Herrn von Wohlheims Geschichte, bey einem Besuch erzählt von Frau B.. an Frau L..

Hier, meine Freundin! unter dem Schatten dieser letzten Reihe von Bäumen, mit welchen einer der edelsten Menschen seine Felder umpflanzte, wo wir das Haus sehen, worinn er seine kummervolle Jugend zubrachte, und da wir auch den ganzen Bezirk vor uns haben, in welchem er als Mann so viele Weisheit und Güte zeigte – da will ich Ihnen seine Geschichte erzählen, so wie ich sie von einem würdigen Zeugen seines Lebens hörte.

Diese Anhöhe an unserm Neckar war auch ein Lieblingsspaziergang des Herrn von Wohlheim; da war er des Abends nach heissen Sommertagen in der kleinen Bucht, welche die Krümmung des Flusses hervorbringt, und gab seinen Söhnen die Freude, sich mit ihm, oder doch unter seinen Augen zu baden, so daß sie auch darinn, wie in allem andern, ihren Vater zum Fürbild und zur Gesellschaft hatten, wodurch die vier junge [110] Wohlheime einen unendlichen Vortheil genossen. Denn der edle Anstand, welcher alle Leibesübungen, den Gang, Bezeugen und Sprache des Herrn von Wohlheim begleitete, gab auch seinen Söhnen unvermerkt das feine natürliche Wesen, das immer ein Unterscheidungszeichen von guter Geburt und Erziehung ist.

Herr von Wohlheim war der zweyte Sohn einer alten, aber durch viele Güterabtheilung etwas herunter gekommenen Familie. Sein Vater war ein schöner, aber dabey sehr harter Mann, der den Aufwand liebte, an dem Mark seiner Unterthanen saugte, und gegen seine liebenswürdige Gemahlin rauh und heftig war, weil sie ihm zu viel Kinder gab, und zu gut mit den Leuten umgieng. Er freute sich würklich, als sie kurz nach der Niederkunft mit Zwillingen starb, und die beyde Kinder ihr folgten, indem die arme Geschöpfe dabey noch Mädchen waren.

Es blieben ihm doch drey Söhne, davon der älteste schön, stolz, und eben so rauher Gemüthsart, wie der Vater, war. Er durfte als Stammherr seinen Brüdern, den Bedienten und Bauern tückisch und bösartig begegnen, so gar gegen seine Frau Mutter Grobheiten begehen.

[111] Der zweyte, Junker Karl, hatte hingegen viele Aehnlichkeit mit seiner Frau Mutter – edles sanftes Wesen, Mitleiden, Güte. Er hatte von dem ältern Bruder unsäglich viel zu leiden, aber seine Mutter und der Pfarrer trösteten ihn, und thaten ihm gutes, so viel sie konnten. Er erhielte, da man ihn zum Soldaten bestimmte, keinen andern Unterricht, als den von dem Dorfschulmeister und dem Pfarrer. Der erste lehrte ihn teutsch lesen und schreiben, neben etwas rechnen und Violin spielen: – der andre aber Religion, Latein, die Geschichte der Völker und Natur, nebst den Anfangsgründen der Mathematik und Philosophie. Karl, der mit einem herrlichen Geist und Herzen begabt war, machte sich alles eigen, was man ihn lehrte. Er war von edlem Wuchs, voll edler Ruhe der Seele, und einer immer gleichen, etwas melancholischen Stimmung des Gemüths, die durch den Tod und das Abschiednehmen seiner Frau Mutter noch bestärkt wurde. Denn sie hatte ihre letzte Kräfte noch gesammelt, um mit ihrem geliebten Karl einige Worte zu sprechen, und ihn zu standhafter Ertragung aller widrigen Zufälle des Lebens zu ermahnen, und ihn zu bitten, immer auf dem Weg der wahren Ehre und Güte zu bleiben. Sie dankte ihm zärtlich für alle Freude,[112] die er ihr von der ersten Kindheit an gegeben habe, segnete, umarmte und empfahl ihn dem anwesenden Pfarrer zu fernerm Unterricht und Trost, bat auch besonders ihren Karl, seinem kleinen Bruder Georg zum Beispiel eines edlen und tugendhaften Jünglings zu dienen, ihn zu lieben, und sich einst um ihn anzunehmen. Karl der damals vierzehn Jahr alt war, hob den kleinen dreyjährigen Georg auf seinen Armen zu der segnenden Hand seiner Mutter, und gelobte ihr mit heiligem Eifer, alles getreu zu erfüllen, was sie von ihm wünschte. Sie gab ihm auch den Auftrag, ihrem Gemal Lebewohl zu sagen, denn er war abwesend, als sie starb. Der gute Baron Karl war untröstlich, und meistens immer um den Pfarrer, ob er schon diese Stunden, ja sein fleißiges Studieren, sein Stilleseyn, und das Weinen in der Stube seiner Frau Mutter, mit Spott, mit Vorwürfen, und den mindesten Fehler oder eine Antwort, die seinem Bruder misfiel, so gar mit Schlägen und dem Einsperren in ein Gewölbe büssen mußte. Er lernte bis nach seinem sechszehnten Jahre alles, was ihm der wackere Pfarrer als nüzlich und gut empfahl. Dieser lehnte überall Bücher zusammen, um die Wißbegierde seines Zöglings zu befriedigen, ihn dadurch auf dem Weg der Rechtschaffenheit zu erhalten, und auch mit einer Schuzwehr [113] gegen die lange Weile, und den Müßiggang zu bewafnen, indem die Verführer der Sitten nur in diesen zwey Fällen die grosse Gewalt über junge unerfahrne Herzen erlangten.

Mit diesen Neigungen und Anbau des Geists kam Karl von Wohlheim zu einem Regiment, sezte da in jeder Gelegenheit seine Studien fort, und befliß sich auch auf den Dienst, so daß er einer der geschiktesten Officiers wurde. Der kleine Georg aber kame zu einer Tante, die ihn erziehen wollte. Einige Jahre darauf starb der alte Herr von Wohlheim, und sein ältester Sohn bekam nun die Güter. Er wirthschaftete aber mit seiner Gesundheit und seinem Vermögen so übel, daß er viele Schulden machte: aber da er ohnvermält ge blieben, so hatte doch keine Frau dabey zu leiden. – Junker Karl stieg indessen zu einer Hauptmannsstelle, und hatte eine höchst liebenswerthe Dame zu seiner Gemalin. Die Geschichte seiner Heurath macht der ganzen Menschheit Ehre, und verdient erzählt zu werden.

Er lag mit seinem Regiment in Schlesien nah bey den Gütern des Herrn von Freyhof, der ihn nebst den andern Officieren mehrmal zum Essen bat. Herr von Wohlheim konnte das Fräulein Emilie von Freyhofen nicht oft sehen, ohne sie zu lieben. Aber nie sagte sein Mund: – ich liebe Sie. – Er [114] war nur Lieutenant, und ohne Vermögen – warum sollte er eine junge Dame zu bestricken suchen? seine Liebe war zu fein und zu edelmüthig. Aber Fräulein Emilie, welche nur drey Jahr jünger als er war, bemerkte bald seine Liebe, seinen Geist, Gestalt und Sitten – mit vielem Vorzug in ihrem Herzen. Aber sie kannte auch ihren Vater zu gut, um sich das mindeste merken zu lassen, weil er sogleich dem Herrn von Wohlheim das Haus verbotten, und sie also die Freude verlohten hätte, ihn zu sehen, und seine Liebe für sie zu nähren, wobey Herr von Wohlheim auch den Vortheil verscherzt haben würde, den er nach Aussage ein paar älterer Officiere von dem öftern Speisen in Freyhof zöge, weil er beynah nichts von Haus bekäme, und doch immer in seinem Leben und Kleidung als Edelmann erscheinen wolle. – Dieß gefiel dem Herrn von Freyhof, der ihn nun öfter einladen ließ, besonders auch, weil ihm die Kälte und Gelassenheit des jungen Manns erfreute, da ihn Fräulein Emilia einmal, da er weg gegangen, einen Eiskloz nannte. Aber ihr Herr Vater nahm sich Wohlheims an und sagte: – sie würde wohl lieber einen freyen tändlenden Gecken um sich haben, der ihr die Hände küssen, und mit ihrem Vogel spielen sollte. Wohlheim sey ein vernünftiger rechtschaffener Kavalier, der Ehre im Leib hätte, [115] und die Tochter eines guten Hauses nicht zu einer vorübergehenden Buhlschaft reitzen wolle, da er sich vorstellen könne, daß Emilie Freyhofen nicht für ein Lieutenantchen gebohren sey. –


