen dadurch, daß er Poeten zu Helden auf der Bühne macht, welche geliebte Eigenschaften der Nation und nicht bloß der Literatur an sich tragen. Dadurch [18] wird eine Ausgleichung möglich für beide Teile, für Literatur und für Nation.

Mit Gellert war eine Probe zu machen. Eine zweite und dritte Generation nach ihm herrscht jetzt in Theatern; – ist die Stellung welche er in der Literaturgeschichte einnimmt, wirklich so untergeordnet, dann wird seine Erscheinung auf den Brettern nicht elektrisch, sondern nur wie eine Kuriosität wirken, dann wird der Anklang an seine Verse schwach und unmächtig sein, die Kunstkritik, welche den besonderen Sinn des Vaterlandes nicht in Rechnung zu bringen weiß, wird Recht behalten, und der ganze oben erwähnte Gedankengang wird irrtümlich sein, daß auch die höchste Kunst sich organisch aus den tieferen Eigentümlichkeiten einer Nation entwickeln und bilden solle, dieser Gang wird mißlich erscheinen, ich selbst aber werde eine abweichende Lehre erhalten: in der Form des Dramas so ganz und gar dem Sinne deutschen Publikums entgegengegangen zu sein.

Was ich später von der Wirkung des Stückes zu erzählen habe, möge der Leser als Antwort auf diese Zweifel betrachten.

Einmal über die Frage nach dem Mittelpunkte des Stücks entschieden war ich natürlich sofort auf die zweite Frage angewiesen. Wie war Gellert in all seinen Beziehungen, und was ist von diesen Beziehungen als nachdrücklich zu benützen für die Darstellung auf der Bühne, was ist zu übergehen?

Gellert war kein geistiger Führer seiner Zeit, er war nur ein talentvoller Leiter, und sein Talent war so wirksam, weil es ein blanker Spiegel seines Charakters wurde. Was er lehrte, mag in bezug auf seine Schöpfungskraft nicht erheblich sein, weil es sich innerhalb der durch herrschende Sitte und Religion gegebenen Grenzen verhielt; wie er es lehrte, das war die ihm eigentümliche Tat, welche ihn zu einem Helden seines Vaterlandes machte. Der Inhalt selbst konnte also für mich im Hintergrunde bleiben, die Form schon brachte mir das, dessen ich bedurfte, und Gellerts Form war eben Gellerts Person, Gellerts Charakter. Seine Person und seinen Charakter in Verhältnissen darzustellen, in welchen er sich auch noch heutiger Bildung entsprechend äußern durfte, das war die Aufgabe.

Wäre der Grundsatz falsch, daß man für den Theaterhelden nur das lebendig Verbliebene ausbilden solle, dann hätte selbst die populäre Figur Gellerts einen schweren Stand auf der Bühne. Ich will nur einen Zug erwähnen. Gellert war fromm; nicht nur im[19] allgemeinen fromm, sondern auch christlich fromm. Das heißt: die dogmatischen Hauptpunkte des christlichen Bekenntnisses waren ihm außer Zweifel, er war, wie man es heutigentages nennt, gläubig. Die direkte, persönliche Vermittelung Christi zum Beispiel war sein Trost im Sterben; er erwartete den ganz persönlichen Heiland, welcher zu ihm treten und ihn zu Gottes Thron geleiten würde, sobald der letzte Atemzug des irdischen Körpers verhaucht sein werde.

Diese naheliegende Vorstellung von Lohn und Strafe gibt eine ganz andere Grundlage für die Moral, als sie heutiges Tages seit der Kant'schen Epoche die herrschende ist. Heut' würde ein solcher Moralist unsern Pietisten ähnlich sehn und dadurch die Sympathie des Publikums auf der Stelle verlieren. Und Gellert war auch keineswegs ein Pietist. Wenn man also alle Züge einer geschichtlichen Figur anbringen wollte, so würde man geradezu die Figur verzeichnen, da man ja doch innerhalb der festen Formgrenzen nicht das ganze Leben des Mannes mit allen Erklärungen und Ergänzungen geben kann, sondern nur das Charakteristische und Seelenvolle herausbilden muß. Man würde die Figur verzeichnen auch für jede andere Form, nicht bloß für die Theaterform. Deutet nicht diese Bemerkung darauf hin, daß die Forderung des bloß lebendig Verbliebenen für das Theater eine tiefe ästhetische Berechtigung hat? Eine Wahl muß jedenfalls stattfinden unter den Materialien, welche eine geschichtliche Person bilden; für diese Wahl hat jede Kunstform ihren eigentümlichen Seelenpunkt. Der eigentümliche Seelenpunkt für die Theaterform ist derjenige Lebenshauch, welcher unmittelbar lebendig und dauernd verblieben ist. Fast alle Kunstformen, welche wirken sollen, werden einen ähnlichen Anspruch machen, aber keine wird so empfindlich sein in Forderung der Unmittelbarkeit als die Theaterform, weil keine andere so unmittelbar mit und von Menschen zu Menschen dargestellt wird.

Ginge man von diesem Grundsatze ab, wo bliebe da die Popularität Gellerts, welche ihn zum Helden für das Theater empfiehlt? Die Popularität ist eben daraus entstanden und besteht eben dadurch, daß jedermann ein dauernd Lebendiges in Gellert findet. Das Populäre ist ja eine Haupterscheinung des dauernd Lebendigen und ist ein wichtiger Teil dessen, was ich für den geschichtlichen Theaterstoff unerläßlich nenne.

[20] Die Weltgeschichte bewegt sich nur um eine kleine Anzahl von Grundgedanken. Mit einem derselben seinen Helden in Verbindung zu bringen, ist Aufgabe des Autors, der eine starke Wirkung erregen will. Wehe ihm, wenn er sich in die hundert Nebengedanken einwirren läßt, welche jeder Epoche eigen sind. Diese Nebengedanken wechseln mit der Mode, und was von ihnen der Theaterheld mitbekommen darf zur Ausrüstung, das muß wohl erwogen und mit dem herrschenden Geiste der Zeit ausgeglichen sein.

Es mußte mir also darum zu tun sein, daß meine Komödie für Gellert Situationen darbot, welche seinen populären Kern enthüllen konnten, ohne das zu berühren, was von den Nebengedanken der Gellertschen Epoche und Person altmodisch geworden ist. Letzteres das Negative also, habe ich als Praktiker hinlänglich vermieden, ich glaube aber nicht, daß mir jenes, das Positive, hinlänglich gelungen ist. Es sollte ein Lustspiel werden, und dadurch allein schon wurde mir die breitere Entwickelung der Gellertschen Eigentümlichkeit sehr beeinträchtigt. Sie bietet sich wohl zu einzelnen Zügen einer lieblichen Laune, nicht aber zu freier Teilnahme an völliger Lustigkeit. Wenn man in Leipzig lebt, so kann man ohne Bücher heute noch erfahren, in welcher tief verehrten und für Lustspielszenen schwer verwendbaren Bedeutung Gellert im Gedächtnisse der Menschen lebt. Er war die geistliche Oberbehörde der Stadt. Nicht die offizielle, sondern, was viel mehr sagen will, die freiwillig und nur innerlich erwählte. Die Herzen gehörten ihm, er war gleichsam das persönliche Christentum, welches jedermann liebte und verehrte. Noch heutiges Tages [1847] darf man in dem Walde bei Leipzig, welcher bis an die Stadt heranreicht unter dem Namen »Rosental«, nicht fahren noch reiten. Der Bürger will dort vor Staub und auch vor jeder symbolischen Nähe einer Aristokratie gesichert sein. Nur für Gellert allein ward eine Ausnahme gemacht. Seiner Gesundheit wegen mußte er reiten, und da die weitere Umgebung der Stadt keinen so schattigen Reitweg darbot wie das Rosental, so bat man ihn, es für sein Roß und seine Person zu benutzen. Und wenn der kleine, magere Mann auf dem Schimmel 2, welchen ihm Prinz Heinrich geschenkt, dort erschien [21] und langsam zwischen den Spaziergängern hindurch ritt, so blieb jedermann ehrerbietig stehen und zog seinen Hut und grüßte ehrfurchtsvoll, und die Mütter hoben ihre Kinder in die Höhe, damit sie ihn sehen könnten, den Herrn Professor Gellert. Damals war Dresden noch drei Tagereisen von Leipzig entfernt, und doch ließ der Kurfürst, als jenes Reitpferd Gellerts gestorben war, ein schön gezäumtes Roß hinüberführen von Dresden nach Leipzig, damit der kränkliche Herr Professor Gellert ja wieder reiten könne, ja er schickte, als Gellert schwer erkrankte, seinen eigenen Leibarzt Demiani, und dieser mußte täglich eine Stafette nach Dresden senden mit Nachrichten über Gellerts Zustand. Gellert war tief gerührt von dieser Fürsorge und »dankte Gott mit lauter Stimme dafür. Aber, setzte er hinzu, als ob er fürchtete, daß ihn seine Freude darüber zu weit führen möchte: Verlasset Euch nicht auf Fürsten! Sie können nicht helfen, wenn sie auch noch so gütig sind und gern helfen wollen. Meine Hilfe kommt vom Herrn! Und wie er immer gewohnt war, unter seinen Leiden an die Leiden des Erlösers zu denken, so wiederholte er auch jetzt: daß er als ein Untertan von seinem Herrn so viel Mitleid genösse, da doch sein Heiland von den Menschen nicht einmal hätte Gerechtigkeit erlangen können!« 3

Als er wirklich im Dezember 1769 starb, brach eine allgemeine Wehklage aus, und man wallfahrte förmlich nach seinem Grabe auf dem Johanniskirchhofe. Der Magistrat mußte es geradezu verbieten, weil es äußerlich und innerlich störend wurde. Und heute noch ist sein Grab das allgemein gesuchte Auge des großen Gottesackers, heute noch kennt jedes Kind in Leipzig Gellerts Grab, nicht minder wenigstens als das Denkmal, welches ihm auf einem Hügel der Promenade errichtet worden ist, noch heute lebt er mit seinen Liedern und seinen Fabeln. Gellert ist also heute noch nicht bloß durch kanonisches Dekret, sondern durch lebendig erwachsene Überzeugung der Schutzpatron von Leipzig.

Diesen in einem Lustspiele aufzuführen, welches in Leipzig zuerst dargestellt werden sollte, war ein Wagstück, welches mir in der Komposition manche beschränkende Rücksicht auflegte. Wie sehr mich diese Rücksicht beschränkt, erkenne ich zum Teil erst jetzt. Ich [22] bin offenbar jedem intimeren Verhältnisse Gellerts aus dem Wege gegangen, damit er so viel als möglich öffentliche Person bleibe. So ist von dieser Seite schon etwas Breitspuriges in die Komposition gekommen, und diese breite Spur ist noch obenein erweitert worden durch den oben erklärten festen Vorsatz: den Gang in großen, nicht zu verkennenden Strichen anzulegen, die Intrige dergestalt zu vermeiden, daß sich lediglich die Dinge durch sich selbst intrigieren sollten, und um einen einzigen Mittelpunkt alles zu gruppieren, ja mit wiederholtem Nachdrucke immer wieder nur um den einen Punkt zu gruppieren. Dies ist die Gefahr vor einem brutalen Kriegsgerichte. Selbst eine verzweifelt große Einheit und Einfachheit entstand aus der Erfahrung: dem so verschiedenen und so gemischten Theaterpublikum dürfte mit oberflächlich zufahrenden Schauspielern keinerlei Schwierigkeit des Verständnisses zugemutet, keine Möglichkeit der Abirrung gelassen werden. Kurz, die oben aufgezählten Hausmittel sind hier redlich angewendet worden, und die mitunter etwas zage Hoffnung tröstete mich: auf solchem Wege kann eine nationale Form gefunden werden.

Eine echt deutsche Schwierigkeit entwickelte sich übrigens in dem Stücke, und ich habe sie mit voller Absicht zu entwickeln gesucht: dies ist der Gegensatz zwischen Sachsen und Preußen. Wir wissen alle, daß der Preuße im westlichen Deutschland besonders unpopulär ist. In Sachsen ist dies noch ärger: er ist geradezu verhaßt. Das hat einen ganz natürlichen und einen klaren geschichtlichen Ursprung. Hier ein Naturell mit ausgesprochener Anlage für gebildete Form, dort ein Naturell mit ausgesprochener Anlage zu übergreifender Handlung. Hier eine geschichtliche Vergangenheit, welche gegründete Ansprüche entwickelte auf die erste Stellung im protestantischen Norden, dort eine Neuzeit, welche die Ansprüche nicht nur, sondern auch einen großen Teil von sächsischem Land und Leuten an sich gerissen – diese Antipathien in einer Komödie zu vereinigen, dergestalt zu vereinigen, daß hier wie dort eine hinreichende Genugtuung empfunden wurde, das war eine nicht geringe Schwierigkeit, war aber doch meines Erachtens ein würdiger Nebenzweck für ein Nationalschauspiel. Gellert schien mir dafür ein trefflicher Vereinigungspunkt. Unsre literarischen Größen sind die glücklichsten Vertreter einer Einheit, deren wir so tief bedürftig sind. Den Südwesten herbeizuziehen in dem lebhaften Cato, und in Nebenfiguren [23] noch andre Landschaften zu beteiligen, war eine natürliche und, wie mir's scheint, wohltätige Erweiterung solchen Zweckes. Diese Absicht ist denn auch in den verschiedenen Hauptstädten vollständig erreicht worden: man hat die preußische Macht in Dresden und Leipzig und am Rhein, man hat die sächsische Tüchtigkeit in Berlin harmlos hingenommen in solcher Vereinigung, die auf billige und gerechte Anerkennung begründet ist. Sogar der sächsische Dialekt, welchen man eigentlich auf den sächsischen Theatern übelnimmt, hat sich mit heiler Haut auf den sächsischen Schlachtfeldern hindurchgeschlängelt.

All' diese Absichten im breiten und ganzen sind denn auch von der Mehrzahl der Kritiker erkannt und im wesentlichen gebilligt worden. Die Schulkritik hat ihr kopfschüttelndes Bedenken ausgesprochen über die gar so einfache Form. Das ist ihr Recht und ihre Schuldigkeit. Sie hat zu konservieren, und die stete Wiederholung bewährter Grundsätze ist uns heilsam, die wir unsrerseits nach neuer Eroberung trachten müssen, die wir aber unsre Schuldigkeit am ungenügendsten erfüllt haben, wenn wir bloß das Lob der Schulkritik ernten. – Mehrere achtungswerte Kritiker haben ihr Erstaunen und ihre Mißbilligung ausgesprochen über die vielfache Äußerung politischer Tendenz, welche in diesem Stücke hervortritt, und dies ist ein Thema, welches genauere Betrachtung verdient. In dem vorliegenden Falle bin ich gemeint, keinen Fußbreit vom ein genommenen Terrain aufzugeben und dem Angriffe ganz und gar die Spitze zu bieten.

Ist es ein würdiges Streben, und ein solches ist es, und lohnt es der Mühe, und das tut es, die dramatische Kunst auf Kern und Wesen einer Nation zu gründen, also ein Nationaldrama zu erstreben, so wäre es doch verwunderlich, wenn Lebensinteressen der Nation nicht den Lebenspunkt eines Dramas bilden dürften. Wie? Das Ganze sollte national sein und das einzelne nicht, oder gar die Seele nicht? Lebensfragen der Nation sollten nicht geeignet sein, das Pathos eines Dramas zu bilden?

Das wäre doch wohl eine Konfusion! Sie ist nur daher entstanden, daß man politische Tagesfragen und Stichworte verwechselt hat mit tieferen Tendenzen der Politik und Nation. Tagesfragen und Stichworte sind allerdings nur jene »Nebengedanken, welche mit der Mode wechseln«, und auf welche man sich nicht stützen darf, wenn man einen dauernden Charakter, einen dauernden Inhalt [24] gewinnen will. Aber das Gesellschaftsleben, das Staatsleben, das Nationalleben hat in seinen tieferen Tendenzen Momente des Pathos, welche eine Tragödie erfüllen können. Ich will der Kürze wegen nur an Regulus erinnern. Um wieviel mehr wird es Momente bieten können für Schauspiel und Lustspiel. Die Uneigennützigkeit des Charakters, die Hingebung an das Allgemeine werden ja neben dem Verhältnisse zur Religion am stärksten hervortreten können im Verhältnisse zum Staats- und Nationalleben. Ist man weniger tüchtig, wenn man der Überzeugung Opfer bringt, als wenn man der Neigung opfert? Also, so wie das Verhältnis zu einer geliebten Person der Kernpunkt eines Dramas sein kann, so kann auch das Verhältnis zur Gesellschaft, zum Staate, zur Nation der Kernpunkt werden. Namentlich zur Nation, welche eben eine erweiterte Persönlichkeit und dem abstrakten Begriffe ganz und gar entrückt ist.

Dies zugegeben, wird es doch nur darauf ankommen, ob das Stück im ganzen darauf angelegt ist, daß es in Entwickelung solcher Verhältnisse sein Pathos suchen und finden kann. Ist dies der Fall, und bei »Gottsched und Gellert« ist es der Fall, dann sind die wirksam hervortretenden Tendenzen nicht mehr Phrasen, welche gelegentlich und ohne Notwendigkeit hervortreten, sondern sie sind die organischen Blüten desjenigen Pathos, in welchem das Stück wurzelt, sie gehören ihm also nicht nur mit Fug und Recht, nein, sie sind ihm unerläßlich zur Erfüllung seines Wuchses.

Die nähere Frage betrifft nun die gerichtliche Möglichkeit. Mit gutem und strengem Rechte darf man fragen: sind diese Tendenzen am Schlusse des Siebenjährigen Krieges vorhanden, oder sind sie auch nur möglich gewesen? Wenn sie nur möglich gewesen sind, so halte ich mein ästhetisches Gewissen für vollkommen gedeckt. Und ich meine: sie sind nicht nur möglich, sie sind vorhanden gewesen. Nicht nur das ist vorhanden, und besonders für die poetische Verwertung vorhanden, was aller Welt vernehmlich, was lebendig sich äußert, sondern auch das, was überhaupt lebt, wirklich lebt. Und wenn ich Lessing lese, welcher damals in der ersten Blüte seiner Kraft schrieb, wenn ich nur seine »Minna von Barnhelm« lese, das Lustspiel, welches aus dem Siebenjährigen Kriege emporwuchs, da finde ich in dem Verhältnisse Tellheims des Preußen zu Minna der Sächsin diese ganze Welt der Gegensätze, welche sich ausgleichen[25] wollen, welche das tiefe Bedürfnis fühlen und das tiefe Bedürfnis des Autors verraten: deutsche Gegensätze auszugleichen. Das wäre mir Quelle genug. Man vertiefe sich aber doch in die Gemüter der Deutschen nach dem Siebenjährigen Kriege, nach einem solchen Kriege unter Brüdern, und frage sich, ob jene Menschen nicht auf ähnliche Gedanken kommen mußten, wie sie in den letzten zwei Akten dieses Stückes ausgesprochen werden! Man taste an Gottsched herum nach politischen Wünschen, an diesem Gottsched, der teils aus Eitelkeit, teils aus wirklich ihm eigenem Organisationssinne die deutschen Mächte in Mittelpunkten vereinigt sehen wollte; man taste in Gellerts Äußerungen, an Gellerts Herzen herum, ob dieser grunddeutsche Mann nicht gleiche Liebe für jeden deutschen Stamm hegen, und ob er nicht für diese Liebe eine leichter faßliche Form wünschen mußte. Man frage nach dem Charakter des Prinzen Heinrich, der schon aus Selbstgefühl neben dem gewaltsamen Bruder liberale Prinzipien gern besprach! Als erobernder preußischer Kriegsfürst begriff er zwar die mögliche größere Einheit des Deutschen Reiches innerlich nur in preußischer Herrschaft; neben Gellert aber und in größter Wallung beim ersten Friedensschimmer, bei einem Friedensschimmer, welchen er selbst zu Wege gebracht, konnte er da nicht diesen Gedanken neuer Einheit, mußte er ihn nicht großmütiger und freier aussprechen? Er mußte, wenn man nur im einfachsten psychologischen Gange dem Charakter und der Situation folgt bis zum notwendigerweise lebhaften Ausdrucke. Cato endlich ist ein enthusiastischer Adept Lessings. Meinen nicht stets die Adepten ihre Meister ergänzen und überbieten zu müssen? Ergänzt und überbietet den Verfasser der »Minna von Barnhelm«, werden da nicht Gedanken und Ausdrücke von selbst wachsen wie die Gedanken und Ausdrücke Catos? Daß der Bediente Schladritz als praktischer Hanswurst neben Gottsched erscheinen und praktisch die äußerliche Reform des Aristarchen verhöhnen kann, das finden wir natürlich, daß aber das Wichtigere in gleicher Folgerung sich ereignet haben könne, das bestürzt uns, weil es zu deutlich unserm jetzigen Bewußtsein entspricht. Wir sind so schüchtern! Das entsprechende Geringere lassen wir uns gefallen, das entsprechende Größere erschreckt uns. Versichern kann ich wenigstens, daß ich jedes Wort sorgfältig erwogen, ob es 1762 habe entstehn können, und daß wenigstens ein wirklicher Anachronismus nicht in meinem Prinzip gelegen. Freilich [26] wird sich die gründliche Erörterung immer wieder auf den Grundsatz zurückwenden müssen, daß mir für das Drama der Begriff des Anachronismus ein enger zu begrenzender sei, als er herkömmlich begrenzt wird, und daß ich eben weiteren Spielraum verlange mit der Forderung: der Dramatiker soll für das Theater auch in der Geschichte nur das erwählen, was noch lebt, und was der Gegenwart entspricht durch dauerhaft gebliebene Lebenszeichen.

Kann man mir die Forderung zugeben und muß doch die Folgerung, wie ich sie gestaltet, verwerfen, nun dann muß ich mich bescheiden. Man möge mir nur dann einräumen, daß der Fehler nicht unbedacht entstanden sei. Die wir mit bewußter Verwegenheit neue Hilfsmittel und Wege für das Drama suchen, wir bitten ja nur um Anteil, nicht aber um Beifall. Unser Weg ist dornig und weit, eben weil es nicht ein ausgetretener sein soll: wir hätten uns schlecht beraten, wenn wir einen Beifall hofften, oder gar auf einen Beifall Anspruch machten, welcher höchstens am Ziele zu finden sein kann. Und schwerlich wird einer von uns das Ziel erreichen! Schwerlich täuscht sich einer von uns darüber, daß wir nur einen Vortrab bilden. Wie viel muß noch geschehen und sich bilden, ehe das wirkliche deutsche Heer in Masse vordringen und einen wirklichen Generalstab an seiner Spitze ausbilden kann!

Aber »das Geheimnis des Langweilens besteht darin, daß man alles sagt«. Ich eile also zu einem kurzen Berichte, welches Schicksal das Stück vor dem Theaterpublikum gefunden habe. Lebte Gellert wirklich noch? Er lebt noch und lebt noch vollständig wirksam in seinen Fabeln. »Um das Rhinozeros zu sehen« schlug überall ein wie der Blitz und zwar in alle Klassen des Publikums. Das Stück hat durchgängig eine gute Aufnahme gefunden, und selbst an vernachlässigen Bühnen, die sich allmählich eine Geschicklichkeit angeeignet im Erwürgen neuer Stücke, selbst da hat es eine Lebenskraft bewährt, welche offenbar nur dem nationalen Stoffe und nationaler Form entsprossen ist. Denn was etwa an Verdienst der Autor seiner Ausführung zuschreiben möchte, das töten solche Bühnen durch ungenügende Besetzung und Einstudierung.

Die beste und, wie es scheint, eine dauernde Stätte hat es gefunden: in Dresden unter Eduard Devrients Regie, in Leipzig unter Marrs, in Mannheim unter Düringers Regie, in Braunschweig unter Köchys Leitung, und – in Berlin unter Schneiders [27] Regie. Und in Berlin hatte noch der neutrale Prinz Heinrich in den beteiligten General Seydlitz verwandelt werden müssen. Berlin hat mir also Recht gegeben. Nach der Aufführung »Rokokos« sagte ich: Hierher gehören Stücke ganz anderer Beschaffenheit, Stücke mit starken Strichen, und bei der Aufführung von »Gottsched und Gellert« sagte das Berliner Theaterpublikum unter vergnügtem Händeklatschen: Ja wohl! – Ist das nicht eine Genugtuung? Ach nein. Wer diesen Dingen mit Liebe gefolgt ist, der wird meinen Seufzer wohl verstehen.

Die Wiener Zensur fand auch dies Stück wieder nicht zulässig. Dies war das vierte, welches nicht absolviert werden konnte. Die Sünden schreien zum Himmel.

In Kassel tötete das Publikum dieses deutsche Charakterlustspiel. Man hatte so unbedacht und lebhaft applaudiert, daß eine Wiederholung nicht stattfinden durfte. Ein üppiger Tod unter Blumen.

In Dresden ward es auf den Proben durch ein vielfältiges Wer da? fast zum Tode erschreckt. Zwei Monate vor diesen Proben hatten die unglücklichen Augustereignisse in Leipzig stattgefunden, und gute Freunde hatten ausgesprengt: Dies Stück mit seinem Streite zwischen Professoren und Soldaten sei rasch mit Bezug hierauf verfaßt worden. Als ob dieser Streit von heut' und gestern wäre! Jedenfalls würde darin von seiten des Militärs mit Schießen gedroht. – In diesem kritischen Augenblicke zeigte Herr Eduard Devrient, der damals noch zu bester Aussicht für ein gutes Schauspiel die technische Leitung führte, das erforderliche kalte Blut und die so seltene moralische Tapferkeit. Er gab nach in unbedeutenden Einzelheiten, welche mißdeutet werden konnten, und verteidigte unbeirrt von furchtsamem Geschrei die berechtigte Existenz des Stückes. Glücklicherweise ist auch dort die entscheidende Behörde, die Intendanz, einer gründlichen Beweisführung gern zu Willen und sogar in guter Charakterkraft gern bereit, mancherlei auf sich zu nehmen, was mißlich und herb erscheinen könnte, und was denn einmal bei einer Begegnung zwischen strenger Hofform und neuen Theaterstücken nicht immer zu vermeiden ist. Ausstreichen und Verbieten beseitigt es freilich, aber nur auf unsre Kosten. Wir sind also gewiß zu Dank verpflichtet, wenn die Intendanz mit selbständiger Kraft auch einen Teil der Übelstände auf ihre Schultern nimmt, und diesen Dank bin ich schon zum öfteren Herrn von Lüttichau in Dresden schuldig geworden.

[28] So ward es denn möglich, daß Herr Eduard Devrient das Stück in einer rasch einherschreitenden Gruppe vorführen und als Gellert an der Spitze ihm einen durchaus wohltätigen und schönen Erfolg sichern konnte. Eine überraschende Porträtähnlichkeit mit Gellert, eine tief innerliche moralische Haltung, unschätzbar für den außerordentlichen Professor der Moral, und ein aus dem tiefsten Innern dringender moralischer Nachdruck in den letzten Akten gaben meinem Stücke denjenigen Kernpunkt, aus dem ich es zu entwickeln, auf den ich es zu begründen gesucht hatte, und sicherten ihm solcherweise die in der Wurzel feste Existenz. Welch ein Gegensatz zu dem kernlosen »Rokoko« in Berlin, welch ein neuer Beweis, daß nachdrücklicher Kern im Mittelpunkte weiter hilft als zehnfache virtuose Zier. Kommt dann diese schöne Anzweigung und Verzweigung hinzu, wie sie das Dresdner Theater gewährt mit seinen wohltuenden Frauengestalten in Fräulein Bayer und Berg, in seinem künstlerisch ausgebildeten Emil Devrient, in seinem wirksamen Komiker Räder, mit dessen Schladritz nur der Schladritz Herrn Gerns in Berlin um den Preis der heiteren Wirkung ringen kann, kommt dann hinzu, daß auch Nebenzweige, wie Herr Porth als Prinz Heinrich, fest und eigentümlich ihren Platz ergreifen, dann entsteht ein Komödienensemble, welches leider eine Seltenheit geworden ist in Deutsch land.

In diesem bewußten Trachten nach einer Ensemblekomödie, oder um es besser auszudrücken, nach einem ganzen Schauspiele ist uns Herr Eduard Devrient so tüchtig hilfreich gewesen, daß wir Autoren schon deshalb allein ihm die lebhafteste Erkenntlichkeit schulden. Seine Schuld war es nicht, daß seine gut angelegte Wirksamkeit in Dresden so früh und so jählings unterbrochen wurde.

Es ist mir also eine besondere Genugtuung, ihm »Gottsched und Gellert« widmen zu dürfen. Ich möchte mit dieser Widmung, nicht nur ausdrücken, wieviel Wesentliches ihm das Gelingen dieses Stückes zu danken hat – ich möchte auch ausdrücken, daß wir Autoren jede Gelegenheit ergreifen, unsre Erkenntlichkeit an den Tag zu legen für eine gewissenhafte Sorge um deutsches Schauspiel.

[29]

Fußnoten

1 Von Ritter, welcher wohl nur den Rüstungsnamen bildet für die geist- und talentvolle Frau von Winzer.

2 In einer Berliner Zeitung hat ein Graf Kaltreuth Einspruch getan wegen dieses Schimmels. Er habe seinem Ahnherrn gehört und sei von diesen an Gellert geschenkt morden. An der Tradition sei nur so viel richtig, daß Prinz Heinrich dies Roß in der Freiberger Affäre geritten habe. Pflichtschuldig bemerke ich dies hier. Aber aufklärende Bemerkungen bleiben immer ohnmächtig gegen eingelebte Traditionen.

3 Cramers Bericht über Gellerts letzte Tage.

Personen

Personen.

    • Prinz Heinrich von Preußen.

    • Graf Bolza.

    • Johann Christoph Gottsched, Professor der Philosophie und Dichtkunst, der Logik und Metaphysik, Dezemvir der Universität, Senior der Philosophenfakultät und der Fürstenkollegiums usw.

    • Christian Fürchtegott Gellert, außerordentlicher Professor der Moral.

    • Cato.

    • Siegmund, Wachmeister.

    • Gottfried, Reitknecht.

    • Schladritz, Diener Gottscheds.

    • von Wedell, Adjutant beim Prinzen.

    • von Zastrow, Adjutant bei Seydlitz.

    • Gräfin von Manteuffel.

    • Wilhelmine, deren Tochter.

    • Luise Adelgunde Viktorie Gottschedin, geborene Kulmus, Gottscheds Frau.

    • Katharine, Jungemagd in Gottscheds Hause.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Schladritz. Frau Gottsched – Gottsched beide unsichtbar.

SCHLADRITZ
die Tür links offenhaltend und sich hinein verbeugend.
Ganz wie der Herr Professor befehlen!
GOTTSCHED
links innen, nur hörbar.
Und zwar soll der Schladritz dies mein Haus auf der Stelle verlassen!
FRAU GOTTSCHED
ebenfalls links innen und nur hörbar.
Aber lieber Gottsched –
GOTTSCHED.

Keine Widerrede! Er hört, Schladritz, meines Willens Meinung und hat sich auf der Stelle darnach zu achten.

SCHLADRITZ.
Sehr weise, Herr Professor ordinarius.
GOTTSCHED.
Also!
SCHLADRITZ.
Also?
GOTTSCHED.
Also was steht Er noch? Es ist nichts weiter zu sagen.
SCHLADRITZ.

Ich wollte mich nur Dero Wohlwollen fernerhin empfehlen – Entfernt sich unter Bücklingen von der Tür, welche offen bleibt.

GOTTSCHED.
Braucht mein Wohlwollen nicht mehr!
SCHLADRITZ
sich nach der offnen Tür verbeugend.

Bitte ehrerbietig. Macht ein Schnippchen gegen die offne Tür, kommt einige Schritte vor und sagt ins Publikum. Der bildet sich ein: weil er mich aus dem Hause jagt, wären wir fertig miteinander. Gehorsamer Diener! So leicht wird man einen guten Diener nicht los. Wird sich wundern! Wenn ich erst anfange auszuziehn, da ist's noch ein weiter Weg bis zum Auszuge, und jetzt fang' ich noch lange nicht an; vorderhand laß ich aber alles 'rein ins Staatszimmer, was nur 'rein will, Krethi und Plethi. – Es klingelt außen hinter der Hinterwand. Aha, da klingelt's schon! Im Abgehen nach dem offnen Zimmer Gottscheds blickend. Wird sich wundern.

GOTTSCHED
einen Schritt näher an der Tür, aber nicht sichtbar.
Noch nicht fort, widersetzlicher Mensch!
FRAU GOTTSCHED
heraustretend und Schladritz, der vor der Mitteltür ist, fortwinkend, halblaut.

Geh Er nur jetzt, Schladritz, der Herr ist im Zorn. – Während Schladritz eine Gebärde macht, als verstünde er sich schon [31] darauf, und abgeht, wendet sie sich zu der offen bleibenden Tür und sagt zu dem innen bleibenden Gottsched. Wir können doch aber wirklich nicht ohne Domestiken sein, am wenigsten in diesem Augenblicke, welcher an jedem Tage die feindlichen Truppen wieder hereinbringen kann nach Leipzig!

GOTTSCHED.
Larifari mit feindlichen Truppen! Bloß Preußen! Schreib' eine Anzeige, unterm Rathause anzuschlagen!
FRAU GOTTSCHED
sich zum Schreiben setzend.
An Gellert wenden sich immer ordentliche Leute.
GOTTSCHED.

Kein Wort an ihn! Alle Mitglieder der Fakultät sind auf meinen Ruf sogleich erschienen, nur er ist noch nicht da – soll's empfinden!

SCHLADRITZ
hinter der Mitteltür.
Nur immer hinein!
2. Szene
Zweite Szene.
Gottsched unsichtbar. Frau Gottsched. Graf Bolza. Später Schladritz außen.

GRAF BOLZA
tritt durch die Mitteltür ein, welche ihm Schladritz, draußenbleibend, öffnet und wieder schließt.
Er betrachtet Frau Gottsched einen Augenblick. Sie ist es selbst! Eilt auf sie zu. Schönste Frau!
FRAU GOTTSCHED
welche halb mit dem Rücken nach der Mitteltür gesessen, springt auf.
Um des Himmels willen, Graf Bolza! Was führt Sie nach Leipzig?!
BOLZA.
Wenn es mein Herz wäre, würden Sie mir zürnen?
FRAU GOTTSCHED
erschrocken nach Gottscheds offnem Zimmer blickend.
Wollen Sie meinen Mann begrüßen? Er arbeitet hier im offnen Nebenzimmer.
BOLZA
ohne sich umzusehn.
Was frag' ich nach ihm!
FRAU GOTTSCHED.
Herr Graf!
BOLZA.

Sie haben recht! Den Preußen gegenüber ist er fast so mächtig, als Sie am Hofe zu Dresden mächtig sind, und die Preußen –

FRAU GOTTSCHED.
Können jeden Tag in Leipzig einrücken!
BOLZA.
Wahrhaftig?
FRAU GOTTSCHED.
Was in der Welt hat Sie veranlassen können, Ihren sichern Aufenthalt im Gebirge zu verlassen?
BOLZA.

Die Not! Es war ja vorbei mit der Sicherheit [32] meines Aufenthalts! Prinz Heinrich von Preußen rückte mit seinem Heerteile in die Berge hinauf, und man erwartet in der Gegend von Freiberg eine Schlacht. Seydlitzens Reiter durchstreiften alle Schluchten, und gerade dieser verwegene Offizier verfolgt mich persönlich, er beschuldigt mich der Parteigängerei für Österreich, im Grunde aber will er liebes Kind werden bei den Deutschen, indem er den Italiener in mir auf Tod und Leben verfolgt; ja er hat sogar seinen Soldaten ein Signalement meiner Person mitgeteilt!

FRAU GOTTSCHED.
Und gerade er, gerade Seydlitz kann jeden Tag wieder in Leipzig sein!
BOLZA.
Das wäre entsetzlich!
FRAU GOTTSCHED.

Aber warum haben Sie sich denn hier herab in die Ebene gewendet, warum nicht nach dem viel sicherern Böhmen hinüber?

BOLZA.

Ich war überrascht worden; ich sah mich abgeschnitten von der böhmischen Grenze, und Galant. mein Magnet zog mich nach Norden! Meines Herzens Gedächtnis ist ein dringender Gläubiger: es ist fast ein Jahr, meine Gnädigste, daß Feldmarschall Daun Sachsen und Dresden sicherstellte, und daß ich Sie sehen und Ihnen meine Huldigung andeuten konnte.

FRAU GOTTSCHED
sich nach Gottscheds Zimmer umdrehend.
Aber Herr Graf –
BOLZA.
Seit so langer Zeit schmachte ich fern von Ihnen.
FRAU GOTTSCHED.

Mein Gemahl, Herr Graf, ist kein Freund solcher Galanterien, wenn sie an seine Frau gerichtet werden, und Sie bedürfen in diesem Augenblicke gar sehr seiner Hilfe. Er hat soeben ein dringendes Geschäft, welches der nahe und vielleicht einrückende Feind nötig macht. Entschuldigen Sie, daß ich noch eine Weile zögere, ihm Ihre Ankunft mitzuteilen. Setzen Sie sich! Zeigt auf einen Stuhl am Sofa, während sie selbst das Sofa einnimmt. und lassen Sie uns überlegen, wie Sie hier in Leipzig am sichersten zu verbergen sind. Was für einen Plan haben Sie selbst? Was für Anknüpfungen und Bekanntschaften haben Sie?

BOLZA.

Gar keine, meine Verehrungswürdige, als mit Ihnen. Sie wissen, daß die Sachsen, und die Leipziger besonders, schlecht zu sprechen sind auf meinen Vater und auf mich. Diese Leute bilden sich ein, wir benachteiligten sie, weil wir die Meißner Porzellanfabrik ausgebeutet. Sie machen es uns zum Vorwurf, daß wir, [33] Italiener sind, und daß man unsre Landsleute überhaupt in Dresden leiden möge. Sie hassen uns, weil Graf Brühl uns wohlwill. Kann ich bei einem dieser Leute Hilfe ansprechen in der Gefahr, welche mich plötzlich umringt?

FRAU GOTTSCHED.
Kaum! Und diese Leute haben auch gar nicht so unrecht, Ihnen nicht wohlzuwollen –
BOLZA.
Wie?
FRAU GOTTSCHED.
Gerade Leipzig mußten Sie deshalb um jeden Preis vermeiden.
BOLZA.

Und das sagen Sie, welche mit der Literatur Englands, Frankreichs und Italiens so vertraut ist, so Hand in Hand geht, welche den Austausch zwischen den Nationen durch geistvolle Bearbeitungen so rühmlich befördert, welche das nationale Vorurteil so tätig bekämpft; das sagen Sie, deren anmutige Bildung mich im Zirkel des Kurprinzen entzückte! O, Sie sagen es gewiß nicht im Ernste! Nein, meine angebetete Frau, ich könnte mich der Gefahr freuen; denn sie treibt mich in diesem Augenblicke, Ihnen mein Herz ohne Rückhalt zu öffnen, Ihnen ohne Scheu zu sagen: daß ich bezaubert bin von Ihnen, und daß ich alles wage um ein Zeichen Ihrer Huld –

FRAU GOTTSCHED
bei den letzten Worten aufspringend und seine Hand zurückweisend eilt auf Gottscheds Zimmer zu.
Gottsched! Gottsched!
BOLZA.
Was tun Sie?

