Ein guter Sohn ist auch ein guter Freund.

Georg Merioneth, ältester Sohn eines höchst schätzbaren Edelmanns in Wallis, genoß wie seine Geschwister eine sorgsame häusliche Erziehung, indem die Güter des Herrn Merioneth von allen grossen Städten entfernt waren, und er dabey die vortrefliche Anlage, die sich in dem Geist und Herzen seiner Kinder zeigte, allein nach seinen Bemerkungen, die er über Menschen und Bücher gemacht hatte, ausbilden wollte: dabey dünkte es ihm der schönste Zeitvertreib zu seyn, den er für seine einsame Tage finden könnte. Er nahm den Weg des mündlichen Unterrichts, und besonders den von Erzählungen, wobey er genau beobachtete, welche Gesinnung oder Handlung der Alten und Neuen seinen Söhnen am besten gefiele, und wo sie die Begierde der Nachahmung zeigten.

[79] In Georg war Ruhe, Nachdenken und Güte: jede schöne That, jeder feine, edle Gedanke und Kenntniß hatten ohnendliche Reitze für ihn. Dem jüngern aber waren Schlachten und Siege das liebste. – Nun theilte der Vater auch seine Unterredungen ab, und sprach mit dem Helden Wilhelm von Krieg und Ruhm, mit Georg aber von Gesetzen und der Wohlfarth des Vaterlands. Beyde Brüder zogen auch jeder nach seiner Neigung die Söhne der benachbarten Pächter an sich: der eine, um ihnen die Beschäftigungen des Landbaues nach seinem Virgil angenehm und werth zu machen; der jüngere aber suchte die seinige durch Stücke aus dem Homer zu tapfern Soldaten zu entflammen, und endlich wählte sich jeder ein Vorbild in der vaterländischen Geschichte, in dessen Fusstapfen sie tretten und sich Verdienste sammeln wollten. – Wilhelm wankte lang zwischen den Siegeskronen, welche man zur See, und denen, welche der Muth zu Land erwerben läßt, aber er wählte den General Wolf. Georg aber wollte so viel möglich jede patriotische Tugend des Lord Georg Litletons besitzen, und fieng damit an, die Schriften des Lords als für ihn geschrieben anzusehen, und sich in allen seinen Gesinnungen darnach zu richten: Sein Vater hatte darüber ein sehr grosses Vergnügen, weil er selbst [80] den Lord gekannt und ihn auf seiner Reise durch Wallis bewirthet hatte. Beyde Söhne kamen nach Oxford, und wuchsen da an Geist und Charakter ganz vortreflich fort, studierten sehr gut, und kehrten noch zu ihrem Vater zurück, ehe der ältere seine Reisen, und der jüngere seine Stelle bey der Armee antraten. Der Vater sagte ihnen da, daß er jeden nach der Stadt oder der Gegend in England begleiten wolle, welchen sie zu ihrem Vergnügen zu sehen wünschten.

Georg hatte in Oxford seinen Lord Litleton nicht vergessen, im Gegentheil besuchte er die ältere Lehrer, die ihn gekennt, und die Stube, in welcher der schätzbare Jüngling gewohnt hatte; alles was Georg Merioneth von Georg Litleton erfahren konnte, machte er sich eigen, und war in den Briefen an seinen Vater ein eben so dankbarer, ergebener Sohn, als das Vorbild, welches er sich gewählt hatte. Die Natur mußte freylich die Keime übereinstimmender Neigungen in ihn gelegt haben, weil die sanft glänzende Würde von Litletons Tugend so tiefen Eindruck auf Merioneth machte; aber es gehört doch auch fester, entschlossener Wille dazu, seine Kräfte und Leben der ununterbrochenen Nachfolge eines grossen Vorgängers zu weihen: es mag auch seyn, daß Georg Merioneth nicht unter die [81] starke Geister gehört, welche sich eine neue Bahn brechen, oder die, nachdem ihre Talente durch treue Lehrer entwickelt wurden, stolz sagen: – »Ich will allein meinen eigenen Weg nehmen« – und oft mit diesem wilden Uebermuth durch angebaute Gefilde streifen, fruchtbare Bäume und Pflanzen niederreissen, und grosse Plätze verheeren, weil sie nicht nach ihrem Eigensinn gesezt und gesäet waren. Es hat immer unter den Schülern grosser Meister wieder grosse Männer gegeben, die eigenen Ruhm und eigenes Verdienst hatten, ob man sie schon als Nachfolger eines andern ansah; wollte Gott! Jünglinge wählten sich moralische Vorbilder unter Männern, deren Thaten Dank von der Menschheit verdienen, wie sich ein junger Künstler den Phidias und Raphael zu Mustern wählet, und doch eigene unsterbliche Meisterstüke liefert.