Da thut er ganz recht – sagte das Fräulein: ich hätte so nur meinen Scherz mit ihm getrieben, weil er so sehr ernsthaft und gescheid seyn will. –


Pfui, Emilie! pfui – es ist eben so niederträchtig von einem Frauenzimmer, wenn sie einen braven Jungen zu ihrem Possenspiel macht, als es schlecht ist, wenn Mannspersonen ein gutes Mädchen zu ihrem Zeitvertreib elend machen: – und eine junge Dame sollte keine Kokettenstreiche in sich haben, wenn ein junger Kavalier als wahrer Edelmann an ihr und an ihrem Vater handelt.

Das war dem Fräulein Deutung genug, um versichert zu seyn, daß ihr Vater wahre Hochachtung für Wohlheim hegte. Sie baute entfernte Hofnungen darauf, beobachtete sich aber so genau, daß keine Seele das geringste von ihrer Neigung entdecken konnte. Ihre Frau Mutter war vor kurzer Zeit gestorben, und ihr einziger Bruder mit einem Herrn von Hochwald auf Reisen.

Sie war eine schöne Brunette, hatte Geist, Anmuth und einen eigenen starken Charakter. Man [116] wußte, daß sie Vermögen von ihrer Frau Mutter geerbt, und nach der Liebe ihres Vaters für sie müßte auch ihre Ausstattung reich seyn. Es bewarben sich also immer entfernte und benachbarte Edelleute um ihre Hand.

Herr von Wohlheim hatte so viel Vertrauen bey Freyhofen erhalten, daß er ihm von allem sprach, die Briefe seines vortreflichen Sohnes wieß, und ihn aufmunterte, die Landwirthschaft zu studieren, wie sie bey ihm geführt würde. – Wohlheim gieng in alles ein, was Emiliens Vater von ihm verlangte, wurde aber in seiner Aufführung um so vorsichtiger, als ihn Herr von Freyhof einmal wegen seines wahrhaft adelichen Betragens gegen Fräulein Emilie lobte, und hinzu sezte, »daß er ihn scharf beobachtet hätte, und ihm besonders wegen dieses Punkts sein Vertrauen geschenkt habe«: –


Denn ich liebe meine Tochter, wie meine Ehre. Die geringste Beleidigung dieser zwey Gegenstände entzündet in mir einen tödtlichen Haß, und ich will ohnehin meine Tochter einem Kavalier in der Nähe geben, weil ich so an sie gewöhnt bin, daß es mir ohnmöglich ist, sie weit von mir zu lassen. – Ich kann sie auch nicht reich machen, ohne meinem Sohn und meinem Namen zu schaden, [117] und es würde mir unerträglich seyn, wenn meine Emilie mit Sorgen leben, und mit Sorgen Kinder erziehen müßte – meine Emilie immer einen Rock, und ihre Kinder die Kleider so lang tragen müßten, bis die arme Wichte ganz daraus gewachsen wären, daß das Ende der Ermel am Elenbogen und die Roktaschen unter den Armen stünden. Dafür soll mich Gott bewahren, und wenn der Vater dazu ein leibhafter Engel wäre.

Herr von Wohlheim gab ihm recht, sezte aber doch ganz nachläßig hinzu:


Er dächte, es würde wohl in der Nachbarschaft Kavaliere von Ansehen und Verdienste haben, welchen das Fräulein ihre Hand ohne Widerwillen geben könnte.

Freyhof antwortete: –


Hm – nicht so viel, daß ein eigensinniges Mädchen eine grosse Auswahl hätte. Aber Emilie ist nicht besser, als ihre Mutter war, und andre brave Damen sind. Man muß sich an uns Männern etwas gefallen lassen, die eine Frau links, die andre rechts, und auch eben deswegen will ich keine leere Anbeter um meine Tochter herum haben, weil diese durch ihr Schönthun und Aufwarten [118] dem Mann das Spiel verderben, der nicht immer so hätschlend seyn kann. –

Es war ein Glück, daß Herr von Freyhof die Gewohnheit hatte, seiner Tochter bey dem Frühstück immer in einer Art von Auszug alles zu erzählen, was er Tages vorher gethan und gesprochen hatte. Dadurch erfuhr sie alles, was Wohlheimen angieng, hörte immer neues Lob von ihm, und auch dieß, was er gesagt habe, neben den Anmerkungen ihres Herrn Vaters, welche sie zu ihrem Leitfaden machte. Sie sah auch in dem Gedanken von Wohlheim, daß man sie wählen lassen sollte, eine feine Besorgnis seiner Liebe, und die Neugierde zu erfahren, ob sie etwa schon bestimmt sey. Dieses freute sie, aber die Aeusserungen ihres Herrn Vaters rückten ihre Hofnung nicht dahin, wo sie sie wünschte. – Herr von Freyhof war nicht gerne in Gesellschaft von Damen, wenn also welche da waren, so entfloh er gleich in seinen Garten oder Wald, und Wohlheim begleitete ihn. Die Damen hielten sich darüber auf, daß ein so schöner junger Mann so trocken um Frauenzimmer herum seye, und vermutheten, daß Fräulein Emilie nicht viel Unterhaltung von ihm haben würde. Sie bestättigte es, sezte aber hinzu, daß es sie nur freue, daß ihr Herr Vater so viel angenehmes in dem Umgang dieses jungen [119] Philosophen fände. – Da wurde von einigen artigen Damen der Plan entworfen, in der nächsten Gelegenheit an dem schönen Holzstock zu necken, um zu sehen, wie er sich ausnehmen würde. Es war Emilien nur halb recht, denn das Fräulein von Baumbach, die mit in die Verschwörung trat, war sehr reizend. Doch wollte Emilia dem Spiel mit aller Ruhe zusehen, kleidete sich auch zu dem Gastmal, das kurz darauf in dem von Baumbachischen Schlosse gegeben wurde, sehr einfach, und hielt sich unter dem Vorwand von Kopfschmerzen bey den ältlichen Damen. Wohlheim kam mit seiner gewöhnlichen Miene, und wurde bey der Tafel zwischen die zwey schönsten und muntersten Damen gesezt. Er war höflich, aber äusserst kalt, und schiene die größte Aufmerksamkeit für Herrn von Freyhof zu haben. Bey dem Konfekt, als die Bedienten meistens aus dem Zimmer, und ein höherer Grad von Munterkeit in den Köpfen war, fienge man an, den Herrn von Wohlheim über die Damen seines Landes zu fragen. Er sagte aber:


Ich kenne, leider! keine, denn in dem Ort, wo ich erzogen wurde, ware nur meine Frau Mutter, und seitdem habe ich nichts als Soldatengesichter auswendig gelernt.


Lauter Soldatengesichter? sagte eine Dame. [120] Gehören wir auch dazu?

Wohlheim erwiederte:


Ich hoffe, daß meine ehrerbietige Bewundrung die Damen überzeugt, daß ich weiß, was ich jetzo vor mir sehe.