Pause.
FRAU GOTTSCHED
mit etwas schwächerer Stimme.
Gottsched!
GOTTSCHED
von innen, etwas weiter zurück als das letzte Mal.
Keine Störung! Ich brauche Sammlung!
BOLZA
leise.
Und ein liebendes Herz können Sie verraten wollen?
FRAU GOTTSCHED
ebenso.

Sie vergessen, Herr Graf, daß ich keine Italienerin, daß ich eine verheiratete Deutsche bin – o mein Gott!

BOLZA
leise.
Ihr Herz erwacht! Hören Sie Ihr Herz!
FRAU GOTTSCHED.
Mein Herz gehört meinem Gatten und meiner Pflicht!
3. Szene
[34] Dritte Szene.
Gottsched tritt auf. Die Vorigen. Schladritz.

GOTTSCHED
mit einem gefalteten Briefe geht, ohne den Grafen anzusehn, nach der Mitteltür.

Er ist in seidenem Schlafrock. Im Gehen spricht er. Man kann nicht drei Zeilen mehr in gesammelter Muße schreiben! Zur Tür hinausrufend. Licht! Zurückkommend. Was gibt's denn schon wieder? Was seh' ich! Graf Bolza?!

BOLZA.

Zu Ihrem Dienst und um Ihren Schutz bittend, verehrter Herr Professor, der Sie ruhmvoll über allen politischen Stürmen dastehn, ein Leuchtturm vor sicherem Hafen für alle Verirrte!

GOTTSCHED.
Sehr gütig, Herr Graf; aber in diesem Punkte überschätzen Sie meine Macht und Bedeutung.
BOLZA.

Erlauben Sie, daß ich das nur für einen Ausdruck Ihrer Bescheidenheit halte. Professor Gottsched steht als Gesetzgeber in schöner Kunst und Wissenschaft mit allen Potentaten des Reichs auf vertraulichem Fuße. Er schützt den Genius und fördert die Sprache Germaniens, auch während der Krieg die Länder Germaniens verheert! Seinem Hause wird jeder Potentat das Recht des Asyls gestatten für einen Verfolgten, auch König Friedrich von Preußen würde es, wenn es zum äußersten käme. Denn es ist in Dresden wohlbekannt, daß König Friedrich den Professor Gottsched in Leipzig wie einen Verbündeten behandelt.

GOTTSCHED.

Sie wollen aus Artigkeit nicht hinzusetzen, Herr Graf, daß man ebendeshalb in Dresden nicht gerade überfließe von Wohlwollen für den Professor Gottsched in Leipzig und daß es all der günstigen Stellung bedürfe, so die Frau Professorin Gottsched am kursächsischen Hofe genießt, um das Weltbürgertum des Leipziger Professors zu übersehn. Sie sind so höflich, dies nicht auszusprechen, und Sie sind so zartsinnig, auch nicht einmal anzudeuten, daß Sie mir für gewährten Schutz ersprießliche Dienste leisten könnten bei Dero Gönner, dem Herrn Grafen Brühl, dessen Gönnerschaft ich mich allerdings nicht rühmen kann – aber, Herr Graf, dies alles ist von keinem Gewicht zwischen uns! Von keinem Gewicht! Es ist mir im Gegenteile eine Satisfaktion, feurige Kohlen auf das Haupt des Herrn Grafen Brühl zu sammeln, indem ich dem Herrn [35] Grafen Bolza allen mir zu Gebot stehenden Schutz zuwende, wenn er dessen bedarf –

BOLZA.
Dringend, hochgeehrter Herr, gegen die preußischen Truppen.
GOTTSCHED
sich kaum einen Augenblick unterbrechend.

und indem ich gleichzeitig bitte, diesen Schutz gegen den Herrn Grafen Brühl zu verschweigen. Dies ist mein Geschmack. Der Geschmack des Herrn Grafen Brühl besteht darin, mich durch untergeordnete Skribenten pöbelhaft angreifen zu lassen. Die Nachwelt wird richten!

BOLZA.

Ich habe nur zu bedauern, daß es unmöglich sein wird, die edle Handlungsweise des Herrn Professors verschwiegen zu halten, auch wenn ich selbst so undankbar wäre, ihrer nicht öffentlich eingedenk zu sein.


Gegen den Schluß dieser Worte bringt Schladritz ein Licht und geht, ungesehn von Gottsched, bis an den Schreibtisch. Dort sieht er sich nach Gottsched um und spricht leise »Licht!«
GOTTSCHED.
Ich bitte. Eilen wir zur Sache, Herr Graf, in welcher Weise ich Ihnen dienen könnte.
SCHLADRITZ
leise.
Licht!

Als Gottsched ihn jetzt erblickt, fragt Schladritz mit einer Pantomime, ob er das Licht auf den Tisch stellen solle.
GOTTSCHED
pausiert, als er Schladritz erblickt.
Er ist noch hier?
SCHLADRITZ.
Zu Befehl, Herr Senior.
GOTTSCHED.
Hab' ich Ihm nicht ausdrücklich befohlen –
SCHLADRITZ.
Licht zu bringen, Herr Professor der Logik!
GOTTSCHED.
– Nein!
SCHLADRITZ.

Richtig! Sie haben bloß geruht, Licht! zu rufen. Die Physik ist aber doch noch nicht so weit, daß das Licht allein hereinspazierte ohne Bedienten, und da hab' ich mir zu schließen gestattet: ich müßte das Licht hereintragen.

GOTTSCHED.
– Mensch! – Sich gezwungen lächelnd zu Bolza wendend. Dies sind die Früchte der Kollegia über Logik.
SCHLADRITZ
das Licht auf den Tisch setzend.
Ja, sie stecken an, wenn man immer zwischendurch laufen muß.
GOTTSCHED.
Mensch! – Ich habe Ihm gesagt, Er solle ausziehn aus meinem Hause!
SCHLADRITZ.
Jawohl, Herr Professor der Metaphysik, ich habe auch schon angefangen!
[36]
GOTTSCHED.
Angefangen?
SCHLADRITZ.
Ja, aber man wird immerfort gestört. Erst kam der Herr Graf –
GOTTSCHED.
Was?
SCHLADRITZ.
Nu, der Herr Graf da –
GOTTSCHED
leise zu Bolza.
Ich hoffe, Sie haben Ihren Namen nicht genannt?
BOLZA
ebenso.
Nein.
SCHLADRITZ.

Und jetzt eben kam ein Vorreiter vom reichsgräflich Manteuffelschen Hause mit Briefen und Aufträgen. –

BOLZA für sich.
Von Manteuffels?
FRAU GOTTSCHED.
So? Bemerkt Bolzas Aufmerksamkeit und sieht forschend auf ihn.
GOTTSCHED.
Soll warten.
SCHLADRITZ.
Schön. Geht nach hinten.
GOTTSCHED.
Nichts schön! 's geht Ihn nichts an. Er hat nichts zu tun als sich fortzupacken!
SCHLADRITZ.

Zu Befehl, Herr Inspektor des Konviktoriums! Ich hab' aber noch auszurichten, daß der Herr Professor der Moral, Herr Gellert –

GOTTSCHED.
Außerordentliche Professor!
SCHLADRITZ.

Außerordentliche Professor – seinen Amanuensis hergeschickt, um Entschuldigung zu bitten, daß er vorhin nicht pünktlich zum Konzilium der Fakultät gekommen sei; er habe eine dringende Abhaltung gehabt, werde aber sogleich erscheinen.


Bei Erwähnung Gellerts geht Frau Gottsched hinter Bolza und Gottsched links nach dem Schreibtisch hinüber und macht den vorhin angefangenen Zettel fertig.
GOTTSCHED.

Ist zu spät! Hat sich schwer zu verantworten. 's gibt keine dringenden Pflichten vor dem Rufe der Fakultät! Zu Schladritz. Ab! und fort!

SCHLADRITZ.
Zu Befehl, Herr Dekanus. Wendet sich.
FRAU GOTTSCHED
nach hinten zu ihm gehend.

Schladritz! Diesen Zettel durch den Amanuensis zurück an Herrn Professor Gellert! Schladritz nickt und geht ab.

GOTTSCHED
welcher leise mit Bolza geredet.

Sie glauben also, der Mensch habe Ihren Grafentitel nur von uns gehört, und dero Name sei ihm unbekannt.

BOLZA.

Sicherlich. Ich habe nur vorzugsweise die Seydlitzschen [37] Reiter zu fürchten, denen ich signalisiert bin. Hier in Leipzig bin ich persönlich ganz fremd.

GOTTSCHED.

Das wäre auch nötig; denn die Umstände haben ein bedenkliches Ansehn. Die Preußen haben einen heftigen Ton angenommen gegen die Stadt, und der General Seydlitz gerade hat sich eine so drohende Zuschrift an die Universität erlaubt, daß es jetzt offenbar gefährlich wäre, wenn Sie hier in Leipzig, und obenein bei einem Würdenträger der Universität, gefunden würden –

BOLZA.
Ich wäre untröstlich, einem so ausgezeichneten Manne wie Ihnen Ungelegenheit zu verursachen!
GOTTSCHED.

Ich bitte gehorsamst. Das hätte weniger zu sagen, wenn König Friedrich selbst in der Nähe wäre. Er nimmt wohl freundliche und wohlgewogene Rücksicht auf meine geringen Verdienste und meine literarische Stellung, wie denn überhaupt mit den Vornehmsten des Landes immer besser auszukommen ist, wenn man einigermaßen von öffentlichem Namen und Einfluß ist. Aber die Offiziere, selbst die höheren der Generalität, sind von geringer literarischer Bildung, und sind jetzt durch einen langdauernden Krieg dermaßen verwildert, daß sie schwerlich einer poetischen Autorität billige Berücksichtigung gewähren möchten. Hierin also liegt das Verdrießliche Ihrer Lage, und deshalb, deshalb, Herr Graf, da jeden Tag preußische Truppen hier sein können, müßten Sie für die nächsten Tage sorgfältig verborgen gehalten werden.

FRAU GOTTSCHED.
Aber wie?
BOLZA.

Ja wohl, verehrter Herr! – und ich denke, es wird nur einige Tage nötig sein. All' meine Erkundigungen lauten dahin, daß die Preußen in der Gegend von Freiberg eingeschlossen werden und dem Untergange verfallen sind: Die Generale Serbelloni und Haddik drängen von Dresden her gegen sie, und der Prinz Stollberg zieht ihnen mit dem Reichsheere von Chemnitz in den Rücken! In diesem Augenblicke schon kann Prinz Heinrich von Preußen mit seinem kleinen Heere vernichtet, kann Sachsen befreit sein. Der König steht in Schlesien, von Dauns Übermacht gefesselt, der Krieg ist, Gott sei Dank! dem Ende nahe, und es handelt sich also wirklich nur um Sicherheit für wenige Tage gegen die flüchtigen Preußen, welche nach der Mark entrinnen wollen.

GOTTSCHED.
Ja, ja –
FRAU GOTTSCHED.
So hat es schon oft geheißen, und ein plötzlicher Sieg der Preußen hat immer alles geändert!
[38]
BOLZA
unbeirrt dadurch gehobenen Tons in seiner Rede fortfahrend.

Der drohende Ton Seydlitzens gegen die Leipziger Universität ist gewiß nur aus der gefährlichen Lage entsprungen, in welcher sich die Preußen befinden, und über welche sie durch Hochfahrenheit die Welt täuschen wollen.

GOTTSCHED.

Ja, ja, dies ist gar wohl möglich, dies ist sogar wahrscheinlich, und der General soll an uns Männern der Universität eine feste Mauer finden gegen seine Reiter! Ja, also Verborgenheit auf einige Tage, Herr Graf, und ich mache mir eine Ehre daraus, Ihnen zu diesem Ende –

FRAU GOTTSCHED.
Aber lieber Gottsched!
GOTTSCHED.

Sei unbesorgt! Was ich tun will, pflege ich ganz zu tun. Ich mache mir eine Ehre daraus, Ihnen, Hochgeborner Herr, mit besonderer Rücksicht auf Herrn Grafen Brühl mein eigen Hans zum Zufluchtsorte anzubieten.

FRAU GOTTSCHED.
Aber lieber Gott, das ist ja zu gefährlich und deshalb nicht möglich! Beiseite. O mein Gott!
BOLZA.
Meine verehrte Frau!
GOTTSCHED.
Warum denn nicht möglich?
BOLZA
leise zu ihr.
Hab' ich diese Grausamkeit verdient?
FRAU GOTTSCHED
ebenso zu ihm.

Sie mißbrauchen Ihre Lage! Laut. Es ist nicht möglich, weil – weil der Herr Graf gerade in unserm Hause am meisten ausgesetzt sein würde –

GOTTSCHED.
Wie so?
FRAU GOTTSCHED
ohne sich zu unterbrechen.

Du willst dich ohnedies den Befehlen des Generals Seydlitz widersetzen: das gibt Nachfragen, Widerspruch, Besuch, Zudrang unberechenbar; die preußischen Offiziere werden ins Haus kommen, werden zu dir dringen, und hier, gerade in diesem Hause, willst du einen Flüchtling verbergen, der den Preußen signalisiert ist, das ist ja nicht tunlich, ist für alle Teile zu gefährlich und darum, wie gesagt, nicht möglich.


Pause.
BOLZA
leise zu ihr.
O, Sie sind hart!
GOTTSCHED.
Es ist Logik darin.
FRAU GOTTSCHED.
Sinnen wir doch lieber darauf, dem Herrn Grafen wahrscheinlicher zu helfen!
GOTTSCHED.
Aber wie?
BOLZA.

Erlauben Sie mir eine Bemerkung. Zuerst meinen [39] respektvollen Dank, schöne Frau, für Ihre vorsichtige Teilnahme, und meinen innigen Dank, daß Sie mich und Mit Bezug. sich für gefährdet erachten, wenn ich in Ihrer Nähe bliebe. Ich glaube, es ist ein Ausweg vorhanden. So viel ich mich erinnere, kennt der Herr Professor meinen Landsmann, den Grafen Serbelloni, welcher das österreichische Heer bei Dresden kommandiert –

GOTTSCHED.

Ja, es ist ein artiger Mann, welcher mir durch meine Frau eine schöne Ausgabe des Tasso verehrt hat –

BOLZA.

Ein paar geschriebene Worte von Ihnen würden mir einen Geleitsschein vom Grafen auswirken, einen Geleitsschein, welcher mich durch die österreichischen Vorposten und Truppenabteilungen hindurch ließe bis nach Dresden –

FRAU GOTTSCHED.
Aber Graf Serbelloni ist abgelöst –
GOTTSCHED.
Richtig, General Haddik kommandiert jetzt in Dresden –
BOLZA.

Allerdings: die deutsche Partei in Wien hat es durchgesetzt, aber mein Landsmann ist noch bei Dresden und für unsern Zweck noch allmächtig. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die österreichischen Vorposten jetzt schon bis in die Gegend von Oschatz vorgeschoben, da es sich, wie gesagt, darum handelt, den Prinzen Heinrich einzuschließen. Ein Postkurier gelangt in sechs Stunden bis Oschatz, und binnen zehn bis zwölf Stunden würden die Vorposten Ihren Brief an den Grafen befördert, des Grafen Antwort zurückgebracht und unserm Kurier eingehändigt haben. In neuen sechs Stunden wäre unser Bote wieder hier, so daß ich also in spätestens vierundzwanzig Stunden den Geleitsschein haben und zugleich erfahren könnte, ob die Straße nach Oschatz von Feinden frei wäre, und ich mich aufmachen könnte. So bedürfte ich Ihres Asyls nur auf vierundzwanzig Stunden, und bedürfte jetzt nur Ihrer großen Güte wegen des Briefes und wegen des Postkuriers; denn ich selbst könnte wohl in diesem Augenblicke hier in Leipzig einen Postkurier nicht befördern, ohne mich zu verraten, da man auf der Post wahrscheinlich von den preußischen Agenten bewacht sein wird. Dem Herrn Professor Gottsched aber, welcher das Wohl der Universität in kritischem Augenblicke zu wahren hat, wird man ohne Argwohn zu Willen sein, besonders da man ihn als eine neutrale Macht in steter Verbindung weiß mit allen Potentaten.

GOTTSCHED.
Sehr gütig und sehr scharfsinnig.
[40]
FRAU GOTTSCHED.
Jawohl; aber warum wollten Sie nicht lieber selbst an Ihren Landsmann –
BOLZA.

Schreiben, gnädige Frau? Sehr richtig. Erstens aber wäre ein Brief von mir nicht von solchem Gewicht, als ein Brief vom Herrn Professor, und zweitens ist es doch möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, daß der Brief bis Oschatz von preußischen Streiftruppen aufgefangen würde. Wäre dann der Brief von mir, so nötigte man den Kurier zur Umkehr nach seinem Ausgangspunkte und fände hier mich, den Briefsteller. Ist der Brief aber vom Herrn Professor Gottsched unterzeichnet, so läßt man ihn wohl als politisch unverfänglich ohne weiteres passieren. Außerdem könnte der Herr Professor nach dem Stande der Kriegsangelegenheiten fragen in bezug auf die Zumutungen gegen die Universität. Dadurch würde der Brief halboffiziell, indem Verhaltungsmaßregeln von der kurfürstlichen Regierung in Dresden erbeten würden. So erführe der Herr Professor binnen vierundzwanzig Stunden genau, wie die Ausichten ständen, und wie weit er gegen den barbarischen Reitergeneral Opposition machen könne in Sachen der Universität, und endlich hätte er sich zugleich gegen die kursächsische Regierung hin den Rücken gedeckt.

GOTTSCHED.
Vortrefflich. Sie sind Diplomat. Auf den Tisch zugehend. So sei es. Muß man französisch schreiben?
BOLZA.
Italienisch ist für alle Fälle besser.
GOTTSCHED.
Ja, dann möchtest du schreiben, Luise, die modernen Wendungen sind dir geläufiger –
FRAU GOTTSCHED
im Hinübergehen zum Schreibtisch.
Ich habe noch immer Bedenken –
BOLZA.
Frau Professorin!
GOTTSCHED.
Nicht doch!
FRAU GOTTSCHED.
Namentlich wegen des Postkuriers, der in diesem Augenblicke zu viel Aufmerksamkeit erregen würde –
GOTTSCHED.
Das geht nun nicht anders –
FRAU GOTTSCHED.

Doch! doch! Richtig! Der Reitknecht von Manteuffels ist ja da! Er wird ja aus der Oschatzer Gegend kommen. Kann er nicht den Brief bestellen?

BOLZA.
Wahrhaftig!
GOTTSCHED.

Wahrhaftig! – Schreibe, schreibe! Ich besorge das! Zur Tür eilend. Der Reitknecht! Gottfried! Ist's Gottfried? Ja, sehr gut! Komm herein, Gottfried, schnell, schnell!

4. Szene
[41] Vierte Szene.
Gottfried. Die Vorigen ohne Schladritz. Frau Gottsched schreibend.

GOTTFRIED.
Empfehle mich zu Gnaden, Herr Professor.
GOTTSCHED.
Du kommst vom Gute bei Oschatz, Gottfried?
GOTTFRIED.
Ne.
GOTTSCHED.
Nicht? Von wo denn?
GOTTFRIED.

Die Herrschaft ist gestern abend schon 'nein gefahren und hat vor Schlafengehen die Briefe im »Löwen« geschrieben.

GOTTSCHED.
In Oschatz?
GOTTFRIED.
Ja.
GOTTSCHED.
Gut, gut. Du kommst also von Oschatz!
GOTTFRIED.
Ja, ich bin heut' früh um drei ausgeritten, weil die Herrschaft och beizeiten ufbrechen will.
BOLZA.
Bist du Soldaten begegnet?
GOTTFRIED.

Ne, 's ist mausestill auf der ganzen Straße, aber droben im Gebirge über Döbeln 'naus, da hat's gepocht! ach Herr Jes, da hat's gepocht, schon vorgestern, da soll reene der Teufel los sein. Mir haben uns immer mit den Ohren auf den Erd boden gelegt, und der Erdboden der bubberte nur immer so!

BOLZA.
Jetzt ist's also entschieden, die Schlacht ist geschlagen – ist dein Pferd sehr ermüdet?
GOTTFRIED.

O ne! 's ist en alt Husarenpferd von den Zietenschen, en ausrangiertes, weil's dämpfig is, aber wenn's warm wird, da kommt die Puste in Zug, und 's pfeift nur so!

BOLZA.
Kannst du in sechs Stunden nach Oschatz zurück?
GOTTSCHED.
Sprich!
GOTTFRIED
sich hinter dem Ohre kratzend.

In sechs Stunden? Heeren Se, ne! Ich muß hier noch Briefe abgeben, der Zietensche muß fressen, ich soll en bißchen feine Bäckerware kofen, und hernachen ist's och erst Oktober gewesen, und das ist der schlimme Pferdemonat –

BOLZA
gibt ihm Geld.
Also du kannst in sechs Stunden?
GOTTFRIED.

Nu ja, ja, wenn's so fix sein muß, und wenn Sie's so meenen, sehn Se, ja doch, ja! – Da nehmen Se mer wohl die Briefschaften ab, Herr Professor, 's wird wohl's Meeste für Sie selber seinÖffnet seine Ledertasche und übergibt drei Briefe. und die Herrschaft wollte zu Mittag hier sein.

FRAU GOTTSCHED.
Zu Mittag?
[42]
GOTTFRIED.
Nu ja freilich, sehn Se, deshalb mußt' ich ja so zeitig fort!
FRAU GOTTSCHED.
Sie wird also bei uns speisen?
GOTTFRIED.

Nu, Hunger wird se wohl kriegen; denn unterwegs sieht's jetzt erbärmlich aus, und das Frölen Konteß hat 'nen gesunden Appetit.

FRAU GOTTSCHED.

Dann muß ich Anstalt treffen!Aufstehend und fortgehend. Die Unterschrift fehlt noch, Gottsched, und das Datum. Besorg' deine Sache gut, Gottfried, 's ist von Wichtigkeit für den Herrn Grafen. Ab.

GOTTFRIED.
Keene Sorge, Frau Professern!
GOTTSCHED
hat hastig unterdessen ohne die Aufschriften zu betrachten die drei Briefe geöffnet und gelesen.

Beim zweiten lächelt er und sagt vor sich hin. Es ist ein sehr liebenswürdig Mädchen! Sehr! Beim dritten. Aha, für meine Frau! Ja, ja Die Briefe auf den Tisch legend. unterschreiben. – So. – Adressieren – Graf Serbelloni Tut beides und siegelt den Brief.

BOLZA
zu Gottfried schon bei den Worten: »Unterschreiben«.
Kommt der Herr Graf von Manteuffel mit?
GOTTFRIED.

I bewahre! Wissen Sie's denn nicht: Der gnädigste Herr Graf steht ja bei der Reichsarmee, mit Respekt zu sagen! Na ja, mit Respekt! er ist nicht dabei gewesen bei Roßbach, sonst wär's wohl anders gegangen, ja! Ne, die gnädigste Frau Gräfin und Frölen Konteß kommen alleene, weil's gerade sicher ist, und weil's nach der Kanonade von vorgestern auf dem Dorfe wohl nicht mehr auszuhalten sein wird. Denn wenn die Retirade losgeht –

GOTTSCHED.
Hier, Gottfried, diesen Brief gibst du an den ersten österreichischen Vorposten!
GOTTFRIED.
Beim Kolmberge hat er gestern abend schon gestanden, sechs Krawaten stark –
GOTTSCHED.
Gut, und mach's ihnen scharf, daß der Brief eiligst an den kommandierenden General geschickt werde.
GOTTFRIED.
Schreiben Se's nur lieber mit druf!
GOTTSCHED.
Das steht alles drauf.
GOTTFRIED.
Na scheene. – Die Kerle werden mir doch nichts tun?
GOTTSCHED.
Nein, du bist ein Gesandter!
GOTTFRIED.
Ein Gesandter? Nu sehn Se einmal!
GOTTSCHED.
Aber du mußt bei ihnen auf Antwort warten!
[43]
GOTTFRIED.
So? – Uf schriftliche?
GOTTSCHED.
Ja; das kann zehn bis zwölf Stunden dauern.
GOTTFRIED.
Aha, 's mag wohl hapern mit dem Schreiben bei den Krawaten –
GOTTSCHED.

Nicht doch, die Kroaten sollen nicht schreiben, einer von ihnen bringt den Brief zum nächsten Vorposten, und du wartest bei den andern fünf, bis Antwort kommt!

GOTTFRIED.
So lange? Und die Krawaten werden mir so lange nichts tun?
BOLZA.
Sie werden dich ja nicht beißen!
GOTTFRIED.
Nicht? –'s sind verhungerte Kerle!
GOTTSCHED.
Und wenn die Antwort kommt, reitest du so schnell als möglich hierher und bringst Sie uns!
GOTTFRIED.
Was bring ich?
GOTTSCHED.
Die Antwort, das heißt den neuen Brief –
GOTTFRIED.
Scheene und hernach –?
BOLZA.
Hernach erhältst du, wenn du deine Sache gut gemacht, drei Speziestaler!
GOTTFRIED.
Sehr scheene! Ende gut, alles gut.
BOLZA.
Vorwärts!
GOTTFRIED.

Ja vorwärts, Zietenscher! Wendet sich. Und wenn ich hinkomme, sag' ich en scheenes Kompliment vom Herrn Professor Gottsched an die Herrn Krawaten. –

GOTTSCHED.
Warum nicht gar!
GOTTFRIED.
Nu, wie Se meenen! Also –
GOTTSCHED.
Also mach fort!
GOTTFRIED.
Richtig! Gesegnete Mahlzeit und empfehle mich. Ab.
BOLZA.
Wird der Mensch nicht zu dumm sein?
GOTTSCHED.

Er hat ja nichts zu tun als abzugeben und zu warten! – Apropos in einigen Stunden sind Manteuffels hier, sind Sie den Damen vielleicht bekannt? Und scheint es dann etwa ratsam, ihnen auszuweichen?

BOLZA.

Bekannt? Wie Sie's nehmen. Ich glaube nicht, daß sie mich persönlich kennen, aber möglich ist es allerdings. Mein Vater nämlich steht im Verkehr mit der Familie und hat mir Andeutungen gemacht, daß er mit dem Grafen Manteuffel ziemlich einig sei über eine Verbindung zwischen mir und der Komtesse.

[44]
GOTTSCHED.
In der Tat?! Die Komtesse Lächelnd nach seinem Briefe sehend. scheint aber nichts davon zu wissen!
BOLZA.

Glauben Sie? Das kann wohl sein. Die Kriegsunruhe hat bisher jede weitere Betreibung des Projektes verhindert. Ich fand auch nicht für nötig, die Sache zu beeilen, da die Komtesse noch jung ist und ich selbst noch zerstreut bin. Ich habe sie nie gesehen, und es sollte noch darauf ankommen, ob wir Gefallen an einander fänden. Unterdes liest Gottsched noch einmal lächelnd das Billett. Finden Sie denn in den Briefen irgend eine Andeutung darauf?

GOTTSCHED.
Im Gegenteil! Das heißt: Nein, o nein!
BOLZA.

Trotz alledem kann sich die Frau Gräfin einmal in Dresden umgesehen haben nach ihrem wahrscheinlichen künftigen Schwiegersohne und kann mein Äußeres kennen.

GOTTSCHED.

Nun dann ist es doch wohl geratener, daß Sie bei Ankunft der Damen nicht zugegen sind, und daß ich erst hinhorche. Neue Mitwisser und besonders Damen –

BOLZA.
Sind nicht ratsam. Ganz nach Ihrer höheren Einsicht, mein verehrter Herr Gönner!
FRAU GOTTSCHED
wieder eintretend durch die Mitteltür.

Ich sehe den Professor Gellert mit einem Fremden von der Ritterstraße herüber auf unser Haus zukommen. Bringen Sie sich in Sicherheit, Herr Graf!

GOTTSCHED.
Kennt er Sie?
BOLZA.

Gellert? Schwerlich. Er ist selten oder gar nicht in Dresden, und ich bin ihm meines Wissens nie begegnet. Unmöglich ist es freilich nicht.

FRAU GOTTSCHED.
Und wenn er Sie auch nicht kennt, wir kennen den Fremden nicht!
GOTTSCHED.
Gut; also welches Zimmer hast du für den Herrn Grafen bestimmt?
FRAU GOTTSCHED.

Welches Zimmer? Ich bin und bleibe dagegen, daß der Herr Graf sich vierundzwanzig Stunden in unserm Hause verberge –

BOLZA.
Unerbittliche!
GOTTSCHED.
Aber Frau!
FRAU GOTTSCHED.
Alle Teile sind sichergestellt, wenn wir ihn irgend einem Bekannten empfehlen!
GOTTSCHED
ungeduldig.

Ich aber, Adelgunde, befehle, daß dem [45] Herrn Grafen sogleich ein Zimmer eingeräumt werde, und zwar dies da Auf die zweite Tür rechts deutend. da, das Putzzimmer!

FRAU GOTTSCHED.
Neben dem meinigen, mit der Tür hier ins Empfangzimmer, jedem Zulaufe ausgesetzt, Gottsched!
GOTTSCHED.

Ich höre draußen sprechen! Kurzum! Zögern Sie nicht, Herr Graf, um nicht überrascht zu werden. Schließen Sie sich ein!

BOLZA
in die zweite Tür rechts ab.
FRAU GOTTSCHED
während er abgeht.
Gottsched, was tust du?
GOTTSCHED.

Adelgunde, deine Unhöflichkeit gegen einen Mann von solcher Bedeutung in Dresden setzt mich in maßloses Erstaunen!

FRAU GOTTSCHED.
O mein Gott! Für sich. Tu' ich nicht besser, ihm die ganze Wahrheit zu sagen?! Laut. Gottsched!
5. Szene
Fünfte Szene.
Schladritz. Gottsched. Frau Gottsched.

SCHLADRITZ.
Der außerordentliche Professor Herr Christian Fürchtegott Gellert!
GOTTSCHED.
Geschöpf! Es untersteht sich, noch immer hier zu sein und zu fungieren?!
SCHLADRITZ.
Es?! Ich bin in vollem Auszuge begriffen, Herr Professor der Beredsamkeit!
GOTTSCHED.
Ich werd' Ihm selber helfen!
SCHLADRITZ.
Sehr viel Ehre!
GOTTSCHED.
Oder durch die Polizei helfen lassen!
SCHLADRITZ
einen Schritt nähertretend.

Der Herr Professor der Beredsamkeit versprechen sich auffallend mit dem Worte Polizei: ich bin bereits mehrere Jahre im Hause des Herrn Professors, eines Haupthauptes unter den Häuptern der Universität, ich habe einige Jahre vorher nur Stiefeln und Kleidungsstücke von Akademikern behandelt, ich gehöre durch Verjährung den Strafmitteln der akademischen Behörde, mir gebührt also von Gott und Rechts wegen der Pedell, wenn ich wirklich gewaltsam diesem Hause entführt werden soll!

GOTTSCHED.

Er ist ein unverschämter Mensch, so mich dergestalt reizt, daß ich meiner Würde vergessen und Ihm eigenhändig über die Schwelle helfen werde.

FRAU GOTTSCHED.

Gottsched, mäßige dich und habe doch ein [46] Einsehn! Du quartierst Besuche ein, wir erwarten in nächster Stunde Fremde, es kommen fortwährend Leute, du weißt, daß die Jungemagd Katharine als Marketenderin davongegangen, und du willst durchaus den einzigen Diener augenblicklich aus dem Haufe jagen, was soll denn daraus werden?! Geh Er, Schladritz, und laß Er Herrn Professor Gellert eintreten.

SCHLADRITZ leise.
Sane! Ab.
FRAU GOTTSCHED
ohne sich zu unterbrechen.

Ich habe Gellert übrigens gebeten, uns so schnell als möglich Sieht sich um, ob auch Schladritz fort sei. einen Diener nachzuweisen, und ich habe dir selbst dringende persönliche Eröffnungen zu machen!

GOTTSCHED
in großer Aufregung.

Plunder! Plunder! Plunder! Gibst mich preis vor dem Domestiken, bestellst Diener bei diesem Duckmäuser Gellert, kompromittierst uns vor dem Grafen, kompromittierst mich hier, sprichst von persönlichen Eröffnungen im Augenblicke, da dieser mein versteckter Widersacher Gellert an der Schwelle steht, da das Wohl und Wehe der Universität auf meinen Schultern liegt, zerstreust mich, befängst die Verfassung meines Gemüts in solchem Augenblicke – Plötzlich vor ihr stehen bleibend. laß mich in Ruh, Adelgunde Gottschedin, verlaß mich!

FRAU GOTTSCHED
betrachtet ihn einen Augenblick und geht dann achselzuckend vor ihm vorüber in die erste Türe rechts ab.
– Gleichzeitig öffnet Cato die Mitteltür und läßt Gellert eintreten.
6. Szene
Sechste Szene.
Gellert. Cato zu Anfange nur sichtbar und später eintretend. Schladritz desgleichen. Gottsched ist aufgeregt mit dem Antlitz gegen das Publikum stehengeblieben und sieht ins Publikum.

GELLERT
im Eintreten halblaut zu Cato.
Wart' Er nur, Lieber, bis ich Ihn rufe!
SCHLADRITZ
tritt an der Tür Cato in den Weg.
Hier wird gewartet!
CATO.
So? Er trägt durch den ganzen Akt einen geschlossenen, weiten, weißen Mantel.
SCHLADRITZ
macht vor sich und vor ihm die Tür zu, so daß Gellert und Gottsched allein bleiben.
GOTTSCHED
in unveränderter Stellung und mit scheltender Stimme.

Entschuldigen Sie mich, Herr Professor der Moral, daß Sie mich [47] im Schlafrocke überraschen: ich war Ihres Besuches nicht mehr gewärtig, da Sie die ehrenvolle Einladung der Fakultät vor zwei Stunden übersehen zu dürfen geglaubt!

GELLERT.

Sie beschämen mich, Herr Professor; denn ich bin sehr im Unrechte, nicht zu rechter Zeit gekommen zu sein. Die Wahrheit zu sagen: ich hielt es anfangs für eine irrtümliche Bestellung, da ich, wie Sie wissen, nur außerordentlicher Professor –

GOTTSCHED.

Und nicht mit Sitz und Stimme in der Fakultät betraut sind. Um so eifriger hätten Sie die Auszeichnung empfinden und ihr Folge leisten sollen!

GELLERT.

Ganz gewiß! Aber, lieber Gott! seit der Krieg von neuem unsre Landschaft überschwemmt, gibt es wieder so viel Unglückliche, welche des Trostes und Rates bedürfen, daß man selten Herr ist seiner Zeit.

GOTTSCHED.

Die Pflichten des Amtes stehen über den Pflichten des Herzens. Und unser Amt verlangt jetzt gerade ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Entschlossenheit. Der Krieg wird zudringlich auch gegen uns. Jetzt erst verändert er seine Stellung und blickt auf den links stehenden Gellert, mit einer Handbewegung auf den Stuhl am Sofa zeigend, während er sich von rechts einen Stuhl holt und im Gehen danach weiter spricht. Beide setzen sich aber nicht. Solch ein Fall hat die Fakultätssitzung, zu welcher Sie geladen waren, beschäftigt. Es handelt sich um einen Eingriff, in unsre Rechte, um einen Eingriff, welchen wir mit aller Nachdrücklichkeit zurückweisen müssen. Und da Sie, Herr Professor Gellert, durch Ihre kleinen Schriften, wenn auch nicht einen literarischen, doch einen gewissen moralischen Einfluß ausüben auf das deutsche Publikum, wenigstens auf einen Teil des selben, so haben wir es für zulässig erachtet, Ihren Namen unsrer Protestation beizufügen.

GELLERT.
Einer Protestation?
GOTTSCHED.

Ja. Ein preußischer Reitergeneral hat sich gestattet, der Universität ungebührliche Vorschriften zu machen. Er will uns vorschreiben, was gelehrt oder nicht gelehrt werden soll vom Katheder, namentlich in Sachen der Geschichte und Rechts-Philosophie, indem er sich darauf bezieht, daß der Kriegszustand und die gereizte Stimmung in Deutschland augenblicklich solche Einschränkungen erheische.

GELLERT.

Das letztere ist wohl nicht unrichtig: es ist herzzerreißend, daß deutsche Völkerschaften einander gegenseitig zerfleischen –

[48]
GOTTSCHED.

Sie verwechseln wiederum das Herz mit dem Amte, Herr Professor. Niemand von uns hat ein Wohlgefallen an dem inneren Kriege, aber je trauriger das gemeine Wesen durch einander geschleudert wird, desto unerläßlicher ist es für jeden einzelnen, auf seinem Posten fest zu stehn, seinen Posten zu verteidigen. Unser Posten ist die akademische Lehrfreiheit. Wir vertreten die Wissenschaft, welche nicht abhängig sein darf von der Politik des Augenblicks.

GELLERT.
Das ist wohl wahr.
GOTTSCHED.

Deshalb haben wir eine Protestation aufgesetzt gegen die Zumutungen des Reitergenerals. Es ist Ihnen gestattet, sie mit zu unterzeichnen, und wenn dies geschehen ist, soll sie aufs Rathaus getragen werden, um nötigenfalls durch die städtische Behörde den soldatischen Herren vorgelegt zu werden.

GELLERT.

Wird aber nicht dieser herausfordernde Schritt das soldatische Ungewitter heraufbeschwören über unsre arme Stadt?

GOTTSCHED.
Das darf uns nicht kümmern in Verrichtung unserer Pflicht!
GELLERT.
Und werden wir's durchsetzen können?
GOTTSCHED.
Sind wir denn so schwache Leute, Herr Professor Gellert?
GELLERT.
Ach ja, das sind wir doch! Was vermögen wir gegen Kriegsgewalt?
GOTTSCHED.

Ei, ist unser moralisches Ansehn nicht eine größere Macht als die brutale Macht der Waffen? Herr Professor, ich verwundere mich höchlich. Sie so kleinmütig zu finden!

GELLERT.

Ich bin ein ängstlicher Mann und nicht geeignet zu öffentlicher Opposition. Ich fühle und fürchte zu sehr unsre Schwachheit.

GOTTSCHED.
Sie wären also wohl gar imstande, der Unterschrift auszuweichen?
GELLERT.

Ach nein! Ich freue mich eigentlich unsrer Tapferkeit, da ich sie uns gar nicht zugetraut hätte. Gott gebe nur, daß wir auch, und besonders ich selbst, in Tapferkeit bestehn mögen, wenn es zur wirklichen Probe kommt.

GOTTSCHED.
Sie werden doch nicht so kläglich sein!
GELLERT.
Nun, ich werde mich zusammennehmen!
GOTTSCHED.

Wahrscheinlich wird Ihr Heldenmut gar nicht weiter [49] herausgefordert werden. König Friedrich ist ein Freund der Wissenschaft und weiß deren Unabhängigkeit zu schätzen. Er würde im Falle der Not, wenn er unsre bündige Protestation erfährt, seinen Kriegsleuten den Eingriff verweisen. Außerdem kann ich zu Ihrer Beruhigung hinzusetzen, daß die preußische Armee in Sachsen jetzt wahrscheinlich schon vernichtet und das Ende des Krieges vor der Tür ist.