Beyde Brüder kamen nach geendigten Studien wieder nach Haus, um noch einige Zeit den väterlichen Umgang zu geniessen, ehe der ältere seine Reisen, und der jüngere seine Kriegsdienste antrat. Georg besuchte jeden Ort, welchen der edle Litleton auf seiner Reise durch Wallis, als merkwürdig angesehen hatte, und las mit Vergnügen und Bewegung des Lords Briefe darüber. Die erste Blätter [82] seines Tagbuchs fiengen mit Betrachtungen über diese Briefe an:


»Dieß ist der Ton der wahren Freundschaft, dieß ist edle Mittheilung dessen, was wir besitzen und geniessen. Möchte ich nur, edler würdiger Patriot! deinem Geist auf dem erhabenen Weg der Wissenschaft und Tugend folgen können, wie ich dem Pfad nachgieng, auf welchem du die Anhöhe des Snodons bestiegest, damit ich in dem moralischen Gebiet des Verstandes und Herzens auch so viele Kenntnisse erlange, als ich jetzo mit meinen Augen die nemliche Aussicht fasse, welche du auf dieser Stelle über das Land und das Meer hattest: und – o! mögen immer die Handlungen meines ganzen Lebens eben so weit von jeder Niederträchtigkeit entfernt seyn, als ich in diesem Augenblick über den Grund der Thäler erhoben, und näher bey dir – allmächtiger Urheber dieser Gewässer, dieser Gebürge und meines Lebens! bin!« –

Als Merioneth vor seiner Abreise den lezten Spaziergang auf den nahen Berg gemacht hatte, schrieb er noch:


[83] »Väterliches Land! mit welchem Entzüken werde ich dich wieder sehen, wenn der Eindruk des Erhabenen, den ich jetzo fühle, so stark in mir bleibt, daß ich dich, und meine würdige Eltern bey meiner Wiederkunft mit einem eben so schuldlosen Herzen, wie heut, und mit vermehrten Kenntnissen meines Geistes neu begrüssen werde!«

Theurer Jüngling! welcher Vater, welche Mutter wird nicht innig wünschen, daß dieses Verlangen deiner Seele erfüllt werde? – O! wie glüklich fanden sich Georgs Eltern, als sie dieses Stük seines Tagbuchs durchlasen, welches ihnen ihre Tochter Lydia – der Liebling ihres Georgs – ihnen heimlich brachte, als er noch zu dem Pfarrherrn gegangen war.

Nach dem Versprechen des alten Merioneth, daß er beyde noch bis an den Ort in England begleiten wollte, welchen jeder vorzüglich zu sehen wünschte, hatten beyde freymüthig gewählt, und ihr Vater hielt Wort, indem er seinen Wilhelm nach Stow in den Garten des Lord Temple führte, wo der edle Jüngling bey der Pyramide des General Wolf die schöne Thräne der Verehrung und Nacheiferung weinte; dort trennte er sich auch von seinem Vater und Bruder, nachdem [84] er bey Wolfs Namen schwor – auch ein Ehrendenkmal zu verdienen.

Georg aber gieng mit seinem Vater nach Hagley, dem Landsiz der Familie von Litleton. – Er ließ keine Stelle des herrlichen Garten unbesucht, bey jeder fand sein Herz Nahrung der Tugend, und Zuwachs zu der Verehrung, welche er dem edlen Weisen gewidmet hatte. Bey dem Grabmal der ersten Gemalin des Lords dankte er ihrem Staube noch für die glükliche Tage, welche sie dem besten Manne gegeben hatte: und da er seiner Schwester Lydia versprochen hatte, ihr immer das wichtigste zu melden, was ihrem Charakter nützen könnte, so schrieb er von Hagley:


»Theure Lydia! nach der Thräne, die ich auf Litletons Grab weinte, kann ich keine bessere Ermunterung finden, als die Aufschrift des Denkmals seiner Lucinde für dich abzuschreiben:


Lucinde war gemacht, aller Herzen einzunehmen, und aller Augen zu reizen. Sanftmuth war bey ihr mit Großmuth, Witz mit Klugheit verbunden; Sie besaß so viel feine Lebensart, als man nur am Hofe wünschen kann, und so viel Güte des Herzens, als die Welt nie gesehen. Man sahe in ihr das edle [85] Feuer einer erhabenen Seele, mit der grösten weiblichen Zärtlichkeit vereinigt. Ihre Sprache war die harmonische Stimme der Liebe, und ihr Gesang glich den melodischen Tönen der Sänger des Waldes. Ihre Beredsamkeit war lieblicher als ihr Gesang, so sanft als ihr Herz, und so stark als ihr Geist. Ihre Bildung drükte jede Schönheit ihrer Seele aus, und ihre Seele war Tugend, von den Grazien gekleidet.