Man scherzte fort, und er sagte endlich:


weil man so nah an ihn dringe, so müsse er sein Geheimnis sagen. Er dörfe, ehe er Obrist sey, keiner Dame von ihrer Schönheit und von seiner Liebe sprechen: sonst stünde ihm das gröste Unglück bevor.

Er wurde ausgelacht, aufgezogen und ausgefragt. Aber er behauptete, daß er diese Verbindlichkeit mit dem Schwur seiner Ehre eingegangen seye, und sie auf Kosten seines Lebens halten würde.

Man fand ihn abgeschmakt, und ließ ihn von diesem Tag an ruhig.

Emilie sagte nachher, wie ängstlich ihr bey dieser Unterredung gewesen sey, und wie froh sie war, daß Wohlheim allen muntern und galanten Damen misfiel. Herr von Freyhof hatte ihn aber gelobt, und auch allein mit ihm darüber geredt, wo ihm Wohlheim sagte, daß er diesen Vorsatz nach seinen Umständen gerichtet habe. Denn da er einer Dame kein Glück und keinen Rang anbieten könne, so hielte er es für Pflicht, zu schweigen: – er wäre [121] nun auch so gewöhnt, daß sein Dienst, seine Bücher, und ein Freund alles für ihn seyen.

Er wurde nun völlig der Liebling von Freyhofen, und wünschte sich auch der von Emilien zu seyn, konnte aber nichts errathen, und nichts fodern, besonders da er nicht redete, und nicht reden durfte. – Ein einzigesmal erschien ihm eine schmeichlende Aussicht: es war aber nur wie die ohngefähre Trennung dichter grauer Wolken, mit denen man den ganzen Horizont überzogen sieht; eine kleine Erschütterung der höhern Luft bewegt, und öfnet sie, und läßt den schönen blauen Aether durchscheinen: Aber kaum ist der Blick hingeheftet, so fliessen die graue Wolken wieder zusammen, und dünken dann düsterer als vorher.

Wohlheim zeichnete sehr schöne Landkarten. Herr von Freyhof, der ihn bey einem Besuch daran arbeiten sah, bat ihn um eine Karte von der Freyhofischen Herrschaft. Diese wurde ganz vortreflich ausgearbeitet. Während er noch mit der Fertigung beschäftigt war, hatte sich ein Herr von Großberg mit seinem Sohn, einem aus Frankreich zurückgekommenen, ganz neu geformten, aber würklich artigen Kavalier eingefunden, um Fräulein Emilie zu werben. Sie wohnten beyde im Schloß Freyhofen, und der junge von Großberg war mit aller [122] möglichen Galanterie um Emilien. Sie arbeitete an einem sehr schönen Feuerschirm. Da sie aber mit den Blumen der Einfassung nicht ganz zufrieden war, sagte sie eines Tags, sie wünsche, daß ihr jemand andre Blumen dazu malte. Der junge von Großberg hatte dieses Talent, und brachte in wenigen Tagen einen sehr schönen Blumenkranz, wie er zu dem Mittelstück paßte. Wohlheim war dabey, als er mit einer zu stolzen Selbstzufriedenheit mit dem ausgebreiteten Papier in der Hand hergezogen kam, und so viele Bewegungen damit machte, als ob es eine Siegesfahne gewesen wäre. Vielleicht aber gab die Eifersucht, die unsern guten Wohlheim befiel, der Sache ein schlimmeres Ansehen, als nicht darinn lag. Fräulein Emilie war auch gleich mit sehr lebhaften Lobsprüchen da, bemerkte aber bald in dem Beyfall, den Wohlheim der Arbeit des Herrn von Großberg gab, seine eifersüchtige Liebe, besonders in dem folgenden Ausdruck, da er sagte, daß Herr von Großberg durch das Lob der feinen Kennerin des Schönen belohnt sey, und nun alle Tage das Vergnügen haben würde, die Augen des Fräuleins darauf geheftet zu sehen. – Es freute sie anfangs, daß Wohlheims Klugheit gescheittert hatte. Aber sie wollte ihm den Schmerz nicht lassen, den er über das gepriesene Verdienst seines [123] Rivalen empfand. Es reute sie, Großbergs Arbeit so erhoben zu haben, und sie wünschte sich den Anlaß zu einem Ersatz für Wohlheim zu finden. Der Zufall diente ihr gleich Nachmittag.

Der Kaffe wurde immer in Emiliens Zimmer getrunken; die gemalte Blätter des Herrn von Großberg lagen auf der Nährahme des Fräuleins, welche sie ihrem Vater zeigte. Dieser gieng darauf weg, und holte die Rolle der Zeichnungen, die ihm Wohlheim des Morgens ohne allen Prunk und Pralen gebracht hatte:


Milchen! sagte Herr von Freyhof, wenn Großberg dein Maler ist, so ist Wohlheim mein Zeichner. – Da sieh! was das für schöne Arbeit ist, (zeigte er mit dem Finger,) nicht ein Strauch, nicht ein Hügelchen ist vergessen – sieh! wie mein Schloß und dein liebes Bauerhütchen so niedlich da stehen – und auf dem Feld hier die Schaafheerde weidet – wie der Bach an den Ulmen hin der grossen Bannmühle zufließt! Sieh! wie mein altes Ahnenhaus noch so stolz und schön in seinen Ruinen da oben herunterstrozt. Ich will auch Wohlheims Rath folgen, und den jungen Nachschuß der Bäume des Schloßhügels zu einem gedeckten Gang aushauen, [124] und umbiegen lassen – dann aber in dem Gebäu, wo die Mauren des Saals noch fest sind, soll man die alte Treppe reinigen, und eine Altane auf das hohe Gewölb führen: – dann gehen wir im Sommer hinauf, und sehen auf mein neues Haus herunter, und ich danke dann meinen Ahnen, daß sie brave Leute und gute Hauswirthe waren. – Vielleicht erfährt es noch einer davon in der andern Welt, und freut sich über meinen Dank, und daß ich den alten Steinhaufen noch in Ehren halte.

Emilie sah unverwandt die Karte der Freyhofischen Güter und die daneben so schön gezeichnete Landschaft an. Herr von Wohlheim war an ein anders Fenster gegangen, und schlürfte dort nachdenkend seinen Kaffee ein. Herr von Freyhofen gieng zu ihm:


Wohlheim! Sie müssen mir Wort halten, und das alles ausführen helfen, denn ohne Sie hätte ich nie daran gedacht.

Ich werde immer zu ihrem Befehl seyn – sagte Wohlheim mit einer bescheidenen Verbeugung und Stimme. – Der alte Herr fuhr fort: –


Milchen! du must morgen mit mir hinauf reuten, und dich im alten Hof umsehen. Es [125] gefällt dir gewiß, ob dich schon alles klein und enge dünken wird. Aber es haben Ehrenmänner und stattliche Damen darinn gewohnt. – Meine Urälter Mutter war eine schöne Frau, und noch dazu Erbin.

Hiemit endigte er, rollte die Risse zusammen, und legte sie auf Emiliens Rahmen, nahm seine Tasse Kaffe, und gieng damit zu Wohlheim an das Fenster. – Herr von Großberg, der keinen Kaffe trank, überreichte der Fräulein ihre Tasse, und nahm die Rolle mit den Rissen in die Hand, indem er zu ihr sagte:


Geben Sie acht, mein Fräulein! Sie werden das alte Schloß und die ganze Karte sticken müssen. Hängen Sie doch meinen Blumenkranz an der Altane umher.


Gewiß nicht, denn diese alte Mauren sind mir zu ehrwürdig, als daß ich sie mit Spott behängen sollte.


Ey die Siegeszeichen der Enkelin würden ja dem Rittersaal der Ahnen zur Zierde dienen.