GELLERT.

Das änderte wohl innerlich an unserm Schritte nichts. Wenn wir ihn tun, so müssen wir ihn doch auf jegliche Gefahr hin tun. Darf ich Sie wohl bitten, mir die Schrift zu zeigen?

GOTTSCHED.

Noch eins! Der General Seydlitz stellt noch eine Forderung, gegen welche wir uns milder verhalten können. Es tauchen jetzt überall, je länger der Krieg dauert, kleine Gelegenheitschriften auf voller Naseweisheit. Ich meine nicht die Herren Gleim und Konsorten, welche die alltäglichen Dinge in Verse und Reime bringen und hier mit dem alltäglichen Publikum schmeicheln, welches solchergestalt denn auch Poesie zu genießen vermeint. Ich meine auch nicht unsre vorlaute ästhetische Jugend, welche meine Vertreibung des Hanswurstes von der deutschen Bühne bekrittelt, die Herren Mylius, Lessing, und wie sie sonst Namen führen. Dergleichen ist nicht erheblich, genug –

GELLERT.
Glauben Sie –?
GOTTSCHED.

Ich glaube nicht nur, ich weiß es. Was ich aber meine, sind die Flugschriftenschreiber über Krieg und Frieden. Es ist erstaunlich, was alles sich jetzt zudrängt auf den politischen Markt und mitsprechen will – Man hört außen Gezänk zwischen Schladritz und Cato; Gottsched wendet sich nach hinten. Wer ist da?

GELLERT
für sich.
Der Bursche zankt sich und wird mir Ungelenheiten bringen.
GOTTSCHED
wieder nach vorn.

Kurz und gut, es ist vor einigen Tagen hier in Leipzig eine der dreistesten dieser Flugschriften erschienen unter dem gemeinen Titel: »Pro patria! Landsleute, schlagt Euch nicht untereinander, sondern schlagt die Fremden aus dem Lande«, das heißt die Russen, Schweden und Franzosen.

GELLERT.
Ich kenne die Schrift.

Neuer Zank draußen; man hört eine Ohrfeige.
GOTTSCHED.
Was hat denn das zu bedeuten? Das klang ja wie eine Ohrfeige! Geht nach der Tür.
[50]
GELLERT
für sich.
Der junge Mensch macht mir Streiche!
GOTTSCHED
die Mitteltür öffnend und hinaussprechend.

Was gibt's hier? Cato erscheint. Wer ist Er? Schladritz erscheint neben Cato, und während Gottsched ins Zimmer zurück- und Cato eintritt, sagt, ebenfalls eintretend.

SCHLADRITZ.

Ein Grobian ist's, Herr Professor, der sich erlaubt hat, mir eine Ohrfeige zu geben, weil ich ihn von der Tür wegjagen wollte!

GOTTSCHED.
Ohrfeigen sind Ihm gesund – Zu Cato. wer ist Er?
CATO.

Halten zu Gnaden, hochgelehrter Herr Professor, dieser gütige Herr da Auf Gellert deutend. hat mir Hoffnung gemacht, in Ihren Dienst eintreten zu dürfen.

SCHLADRITZ.
Dacht ich's doch!
GELLERT.

Die Frau Professorin ließ mich vorhin wissen, daß Sie einen Diener brauchten, und dieser junge Mensch da hatte sich kurz vorher bei mir gemeldet mit dem Ansuchen um einen kleinen Posten, womöglich in dem Hause eines Gelehrten –

CATO.

Und besonders im Hause des berühmten Herrn Professor Gottsched, der bei mir zu Hause in Franken so erstaunlich in Ehren steht. Wenn meine Mutter erfährt, daß ich hier untergekommen bin beim Könige der schönen Schriften, und mich durch ordentliche Aufführung dort halte, so vergibt sie mir alle Jugendstreiche, und ich wäre der glücklichste Bursche, hochverehrter Herr Professor, wenn ich mitten in der Bücherregierung Schuhe putzen, Röcke ausklopfen, Bücher aufschneiden und mitunter gar ein Buch lesen könnte von Ihnen, hochgelehrter Herr! Ich würde mir auch alle ersinnliche Mühe geben, Ihnen alles an den Augen abzusehen und alles im Hause so glatt und so leise und so fix zu besorgen, daß die Wirtschaft stille an Ihnen vorüberhuschte, wie eine eingeölte Maschine, und daß Ihre großen Gedanken nicht eine Minute mehr gestört würden, ich bitte recht schön, verehrungswürdigster Herr, machen Sie einen Menschen glücklich, dessen Glück darin besteht, Ihr Bedienter zu werden!

SCHLADRITZ unter großer Aufregung.
Den Hals dreh' ich dir um!
GOTTSCHED
zu Gellert.
Das ist ja ein schnurriger Patron! Wissen Sie etwas Näheres über ihn!
GELLERT.
Nicht viel; aber auch nichts Ungünstiges. Er zeigt viel Anlage und Auffassungsvermögen –
[51]
SCHLADRITZ
unterbrechend.
Er ist ein Vagabund, und der Herr Professor werden schön ankommen!
GOTTSCHED.
Wird Er wohl schweigen! Was will Er hier? Wer hat Ihm gestattet einzutreten!
SCHLADRITZ.

Aber erlauben Sie, Herr Professor, wenn man Ohrfeigen kriegt, so darf man sich doch wohl erkundigen, von wem man sie gekriegt hat –

GOTTSCHED.
Man darf nichts, man schere sich hinaus!
SCHLADRITZ.
O Herr Je – Abgehend. Um aus der Haut zu fahren! Cato drohend. Warte nur! Ab.
GOTTSCHED.
Und du, geschwätziger Patron, wer bist du eigentlich? Wie heißt du? Warum schleppst du den Mantel?
CATO.

Ach, lieber Gott, der Mantel deckt meine Schwäche. Meine Kleidungsstücke sind bei den Kriegszeiten dünne geworden, und neulich haben mich auf der Landstraße die Kroaten ausgeplündert, als ordentlicher Mensch hab' ich nur mit Mühe auf Sauberkeit des Kopf- und Schuhwerks halten können, 's sieht traurig unter dem Mantel aus. Nun hab' ich ein vielleicht zu zartes Ehrgefühl und schäme mich.

GOTTSCHED.
Der Schladritz hat wohl am Ende recht, wenn er dich einen Vagabunden nennt!
CATO.

In seinem Verstande nicht, aber leider in dem meinigen. Mein Leben ist verfehlt worden: ich habe hoch hinaus gewollt, und bin drunter weggekommen! Drunten gefiel mir's nicht, und da bin ich hierhin und dahin gefahren mit allerlei neuen Versuchen, und das nennen die Schriftgelehrten wohl auch Vagabundieren.

GOTTSCHED
zu Gellert.
Das ist gar nicht ohne Sinn.
CATO.

Sehen Sie, hochgelehrter Herr Professor, ich wollte durchaus studieren und hatte doch nicht das nötige Zeug dazu, weder im Beutel, noch vielleicht auch im Kopfe, aber das Bücherlesen war einmal mein höchstes Vergnügen, und so ist's denn gekommen, daß ich ein konfuses Schicksal gekriegt habe. Aber ich bin ehrlicher Leute Kind und habe mich, Gott sei Dank! durch dick und dünn immer ehrlich durchgeschlagen. Nun hab' ich seit Jahren, seit ich Ihre »Kritische Dichtkunst« gelesen, immer danach geangelt, in Ihren Dienst zu kommen, um als solider Bedienter doch auch nicht verbauern zu müssen. Bei vornehmen Leuten hat mir's nie gefallen, das bißchen Französisch und was sie Tournüre nennen, das kriegt [52] man bald weg, und damit ist's aus, 's ist nichts dahinter. Ich wollte aber dahin, wo was dahinter wäre, eine Stube Nach links in die stets offene Stube Gottscheds blickend. voll Bücher und Papier, und Schreiben, immer Schreiben und Druckenlassen, Korrektur, Revision, Aushängebogen, Herausgabe des Buchs, Aufsehn, Rezensionen, Ruhm und Ruhm, und nun so eines Ruhmes Bedienter, Professor Gottscheds Bedienter, mit der Zeit Abschreiber, Geschäftsführer im kleinen, am Ende gar eine Art Famulus, wie sie's nennen, so bloß Famulus für Haus und Hof und Küche, sehn Sie, das hat mir Tag und Nacht geträumt, und jetzt weiß ich selber kaum, ob es noch im Traume ist, daß ich endlich hier in Leipzig am Nikolaikirchhofe und zur Bedienung Empfohlener bei Deutschlands Minerva bin.

GOTTSCHED
lachend – zu Gellert.
Ein sehr schnurriger Kauz, Herr Professor.
GELLERT
ebenfalls lachend.
Jawohl!
GOTTSCHED.

Er kann sogleich den wichtigen Gang besorgen; also die Unterschrift Geht mit einer einladenden Bewegung für Gellert nach seinem Zimmer. und dann aufs Rathaus. –

GELLERT.
Sie wollten mir noch die zweite Forderung an die Fakultät mitteilen wegen der Flugschrift.
GOTTSCHED
stehenbleibend.

Ja, diese Flugschrift soll hier entstanden sein, und die Universität soll dafür aufkommen. Sie soll alles anwenden, den Verfasser zu ermitteln.

GELLERT
rasch.
Ist das unser Amt?
GOTTSCHED
ohne sich zu unterbrechen.

Und soll Sicherheit leisten für die Zukunft, daß dergleichen vorlaute Schriften nicht wieder von hier ausgehn.

CATO leise.
Aha!
GELLERT.

Wir sind keine Polizeibehörde, und so ungern ich mich mit Opposition befasse, dagegen unterschreibe ich sogleich meinen Protest.

GOTTSCHED.

Nun, ich bin hierbei nicht für einen allgemeinen Protest gewesen, weil sich wirklich sehr viel unberufenes Gelichter in die Literatur drängt; aber es ist jedem einzelnen bei der Unterschrift freigegeben, über diesen Punkt seine Meinung auszudrücken.

GELLERT.
Ich bin dazu bereit, Herr Professor.
GOTTSCHED
hineinzeigend.
Dort auf dem Tische liegen die Schriften!

Gellert geht hinein, Gottsched folgt.
7. Szene
[53] Siebente Szene.
Cato allein.

CATO
ihnen nachsehend.

So so, Herr Gottsched! Das ist Ihre Meinung! – Aber da wäre ich ja! Nahe am nächsten Ziele! Sie wird in den nächsten Stunden erwartet, wie mir Gottfried sagt und wie dieser Schladritz mürrisch bestätigt. Jetzt gilt's! Die Mama wird mich nicht erkennen Er kommt allmählich bis zum Schreibtische. und Wilhelmine wird mich nicht verraten! Was seh' ich? Dies ist ja ihre Handschrift! Ein Brief von ihr – Lesend. »Verehrungswürdiger Herr Professor! In tränenreicher Not wende ich mich an Sie, den ich über alles liebe und verehre« – was? Gottsched? Nach dem Kuvert umwendend. Nein, an Gellert adressiert! Was heißt das? – Man kommt! Zurück!


Nach rechts in den Vordergrund.
8. Szene
Achte Szene.
Gellert. Gottsched kommen sprechend zurück. Cato, dann Schladritz, dann Frau Gottsched und Bolza.

GELLERT.
Starke Ausdrücke! Sehr starke Ausdrücke!
GOTTSCHED.

Aber nötig, durchaus nötig. Im entscheidenden Augenblicke muß auch der Literatus zeigen, daß er eine hohe Stellung heldenmütig zu vertreten weiß.

SCHLADRITZ
stürzt herein, überlaut.
Die Preußen kommen, die Preußen kommen! Die Husaren sind schon da!
GOTTSCHED.
Mensch, was untersteht Er sich?
GELLERT.
Ach du mein Gott!
CATO.
Das kommt ungelegen!

Auf Schladritz' lautes Sprechen gleichzeitig Frau Gottsched aus der ersten, Bolza aus der zweiten Tür rechts.
FRAU GOTTSCHED.
Ist es wahr, Schladritz, mein Gott!
BOLZA.
Wie ist es möglich? redet!
GOTTSCHED.
Um's Himmels willen, Herr Graf, warum bleiben Sie nicht –?
GELLERT.
Ein Graf?
CATO.
Ein versteckter Graf!
[54]
GOTTSCHED
zu Schladritz.
Vorlauter Mensch, was untersteht Er sich?!
SCHLADRITZ
schluckend und gestikulierend.

Unterstehn oder Nichtunterstehn, hochgelehrtester Herr, jetzt heißt's im Dienst bestehn. Ich war bisher geachteter Diener des Hauses, ich muß dafür sorgen, solang' ich die Livree des Hauses trage, daß dies Haus nicht vom Feinde überrumpelt werde, und – der Feind steht vor der Türe!

GOTTSCHED, GELLERT, FRAU GOTTSCHED UND CATO. Vor der Türe?

FRAU GOTTSCHED
zu Bolza.
Verbergen Sie sich!
SCHLADRITZ.
Das heißt, wie der Herr Professor zu sagen pflegt, bildlich gesprochen steht er vor der Türe. –
GOTTSCHED.
Was weißt du, unglückliches Wesen, rede zusammenhängend!
SCHLADRITZ.

Das Wesen soll also reden? Bin also nicht aus dem Hause gejagt? Ich danke Ihnen, Herr Professor der Beredsamkeit! Will ihm die Hand küssen.

GOTTSCHED.
Laß Er mich in Ruh! Der Mensch ist entsetzlich!
FRAU GOTTSCHED.
Erzählt, erzählt, Schladritz!
GELLERT.
Erzählt, mein Lieber!
BOLZA.
Erzählt!
SCHLADRITZ.

Erzählen, ja – ich werd's versuchen. Sehen Sie, der Türmer drüben auf dem Nikolaiturme das ist mein Vetter Allgemeines Zeichen der Ungeduld. – na, warten Sie nur! Eins nach dem andern, 's kommt schon! Mein Vetter, der Türmer, hat ein Töchterchen, das ich gern verheuraten möchte, wenn sie nur nicht eine schiefe Schulter hätte,Neuer Ausbruch von Ungeduld. bloß schief! 's ist eine Verleumdung, wenn man sie bucklig nennt –

GOTTSCHED.
Mensch, rede!
FRAU GOTTSCHED.
Weiter, weiter!
BOLZA.
Rasch, rasch!
CATO.
Vorwärts!
SCHLADRITZ.

Ich rede ja – und Er da Zu Cato. mischt sich gar nicht 'rein, Er gehört gar nicht ins Haus! Jetzt zeigt sich's, was ein ordentlicher Diener ist und Konnexionen hat. Gottsched stampft mit dem Fuße. Ja, kurz, Herr Professor! Meine schiefe Muhme also – [55] schief ist sie allerdings – muß mir bei der gottlosen Soldatenzeit alle Tage Rapport bringen, was sich etwa in der Umgegend sehen lasse, damit man sich als ordentlicher Diener mit den silbernen Löffeln und gutem Geschirr danach richten und es doppelt verschließen kann, sobald's spukt. Nun, meine Herrschaften, jetzt spukt's aber, und wie. Allgemeine Spannung. Eben ist meine Muhme gekommen: das Wetter ist klar, sie können da oben bis in die Ewigkeit sehn, und was haben sie gesehn?

GOTTSCHED.
Was?
GELLERT.
Nun?
FRAU GOTTSCHED.
Nun?
CATO.
Was?
SCHLADRITZ.
Was? Nichts –
ALLE.
Nichts?
GOTTSCHED.
Einfältiger Mensch!
SCHLADRITZ.
So warten Sie doch mit dem Titel! Nichts – als Himmel und Husaren haben sie gesehn.
ALLE.
Husaren!
BOLZA.
Preußische?
SCHLADRITZ.

Freilich! Die Zietenschen Bärmützen erkennt man auf eine Meile Wegs, und die ersten sind schon auf dem Thonberge gewesen, und über Wachau, über Liebertwolkwitz, über Borsdorf sogar, überall blitzt es von Reitern. –

GOTTSCHED.
Das ist die Flucht, die große Retirade!
BOLZA für sich.
Sollte die mit Reiterei beginnen?
CATO.
Schwerlich.
FRAU GOTTSCHED.
Was tun?
GOTTSCHED.

Nichts verändern! Das ist ein Platzregen auf vierundzwanzig Stunden, und dann ist alles vorbei! Sie werden eilen weiterzukommen. Seien wir tüchtig, handeln wir! Er da Zu Cato. wie heißt Er?

CATO
in Gedanken.
Ich? – Ja so! – Wie Sie befehlen, Herr Professor!
GOTTSCHED.
Was?
CATO.

Mein Familienname ist vorderhand untergegangen, und ich habe mir einstweilen einen römischen beigelegt, der mich in einem wunderschönen Trauerspiele begeistert hat – alleweile heiß' ich Cato, wenn der Herr Professor es erlauben!

[56]
GOTTSCHED.

Cato! Sieh' da Zu seiner Frau. Viktoria, man dringt ins Volk mit Trauerspielen! Also Cato? Ein Bedienter darf aber nicht Cato heißen; später mehr davon – jetzt eile Er da hinein Auf sein Zimmer zeigend. im Wandschrank links hängt eine neue Livree des Hauses Gottsched, die lege Er an, und in ihr – Feierlich. schreite Er aufs Rathaus und übergebe dem Herrn Bürgermeister diese Schrift, die Protestation der Fakultät, redigiert vom Senior der Fakultät, Professor Gottsched.

CATO
verbeugt sich.
Kurze Pause.
FRAU GOTTSCHED.
Gottsched! In solchem gefährlichen Augenblick!
GELLERT.
Es wäre doch wohl ratsamer –
GOTTSCHED.
Jetzt oder nie!
SCHLADRITZ
schon während der Belehnung Catos in großer Aufregung, tritt außer sich vor.
Nie! – Die Livree im Wandschranke ist mein!
GOTTSCHED.
Ist Er verrückt?

Klingeln zum Fallen des Vorhanges.
SCHLADRITZ.

Ja! Ich kämpfe für mein Bedientenrecht! Er kann die Livree auch gar nicht anziehen, sie ist Ihm viel zu kurz!


Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Gottsched. Frau Gottsched. Bald darauf Cato.

GOTTSCHED
aus seinem Zimmer links kommend; er ist unruhig.
Ist er zurück?
FRAU GOTTSCHED
gleichzeitig aus ihrem Zimmer – dem vordersten rechts – kommend.
Du bist unruhig?
GOTTSCHED.
Gott bewahre, nicht doch, nein!
FRAU GOTTSCHED.
Du hast doch wohl zu viel gewagt mit Einreichung der Protestation in diesem Augenblick!?
GOTTSCHED.
Dafür bin ich Gottsched! Ich bin diesen bedeutenden Schritt meinem Namen schuldig!
[57]
FRAU GOTTSCHED.
Nun, dann führe ihn ruhig durch, auch wenn er gefährliche Schwierigkeiten erregt.
GOTTSCHED.

Jawohl! jawohl! Das versteht sich! Er ist unruhig bis an die Mitteltür gegangen und hat den rechten Flügel derselben aufgemacht, nach links hinübersehend. Ah, da kommt Er! da ist Cato! – Hier herein, Cato! Hierher, hierher! und er zählt ausführlich, erzählt!

CATO
in Livree, welche im wesentlichen der Livree des Schladritz gleicht.
Jawohl, Herr Professor. –
GOTTSCHED.
Jawohl! also –
CATO.
Also ich bin aufs Rathaus gegangen und hab' den Herrn Bürgermeister gesucht.
GOTTSCHED.
Richtig!
CATO.

Der hatte aber viel zu tun und, wie es schien, den Kopf erstaunlich voll, als ob sich's um eine schreckliche Einquartierung für die Stadt handelte, und es lief alles durcheinander, und man stieß mich hierhin und stieß mich dahin, und ich konnte meinen Antrag nicht anbringen.

GOTTSCHED
halb freudig.
Na, und Er bringt sie wieder?
CATO.

Na, da dacht' ich, fang' mit der Hauptsache an, Cato! Ich schrie also auf einmal: Vom Herrn Professor Gottsched, Senior der philosophischen Fakultät, und so weiter, und so weiter – da paßte alles auf.

GOTTSCHED
zu ihr.
Ein ganz gescheiter Bursche, wenn's Für sich. denn sein mußte!
CATO.
Und der Herr Bürgermeister nahm das Schreiben, machte es auf und las –
GOTTSCHED.
Nun?
CATO.
Und las sehr lange, und –
GOTTSCHED.
Nun?
CATO.
Und schüttelte den Kopf.
GOTTSCHED.
Was?
CATO.
Aber sehr. Dann sagte er: Das hieße die schlimme Lage auf die schlimmste Spitze treiben.
FRAU GOTTSCHED.
Das sagte er?! Er ist ein kundiger Mann, Gottsched!
GOTTSCHED.
Still doch! Weiter!
CATO.

Das sagte er. Und er setzte hinzu, er ließe Ihnen in [58] der Geschwindigkeit mündlich vorschlagen; denn zum Schreiben gäb's keine Zeit –

FRAU GOTTSCHED.
Nun?
GOTTSCHED.
Was?
CATO.
Sie möchten die Eingabe lieber zurücknehmen!
FRAU GOTTSCHED.
Siehst du!
GOTTSCHED.
Possen!
CATO.

Das sagt' ich auch! Mein Herr Professor, sagt' ich, macht so was nicht zum Zeitvertreib! Das ist reiflich überlegt, und er hat es in Sachen der freien Wissenschaft für nötig befunden!

GOTTSCHED.
So so!
FRAU GOTTSCHED.
Das sagte Er?
CATO.

Ja! Sich besinnend. Nun ja, ich hatte es hier so gehört, und damit war's gut. Ich konnte gehn; er legte die Schrift auf den grünen Tisch und murmelte: Wenn nur Seydlitz nicht selber kommt, der versteht keinen Spaß!

GOTTSCHED.
Keinen Spaß! Ungeziemlich. Wir spaßen nicht!
FRAU GOTTSCHED.
Und wie steht es sonst? Hat Er was gesehn, was gehört?
CATO.
Gesehn und gehört, aber 's ist nicht sonderlich.
GOTTSCHED.
Was ist's?
FRAU GOTTSCHED.
Redet, redet!
CATO.

Die Grimmsche Gasse ist bis ans Fürstenhaus ganz verstopft von Fuhrwerk, das noch geschwind herein gewollt und sich festgefahren hat. 's ist ein Mordspektakel da, und was ich so von einzelnen Kutschern aufgeschnappt habe, das klingt verdächtig.

FRAU GOTTSCHED.
Nun?
GOTTSCHED.
Wie so? wie so?
CATO.

Von allen Landstraßen rückten preußische Truppen heran, und sie täten gar nicht, wie geschlagen, sondern sehr vergnügt und sprächen von einem großen Siege, den sie gewonnen hätten.

FRAU GOTTSCHED
ängstlich aufschreiend.
Gottsched!
GOTTSCHED.
Zunächst Gerücht, das falsch sein kann! Und König Friedrich ist mir und den Wissenschaften hold!
FRAU GOTTSCHED.

Aber er ist weit entfernt in Schlesien! Und du weißt am besten, daß du ihm in der zweiten Audienz nicht besonders gefallen hast.

CATO.

Ja, und noch eins für die Frau Professorin! Mitten [59] unter der festgefahrenen Wagenburg drüben am Eingange der Ritterstraße schien mir die Kutsche der Frau Gräfin von Manteuffel zu stecken, die Sie ja wohl erwarten.

FRAU GOTTSCHED.
Schon!? – Aber woher kennt Er denn die Kutsche der Gräfin Manteuffel?
CATO
für sich.

Blitz! Laut. Ja, ich kenne sie auch nicht, die Kutsche. Aber den Kutscher kenn' ich. Das heißt den Kutscher selbst nicht, aber er trug gerade solche Livree wie der Gottfried, das heißt der Reitknecht, der heute morgen hier war, und weil zwei Damen drin saßen, da dacht' ich mir's.

FRAU GOTTSCHED.

Da hat Er ganz recht! Und nun helf' Er gleich dem Schladritz, daß der Tisch gedeckt und angerichtet werde.

CATO.
Zu Befehl! Abgehend für sich. Da hätt' ich bald dummes Zeug gemacht! Ab.
GOTTSCHED
ist unruhig hin und her gegangen.
Dem Schladritz? Ist es denn nicht möglich –
FRAU GOTTSCHED.

Nein, es ist nicht möglich, ich kann den Mann jetzt nicht entbehren, da die Kathrine fortgelaufen und so viel im Hause zu tun ist. Der neue Mensch kennt ja mein Hauswesen noch nicht, und wie soll ich's denn bestreiten, da Manteuffels nun da sind und Graf Bolza durchaus hierbleiben soll.

GOTTSCHED.
Ich kann doch den vornehmen, einflußreichen Mann jetzt nicht fortjagen!
FRAU GOTTSCHED.

Du hättest für ihn sorgen, ihn aber nicht in deinem Hause unterbringen sollen: das kann ja, wenn es entdeckt würde, deine nun ohnehin gefährdete Lage nur verschlimmern!

GOTTSCHED.
Laß das!
FRAU GOTTSCHED.

Freilich! Jetzt ist's allerdings zu spät! Aber jetzt brauchen wir Vorschriften. Soll der Graf Bolza auch vor Manteuffels verborgen, oder soll er ihnen unter fremdem Namen vorgestellt werden? Denn es darf doch jetzt niemand mehr seinen Namen wissen, viel weniger nennen, da seine Todfeinde die Stadt besetzen? –

GOTTSCHED.
Vor Manteuffels? Die kennt er ja!
FRAU GOTTSCHED.
So?
GOTTSCHED.
Wenigstens hat sich's schon lange um Bekanntschaft gehandelt zwischen ihm und diesen Damen.
FRAU GOTTSCHED.
Wie das?
[60]
GOTTSCHED.

Mein Gott, das solltest du doch aus Dresden besser wissen als ich. Eine Partie ist im Werke zwischen ihm und der Komtesse Wilhelmine.

FRAU GOTTSCHED.
Nicht möglich!
GOTTSCHED.
Nun, was ist dabei zu erschrecken?!
FRAU GOTTSCHED
für sich.
Deshalb ist er hier! Der Verräter!
GOTTSCHED.
Was hast du denn?
FRAU GOTTSCHED.

O nichts, nichts! – Ich bewundere die Schlauheit, welche trotz aller Gefahr unser Haus benützt im Einverständnisse mit den Damen von Manteuffel!

GOTTSCHED.

So ist's nun wohl gerade nicht. Eigentlich Er greift nach den Briefen, welche noch auf dem Tische liegen. kennt er sie nicht persönlich und war überrascht.

FRAU GOTTSCHED.
Falsches Spiel! Ein Lebemann weiß wohl ein junges Mädchen zu bestimmen!
GOTTSCHED.

Das junge Mädchen weiß schwerlich was von ihm. So viel mir bekannt, sind ihre BlickeSelbstgefällig lächelnd und den Brief Wilhelminens einsteckend. ganz wo anders hin gerichtet. Da ist Einen zweiten Brief hinreichend. auch noch ein Brief für dich von der Gräfin, den Gottfried mitgebracht. Sie hat hastig geöffnet und hineingesehn. Was steht darin? Du zitterst ja!

FRAU GOTTSCHED.
Höflichkeiten – Redensarten!
GOTTSCHED.
Aber was ist dir denn?
FRAU GOTTSCHED.
Nichts, nichts! Die vielen Aufregungen belästigen meinen Kopf.
CATO
meldend.
Die Herrschaften von Manteuffel sind vorgefahren!
FRAU GOTTSCHED.

Ach! – Führt sie von außen in mein Zimmer! Gottsched, begrüße sie; ich bin jetzt außerstande. Laßt mir einen Moment Erholung; es wird mir gleich besser sein!

GOTTSCHED
Cato zum Abgehen winkend, welcher denn auch die Tür wieder schließt, spricht im Gehen nach hinten.

Von wie gebrechlichem Ton sind doch die Weiber! Er öffnet im Vorübergehen Bolzas Zimmer, das zweite rechts, und ruft hinein. Die ersehnten Damen sind angekommen, lieber Graf, und erwarten Sie auf dem Zimmer meiner Frau – zunächst als den Grafen Balthasar, nicht wahr? Verstanden? Wir spielen Roman! Zur Frau. Luise! Balthasar heißt unser Held! Lachend ab.

2. Szene
[61] Zweite Szene.
Frau Gottsched. Dann Graf Bolza, später Cato; zuletzt Schladritz.

FRAU GOTTSCHED
mit dem Gesicht nach dem Publikum, schrickt zusammen, als ihr Gottsched die letzten Worte zuruft.

Widerwärtige Qual! Ich mag ihn jetzt nicht sehen! Sie wendet sich rasch links hinüber nach dem Zimmer Gottscheds; als sie es fast erreicht, tritt Bolza aus seinem Zimmer.

BOLZA.
Meine verehrte Frau Professorin –
FRAU GOTTSCHED.
Dort in meinem Zimmer finden Sie die ersehnten Damen.
BOLZA.
O meine gnädige Freundin, was kümmern mich jene Damen, die ich nicht kenne, während ich –
FRAU GOTTSCHED
schnell.

Kümmern Sie nicht! Die Sie nicht kennen! Wieviel Unwahrheiten verbrauchen Sie, Herr Graf, an einem Vormittage! Einer unbescholtenen Frau heucheln Sie um elf Uhr leidenschaftliche Neigung und beunruhigen ein friedliche Herz, bedrohen den Frieden eines Hauses, zu welchem Ende? Damit Sie um zwölf Uhr in diesem Hause eingebürgert sind zum Empfange – nicht doch! nicht doch! ich spreche Unwürdiges.Sie eilt wieder nach vorn. Mein Gott! wohin treibt mich die Aufregung! Ich setze voraus, ich klage an, was ich nicht soll, was ich nicht will! Fasse dich, verletzte Eitelkeit, fasse dich schnell!

BOLZA
für sich.

Sie scheint eifersüchtig zu sein! Ein vortrefflich Zeichen! Laut. Ich verstehe Sie nicht und empfinde nur eine schmerzliche Freude darüber, daß Sie mich einer scheltenden Anrede würdigen.

FRAU GOTTSCHED.

Empfinden Sie Freude, daß man Wert auf Sie legt, wirklich?! – – Nein, nein! Entschuldigen Sie mich, Herr Graf, ich habe eine schreckliche Migräne und spreche ohne Sinn und Zusammenhang. Ein Drama, welches ich zu bearbeiten angefangen, tobt mir im Kopfe umher, und ich verwechsle die erdichtete Welt mit der wirklichen. Gezwungen lächelnd. Richtig, richtig! Sie sind ja Graf Balthasar! Diese Namensänderung wird mich in die Romanwelt gesteigert haben. Was mag ich Ihnen für konfuses Zeug vorgesprochen haben! Begrüßen Sie dort Auf ihr Zimmer zeigend. die Damen; ich hoffe – bald bei Ihnen zu sein! Sie geht wieder auf Gottscheds Zimmer zu und bleibt an der Tür stehen.

BOLZA
unbeweglich und aufmerksam auf sie blickend bis daher, tritt um [62] einen Schritt auf sie zu.
Und kann ich Ihnen nicht helfen, meine verehrte Frau?
FRAU GOTTSCHED
mit ablehnender Handbewegung und mit Stolz.

Das können Sie nicht! – Sind Sie denn ein Arzt? Gehen Sie ungestört Ihren Weg! Sie tritt in Gottscheds Zimmer.


Kurze Pause.
Während ihr Bolza erstaunt nachsieht, öffnet Schladritz hinten beide Flügel der Tür, als wollte er Gottsched mit den Damen einlassen. Man sieht Gottsched, Frau und Fräulein von Manteuffel führend, außen vorübergehn.
GOTTSCHED
im Vorübergehen rufend.
Dort hindurch, meine Damen!

Verschwindet hinten nach der rechten Seite.
BOLZA
Wilhelminen meinend, welche auf der Seite des Publikums und nach dem Zimmer blickend vorübergegangen ist.

Dies ist ein schönes Mädchen! Nach Gottscheds Zimmer blickend. Dies ist eine interessante Frau! Geht ab nach rechts in das Zimmer der Frau Gottsched.

3. Szene
Dritte Szene.
Schladritz mit dem Tischtuche über dem Arme an der offenen Tür. Dann Cato; dazwischen kurze Zeit Gottsched. Am Ende Frau Gottsched.

SCHLADRITZ
sieht Gottsched und den Damen nach, dann kehrt er sich um, und nach links hinten spricht er zu dem noch unsichtbaren Cato.

Na, wird's? Dort im Dunkeln wird nicht gedeckt.Er tritt ein, die Tür bleibt offen, und Cato erscheint später in derselben, stumm Wilhelminen nachblickend. Schladritz kommt nach vorn, und auf die Tür deutend, durch welche Bolza eben verschwunden ist, spricht er. Wenn ich nur den Namen dieses Grafen erst wüßte! Dahinter steckt was, und damit könntest du, Schladritz, in so halsbrecherischer Zeit was anfangen. Der Professor hat den Satan gegen mich, und ich muß einen Schreck für ihn auftreiben, sonst bringt er mich am Ende doch 'naus – christlich müßt es freilich ausspielen mit dem Schreck, natürlich, der Professor ist doch mein alter Herr! – Sich umsehend nach Cato, der jetzt in der Türe erschienen ist. Wird's nicht? Für sich. Dich will ich schon wieder 'nausspielen mit Ohrfeige und Livree, und – ohne Christentum!

CATO
ist eingetreten und hat den Korb mit dem Tischzeuge hinten auf den Tisch links gestellt.
SCHLADRITZ
nach hinten zu dem Tische gehend.

Den Tisch anfassen! [63] Sie tragen den Tisch in die Mitte. Hier anfassen! Wirft ihm das Tischtuch zu. Du hast doch reingewaschne Hände, Schuhputzer?

CATO
das Tischtuch wegwerfend und um den Tisch herum auf Schladritz kommend, bis er ihm ganz nahe.
SCHLADRITZ
vor ihm weichend.
Na, was soll das?
CATO.
Höre, alter Knabe!
SCHLADRITZ.
Was, Knabe? Immer weichend.
CATO.

Unterstehst du dich noch einmal, mich per Du zu traktieren und mit ungewaschnen Namen zu benennen, so begegnet dir eine dauernde Fatalität, verstehst du?

SCHLADRITZ.
Du? Und Er will mich Du nennen?
CATO
den Korb vom Tische herunterstellend, mit Heftigkeit.
Ja!
SCHLADRITZ
erschreckend.
Ja doch – und was heißt denn das: eine dauernde Fatalität?
CATO.

Aus dem Dienst gejagt ist Er ja schon, Er hängt nur noch mit einem Zwirnsfaden an diesem Hause – ist Er unartig gegen mich, so schneid' ich diesen Zwirnsfaden durch, ist Er artig, so laß ich mit mir handeln, und der Herr Professor auch, versteht Er mich?

SCHLADRITZ
heftig.
Von uns zweien ist hier einer zu viel!
CATO.
Das ist Er!
SCHLADRITZ.
Nein, Er!
GOTTSCHED
aus der ersten Tür rechts heraussprechend ohne einzutreten.
Adelgunde!
SCHLADRITZ
rasch von Cato wegfahrend.
Hier, Herr Professor!
GOTTSCHED.

Frecher Mensch, Auf die Schwelle der Tür tretend. untersteht sich, auf den Namen der Frau Professorin zu antworten!

SCHLADRITZ.
Verzeihung, Herr Professor, ich war so erschrocken.
GOTTSCHED.

Adelgunde! – Fertigmachen, Cato! Die Suppe auftragen, die Frau Professorin rufen!Ab, wieder rückwärts in das Zimmer.

CATO.
Zu Befehl, Herr Professor! Geht an die Tür links und klopft.
SCHLADRITZ
aus dem Korbe Teller und sonstiges Tischzeug nehmend und hastig deckend.

Der Bursch ist höchst verdächtig! So denkt und handelt kein geborner Bedienter! Ich muß spionieren und visitieren, ich muß dahinterkommen, und er muß 'naus!

CATO
nachdem er zum zweiten Male geklopft, öffnet ein wenig die Tür und spricht artig und sanft hinein.

Der Herr Professor bittet, die Frau Professorin möchten zur Gesellschaft kommen! Die Tür offenhaltend.

[64]
FRAU GOTTSCHED
tritt ein.
Ist der Herr Professor Gellert da?
CATO.
Noch nicht, Frau Professorin.
FRAU GOTTSCHED
im Gehen.

Es mag doch sogleich angerichtet werden, er kommt wohl unterdes. Sie geht nach ihrem Zimmer ab, ohne auf die folgenden Worte Schladritz' zu hören.

SCHLADRITZ.

Soll Meißner oder Naumburger aufgesetzt werden? – Nichts? Gut. 's sind vornehme Herrschaften, also Meißner! Geht nach hinten, dann für Cato sagend. Messer, Gabeln und Löffel legen! Durch die Mitteltür ab.

CATO
Messer und Gabeln legend.

Nun kommt der entscheidende Augenblick! Bis dahin wär' alles gelungen. Wenn mich aber Wilhelmine beim ersten Anblick verrät, dann stürzt mein ganzes Kartenhaus zusammen. –

SCHLADRITZ
zwei Flaschen Wein links neben die Tür setzend.
Aufsetzen!
CATO.
Erschreck' Er mich nicht so!
SCHLADRITZ.
Er hat wohl Nerven!? Ab.
CATO
den Wein holend und aufsetzend.

Die Mama kennt mich gewiß nicht mehr, sie hat mich ja zehn Jahre nicht gesehen – Herr Gott, da kommen sie wohl schon! Wilhelmine darf mich nicht sogleich erblicken! Er tritt mit dem Gesicht gegen das Publikum hastig einige Schritte zurück und stößt an.

SCHLADRITZ
der mit beiden Armen die Suppenterrine trägt und unverwandt auf diese gesehen hat, jetzt aber zur Seite taumelt und schreit.

Tölpel, die Suppe! Zwischen der ersten und zweiten Tür auf der rechten Seite steht ein Sessel, auf diesen taumelt er, und dort sitzt er, als der Professor mit der Gräfin eintritt und vor ihm stehen bleibt.

4. Szene
Vierte Szene.
Gottsched. Gräfin Manteuffel. Wilhelmine. Bolza. Frau Gottsched. Cato. Schladritz.
Gottsched führt sehr förmlich die Gräfin und bleibt einen Augenblick vor dem sitzenden Schladritz stehen. Ihm folgt Bolza, welcher Wilhelminen führt. Sie bleiben rechts vom Tische stehen, während Gottsched und die Gräfin vor die hintere Mitte des Tisches, dem Publikum also gerade gegenüber, kommen, und Frau Gottsched, hinter allen hinum gehend, die linke Seite des Tisches gewinnt. Cato ist zuerst hinter dem Stuhle, auf welchem Schladritz sitzt, nahe der zweiten Tür rechts, und zieht sich später auf dieser Seite vor, so daß ihn Wilhelmine nicht eher [65] sieht, als bis er ihr den Stuhl setzt. Bis dahin spricht Bolza, immer beobachtet von Frau Gottsched, eifrig zu ihr, tritt aber einige Schritte zurück, als Cato den Stuhl für sie bringt, so daß er die Erkennungsszene zwischen ihr und Cato nicht bemerkt.