Wo kann meine Lydia ein Vorbild finden, welches ihres Herzens und ihrer Schönheit würdiger wäre? – Denn gewiß Lucinda war in dem Alter meiner Schwester, was meine Lydia ist. – O! laß diesen Stein dich lehren, wie Litletons Schriften mich unterrichteten! – Sage unsern Eltern diesen Wunsch, und sie werden auf diesem schönen Wege dich leiten!« –

In dem Zimmer, worin Lord Georg Litleton starb, bat Georg seinen Vater um den Abschieds-Seegen, und gelobte ihm, ein eben so guter Sohn und Patriot zu seyn, als der grosse Mann war, dessen Geist in diesem Zimmer in die Ewigkeit übergieng.

[86] Glüklicher Vater Merioneth! was für selige Empfindungen mußten dein Herz durchströmen, als du diese Gelübde deines ältesten Sohns anhörtest? – wie sehr verdiente er die Umarmung und den Seegen, welchen du ihm gabest, als dein Georg Abschied nahm, und du ihm noch versprechen mußtest, ihm auch den Willkommskuß in Hagley zu geben, wenn er deiner und Litletons würdig geblieben seyn würde.

Nun trat er die sogenannte grosse Reise an; Seine bis zum Starrsinn getriebene Anhänglichkeit an Georg Litleton machte ihn zuerst alle Orte besuchen, die in des Lords Briefen bezeichnet sind. – Warum nennt man aber dieses Festhalten Starrsinn, wenn ein junger Mann selbst etwas für seinen Geist wählt, das ihm nicht vorgeschrieben wurde? – Jeden Aufsatz der Haare, jeden Schnitt des Kleids eines französischen jungen Flatterkopfs dürfen sie nachahmen, sein Bezeugen und Redensarten kopiren, ohne Vorwürfe zu hören, und den schönen Vorsatz: »Ich will wie Georg Litleton denken und handlen« – diesen solle er nicht ungetadelt durchsetzen können? – Wie glüklich war unser Merioneth, einen so weisen Vater zu haben, welcher, zufrieden, daß sein Sohn das Gute liebte und wollte, nicht den so kleindenkenden Eigensinn hatte,[87] daß es nach seiner Art und seinem Ton seyn sollte? – Er sagte keine Sylbe gegen das genaue Nachahmen des Vorbilds. Er wußte wohl – der rechtschaffene Mann – daß die, seit Lord Litletons Leben abgeänderte Lage der Personen und Sachen auch natürlicher Weise dem Charakter und der Denkungsart seines Sohns einen von Litleton sehr verschiedenen Ton geben würde, da indessen das selbst gewählte Bild von Rechtschaffenheit und Würde in dem Grund der Seele bliebe.

Diese Vermuthung des Vaters traf ein. Lüneville in Lothringen hatte keinen eigenen Fürsten mehr; in Soissons und Hause Fontaine, wovon in Litletons Briefen so viel stund, war kein Englischer Minister Poyez mehr: – aber doch andre merkwürdige Personen, Gewohnheiten und Gegenstände der Kunst, so daß Georg Merioneth mit allem seinem Nachahmungseifer nichts thun konnte, als eben so aufmerksam alles zu betrachten, und mit der kindlichen Ehrerbietung seinem Vater davon zu schreiben, wie Litleton es zu seiner Zeit gethan hatte. Es trat noch eine Verschiedenheit ein. Denn Georg Merioneth wollte nie in öffentlichen Geschäften erscheinen, aber seinem Vaterland im Landbau nützen, Moräste austroknen, Wasser ableiten lernen, sollte er auch nur für zwey Familien urbares [88] Land gewinnen, und nur hundert Bäume für die Nachkommen pflanzen, das schiene ihm reizend genug. – Daher hielt er sich am End der Wanderung durch Lothringen und Deutschland am längsten in Holland auf, weil diese Nation am meisten Fleiß und Kunst besizt, durch welche man Meere und Flüsse bezwingen kann. Dann besuchte er Italien, und erlangte durch diesen Reiseplan einen schäzbaren Vortheil. Denn da seine Seele für alles edle und grosse offen war, so genoß er in Italien die Freude, jedes erhabene Bild der Natur und Kunst zu fassen, welche unserm Geschmak so viele Würde und Gründlichkeit geben, daß sie durch die tausend glänzende Artigkeiten, welche Paris darbietet, nicht mehr ausgelöscht, nicht mehr umwandelt werden können.

Georg bewunderte die reiche Erfindung und den Geschmak der Französischen Künstler: aber er wurde durch nichts geblendet, durch nichts hingerissen, ob ihn schon eine Art Aehnlichkeit mit Lord Litleton erwartete: denn er traf einen Schwarm ausschweifender Landsleute an, deren Umgang er nicht ganz vermeiden konnte; und als er den jungen Bervin darunter fand, sie auch nicht vermeiden wollte. Denn das Verderbniß der Sitten und der Gesundheit eines der schönsten vortreflichsten Jünglinge [89] jammerte ihn. Er hofte eine Art Schuz und Stütze für ihn zu seyn, damit er nicht ganz zu Grund gerichtet würde.