Sie wurde lebhafter, und sagte etwas bitter, mit dem Finger auf seine gemalte Blätter weisend:

Siegeszeichen nennen Sie das?

Es ist doch immer ein Beweiß, daß Sie einem [126] Großberg befehlen konnten, für Sie zu arbeiten.

Während dem kleinen Gespräch hatte Großberg die Rolle in seinen Händen hin und her gedreht, das Fräulein stund auf, hielt die halbe Tasse von Kaffe in der einen Hand, und reichte mit der andern nach der Rolle, indem sie sagte:


Geben Sie mir die Rolle, denn Sie zerknätern sie ja mit ihrem Getändel.

Er wollte mit dem hin und her wanken der Rolle scherzen, aber da er die Schale wanken sah, so ließ er sie gehen. Da dieses aber mit einem gewaltsamen Anziehen von der Hand des Fräuleins geschah, so fiel die obere Tasse auf den Rahmen, und ergoß sich über die schöne Großbergische Malerey. – O die verdammte Risse! rief er, indem er die Blätter in die Höhe hob, und den Kaffe abträufeln ließ. Fräulein Emilie sah lächelnd zu, und sagte: – Das freut mich, die Bescheidenheit ist erhalten, und der Stolz zu Grunde gegangen.

Herr von Freyhof, der mit Wohlheim ganz ernsthaft über die Ausführung seines Plans gesprochen, sah bey dem Klirren der zerbrochenen Schale um sich, und kam mit Wohlheim gegen das Fräulein gerad in dem Augenblick, als diese die leztere Worte aussprach, und dieser Augenblick war für [127] Wohlheim ohnendlich angenehm. Er näherte sich der Rahme, und sagte:


O die schöne Stickerey ist auch verdorben!


Das macht nichts, sagte Emilie – wir Frauenzimmer trösten uns leicht über Zufälle, ich bin nur froh – (sagte sie gegen ihren Herrn Vater,) die Rolle gerettet zu haben, weil Sie so viel daraus machen. –

Hatte die eifrige Rettung seiner Risse, und der Ausdruck Bescheidenheit, der ihn angieng, Wohlheims Herz zu dem Gefühl von Glück und Hofnung erhoben, so schlug ihn diese lezte Stelle wieder zu Boden, weil sie eine geheime Geringschätzung anzeigte. – Das Fräulein sah diese Würkung ihrer Rede, aber sie mußte es so lassen, (sagte sie nachher) um ihren Wohlheim vor der rächenden Bosheit des beleidigten Stolzes von Großberg sicher zu stellen, Sie dachte auch, daß Wohlheim ihr gerne vergeben, und daß sie andre Gelegenheit finden würde, diese anscheinende Härte zu vergüten. –

Großberg drang endlich auf eine Erklärung des Fräuleins. Diese schlug seinen Antrag aus, und sagte ihrem Herrn Vater, daß sie gesinnt sey, auf den jungen Hochwald zu warten, der mit ihrem Bruder reißte. Ihr Vater war es sehr zufrieden, besonders da die Hochwaldische Güter an die seinige [128] gränzten, und dadurch die zwey Freyhofische Geschwister, die sich sehr liebten, leicht zusammen kommen und sich immer sehen könnten. Die Großberge reißten ab, und Wohlheim sah also einen furchtbaren Rivalen entfernt. Aber er war bestimmt, jedes Vergnügen des Lebens mit Jammer zu kaufen. Denn nun wurde Herr von Freyhof um so eifriger, auf die Verzierung des Bergs und des Reitpfads, weil gleich hinter dem alten Schloß ein Holzweg vorbey zog, der nach Hochwalden führte. Auf den Berg wollte er keine Fahrstrasse machen lassen, denn der Name Rittersitz zeige an, daß seine Ahnen immer nur hinauf geritten seyen. Alle Tage sagte er dem guten Wohlheim sehr viel von dem Reichthum der Hochwalde, und wie glüklich seine Emilie seyn würde, u.s.w. – Endlich mußte er auch mit ihm nach diesem Schlosse, und Abends bey der Zurükkunft bey Tisch alles erzählen helfen, was sie dort prächtiges und schönes gesehen hatten. Nun war der letzte Keim von Wohlheims Hofnungen zernichtet, aber seine Liebe nicht. Fräulein Emilie fühlte, was für Qual in seiner Seele lag, als ihr Vater so oft ihr sagte, daß er sich auf die Zeit freue, wo sie die Frau von dieser grossen Herrschaft seyn würde. – Sie sagte am Ende, da sie ihm lange zugehört, wie er ihre künftige glänzende Tage beschrieb:


[129] Lieber Papa! Sie müssen nicht so viel davon reden, denn die Zeit wird mir sonst lang, bis die Leute wieder kommen.

Sie wollte ein kleines Uebel haben, und verursachte ein grösseres, denn Herr von Freyhofen versprach ihr, seinen Sohn und ihren Geliebten bald zurück kommen zu lassen. – Das war der lezte und härteste Stoß auf Wohlheims Herz, und er hatte alle Kraft seiner Vernunft nöthig, um sich nichts merken zu lassen, und Emilie litte selbst darüber so viel, daß sie einen Vorwand nahm, um früher schlafen zu gehen. Als sie weg war, sagte Herr von Freyhof: –


Da seh einer die Mädchen! – hat sie nicht immer so kalt und so gleichgültig gegen alle Mannsleute gethan, und nun bekennt sie auf einmal, daß sie voll ungedultiger Erwartung ist. Aber die zwey Schwärmer sind nun in Engelland, und kommen vor End des Herbsts gewiß nicht – da muß mein Milchen indessen singen oder pfeifen. Hätte die tückische Hexe vor der Abreise geredt, so würde ich die Sachen so eingerichtet haben, daß die Vermälung geschehen wäre, und vielleicht hätte sie jezt schon einen Enkel für mich, der uns die Zeit verkürzte.

Wohlheim mußte auch etwas sprechen, und fiel ein: –


[130] Vielleicht hätte aber Herr von Hochwald seine Gemalin mitgenommen, und da wären Sie völlig allein geblieben.


Da haben Sie recht, lieber Wohlheim! das wäre geschehen, und ich hätte mich todt geärgert. Es ist besser wie es ist. – Milchen mag Gedult haben.

Unser Wohlheim schlief diese Nacht keine Stunde, und viele Tage kämpfte er mit sich selbst, und suchte seine Liebe unter das Joch der Umstände zu beugen. – Aber sein Herz konnte unter dieser eisernen Last nicht so ruhig athmen, daß es seiner Gesundheit nichts gekostet hätte. Er wurde blaß und hager, auch viel tiefsinniger wie sonst. Da kamen ein paar Soldaten zu Herrn von Freyhof, und baten ihn, ihrem Lieutenant einen Doktor holen zu lassen, weil sie fürchteten, ihn zu verlieren: – er sey krank, brauche nichts, schlafe nicht, und wäre doch immer mit dem nemlichen Eifer im Dienst. – Sie sezten hinzu: das ganze Regiment würden Ihro Gnaden danken, wenn Sie den braven Herrn wieder gesund machen liessen.

Freyhofen war sehr gerührt, und fragte die Leute, warum sie denn ihren Herrn von Wohlheim so liebten? –


Weil er uns liebt, nichts von uns fodert, wo [131] er nicht mit dem Exempel voraus geht, es sey in der Subordination im Dienst, – in dem Muth in Gefahr, in der Mäsigkeit; er ist mit Nahrung und Quartier zufrieden, wie es ist, wenn nur wir vorher versorgt sind: – er thut so väterlich an uns, wenn einer krank ist, sollten wir da nicht auch für ihn sorgen? –

Der zweyte sagte –


Ja wärs in einer Bataille, wir stünden Mann für Mann ihn zu decken, und die Kugeln aufzufangen. – Aber was können wir da im Frieden, wenn er einen Feind im Leibe hat, wovon wir nichts verstehen.