GOTTSCHED
vor Schladritz.
Du siehst, Adelgunde, daß dieser Mensch durchaus gestörten Wesens ist!
SCHLADRITZ
aufspringend mit der Suppe und sie nach dem Tische tragend.

Gestörten Wesens!Stöhnend. Zum Verzweifeln! Erst verrückt, nun gestört! Ja, der Mensch verrückt und stört mich, stört alles! Sowie er die Suppe aufgesetzt. Ach du gerechter, du gerechter Gott!

GOTTSCHED.
Mensch, was ist schon wieder?
SCHLADRITZ.

Messer und Gabeln liegen links von den Tellern! Herr Dekanus, jener Mensch ist kein Bedienter, so wahr –

GOTTSCHED
schiebt ihn am Kragen mit der linken Hand in den Hintergrund.

Er ein schlechter ist! Sessel! – Entschuldigen Sie, erlauchte Frau Gräfin, diese Ungebührlichkeiten eines bereits entlassenen Lakaien. Der heutige Tumult hat ihn nur noch für einige Stunden gegen meinen Willen im Hause erhalten!


Schladritz setzt unterdes links, Cato rechts Stühle. Als Cato Wilhelminens Stuhl bringe, erblickt ihn diese und ruft.
WILHELMINE.
Fritz! Ach du lieber Gott!
BOLZA.
Mein gnädiges Fräulein!
GOTTSCHED.
Gnädigste Komtesse!
GRÄFIN.
Was ist, mein Kind?
FRAU GOTTSCHED.
Was geschieht denn?
SCHLADRITZ.
Kuckuck!
CATO
leise zu ihr.
Verrate mich um Gottes willen nicht!
GRÄFIN.
Was ist dir, Kind?

Kurze Pause.
CATO
leise.
Ich habe dich mit dem Stuhle gestoßen.
GRÄFIN.
Aber so sprich doch, Wilhelmine! Was gibt's denn mit dem Domestiken?
WILHELMINE.
Der ungeschickte – Mensch hat mich empfindlich –
CATO.
– mit dem Stuhle gestoßen. Zu meinem größten Leidwesen.
SCHLADRITZ
für sich.
Aha! Wollen doch gleich in seinen Habseligkeiten nachsehen. Ab.
[66]
GOTTSCHED.
Kann Er sich nicht in acht nehmen!Zärtlich. Ich leide mit Ihnen, gnädigste Komtesse!

Man setzt sich, und Gottsched fängt an, stehenbleibend, Suppe vorzulegen.
GRÄFIN.

Wir durften ja hoffen, geschätzte Frau Professorin, außer dem Herrn Grafen Balthasar auch den würdigen Herrn Professor Gellert an Ihrem Tische zu sehen. –

WILHELMINE.
Kommt er nicht?
CATO.
Da ist er!
5. Szene
Fünfte Szene.
Gellert. Die Vorigen.

GOTTSCHED
ohne sich in seinem Geschäft zu unterbrechen.
So spät, so spät, Herr Professor!
GRÄFIN
aufstehend.
Würdigster Professor!
WILHELMINE
desgleichen.
Das ist er!

Die andern erheben sich nun auch, Gottsched aber fährt stehend fort, Suppe vorzulegen.
GRÄFIN.
Es freut uns außerordentlich, den edlen Poeten des Vaterlandes nach langer Zeit wiederzusehen!
GOTTSCHED
hustet.
GELLERT.

Die Frau Reichsgräfin sind sehr gnädig. Ich wünschte nur, der Ausdruck meines Respektes würde nicht beeinträchtigt durch so unruhige Augenblicke, wie die jetzigen es sind. Ja, Herr Professor Gottsched, die Umstände werden immer drohender, und es ist ein harter Tag angebrochen für Leipzig und für uns.

GOTTSCHED.
Schon wieder was Neues?
GRÄFIN.
Wie?
FRAU GOTTSCHED.
Was denn?
BOLZA.
Was gibt's?
GOTTSCHED.
Was gibt es?
GELLERT.

Es ist nicht mehr daran zu zweifeln, daß die Preußen unter Anführung des Prinzen Heinrich eine große Feldschlacht gewonnen haben in der Gegend von Freiberg!

GOTTSCHED.
Gewonnen!
GRÄFIN.
Wahrhaftig?
BOLZA.
Weh' mir!
CATO.
Bei Freiberg!
GOTTSCHED
sehr betroffen.
Gewonnen!
[67]
GELLERT.

Ja, gewonnen! Sachsen ist also wieder ganz in ihrer Gewalt. Das hätte für uns nicht soviel Bedenken, wenn der König selbst oder auch Prinz Heinrich hierher nach Leipzig kämen. Denn beide sind Freunde der Wissenschaft, und der Zwiespalt, welcher sich zwischen den Kriegsleuten und unsrer Universität entsponnen, würde wohl von diesen königlichen Herren friedlich beigelegt. Aber der König ist fern, und ich höre eben, daß Prinz Heinrich sich gegen Dresden richte, um einen Waffenstillstand zu erzwinge, daß aber die Reiterei hierher sich wende und schon vor unseren Toren sei. Man erwartet jede Minute das Einrücken derselben, und man sagt, es seien diejenigen Reiter, welche wir am meisten zu fürchten haben, die Seydlitzschen Kürassiere, und Seydlitz selbst, der schärfste Widersacher unsrer Universität, komme an ihrer Spitze!

BOLZA.
Teufel!

Alle sehen nach ihm; kurze Pause.
GOTTSCHED
stöhnt.
CATO
für sich.
Meine Lage wird gefährlich.
GELLERT.

Damit ist ausgesprochen, daß das Kriegsverfahren gegen uns Professoren in der nächsten Stunde beginnen kann. Ich habe große Besorgnis davor, denn ich bin ein stiller Mann des Friedens, und ich bitte Sie, lieber Herr Gottsched, mit unsrer Protestation nicht in so kritischem Momente hervorzutreten.

FRAU GOTTSCHED.
Gottsched!
GOTTSCHED.
Das ist zu spät. Die Protestation ist schon seit einer Stunde auf dem Rathause.
GELLERT.

Um des Himmels willen! Dann eilen Sie selbst aufs Rathaus, sie zurückzunehmen! Ich bin noch keinem Soldaten begegnet, noch wird es Zeit sein, noch wird sie der Herr Bürgermeister in Händen haben!

GOTTSCHED
unsicher.
Ich kann doch nicht – solch einen Schritt rückwärts – tun, der meine Konsequenz bloßstellen müßte. –
FRAU GOTTSCHED.
Tu' ihn, Gottsched, tu ihn!
GELLERT.

Besser ist Schweigen als Halbsprechen und eine gute Sache dadurch aussetzen! Durchsetzen können wir's doch nicht gegen die Kriegs macht!

GOTTSCHED.
Warum nicht? – Was kann man uns tun?
GELLERT.
Alles!
[68]
GOTTSCHED.
Alles?
GELLERT.
's ist ja Krieg!
GRÄFIN.

Ich beschwöre Sie, Herr Professor Gellert, haben Sie keine Nachricht, ob die Reichsarmee unter dem Prinzen Stollberg in die Affäre bei Freiberg verwickelt worden sei?

CATO.
Ja, die Reichsarmee!
GELLERT.
Haben Sie ein persönliches Interesse bei dieser Frage?
GRÄFIN.
Ach jawohl, das größte!
WILHELMINE.
Jawohl!
GELLERT.
Mein Gott –!
GRÄFIN.
Sie wissen etwas –!?
GELLERT.
Nichts Besonderes, durchaus nichts Besonderes.
GRÄFIN.
Reden Sie! ich beschwöre Sie, sagen Sie alles, was Sie wissen!
GELLERT.

Nun, es heißt allerdings, die Reichsarmee – sei ebenfalls in die Schlacht verwickelt und – ebenfalls aufs Haupt geschlagen worden.

GRÄFIN.
O mein Gott!
GELLERT.
Sie haben indessen wie herkömmlich, mehr Gefangene als Tote verloren.
CATO.
Wie herkömmlich!

Kurze Pause.
WILHELMINE
zu der Gräfin eilend.
Trösten Sie sich, Mama, im schlimmsten Falle ist also der Vater gefangen!
FRAU GOTTSCHED.
Der Vater!?
BOLZA.
Der Graf!
GELLERT.
Der Herr Graf?!
GRÄFIN.

Ja, mein Gemahl kämpft neben dem Prinzen Stollberg, und seine Gefangenschaft wäre ein erschreckliches Unglück für ihn, weil er überall laut und öffentlich auf das eklatanteste Partei genommen hat gegen die Preußen.

GOTTSCHED
zu Cato halblaut.

Gellert kann nicht unrecht haben, und es wäre wohl ratsam, Cato, Er eilte aufs Rathaus, um beim Herrn Bürgermeister zu fragen –

CATO.
Meinen Sie, Herr Professor?
6. Szene
[69] Sechste Szene.
Schladritz. Die Vorigen.

SCHLADRITZ
tritt hastig und sogleich schreiend ein bei den ersten Worten Catos.

Ach du himmlischer Vater, du himmlischer Vater, nun ist's fertig!Er hat eine alte Jagdtasche so umgehängt, daß der Ranzen ihm vorn den Leib bedeckt. Schöne Geschichten das, schöne Geschichten!

ALLE.
Was ist? Was gibt's?
SCHLADRITZ.
Ich hab's gleich gesagt, wie die Wirtschaft losging.
FRAU GOTTSCHED.
Was denn?
GOTTSCHED.
Was denn? Was denn?
GELLERT.
Was denn?
SCHLADRITZ.
Ich hab' es gleich gesagt, Herr Professor: die Sache nimmt ein schlechtes Ende!
GOTTSCHED.
Wird Er endlich sagen, was es gibt!
SCHLADRITZ
in die Jagdtasche greifend und erst eine Broschüre herausziehend, den Kopf schüttelnd und sie in die andre Hand nehmend, dann aber einen Harlekinsanzug aus dem Ranzen herausziehend.

Während er dies tut, sagt er unmittelbar auf Gottscheds Frage. Nu, warten Sie nur – das gibt's! Den Harlekinsanzug hinzeigend. Ein Hanswurst ist er! Da ist er!

GOTTSCHED.
Wer?!
CATO
für sich.

Na, das fehlt noch! Jetzt, Geistesgegenwart, sei bei mir! Er wendet das Gesicht starr nach dem Publikum, als ginge ihn das alles nichts an.

SCHLADRITZ.
Wer? Der neben Ihnen?
GOTTSCHED.
Der Graf Bol – Balthasar!
SCHLADRITZ.

Ach der wird sich doch nicht auch verkleiden! Auf der andern Seite ist der Eigentümer dieser Jagdtasche, der sogenannte Mosje Cato ist der saubre Hanswurst!

WILHELMINE
leise.
O Gott, wie schäm' ich mich für ihn!
GOTTSCHED
in großer Aufregung.

Hanswurst?! In meinem eigenen Hause! Mein eigner Diener! Nachdem ich die Hälfte meines Lebens daran gesetzt, diese kindische Possenfratze von der Bühne zu jagen! Cato die Hand zitternd auf die Schulter legend. Unglücklicher!

CATO
bloß den Kopf nach ihm wendend mit dumm schalkhaftem Ausdrucke.
Als wie ich?!
[70]
GOTTSCHED.

Bist du einer jener Komödianten, der sich in mein Haus gelogen, um mein edelstes Streben so nichtswürdig zu verspotten? Dann bewahre uns Gott vor Unglück; denn ich könnte dich, Menschenkind, ich könnte dich ermorden – sprich! Er faßt dabei krampfhaft mit beiden Händen nach Catos Schulter.

CATO
vollkommen ernsthaft und entschlossen ihn mit einem Griff zurückdrängend.
Halt da! Nicht anrühren, sonst trifft das Unglück Sie allein.
GOTTSCHED
prallt zurück; alle weichen einen Schritt.
CATO
zum alten Tone übergehend.

Verzeihung. Ich bin darum außer mir, weil – weil ich so verkannt werde. Herr Professor der schönsten Künste, Streiter für edlen Geschmack, ich Hanswurst?! Oh, welch ein Gedanke, welch eine Erniedrigung! Ja, nach Erscheinung dieses bunten Kleides muß ich nun wohl gestehen, daß ich mich der Gaukelei auf dem Theater allerdings hingegeben, aber, – als Ihr Fahnenträger, im edelsten Geschmack, Herr Professor! Und nun, da meines Herzens Geheimnis so jählings ans Tageslicht gerissen wird durch einen Böotier Schladritz zuckt. nun muß ich ruhmredig erscheinen und die ganze Wahrheit sagen, die ganze! Ja, Herr Professor, jenes bunte Kleid ist meine Trophäe, ist das Siegeszeichen meiner künstlerischen Laufbahn! Vier Meilen von hier, zu Weißenfels an der Saale hab' ich das Kleid einer Komödiantentruppe abgerungen mit Gefahr meiner edelsten Gliedmaßen, abgerungen, Herr, um den letzten Hanswurst unmöglich zu machen, unmöglich; denn jene Frevler haben kein Geld, ein neues solches Kleid anfertigen zu lassen. Triumphierend flog ich mit der Beute hierher nach Leipzig, um sie zu Ihren Füßen niederzulegen in einer geweihten Stunde, und hier erleb' ich solche Erniedrigung, o Herr Professor, dies ist eine schmerzliche Situation für ein gebildetes Herz!


Kurze Pause.
GOTTSCHED.
Es wäre –?
SCHLADRITZ.

Das ist ein Schelm, der Sie zum Narren hat, Herr Professor. – Man hört in weiter Ferne einen Trompetenmarsch.

GOTTSCHED.
Schweig Er! Zu Cato. Und Er –
BOLZA.
Still! – – Das sind die Trompeten –
CATO.
Von Jericho!
BOLZA.
Still! – – Ich kenne sie! Das sind die Trompeten der einrückenden Kürassiere!
[71] FRAU GOTTSCHED.
Schon!
GOTTSCHED.
Sie kennen sie!
GELLERT.
Nun gilt's!
CATO.
Jetzt geht's los!
GRÄFIN.
O Gott!
GOTTSCHED.
– Der Kürassiere!
7. Szene
Siebente Szene.
Katharina in Marketenderinkleidung. Die Vorigen.

KATHARINA.
Da sind wir! Da sind wir! Das ganze Regiment, die ganze Armee und ich auch!
SCHLADRITZ
bei den letzten Worten einfallend.
Die Kathrine, die Kathrine, juchhe!
GOTTSCHED.
Katharina, Sie wagt es!?
FRAU GOTTSCHED.
Käthe, du bist es?
KATHARINA
in der Mitte aus dem Kreise vortretend; der Kreis schließt sich hinter ihr mit Schladritz.

Empfehle mich allerseits! Empfehle mich. Herr Professor! Sehen Sie nicht so grimmig aus, 's nützt Ihnen doch nichts, die Seydlitzer sind da, und unser General hat Sie auf dem Strich; wenn die Kathrine nicht hilft, wird's schlimm genug um Sie aussehen!

SCHLADRITZ.
Die Käthe ist prächtig!
FRAU GOTTSCHED.
Mädchen!
KATHARINA.

Ach, meine vortrefflichste Frau Professern, lassen Sie mich Ihre Hand küssen, und vergeben Sie mir ja, daß ich Ihnen fortgelaufen bin! Aber Liebe ist Liebe, und Krieg ist Krieg, und man will doch vorwärts! Lange hat's ja auch nicht gedauert, leider! und da bin ich schon wieder, und jetzt bin ich wahrhaftig für Ihr Haus vierteljährig drei Taler mehr wert; denn ich bin so gut wie 'ne Salvegarde gegen die Soldaten, und jetzt gibt's doch auf wer weiß wie lange nur Soldatenregiment in Leipzig; sehen Sie mich freundlich an, Frau Professern, ich mein's mit keinem Menschen so gut als mit Ihnen! Ihr mehrfach die Hand küssend.

FRAU GOTTSCHED.
Wunderliches Mädchen, läufst mit den Soldaten in die weite Welt –
KATHARINA.

Ich bin ja nur mit meinem Vetter, dem Wachtmeister, gegangen, der mich von jeher hat heuraten wollen, und der [72] mich auch noch heuraten wird, wenn ich nicht unter der Zeit einen jüngeren finde; 's ist 'ne ehrliche Haut, der Siegmund, und 's ist ja nicht seine Schuld, daß niemand heuraten darf, solange die Campagnen dauern, und daß es in alle Ewigkeit nicht mehr Friede werden will! Halten Sie den Siegmund warm, Herr Professor, 's wird gar nicht lange dauern, da wird er hier sein bei Ihnen auf Kommando zur Untersuchung gegen Sie.

FRAU GOTTSCHED.
Was? Mädchen!
GOTTSCHED.
Hier bei mir!
SCHLADRITZ.
Die Käthe ist göttlich!

Der Trompetenmarsch kommt näher.
GELLERT.
Ein Wachtmeister zur Untersuchung gegen einen Professor!
KATHARINA.

Hören Sie, meine Leute! Geht an den Tisch und schenkt sich ein Glas Wein ein. wie sie blasen! Das ist der Seydlitzer Marsch, den kennt man von Roßbach her! Kriegt man auf der Landstraße einen Durst! Schladritz tritt zu ihr und nimmt die Flasche. Brr! Schladritz, das ist sehr vaterländisches Gewächs! Bei unsrer Bagage haben wir beßres!

SCHLADRITZ.
Mach' keine Umstände, Käthe, noch eins!

Trompetenmarsch ganz nahe.
KATHARINA.

Hurra, jetzt schwenken sie ab in die Ritterstraße, um unten auf dem Brühle zu biwakieren! Dort von den Fenstern Auf das erste Zimmer rechts, das der Professorin, deutend; es steht offen. der Frau Professern können Sie unsre Leute sehen, meine Herrschaften, und können auch gleich sehen, ob der Wachtmeister vom zweiten Zuge herüberschwenkt mit einem Pikett, um unsre Haustür zu besetzen, damit niemand mehr entwischen kann.

BOLZA.
Was soll das?
GOTTSCHED.
So weit wäre es schon!
SCHLADRITZ.
Die Käthe ist himmlisch!
FRAU GOTTSCHED.
Du übertreibst, Katharine!
GRÄFIN.
Mein Gott, mein Gott!
GELLERT.
Unerhört!
CATO.
Zum Teufel auch!
SCHLADRITZ.
Die Käthe ist einzig!
Alles drängt sich nach der Tür rechts; Gottsched tritt zuerst ein, dann die Gräfin, dann Gellert, Wilhelmine bleibt links im Hintergrunde. Cato rechts im Vordergrunde; Bolza ist unschlüssig an den Tisch vorgetreten, ihm zunächst zur Rechten,[73] also vom Zuschauer aus links, Schladritz; neben dessen Rechten, also vom Zuschauer links, Katharina.
FRAU GOTTSCHED
ihre Stellung zur äußersten Linken verlassend und vor dem Tische nach rechts hinübergehend, zu Bolza.
Dann müßten Sie gleich aus dem Hause! Ab in ihr Zimmer.
BOLZA.
Jawohl! Ab ebendahin.
KATHARINA
unbemerkt von den Übrigen.
Herr Je, Graf Bolza?
SCHLADRITZ
der sie im Auge gehabt und dies allein gehört hat, führt sie rasch einen Schritt vor, links vom Tische.
Bolza heißt er?
KATHARINA.
Freilich! Der uns in Dresden so schön die Kur gemacht, mir und der Frau Professern!
SCHLADRITZ.
Siehst du wie du bist! Nun weiß ich was!
KATHARINA.

Hat Er 'nen Stich, Schladritz?! Fix 'naus vors Haus, daß ich meinem Wachtmeister unsre Wohnung zeige, fix! Ab.

SCHLADRITZ.
Jetzt weiß ich was! Ei Käthe, jetzt wird's fidel!

Ab mit ihr.
8. Szene
Achte Szene.
Cato. Wilhelmine.

WILHELMINE
welche während alle dem nur Cato im Auge behalten, kommt jetzt hastig links am Tische vorüber nach dem Vordergrunde.
Fritz! Fritz, was tust du?!
CATO
welcher desgleichen nur, nach Wilhelminen blickend, auf diesen Augenblick des Alleinseins gewartet, eilt vor dem Tische zu ihr.
Verdamme mich nicht, Wilhelmine!
WILHELMINE.

Ich schäme mich ja zu Tode für dich! In einer Dienerlivree finden wir dich, zu gemeiner Komödiantenwirtschaft bekennst du dich! Was wird die Mama sagen, wenn sie erfährt, daß du es seist, was wird der Vater sagen, wenn er es hört, Fritz, was muß ich denken, die ich von jeher alles auf dich gestellt habe, mein ganzes Denken und meinen ganzen Glauben, Fritz, Fritz, ich kann's ja nicht überleben, wenn du nicht ordentlich und ehrlich bist!

CATO.

Ich beschwöre dich, Wilhelmine, meine gute, liebe Wilhelmine, ich beschwöre dich, vertraue mir weiter, wie du mir bisher vertraut hast! Du bist das einzige Wesen, dessen Mißtrauen mich unglücklich machen würde. Wilhelmine, ich fühle mich vor Gott [74] verantwortlich für dein Glück. Denn ich liebe dich, ich habe dich auferzogen, ich habe dich erfüllt mit den Idealen meiner Seele, ich hätte dich ja verdorben, wenn ich ein bloß leichtsinniger oder gar ein schlechter Mensch gewesen wäre, nicht wahr, Wilhelmine!

WILHELMINE.
Freilich!
CATO.

Und nicht wahr, du liebst mich noch, du vertraust mir noch, auch wenn du mein Puppenspiel in dieser Welt nicht gleich verstehst, nicht wahr, du liebst mich noch?!

WILHELMINE.
Ich muß wohl, wenn ich nicht verzweifeln soll.
CATO.
Gott lohn' es dir!
WILHELMINE
ohne sich zu unterbrechen.

Ich hab' ja niemand, an den ich mich halten kann! Vater und Mutter hab' ich so spät gesehen, weil ich beim Onkel in Franken aufgewachsen bin, und ich kann mich schwer in ihre Weise finden, seit sie mich geholt haben. Sie sind ganz anders, Fritz, als der Onkel war, sie sind stolzer und betrachten alle Dinge anders als ich, das heißt als du! Denn ich seh' ja alles mit deinen Augen, ich verstehe ja alles nur mit deinem Verstande. Umarmung. Bleibe um Gottes willen brav, Fritz, sonst bin ich verloren!

CATO.

Meine gute Wilhelmine! Ach du wirst es gar bald verstehen, was ich treibe; denn die Dinge eilen mit reißender Schnelligkeit ihrem Ende zu!

WILHELMINE.
Wenn du nur die garstige Livree auszögst!
CATO.

Kind, man wird sie mir vielleicht sehr bald ausziehen. Erschrick nicht und fasse dich, Wilhelmine, ich bin in Gefahr! Ich drängte mich solchergestalt in dieses Haus, weil ich von Gottfried erfuhr, daß du hierher kämest, und weil ich in deiner Nähe sein wollte! Offen konnte dies nicht geschehen; denn du weißt, wie deine Eltern meinen Austritt aus der Armee übel aufgenommen und mir alle Verbindung mit Eurem Hause untersagt haben. Wer konnte wissen, daß der Krieg plötzlich wieder diese Stadt einnehmen, wer konnte wissen, daß just in diesem Hause sich so viel zusammendrängen würde, um die Aufmerksamkeit der Kriegsfürsten hierher zu lenken! Jetzt ist leider kein Zweifel mehr, daß dies Haus ein Schauplatz gefährlicher Untersuchungen wird, und daß es einen bedenklichen Aufenthalt abgibt für einen, der sich auch zu verbergen hat. Noch weiß ich aber nicht gleich, wie ich wieder hinauskommen soll, ohne mich aufs Neue zu verdächtigen, und ich habe auch nicht [75] die Kraft, aus deiner Nähe, aus deiner so lange und so sehnlich erwünschten Nähe gleich wieder zu scheiden.

WILHELMINE.
O dann geh, Fritz, geh, wenn du einen Zufluchtsort weißt!
CATO.

Ich weiß kaum einen andern – meine Bekannte sind junge Literaten und jetzt nicht hier! – ich weiß kaum einen andern als bei Gellert!

WILHELMINE.
Der Gute und Liebe! Ja, zu dem flüchte dich!
CATO.
Ei ei, er ist dir fast gar zu lieb, du schreibst ihm zärtliche Briefe!
WILHELMINE.

Pfui doch, Fritz, das ist ja eine andre Liebe! Wenn du's nur wüßtest, warum ich geweint und Rat und Trost bei ihm gesucht!

CATO.
Darf ich's nicht erfahren?
WILHELMINE.

Ja, wenn du nicht so leichtsinnig wärst! – Von einem ausländischen Grafen in Dresden hat mir die Mutter vorgesprochen – aber es kommt wohl jemand! – Eile zu Gellert, Fritz!

CATO.

Auch zu ihm ist die Flucht nicht ratsam. Er ist nach der Tür rechts geeilt, ob jemand komme, und kehrt nun zurück. Er wird wahrscheinlich ebenfalls verwickelt in die hereinbrechende Untersuchung.

WILHELMINE.
Gellert! Der edle Mann! Auf wen soll man sich denn noch verlassen?!
CATO.

Auf dein Herz und deines Herzens Glauben. Man ist noch nicht verdächtig, wenn man den Machthabern verdächtig wird. Sei getrost, Gellert wird stand halten, aber dieser hohle Gottsched nicht, und darin liegt unsre Gefahr!

WILHELMINE.

Ach Fritz, lieber Fritz, was soll aus uns werden! Wenn ich mich auch in deine lustige Weise finden könnte, Vater und Mutter werden's nie; sie nennen sie leichtsinnig, und sie würden außer sich sein, wenn sie deinen jetzt wieder so befremdlichen Lebenswandel erführen. Geh' zu Gellert, bitt' ihn um Fürsprache, auf ihn hören sie, Fritz, und wenn dich dieser edle Mann kennt, wie ich dich kenne, guter Fritz, so muß er ja für dich sprechen! Sonst weiß ich ja gar keine Hilfe für uns! Ich kann doch Vater und Mutter nicht widersprechen, und all' unsre schöne Liebe führt uns nicht zusammen, wenn Vater und Mutter nein sagen – wir sind verloren füreinander, Fritz!

CATO.

Du hast mich lange nicht gesehen, Wilhelmine, du bist [76] schwermütig. Ich werde dich aufheitern, und du wirst mir zugestehen, daß man mit dem Leben spielen und es doch sehr ernsthaft nehmen kann. Gellert allein kann uns aber auch nicht helfen, ich kenne deiner Eltern altmodisch stolzen Sinn nur gar zu gut, und im gewöhnlichen Laufe der Dinge haben wir gar keine Aussicht auf Vereinigung, wenn du ganz und gar abhängig sein willst vom Befehle deiner Eltern.

WILHELMINE.
Aber, Fritz, das ist ja meine Kindespflicht.
CATO.

Man kommt! Nach rechts zurückweichend. Verrate um Gottes willen nicht mit einem Blick des Auges, daß du mich kennst!


Die erste Tür rechts geht auf.
WILHELMINE.
Ich kann ja aber und darf doch nicht lügen.
CATO.
Aber schweigen darfst und kannst du!

Man hört Gottsched innen an der Tür.
WILHELMINE.

Und die Mutter, welche dich jetzt gesehen, und welche dich ja später erkennen muß, sie vergibt dir's nie!

CATO
im äußersten Vordergrunde rechts.
Still, still! Geh' zurück!

Während Wilhelmine dies tut, tritt Gottsched ein.
9. Szene
Neunte Szene.
Gottsched hastig eintretend, Gellert ihm folgend. Die Vorigen; dann Gräfin, Frau Gottsched, Bolza, zuletzt auch Katharina und Schladritz.

GOTTSCHED.

Sie sind vorbei! Es war eine Lüge mit dem Pikett vor der Haustür! Auf Wilhelminen zugehend. Nun, meine gnädigste kleine Komtesse, werden wir Zeit gewinnen, den Träumen unsers Herzens nachzudenken!

WILHELMINE verwundert.
Herr Professor!
CATO
für sich.
Getäuschter Geck!
GELLERT.
Eine Viertelstunde Aufschub gewonnen – rüsten wir uns um nichts weniger!

Katharina und Schladritz treten ein.
KATHARINA.

Mein Wachtmeister hat mir zugerufen, Herr Professor, wir möchten nur alles in Bereitschaft halten, in einer Viertelstunde würde er wohl hier sein mit zwei Trompetern!

GOTTSCHED.
Was?
GELLERT.
Da haben wir's!
FRAU GOTTSCHED.
Wahrhaftig?
BOLZA.
Dennoch?
[77]
SCHLADRITZ.
's ist richtig, ich hab's gehört.
GOTTSCHED.
Hier?
BOLZA.

Wie ist denn das möglich?! Die Protestation auf dem Rathause kann ja dem General noch gar nicht bekannt sein!

SCHLADRITZ.
Man wünscht vielleicht nur Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Graf – von Bolza!
GELLERT.
Bolza!
GRÄFIN.
Graf Bolza!
WILHELMINE.
Graf Bolza!
CATO.
Bolza!
GOTTSCHED
zu Schladritz.
Canaille!
FRAU GOTTSCHED.
Verraten!
CATO
für sich.
Da haben wir's! Graf Bolza, den die Preußen überall suchen! Nun ist die Gefahr vollständig!
KATHARINA.
Ihre gehorsame Dienerin, Herr Graf Bolza!
GOTTSCHED
einen Schritt vortretend, für sich.
Die Seydlitzer wissen also, daß Bolza bei mir ist! Nun ist's vorbei!

Kurze Pause.
SCHLADRITZ
für sich.

Das schlägt ja ein wie der Blitz! Käthe, wir haben am Ende einen dummen Streich gemacht – aber vom Fortjagen spricht er nicht mehr! Vortretend. Herr Professor, die Suppe wird kalt!


Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Frau Gottsched. Gellert. Gräfin. Gottsched. Wilhelmine. Bolza. Cato. Katharina. Schladritz.
Man steht eben vom Tische auf und sagt gegenseitig:

Gesegnete Mahlzeit! – Wünsche ergebenst gesegnete Mahlzeit!


Die Herren haben noch die Servietten umgesteckt. Cato hält die erste Tür rechts offen, durch welche die Gräfin mit Wilhelmine abzugehen Anstalt macht und dann abgeht.

[78]
GRÄFIN.
Darf ich bitten, Herr Graf von Bolza, mir einige Minuten zu schenken!
BOLZA
für sich.
Mein Gott, eben jetzt in solcher Not!
FRAU GOTTSCHED
darauf hin sehend und hörend, für sich.
's ist ganz richtig!
BOLZA
verbeugt sich gegen die Gräfin, reicht ihr die Hand und führt sie hinein.
WILHELMINE
folgend, sagt an der Tür zu Cato leise.
Komm mit hinein, Fritz!
CATO
leise.
Nicht doch! Ich kann ja nicht!

Wilhelmine ab.
GOTTSCHED
sich auf den Sessel werfend.

Welch eine Qual, in solcher gegründeten Spannung Tafel halten und Konversation machen zu müssen, weil die vornehme Dame keine Rücksicht nimmt auf unsere Gemütsverfassung und Not! Den Dienern zurufend. Die Serviette!

SCHLADRITZ
stürzt herbei.

Zu Befehl! Und löst die Stecknadeln, welche die Serviette halten. Gottsched sieht ihn dabei grimmig an, so daß er einen Moment zurückfährt, als habe er sich gestochen.

KATHARINA
leistet unterdes denselben Dienst Gellert, und schneller fertigwerdend, sagt sie am Schluß.
Ihre Dienerin, Herr Professor! Cato geht sacht hinten hinaus.
GOTTSCHED
zu Schladritz.

So lange in meinem Dienst, und weiß noch nicht, daß einer Reichsgräfin kein Meißner Wein vorzusetzen ist!

SCHLADRITZ.
Aber erste Qualität –!
GOTTSCHED
aufstehend.
Fort! – Hinweg mit der Tafel und abräumen, und dann mit der Jungemagd aus dem Zimmer!
SCHLADRITZ
prallt zurück.

Auf der Stelle! Er faßt mit Katharina den Tisch und trägt ihn hinten an die alte Stelle an der Wand, ihn dort hastig abräumend mit Katharina.

GOTTSCHED
winkt seiner Frau und Gellert und tritt zwischen ihnen mitten in den Vordergrund, sich umsehend wegen der Dienstboten und deshalb halblaut.
Es muß gehandelt werden!
GELLERT.
Jawohl!
FRAU GOTTSCHED.
Aber wie?
GOTTSCHED.

Der Schreck wegen des Grafen Bolza war also, wie wir gesehn, nur ein blinder Schuß und nicht gefährlich. Die [79] Katharine hat ihn nur eben erkannt, aber es steckt doch von außen nichts dahinter, wie wir anfangs glaubten. Die Preußen wissen noch nichts von seiner Anwesenheit, und die Ankündigung des Wachtmeisters mit dem sogenannten Pikett war eine Prahlerei des Frauenzimmers, so beim Regiment wohl gehört hat, der General wolle mir gern aus Kleid. Es erschreckte uns nur so, weil es mit der fatalen Erkennung Bolzas zusammentraf, während der etwaige Besuch des Wachtmeisters nichts weiter sein wird, als ein Besuch bei seinem Schatze. Die Gefahr mit Bolza aber bleibt bestehn, und die nächste Aufgabe ist also Sich umsehend. daß wir die drei Leute Mit dem Finger über die Schulter nach hinten weisend. vornehmen und aufs Feierlichste verpflichten, nur einen Grafen Balthasar zu kennen, nicht wahr?

FRAU GOTTSCHED.
Jawohl!
GELLERT.
Ja ja, aber –
GOTTSCHED.

Aber, freilich aber! 's ist bös genug, daß ein bedrohliches Geheimnis drei Mitwisser hat und zwar Dienstleute, und darunter einen Bengel, den ich aus dem Hause jagen will, und den ich nun schonen muß. Aber steht das jetzt zu ändern? Antwort: Nein! Die Antwort führt zur zweiten Sorge. Diese heißt: Graf Bolza muß nun aus diesem Hause!

GELLERT.
Wohl wahr!
FRAU GOTTSCHED.
In diesem Augenblicke, da seine Feinde die ganze Stadt anfüllen!
GOTTSCHED.

Kannst du dich auf den vorlauten Schwätzer, den Schladritz, verlassen, auch wenn er Stillschweigen gelobt hat? Kennen wir diesen so befremdlichen Cato? Willst du für diese Katharine stehn, welche mit den Kürassieren verkehrt, he?

FRAU GOTTSCHED.
Alles richtig –
GELLERT.
Und 's ist noch mehr!
FRAU GOTTSCHED.
Warum hörtest du heute morgen nicht auf mich! –
GOTTSCHED.
Heute morgen! Jetzt ist's heute mittag! Heut' morgen standen die Sachen anders!
FRAU GOTTSCHED.
Aber wo soll er hin?
GOTTSCHED.

Das wollen wir eben überlegen; zu nächst aber erst Numero Eins ausführen. Zurücksehend und gehend, laut. Schladritz! Katharina! Cato!

SCHLADRITZ.
Hier, Herr Professor!
[80]
KATHARINA.
Hier, Herr Professor!
GOTTSCHED.
Wo ist der Cato?
CATO
eintretend.
Hier, Herr Professor!
GOTTSCHED.

Tretet alle drei hierher Auf die rechte Seite deutend. und hört mit Bedacht, und antwortet mit Bedacht!

SCHLADRITZ.
Wir hören mit Bedacht!
KATHARINA.
Wir hören mit Bedacht!
CATO.
Wir hören mit Bedacht!
GOTTSCHED
nimmt sich einen Stuhl und setzt sich in die Mitte des Theaters.
Gellert und Frau Gottsched bleiben zur Linken. Paßt auf! Ihr kennt den Grafen Bolza nicht!
SCHLADRITZ.
Ja, wir kennen ihn.
KATHARINA.
Ja, wir kennen ihn!
GOTTSCHED
ungeduldig.
Ihr kennt ihn also nicht mehr!
SCHLADRITZ.
Freilich kennen wir ihn noch!
KATHARINA.
Warum denn nicht?
SCHLADRITZ.
Wir haben ihn ja eben erst kennen gelernt; so schnell vergessen wir unsre Bekanntschaften nicht.
GOTTSCHED.
Schweigen soll Er und hören!
SCHLADRITZ.
Ja – wir sollen aber auch antworten – mit Bedacht!
GOTTSCHED.

Also bedenk' Er sich! Das heißt mit Bedacht! – Graf Bolza ist ein sehr vornehmer Herr, den die Feinde dieses Landes gern beschädigen möchten.

SCHLADRITZ
halblaut.
Beschädigen?
GOTTSCHED
sieht ihn strafend an, Schladritz tritt einen halben Schritt zurück.

Diese Feinde dürfen also durchaus nicht wissen, daß er hier sei, versteht ihr? Und damit es die Feinde nicht wissen, darf es kein Mensch wissen, versteht ihr?

SCHLADRITZ
greift sich an den Kopf, als mache ihm das Verständnis Schwierigkeit.
GOTTSCHED.
Er versteht wohl noch nicht?
SCHLADRITZ.
Nur zu, Herr Professor, nur zu!
GOTTSCHED.

Ihr also alle dürft durchaus nicht mehr wissen, wer der Graf Bolza sei, und daß jener Auf die Tür deutend. Graf Bolza heiße –

SCHLADRITZ.
Das wissen wir ja aber!
GOTTSCHED
aufspringend.

Dummkopf! Trägt seinen Stuhl links auf [81] die Seite, so daß er nicht sieht, wie Schladritz ihm ein Schnippchen schlägt, als habe er ihn bloß zum besten.

GELLERT.
Das ist schon recht, aber Ihr sollt's niemand –
SCHLADRITZ.
Niemand sagen! – Ja, das ist was andres!
GOTTSCHED.

Nun denn – jetzt sammelt all' eure Aufmerksamkeit, ihr guten Leute, und versprecht mir dies feierlich mit erhobener rechter Hand Sie heben die Hände auf. feierlich; denn es kann ein Menschenleben auf dem Spiele stehn, versprecht ihr's?

KATHARINA.
Wir versprechen's!
CATO.
Wir versprechen's!
SCHLADRITZ.
Wir versprechen's – feierlich!
GOTTSCHED.

Der Herr da heißt Graf Balthasar, und nur wenn er gesehen wird, sonst aber und überhaupt existiert er gar nicht!

SCHLADRITZ.
Überhaupt?
GOTTSCHED.
Will Er?!
SCHLADRITZ.
Ja ja, 's ist schon recht, nur etwas hoch.
GOTTSCHED.
Jetzt, Schladritz, verriegle Er die Vorsaaltür, daß uns niemand überraschen kann!
FRAU GOTTSCHED.
Verriegeln?
GELLERT.
Verriegeln?
SCHLADRITZ.
Am hellen Tage?
GOTTSCHED.

Nur für eine Viertelstunde, auf daß wir ungestört unsre Vorbereitungen wegen des Grafen treffen können.

SCHLADRITZ.
Aber wenn jemand klingelt?
GOTTSCHED.
So ist niemand zu Hause.
SCHLADRITZ.
Aber wenn man uns hört?
GOTTSCHED.