Georg Merioneth schrieb diesen freundschaftlichen Kummer an seinen Vater, und bat ihn um Rath, wie er es machen sollte, einen jungen liebenswürdigen Mann zu retten:


»Sie haben meine Seele vor dem Zutritt jeder niedrigen entehrenden Leidenschaft bewahrt. Helfen Sie mir, theurer Vater! einen Jüngling aus den Ketten unanständiger, sein Leben und sein Glük zerstörender Belustigungen befreyen!«

Er hatte aus feiner Schonung seinen jungen Freund nicht genannt, weil Bervin der einzige Nachkömmling einer verdienstvollen Familie in Wallis war, der seine Eltern schon lange verlohren hatte, und von einem Oheim mit der zärtlichsten Sorge erzogen und geliebt war. Merioneth wollte also nicht, daß weder sein Vater, noch irgend jemand in Bervins Vaterland etwas von seinem schlechten Leben wisse, sondern er wollte ihn zurükziehen, zu seinem Freund machen, und mit Verdiensten begabt wieder nach Haus führen.

Sein Vater antwortete ihm:


[90] »daß nichts schwerer sey, als einen Jüngling von der Idee eines gewöhnten Vergnügens abzubringen, die Verführer deines Freundes haben seine schwache Seite gefunden, und bey dieser ihn gefesselt, suche sie auch zu kennen. Gieb auf das Acht, was ihm schmeichelt, was er am meisten mit Begierde wünscht; geh in seine Neigungen, lehne ihm Geld, wenn er gerne spielt, und verliert. Gieb dem Mädchen, das er liebt, Geschenke, und suche, durch sie ihn auszuforschen, um auf eine oder andre Art seine Eigenliebe zu gewinnen, und dann gebe dir sein guter Engel eine glükliche Stunde, deine erhaltene Gewalt wohl zu gebrauchen!

Sein Georg befolgte diese Vorschrift, und er konnte es: denn ob er wohl mit Kälte und ohne Theilnehmung sich bey einigen lärmenden Gesellschaften fand, so mochten sie ihn doch wohl leiden, weil er sich nie das Ansehen eines Strafpredigers gab, und einigen von ihnen mit edlem freymüthigen Wesen Geld vorstrekte, wenn sie in Verlegenheit waren. Er bemerkte bald, daß Bervin vieles von seiner Gestalt und von dem Ruhm eines großmüthigen Spielers hielte. Und der erste dieser Fehler hatte ihm noch immer eine Art Sorge für seine Gesundheit [91] eingeflößt: aber das Loben seines edlen Spielens machte ihn zum nachläsigen Verschwender.

Merioneth zeigte ihm so viel unausgesetzte Liebe, daß endlich Bervin einmal ihn fragte:


Was machst du dann bey uns, da du keinen unserer Grundsätze annehmen willt, und keine unserer Freuden mit uns theilst?


»Es ist wahr, daß ich als Gesellschafter nicht zu euch tauge, aber als Freund, als Landsmann von dir, kann ich mich nicht losreissen. Es liegt etwas in dir, das mich an dich heftet. – Ich bekenne wohl, daß ich deinen Umgang manchmal gerne allein geniessen möchte. Aber da dich dieses nicht freuen würde, so bleibe ich, wo du gerne bist.«

Dieses gefiel unserm Bervin. Er umarmte den Merioneth, und sagte dabey:


Du bist ein guter, aber wunderlicher Mensch, dem die Zeit in der Welt sehr lang werden muß, und besonders in den Tagen, wo wir andre am allerlustigsten sind.


»Du betrügst dich, mein Lieber! denn ich unterhalte mich alsdann mit Betrachtungen über euch, und sehe oft in dem rohesten Gedanken die Grundlage eines grossen irre gegangenen Geistes, und denke mir, was dieses [92] für Redner im Parlament geben wird – oder welcher die Anlage zu Wighs oder Torys hat – und dann, (setzte er mit einem Händedruck dazu –) freut es mich zu denken, daß die Tasse Punsch, welche ich trinke, eine weniger für dich ist, weil ich dadurch deine Gesundheit und deine herrliche Bildung um so viel länger erhalten sehe.«

Berwin und die übrige lustige Brüder drangen einst alle in Merioneth, ihnen seine Gedanken über sie zu sagen, denn sie verbärgen ihm nicht, daß er ihnen zweydeutig vorkomme, indem er jedes Vergnügens schon satt seyn müsse, und sich bey ihnen aufzuwecken suche, oder daß er sie nur belausche. Die, welchen er einigemal Geld gelehnt hatte, fielen ein:


daß Merioneth dieser niedrigen Rolle unfähig sey, und daß sie nicht zugeben würden, daß man dieses von ihm sage und glaube.