Herr von Freyhof liesse gleich in ihrer Gegenwart einen Reitknecht mit Pferden nach dem Doktor abgehen, und er gieng mit ihnen zu Wohlheim, der an seinem Fenster umsah, und sich wunderte, wie Herr von Freyhof und die Soldaten zusammen kämen. Aber die Liebe seiner Leute machte ihm grosses Vergnügen. – Emilia hatte die Bitten der Soldaten mit angehört, und war froh, daß ihr Vater weggieng, um sich den Bewegungen ihres Herzens zu überlassen, worinn sie sagte: –


Wie glüklich sind diese Soldaten? sie dörfen gerad aus sagen, wie lieb ihnen ihr Wohlheim ist. – Mein Vater darf auch alles thun, was [132] ihm sein Herz eingiebt – und ich – ich muß schweigen, muß meine Zärtlichkeit verbergen. Vielleicht nagt der Gram einer hofnungslosen Liebe an Wohlheims Leben. – Edler junger Mann! warum hast du meine Gesinnungen nicht errathen, wie ich die deinige. Glaubst du nicht an Sympathie? was hinderte deinen sonst so scharf sehenden Geist, Bemerkungen über dieß, was ich liebe und verabscheue, zu machen, das hätte dir beweisen können, daß ich dich hochachten, daß ich dich lieben muß, ohne daß du mich darum bittest? – Du kennst meinen Vater und seine Grundsätze, du richtetest dein Betragen darnach. – Muß ich nicht meine Aufführung auch nach seinem Ton stimmen? – warum vermiedest du jede Gelegenheit, mir deine Liebe zu zeigen, wie ein Mädchen ihre Neigung verbergen muß. – Sollte ich anfangen? –

Unter solchen Selbstgesprächen der guten Emilie vergieng die Zeit. Ihr Vater kam wieder, und erzählte ihr, daß Wohlheim würklich übel zu seyn schien, ob er es schon nicht bekennen wolle, und mit Gewalt mit ihm auf den Berg gegangen sey, wo er schon alles so schön eingerichtet habe, daß es eine Lust wäre: – und dieß hätte er alles durch die [133] Soldaten seiner Kompagnie machen lassen, da er ihm doch die Frohnbauern angewiesen habe, welche nun nichts als das abgehauene Buschwerk heimzuführen hätten. Der Arzt kam, und sprach dem Herrn von Freyhofen mit vieler Hochachtung von dem jungen Officier, und rieth nur, man sollte ihn zu zerstreuen suchen, denn er leide an einer Gemüthskrankheit. Als er wegritt, waren über 20 Soldaten am Weg, ihn zu fragen, ob ihr Lieutenant wieder gesund würde. Abends kam Wohlheim ins Schloß. Emilie war auch bewegt, und zeigte ihm ihre Sorge für seine Gesundheit, mit einer Stimme, welche ihm der feinste Ton der Zärtlichkeit zu seyn dünkte. Er wurde etwas erheitert und besser. Einige Tage darauf gieng man nach den alten Ruinen, wo Herr von Freyhofen sämtlichen Officieren ein Abendbrod gab, und mit vielem Lob von dem Geist und Güte des Herrn von Wohlheim sprach. Der Weg war sehr bequem, im Schatten überhangender Bäume, und die Altane fertig. Wohlheim hatte bey Wegräumung des Schutts ein grosses Gewölbe entdeckt, und ließ auch dieses ganz rein machen. Da fand sich ein Fusboden mit kleinen blau und gelben glasirten achteckigten Blätgen, und an den Fenstern und Bogen des Eingangs Spuren, daß alles so gemahlt gewesen, so wie die Bänke umher auch mit [134] den Blätgen besezt waren. – Die alte Sträuche und Kräuter aber, die im Hof und zwischen den Mauren gewachsen waren, ließ er mit Sorgfalt stehen; nur den Keller hatte er mit dem Schutt ausgefüllt, so daß man nun mit Sicherheit die Aussicht geniessen, und alles wilde der Zerstörung noch vor sich haben konnte. Man gieng auf den Waldweg, nach Hohen-Waldau. – Wohlheim kam durch den Zufall nahe bey Emilien, und das zum erstemal ganz allein. Sie sagte ihm:


Auf diesen Weg hätten Sie nicht so viele Mühe wenden sollen.

Er antwortete mit vieler Bewegung:

Wie? – auf den Weg? den Sie in Zukunft so oft machen werden?
Ernsthaft erwiederte sie: –

Das hoffe ich nicht.

Ich habe Sie doch vor einigen Wochen vieles davon sprechen hören?


Ja! ich habe damals ein entferntes Uebel zur Hülfe gegen ein nah an mich dringendes genommen. Die Großberge waren ja da –

Emilie sagte dieses mit Erröthung und niedersenkendem Aug. – Wohlheim versezte nur halb athmend:


Herr von Hochwald ist also auch ohne Hofnung?


[135] Gänzlich – aber verrathen Sie mich nicht, (sagte sie mit einem Blick, der ihm alles zeigte, was er wünschte, und sich nicht zu glauben getraute.)

Stammelnd an einen Baum sich lehnend, antwortete er: – ich – ich – Sie verrathen – ach Emilie!


Guter Wohlheim! warum nehmen Sie alles was ich sage, auf der schlimmen Seite? Sie haben unrecht.

Hier kam die Gesellschaft Ihnen so nah, daß ihr Gespräch endigte. – Aber bald hatte Emilie den Anlaß, Herrn von Wohlheim ihre Gesinnungen noch deutlicher zu zeigen.

Der Hauptmann von Thal, unter dessen Kompagnie er stund, war in eine zärtliche Verbindung mit dem Fräulein von Mooßburg getretten, – die eine Erbin, aber Mündel des Herrn von Freyhofen war, ohne dessen Einwilligung sie ihre Hand nicht vergeben konnte, und Wohlheim wurde gebetten, mit dem Vormund zu sprechen.

Er lobte anfangs nur die persönlichen Eigenschaften des Herrn Hauptmanns von Thal, und sezte hinzu, dieser habe ihm die Soldaten zu der Schloß-Arbeit bewilligt. Endlich machte er auch seine Wünsche bekannt. Freyhof sagte dann:


[136] So – so – deswegen wurde mein Berg von den Soldaten gepuzt. Was doch verliebte Leute alles aussinnen, um die Vernunft der Eltern und Vorgesezten zu bestricken. – Aber warum, Herr von Wohlheim! haben Sie sich nicht an die Erbin gemacht.


Ich habe kein Vermögen, und bin nur Lieutenant – Thal ist Hauptmann, und selbst auch reich.

Hätte Ihnen aber das Fräulein von Mooßburg nicht gefallen?

Sie ist sehr artig, aber ich würde sie doch nie geliebt haben.


Wohlheim! Ihre Melancholie thut Ihnen manchen Schaden. Es hätte mich gefreut, Sie zu meinem Nachbar zu bekommen, denn Mooßburg ist nur zwey Stunden von hier. – Aber da hätte man gesagt, ich gebe mein reiches Mündel meinem Liebling, und diesen Vorwurf möchte ich eben so wenig haben, als wenn ich sie meinem Sohn gegeben hätte. – Eher soll sie ein Stockfremder erhalten. – Es macht mir und Ihnen Ehre, daß wir Freunde und ohneigennützig sind. Aber Herr von Thal muß warten, bis ein gemeinschaftlicher Proceß zu End ist, den die Mooßburg [137] und ich gegen einen dritten haben. Es geht scharf darauf loß.