Mensch, man soll Euch nicht hören! Ihr eßt Eure Mahlzeit in der Küche unter vollständigem Stillschweigen und erwartet meine weiteren Befehle, marsch!


Cato und Katharina ab.
SCHLADRITZ
abgehend, aber an der Tür umkehrend.
Aber wenn's mehrmals klingelt, Herr Professor?
GOTTSCHED.
Einerlei, ihr seid taub!
SCHLADRITZ.

Taub. Gehend und wieder umkehrend. Auch wenn die Kürassiere kommen mit blanken Säbeln, und den Herrn Grafen Bolza, welcher nicht existiert, das heißt den Herrn Grafen Balthasar suchen –?

GOTTSCHED.
Zuriegeln!
[82]
SCHLADRITZ.

Der Wachtmeister Siegmund hat doch vorhin im Vorbeireiten der Katharina zugerufen, er werde bald hier sein! Die letzten Worte rasch und mit erhobener Stimme, da er sieht, Gottsched wolle ihn unterbrechen.

GOTTSCHED.
Zuriegeln, Mensch!
SCHLADRITZ.
Gut. Ab.
2. Szene
Zweite Szene.
Gottsched. Gellert. Frau Gottsched.

GOTTSCHED
einen Stuhl nehmend und in die Mitte setzend.

Der Kopf möcht' einem zerspringen! Die andern nehmen ebenfalls Stühle und setzen sich links und rechts neben ihn. Nun guter Rat! Polternd. Es muß gehandelt werden! Herr Professor! Wohin zuerst mit dem Grafen? Können Sie ihn unterbringen?

GELLERT.
Ich?!
GOTTSCHED.

Nun ja, Sie! Sie lassen sich ja gern den Vater der Bedrängten nennen, und hier in meinem Hause ist er bedrängter als anderswo, das sehen Sie ja selbst!

GELLERT.

Das ist wahr. Und was mehr als alles ist: die Untersuchung wegen unserer Protestation und das Verfahren gegen dieselbe wird wohl noch heute seinen Anfang nehmen.

GOTTSCHED.
Meinen Sie?
FRAU GOTTSCHED.
Glauben Sie wirklich?
GELLERT.

General Seydlitz ist von raschen, schneidenden Entschlüssen. Diese Untersuchung und dies Verfahren werden zunächst vorzugsweise gegen dies Haus gerichtet werden; denn Sie stehen als berühmter Lehrer und als Senior der Fakultät an der Spitze der Protestation, und der General erfährt gewiß, daß sie namentlich von Ihnen ausgegangen ist. –

FRAU GOTTSCHED.
Sie haben recht!
GOTTSCHED.
Leider, leider!
GELLERT.

So wie ich diese Kriegsleute kenne, werden sie die Wahrung unsrer Rechte als einen Hochverrat zu stempeln suchen; denn das ist so Art der Gebietenden: sie schieben große Worte vor, wenn sie große Lust zu strafen und nur kleine Vorwände haben. – Jedenfalls errichten sie ein Kriegsgericht, und das macht kurzen Prozeß!

[83]
FRAU GOTTSCHED.
Mein Gott!
GOTTSCHED.
Übertreiben Sie, Kollege?
GELLERT.

Ich glaube nicht. Ich bin zwar ein hypochondrischer Mann, aber ich denke nicht, daß ich mich hierbei irre. Urteilen Sie selbst, Sie kennen ja die Sache so gut wie ich und verstehen ja Politik viel besser als ich. Nun, wenn die Sachen vor ein Kriegsgericht gezogen, und der Dekan als Haupt der Angeklagten behandelt wird, so wird auch dies Haus besetzt und visitiert von oben bis unten, weil man Vorbereitungen zu der Protestation, Protokolle, weitere Pläne finden, oder doch voraussetzen will.

GOTTSCHED.
Sehr richtig, nur zu richtig!
FRAU GOTTSCHED.
Erschrecklich!
GELLERT.

Zu dieser Haussuchung haben sie auch noch einen besonderen Vorwand. Diesen bietet jene Flugschrift, auf deren Verfasser sie fahnden! Wir haben ebenfalls protestiert!

GOTTSCHED.
Leider, leider, dafür war ich gar nicht!
GELLERT.

Ich aber war und bin für diesen Protest. Die Akademie und die Literatur soll nicht eine Anstalt der Inquisition werden. Unsre Aufgabe besteht darin: zu bilden und zu schaffen, nicht aber darin: zu spionieren und zu verbieten. Nun, hierbei werden die Kriegsleute unsern Protest so auslegen, als kennten und schützten wir den Verfasser der Flugschrift und die Flugschrift, und nach ihm und ihr werden sie unsre Häuser durchsuchen. Graf Bolza ist also hier keine Viertel stunde mehr sicher!


Aufstehend mit den Übrigen.
GOTTSCHED.
Also muß er zu Ihnen!
FRAU GOTTSCHED.
Nehmen Sie sich seiner an, lieber Gellert!
GELLERT.

Zu mir? Ich? – Welch eine Lage! –Macht ihnen das Zeichen, sich wieder zu setzen. Erhalten wir uns nur in ruhiger Stimmung, damit wir einen wirklich besonnenen Rat ausfindig machen. Sie setzen sich. Zu mir?! Glauben Sie denn, daß ich und meine Wohnung verschont bleiben werden? Ich habe ja auch unterschrieben!

FRAU GOTTSCHED.

Aber Sie sind geliebt wie sonst keiner an der Universität, geliebt von Freund und Feind, Ihnen gegenüber wird man alle Rücksicht und Schicklichkeit beobachten!

GOTTSCHED.

Wenn ich auch das nicht sagen möchte, unter den vorliegenden Umständen sind Sie doch gegen uns alle im Vorteile. [84] Prinz Heinrich kommandiert ja jetzt in Sachsen, von ihm muß doch in all' diesen Dingen die letzte Entscheidung ausgehn, und jedermann weiß ja, daß just Prinz Heinrich Ihr wohlwollender Gönner ist.

GELLERT.

Lieber Herr Professor, täuschen wir uns hierüber nicht! Was fragt man denn im Tumulte nach ein paar kleinen Erzählungen, welche einem großen Herrn einst in einer Mußestunde gefallen haben! Der Prinz hat sich, wie das auch ganz in der Ordnung ist, um meine Person nie gekümmert, und von der uns jetzt bedrohenden Prozedur wird er vielleicht erst erfahren, wenn sie uns bereits zugrunde gerichtet hat! Das sind Nebensachen! Die Hauptsache ist: Erstens! Der Graf Bolza hat als verhaßter Italiener das Schlimmste zu befahren. Sein Vater wird beschuldigt, sächsisches Geld in Masse eingesaugt zu haben. Er selbst wird beschuldigt, es als verborgener Parteigänger mit den Kaiserlichen zu halten. Es kann kommen, daß man, sobald man seiner habhaft, ohne weiteres Standrecht über ihn halten und ihn erschießen läßt! – Denn – und dies bedenken Sie wohl! – hierbei macht man sich auch bei uns Sachsen beliebt, daß man einen der uns verhaßten ausländischen Geldsauger kurzweg beseitigt. Zweitens! Unter solchen Umständen setzt sich derjenige, welcher den Grafen Bolza birgt, allem möglichen aus. Hier heißt's: Der Hehler ist wie der Stehler! Du hast einen Landesfeind geborgen, bist also selbst ein Landesfeind! Du willst ein guter Sachse sein, und schützest unsere schlimmsten Wucherer?! So leide mit ihm! Ist's nicht so? – Endlich bin ich persönlich als Patriot diesen ausländischen gefährlichen Zugvögeln durchaus abhold, und bin ganz und gar nicht geneigt, einem von ihnen die Hand zu bieten! Er ist nährend der letzten Worte aufgestanden und vorwärts zur Seite getreten; die andern bleiben betroffen sitzen.


Pause.
FRAU GOTTSCHED.

Ich weiß das nicht zu beurteilen, lieber Gellert, aber ich weiß, daß dies alles nur aus Ihrem Kopfe kommt. In Ihrem Herzen sieht es doch anders aus; Sie wären ja sonst nicht Gellert! In Ihrem Herzen da gibt's keinen Unterschied, wenn von einem Bedrängten die Rede ist, welchem geholfen werden soll! Nicht wahr, ich habe Recht?Sie ist leise aufgestanden und auf ihn zugegangen, ihn bei der Hand ergreifend. Und ich weiß auch, es müßte gar wunderlich zugehn, wenn Sie um Politik Ihrem Herzen untreu werden sollten! Sie sind ja der Gellert, den der liebe Gott unserer [85] Stadt Leipzig gesendet hat als seinen Schutzengel für Leipzig, nicht wahr?


Kurze Pause.
GELLERT
sieht sie nur einen Augenblick an.

Sie übertreiben ja sündhaft, liebe, gute Frau! Und – Sie hastig zurückführend zum Sessel. bleiben Sie nur sitzen, damit wir zu einem Beschlusse kommen!Sie setzen sich beide wieder. Guter Rat ist teuer, weil er so nötig. Wenn ich auch sagen wollte, der Graf sollte vorläufig zu mir flüchten, wie bringen wir ihn jetzt über die Straße? Und wird er bei mir sichrer sein?!

FRAU GOTTSCHED.

Gewiß, doch bis zur Nacht, und bis dahin finden wir vielleicht einen neuen Schlupfwinkel. Hier aber kann er ja doch jede Minute von seinen Feinden überrascht werden.


Man hört einen starken Klingelzug hinter der Hinterwand. Alle drei fahren auf von ihren Sitzen, ohne ein Wort zu sprechen.
GOTTSCHED
halblaut.
Da sind die Feinde!
GELLERT
ebenso.
Fassung!
GOTTSCHED
setzt leise seinen Stuhl links rückwärts, wie Frau Gottsched mit dem ihrigen ebenfalls tut.

Sie bleiben beide auf der linken Seite und blicken nach der Tür. Gellert tut desgleichen nach rechts hinüber, so daß die Mitte frei wird.

3. Szene
Dritte Szene.
Katharina. Die Vorigen. Bald darauf Schladritz – zuletzt Cato.

KATHARINA
vorsichtig rückwärts nach dem Saal hinausblickend tritt ein, kommt dann auf den Zehen bis zu Gottsched und sagt zu ihm leise.
Es hat geklingelt!
GELLERT
leise.
Das haben wir gehört!
GOTTSCHED
ebenso.
Wer mag es sein?
KATHARINA
alle drei der Reihe nach ansehend.
Ich weiß es nicht!
GOTTSCHED
nach der Tür sehend, die sich öffnet, zu Katharina.
Still! Er winkt ihr, daß sie links von ihm zurücktritt.
SCHLADRITZ
schließt vorsichtig die Tür und kommt vorsichtig vor.
GOTTSCHED, FRAU GOTTSCHED UND GELLERT leise. Nun?
SCHLADRITZ.
Es hat geklingelt!
GOTTSCHED.
Mensch, das wissen wir ohne Ihn!Immer halblaut. Weiß Er, wer's sein kann?
[86]
SCHLADRITZ
erst alle ansehend, dann leise.
Ja!
GOTTSCHED, FRAU GOTTSCHED UND GELLERT. Nun?
GOTTSCHED.
Wer?
SCHLADRITZ.
– Eine Mannsperson!
GOTTSCHED.
Warum?
SCHLADRITZ.
Die klingelnde Person hat einen Stock, mit dem hat sie – Laut. aufgestoßen!
GOTTSCHED.

Still! Es klingelt wieder. Alle fahren zusammen. – – Die Person ist ungeduldig, es ist also eine Person von Wichtigkeit – was tun?

GELLERT
etwas lauter.

Ja, jetzt ist nichts zu tun. Sie haben einmal dies unpraktische System des Nichtzuhauseseins angenommen, nun müssen wir's auch konsequent durchführen.

GOTTSCHED
leise zu Schladritz.
Weiß Er keine Ritze, oder kein Loch in der Türe?
SCHLADRITZ.
O ja – das Schlüsselloch!
GOTTSCHED.
Ach! – oder sonst ein stilles Mittel, um zu erspähen, wer es sei.
SCHLADRITZ
leise.
Über der Saaltür ist ein Fenster; wenn ich einen Schemel leise hinbringen und hinuntersehen könnte –
GOTTSCHED.
Versuch Er das, aber mit äußerster Vorsicht – Schladritz geht. hört Er!
SCHLADRITZ.
Ja doch, ich ziehe die Schuhe aus.Ab.
GELLERT
zu Gottsched.
Aber Verehrtester –
GOTTSCHED.

Es könnte ja eine Botschaft sein vom Rektor Magnifikus, oder von einem unsrer Freunde, kurz, es könnte ja Rat und Hilfe für uns sein!

FRAU GOTTSCHED
alle bleiben auf ihren Seitenplätzen.

Und der Graf ist fortwährend unbekümmert bei den Damen, während hier sein Kopf auf dem Spiele stehen kann.

GELLERT.
Was könnt' er hier nützen!

Erneutes Klingeln.
CATO
tritt vorsichtig ein; etwas lauter als die Übrigen.

Dieser Schladritz setzt ja alles aufs Spiel; er tappt mit einem Schemel dergestalt umher, daß man notwendig draußen hören muß, es sei jemand zu Hause!

[87] FRAU GOTTSCHED zu Gottsched.
Da siehst du's!
GELLERT
zu Gottsched.
Sehen Sie!
GOTTSCHED.
Es geht ja nicht anders! – der Tölpel!
GELLERT.
Da ist er!
SCHLADRITZ
auf den Zehen und nur mit einem Stiefel kommend, zur Stille winkend und bis in die Mitte vorkommend.
Alle treten einen Schritt näher und bilden einen Halbkreis.
GOTTSCHED, FRAU GOTTSCHED, GELLERT, CATO UND KATHARINA. Nun?
GOTTSCHED.
Was hat Er gesehn?
SCHLADRITZ.
Einen Hut!
GOTTSCHED.
Weiter nichts?
SCHLADRITZ.
Noch mehr!
GOTTSCHED.
Was?
SCHLADRITZ.
Einen grünen Federbusch auf dem Hute! –
GOTTSCHED.
Weiter!
SCHLADRITZ.

Ja weiter kann man nicht – Lauter. ich kann doch nicht um die Ecke sehen! Der Mensch steht ganz nahe an der Tür; oben wird er alle, und unten verdunkelt er das ganze Schlüsselloch!


Allgemeines Zeichen der Enttäuschung.
SCHLADRITZ.
Aber Erneute Aufmerksamkeit. ich hab' ihn gehört!
ALLE.
Nun?
GOTTSCHED.
Was sprach er?
SCHLADRITZ.
Er spricht deutsch!
ALLE
verächtlich.
Ach!
GOTTSCHED.
Hausnarr!
SCHLADRITZ.

Nicht bloß deutsch, er spricht wie ein Landeskind; denn er sagte vor sich hin: Herr Jees, ob die Leite nich ufmachen wern?!


Kurze Pause.
CATO
laut.
Ich erkenne ihn, den müssen wir sprechen! Ab.
GOTTSCHED.
Mensch!
FRAU GOTTSCHED.
Cato!
GELLERT.
Leichtsinniger!
SCHLADRITZ
laut.
Da haben wir's, da hebt der Nichtsnutz die ganze Belagerung auf, die uns so viel Mühe gekostet!
[88]
GOTTSCHED.
Still!

Man hört die Stimmen; alle horchen.
KATHARINA.
Mein Vetter Siegmund ist das nicht!
GOTTSCHED.
Still!
CATO
tritt ein, ganz laut.
Herr Professor!
ALLE.
Nun?
GOTTSCHED.
Wer ist's?
CATO
kommt in der Mitte nach vorn, neben ihm Gottsched.
GOTTSCHED
dringend.
Wer ist's?
CATO.

Es ist der Ratsdiener, welcher mich heute morgen beim Herrn Bürgermeister eingeführt hat. Der Herr Bürgermeister schickt ihn an den Herrn Dekan mit folgendem Auftrage: Die Protestation sei dem General Seydlitz übergeben worden und habe diesen so in Zorn gesetzt, daß man das Schlimmste befürchte. Die ganze Stadt könne darunter leiden. Der Herr Bürgermeister lasse also den Herrn Senior Gottsched bitten, sich doch unverzüglich zu ihm aufs Rathaus zu bemühen, damit man Rücksprache nehmen könne, wie das Unwetter vielleicht noch einigermaßen zu beschwichtigen sei. Der Herr Senior möchten doch ferner – den Herrn Grafen Bolza sogleich mitbringen.

GOTTSCHED.
Man weiß es!?
FRAU GOTTSCHED.
O mein Gott!
GELLERT.
Das ist sehr schlimm!
CATO.
General Seydlitz habe bereits zuverlässig Kunde, daß sich der Graf hier im Hause befinde!
GOTTSCHED
Schladritz an der Brust fassend.
Verräterischer Diener!
SCHLADRITZ.

Soll mich Gott strafen, Herr Professor, ich bin unschuldig wie ein neugeboren Kind, ich habe keinem Menschen was gesagt! –

KATHARINA.
Ich auch nicht, Herr Professor, so wahr ich Katharina Schwebel heiße!
GOTTSCHED
zu Cato.
Dann ist Er selbst der Verräter!
CATO.
Gewiß nicht, mein Herr! Das wird ganz anders zusammenhängen, und ich glaube es auch zu erraten.
GOTTSCHED.
Wie denn?
GELLERT.
Sprech Er!
CATO.

Sie haben heute morgen einen Reitknecht expediert, nicht wahr? Zeichen des starren Schreckens bei Gottsched und Frau. Kurze Pause. [89] Dieser hat vielleicht den Grafen Bolza hier gesehn, wohl auch gesprochen –? Nun, der Reitknecht ist wahrscheinlich den hereinrückenden Seydlitzern begegnet, und von ihm werden sie wohl das Nötige er fahren haben.

GOTTSCHED
stöhnend.
Frau!
FRAU GOTTSCHED
in Bestürzung.
Gottsched!
CATO.

Dies zur Erklärung. Nun weiter im Auftrage. Sie möchten sich – ich spreche zu Ihnen, Herr Professor! – Sie möchten sich ja beeilen, mit dem Grafen aufs Rathaus zu kommen, damit jeder Schein von Widersetzlichkeit verschwände und dadurch jeder Gewaltsamkeit vorgebeugt werde; denn der General habe schon Order gegeben, Kürassiere in dies Haus zu schicken, und diese würden schwerlich noch lange auf sich warten lassen.


Pause.
GOTTSCHED.
Ich bin ein verlorener Mann!
FRAU GOTTSCHED.
Was willst du tun, Gottsched?
GOTTSCHED.
Weiß ich das? Was ist da zu tun? Wir sind gefangen, wir sind verloren!
SCHLADRITZ.
Wenn wir was nützen könnten, lieber Herr Professor –
KATHARINA.
Wir gehen durch's Feuer für Sie, Frau Professern –
GOTTSCHED.

Ach was könnt Ihr! Zu Gellert. Kollege, was raten Sie? Was kann ich tun, als den Grafen bei der Hand nehmen und hinüberführen.

FRAU GOTTSCHED.
Um Gottes willen!
GELLERT.
Den Gastfreund ausliefern, Herr Kollege!
GOTTSCHED.

Und auch dabei lauf' ich noch die größte Gefahr; denn wenn ich ihn aufs Rathaus zum Bürgermeister bringe, so gerate ich mitten unter die Soldateska, die dort ihr Hauptquartier aufzuschlagen pflegt, und werde vielleicht zum Hohn der Akademie festgehalten und mißhandelt!

GELLERT.
Und haben das Gastrecht verraten!
FRAU GOTTSCHED.
Die versprochene Treue gebrochen!
GOTTSCHED.

Laßt mich in Ruh' mit Deklamation! Was wäre denn außerdem noch übrig als – Flucht?! Und wie und wohin flüchten? Die ganze Stadt ist besetzt, die Tore sind besetzt, und 's ist noch heller Tag!

CATO.

Und doch müssen Sie sich entschließen, Herr! In jeder [90] Minute können die Kürassiere kommen. – Noch eins! Er geht zum Schreibtische und schreibt. Der Ratsdiener verlangt für den Herrn Bürgermeister eine schriftliche Bescheinigung, daß er seinen Auftrag vor Ankunft der Kürassiere ausgerichtet.

GOTTSCHED.
Ach was! Er soll zum Teufel gehn!
CATO
aufstehend und ihm die Feder präsentierend.

Es betrifft diejenige Behörde, Herr Professor, welche Sie schützt. Es ist nur Ihr Name zu unterschreiben – Gottsched schickt sich dazu an und tut es stehend. ich habe die Bescheinigung rasch auf gesetzt.

FRAU GOTTSCHED.
Gottsched!
GELLERT.
Was beschließen Sie?
GOTTSCHED.

Was kann ich beschließen?! Ihr widersprecht mir ja in allem, Ihr hindert mich ja in allem, und man ist ja hier wie in einer Dorfschule! – Hinaus mit den Leuten! Reicht Schladritz den Zettel. Gellert, Frau, folgt mir in mein Zimmer, wir müssen uns doch zu etwas vereinigen. Schladritz hat das Hinreichen des Zettels nicht gesehn. Heda, Schladritz, pass' Er doch auf, jetzt brauch' ich ja jedermann!

SCHLADRITZ
erschrocken und beflissen.
Herr Jeses, Sie haben ja –
GOTTSCHED
ohne sich zu unterbrechen.

An den Ratsdiener! Und – wart' Er doch! – Ihn vorführend, etwas leiser. und geh' Er nachsehn, ob hinten die kleine Saaltür, versteht Er, die in den Bäckerhof und ins Vorderhaus hinüber führt –

SCHLADRITZ.
Ja ja, zum Bäcker vorn auf die Grimmsche Gasse 'nüber –
GOTTSCHED
immer etwas leise.
Jawohl, ob diese selten gebrauchte Tür praktikabel ist.
SCHLADRITZ.
Ne, wir haben unser ganzes Gerümpel vorgestellt von alten Tischen, Fässern und Kannen, und –
GOTTSCHED.

Das räum' Er weg! Wir müssen unser Absehn auf diesen Ausgang richten, wir können ihn nötig brauchen –

SCHLADRITZ.
Das nutzt nichts; die Tür ist auch vom Bäcker aus verriegelt.
GOTTSCHED.
Auch das noch! Warum wohn' ich auch nicht mehr auf dem Sperlingsberge! – So mach' Er doch schnell!
SCHLADRITZ.
Herr Jeses ja doch, ja doch! Ab.
GOTTSCHED
zu Gellert und Frau.
So kommt doch, kommt, es ist ja die höchste Zeit! Ab in sein Zimmer.
[91]
FRAU GOTTSCHED
ihm folgend, zu Gellert.
Was wird daraus, der hat den Kopf verloren!
GELLERT
mit ihr abgehend.
Gelassenheit, Gelassenheit, liebe Frau!

Beide links ab.
4. Szene
Vierte Szene.
Cato. Katharine. Dann Wilhelmine; später Bolza.

CATO
hat schon vorher Katharina gewinkt, und während jene links abgehen, führt er sie rasch in den Vordergrund.
Katharine, will Sie mir einen Gefallen tun?
KATHARINA.
Will Er mich heuraten?
CATO.
Nein.
KATHARINA.

Sei Er doch nicht so grob! Er ist ja ein hübscher Bursche, und Gott weiß, wenn einmal Friede wird und Vetter Siegmund Rat schaffen kann!

CATO.

Ich werde dir den Dienst, welchen ich wünsche, schon einmal vergelten, wenn mich nicht in dieser Konfusion der Teufel holt.

KATHARINA.
Er wird doch nicht!
CATO.

Höre, Katharina! Draußen im SaalfensterSehr rasch. liegen meine Habseligkeiten: ein Büchsenranzen, an dem nichts verloren geht, ein Paket, worin mein guter Rock, und ein Mantel, worein ein Degen gewickelt ist –

KATHARINA.
Ein Degen?!
CATO.

Der kann hier gar bald nötig werden. Also höre: Ich weiß nicht, wohin ich gleich mit den Sachen soll, da sie in des Schladritz Kammer nicht sicher sind vor der Neugier des Bengels, und da ich nicht wünsche, daß sie von den Kürassieren gesehen werden. Besonders der Mantel nicht. Nimm die Sachen in deine Kammer und zeig' mir, wo du den Schlüssel hinlegst, willst du?

KATHARINA.
Ja doch! – Zum Abgehen sich wendend. und heuraten will Er mich nicht?
CATO.
Nein, mein Kind! Du sollst aber verheuratet werden! Mit ihr zum Gehen sich wendend.
KATHARINA.
Wahrhaftig?
WILHELMINE
hastig aus dem ersten Zimmer rechts, schon bei den Worten »Du sollst aber.
« Fritz, Fritz! Entdecke dich und schütze mich!
CATO.
Wilhelmine!
[92]
WILHELMINE
ohne sich zu unterbrechen.

Weshalb ich an Gellert schrieb, das wird Ernst! Die Mutter sagt mir eben, dieser Bolza sei der ausländische Graf aus Dresden, an den ich verheuratet werden sollte, und ich sollte mich bereit erklären – das kann ich in alle Ewigkeit nicht!

CATO.
Gute Wilhelmine!
WILHELMINE
ohne sich zu unterbrechen.
Tritt hervor! Endige dies betrügerische Wesen, welches mich peinigt, nimm mich offen in Schutz!
KATHARINA links, etwas im Hintergrunde.
Per Du! und Fritz! die Komtesse!
CATO.

Wilhelmine! Das soll heute noch geschehen, wenn du Mut hast, gegen Vater und Mutter zu mir zu treten – Katharina, meinen Mund, und meine Sachen beiseite!

KATHARINA.
Ja, ja! Ab.
WILHELMINE.
Gegen Vater und Mutter?!
CATO.
Hast du den Mut? – Wilhelmine! Hast du den Mut, unser Recht zu behaupten?
WILHELMINE.
Nein, Fritz, ich muß ja Vater und Mutter gehorchen!
CATO.
Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und ihrem Gatten folgen!
WILHELMINE.
Du bist ja aber noch nicht mein Gatte, du bist ja nur mein Geliebter. –
BOLZA
bei diesen Worten eintretend und sogleich rufend.
Komtesse Wilhelmine! – was heißt das?
WILHELMINE
Catos Hand ergreifend.
Hilf mir, Fritz, ich fürchte mich vor diesem Manne!
BOLZA
zu Cato.
Bursche!
CATO.

Jetzt ist keine Zeit zu Erklärungen, Graf Bolza! Machen Sie sich fertig, dies Haus auf der Stelle zu verlassen, oder Ihre Freiheit mit dem Leben zu verteidigen!

BOLZA.
Gegen dich, Bursche?!
CATO.
Jetzt nicht gegen mich, mein Herr – später o ja!
BOLZA.
Dreister Geselle, ich werde dir eine Lektion geben –
CATO.

Vorlauter Graf, hören Sie, statt zu schwätzen. Jetzt gilt Ihre Rüstung den Seydlitzer Kürassieren, welche jeden Augenblick hier sein können – Beim Worte »Augenblick« hört man wie von [93] jenseit des Vorsaals kommend zwei Trompeten, welche binnen einer halben Minute so nahe kommen, daß sie an der Vorsaaltüre zu stehen scheinen. – da sind sie!

BOLZA.
Die Seydlitzer?!
CATO.

Die Seydlitzer! Nun ist's zu spät! Zu Wilhelmine, sie bei der Hand fassend und sie nach der Türe links führend. Ins Zimmer zurück, und auch die Mutter solle ja nicht hier eintreten!

WILHELMINE.
Ich will bei dir bleiben, Fritz!
CATO.
Es geht nicht! Hinweg, Wilhelmine, ich bitte dich!

Wilhelmine ab.
KATHARINA
mit dem zusammengewickelten Mantel, so daß man den Degen nicht bemerkt, hinten hastig eintretend.
Sie sind da! Sie sind da! Ich kann nicht mehr mit dem Mantel in meine Kammer!

Während Cato den Mantel ihr abnimmt, über die Bühne links nach vorn schreitet und den Mantel hinter das Sofa wirft, tritt ein von links.
5. Szene
Fünfte Szene.
Gottsched. Frau Gottsched. Gellert. Es bleiben Cato, Bolza und Katharina; es kommen später Siegmund und Schladritz.

GOTTSCHED.
Da haben wir's! Da haben wir's!
FRAU GOTTSCHED.
Mein Gott, warum hast du gezögert!
GELLERT.
Fassung! Fassung!
FRAU GOTTSCHED
zu Bolza.
Treten Sie doch wenigstens in Ihr Zimmer!
GOTTSCHED.

Nein, um des Himmels willen, jetzt verschlimmert es ja nur die Sache, wenn er beim Visitieren gefunden wird!

FRAU GOTTSCHED.
Aber vielleicht wird nicht visitiert!
BOLZA
die Hand am Degen.
Ich danke Ihnen, Madame, ich will den Herrn Professor so wenig als möglich kompromittieren!

Die Trompeten, welche einen Augenblick geschwiegen, beginnen den Dessauer Marsch von neuem, jetzt im Vorsaale. Es fährt bei diesem nahen Tone alles bestürzt auseinander und rangiert sich: links vorn am Sofa Cato, dann Frau Gottsched, dann Gellert, sämtlich auf der linken Seite – die
Mitte bleibt frei – auf der rechten Seite, der Mitteltür zunächst, Bolza, dann Gottsched, dann Katharina ganz vorn.
Pause.
Man hört den Marsch. Schladritz reißt von außen unter Komplimenten die Tür auf, und Siegmund erscheint auf der Schwelle. Dies geschieht während der letzten [94] Takte des ersten Teils vom Marsche. Dieser erste Teil wird nicht wiederholt, und mit den ersten Takten des zweiten Teils tritt Siegmund kurz an und marschiert gravitätisch mit dem Stock an die Stiefel schlagend und links und rechts blickend bis in den Vordergrund, nach dem Takte singend.

»Und wenn der alte Fritze kommt
Und klopft sich auf die Hosen,
So lauft die ganze Reichsarmee,
Panduren und Franzosen!«

Beim letzten Takte tritt er scharf auf, macht halbe Wendung gegen die an der Tür erscheinenden Trompeter, vor denen Schladritz, sich die Ohren zuhaltend, ins Zimmer hereinweicht, erhebt den Stock und ruft. Halt! – 's ist genug!

SCHLADRITZ
schließt unter Verbeugung gegen die außenbleibenden Trompeter die Tür.
CATO
jetzt erst einmal flüchtig nach Siegmund blickend, für sich.
Donnerwetter, auch grade derselbe! Nun wird's schlimm!
SIEGMUND
hält den Bescheinigungszettel, welchen vorhin Schladritz dem Ratsdiener hinausgetragen hat, in der Hand und liest.

»Daß der Ratsdiener Mohr seinen Auftrag vom Herrn Bürgermeister noch vor Ankunft der Kürassiere ausgerichtet, bescheinigt hiermit Gottsched.« – Erstes Beutestück? Wer ist Gottsched?

GELLERT
korrigierend.
Herr Professor Gottsched!
SIEGMUND
sieht sich nach Gellert um.
GOTTSCHED.
Ich bin Gottsched und heiße ordentlicher Professor und Senior der philosophischen Fakultät –
SCHLADRITZ.
Auch Dezemvir –
SIEGMUND.
Still da!
SCHLADRITZ
fährt zurück.
KATHARINA.
Sei artig, Vetter, du bist hier bei ordentlichen, vornehmen Leuten!
SIEGMUND.

Kuckuck, Käthchen! Wirft ihr eine Kußhand zu. Bin im Dienst, Felddienst, da hört aller Krimskrams auf mit Titeln, da heißt's Nummer Eins, Nummer Zwei, was drüber ist, ist Luxus. – Professor Gottsched, ich bin kommandiert, in ihr Quartier zu rücken und erstens: Sie aufs Rathaus zu befehlen vors Generalkommando binnen jetzt und einer Stunde!

GOTTSCHED.
Meine Behörde ist Senat und Rektor Magnifikus, nicht aber ein Generalkommando –
SIEGMUND.

Was? Senat und Rektor Soundso! Geht mich [95] nichts an! Mir unbekannt dies Kommando! 's ist Krieg, mein Herr, und der Säbel befiehlt!

GELLERT.
Leider!
SIEGMUND
nachdem er sich wieder umgesehen nach Gellert.

Zweitens bin ich kommandiert, einen italienischen Grafen Bolza zu holen, der hier in diesem Quartiere versteckt ist!

KATHARINA.
Hier gibt's keinen Grafen Bolza, unser Graf heißt Graf Balthasar –
SCHLADRITZ.
Und Graf Bolza existiert überhaupt nicht –? Nickt Gottsched zu.
SIEGMUND
zu Schladritz.

Ruhe! Schladritz fährt zusammen. Hierher, Livree! An den Säbel schlagend. Er räsonniert?! Welcher ist Sein Graf –?

SCHLADRITZ
erschrocken einen Schritt vortretend, halb auf Siegmund, halb auf Bolza blickend.
Mein Graf, das heißt Graf Balthasar, ist –
SIEGMUND
auf Bolza zeigend.
Dieser hier! – Mein Herr italienischer Graf, Sie werden mir auf der Stelle folgen!
BOLZA.
Wo ist Seine Order?
SIEGMUND.

Was? Auf den Säbel schlagend. Hier ist sie! Jetzt wär's auch Zeit zur Schreiberei! Also keine Umstände gemacht!

GOTTSCHED.
Aber, mein lieber Freund!
SIEGMUND.
Kreuzdonnerwetter, ich bin hier kein lieber Freund!
GELLERT
zögernd einen Schritt vortretend.

Er ist hier, mein lieber Freund und Wachtmeister, unter gebildeten Leuten, und es würde Ihm ganz gut anstehn, wenn Er sich nicht wie auf der Landstraße, sondern etwas – höflicher betrüge!

SIEGMUND.

Was untersteht man sich?! Man will einen Wachtmeister von den Seydlitzern im Dienste hofmeistern, wenn man vom schwarzen Zivil ist?! Wer ist man?

GELLERT.

Man ist zivil! Das versteht Er nicht!Langsam auf ihn zutretend; mit einigem Stutzen weicht Siegmund einige Schritte vor ihm zurück. Man liebt Soldatenton nicht in Bürgerhäusern! Versteht Er das?

SIEGMUND.
Wer ist man?
GELLERT.

Man ist auch ein Professor, wenn Er, lieber Freund und Wachtmeister, etwa alle Welt arretieren will. –

KATHARINA.
Schäm' dich doch, Vetter Siegmund, 's ist ja der ehrwürdige Herr Professor Gellert!
[96]
SIEGMUND
die Hände zusammenschlagend.

Gel lert!Pause. – »Um das Rhinozeros zu sehn, erzählte mir mein Freund, beschloß ich auszugehn!« – Das ist von Ihnen?! Sie sind Gellert? Christian Fürchtegott Gellert?!

GELLERT.
Ja, mein Freund!
KATHARINA.
Freilich!
SIEGMUND.

Der die schönen Fabeln und Geschichten schreibt?! Je so muß ja das Donnerwetter in den Wachtmeister Siegmund schlagen, daß er sich so aufgeführt hat gegen Sie! Herr, Herr, ich lieb' Sie ja schon seit vielen Jahren wie meinen Vater! Professerchen, geben Sie mir 'ne Hand, das ist ja ein Haupttreffer, daß ich Sie einmal zu sehn kriege!Mit Gellert vorkommend.

GELLERT.
Na, es freut mich, wenn moralische Geschichten noch bei Ihm verfangen. –
SIEGMUND.

Je, da müßt' ich ja selber ein Rhinozeros sein, wenn Ihre Geschichten nicht mehr bei mir verfingen! – Du bist doch aber ein Zu Katharina. rechtes Gänschen, daß du mir das nicht gleich gesagt hast!


Während dieser Rede ist Frau Gottsched herübergekommen, Bolza winkend, er möge den Augenblick benutzen, hinauszugehen, und hat Katharina gewinkt, sich Siegmunds zu bemächtigen.
KATHARINA
Verständnis ausdrückend, ist zu Siegmund getreten.
Na, warum machst du einen so unverschämten Lärm!
BOLZA
kommt während dieser Worte an die Tür.
SCHLADRITZ
öffnet sie beim Worte »unverschämten«.

Man sieht aber die Trompeter dahinter aufgepflanzt, und beim Worte Katharinas »Lärm« rufen beide Trompeter einstimmig dem Grafen entgegen: Parole!
SIEGMUND
auffahrend.

Holla! Sich umwendend. Aha, wie der Marder vom Taubenschlage! Nein, italienischer Herr! Disziplin ist da, wenn wir auch Bildung haben und gerührt werden können – dies Manöver ändert aber den ganzen Feldzug, Professerchen Den Säbel ziehend. 's tut mir leid, aber zuerst bin ich Wachtmeister! Treten Sie auf die Seite, hier Auf Bolza zeigend. muß ich Ernst zeigen! Er schiebt Gellert nach der durch Frau Gottsched leer gewordenen Stelle links; an die hintere Stelle links ist Bolza, von der Tür zurückweichend, getreten. Frau Gottsched hat auf der rechten Seite hinter Gottsched Platz genommen, Katharina ist an ihre erste Stelle zurückgeprallt. Sowie Siegmund Gellert ein wenig auf die linke Seite führt, erblickt er Cato, der sich bis dahin immer mit[97] möglichst abgewandtem Gesichte verhalten, sich aber bei den Worten »mus ich Ernst zeigen« einen Augenblick herumgewendet hat. Kreuz Element, was seh' ich da? Er prallt zurück und starrt auf Cato. Da ist ja mein Offizier von der Reichsarmee!

GOTTSCHED UND FRAU GOTTSCHED.
Offizier?
KATHARINA UND GELLERT.
Von der Reichsarmee!?
SCHLADRITZ.
Der Cato!
SIEGMUND.
Jawohl, von der Reichsarmee! Den ich bei Roßbach gefangen nahm!
CATO.
Lügner!
SIEGMUND.

Oder doch gefangen nehmen wollte. Der mir mein Pferd erschossen und Hut wie Gliedmaßen zerhauen hat – hurra, jetzt kommt der Tag der Rache!

CATO.
Er ist besoffen! Bückt sich, hebt seinen Mantel auf und wickelt einen Degen heraus.
SIEGMUND.

Besoffen? Oho, da ist ja auch der weiße Mantel vom Regimente Hildburghausen, das erkennt sich auf tausend Schritt! Und hier in Leipzig, mitten unter uns, das wird auf faule Kriegsgeschäfte hinauslaufen; Seine Papiere!

GOTTSCHED.
Mein Bedienter!
SIEGMUND.

Ihr Bedienter?! Das macht Sie und ihn dreifach verdächtig! Herr, hier ist Spionerie! Jeder Spion wird totgeschossen! Wer seine Person oder Papiere von ihm birgt, desgleichen!

SCHLADRITZ.

Um Gottes willen, Herr Wachtmeister, ich habe vorhin aus dem Büchsenranzen des Menschen da, der mir gleich verdächtig war, Papiere gezogen, Greift an alle Taschen. die brennen mich jetzt wie höllisch Feuer. –

SIEGMUND.
Wo sind sie!
SCHLADRITZ.
Hier! – Übergibt ihm die Broschüre aus dem vorigen Akte und zieht sich hastig zurück.
SIEGMUND.
Das sind gedruckte Papiere! Haben Sie andere noch, Herr Gottsched?
GOTTSCHED.
Nein, mein Freund!
SIEGMUND.