»So wollen wir wissen, warum er keinen Antheil an nichts nimmt, und doch gerad zu uns kommt, wenn er weiß, daß es am buntesten zugeht.«


»Weil ich sehen wollte, ob eure Gattung Schwärmerey endlich etwas anziehendes für mich bekommen würde. Aber ich finde, daß die Macht der Gewohnheit eben so sehr auf mich würkte, wie auf euch. Ihr bleibt bey [93] eurem Sinn, und ich bey dem meinigen: Es war edel, daß Ihr mich unter euch duldetet, und mir meine Freyheit gelassen habt; aber ich würde auch unrecht gethan haben, zu fodern, daß ihr denken sollt wie ich.«

Sie lachten und schüttelten die Köpfe zusammen. Aber auch von dem Tag an beobachtete immer der eine und andre unsern Merioneth. Dieser hatte seinem Vater alle Nachrichten fortgegeben, und endlich auch in dem Lauf eines Briefs Berwins Namen geschrieben, indem er über den schwachen Jüngling jammernd sagte:


»O hätte Berwin meine Schwester Lydia gesehen, eh er Paris sah! gewiß wäre seiner von Natur edlen Seele, Ruhe und eine Hütte in Wallis nah bey Lydiens Vater lieber gewesen, als alles, was er jezt für liebenswürdig hält.«

Indessen waren zwey neue Wildfänge zu der Gesellschaft gekommen, die zu allem Unglük sehr reich, und völlig unabhängig waren. Den ersten Abend wurde nun unmäßig gespielt. – Berwin verlohr vieles: Merioneth hatte es vermuthet, und Geld zu sich genommen, um ihm auszuhelfen: – Berwin wurde sehr gerührt, als Merioneth, der am Fenster stand, und von Ferne ihm zusah, ihm ein [94] Zeichen gab, zu ihm zu kommen, und im Nebenzimmer seine Taschen füllte, ihn umarmte, und weggieng. Nun wurde auch dieses Geld alle verlohren, und am Ende bey der ärgerlichen Zeche fragten die Fremde nach Merioneth. Die meiste hatten schon Wein, und sprachen also gerad, wie sie dachten. Als die zwey neue Herrn hörten, daß er wohl gut zum Geld lehnen, aber gar nicht zu einem lustigen Umgang sey, so sagten sie:


»Wer Geld brauche, dem wollten sie geben; aber wer mit aus ihrem Punschkessel trinke, müsse leben, wie die andern Brüder alle.« –

und es wurde beschlossen, entweder sollte Merioneth werden wie sie, oder für seine abschlägige Antwort, die natürlicher Weise einen geheimen Tadel ihrer Lebensart in sich schliesse, müsse er gehörige Genugthuung geben. Alle mußten schwören, ihm nichts davon zu sagen. Der Auftritt, welchen die verirrte Rotte veranstaltete, brauchte einige Tage Zubereitung, so daß Merioneth, welcher, aus Liebe zu Berwin, in einem Kabinet versteckt, alles angehört hatte, auch seine Maasregeln nehmen konnte. Berwins Betragen hatte ihn gefreut, denn er war etwas nachdenkend, trank nicht so viel als die andre, und sprach mit Freundschaft und Ruhm von seinem Merioneth, ob er schon dabey in die Probe willigte, [95] welche man mit seinem Freund machen wollte, und auch die Verschwiegenheit mit beschwor. Am Ende mußten auch alle versprechen, sich die Zubereitungstage über ordentlich zu halten, damit sie alle Kräfte hätten, den Angriff durchzusetzen, und einen recht lustigen Tag zu geniessen.

Merioneth war ernsthaft nachdenkend zu Hause; er überlegte, was er mit seiner Liebe, und dem Mitleiden für Berwin thun sollte. Denn um seinetwillen in die zubereitete Grube voll wilder Thiere zu gehen, das konnte er nicht. Er wollte an Berwin schreiben, von seiner Abreise sprechen und ihn einladen, mit ihm zu gehen; aber Berwin kam den andern Tag zu ihm, sah manchmal traurig ihn an, und schien sehr zärtlich zu seyn. – Merioneth erwiederte jedes Kennzeichen seiner Freundschaft auf eine edle, aber etwas ernsthafte Art: Berwins Ton entstund aus Liebe – aus Besorgniß vor alle dem, was dem rechtschaffenen Merioneth bevorstund, und aus der Verlegenheit zwischen dem tollen Schwur des Schweigens, und aus Furcht vor der Rache der jungen verwilderten Leute, wenn er reden sollte.