Herr von Thal beruhigte sich, und zeigte Herrn von Freyhofen seine Titel und Güter an. Dieser wurde krank, und verlangte nach seinem Sohn, welcher auch mit der Eile der kindlichen Liebe, so bald möglich, erschien. Die Krankheit hatte zugenommen, und Wohlheim seinen Freund bewacht, besorgt und getröstet. Herr Freyhof war über dieses sehr dankbar und gerührt, er empfahl seinem Sohn den Herrn von Wohlheim als einen Bruder. Der junge von Freyhofen war ein edler vortreflicher Mann, der seine Schwester ohnendlich liebte, und mit der Aeuserung des Vaters, sie dem Hochwald zur Gemalin zu geben, gar nicht zufrieden war, weil er ihm Emiliens unwürdig zu seyn schiene. Er entdeckte auch besser als sein Vater die Neigung, welche sie und Wohlheim, ohne sich zu sprechen, für einander hatten, that aber nicht dergleichen, sondern bewieß ihnen nur alle Achtung und Liebe, die nothwendigerweise ihre Herzen an ihn heften, und auch endlich aufschliessen mußte. Die Umstände des Vaters wankten lang zwischen besser und schlimmer. In den guten Tagen nahm er Familiengeschäfte vor, und die Nachricht des gewonnenen Processes erquickte sein Herz, weil er seine Vormundschaft rühmlich [138] endigte, seinem Sohn noch mehr Vermögen zurückließ, und seiner Emilie noch etwas großes schenken konnte, ohne ihrem Bruder zu schaden. Er ließ die Frau von Mooßburg und ihre Tochter zu sich bitten, um die Freude zu haben, ihnen die fröhliche Nachricht selbst zu geben. Als Emilie nun das Entzücken ihrer Baase sah, daß sie ihren geliebten Thal nun noch glücklicher machen könnte, so umarmte sie sie mit einer Thräne im Aug, und sagte ihr dabey:


O meine Freundin! wie seelig muß das Gefühl seyn, einen würdigen Geliebten zu beglücken? dieß ist der einzige Werth, den ich an dem Reichthum eines Mädchens finde, und auch das einzige, was ich beneide. O meine Mooßburg! wie glücklich bist du!

Ihr Aug war da gegen Wohlheim gewandt. Ihr Bruder hatte alles bemerkt, alles gehört, und die tiefe Empfindung, welche durch Wohlheims Seele gieng, war ihm auch nicht entflohen, da nahm er sich vor, seiner Schwester dieses Glück zu schaffen. Er bekam den Auftrag mit dem Herrn von Thal wegen der einzigen Bedingniß des Fräuleins von Mooßburg zu sprechen, nemlich daß er die Kriegsdienste verlassen, und zu Mooßburg wohnen sollte. Er war es gleich zufrieden, und der junge Freyhofen [139] bat ihn, seine Kompagnie niemand als dem Wohlheim zu geben, und ihn als den Zahler anzunehmen, aber ja nichts zu sagen, daß sie bezahlt sey, sondern mit Wohlheim einen edelmüthigen Akkord zu treffen: da er die Kompagnie errichtet habe, und Wohlheim seine Heurath besorgt hätte, so wäre genug Vorwand zu einem vortheilhaften Kauf da. Wohlheim war froh und verlegen, rühmte die edle Denkungsart seines Hauptmanns, doch nahm er das Anbieten nur mit der Einrichtung an, daß er alle Jahr eine gewisse Summe bezahlen, und wann er vor völligem Abtrag stürbe, so solle von Thal wieder Besitzer seyn. Der gute alte Freyhofen hatte so viele Freude über das Glück von Wohlheim, daß er sich ausbat, daß die Uebergabe der Kompagnie in seinem Schloßhof vorgenommen werde. Sein Sohn besorgte auch dieses, und verabredete noch eine Scene mit dem Herrn von Thal. Es war ein schönes Fest, den Abschied des einen braven Manns, und den Antritt des andern zu sehen. Herr von Thal besetzte noch die Fähndrichstelle, weil die Officiere alle nachrückten. – Er gieng durch alle Reyhen, sprach mit den Soldaten, und umarmte die Officiere, der Obriste trat vor, nahm den Herrn von Wohlheim bey der Hand, und rief:


[140] Hier, meine Kinder! euer neuer Hauptmann von Wohlheim.

Kaum hatte er ausgesprochen, als ein Jubel unter den Leuten entstund, Drommel und Pfeifen so lärmten, und die Soldaten sich umhalßten, und sich glückwünschten, daß allen Zuschauern die Thränen der theilnehmenden Freude über die Wangen liefen. Die Soldaten dankten dann dem Herrn von Thal für alle seine genossene Güte, besonders aber für ihren neuen Hauptmann, um den sie sich drängten, seine Hände, Kleid und Degen küßten. Sie verlangten dann die Braut zu sehen. Herr von Thal holte sie; laut wurde sie gelobt, und bekam Glückwünsche zu dem braven Mann. Das Fräulein von Mooßburg hatte sich vorgesehen, und schenkte jedem Gemeinen einen Thaler, den Unterofficieren zween, und hatte für die Herren Officiere selbst Hut- und Degenbänder bereit, die sie ihnen mit vielem Anstand übergab. Herr von Thal überreichte Wohlheimen seinen Regimentsdegen, und bat ihn, daß er zu seinem Andenken getragen werden möchte. Nun ließ der alte Freyhofen zwey schöne Reitpferde durch einen recht hübsch gekleideten Purschen vorführen, die er dem neuen Hauptmann mit Sattel und Zeug schenkte. Da entstund wieder Freude, und – Vivat der alte Herr! – Dann [141] bekamen die Leute Wein und Braten die Fülle; Freyhofen und die Damen waren auf dem Balkon des Hauses. Auf einmal riefen einige Soldaten: Der gute alte Herr solle ihrem neuen Hauptmann seine schöne Tochter geben, diese würden eine brave Race von Officieren ziehen. Emilie erschrak über diesen Einfall, und Wohlheim auch. Sie gieng vom Balkon weg, und ihr Herr Vater auch hernach in sein Zimmer. Da kamen zwey Unterofficiere, dankten für alle Gnade, und wiederholten den Wunsch der Kompagnie. Wohlheim wollte sie schweigen machen, aber Wein und Liebe waren stärker, als seine Befehle. Der junge von Freyhofen erzählte es seinem Vater, der von dem Auftritt der Vorstellung ganz erweicht, da er ohnehin für Wohlheimen so viele Neigung hatte, die Bitte seines Sohns und der Soldaten erfüllte.


Lieben sie sich dann? fragte er:

O! wie soll ein junger Mann unsere Emilie sehen, und nicht lieben?

Ich bemerkte es niemals. Haben mich die junge Leute betrogen?


Nein, bester Vater! denn es wird heut das erstemal seyn, daß Wohlheim mit meiner Schwester von Liebe spricht. Der edle Mann wäre eher zu grundgegangen, als daß er sich entdekt hätte. –

[142] Dieses und mehr günstiges rührte den Alten, daß er sagte:


Er ist immer rechtschaffen gewesen, ich wollte Emilie könnte ihn reich machen.

Nun wurde Emilie und Wohlheim von ihrem Bruder aufgefodert, von ihm umarmt, und wankend zu dem Stuhl ihres Vaters geführt, bey dem sich Emilie kniete, und ihr Gesicht verbarg, bis Wohlheim durch die liebreiche Aufmunterung des jungen Freyhofen den Muth bekam, sich neben sie zu knien, und seine Liebe zu bekennen. Sie erhielten da Einwilligung und Segen von ihrem Vater, mußten sich dann auch den Soldaten zeigen, und ihre Glückwünsche anhören. Den Abend erzählte ihnen der Bruder, daß er ihre beyderseitige Liebe, und den Zwang bemerkt habe, den sie ihren Herzen aufgelegt hatten, und daß er gleich den Plan entworfen habe, sie zu vereinigen. – Der alte von Freyhofen lebte noch einige Monathe recht glücklich mit seinen drey Kindern, welche alle wetteiferten, ihn zu bedienen, und seine Leidenstage zu versüssen. Nach seinem Tode blieben die Wohlheime noch mehrere Jahre bey ihrem Bruder, der mit einer vortreflichen Dame vermält wurde, und auf die großmüthigste Art das Glück seiner Schwester befestigt hatte. Denn er machte noch einen großen [143] Zusatz zu der Ausstattung von Emilien, und das unter dem Vorwand, daß es noch mündlicher Befehl seines Herrn Vaters gewesen seye.