Wird sich finden! Holla, Einen Schritt auf Cato zutretend. Euer Liebden sind mein Gefangener und überliefern mir auf der Stelle Ihre Person und Ihre Papiere!

[98]
CATO
den Degen plötzlich gegen ihn vorbringend.

Meine Hiebe! wenn Er noch einen Schritt vorwärts tut! Bin ich der, für den Er mich hält, so bin ich seit langer Zeit aus dem Heere geschieden und bin keinem Wachtmeister Rechenschaft schuldig. –

SIEGMUND.
Das wollen wir sehen!
CATO
fast ohne sich zu unterbrechen.
Herr Graf, den Degen aus der Scheide!
BOLZA
hat auf den obigen Zuruf gezogen und mit dem Ausrufe.
Jawohl! Sich an Cato geschlossen, vor Gellert, der rechts hinüber eilt, vortretend.
CATO.

Lassen wir nicht von einem einzelnen Wachtmeister einem Hause voll Männer kommandieren! Ein paar Trompeter jagt die tapfre Kathrine allein die Treppe hinunter!

KATHARINA.

Gott straf' mich! Über die Bühne nach Gottscheds Zimmer laufend. Und mit des Herrn Professors Paradedegen! Ab, und bald darauf mit einem Galanteriedegen zurück.

SIEGMUND
ist einen Schritt nach rechts zurückgetreten.
Soll das Ernst sein, dann wird's Euch schlecht bekommen!
GOTTSCHED
im Vorschreiten zu Gellert.
Durch solchen Widerstand wird's ja immer schlimmer für uns!
GELLERT
sich vergnügt die Hände reibend.
Das ist jung, das hat Courage!
KATHARINA
eintretend und sich neben Bolza stellend.
Hurra!
SIEGMUND.
Werft Eure Degen weg, das rat' ich Euch als guter Freund!
CATO eindringend.
Wehr' dich, Wachtmeister, oder troll' dich!
BOLZA.
Hinaus mit ihm!
KATHARINA
mit dem Degen fuchtelnd.
Hurra! Gegen die Trompeter!
SCHLADRITZ.
Juchhe! die Kathrine mit dem Bratspieße!
SIEGMUND.

Ruhe! Alle senken die Waffen. Das wird eine Dummheit, die Euch allen den Hals bricht, wenn ich sie ernsthaft schief nehme! Und wenn nicht hier das dumme Mädel und dort mein Professerchen dabei wären, so nähm' ich sie auf der Stelle schief, trotz meiner beiden Trompeter, die allerdings nicht für voll gelten. Aber ich brauchte ja nur einen zum Fenster hinaus Lärm blasen zu lassen, so wären in ein paar Minuten mehr Seydlitzer hier als Haare auf Euren Köpfen, törichte Menschen! Wie gesagt, aus Gutmütigkeit will ich Fünfe gerade sein lassen, aber Dienst ist [99] Dienst, also aufgepaßt! Professor Gottsched, werden Sie mir aufs Rathaus folgen?

GOTTSCHED
Gellert ansehend.
GELLERT.
Lieber Freund und Wachtmeister – nein!
SIEGMUND.

Professerchen, das wird böse! General Seydlitz verträgt keinen Widerspruch. – Herr Graf aus Italien und Herr Offizier von der Reichsarmee, wollen Sie gutwillig als Gefangene mit mir gehn?

CATO.
Nein.
BOLZA.
Nein.
SIEGMUND.

Gut: ich habe also offne Widersetzlichkeit zu melden, und die Sache wird ernsthaft. Meine Trompeter bleiben an der Haustür und ziehen ihre Säbel. Wer das Haus verlassen will, wird zusammengehauen. In zehn Minuten ist ein Offizier hier mit einem Pikett und mit dem Profoß des Regiments. Dann wird es anders klingen. Bis dahin – Gott befohlen! Ab.


Totenstille.
Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Bolza im Mantel und Gellert treten ein.

GELLERT.
Da wären wir!
BOLZA.
Gerettet! Rasch neben jenem vorschreitend.
GELLERT.
Nun erholen Sie sich!
BOLZA.
Gerettet! Nehmen Sie meinen aufrichtigsten Dank für Ihre menschenfreundliche Güte!
GELLERT.

Halten Sie ein, Herr Graf! Sie haben weder groß [100] zu danken, noch sind Sie gerettet! Für den Augenblick mag es allerdings ein Vorteil sein, daß dieser entschlossene Herr Cato die kleine Saaltür sprengte und uns den Ausweg auf die Grimmasche Gasse hinaus öffnete. Der eintretende Nebel ist uns günstig gewesen zu unserm Umwege hierher auf die Ritterstraße.

BOLZA.
Wir sind niemand aufgefallen.
GELLERT.
Gut, es mag sein –
BOLZA.

Und die Trompeter warten unbefangen unten im Hausflur und ahnen nicht, daß ihr ganzes Nest von Gefangenen ausfliegt. Ich war verloren, wenn sie der Wachtmeister, statt dort unten, oben an der Saaltüre aufgestellt hätte! Jetzt haben sie, durch den Diener und das Mädchen mit Speis' und Trank beschäftigt, kaum etwas gehört vom Lärm der brechenden Tür.

GELLERT.
Alles wohl und gut, aber Sie können hier noch eben so gut verloren sein wie dort!
BOLZA.
Ihr Haus wird man respektieren!
GELLERT.
Schwerlich!
BOLZA.
Wenigstens zunächst, gewiß bis morgen; denn man hegt allgemein zu große Hochachtung für Ihre Person!
GELLERT.

Schwerlich! Was fragt der kommandierende Soldat nach bürgerlicher Hochachtnug, und der Wachtmeister muß dienstmäßig aussagen, wen er bei Gottscheds gefunden, und wer also die Flucht wahrscheinlich begünstigt habe. Da wird nachgeforscht, nachgesucht. Verblenden wir uns hierüber nicht! Und hier in meiner Wohnung gibt's keine verschlossenen Vorsäle, gibt's keine Verbindungstüren ins Nachbarhaus. Hier ist ein bescheidenes, jedem Zutritte offenes Junggesellenquartier. Dort Rechtshin deutend. ist mein Schlafzimmerchen, und damit ist meine Wohnung zu Ende! und dort Linkshin deutend. wohnt meine alte Wirtin und Wirtschafterin, bei der ich zur Miete sitze. Die ist auf keinerlei kriegerische Vorkehrung eingerichtet, und wenn uns der Feind überrascht, so gibt's für Sie kein Entrinnen. Darauf machen Sie sich gefaßt, Herr Graf, wenn Sie hierbleiben wollen. Er legt seinen Hut und Stock ab. Wollen Sie Ihren Mantel ablegen? Wendet sich nach hinten.

BOLZA.
Herr Professor!
GELEERT.
Herr Graf!
BOLZA.
Sie beherbergen mich ungern!
GELLERT
sieht ihn seufzend an, ohne zu antworten.
[101]
BOLZA.
Sie schützen mich ungern gegen meine Feinde!?
GELLERT.
Ja, ungern!
BOLZA.
Professor Gellert!
GELLERT
nahe zu ihm tretend.
Frei heraus mit der Wahrheit, ich möchte Sie gar nicht schützen!
BOLZA.

Mein Gott, auch Sie, auch der bravste Mann des Landes verleugnet die Menschenliebe, weil hier die Menschenliebe einem Ausländer gelten soll –

GELLERT.

Halt, Herr Graf, Sie sagen zu viel und sagen zu wenig: die menschlichen Pflichten haben eine Stufenfolge. Der Vater und die Mutter schützen zunächst ihr Kind, ehe sie bei gleicher Gefahr auf den Schutz eines fremden Kindes bedacht sind. So will es der Trieb der Natur, welcher das Bestehen der Menschheit sichert. Der Landsmann schützet zunächst den Landsmann; denn Landsleute sollen Kinder sein einer großen Familie. So will es der Sinn und Trieb der Gesellschaft, und dieser Sinn und Trieb erhält den Staat und das Vaterland. Sie sind nicht mein Landsmann, wohl, würde ich deshalb dem Fremden meine Hilfe versagen? Gewiß nicht; denn sie ist mir geboten durch meine Menschen- und Christenpflicht. Ein gesittet Volk schützt auch den Fremden bereitwillig, aber nur den unverfänglichen Fremden. Ein solcher sind Sie nicht! Sie gehören zu einer Klasse von Fremdlingen, welche sich zu unserm Schaden in Dresden eingenistet, ja Sie sind ein Feind meiner Landsleute.

BOLZA.
Herr Professor!
GELLERT.

Ich vergehe mich gegen mein Vaterland, wenn ich Sie schütze, Herr Graf, und ich vergehe mich, merken Sie wohl auf! ich vergehe mich – Mit etwas gedämpfter Stimme. gegen meine nächsten Freunde, ich sündige gegen ein mir heiliges Moralprinzip, Herr Graf von Bolza, wenn ich Sie hier in Leipzig schütze.

BOLZA.
Herr Professor Gellert!
GELLERT
ohne sich zu unterbrechen.

Denn ich weiß, welch ein Gelüst Sie gerade jetzt nach Leipzig geführt in das Haus meines Kollegen; ich weiß es, weil jene Frau – eine edle, unbescholtene Frau und meine verehrte Freundin – mir vor einer Viertelstunde, während Sie mit Herrn Cato am Einbrechen der Tür arbeiteten, ziemlich unverhohlen angedeutet hat, unter welchen Äußerungen Sie hier aufgetreten sind.

[102]
BOLZA.
Die Frau –
GELLERT.

Nennen Sie keinen Namen. Sie haben kein Recht dazu. Der Name einer deutschen Hausfrau ist wie ein Kristallgefäß: jeder Hauch trübt und verunziert dasselbe. Danken Sie's Ihrem Glück, wenn Gottsched, um den Sie's nicht verdient, den Sturm von Ihrem Haupte abwendet. Er hat zu Ihrer Beschämung sein eignes Wohl ausgesetzt, indem er jetzt persönlich aufs Rathaus gegangen ist, um die Aufmerksamkeit von Ihnen abzulenken. Es klopft an der Mitteltür.

BOLZA.
Es klopft!
GELLERT.
Es klopft?
BOLZA.
Beurteilen Sie nicht die Wallungen der Jugend mit der Strenge eines tugendhaften Alters.

Es klopft von neuem.
GELLERT.
Es klopft wirklich!
BOLZA.
Ihr menschenfreundliches Herz kann nicht zugeben, daß ich mich ohne Not preisgebe.
GELLERT.
Nein doch, nein.
BOLZA.
Ihr Vorurteil kann nicht ein Menschenleben aussetzen wollen – Wendet sich nach hinten.
GELLERT.

Nein doch, nein doch! – Rechts hinüber! Da sind Sie sicherer als bei meinen Wirtsleuten – da, da drüben! Nach rechts zeigend und bis an die Tür mitgehend. Bolza rechts ab in die Tür. Gellert, einen Moment in der Mitte des Theaters stehend, macht eine Pantomime wie des Vorwurfs gegen sich selbst, dann kommt er vor. Ich bin doch wie ein kleines Kind! Erst setz' ich dem Italiener weitläufig auseinander, daß ich ihn durchaus nicht schützen könne, und da Not an Mann kommt, hab' ich nichts Dringenderes zu tun, als ihn selbst zu verstecken. Es klopft wieder. In Gottes Namen, herein!

2. Szene
Zweite Szene.
Gottsched. Frau Gottsched treten sprechend ein. Gellert.

GOTTSCHED
schon zu ihr sprechend, während er die Tür öffnet.

Es ist damit durchaus nichts auszurichten! Wir sind nur im Vorteil, wenn wir angegriffen werden, – Vorkommend und nur beiläufig zu Gellert. guten Abend, Herr Kollege! Zu ihr weiter. peinige mich nicht länger mit Einwendungen, so nur aus deiner Unkunde entspringen.

[103]
FRAU GOTTSCHED
Gellert mit der Hand grüßend; zu Gottsched, neben welchem sie vorschreitet.

Lieber Himmel, ich brauche ja hierzu gar keiner besonderen Kunde! Ich weiß, was du wert bist, was du giltst in der Welt! Und darauf bin ich stolz, und deshalb find' ich es unter unsrer Würde, daß du mit einer gewissen Zaghaftigkeit verfährst gegen das Kriegsvolk!

GOTTSCHED.

Ei Potz tausend! – Kollege Gellert, solch ein Frauenwitz kann einem doch alle Gelassenheit entziehen! Zu ihr. Wodurch bin ich angesehn und mächtig? Durch Kenntnis, durch geistige Schöpfung, durch Haltung, durch Geschmack! Sind dies Waffen auf offnem Markte gegen freche Soldaten? Nein. Was ist also zu tun? Worauf ist mein Absehn zu richten? Auf den richtigen Moment, da meine Waffen wirksam zu machen sind. Dieser Moment der Ruhe wird eintreten, vielleicht schon morgen früh, und dann werd' ich auf dem Platze sein! Er setzt sich in den Lehnstuhl, erschöpft. Hab' ich nicht recht, Gellert? Belehren Sie diese unbegreifliche Frau!

GELLERT.

Liebe Freundin, das ist ganz in der Ordnung. Wir schwachen Leute von der Feder können uns nicht anders verhalten. Leise. Sie haben also nichts ausgerichtet mit dem Gange aufs Rathaus?

FRAU GOTTSCHED
ebenfalls halblaut.

Ach, wir haben gar nichts versucht! Wir sind kaum bis ins Rathaus hineingekommen. Es ist allerdings vollgestopft von Soldaten, und Ein wenig lauter. diese sprachen uns freilich frech zu Ohren und spotteten von gelehrten Perücken, welche ihren Vorwitz teuer bezahlen sollten – Wieder etwas leiser. es wurde mir angst und bange, aber ich bin ja nur ein Frauenzimmer, und mein Mann ist ja doch kein gewöhnlicher Mann, es ist ja Gottsched!

GELLERT
halblaut.

Liebe Freundin, und wenn er ein Goliath wäre, er hätte nichts ausrichten können! Sie sind also umgekehrt?

FRAU GOTTSCHED.
Ja, schon auf dem Vorsaale!Noch leiser. Und haben Sie den Grafen Bolza untergebracht?
GELLERT.
Ja doch, leider!
FRAU GOTTSCHED.
Sie braver Mann, der auch gegen seine Überzeugung –
GELLERT
laut.
Ja doch! Und wo ist denn die Frau Gräfin geblieben?
[104]
FRAU GOTTSCHED
laut.

O solch eine Reichsgräfin, Gellert, hat einen Stolz, der uns Bürgerlichen wirklich Ehrfurcht gebietet!

GELLERT.
Ah, warum denn?
FRAU GOTTSCHED.
Weil dieser Stolz tapfer macht!
GELLERT.

Das kommt wohl von der Erziehung. Diese Leute werden in dem Gedanken auferzogen: es habe ihnen niemand zu gebieten.

FRAU GOTTSCHED.

Sie rief sich eigenmächtig einen Offizier, nannte ihren Namen und verlangte seine Begleitung. Dann sagte sie zu uns in einem nicht eben verbindlichen Tone: sie dankte für unser weiteres Geleit, und wir möchten nur nach Hause gehen; sie würde allein sprechen mit dem General.

GOTTSCHED.

Kollege Gellert! Ich fühle mich körperlich sehr angegriffen. Darf ich Sie wohl um ein Glas Wein bitten? Wenn es ein Glas spanischer Wein sein könnte!

GELLERT
für sich.

Lieber Gott! Laut. Ja ja, lieber Herr Kollege, ja ja ja! Für sich. Wie mach' ich denn das? Geht etwas nach hinten und bleibt stehen; laut. Spanischen Wein! Liebster Herr Professor! Nehmen Sie's nur nicht übel, in meiner kleinen Wirtschaft ist der Wein leider ein halber Fremdling, und – seien Sie nur nicht böse! spanischen Wein hab' ich eigentlich nicht!

GOTTSCHED.
Nun, dann ein Glas andern Wein, lieber Kollege!
GELLERT.
Ja? Na schön – Für sich. hab' ich denn auch jetzt etwas Wein?
FRAU GOTTSCHED.
Lieber Gott, der arme Gellert hat am Ende gar keinen Wein!
GELLERT.

Oh oh oh! Machen Sie mich doch nicht gar so arm! Für sich. Hab' ich denn auch –? richtig! Laut. Richtig! Der gute Graf Moritz Brühl, nicht der Minister, hat mir neulich einen ganzen Korb voll zum Präsent gemacht! Für sich. Ich hab' ihn doch nicht ganz weggegeben? Laut. Gleich! gleich! lieber Kollege! Geht nach links hinten. Ach du lieber Himmel, meine Wirtin wird aber ausgegangen sein, um sich die Soldaten anzusehen –Vorkommend. Seien Sie nur nicht böse über meine armselige Junggesellenwirtschaft. Der alte August, der mir des Morgens die Kleider säubert, sollte eigentlich jetzt gegen Abend nachfragen kommen, ob was zu besorgen sei, und mein Famulus auch – ich werde gleich hinausgehen Feuer zu schlagen und eine Flasche aus dem Keller heraufzuschaffen, gedulden Sie sich nur einen Augenblick! Gehend.

[105]
FRAU GOTTSCHED
ihm nachgehend.
Armer Gellert, ein Glas Wasser tut's auch!
GELLERT.
Nicht doch! Nicht doch!
FRAU GOTTSCHED Nicht wahr, Gottsched? Ja freilich!
GELLERT.
Aber ich bin ja sehr glücklich, bewirten zu können.
FRAU GOTTSCHED.
Bleiben Sie nur da, ich find' schon in der Küche – Nach der Tür.
GELLERT.
Aber das kann ich ja nicht zugeben!
FRAU GOTTSCHED.
Sie müssen! Geht hinaus.
GELLERT
zur Tür hinaussprechend.

Rechts in der blauen Lase! 's ist ein frisches gutes Wasser vom Bettelbrunnen! Die gute Frau! Vorkommend. Seien Sie nur ja nicht ungehalten, lieber Herr Professor! Sie sind das ärmliche Wesen nicht so gewohnt wie ich. Mir tut's nichts; mir erleichtert's sogar das Leben, daß ich wenig Bedürfnisse habe, und glauben Sie nur, 's hat auch sein Gutes, wenig Bedürfnisse zu haben. Wenn man nicht selber arm ist, so denkt man nicht leicht an Hilfe für die Armen.

3. Szene
Dritte Szene.
Cato. Wilhelmine – bald darauf Frau Gottsched. Die Vorigen.

CATO.
Verehrter Herr Professor, auch Komtesse Wilhelmine sucht Ihren Schutz und Ihre Hilfe.
WILHELMINE
ebenfalls zu Gellert.
Sprechen Sie für uns bei meiner Mutter! Was ich Ihnen heut' morgen geschrieben –
GOTTSCHED
aufstehend, leise.
Dem hat sie auch geschrieben?!
WILHELMINE.

Das ist hier plötzlich zur unmittelbaren Gefahr für mich geworden durch die Anwesenheit des Grafen Bolza!

GELLERT.
Was Sie mir geschrieben? Kinder, ihr traut mir am Ende gar Allwissenheit und Allmächtigkeit zu!
WILHELMINE.
Sprich du, Fritz.
GELLERT leise.
Fritz?!
GOTTSCHED
leise.
Fritz?!
WILHELMINE.
Ich bin von all' den Aufregungen so erschüttert, daß ich mich kaum noch aufrecht erhalten kann.
CATO.

Fasse dich, Wilhelmine! Sie schützend. Gestatten Sie Zu Gellert. dem erschöpften Kinde Ihr Sofa zum Ausruhen!

[106]
GELLERT.
Mein Sofa? Ja, lieber Freund, wenn ich nur – Für sich. heut' fehlt mir aber auch alles!
GOTTSCHED.
Hier ist ein Lehnstuhl für die Komtesse!
WILHELMINE.
Ach der!
CATO.
Herr Gottsched! Führt sie hin.
GOTTSCHED.
Hat sich denn in meinem Hause ein neuer Angriff ereignet?
CATO.
Nein, mein Herr.
GELLERT.
Nun, von welchen Gefahren spricht denn die Komtesse?
CATO.
Hat Sie denn Herr Professor Gottsched nicht unterrichtet?
GOTTSCHED.
Ich?
CATO.
Er hat ja die Vermittlung übernommen!
GOTTSCHED.
Junger Herr, Ihre Rätselhaftigkeit geht ins Weite.
GELLERT.

Offen gestanden, all' Ihre abenteuerlichen Mummereien und Anspielungen wollen mir auch nicht recht zusagen!

CATO
zu Gellert.

Verzeihen Sie, lieber Herr Gellert! Ich werde Ihnen genaue Auskunft geben über alles! Ihr Zutrauen ist mir ein Herzensbedürfnis! Lassen Sie sich nicht einnehmen durch mein Leise. Hanswurstgepäck, welches zu einer Straflektion in Quandts Hofe bestimmt war, wenn uns nicht die Gefahr übereilt hätte; Laut. hier handelt sich's um einen zärtlichen Brief der Komtesse!

GOTTSCHED.
In was alles mischen Sie sich, flüchtiger Herr Offizier!
CATO.

Flüchtig? Auf dies Beiwort haben Sie hierbei einen gegründeteren Anspruch. Sie sind so flüchtig, Briefe aufzumachen, welche nicht an Sie gerichtet sind. – Sie haben den Brief in der Tasche!

FRAU GOTTSCHED
tritt ein.

Es wird allmählich dunkel.
GOTTSCHED
hastig in seine Brieftasche greifend und den Brief aus dem ersten Akte herausziehend.
CATO.

Ja, da steckt er! – das ist er Während Gottsched die Adresse betrachtet, ihn nehmend. Große Herren denken leicht, es sei alles nur für sie auf der Welt! Gibt Gellert den Brief.

FRAU GOTTSCHED
zwischen Cato und Gottsched.
Was gibt's denn hier?
CATO.
Irrtümliche Galanterie.
FRAU GOTTSCHED.
Gottsched? Ihm das Glas Wasser auf einem zinnernen Teller darreichend.
GOTTSCHED
für sich, ingrimmig.
Das muß anders werden mit mir! – Ich danke für Wasser. Meine Schwäche ist vorüber!
[107]
CATO
zu Gellert, welcher gelesen.
Sprechen Sie für uns bei der Frau Gräfin, verehrter Herr!
4. Szene
Vierte Szene.
Schladritz. Katharina. Die Vorigen.

FRAU GOTTSCHED
hat, sobald Gottsched gedankt, das Glas mit dem Teller rechts hinüber auf den Schreibtisch getragen.

Als sie dies eben getan, sieht sie den weißen Mantel rasch ins Zimmer hereineilen und ruft erschreckt. Ach mein Gott!

ALLE
kehren sich um, Wilhelmine steht auf.
Was ist?
SCHLADRITZ
ganz und gar in den Mantel gehüllt, Hut auf dem Kopfe, nimmt jetzt den Hut ab und sagt.
Herr Je, 's ist hier so duster!
FRAU GOTTSCHED.
Der Schladritz!?
GOTTSCHED.
Schladritz!
CATO.
Schladritz!
GELLERT.
Schladritz!
FRAU GOTTSCHED.
In welchem Aufzuge läuft Er denn daher?
SCHLADRITZ.
's regnet draußen, Frau Professorin!
FRAU GOTTSCHED
zu Katharina, die hinter Schladritz eingetreten ist und jetzt neben ihm steht.
Und du kommst auch, und das Haus laßt Ihr ganz allein?
KATHARINA.

Sei'n Sie nicht böse, Frau Professern, wir haben alles fest zugeschlossen; aber wir hielten's nicht mehr aus, wir fürchteten uns zu Tode!

SCHLADRITZ.
Ja, 's ist gar zu schauerlich!
GOTTSCHED.
Ist denn schon wieder was vorgefallen?
SCHLADRITZ.
Nein, aber eben weil's jetzt so still ist, wurde uns so grauslich zumute! Schüttelt sich.
KATHARINA.

Heißt das: vorgefallen war schon alles. Die jungen Herrschaften hier Cato und Wilhelmine meinend. waren kaum fort, da kam das Pikett, um Sie zu holen, und das marschierte durch alle Zimmer.

SCHLADRITZ.
Auch vor die erbrochene kleine Saaltür, vor die Bresche –
KATHARINA.
Und gesprochen wurde gar nichts, und das ängstigt einen so!
SCHLADRITZ.

Ja, und das eine Wort, das sie fallen ließen, das [108] fuhr uns in alle Glieder. »Neun Stück Delinquenten!« sagten sie, und weiter nichts und gingen fort und nahmen auch die Trompeter mit, und nun war alles mausestill und so recht gespensterhaft, und ganz leise addierten wir zusammen, die Kathrine und ich –

KATHARINA.

Ja, wir addierten die neun Stück, der Schladritz und ich, und da kam denn immer 'raus, daß wir auch dabei wären –

SCHLADRITZ.
Wir zwei beiden nämlich, und da packte uns die Angst, und wir rissen aus!
KATHARINA.
Und um nichts Gefährliches im Hause zu lassen, nahmen wir auch fix den verdächtigen Mantel mit.
SCHLADRITZ.
Weil's gerade regnete!
GOTTSCHED.
Einfältige Leute, nun war ja eben nichts mehr zu fürchten!
SCHLADRITZ.
Wir fürchten uns aber!
KATHARINA.
Wir fürchten uns aber!
WILHELMINE.
Und meine Mutter!
FRAU GOTTSCHED.
Wenn jetzt die Frau Gräfin zurückkommt, so findet sie ja alles verschlossen und weiß nicht wohin!
SCHLADRITZ.

Nicht doch! Wir sind vorne beim Bäcker durch, und haben's hinterlassen, daß alles hieher ist! Alle drücken ihr Erschrecken aus.

CATO.
Aha! Die Adresse! Komm, Wilhelmine, der Mutter entgegen, die sonst noch verdrießlicher wird!
WILHELMINE
zu ihm gehend, ihm den Arm gebend und sich zum Abgehn wendend.
Jawohl!
GOTTSCHED.

Basta! Ermannen wir uns überhaupt und bieten wir die Stirn! Keine Flucht mehr, sondern stolzer Widerstand!

GELLERT.
Bravo!
CATO.
Bravo!
FRAU GOTTSCHED.
Bravo!
GELLERT.

So ist es recht, Herr Professor! Unser Mut sei unser gutes Gewissen! Stehen wir ruhig, aber fest. Im Frieden wurzelt unser Beruf, in edler Bildung wurzelt unsre Kraft. Darauf müssen wir fußen. Man kann uns mißhandeln, aber man kann uns nicht erniedrigen, wenn wir unser moralisches Selbstgefühl nicht verlieren. Meine Freunde, dem edel gebildeten Menschen kann nichts Unedles widerfahren; denn das Roheste muß sich vor dem milden Blicke des guten Menschen verwandeln – dies sei unser Schild!

[109]
GOTTSCHED.
So sei es!
CATO.
So sei es! Geht nach hinten mit Wilhelminen.
FRAU GOTTSCHED
Gottsched die Hand reichend zum Abgehn.
So sei es!
5. Szene
Fünfte Szene.
Gräfin Manteuffel tritt ein. Die Vorigen.
Alle treten zur Seite, so daß man die Gräfin hinten in der Mitte sieht.

CATO.
Die Gräfin!
WILHELMINE
mit Cato am nächsten der Tür.
Die Mutter!
GRÄFIN.
Wahrhaftig, derselbe Mensch wieder am Arme meiner Tochter!
WILHELMINE.
Liebe Mama! –
CATO
leise.
Still, Wilhelmine!
GRÄFIN.

Was soll das heißen?! Ist denn die ganze Welt aus Rand und Band? Langsam vorkommend. Wohin ich trete, Ungehörigkeit, Roheit, Mangel an Sitte und Respekt. Unter diesen Soldaten, selbst unter den höheren Offizieren, welche doch Leute von Familie sind, keine Achtung mehr vor Stand und Rang und Geschlecht! Herr Professor Gellert, was wird aus dieser Welt! Ich bin auf dem Rathause behandelt worden wie ein Bauernweib, wie eine Poissarde, ja selbst der oberste Befehlshaber hat meine kummervolle Erkundigung nach meinem Gemahl trostlos und schnöde bescheiden lassen. Darüber noch außer mir, finde ich Zu Gottsched. Ihr Haus verschlossen und erfahre, daß ein höchst zweifelhaftes Sujet Cato ansehend. meine Tochter von dannen geführt. Ich werde genötigt, in strömendem Regen hieher zu laufen, und hier sehe ich diesen selben verdächtigen jungen Mann schon wieder im Begriff, meine Tochter bras dessous bras dessus Gott weiß wohin zu bringen – meine Herren Professoren und Frau Professorin, darf ich wohl bitten, ein wenig lebhafter geschützt zu werden in den Egards, welche mir und der Komtesse Manteuffel gebühren!

GOTTSCHED.
Gnädigste Gräfin!
FRAU GOTTSCHED.
Frau Gräfin!
WILHELMINE.
Aber, liebe Mama, dieser Mann ist ja –
CATO.
Wilhelmine, ich beschwöre dich, jetzt nicht!
GRÄFIN.
Was ist das?! Herr, welche vertrauliche Anrede erlauben Sie sich gegen die Komtesse! –
[110]
WILHELMINE
zu Cato.
Ich ertrage dies nicht länger, und du siehst, wohin das unwahre Wesen führt! Es ist ja, liebe Mama –
CATO.
Wilhelmine!
WILHELMINE.
Es ist ja Vetter Fritz!
CATO.
Nun ist's vorbei!

Pause.
GRÄFIN.
Was? Friedrich von Rothenhain?!
CATO.

Ja, gnädigste Tante, Friedrich von Rothenhain, der sich unter so mißlichen Umständen Ihnen nicht entdecken wollte.

GRÄFIN.

Nennen Sie mich nicht Ihre Tante! Die Verwandtschaft ist so weitläufig, daß deren Erwähnung nicht gestattet werden konnte, weil Sie zufällig beim Bruder meines Gatten erzogen wurden. Ihr Betragen hat Sie aller Gemeinschaft mit uns unwürdig gemacht und hat bewiesen, daß die alten Grundsätze guter Häuser vollkommen recht haben: den niederen Adel streng zu scheiden vom Reichsadel.

CATO.
Frau Gräfin!
GRÄFIN.

Eine Laufbahn wie die Ihrige, Herr von Rothenhain, kann dem Sprößlinge einer mit Recht stolzen Familie nicht begegnen; denn sein Stolz würde es nimmermehr gestatten, daß er seine Fahne verließe, wie Sie nach der unglücklichen Affäre bei Roßbach die Fahne des Reichs verlassen haben; sein Stolz würde ihm nicht gestatten, daß er sich in zweideutiger Gesellschaft von Skribenten umhertriebe jahrelang, wie Sie getan, ja daß er am Ende gar in einer Bedientenlivree zum Vorschein käme, ausgerüstet mit Harlekinsjacke und Possenkram, seiner früheren Bekanntschaft und seinen weitläufigsten Verwandten zum Abscheu!

WILHELMINE.
O mein Gott, Mutter!
GRÄFIN.
Schweig, und tritt hinweg von diesem gezeichneten Manne!
CATO.

Madame la Comtesse, die Egards, welche Sie in Anspruch nehmen, haben Ihnen soeben gestattet, mich hier vor zahlreicher Gesellschaft zu schmähen. Diese Egards werden mir hoffentlich eine Rechtfertigung, wenigstens eine oberflächliche Rechtfertigung einräumen.

GRÄFIN.
Für Ihren Lebenswandel gibt es keine Rechtfertigung!
CATO.

Es gibt eine, wenn ich auch nicht erwarte, daß Sie, [111] Frau Reichsgräfin, diese Rechtfertigung sogleich verstehen und anerkennen möchten.

GRÄFIN.
Und mit dieser Erwartung allein wird es seine Richtigkeit haben!
CATO.

Madame! Sie haben etwas gesagt, wofür ich blutige Genugtuung von einem Manne verlangen würde. Sie können als Dame solche Genugtuung nicht gewähren und zeigen sich doch auch abgeneigt, nur eine Erwiderung anzuhören. Wäre dies würdiger Stil des hohen Adels? – Madame! Sie haben gesagt, ich hätte meine Fahne verlassen. Das hab ich nicht! Die Fahne hat uns verlassen, uns unglückliche Kinder dieses Deutschen Reichs, die wir nicht Preußen und nicht Österreicher sind! An das Weiberregiment und den Weiberkrieg der Franzosen hat man uns gekettet, in Schlachten hat man uns geführt, die weder Sieg noch ehrenvollen Tod, sondern nur lächerliche Schmach bringen konnten. Fühlen Sie, was das heißt? Zähneknirschend hab' ich's ertragen bis zum Tage von Roßbach; an jenem schmählichen Tage noch habe ich gefochten bis zum äußersten, und ich ernte jetzt noch für meine Hartnäckigkeit die erbitterte Verfolgung der Preußen, wie Sie selbst vor einer Stunde sehen konnten. Das schwache Häuflein, welches von unsrer Reichsarmee übrigblieb, hab' ich nach der Niederlage sammeln und in Sicherheit bringen helfen, und dann erst, dann erst, Madame, hab' ich meinen Abschied genommen. Ich hab' ihn genommen, weil diese Reichsarmee ein machtloser Haufe ist, ohne Kern und ohne Ziel, und weil ich nicht ein Lanzenknecht sein, sondern meinem Vaterlande dienen will. Wo ist mein Vaterland? Es ist nicht bloß, wie Sie sagen, Madame, in Franken, nicht bloß, wie Sie sagen, in dieser oder jener kleinen Reichsunmittelbarkeit. Deutschland heißt es. Wo ist Deutschland? O, daß man so fragen, daß ich es suchen muß, wie etwas Unbekanntes, dies ist der jetzigen Jugend schmerzliches Unglück, groß genug auch ohne Ihre Schmähung! Er tritt rückwärts zur Seite.

GELLERT.
Sprechen Sie weiter, junger Mann!
GRÄFIN.
Was beweist dies freigeistige Quodlibet?
CATO
mit Gellert vorkommend.

Was es beweist? Madame, es beweist: daß die reichsadligen Anmaßungen nicht den Kern und die Kraft Deutschlands bilden und sich nicht dafür ausgeben dürfen, unser Reich zu sein. Das beweist es! Es beweist ferner, daß wir [112] auch im Genie des Königs von Preußen und in der Tapferkeit seiner Völker ein neues Lebenselement unsers veralteten deutschen Reiches finden und anerkennen dürfen, und es beweist endlich, daß Leute wie ich und meine Freunde eine Rolle der Vermittlung und Versöhnung suchen, ergreifen und durchführen müssen. Solch eine Rolle verstehen Sie nicht, Frau Gräfin, und darum schmähen Sie dieselbe, und doch ist sie, ach, ohnehin so dornenvoll; denn sie kann nirgends auf der breitgetretenen Heerstraße einhergehen und kann nirgends mit dem großen Haufen wandeln, und sie hat nirgends etwas gemein mit den beliebten Stichworten des Tages und erntet darum nirgends Lob und Anerkennung. Verzweifelt wäre ich längst in dieser schweren, undankbaren Rolle, hätte mir nicht Gott dafür einen glücklich heitern Sinn beschieden und mir eine Liebe ins Herz gepflanzt Auf Wilhelmine blickend. eine Liebe, welche eine vorurteilsvolle Mutter wohl zerreißen, aber nicht töten kann! Er tritt einen Schritt vor und ergreift die von Gellert dargebotene Hand.

GELLERT.
Seien Sie getrost! Ein Mann von Ihrer Gesinnung kommt an ein gutes Ziel!
GRÄFIN
welche pantomimisch ihr Erstaunen über Gellerts Worte und Benehmen ausdrückt.

Herr Professor Gellert, wohin geraten Sie! Sie, auf welchen man so großes Vertrauen setzt! Sie billigen solchen Wirrwar verwegener Neuerung?!

GELLERT.

Dies ist kein Wirrwarr, Frau Gräfin. Dies ist ein so gesunder Ton unsrer Jugend, daß sich mein ganzes Herz daran erlabt!

GRÄFIN.

Das sagen Sie?! Nun, Herr Professor Gottsched, der Sie mit höheren Ständen zu verkehren gewohnt sind, so reden Sie, sprechen Sie ein entscheidendes Wort! Wenn Männer von Ihrer Bedeutung es stillschweigend gutheißen, daß alle begründete Ordnung im Reiche, daß alles geweihte Herkommen auf den Kopf gestellt wird, was soll entstehen aus solcher vorlauten Jugend?!

GOTTSCHED.

Seien Sie unbekümmert, Frau Gräfin, ich werde niemals so dreiste Formlosigkeit gutheißen! Ich bekämpfe sie in jenen aberwitzigen jungen Skribenten, deren Sie beiläufig gedachten, und deren unverkennbares Echo aus diesem jungen Manne redet –

CATO.

Halten Sie ein, mein Herr! Es steht Ihnen übel an, mit Geringschätzung von jungen Schriftstellern zu reden, auf denen unsers Vaterlandes Hoffnung beruht. Man bezahlt es Ihnen überreich,[113] daß Sie seit Jahrzehnten gefällige Ordnung und trockne Sauberkeit der Formen gelehrt mit einem Aufwande und einem Anspruche, als handle es sich um Wohl und Wehe des Deutschen Reichs. Seien Sie begnügt mit dieser Anerkennung, und stören Sie nicht eine junge Welt, deren Seele Ihnen verschlossen ist. Unsre Nachkommen werden mit Stolz auf einen Mann zurückblicken, den Sie einen aberwitzigen Skribenten zu nennen wagen, das kommende Deutschland wird mit Stolz einen Lessing seinen Lessing nennen, wenn der Name Gottsched nur noch eine Kuriosität sein wird!

GOTTSCHED
vortretend.

Vortrefflich, junger Herr! Auf denselben Lessing, welcher mit Ihnen den buntscheckigen Hanswurst, diese Fratze der Roheit, wieder auf die Bühne bringen möchte!

CATO.

Ach nein, mein Herr! Wir spotten über Ihren Harlekinsfeldzug, weil es lächerlich ist, gegen Kleider mit schweren Waffen Krieg zu führen! Auf die Kleider schlagen Sie, und schlagen damit auf ein Herz, welches Sie nicht kennen. Die bunte Jacke auf dem Theater der Neuberin wollen Sie aus Quandts Hofe vertreiben, aber die bunte Jacke unsers Reichs ist Ihnen ganz in der Ordnung. Sie wissen, Sie ahnen nicht, daß es uns eine Genugtuung sein kann, über unsre scheckigen Lappen zu spotten und zu lachen. Sie wissen nicht, daß es einer Nation erwünscht und wertvoll sein kann: die Laune und den Witz des Volkes auf dem Theater dargestellt und wirksam zu sehen, wenn das Volk sonst nirgends Veranlassung hat witzig zu sein. – Sie wissen nicht, daß es nicht bloß um Formen und Gefäße sich handelt in der Literatur, sondern auch um den Inhalt, welcher diese Formen und Gefäße anfülle.

GRÄFIN
händeringend zu Gottsched.
Grundsätze wie im Bauernkriege!
FRAU GOTTSCHED.
Endigen Sie diesen Aufenthalt, Frau Gräfin, wir haben ja unmittelbarer Gefahr zu begegnen!
GRÄFIN.
Solche Grundsätze sind die größte Gefahr!
WILHELMINE
vor oder hinter der Gräfin zu Cato tretend.
Fritz, Fritz, schone ihn doch, damit er für uns spreche.
CATO.