Merioneth fühlte Schmerz und Bedauren über die Lage seines Lieblings, und war noch nicht mit sich einig, was er thun sollte. Lang konnten [96] sie also nicht beysammen bleiben. Berwin sagte aber beym Weggehen, da er seinen Freund umarmte, und länger an sich drükte, als sonst: –


Es ist nicht, weil du mir Geld gabest, Merioneth! eine bessere Ursache heftet mich an dich. – Willt du nicht mit mir zu Ruthan gehen? es wäre vielleicht gut. – Du wirst bemerkt haben, daß er viel Verstand hat.

Berwin sah in diesem Augenblik so gut, so gefühlvoll aus, daß Merioneth über diesen schönen Ausdruk seiner Züge auf den glüklichen Gedanken kam, ihm zu sagen:


Ja, ich will mit dir zu Ruthan gehen. Erweise mir aber noch vorher den Gefallen, mich zu einem Bildhauer zu begleiten, und laß den ersten Versuch deines Brustbilds machen. – Ich werde nicht lange mehr hier bleiben, und da möchte ich mir das Andenken der edlen geliebten Züge versichern, welche würklich auf deinem Gesicht verbreitet sind.

Berwin willigte gern in den Besuch bey dem Bildhauer, fragte aber auch nach der Zeit der Abreise seines Merioneth: –


»Vielleicht in zwey Tagen.«

Nun erheiterten sich Berwins Augen, und er drükte die Hand seines Freunds mit Vergnügen, weil er [97] jetzo von der doppelten Sorge frey war, entweder einen Schwur zu brechen, oder seinen Merioneth in wenigen Tagen einer grossen Gefahr ausgesezt zu sehen. Denn nie hatte er gehoft, daß Ruthan, der neue Oberherr der ausschweifenden Bande, etwas über die Grundsätze seines Freunds gewinnen würde. –

Armer, junger Mann! wie viele schwache irrende Brüder hast du in unserer feinen und grossen Welt? – die sich auch scheuen, ihre Hand aus einem strafbaren Bündnis heraus zu ziehen, und ohngeachtet des innern Gefühls von dem Unrecht ihrer Handlungen, und des Bilds von Weh, welches ihre Vergehen über das Leben ihrer Eltern – ihrer besten Freunde – ja oft über ein unschuldiges sie liebendes Mädchen verbreitet, dennoch aus Furcht vor dem Spott eines Bösewichts, der stärkere Knochen, und mehr Ruchlosigkeit als sie hat – auf dem Weg des Verderbens ihm nachfolgen, und sich stark achten, wenn sie den Anfoderungen der Gesetze, der Sitten und der Religion, den Ermahnungen ihres Vaters, und den Thränen der Mutter widerstehen. – Grausamer Göze des falschen Glüks und Vergnügens! – wie viele Schlachtopfer blühender Jugend und Verdienste liegen röchelnd in dem Abgrund, der deinen Altar umgiebt! – O! möge [98] die Thräne der Menschenliebe, die für euch arme verblendete geweint wird, Erquickung für euch werden in dem Augenblick der Angst, wo euer Wohlstand, und euer kaum genossenes Leben sich endet!!

Ich konnte mich nicht verhindern bey der Betrachtung über Berwins Charakter diesen Gedanken Raum zu geben. – Unsere junge Leute kamen indessen zu einem grossen Meister der Bildhauerkunst, und Berwins Kopf wurde gelobt und geformt. – Es gefiel ihm, ein Gegenstand der Liebe und der Bewundrung zu seyn. Merioneth gab ihm diese zweyfache Freude zu kosten. – Er hatte auch in Verlegenheit für ihn gesorgt. Unwillkührlich, aber deutlich empfand er, daß Merioneth einen grössern Werth von Freundschaft in sich faßte, als die übrige ausgelassene Herrn alle, an die er sein eigenes, und Merioneths Geld verschwendet und verspielt habe. Doch führte er seinen Freund zu Herrn Ruthan, weil er mit diesem Besuch ein Verständniß zu stiften hofte.

Ruthan bezeugte sich sehr artig, in der Absicht, unserm Merioneth Vertrauen einzuflößen. – Sie sprachen von Reisen, von Merkwürdigkeiten, Anverwandten, Studien und Lustbarkeiten. –


Nach was sahen Sie dann besonders bey ihrem Herumwandern? sagte Ruthan zu Merioneth. –


[99]

»Ob andre Europäische Völker mehr Glük und bessere Sitten hätten, als wir Engelländer, und ob ich etwas davon zu uns verpflanzen möchte?


Da sind Sie kein so guter Patriot als ich. Denn ich glaube, daß kein glüklichers und grösseres Volk lebt, als wir, und ich suche nur alle fremde Belustigungen zu kosten, um die beste davon mit mir überzuschiffen, unsere Freuden zu vermehren, und dadurch Wohlthäter meiner Nation zu werden.