So giengen sechs herrliche Jahre vorbey. Emilie war Mutter von zwey Söhnen und einer Tochter geworden. Ihr vortreflicher Bruder und seine edle Gemalin thaten alles, um das Glück der Wohlheime zu vermehren. Nun kam die Nachricht, daß die Familiengüter durch das Ableben seines Bruders an Karl von Wohlheim gekommen seyen. – Die erste Briefe waren von dem Vikarius des alten Pfarrers, der indessen blind geworden war. Aber dieser hatte den Brief angegeben, und darinn seine Freude für sich und die Unterthanen gezeigt, daß sie nun den Baron Karl wieder sehen, und ihn zu ihrem Herrn haben würden. Die Antwort des edlen Wohlheims war so schön, daß der alte Pfarrer die Unterthanen der fünf Dörfer auf einen Sonntag zusammen in die Kirche bat, und dann nach dem gewöhnlichen Gottesdienst neben seinem Vikar vor den Altar stund, eine Anrede an die Gemeinde hielt, und sie zu Treue und Liebe für ihren neuen Oberherrn ermahnte, sie glüklich schäzte, daß sie ihn würden sehen können, da er dieses Trosts beraubt sey. Doch wäre er sicher, sagte er, daß der Baron Karl ihm seine männliche Hand eben so freundlich reichen[144] würde, als er ihm seine Knabenhand so oft mit Dank für seinen Unterricht und Ermahnung dargeboten habe: der Segen seines alten Seelsorgers wäre ihm noch lieb, wie sie aus dem Brief hören würden, den er zum vorlesen hergab. Der Vikarius las dann vor. Der Herr von Wohlheim hatte so viele Liebe für seine Unterthanen, und so viele Ehrerbietung für den Pfarrer ausgedrückt, alle gegrüßt, und sie dem Beamten anempfolen, daß die Bauren alle gerührt waren, und weinten. Der Pfarrer betete dann mit der wärmsten Andacht für ihren Herrn und sie, ermahnte sie dann, sie möchten doch Sorge tragen, daß die Amtsprotokolle nun nicht mit bösen Händeln oder mit Beweisen angefüllet würden, daß es schlechte Leute unter ihnen gebe: Er versicherte sie, Herr von Wohlheim würde gewiß ihrer Last und Armuth Erleichterung und Hülfe geben.

Frau von Wohlheim freute sich, daß nun ihr Gemal eigene Güter, und ihre Kinder Hofnungen hätten, die ihrer Geburt angemessen seyen. Ihm war aber heimlich bange, wie es aussehen möge. Er fragte nach, man sagte ihm freylich, es seyen Schulden da, und vieles an den Gebäulichkeiten eingegangen. Aber keiner hatte den Muth, die Sache zu beschreiben, wie sie war, und ohnmöglich [145] konnte er sich es so denken. Er übergab seine Kompagnie einem braven Officier, und reißte mit seiner Gemalin und Kinder nach Wohlheim. Er hatte mit Fleiß die Zeit seiner Ankunft verborgen, um die Unkosten eines Empfangs für die Unterthanen zu sparen. Man richtete sich also im Schloß ganz langsam auf seinen Eintritt.

Herr von Wohlheim hatte eine Art Vorbedeutung in sich. Denn er wollte seine Gemalin und Kinder in der nächsten Stadt lassen, und erst allein auf das Schloß. Seine Gemalin sagte aber: Es möge aussehen wie es wolle, so würde ihr das Haus, wo er gebohren worden, lieber als der schönste Pallast seyn. Er ließ es also geschehen. Aber wie schauderte ihn der Anblick des zerfallenen Gebäudes, des zu grundgerichteten schönen Walds, der morastigen Wiesen, verwilderten Weinberge, und das magere Aussehen der Schloßfelder, und auch der Aecker seiner Unterthanen, die Bauerhäuser und ihre Bewohner armselig, ein Stück der Ringmauer des Schlosses eingefallen, die Kirchenfenster zerbrochen, oder mit alten Brettern zugenagelt. Er wurde blaß und starr. – Seine Gemalin, die alles dieß in seiner Seele sah, faßte ihn bey der Hand.


Mein Wohlheim! ich sehe, daß hier dein Geist nicht herrschte, aber es ist Platz da, wo wir [146] beyde viel gutes bestellen können, gräme dich nicht, mein Bester! die gute Ueberreste des Hauses zeugen von dem, was deine Ahnen waren, und wir wollen zeigen, was wir sind. Sey munter! Sey mir willkommen auf dem Boden, der dich aufwachsen sah. O glaube, mein Wohlheim! er ist ein Paradieß für deine Emilie.

Nun waren sie im Schloßhof, wo fünf Jagdhunde ein schreckliches Gebelle anfiengen, viele Bauren und Jungen waren nachgelaufen, um die zwey Gutschen anzugaffen, altes Holz, Schubkarn, Dünger, Steine, Fässer, Schutt, und eine Kalchgrube sperrten den Platz so, daß der erste Wagen kaum bis an die Thüre kommen konnte. Maurer, schmutzige Mägde und Knechte liefen hin und her; der rauhe Amtmann kam unwillig, und brummte, daß der gnädige Herr nichts von der eigentlichen Zeit seiner Ankunft habe wissen lassen. In dem Haus, wo man tünchte, roch es nach Kalch, verschütteten Wein, und Tobaksrauch. Keine Wand war noch weiß, kein Boden gereinigt, kein klares Fenster im ganzen Haus. Die Wohnzimmer des alten Herrn zur Gewehr- und Kleiderkammer des Schreibers, und die von Wohlheims Mutter von den Mägden eingenommen, Bettvorhänge und Tapetten von Motten [147] zerfressen, und mit Spinnen und Staub gedeckt, Wohlheims Herz wurde ohnendlich gepreßt:


O meine Emilie! wo habe ich dich hingeführt? – Vergieb mir, alles, was ich sehe, ist mir tödtlich.

Sie nahm seine ringende Hände in ihre, und sanft, aber doch feyerlich sagte sie:


Mein Wohlheim! du beleidigest meine Liebe mit diesen Besorgnissen, und dich selbst. – Der Himmel weiß, daß ich an nichts denke, als wie wir alle dieß recht bald verbessern werden.

Sie gab dann munter ihre Befehle die Wagen abzupacken, und die Koffer zu ihr zu bringen. Mitlerweile kam der alte Pfarrer, von seinem Vikarius geführt, mit seinen ganz weiß überzogenen Augen, und aus Freude und Schwachheit zitternd.


Wo ist mein gnädiger Herr Karl?

sagte er bey dem Eintritt in die Stube. Herr von Wohlheim lief ihm entgegen, und fiel dem alten Mann mit Thränen um den Hals, und küßte ihn.


O mein ehrwürdiger väterlicher Freund! Gott sey Dank, daß Sie noch leben!

Der alte Pfarrer hatte sein klein Käpgen von dem grauen Kopfe genommen. Er ließ es fallen, und seine welke zitternde Arme umfaßten seinen nun zum Mann gewordenen Zögling.


[148] Ach! Es ist noch die Stimme des edlen, redlichen Herzens, (sagte er) Gott segne Sie, gnädiger Herr! so wie ich Sie segne! meine Wünsche sind erfüllt. Sie sind Herr – Sie können, Sie werden gutes thun, und meine arme Wohlheimer haben nun einen Vater.