Das tut er nie, dieser Mann des Schimmers. Können wir uns nicht selbst helfen, so sind wir verloren für einander, mein geliebtes Mädchen!

GRÄFIN.

Muß ich es zum dritten Male sagen: Tritt hinweg, Wilhelmine, von diesem Manne, welchen du nicht mehr kennst!

[114]
WILHELMINE.
Aber, liebe Mutter, er ist es ja allein auf der weiten Welt, welchen ich von Herzen liebe –
GRÄFIN.
Wilhelmine!
WILHELMINE.

Mutter, liebe Mutter! Vergeben Sie mir den Widerspruch in dieser einzigen Sache! Dem Grafen Bolza kann ich nicht angehören, er ist meiner Seele fremd, und Fritz kann ich nicht verlassen, meine ganze Seele hängt an ihm!

GRÄFIN.

Du sprichst wie ein törichtes Kind! Von einer Verbindung mit Graf Bolza ist jetzt bei dessen traurig zweifelhafter Lage gar nicht die Rede, am allerwenigsten spricht man davon in öffentlicher und gemischter Gesellschaft, wenn man von guter Erziehung ist. Aber davon ist die Rede, und darin sollst du wenigstens deine Abstammung bewähren: daß nun und nimmermehr irgend eine Vertraulichkeit oder auch nur Bekanntschaft stattfinden darf zwischen dir und einem Manne, wie diesem Herrn von Rothenhain, welcher seinen immerhin edlen Stand vergißt, welcher alle Schicklichkeit mit Füßen getreten hat, welcher mit gefährlichen, alle Ordnung auflösenden Grundsätzen prahlt, und welcher dem schrecklichen Lose eines Landstreichers und Aufrührers entgegenrennt!

WILHELMINE.
Mutter!
GRÄFIN.
Zum letzten Male also: hinweg von diesem Manne!
WILHELMINE.

Sei barmherzig, Mutter! Ihr zu Füßen fallend. Mein ganzes Leben ruht in diesem Manne! All' meine Gedanken stammen von ihm, all' meine Gedanken gehören ihm! Du tötest dein Kind, wenn du mich unwiderruflich von ihm scheidest!

GRÄFIN
deren Aufregung während dieser Rede sichtlich bis zum äußersten gewachsen ist.

Unwiderruflich! Dies ist das Wort! Und da ich die Größe deiner Verblendung in dieser Szene erkenne, so sei es zu deinem eigenen Besten sogleich und öffentlich hiermit ausgesprochen, so sei es feierlich ausgesprochen vor fremden Zeugen, daß nie und nimmermehr, solange deine Mutter atmet –

WILHELMINE schreiend und aufspringend.
Meine Mutter!
FRAU GOTTSCHED.
Um Gottes willen, Frau Gräfin!
GELLERT.

Halten Sie ein, freveln Sie nicht an der Zukunft, Frau Gräfin! Die Zukunft ist Gottes. Keine Mutter hat das Recht, Gott dergestalt vorzugreifen!


Fackellicht.
6. Szene
[115] Sechste Szene.
Siegmund. Kürassiere. Die Vorigen.
Bei den letzten Worten Gellerts hat sich die Mitteltür angelweit aufgetan. Sie bleibt offen. Man sieht Siegmund inmitten der Tür, durch welche er eintritt. Zwei Kürassiere mit Fackeln hinter ihm bleiben an den Seiten der Tür stehen. Auf dem sichtbaren Vorsaale aufmarschiert Kürassiere, wenigstens acht an der Zahl, die man wegen der deckenden Wand nicht alle zu sehen braucht. Die vier in der Mitte haben die Pallasche blankgezogen, die vier – je zwei – an den Seiten und jetzt nicht sichtbar, haben Karabiner.

GOTTSCHED.
Da ist der Feind! Wir sind überrascht!

Bei Gottscheds Worten: »Da ist der Feind!« fährt alles auseinander. Gottsched bleibt links ganz vorn, dann Frau Gottsched, dann hinten Katharina und Schladritz, dann Siegmund nach der Mitte vorkommend, dann, rechts hinüber weichend, die Gräfin, dann Wilhelmine, dann Gellert, welcher sie aufgehoben und geleitet, dann ganz vorn rechts Cato.
SIEGMUND
langsam vorkommend.

Richtig! der Bäcker hat recht; die ganze Gesellschaft wird wohl beisammen sein. Zu Gellert. Professerchen, es tut mir leid, Sie selber belästigen zu müssen, aber alle Spuren und meine ausgedehnte Order führen hieher. Order muß ich parieren. Der Rüffel von meinem Hauptmann, daß ich mich drüben hätte in die Flucht schlagen lassen, war ohnedies lang genug. Ich muß meine Wachtmeisterehre einlösen damit, daß ich die ganze Gesellschaft abliefere, Mann und Weib, neun Stück in Summa, weil sie alle revoltiert durch Widerstand oder Entweichung. Die Sache wird sehr garstig, aber ich kann meiner Seele nichts dafür.

GELLERT.
Tu Er seine Schuldigkeit, lieber Freund!
SIEGMUND.
Das muß ich!
GELLERT
sehr erregt.

Und erwart' Er von uns nichts anderes als Widerspruch; denn wir sind nicht Seine Untergebenen und gestehen Ihm das Recht nicht zu, in friedliche Bürgerhäuser einzudringen!

SIEGMUND.
Professerchen! –
GELLERT
immer erregter.
Mach' Er fort in seinem Soldaten-ABC, Er hat kein Einsehn in unser Recht! Was soll's?
SIEGMUND
einen Zettel vorziehend.

Professor Gottsched! Näher [116] zu ihm tretend. Haben Sie heut' mittag den Zettel für den Ratsdiener Mohr selbst geschrieben oder bloß unterschrieben?

GOTTSCHED.
Den Zettel? – Unterschrieben.
SIEGMUND.
Richtig. Wer hat ihn geschrieben?
GOTTSCHED.
Mein damaliger Diener, namens Cato.
SIEGMUND.
Der Offizier von der Reichsarmee?
GOTTSCHED.
Ja, Herr von Rothenhain.
CATO.
Hier ist der, welchen du suchest!
SIEGMUND.

Ew. Liebden Respektvoller als bisher und auf ihn zugehend. haben mich zwar bei Roßbach garstig zugerichtet, und ich hatte eigentlich bisher einen leidlichen Grimm gegen Sie, aber als Mann vom Fach kann ich doch den Respekt vor der Tapferkeit meines Feindes nicht ableugnen.

CATO.
Zur Sache!
SIEGMUND.

Ja, die Sache ist's eben, welche mich so mitleidig stimmt für Sie. Ihre Sache steht niederträchtig schlecht! Der kleine Zettel von heute nachmittag hat Sie vollständig in die Patsche gebracht!Allgemeine Aufmerksamkeit. Mein Rapport über die Affäre beim Professor Gottsched vorhin mußte denn auch die kleinen Beutestücke zum Vorschein bringen. Sie bestanden aus einer gedruckten Schrift und dem kleinen Zettel. Sowie der Auditeur das gedruckte Buch sah, schrie er laut auf. Das sei eine streng verbotene kriegsgefährliche Schrift, sagte er, deren Verfasser gesucht werde wie 'ne Stecknadel! Und nun kommt das Unglück für Sie! In demselben Buche, welches bei Ihnen gefunden worden, sind mit Bleistift Anmerkungen eingeschrieben, und wie der Auditeur sagt, Verbesserungen, welche nur der Verfasser selbst geschrieben haben könne. Die Schrift dieser Anmerkungen aber – 's ist ein feiner Kopf! – die Bleistiftschrift sei aufs Haar dieselbe, wie die Handschrift auf dem kleinen Zettel für den Ratsdiener Mohr. Wer also den Zettel geschrieben, der sei auch der Verfasser jener gefährlichen Schrift – Sie also, Herr von Rothenbein oder wie Sie heißen, sind der unglückliche Verfasser jener Schrift!

GOTTSCHED.
Nicht übel!
FRAU GOTTSCHED.
Armer Mann!
WILHELMINE.
O mein Gott!
GRÄFIN.
Da beginnt die Strafe!
GELLERT.
Mein armer junger Freund!
[117]
SIEGMUND.
Ihr Schicksal tut mir leid, aber das geht im Kriege so!
CATO
schmerzlich.

Was hätt' ich noch zu verlieren!Sich wendend. Tut Eure Schuldigkeit, Wachtmeister! Führt mich ab! Achtung! Siegmund richtet sich. Rechtsum! Vorwärts marsch!

SIEGMUND
nachdem er einen Schritt marschiert ist.

Halt, halt! Ich hab ja hier noch die Zivilisten alle aufzurollen! Fünf Mannsbilder und vier Frauenzimmer! Die Frauen zählend. Eins, zwei, drei, vier – die Frauenzimmer sind auf dem Platze –

GOTTSCHED.
Bedien' Er sich passender Ausdrücke, Wachtmeister! Es sind Gräfinnen und meine Gemahlin darunter!
SIEGMUND.

Echauffieren Sie sich nicht. Ich spreche grad' so wie mein General eben gesprochen hat. Just zwei Gräfinnen Manteuffel, weil von einem Manteuffel bei der Reichsarmee die Rede sein solle, auf dem Rathause.

GRÄFIN.
Von meinem Gemahl?!
SIEGMUND.
Weiß nicht; aber was Gutes ist's nicht, das muß ich Ihnen voraussagen.
GRÄFIN.
Allmächtiger Gott!
SIEGMUND.

Nun die Männer! – Da sind nur vier! Holla, wo ist Graf Bolza? Das wär' nicht übel! Zu Gellert. Ehrwürdiger Herr Professor, erschweren Sie nicht die verdrießliche schichte! Allen Anzeichen nach ist der Graf ebenfalls bei Ihnen. Rufen Sie ihn herbei, sonst muß ich, trotz meinem guten Willen für Sie, das Hans von oben bis unten durchsuchen lassen!

GELLERT.

Ich bin Mitglied der Universität und kursächsischer Untertan – rechtmäßig steht meine Behausung keinem fremden Soldaten offen, mein Freund! Ich bin ein friedliebender Mann, mein Freund, aber in meinen vier Pfählen bin ich mein eigner Herr und lasse mir nicht kommandieren durch brutale Gewalt, und lasse mir nichts antasten, so weit ich's hindern kann! Seinen italienischen Grafen liebe ich nicht und schütze ich ungern, aber auch über ihn würde ich solchergestalt unter keiner Bedingung Rede und Auskunft geben, und wenn sich dieser Graf selbst zu mir geflüchtet hätte, so würde ich ihn um keinen Preis ausliefern, darauf kann Er sich, mein lieber Freund und Wachtmeister, verlassen, wie auf ein Evangelium!

SIEGMUND.

Das hilft uns ja alles nicht, Professerchen, ich [118] muß! – Den Teufel auch! Wenn ich den Grafen einbüßte, so ginge mir's hundeschlecht! Der ist ja neben dem jungen Herrn hier Auf Cato zeigend. und etwa noch dem Professor Gottsched die wichtigste Person fürs Kriegsgericht!

GOTTSCHED
leise.
Kriegsgericht!
FRAU GOTTSCHED.
Kriegsgericht?!
SIEGMUND.

Ich kann mir also nicht anders helfen!Nach der Tür sehend und dahinzu kommandierend. Zweiter Zug! Achtung! Man sieht sie zusammenrücken, die Fackelträger treten ganz herein und links und rechts von der Mitteltür an die Hinterwand. Der Graf muß herbei! Nach der Tür links hinten gehend.

GELLERT.
Dort wohnt meine Wirtin, und der Eingang zu ihr ist von außen.
SIEGMUND.
So? – Verschlossen! Ich will aber von hier hinein!
GELLERT
unbeweglich.
Durch meine Hilfe gewiß nicht!
SIEGMUND.
Und jene Tür? Nach rechts zeigend und einige Schritte darauf zugehend.
GELLERT.
Mein Schlafzimmer, nur wenige Schritte lang und breit.
SIEGMUND.
Groß genug zum Versteck – auch verschlossen? – hat auch den Eingang von außen?
GELLERT
scheint heftig sprechen zu wollen, schweigt aber.
SIEGMUND.
Nun? Zu Gellert gehend. Also sogleich zu öffnen!
GELLERT
in großer Bewegung.

Nimmermehr! So wahr ich Gellert heiße, das tu' ich nicht und duld' ich nicht, so weit's auf mich ankommt!

SIEGMUND.

Also! Ich bin am rechten Orte! Nach der Mitteltür sprechend. Zwei Flügelmänner rechts und zwei Flügelmänner links, schultert – Kara biner! Man hört das Geräusch des Schulterns. Rechts und links abgeschwenkt, marsch! Kommen von rechts und links vormarschiert und stehen bei »Halt!« einander gegenüber vor der Tür, also seitwärts gegen das Publikum. Halt! Front! Machen Front gegen die Szene. Vorwärts marsch!Marschieren ins Zimmer. Halt! Zwei Mann hieher! Zeigt auf die Tür links, zwei Kürassiere stellen sich auf mit dem Gesicht gegen die Tür links. Zwei Mann hieher! Die Tür rechts zeigend und die zwei Mann hinweisend. Er kommandiert vorn auf dem Theater stehend mit dem Rücken gegen das Publikum. Macht Euch fertig zum – Feuern! Sie nehmen ihre Karabiner in Arm, untersuchen die Pfannen und ziehen auf.

[119]
GELLERT.
Entsetzlicher Mensch!
FRAU GOTTSCHED.
Mein Gott!
GOTTSCHED.
Brutal!
GRÄFIN.
Gott steh' uns bei!
SIEGMUND.
Da man die Schlösser nicht aufschließen läßt, so laß ich sie aufschie ßen!
GELLERT.
Barbarischer Mensch, und dort vielleicht meine Mietsfrau erschießen, und hier –
CATO
rasch leise zu Gellert.

Ist der Graf in dem kleinen Zimmer, so wird er ja wahrscheinlich auf diese Weise erschossen. Schlimmeres kann ihm ja auch im schlimmsten Falle vor einem Kriegsgerichte nicht widerfahren. Ist er drin?


Man hört von der Seite der Fenster einen vollen Trommelmarsch aus der Ferne von der Straße herauf.
GELLERT
leise.
Freilich! und 's ist ja gar nicht verschlossen!
SIEGMUND.

Da rückt Infanterie ein; nun haben wir Reiter Eile, abzumachen, was wir angefangen – Achtung! Schlagt an!

ALLE.
Nein! Halt!
GELLERT.
Haltet ein um Gottes willen!
CATO
während jener Worte schon nach hinten gehend, kommandiert.
Setzt ab! –
BOLZA
tritt bei »Gottes willen« aus der Tür bis in die Mitte vor.
Ich danke Ihnen, Herr Gellert – führt mich vor Euren Chef!
SIEGMUND.
Hahn in Ruh! Vorwärts!
GELLERT
in größter Aufregung.

Nun, so möge mir Gott verzeihn, wenn ich das nicht geduldig und christlich ertrage; mit meiner Geduld ist's am Ende, und ich werde reden, Siegmund ist einen Schritt vorgekommen, erstaunt über den Professor, und dieser ist einige Schritte auf ihn zugegangen und greift ihn jetzt einen Augenblick an dem Bandelier der Patrontasche oder am Arme. dreister Kriegsmann, gegen Gewalt, so laut ich mit meiner Stimme reden kann und wär's auf dem Markte. Verstehst du mich, Mann der zudringlichen Gewalt?!Sich rasch umwendend. Kollege Gottsched! empfinden Sie die Erniedrigung, welche man uns antut, uns friedlichen Bürgern, stillen Männern edler Wissenschaft, empfinden Sie die Erniedrigung, wie ich sie empfinde –

GOTTSCHED
ihn mit starker Stimme unterbrechend, dabei aber seine Frau ansehend.
Ich empfinde sie in voller Größe und Gewichtigkeit und bin auf alle Gefahr hin bereit.
[120]
GELLERT
fortwährend zum eifrigsten Sprechen bereit und Gottsched unterbrechend.

Recht so! Ihre Hand! Faßt zu. Auf alle Gefahr hin bereit dagegen aufzutreten, sei's vor Kaiser und Reich!

GOTTSCHED.
Sei's vor Kaiser und Reich!
GELLERT.
Ja, sei's vor einem Kriegsheere, welches tausend Feuerschlünde auf uns gerichtet hielt.
CATO
vortretend und Gellerts linke Hand ergreifend.
Die Sicherheit im deutschen Bürgerhause zu vertreten!
GELLERT.
Zu vertreten, solang' ein lebendiger Odem in uns ist!
CATO.
Vorwärts!
GELLERT
sich wendend, indem er Gottscheds Hand losläßt, Hut und Stock nehmend.

Vorwärts! Und nicht Ihr Soldaten sollt uns aufs Rathaus führen, nein, wir Bürger wollen Euch führen in das Haus unsers Rates und unsers Rechtes, wo Ihr uns verhöhnen und mißhandeln könnt, wo Ihr aber hören sollt, was Rechtens ist für einen deutschen Bürgersmann!

CATO.
Vorwärts!
GOTTSCHED.
Vorwärts!
GELLERT.
Vorwärts!

Der Vorhang fällt.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Gottsched, Frau Gottsched, Katharina, Schladritz, sämtlich auf der linken Seite stehend. Rechts Gellert und Cato; ebenfalls rechts vorn: Bolza, Gräfin, Wilhelmine. Später Siegmund.
Pause nach dem Aufgehen des Vorhangs.

GOTTSCHED
mit dem Stocke aufstoßend und dann auf und nieder gehend.

Diese Unwürdigkeit wird doch aber unerträglich! Man läßt uns hier warten wie Dienstboten – Nach hinten rufend. Holla!

FRAU GOTTSCHED.
Lieber Gottsched, sei vorsichtig und erbittre unsre Widersacher nicht noch mehr!
GOTTSCHED
sich rasch nach ihr wendend.

Vorsichtig! So? Vorsichtig! Vor einer Stunde wußtest du, ich sei schier furchtsam, und jetzt soll ich auf einmal unvorsichtig sein! Wer auf Weiber hört, dessen Weg wird ein Zickzack –! Vorsichtig sei man, solange die Lage zweifelhaft, Madame! Ist sie einmal unzweifelhaft schlimm und gefährlich wie die unsrige, dann sei man wie ein Schwert! Das, Madame, war stets meine Meinung, die Meinung Ihres Gemahls den Sie nicht zu würdigen wußten!Geht nach hinten und ruft. Wachtmeister Siegmund!

FRAU GOTTSCHED.
Gottsched!
SCHLADRITZ.

Der Wachtmeister ist tück'sch, Herr Professor, hetzen Sie ihn doch um Gottes willen uns nicht noch ärger auf den Hals! Man weiß ja ohnedies nicht mehr, wo man vor Angst die Hände und Füße lassen soll –

GOTTSCHED
stößt nach Schladritz zu heftig mit dem Stocke auf, blickt aber doch halb besorgt rechts nach hinten.
SCHLADRITZ
vor dem Aufstoßen erschreckend.

Na – wir sind ja nicht zu Hause, Herr Professor! Machen Sie uns doch nicht noch unglücklicher durch solchen Spektakel! Zu Katharina. 's ist wahr!

SIEGMUND
kommt rechts aus dem Vorzimmer – auf dieser Seite wird das Zimmer des Auditeurs gedacht – und kommt langsam näher, während Gottsched nach vorn zurückgeht.
GOTTSCHED
mitten auf der Bühne.
Wozu sind wir hier? Wo ist Seine Behörde, auf welche Er sich so martialisch berufen hat?
[122]
SIEGMUND.

Herr Professor, 's sollte mir lieb sein, wenn Sie später so befehlshaberisch und protzig aus diesem Saale gehen könnten!

GOTTSCHED.
Was?
CATO.
Warum läßt uns General Seydlitz so lange warten!
SIEGMUND.
Weil er nicht mehr in Leipzig ist.
GOTTSCHED.
Was?
CATO.
Wie?
GELLET.
Nicht mehr in Leipzig?
FRAU GOTTSCHED.
Fort?!
GRÄFIN.
Wie?!
SCHLADRITZ.
Gott Lob und Dank!
SIEGMUND.
Freuen Sie sich nicht zu früh; die Sache ist vielleicht noch schlimmer geworden.
CATO.
Wo ist der General?
SIEGMUND.

Wie wir vorhin aus des Professors Quartier rückten, kam doch Infanterie. Es sindNach den Wachen zeigend. wie Sie an den gefürchteten Blechmützen sehn, Grenadiere von der Garde, welche den Prinzen zu begleiten pflegen.

CATO, GELLERT UND GOTTSCHED. Den Prinzen Heinrich?

SIEGMUND.

Den man jeden Augenblick in Leipzig erwartet; General Seydlitz ist ihm entgegengeritten mit dem Stabe.

GOTTSCHED.
Viktoria!
GELLERT.
Das wäre ein Glück!
CATO.
Das wäre entscheidend!
GRÄFIN.
Der Prinz selber!
GOTTSCHED.
Viktoria! Nun hat Euer brutales Reiterwesen ein Ende!
SIEGMUND.

Viktoria! Ich will's Ihnen wünschen. Es sieht aber gar nicht danach aus. Unser Prinz ist gerecht, aber streng, und bei seiner Armee muß was Fatales passiert sein: seine Ankunft hier ist unerwartet, seine Grenadiere sind zu Wagen angekommen, unser ganzer Stab ist wie verdutzt, und General Seydlitz ist ihm vorhin auf dem schlechten Pflaster die Grimmsche Gasse 'naus entgegengejagt, als ob sein Pferd die Knochen gestohlen hätte, und kreuz-grimmig hat er dabei ausgesehn, kurz also: es spukt und wetterleuchtet [123] sehr verdächtig, und dies ist das größte Unglück für Sie und Ihren Prozeß, denn nun wird der Prozeß im Sturme, also gottsjämmerlich, für Sie abgemacht. Sie aber, Herr Professor Viktoria, sind gerade am allerschlimmsten dran, wenn draußen im Kriege was vorgefallen ist!

GOTTSCHED.
Warum denn ich?
FRAU GOTTSCHED.
Warum denn gerade er, lieber Wachtmeister!
SIEGMUND.

Dort drinnen Nach rechts hinten deutend. sitzt erstlich der Auditeur, welcher die Anklagen gegen Sie alle notiert hat, – der einzige Federfuchser unter uns! – Und dort drinnen steckt fürs zweite noch jemand, der schlecht paßt zu Ihrer Viktoria und dem Prinzen Heinrich!

FRAU GOTTSCHED UND GOTTSCHED.
Wer?
CATO UND GELLERT.
Was?
SIEGMUND.
Ich will Ihnen das Geschöpf zeigen!

Geht nach hinten bis an die Tür rechts und winkt rechts hinüber. Es erscheint Gottfried, den er an der Schulter einige Schritte vorzieht.
2. Szene
Zweite Szene.
Gottfried. Die Vorigen.

FRAU GOTTSCHED.
Gottfried!
GOTTSCHED.
Gottfried – gefangen!
BOLZA.
Der Reitknecht gefangen!
FRAU GOTTSCHED.
Allmächtiger Gott – Gottsched und Bolza ansehend. unser Brief!
GOTTSCHED
leise.
Jawohl!
GRÄFIN.
Du bist auch gefangen, Gottfried, was heißt das?
SIEGMUND.
So heul' Er nicht, und red' Er!

Zieht sich nach hinten.
GOTTFRIED.
Ja doch!
GOTTSCHED.
Unglücklicher! Du bist so ungeschickt gewesen, dich fangen zu lassen!
GOTTFRIED.

Na heeren Se, und da heeßen Se mich och noch ungeschickt, und Se sein doch schuld an meinem Malhör! Die Herrn Kürassiere sagen, Gott verzeih mir die Sünde, ich würde gehenkt!

[124]
GRÄFIN.
Wieso denn?
GOTTSCHED.
Sprech' Er doch leise!
BOLZA
leise.
Hat Er den Brief abgegeben an die Preußen?
GOTTFRIED.
Ne, abgegeben hab ich ihn nicht.
GOTTSCHED.
Gott sei Dank!
BOLZA
leise.
Er hat ihn also noch?!
GOTTFRIED.
Ne, haben tu ich ihn och nicht mehr!
GOTTSCHED.

Göttlicher Gottfried, wer hätte dir die Einsicht zugetraut! Leise. Du hast also den Brief, der uns jetzt in Lebensgefahr bringen könnte, beiseite gebracht!

BOLZA.
Wahrhaftig? Ja?
GOTTFRIED
sieht beide dumm fragend an.

Als wie den Brief? Ne, mich haben sie bald auf die Seite gebracht, die Herrn Kürassiere! Herr Jeses, ich bin ja nur bis an die Griene Schenke 'naus gekommen, da begegneten sie mir schon und kriegten mich beim Schlafittchen, ach, wenn das meine Mutter erfährt!

GOTTSCHED.
Der Brief!
BOLZA.
Der Brief! Wo ist er hin?
GOTTFRIED.
Ach, der hat keenen Schaden gelitten.
GOTTSCHED.
Wo ist er?
FRAU GOTTSCHED UND BOLZA.
Wo ist er?
GOTTFRIED.
Wo er ist? Na Auf das Zimmer des Auditeurs weisend. da drin –
GOTTSCHED UND FRAU GOTTSCHED.
Dort –
GOTTSCHED.
Kerl, du sagst ja, du hattest ihn nicht abgegeben!
GOTTFRIED.
Ne doch, abgenommen haben sie mir 'n!

Pause.
Gottsched und Bolza an ihre Plätze zurück.
GRÄFIN.
Ist der Brief an mich, und steht etwas Gefährliches darin?
GOTTSCHED.
An den kaiserlichen General Serbelloni ist er gerichtet –
FRAU GOTTSCHED.
Und das Gefährlichste steht darin!
GELLERT.

Fassung! Man wird, man muß ein Einsehen haben bei Bürgersleuten, welche im Kriege nicht offiziell beteiligt sind!

GOTTSCHED.

Keine Verblendung jetzt am äußersten Punkte! Erinnern Sie sich, Gellert, unsrer Leipziger Abgeordneten, des [125] Kammerrat Hohmann, der Kaufherrn Winkler, Konrad, Gebrüder Richter und wie sie weiter heißen, welche wegen der Kriegsschatzung, so Leipzig zahlen mußte, billige Vorstellungen machten? Sie waren in gutem bürgerlichen Rechte; denn die Schatzung war so hoch, daß unsre Enkel noch werden zahlen müssen an der Schuld, und was geschah ihnen wegen der billigen Vorstellung? Sie wurden mit Todesstrafe bedroht! Erinnern Sie sich des Ministers Wackerbarth? Er wurde nur verdächtig und ward plötzlich aufgehoben und hin weggeführt in die Festung Küstrin. Haben wir nicht alle den Grafen Seckendorf draußen in Meuselwitz gekannt? Als bescheidener Privatmann lebte er da, ein Greis, und ward als verdächtig angeklagt und verschwand wie ein Meteor hinter den Festungswällen von Magdeburg!

FRAU GOTTSCHED.
Gottsched! Siegmund hinten hinaus.
GOTTSCHED.

Jetzt ist der Augenblick gekommen, Madame, zu stehen oder zu fallen. Weil ich die Gefahr übersah, durfte ich schwanken, solange noch Mittel vorhanden waren, dem wirklichen Zusammenstoße auszuweichen – was ein Weiberverstand leicht mißdeutet. Nun aber gilt's! Zeigen wir der Welt, daß die Männer der Wissenschaft auch Männer von Charakter sind!


Man hört Geräusch links von der Straße herauf und sieht hinten im Vorsaale Bewegung. Gellert und Cato eilen ans Fenster.
GELLERT
im Hinübergehn.
Es wird lebendig unten!

Man hört einen sehr vollständigen Trommelwirbel auf der linken Seite.
SIEGMUND
von hinten hereinkommend.

Der Prinz kommt! Treten Sie auf die Seite Die rechte ist gemeint. hinüber! Er wendet sich wieder nach hinten.

CATO
am Fenster.
Das ist er!
GELLERT
ebenfalls hinaussehend.

Jünger und freundlicher als der König! Welch ein schönes Roß, dieser Schimmel, und so ruhig bei all dem Lärmen und Lichtschimmer!


Neuer Trommelwirbel.
SIEGMUND
wieder hereinkommend.
Herr Professor Gellert, da hinüber! Der Prinz kann jeden Augenblick hier eintreten!
GELLERT.
Ja doch! Geht nach rechts hinüber mit Cato.

Bei den Worten »hier eintreten« erscheinen hinten inmitten des Vorsaals von links einige Soldaten mit Fackeln; die übrigen Soldaten haben sich rangiert, voran die Trompeter, und sowie die Fackelträger erscheinen, blasen die Trompeter [126] Fanfare. Während der Fanfare tritt von links inmitten des Vorsaales Prinz Heinrich ein und schreitet auf die Türe zu.
3. Szene
Dritte Szene.
Die Wachen vor dem Vorzimmer präsentieren. Vor dem Prinzen schreiten zwei Gardisten mit Armleuchtern, welche sie auf den Tisch setzen, dann die Adjutanten Wedell und Zastrow. Wedell in Uniform der Garde, ähnlich der des Prinzen; Zastrow in Uniform der Seydlitzer Kürassiere. Sie treten an die zehn Schritte voraus vor dem Prinzen in den Saal, postieren sich an beide Seiten der Tür und strecken ihre Stöcke von sich. Ihnen folgt der Prinz. Hinten auf dem Vorsaale kommen Ratsherren, welche auf dem Vorsaale stehen bleiben. Die Grenadiere stellen sich, nachdem der Prinz herein ist, mitten vor die Türe des Vorzimmers und halten ihre Gewehre mit ausgestrecktem Arme zur Seite auf dem Fußboden aufgestützt.

PRINZ HEINRICH
sobald er in die Tür getreten zu dem an der rechten Türseite stehenden Wedell.

Leutnant von Wedell! Ich lasse die Herren von Leipzig bitten, mich zu erwarten. Drücken Sie ihnen meine Erkenntlichkeit aus für den Eifer, mir zum Freiberger Siege Glück zu wünschen, und entschuldigen Sie in meinem Namen die Verzögerung. Generalleutnant von Seydlitz hätte aber ein Geschäft vorbereitet, welches die Leipziger Herren nahe angehe, und welches ich erst erledigt sehn wollte, eh' ich mit ihnen spräche.

Einige Schritte vorschreitend, nachdem er eine verabschiedende Bewegung mit der Hand gemacht, und darauf Wedell sich gewendet hat und abgegangen ist. Während des Folgenden sieht man, das Wedell die Leipziger Ratsherren draußen nach rechts hinüber verweist. Der Prinz spricht, fast ohne zu pausieren, weiter. Rittmeister von Zastrow! Zastrow tritt hastig heran zur linken Hand des Prinzen. Sogleich eine reitende Ordonnanz nach der Dresdner Heerstraße hinaus, wo General Seydlitz noch zu finden sein wird – doch nein! kontremandiert! – die Auswahl rascher Pferde ist hier leichter. Ist jemand zur Hand, der die Pferde Eures Regiments genau kennt?

ZASTROW.

Königliche Hoheit, Wachtmeister Siegmund hat sämtliche Kampagnen dieses Krieges beim Regimente mitgemacht und gilt für besonders kundig in Beurteilung der Meriten eines Rosses.

PRINZ.
Soll herkommen! Geht wieder einige Schritte vor.
ZASTROW
geht nach der Tür und winkt schon von weitem Siegmund, der dort im Vorzimmer steht, rechts nach dem Eingange zum Auditeur zu.
[127]
SIEGMUND
sehr rasch, so daß er schon herankommt, während der Prinz noch schreitet, zur Linken des Prinzen, da Zastrow zurückbleibt.
Königliche Hoheit, zu Befehl!
PRINZ
ihn anblickend.
Aha, du bist's, alter Bekannter von Roßbach! Schlesisch Blut!
SIEGMUND.
Aus dem Gebirge, Königliche Hoheit.
PRINZ.

Suche die sechs schnellsten Pferde aus dem Regiment, und die sechs leichtesten Reiter. Sie sollen ohne Küraß reiten, und sollen Station nehmen von hier nach Wurzen. Ich erwarte über Wurzen Kuriere von Dresden. Deren Briefschaft sollen sie in Beschlag nehmen und in gestrecktem Galopp hierherbringen. Je drei! verstehst du? Die anderen drei warten, ob der zweite Kurier komme, und tun alsdann desgleichen. Verstanden?

SIEGMUND.
Zu Befehl, Königliche Hoheit!
PRINZ.

Marsch! Siegmund macht Kehrt und geht zur Tür rechts hinaus in den Vorsaal. Rittmeister von Zastrow! Tritt heran. Es ist den Regimentern unter meinem Kommando und insbesondere der Kavallerie befohlen, sich möglichster Schonung zu befleißigen gegen die Einwohner des Landes, namentlich in Sachsen; denn gerade Sachsen leidet am schwersten von dem langen Kriege. Die Sachsen sind unsre Landsleute, wenn sie auch unter andrer Regierung stehen. Euer Chef sagt mir von auffallenden Widersetzlichkeiten hier am Orte, welche zur Untersuchung vorliegen. Sind Ihm, Zastrow, Exzesse bekannt von Seinem Regimente, Exzesse, welche die hiesigen Einwohner gereizt haben könnten?

ZASTROW.
Nein, Königliche Hoheit.
PRINZ.

Ich sehe aber hier Sich nach dem Vorsaale umsehend. zum Beispiel, daß Ihr im Rathause auf dem blauen Fußboden Feuer anzünden laßt, welche das Haus und die Stadt gefährden können?

ZASTROW
sieht wie um Unterstützung bittend auf Wedell, der schon bei Siegmunds Abgange wieder links eingetreten ist.
WEDELL.
Königliche Hoheit: der Fußboden ist mit Quadersteinen gepflastert –
PRINZ.

Rittmeister von Zastrow! Hat der Auditeur des Regiments die Vergehungen qualifiziert, von welchen General Seydlitz sprach?

ZASTROW.
Zu Befehl, Königliche Hoheit.
PRINZ.

Laß Er sich das Papier ausliefern, und halt' Er mir Vortrag. Ich kann draußen die Herren von Leipzig nicht mit fröhlichem [128] Gewissen sprechen und kann ihre Glückwünsche nicht wohl in Empfang nehmen, solange Leipziger Einwohner unter schwerer Anklage harren. Es sollen sogar, wie mir Seydlitz sagt, Professoren unter den Angeklagten sein –

ZASTROW.
Zwei, Königliche Hoheit.
PRINZ.
Den Vortrag!
ZASTROW.

Zu Befehl, Königliche Hoheit! Ab nach rechts in das Zimmer des Auditeurs. Wedell bleibt hart an der Tür, so daß außer der rechten Seite die ganze Bühne frei ist.

PRINZ
geht nach dem Tisch, dann quer über die Bühne, so daß er vor die Damen kommt.

Dort lüftet er den Hut, sich nach hinten wendend. Behalten Sie Platz, meine Damen! Diese verneigen sich nur ohne sich zu setzen. Er geht nach hinten auf Wedell links zu. Als er etwas über die Mitte der Bühne gekommen, präsentiert sich rechts im Vorzimmer Siegmund militärisch. Der Prinz macht ihm eine Bewegung mit der Hand, welche ausdrücken soll: es sei gut, er geht dann weiter nach links hinten. Siegmund macht Kehrt und verschwindet im Vorsaale. Der Prinz wendet sich hinten vor Wedell und kommt auf den Tisch zu, rückt sich den Stuhl rechts vor den Tisch und setzt sich, Hut und Handschuhe langsam auf den Tisch legend.

ZASTROW
mit einem langen Portefeuille tritt von rechts ein, als der Prinz nach vorn geht, und wendet sich hinter dem Prinzen nach der Kulissenseite des Tisches, den Stuhl, welchen er nicht benützt, zur Seite schiebend.

Er hält einen Bleistift in der Hand, schlägt das Portefeuille auf und beginnt auf einen Handwink des Prinzen daraus zu lesen. Erstens. Graf Bolza. Ausländer. Gefährlicher kaiserlicher Parteigänger. Im Rücken des Heeres tätig auf dem Erzgebirge und in Leipzig, den Kaiserlichen Nachricht und Ratschläge zu geben. Blank erwiesen in der aufgefangenen Depesche an General Serbelloni. Ohne Umstände Standrecht über ihn zu halten; zu erschießen. Bewegung des Schreckens auf der rechten Seite. Zweitens. Friedrich von Rothenhain. Ausländer. Offizier der Reichsarmee in Zivilkleidern im Rücken des Heeres tätig. Verfasser einer aufrührerischen Druckschrift, mit blankem Degen widersetzlich bei der Verhaftnahme. Standrecht; wahrscheinlich zu erschießen.


Noch größere Bewegung auf der rechten Seite.
PRINZ
sich halb noch Zastrow wendend.
Wie lange ist der Auditeur beim Regiment?
ZASTROW.
Seit der Affäre bei Kunersdorf.
PRINZ.
Weiter!
[129]
ZASTROW.

Drittens. Professor Numero Eins. Inländer. Rädelsführer einer respektswidrigen und gefährlichen Protestation von Gelehrten. Abfasser eines verräterischen Schreibens an den feindlichen General Serbelloni, Hehler des Grafen Bolza und des Offiziers von der Reichsarmee. In naher Verbindung mit der sächsischen Linie von Manteuffel. Vor ein Kriegsgericht zu stellen. Festung erster Klasse. Bewegung rechts. Besonders Frau Gottsched ihre teilnehmende Bestürzung gegen Gottsched ausdrückend. Viertens. Professor Numero Zwei. Ausländer. Mitunterzeichner der gefährlichen Protestation. Ebenfalls Hehler des Grafen Bolza und zwar offen widersetzlicher. Kriegsgericht. Festung zweiter Klasse Teilnahme für Gellert rechts. Fünftens. Gräfin von Manteuffel. Sie fährt auf. Ausländerin. Gattin des bei Freiberg entdeckten Manteuffel. Der Mitwissenschaft verdächtig an dortigen hochgefährlichen Umtrieben von Manteuffels. Unterstützter Verdacht durch ihren Reitknecht, welcher unkundig Spionsdienste verrichten sollte zwischen Leipzig und den österreichischen Vorposten. Vor ein Kriegsgericht!

WILHELMINE
leise.
Mutter!
ZASTROW
ohne Unterbrechung fortfahrend.

Sechstens. Siebentens. Achtens. Dienerschaft. Sämtlich Ausländer. A. Selbiger Reitknecht. Als sehr dumm erkannt und nicht zurechnungsfähig. In Gnaden zu entlassen mit einem Denkzettel.

SCHLADRITZ
leise.
Der kann lachen!
ALLE
rechts.
Pst!
ZASTROW
sich einen Augenblick umsehend, dann ohne Unterbrechung fortfahrend.
B. Männlicher Diener des Professor Numero Eins. Als sehr naseweis erkannt – angemessene Spießruten.
SCHLADRITZ
vortretend.
Als wie ich?!
ALLE
auf der rechten Seite.
Pst!
ZASTROW
wie oben.