»Ich wünsche recht sehr, daß Sie viel gute Entdeckungen machen mögen. – Denn ich taugte wenig zu dieser Untersuchung.« –


Sie scheinen doch gesund, und munter zu seyn, warum sind Ihnen die Ergözlichkeiten der Jugend so gleichgültig?


»Sie sind mir nicht gleichgültig, aber ich liebe nur wenige davon.«

Welche sind diese wohl?
»Alle, wovon ich sicher bin, daß sie meinen Vater nie betrüben, und mich nie reuen werden.«
Da lebt Ihr Vater noch? und wo?
»In Wallis, aber er ist mir immer gegenwärtig.«

[100] Hier lachte Ruthan, schief nach ihm blickend –


Ich bemerkte wohl, daß Sie noch mit gebundenen Händen, und ohne den Schlüssel zu der Geldkasse herumreißten. Berwin! wie glüklich sind wir? frey in allem, wie ein Britte es seyn soll, ohne Väter, die uns fesseln, und Herrn unsers Vermögens. –

Merioneth wollte keine beleidigende Sylbe auffassen – aber doch nach seinem Charakter sprechen: –


»Wenn ich auch meinen geliebten Vater nicht mehr hätte, so würden die Gesetze seine Stelle einnehmen, und meine Schritte bezeichnen.«

Die Gesetze will ich auch kennen lernen, wenn ich sie andern zu geben habe – sagte Ruthan, indem er auf die Aussicht anspielte, einen Platz in dem Oberhaus des Parlaments zu haben, und setzte hinzu –

Was meinen Sie davon, Herr Merioneth! –


»Daß Sie nach Ihren Gesinnungen reden, und ich nach den meinen.«

Welche ziehen Sie vor?

»Die meinige« –

Ruthan fuhr auf, und wollte heftig werden, bedachte aber, daß er dadurch das ganze grosse Fest zerstören würde, und er überwand sich genug, um lächelnd zu sagen, indem er nach seiner Uhr sah –


[101] Ich muß fort. – aber, Herr Merioneth! ich werde einmal diese Frage wiederholen, und dann sagen Sie mir die Ursache dieses Vorzugs. –

Berwin war schon besorgt, es möchte in dieser Stube einen Auftritt geben, und staunte über Merioneths kurze und ernste Antworten: Er wollte doch auch noch was sagen, und wünschte also


bey der Erklärung zu seyn – denn ich möchte den Plan des Herrn Merioneth kennen –


Das ist leicht zu erfahren, mein lieber Berwin! – ich will ein guter Sohn, und ein guter Freund seyn. – Ich will den Gesetzen folgen, bis die Zeit kommt wo ich als Vater, als Patriot, und Theilhaber der Gesetzgebenden Macht auftretten werde. –

Berwin erröthete vor Angst, als er Ruthan vor Zorn erröthen sah: dieser aber wandte sich um, und blinzte mit den Augen gegen Berwin, und nochmals auf seine Uhr sehend, wiederholte er, daß er zu einem Besuch verbunden sey, und sie aber bald wieder zu sehen hoffe. – Nun war jeder Gedanke eines Einverständnisses verschwunden. – Berwin umarmte den Merioneth in der Hausthüre –


Vergieb, daß ich dich herführte, der Ausgang war nicht, wie ich ihn hofte!


[102] »Mir ist er ganz lieb, ich kenne nun Ruthan vollkommen. – Ein grosser gefaßter Plan von Bosheit unterdrükte heut kleine Aufwallungen der Anfälle, die er auf mich machen wollte.«


Aber Lieber! hättest du nicht weniger von deinem Enst zeigen sollen? –


»Warum das? sollte Ruthan mir Furcht geben zu reden, und zu leben, wie es meine Grundsätze erfodern? – Denkst du ihm wohl ein Recht zu, irgend einen unabhängigen Mann nach seinem Gefallen zu spotten, weil er nicht so rauh, nicht so sittenlos ist als er? – gab ich ihm nicht genug Achtung, da ich ihm einen Besuch machte?« –

Berwin schwieg – sah vor sich hin, und dachte tausend Dingen nach. Merioneth unterbrach ihn nicht; nur bey dem Abschied sagte er:


Lieber! warum warest du so stille, seit ich von Ruthan und mir gesprochen habe? war es dir unangenehm, daß ich von dem Menschen redte, wie ich von ihm denke.