Er jammerte dann, daß er Herrn von Wohlheim, seine Gemalin und Kinder nicht sehen könne. Die Frau von Wohlheim nahm ihn sehr gerührt bey der Hand, und dankte ihm für alles, was er beygetragen, sie durch die Tugenden ihres Gemals zu der glücklichsten Frau zu machen. Der gute Mann freute sich darüber, und erkannte auch an der Stimme eines jungen Wohlheim den Ton, den Baron Karl im nemlichen Alter hatte. Es soll eine schöne Gruppe gewesen seyn, die Familie mit dem Ausdruck von Ehrerbietung um den Greißen herum zu sehen. Der Vikarius wurde gerufen, er kam aber bald zurück, und sagte:


Baron Georg möchte gerne seinem Herrn Bruder aufwarten.

Wohlheim sprang auf –

Wo! – wo ist mein lieber Georg?

Er war unter der Thüre des zweyten Zimmers, und sah einen großen jungen Mann in einem schlechten grünen Rock, mit einem Flor um den Arm, kurzen[149] Haaren, braunen Gesicht und Händen, ein wahrer Waldjunge. – Dunkel ahndete ihn – Georg! aber er verwarf die unfreundliche Ahndung, doch sagte der Vikar:


Da! gnädiger Herr! ist Junker George!

Wohlheim rief: – Ewiger Gott! und mit Schmerz umarmte er den zu einem Forstknecht verwilderten Bruder, der ihn demüthig anblickte, und in ein Fenster nahm, weil er ihn um eine Gnade zu bitten habe.


Lieber Bruder! sagte Wohlheim, was Gnade, sey aller Liebe versichert. Wo wohnest du? Unten im Nebenbau mit meinen Forstleuten, denn der Herr Bruder selig hat mir das ganze Einkommen vom Oberförster gegeben, und ich bitte ferner um die Gnad, denn ich weiß recht gut, was zu Wald und Wild gehört.

Wohlheims Herz war zerrissen. Er war gerad der Thüre des Zimmers gegenüber, wo er seiner Frau Mutter das Gelübde gethan, sich um den armen Georg anzunehmen. Er machte sich Vorwürfe, nicht eher an ihn gedacht zu haben. Aber man hatte ihn immer versichert, Georg seye wohl und vergnügt. Er weinte über ihn.


Mein Bruder! mein noch einziger Bruder! o ich will alles thun, was dich freut. Liebe [150] mich nur, und öfne mir dein Herz.

Junker Georg sagte gegen den Vikar:


O Herr Vikar! wie ist mein Herr Bruder so gut mit mir, nicht wahr! ich darf manchmal bey ihnen seyn –

sagte er, den Herrn von Wohlheim anblickend.


Mein theurer Bruder! ich verdiente keinen Athemzug in dem väterlichen Hause, wenn ich es nicht mit dir theilte. –

Er hielt da Georgs Hände, und sah mit Wehmuth ihn an. Dieser küßte ihm die seinige, und versicherte, er wolle alles thun, was er befehle, er möchte nur immer so gnädig bleiben, der Papa und der Herr Bruder seelig wären es nie so gewesen, und er hätte keinem je was zu leid gethan. – Diese Scene war für den edlen, gefühlvollen Mann äusserst traurig. Er hörte nachdem, wie übel man dem guten Baron Georg begegnet wäre, und wie man ihn vernachläßiget hätte.

O! was Mühe kostete es dem vortrefflichen Mann, bis alles das Ansehen erhielt, das es jetzo hat. Er verkaufte seine Kompagnie, und seine würdige Gemahlin ihre Juwelen und silbernen Nachttisch, Spizen, und andere Kostbarkeiten, um die Güther schuldenfrey zu machen. Das Haus wurde nett, aber ohne Pracht eingerichtet. Sie nahmen [151] den alten Pfarrer in das Schloß, und mit diesem theilte der Herr von Wohlheim den Unterricht seiner Kinder. Dieses war für den lieben Mann ein angenehmer Zeitvertreib; die gute Kinder führten ihn oft in den Garten, so wie wechselweiß der Herr von Wohlheim und seine Gemalin ihn zu der Kirche führten, bis endlich zwey Jahre hernach ein Augenarzt, den Herr von Wohlheim kommen ließ, ihm den reifen Staar wegnahm, und er noch seinen Baron Karl und dessen Kinder sehen konnte. Ich war dabey, als der ehrwürdige Greiß die Operation ausstund, und mit Entzücken vor Herrn von Wohlheim niederkniete, um Gott und seiner Menschenliebe für sein wieder erhaltenes Gesicht zu danken. Der Amtschreiber war abgeschaft, und keiner mehr angenommen, weil man auch dieses Geld sparen wollte. Kleine Zwistigkeiten der Unterthanen verglich der Baron, oder die zwey Pfarrherrn. Und da die Bauren nicht gedrückt, und durch Belohnung und Ehre zu fleißigen Arbeiten und guten Sitten ermahnt wurden, so verlohren sich Unordnung und Streit von selbsten. Herr von Wohlheim that das Beste und Edelste, was ein Herr thun kann. Er trug zu der Verbesserung der Feldgüter seiner Unterthanen mit Rath und That bey, denn sie genossen nach der Reihe die nemliche Hülfe, die er seinen [152] Schloßgütern hatte geben lassen. Es war auch keiner so nichtswürdig, daß er nicht mit Dank und Sorgfalt das Gute unterhalten hätte. Der Segen keimte und wuchs überall sichtbar auf. Nirgends wird man einen adelichen Ansitz so schön und fruchtbar sehen. Oben bey dem alten Wartthurm laß Herr von Wohlheim seinem Bruder und seinen Söhnen die Geschichte der Zeit, wo man diese Thürme erbaute; dort wurde im Sommer ein Zelt aufgeschlagen, die junge Leute mußten jeder etwas tragen, und helfen; die Feldküche kam auch mit, und da wurde nach Soldaten Manier gekocht und gespeißt, alsdann Bücher und Zeichnungen vorgenommen, worinn die junge Herrn die alte und neue Art Waffen, Befestigungen und Krieg zu führen sehen konnten. Hier in der Ebene gab er ihnen die Geschichte ihres Vaterlands, und der Veränderungen, welche sich damit ereignet. Am Ufer des Nekars kam die Naturgeschichte der Flüsse und ihrer Nutzbarkeit, so wie die von den Gebürgen und Bergwerken auf dem Felsberg vorgetragen, und also ganz sinnlich gemacht wurde. Ihre Ergözungen waren kleine Reisen in Steinbrüche, Salzsiedereyen, Glaßhütten, Papiermühlen, und alle andre Gattungen Fabricken, hier Mechanik kennen zu lernen. Damit verband der vortrefliche Mann die natürliche und [153] politische Geschichte des Lands. Frau von Wohlheim lehrte ihre Kinder französisch und englisch; sie las Fabeln und Poesien mit ihnen; ihr mußten sie wieder in einem Auszug erzählen, was sie bey ihrem edlen Vater gelernt hatten. Der Vikar, der Pfarrer geworden war, lehrte sie Latein und Religion, Herr von Wohlheim Mathematik und Zeichenkunst. Baron Georg wurde ganz umgeschaffen, und ist würklich Forstmeister an einem Hofe. Sie können denken, wie dieser seinen Bruder und Schwägerin liebte, und aller Orten, wo die Wohlheimische Söhne sind, werden sie als Beyspiel und Beweiß edeln Geists und Sitten geschätzt –

[154]

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TextGrid Repository (2012). La Roche, Sophie von. Erzählungen. Moralische Erzählungen. Zweyte Sammlung. Herrn von Wohlheims Geschichte. Herrn von Wohlheims Geschichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DAD8-1