Weiblicher Diener. Als wohlgesinnt bekannt im Regiment. Mit einem Verweise zu entlassen. Befehlen Königliche Hoheit, daß der Auditeur dies Brouillon mündlich ergänze?

PRINZ.

Ist nicht nötig. Ich kenne durch den Generalleutnant den Zusammenhang der Anklage. Steht auf. Wer ist Graf Bolza?

BOLZA
drei Schritte vortretend.

Ich bin's, zu Eurem Befehl, Königliche Hoheit, und mit der Bitte, mir einige Worte der Rechtfertigung zu gestatten!

PRINZ.
Das versteht sich von selbst.
[130]
BOLZA.

Nun dann, Königliche Hoheit, kann ich das Wort Rechtfertigung sogleich zurücknehmen. Ich habe mich nicht zu rechtfertigen; denn ich habe nichts Unrechtes getan, es müßte denn ein Unrecht sein, daß ich nicht in diesem Lande geboren, und daß ich der Sohn eines Mannes bin, welcher vor dem Kriege zum Ärger der Sachsen wohlhabend geworden ist. Was trag' ich dabei für Schuld? Oder welche Schuld trag' ich den Preußen gegenüber? Als dieser Krieg begann, war es eine ihrer ersten Anordnungen, daß die Meißner Fabrik, deren Ausbeute man uns so sehr zum Vorwurf macht, uns gewaltsam abgenommen und preußischer Verwaltung übergeben wurde! War es also verwunderlich, daß wir unser Geschick und unsre Wünsche an die Waffen der Kaiserlichen knüpften? Das Gegenteil wäre wunderlich. Welche zivilisierte Armee straft Wünsche, die sich nicht in Taten äußern?! Ich bin nirgends tätlich gegen die Preußen aufgetreten!

PRINZ.

Dieser hochfahrende Ton ist Ihrer Sache nicht günstig. Sie wären jetzt viel weniger gefährdet, wenn Sie offen tätlich auf dem Schlachtfelde uns entgegengetreten wären. Hinter unsrer Armee sind Sie zu finden gewesen mit Ihrer Tätigkeit, die mir aus dem Erzgebirge gar wohlbekannt ist. Zu den Übrigen rechts. Ist hier jemand, der einen haltbaren Grund anzugeben wüßte für die Anwesenheit dieses Mannes in Leipzig?

FRAU GOTTSCHED
scheint sprechen zu wollen, spricht aber nicht.

Kurze Pause.
PRINZ.

Sie sehen mich sogar geneigt, Entschuldigung anzunehmen, welche von Mitangeklagten ausginge. Aber es ist niemand vorhanden, der sich Ihrer anzunehmen wagte!

FRAU GOTTSCHED
tritt zwei Schritte vor.
Doch! Königliche Hoheit! Ich wage es, mich des Grafen Bolza anzunehmen!

Allgemeine Bewegung.
GOTTSCHED
halblaut.
Adelgunde!
GELLERT
desgleichen.
O wie brav!
FRAU GOTTSCHED.

Ich kenne den Grafen Bolza aus dem Zirkel unsers gnädigen Kurprinzen in Dresden, und ich kann bezeugen, daß der Graf Bolza hierher kam in Angelegenheiten – des Herzens. – Eine – Dame zu sehen, welche der Krieg von ihm getrennt, erschien er erst heute vormittag in Leipzig

GOTTSCHED
halblaut.
Frau!
[131]
WILHELMINE
scheint vortreten zu wollen.
PRINZ.

Hätte man wirklich recht mit dem Vorwurfe, daß die deutschen Frauen den verweichlichten Franzosen und Italienern so gern ihre Gunst gewährten!

WILHELMINE.
Aber ich lieb' ihn gar nicht, Königliche Hoheit!
GRÄFIN.
Wilhelmine!
BOLZA.
Komtesse!
WILHELMINE.

Seien Sie gnädig, Königliche Hoheit, schicken Sie ihn ungestraft nach Italien! Ich wünsche ihm alles Gute und vor allem eine glückliche Reise.

GRÄFIN.
Wilhelmine!
CATO
ein wenig zwischen den Übrigen vortretend, um sich Wilhelminen bemerkbar zu machen, winkt ihr ermunternd zu.
WILHELMINE.

Vergeben Sie meine Offenherzigkeit, königlicher Herr, aber ich habe gar keine andre Aussicht mehr als die Hilfe eines so mächtigen Herrn wie Sie, welcher bei aller Kriegsstrenge so milde schaut und so gnädig spricht.

GRÄFIN.

Ich verbiete dir, Wilhelmine, weiter zu sprechen! Es ist deines Namens unwürdig, auf offenem Rathause deine kindischen Liebeswünsche mitzuteilen.

PRINZ
tritt einen Schritt auf alle zu und macht eine zurückweisende Bewegung mit der Hand, worauf alle wieder in die frühere Reihe an der Wand rechts zurücktreten.

Dann spricht er mit lächelnder Ironie. Es ist durchaus nicht meine Absicht und nicht meines Amtes: Vertrauter und Schiedsrichter zu werden in Liebesangelegenheiten. An seinen Stuhl zurücktretend, ganz ernsthaft. Ist der heut' aufgefangene Brief zur Hand an den General Serbelloni?

ZASTROW.
Zu Befehl! Überreicht ihn aus dem Portefeuille offen ausgebreitet.
PRINZ
sieht einen Augenblick hinein, dann wendet er sich plötzlich und geht bis an die Mitte des Theaters, auf Cato blickend.
Sie sind wohl der von Rothenhain?
CATO
vortretend.
Zu Ihrem Befehle, Königliche Hoheit!
PRINZ.
Sie haben sich erdreistet, mir eine aufrührerische Flugschrift einzusenden. Allgemeines Erstaunen.
GOTTSCHED
leise.
Einzusenden!
GELLERT
desgleichen.
Einzusenden!
WILHELMINE
desgleichen.
Armer Fritz!
[132]
CATO.

Eine Flugschrift einzusenden, ja. Für aufrührerisch halte ich sie nicht, sonst hätte ich nicht gewagt, sie Eurer Hoheit vorzulegen.

PRINZ.

Wie weit geht die Anmaßung der jetzigen Jugend? Kein bestehendes Verhältnis, kein Untertanenverband wird respektiert, und kühnlich wird doch hinzugesetzt, dergleichen verwegene Schimäre sei nicht aufrührerisch.

CATO.

Verzeihung, Königliche Hoheit, wenn ich dennoch gegen dies Wort protestieren muß. Einen Schritt weiter tretend. Ich habe die Schrift Eurer Hoheit eingesandt, weil ich versichert zu sein glaubte, Ihr hoher politischer Standpunkt und Ihr deutsches Herz würden das Ungewöhnliche darinnen – was Sie jetzt schimärisch nennen – zu würdigen wissen. Denn die Grundzüge der Schrift sind erwachsen Mit erhöhter Stimme. aus den Taten des Königs Friedrich! König Friedrich kann sie nicht aufrührerisch nennen!

PRINZ
drei Schritte gegen das Publikum vorgehend.
Nicht übel!
CATO
folgt ihm, übrigens in seiner Entfernung verbleibend, diese drei Schritte.

Ich habe ein Recht zu dieser Folgerung, Königliche Hoheit. Unser Vaterland ist seit dem Dreißigjährigen Kriege tief zerspalten, und innerhalb dieser Spaltungen sind die politischen Rechtsverhältnisse schwankend geworden. Denn unser Kaisertum beherrscht sie nicht mehr. Dies hat man tausendfach zum Nachteil Deutschlands ausgebeutet. Endlich überrascht uns ein genialer König. Sein Ursprung ist deutsch, sein Land ist deutsch, seine Taten entrollen sich wie Donner Gottes zu Deutschlands Ruhme. Die Be weggründe dieses Königs, die Beweggründe seiner Taten wurzeln in einer – kühnen Deutung jener schwankend gewordenen Rechtsbegriffe in Deutschland, und er, dieser kühne Held oder sein ihm zunächst stehender Bruder, sie könnten es anmaßend schelten, wenn die Jugend auf dem gegebenen neuen Grunde neue Pläne entwerfen mag zu Deutschlands Größe?! Sie könnten fordern, daß die Neugestaltung Deutschlands nur ihnen allein zustehe? Ihnen allein und nicht jedem Deutschen? Gewiß nicht. Ich habe gesagt, daß es keinen großen König von Preußen geben kann ohne Deutschland, und ich werde dies Wort vertreten bis zu meinem Tode!


Kurze Pause.
PRINZ.
Das wird auch nötig sein.

Kurze Pause.
[133]
WILHELMINE.
O seien Sie ihm gnädig, königlicher Herr, er ist ein guter Mensch!
PRINZ
Wilhelmine und Cato einen Augenblick ansehend.

So? Nachdrücklich. Ich habe gesagt, daß die Vertretung solcher Grundsätze mit Lebensgefahr verknüpft ist, und – Schwächer. ein trauriger Beweis Auf die Gräfin sehend. dafür liegt uns nur zu nahe. Einen Schritt auf die Gräfin zugehend. Nicht wahr, Madame, Sie sind die Frau Gräfin von Manteuffel?

GRÄFIN
etwas erschrocken.
Diese bin ich, zu Eurer Hoheit Befehl.
PRINZ.

Ihr Herr Gemahl kämpft gegen uns in Reih und Glied; Ihre Dienerschaft wird betroffen auf Handlangerdienst, welcher dem Verdachte der Spionerie ausgesetzt ist!

GRÄFIN
stolz.

Königliche Hoheit, das letztere ist die Mißdeutung eines Zufalls und was das übrige anbelangt, so hab' ich nie geleugnet, daß die Familie Manteuffel feindlich gesinnt ist gegen das preußische Haus Hohenzollern!

PRINZ.

Gott sei Dank, dem ist nicht also. Das preußische Haus und Land zählt Herren von Manteuffel unter seinen glorreichsten Verteidigern. Dies ist aber das Herzeleid! Parteinahme hat selbst die bravsten Familien zerspalten. So wenig weiß Deutschland, Zu Cato. junger Mann, von wo ihm Kraft und Zukunft erblühen mag. Frau Gräfin von Manteuffel, Ihr Herr Gemahl ist gefangen!

GRÄFIN.
Gerechter Gott!
WILHELMINE halblaut.
Mein Vater!
FRAU GOTTSCHED
desgleichen.
Der Graf!
GOTTSCHED
desgleichen.
Auch gefangen!
CATO
desgleichen.
Auch er!
PRINZ.

Gott ist gerecht; denn Ihr Gemahl hatte es um uns verdient. Er kämpfte nicht bloß in Reih' und Glied, sondern mit den giftigen Waffen der Intrige. In seinem Gepäck wurden Papiere gefunden, welche die undeutschesten Verabredungen mit Frankreich und Rußland enthalten, und welche – sein Leben verwirken!

GRÄFIN.
O Tag des Jammers!
WILHELMINE.
Liebe Mutter – o königlicher Herr!

Kurze Pause.
Der Prinz geht während derselben zu seinem Stuhle zurück; die übrigen sind [134] wieder mehr in geordneter Reihe; auch Cato ist wieder mehr zurückgetreten; steht aber noch etwas vor.
PRINZ
zu Cato.

Da sehen Sie, junger Mann, wohin es führt, wenn sich jeder selbst seine politischen Maximen bilden und sie auf eigene Faust verwirklichen will – zu schimpflichem Tode kann es führen!

GRÄFIN
fährt zusammen.
CATO.

Ich kann nicht einräumen, daß dies meiner Lage entspreche. Frankreich und Rußland, das wirkliche Ausland, hereinzuziehen, ist himmelweit verschieden von dem, was ich will. Ich will, daß es innerhalb Deutschlands kein Ausland gebe.

PRINZ.

Danach sieht es in dieser Gesellschaft nicht aus! Ein deutscher Professor hat sich hier sogar aufs äußerste kompromittiert, um einen gefährlichen Italiener gegen uns zu unterstützen! Zu Zastrow. Professor Numero Eins ist doch Herr Gottsched?

ZASTROW
bejahend.
Gottsched!
PRINZ
auf Gottsched zugehend.
Sie sind wohl Professor Gottsched?
GOTTSCHED.
Zu Befehl, Königliche Hoheit.
PRINZ.
Sie sind noch obenein ein geborener Preuße!
GOTTSCHED.
Bei Königsberg in Preußen bin ich geboren.
PRINZ.

Und nicht bloß geboren! Sie haben Ihre Bildung eines Gelehrten dort erhalten. Warum haben Sie das Land verlassen?

GOTTSCHED.
Königliche Hoheit –
PRINZ.

Ich will Ihnen die Antwort erleichtern. Sie haben sich dem Soldatenstande entziehen wollen, zu dem Sie ausersehen waren!

GOTTSCHED
sich zusammenraffend und einen Schritt vortretend.

Ausersehen, ja, meiner stattlichen Leibesbeschaffenheit wegen, und weil Eurer Königlichen Hoheit hochseliger Vater ohne Rücksicht auf sonstige Eigenschaften des Menschen Gardisten eintrieb aus allen Ständen.

FRAU GOTTSCHED.
Gottsched!
GOTTSCHED.

Ich habe mir's nie zum Vorwurf gemacht, Königliche Hoheit, und die gebildete Welt Europas ist, Gott sei Dank, bisher meiner Meinung gewesen, daß ich mich für mehr als eine bloß körperliche Maschine erachtet habe, und daß ich das Geistesleben höher geschätzt als das Dienstleben eines Gardisten!

PRINZ.

Und zum Dank, daß Ihnen Preußen dies nicht nachgetragen, [135] lassen Sie sich auf feindlichen Schritten gegen Preußen betreffen!

GOTTSCHED.

Nicht feindlich; unbefangen sind meine Schritte gewesen. Ich habe immer getrachtet, mich über den Parteiungen zu erhalten, und ich bin auch mit einem Verkehr beehrt worden, ich kann wohl sagen, mit einem gnädigen Verkehr von den verschiedensten Potentaten, welche untereinander im Streite waren. Auch Seine Majestät, König Friedrich, haben mir darüber nie ein Mißwollen, wohl aber Ihr allergnädigstes Wohlwollen zu erkennen gegeben!

PRINZ.

Über den Parteiungen! Das nennen Sie über den Parteiungen! Wer steht an der Spitze einer politischen Protestation, welche hier zur Bestrafung vorliegt?!

GOTTSCHED.

Sie ist eben eine Protestation gegen Parteiung. Wer sie uns abgenötigt, der nahm Partei! Man verlangte von der Wissenschaft Parteinahme für das, was augenblicklich herrscht! Dies widerspricht dem hohen Standpunkte der Wissenschaft, und es war also unsers Amtes, dagegen aufzutreten.

PRINZ.

Und Verfasser aufrührerischer Flugschriften zu schützen, ist das auch Ihres Amtes? Kurze Pause. Gellert tritt einen Schritt vor.

GELLERT.

Ja. Königliche Hoheit. Im vorliegenden Falle war auch dies unsers Amtes. Ich muß auf meine eigne Gefahr meinen Kollegen hierbei in Schutz nehmen durch mein Zeugnis. Die Protestation wegen der Flugschrift hat er nicht gewünscht. Ich aber hab' sie mit größter Bereitwilligkeit untertrieben und bin erbötig, sie zu vertreten, so weit mir schwachen Manne Gott Kraft dazu verleiht.

PRINZ
zu Zastrow.
Dies ist der zweite Professor?
ZASTROW.
Ja.
GELLERT.

Nur ein außerordentlicher Professor, ja. Aber ist auch mein Kopf nicht ausgezeichnet genug, mich auf die oberste Stufe zu heben, ich habe vor manchem Höheren den Vorteil voraus, daß mein Herz lebendig und wirksam redet. Verachten Sie ein Herz nicht, königlicher Prinz, in so herzloser Zeit! Mein Herz aber sagt mir, daß es jetzt nicht genug sei, verwüstete Felder, zerstörte Wohnungen zu beklagen, geängstigte Menschen, verstümmelte Menschen, getötete Menschen zu beweinen, daß es nicht genug sei, über all' den sichtbaren Jammer des Krieges zu stöhnen, über den Jammer eines Krieges, der unter Brüdern eines Vaterlandes wütet – nein nein, mein Herz sagt mir, daß auch unser innerer Mensch bedroht, daß auch [136] das tödlich bedroht sei, was wir Moral nennen, und, Königliche Hoheit, mein Herz hat recht, das weiß ich! Zwei Schritte nähertretend. Wir gewöhnen uns, einer auf den andern zu lauern, einer den andern zu bevorteilen – denn der Vorteil ist jetzt selten, und der Nachteil mit seinen Gefahren ist jetzt allerwege – wir gewöhnen uns, Noch einen Schritt nähertretend. einander zu beargwohnen, ja einander zu verdächtigen, wenn's vor dem täglich vorhandenen Feinde was helfen kann, wir gewöhnen uns – nichtswürdig zu werden, Königliche Hoheit! Und nun kommt uns in solcher furcht baren Zeit, es kommt uns Männern der Wissenschaft, die wir Sorge tragen sollen für Edles, Großes und Unvergängliches, es kommt uns, die wir die Arche lauterer Grundsätze retten sollen auf unsern Schultern aus dem allgemeinen Schiffbruche, es kommt uns die Zumutung, den Schriftstellern aufzupassen, daß sie im drängenden Gewirr des Krieges nicht ein unbedachtes warmes Wort sprechen, es kommt uns die Zumutung, wenn einem braven Manne ein unbedachtes Wort entschlüpft ist, auf ihn zu fahnden und ihn an die Strafbank zu liefern – Königliche Hoheit, es mag nötig sein im Staate, also zu spüren und zu verfolgen, aber bei meiner armen Seele, das Geschäft derer, welche die Forschung ermuntern, welche Wissenschaft und Sitte lehren sollen, das Geschäft der Professoren ist dies nicht, – und darum, Königliche Hoheit, haben wir protestiert, und ich erst recht, und darum protestiere ich hier noch einmal vor Ihrem eignen mir verehrlichen Antlitze und Haupte, und vor dem Angesichte des ganzen Landes.

PRINZ.

So spricht in ganz Deutschland – Seydlitz hat mir nur Gottsched genannt – so spricht aber in ganz Deutschland nur ein Mann, nur ein Mann greift so in Herz und Nieren, dieser eine Mann müssen Sie sein, Sie müssen Gellert sein!

ALLE.
Gellert! Gellert!
GELLERT
fast weinend.
Ja freilich bin ich Gellert, königlicher Herr!
PRINZ
mit großer Wärme.

Gellert! Gesegnet sei die Stunde, da ich Sie finde und halte, Ihn umarmend. an meinem Herzen halte, des Vaterlandes bravsten Mann!


Allgemeine Bewegung.
GELLERT.

O mein Gott, blähe mich nicht auf in Freude der Eitelkeit! Königlicher Herr, meine Hände, meine Stimme zittern, meine Augen weinen nicht bloß darüber, daß Sie mich schätzen. [137] Auch darüber, ja ja, aber nicht bloß darüber! Nein, beim gütigen Gott da oben, es ist die Sorge um das Allgemeine, um die Not des Vaterlandes, um die Not derer, die hier eines Richterspruches harren, ohne doch Übeltäter zu sein!

PRINZ.

Ich weiß es, Gellert, ich weiß es! Und glauben Sie nur, daß auch mein Herz darunter leidet, glauben Sie, daß auch bei uns, bei meinem Bruder und mir und bei allen guten Preußen diese Sorgen des vaterländischen Herzens bittre, bittre Qual verursachen. Fürchten Sie nicht, daß irgend eine edle Wallung eines Deutschen von uns verkannt oder gar beleidigt werden könnte. Verkennen Sie mich nicht, Gellert, wenn Sie mich das strenge Amt eines Soldaten erfüllen sehen. Innerlich bin ich nicht bloß Soldat, und ich weiß, Sich aufrichtend. ich weiß die notwendige Unabhängigkeit der Wissenschaft gar wohl zu würdigen. Ihre tapfere Verteidigung derselben, Professor Gellert, ist Ihnen bei mir zur Ehre angeschrieben, auch wenn ich sie strafen müßte im Drange des Kriegs. Wieder zu Gellert gewendet. Und das muß ich nicht! In diesem einen Falle mit der Universität darf ich meinem Herzen folgen. Darin kenne ich meinen Bruder!

GELLERT.
Gott lohn' es Ihnen!
PRINZ.

Wenn Deutschland was werden soll, so muß es tapfre Männer haben. Und tapfer ist man nicht bloß auf dem Schlachtfelde, tapfer ist jeder, der in seinem Kreise feststeht gegen jegliche Zumutung.

GELLERT.
Jawohl, mein königlicher Herr!
4. Szene
Vierte Szene.
Siegmund. Die Vorigen.

SIEGMUND
tritt schon bei dem Worte »Zumutung« durch das Vorzimmer rechts ein und überreicht dem Prinzen einen großen Brief.

Königliche Hoheit, der erste Kurier, dem man schon auf der Station nach Borsdorf begegnet ist. Ich hoffe doch, Königliche Hoheit recht verstanden zu haben, daß noch ein zweiter Kurier erwartet ist, und daß unsre Reiter unbekümmert um den ersten Station fassen sollten bis Wurzen?

PRINZ.
Ganz recht!
SIEGMUND
ab von wo er gekommen.
Alles weicht in die Reihe an der rechten Seite zurück, auch Gellert.
[138]
PRINZ
tritt einige Schritte vor, die Depesche aufreißend.

Man sieht, daß ihm der Inhalt einen lebhaften Eindruck verursacht. Zu Zastrow. Euren Schreibstift, Zastrow! Schreibt stehend, indem er die Depesche auf den Tisch legt, in diese Depesche hinein. Von Wedell! Dieser kommt eiligst zu ihm marschiert. Diese hier unten beigeschriebene Order unverzüglich ausfertigen und durch Ordonnanzen schleunigst versenden an alle Regimenter!

WEDELL.
Zu Befehl! Wendet sich.
PRINZ.

Noch eins! Ein Blatt Papier! Wedell bringt seine Brieftasche aus der Uniform, um zu suchen, Zastrow überreicht ihm aber rascher aus dem Portefeuille ein Blatt. Zu Wedell. Vorwärts! Wedell links ab. Der Prinz setzt sich, sobald Zastrow das Papier auf den Tisch vorlegt, und schreibt hastig einige Worte darauf. Dies in Kuvert schlagen! An des Königs Majestät adressieren, und durch Kuriere, die ventre à terre zu reiten haben, nach der schlesisch-lausitzer Grenze, wo der König heranziehen wird!

ZASTROW.

Zu Befehl! Ab nach des Auditeurs Zimmer. Bald sieht man ihn mit einem Briefe von da in den Vorsaal hinausgehen. Im Verlauf nimmt er und Wedell wieder Platz an der linken Tür.

PRINZ
geht lebhaft auf und nieder; an Gottsched und den Damen vorüberkommend, scheint er sich schmerzhaft zu erinnern, daß er noch zu entscheiden habe, und geht an den Tisch, den Brief an Serbelloni lesend.

Er schüttelt den Kopf. Beendigen wir dies peinliche Gericht! Wie gern ich möchte, ich kann nicht allen helfen. Dieser Brief an Serbelloni ist zu feindlich gegen uns und wird dadurch zu bedeutend, daß er von einem Manne ausgegangen ist, der eben erst öffentlich gegen eine preußische Behörde protestiert hatte an der Spitze einer großen Körperschaft. Den Sinn dieser Protestation darf ich gutheißen; denn es wäre Preußens unwürdig, die Freiheit der Wissenschaft antasten zu wollen, es wäre Preußens Untergang, die Wissenschaft zu erniedrigen. In diesem Betrachte kann ich, wie gesagt, beim Könige verantworten, daß ich alles als nicht geschehen und nicht vorhanden bezeichne, was der Wirrwarr des Krieges an die Oberfläche getrieben hat. –

Anders ist es aber mit den übrigen Anklagepunkten! Schelten Sie mich nicht, lieber Gellert! Politik ist ein schlimmes Wesen und macht die Menschen hart; denn ihr erstes Gebot heißt: Unterdrücke die Stimme des Herzens! Der König heischt von mir so strenge [139] Verantwortung wie von jedem anderen, vielleicht noch strengere. Und der König muß streng sein, solange halb Europa gegen ihn stürmt. Der kleine Strich Landes, welchen er mit täglicher Lebensgefahr behauptet, muß ihm jetzt uneingeschränkt gehören, sonst verliert sein Fuß den letzten Halt! Er muß unerbittlich streng sein auch gegen jeden Schatten von innerer Feindschaft. Dadurch bin auch ich leider genötigt, hier strenge zu verfahren.

Ihnen, Frau Gräfin, muß ich deshalb wiederholen, daß Ihr Herr Gemahl vom schlimmsten Schicksal bedroht ist!

GRÄFIN.
Mein Gott, mein Gott!
WILHELMINE.
Lassen Sie uns zu ihm, königlicher Herr, damit er doch nicht allein leide!
PRINZ.

Das kann ich wohl tun, mein liebes Kind. Die Gefahr kann ich nicht von seinem Haupte wenden, aber Trost und Stärkung für das Äußerste kann ich ihm gewähren.

WILHELMINE.
Gott lohn' es Ihnen!
PRINZ.

Professor Gottsched! Ihr Empfehlungsbrief eine Landesfeindes ist unverzeihlich vom preußischen Standpunkte. Daß Sie auch noch Kriegsnachrichten eingemischt in einem Zeitpunkte, der eine entscheidende Schlacht im Schoße trug, das müssen die Kriegsherren schonungslos strafen. Ich gäbe viel darum, wenn Sie diesen Brief nicht geschrieben hätten! Wendet sich nach seinem Stuhle.

FRAU GOTTSCHED
vortretend.
Er hat ihn nicht geschrieben!
PRINZ.
Was soll das?
FRAU GOTTSCHED.
Ich wiederhole es: Gottsched hat diesen Brief nicht geschrieben!

Allgemeines Erstauen.
PRINZ.
Sie sind seine Gattin!
FRAU GOTTSCHED.
Das bin ich, Königliche Hoheit.
PRINZ.

Versuchen Sie nicht ein Leugnen, welches hier übel am Orte wäre – wer soll den Brief geschrieben haben, wenn nicht Professor Gottsched?

FRAU GOTTSCHED.
Ich hab' ihn geschrieben! Auf mein Haupt falle die Verantwortung!
GOTTSCHED.
Luise!

Pause.
PRINZ
in den Brief sehend.
Gute Frau! Die Unterschrift ist Gottscheds!
[140]
FRAU GOTTSCHED.

Die Unterschrift ist Gottscheds, ja. Aber Gottsched weiß jetzt noch nicht genau, was in dem Briefe steht: er hat ihn unterschrieben, aber nicht gelesen. Bezeugen Sie, Graf Bolza, der Sie zugegen waren, ob ich die Wahrheit spreche! – Bolza schweigt. Sie fürchten mir zu schaden! – Königliche Hoheit, ich bin bereit, mit einem feierlichen Eide zu erhärten, was ich gesagt! Mir gebührt die ganze Verantwortung!


Kurze Pause.
GALLERT
tritt vor.
Meine edle Freundin!
PRINZ.
Herr von Rothenhain!
CATO
tritt vor; in dem Augenblick aber kommt Siegmund von rechts hinten.
5. Szene
Fünfte und letzte Szene.
Siegmund. Die Vorigen.

SIEGMUND
spricht schon an der Tür und kommt an Gellerts rechter Seite vorüber.
Königliche Hoheit, der zweite Kurier!
PRINZ
die Depesche hastig ergreifend.

Vom Kurprinzen? Haftig aufreißend. Ja – ja ja! In größter Freude. Du hast mir eine glückliche Hand, Schlesier, bitt' dir eine Gnade aus! Dabei aber wieder in den Brief sehend und Siegmund wegdrängend, weil er nach hinten will und auch während der nächsten Worte nach hinten geht.

SIEGMUND.
Eine Gnade?! Herr Gott, was nun geschwinde?!
KATHARINA
kommt an seine rechte Seite gesprungen.
SIEGMUND.
Richtig!
PRINZ
hinten, halb zu dem Adjutanten, halb nach dem Saale hinaus mit starker Stimme.

Die Trompeter des Regiments! Ich lasse die Herren von Leipzig bitten, mir dreißig Fässer Wein zu verkaufen – Links nach vorn kommend, aber wie nach hinten kommandierend. Jeder Soldat bis zum Packknecht hinunter soll heute abend seine Flasche Wein trinken! Die Adjutanten gehen ab. Alles rückt um einen Schritt näher an den Prinzen. Der Prinz, Gellert die Hände entgegenstreckend. Ja, mein guter Gellert, das dacht' ich wohl, es kann einem nur Segen bringen, einem guten Menschen begegnet zu sein!

GELLERT erstaunt fragend.
Königliche Hoheit?
SIEGMUND.
Heuraten will ich, Königliche Hoheit!
PRINZ.

Oho, und die Kriegsartikel? – Du willst doch nicht den Abschied haben? Auf Gellert zugehend und ihn bei der Hand ergreifend; [141] dabei weicht Katharina und Siegmund zurück. Gellert! Er führt ihn links gegen das erste Fenster, bleibt aber unterwegs noch stehen und sagt. Man hat mir gesagt, Sie seien kränklich vom Stubensitzen, Arbeiten und Sorgen. Sie sehen mir blaß aus. Das muß anders werden mit Ihnen! Kommen Sie, ich weiß ein Mittel! Zum Fenster hinabzeigend. Sehen Sie das weiße Roß da unten, das so ruhig steht in all' dem Lärmen?

GELLERT.
Jawohl, ich hab's vorhin schon bewundert!
PRINZ.

Das ist ein braves Tier: es hat mich in der Freiberger Schlacht sicher und gut getragen, und es soll von nun an meinen wackern Gallert tragen!

GELLERT.
Ach, königliche Hoheit, – aber ich bin ein schwacher Reiter!
PRINZ.

Deshalb brauchen Sie ein sanftes, festes Roß; denn reiten müssen Sie mir jetzt täglich, damit Ihr liebes Antlitz bessre Farbe kriege!

GELLERT.
Mein gnäd'ger Herr! Aber eben weil das Tier so zuverlässig in der Schlacht, ist's Ihnen ja nötig –
PRINZ
ihn nach der Mitte vorführend.

Das ist's ja eben, lieber Freund, was mich plötzlich so erheitert: Mit größter Lebhaftigkeit. Von heute an gibt's keine Schlachten mehr!


Allgemeine Bewegung, und alle treten näher. Siegmund und Katharina kommen links vor. Schladritz hinter ihnen.
GELLERT.
Keine Schlachten?
CATO.
Keine Schlachten mehr?!
GOTTSCHED.
Keine Schlachten mehr?
PRINZ.

Der erste Kurier brachte Waffenstillstand mit Österreich und Sachsen. Das war ein gutes Zeichen, aber mehr noch nicht. Um darauf zu rechnen, bedurfte ich einer Antwort von Eurem Kurprinzen, der ein gar einsichtsvoller und liebenswürdiger, zur Versöhnung geneigter Herr ist. Das ist die Antwort, und sie lautet: daß er alles vorbereitet mit den Kaiserlichen, und daß Gellert, daß die Präliminarien des Friedens beginnen können!

ALLE.
Des Friedens? Des Friedens?
GELLERT.
Des Friedens? Das walte Gott!
PRINZ.

Jawohl! Und ich denke, er wird es! Nicht nur die Völker, auch die Herrscher brauchen dringend den Frieden. Niemand schmollt, als unsre tapfern Degen, wie Seydlitz, der ein verdrießlich [142] Gesicht machte zu der Aussicht. Das ist auch in der Ordnung. Ein guter Degen will Arbeit. Wir aber, die wir nicht bloß den Degen führen, wir wollen Gott im Himmel danken für diese endliche Morgenröte!

GELLERT.
Jawohl!
CATO.
Jawohl!
GOTTSCHED.
Jawohl!
GELLERT.
Amen!
SIEGMUND.
Königliche Hoheit, jetzt geht es aber wohl mit mir?
PRINZ.

Mit dir? Ja freilich geht's mit dir – nach Rheinsberg sollt ihr beide mit mir kommen, damit ich euch versorgen und mich zeitlebens des ersten Friedenstages erfreuen kann. Und nun – Eine Bewegung mit der Hand, alle weichen wieder etwas zurück. euch alle kann ich nicht retten trotz des Friedens. Alle treten noch weiter zurück – kurze Pause. Professor Gottsched! Ohne ihn anzusehn. für Sie bin ich jetzt allerdings bei meinem Bruder mächtiger; denn ich habe den Frieden begonnen. Sie sind mir aber anderweitig aus den Händen gespielt worden Frau Gottsched ansehend. – Sie haben Ihre Gnade hier nachzusuchen – Zu Gottsched. Schätzen Sie diese Perle nach Verdienst!

FRAU GOTTSCHED vortretend.
Mein gnädigster Herr!
GOTTSCHED
desgleichen.
Gnädigster Prinz!
PRINZ.
Graf Bolza! Prinz geht dabei nach links, ohne Bolza beim Folgenden anzusehen.
GOTTFRIED
der mit Schladritz schüchtern von hinten gekommen, fragt jetzt unmittelbar nach dem Worte »Graf Bolza« Schladritz halblaut.
Werd' ich nicht gehenkt?
SCHLADRITZ
ebenso rasch und halblaut.
Noch nicht! Bist noch zu dumm!
PRINZ
ohne Beachtung dieser Worte fortfahrend.

Unsere Truppen sollen Ihnen, Graf Bolza, nicht begegnet sein. Aber Sie verlassen von nächster Stunde an Kursachsen und lassen sich in Deutschland nicht betreffen, soweit preußische Truppen reichen, wenn Ihnen Freiheit und Leben wert ist!

BOLZA.
Königliche Hoheit –
PRINZ.

Dies Wort ist unwiderruflich! Weiteres kann ich und will ich vor dem Könige nicht verantworten. Der harmlose Ausländer sei uns willkommen und wert; der räuberische Ausländer sei uns ein blanker Feind. Dies möge unsrer krankhaften Vorliebe für das bunte [143] Fremdentum eine Lehre sein, Zu Gellert, der am Stuhle steht, mit schwächerer Stimme. wenn es für gründliche Fehler hilfreiche Lehre gibt.

GELLERT.
Leider, leider!
PRINZ.

Und nun zu ihm, Nach Cato umsehend. dem Gefährlichsten von allen! Kennen Sie die Flugschrift, Gellert, und können Sie für diesen leichtblütigen jungen Mann ein Wort der Entschuldigung sprechen?

GELLERT.

Ich kenne die Schrift, und meine gar wohl Hinter dem Prinzen zu Cato hinübergehend und dessen Hand ergreifend. bürgen zu können für die brave Gesinnung dieses Mannes.

WILHELMINE.
O Sie guter Gellert!
PRINZ
an den Stuhl gehend und Cato nicht ansehend.

Herr von Rothenhain, Ihre Feder ist gewandt! Unser Friedensgeschäft wird solcher Federn bedürfen. Wollen Sie zu uns treten und Ihre Flugschrift durch einen Nachtrag berichtigen?

CATO
einen Schritt vortretend.
Was soll ich berichtigen?
PRINZ.
Was Sie gegen Preußen gesagt!
CATO
zwei Schritte rasch vorschreitend.

Damit nur Lob und Zufriedenheit übrigbleibe, wo Lob und Zufriedenheit eine Lüge, eine Freveltat an meinem Vaterlande wäre – das kann ich nicht! Lieber hinaus in die Verbannung, oder wohl gar in den Kerker! Lieber leiblich verderben als an der Seele Schaden leiden!

PRINZ
sich halb nach ihm umwendend.

Junger Mann! Seydlitz ist von mir beauftragt gewesen, Ihn zu verhaften, weil ich – Mit freundlicher Stimme. Ihn kennen lernen wollte – Gellert, Gottsched, Frau Gottsched, Wilhelmine drücken durch ein leises »Ach!« ihr Erstaunen aus. Weil ich Seine Flugschrift genau gelesen hatte, weil ich Seine politische Ansicht von Deutschland und Preußen Auf Cato zutretend. teile!

CATO.
Königlicher Herr!
WILHELMINE.
Gnädigster Herr! O Mutter!
GELLERT.
O Sie vortrefflicher Mann!
PRINZ.

Ich mußte doch sehn, ob das etwa nur geschriebene Redensarten wären, und ob man weiteres tun könne für solchen Brausekopf.

GELLERT
Cato und Wilhelminen bei der Hand ergreifend und dem Prinzen vorstellend, bittenden Tones.
Zum Beispiel, gnädigster Prinz!
PRINZ.

Das ist nicht meines Amtes, lieber Gellert, und das muß – der Frau Gräfin überlassen bleiben, oder Pause, einen Schritt auf sie zugehend. – dem Gemahle der Frau Gräfin!

[144] WILHELMINE zum Prinzen stürzend und dessen Hand ergreifend.
O mein gnädigster Herr!
CATO
desgleichen tuend und dem Prinzen die Hand küssend.
Mein königlicher Retter!
GELLERT.
Gott segne Sie, mein Prinz!
GRÄFIN
in großer Bewegung die Arme aufhebend.
Er ist aber von niedrem Adel; wird es konvenabel sein?
GELLERT
einfallend.
O mein Gott, er ist vom besten Adel!
PRINZ.
Es wird sehr konvenabel sein.
BOLZA
hintenbleibend.

Königliche Hoheit, ich vermisse die Gerechtigkeit gegen mich! Solch ein Ausländer wird belohnt, fast weil er Ausländer ist, und ich werde –

CATO.
Ich bin kein Ausländer.
GELLERT.
Hier ist kein Ausländer weiter!
PRINZ.

Nein, hier ist sonst keiner! Der deutsche Gast bei uns sollte nimmermehr Ausländer heißen! Können wir diesen Eigensinn der hundertfältigen Souveränität austreiben, dann wird unser Reich die Macht einnehmen, welche ihm gebührt. Gott mag wissen, ob es uns gelingt: denn das Übel sitzt in harter und vielfach respektabler Schale. Aber trachten sollen wir auch in diesem Sinne nach Macht und Herrlichkeit und zwar mit Feder und Schwert. Was wir vielleicht nicht erleben, das erleben doch am Ende unsre Kinder oder Kindeskinder, ein nicht nur einiges, sondern auch starkes deutsches Reich!

GELLERT
in große Bewegung geratend bei dieser Rede, winkt bei den Worten »Ausländer heißen« Siegmund, nach hinten deutend und die Pantomime des Blasens machend.
Dieser wiederholt die Pantomime nach der Tür hin.
GELLERT
sehr lebhaft und schnell.

Ja, wir sind ein Volk von Brüdern vom bleichen Sande der Memel bis an die dunklen Wälder der Vogesen!

CATO
sehr rasch und lebhaft einfallend.
Von der grünen Nordsee bis an das blaue Adriatische Meer!
PRINZ
ebenso.
Ein einig Volk von Brüdern, Den Hut abnehmend. das gebe Gott!

Fanfare.

GELLERT, CATO UND PRINZ. Es lebe unser deutsches Vaterland!
ALLE.
Es lebe unser deutsches Vaterland!

Der Vorhang fällt rasch.

Notes
Entstanden 1845. Erstdruck in: »Heinrich Laube: Dramatische Werke«, zweiter Band, Leipzig (Weber), 1846. Uraufführung am 18.09.1845, Leipzig.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Laube, Heinrich. Gottsched und Gellert. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DB11-A