»Nein, Merioneth! nein das war es nicht. – Morgen will ich dir es sagen.« –

Du schläfst doch diese Nacht? – sagte Merioneth freundlich, Berwin bey der Hand fassend –


[103] denn morgen soll ja die Forme deines Brustbilds fertig werden, und da möchte ich meinen Berwin sehen, wie die gütige Natur ihn bildete, nicht wie ihn Unmenschen gerne verdärben, und seine edle Züge mit ihren Verbrechen brandmarken möchten, meinen theuren liebenswürdigen Berwin – Er drükte ihn an seine Brust. – Berwin wurde sehr bewegt, und gieng eilend nach Hause, indem er nur sagte:

»Morgen holst du mich zu dem Bildhauer« – Merioneth hatte alle die Eindrüke der Furcht vor Ruthan und des Staunens über seinen Muth bemerkt, mit welchem er seine Stelle auf dem Weg der Ehre und Sitten behauptete. – Er ließ ihn nach Hause, um diesen Gefühlen nachzuhängen, und ihn das Vergnügen des freyen Entschlusses zum Guten zu lassen. Er aber ordnete alles zu seiner Reise an, und blieb deswegen über die gewöhnliche Zeit munter, als Abends nah bey 12 Uhr noch ein Fremder zu ihm kam, den er nicht gleich erkennte, sondern über dessen warme Umarmung er staunte, – wie viel mehr aber, als er seinen Vater in dem Fremden erblickte: –


O Gott! Sie mein Vater! – Sie, hier!


»Ja, Lieber! um dir unsern Berwin retten zu helfen – ist es noch Zeit, mein Sohn! [104] sag! O warum schriebest du diesen mir so werthen Namen nicht gleich? – Er wäre schon lang gerettet. – Der Sohn meines besten geliebtesten Freunds – es war ein Unglük, daß ich das meiste nur unter seinem ersten Namen sprach – aber dieser Name war mir der liebste. –

Georg erzählte nun alles, was seit dem Briefe, von welchem sein Vater redete, vorgegangen, und was noch den Tag geschehen sey. Sein Vater war mit dem Gedanken, Berwins Brustbild zu haben, sehr wohl zufrieden, und verbot nach einigem Nachdenken, daß Merioneth etwas von seiner Ankunft merken lasse. – Er solle nur morgen den jungen Berwin eine Stunde später zu dem Bildhauer führen, wo er sich mit Lydia finden werde, indem sie auch als Hülfsmittel da sey. – Georg solle ganz fremd thun, und ihm den Weg überlassen, dem jungen Mann an die Seele zu kommen: denn er soll nicht mehr unter die Buben gerathen, am wenigsten aber bey der Versammlung des morgenden Tages seyn. –

Georg Merioneth war in der grösten Freude, daß der Zufall der Rettung der Sitten und der Ruhe seines Freundes so günstig war, und schlief mit Hofnungen und Wünschen für den kommenden [105] Morgen ein. Er wollte den Berwin abholen, als dieser eifrig zu ihm gelaufen kam, und ihn bat, daß er ja gleich mit ihm durch die Seitenthüre des Hauses forteilen möchte, indem er fürchtete, der ganze Schwarm der Wildfänge, welchen er mit Mühe entwichen sey, würde ihm auf dem Fuß nachfolgen.

Merioneth nahm seine Brieftasche, und flüchtete sich mit seinem Freund unter den Schuz der Musen und der Weisheit, indem sie seinen Vater schon bey dem Künstler antrafen, und den lezten mit Abformung des schönen halb verschleyerten Kopfs von Lydia Merioneth beschäftigt fanden. Da sie nun in ihrer Stellung unverrükt sizen bleiben muste, und das Zimmer sehr groß war, so konnte Berwin und sein Freund, welche gleich bey dem Eintritt in Staunen gesezt wurden, sie bey langsamer Näherung desto länger betrachten. Der ganze Auftritt war schön. – Lydia saß eine Stufe über dem Fußboden erhöht, vor einem grauen Tuch, ihr grosses sanftes Aug auf das Bild eines Amors geheftet, der einen neuen Bogen schnizt; die Gruppe der Grazien stand ihr zur Seite, aber ihre dreyfache Reize verdunkelten die einfache Anmuth der Lydia nicht im geringsten; keine Stellung der drey Schwestern war so schön, als die von Lydia, deren Wuchs selbst durch [106] ihr kunstloses Gewand viel mehr Vollkommenheit versprach, als die Huldgöttinnen nicht zeigten. – Der Meister sah nur auf sie, um seinem Thon diese Züge zu geben, und seine Zöglinge sassen in verschiedenen Richtungen umher; alle zeichneten die holde Engelsgestalt. Ihr Vater aber stand vor dem Kopf von Berwin, und schien diesen eifrig zu betrachten; – Merioneths edles Herz klopfte vor Freude, seine Schwester zu sehen. – Der Gedanke von der Absicht seines Vaters, und die auch für ihn bewundrungswürdige Schönheit seiner Lydia, die seit drey Jahren zu der höchsten Blüthe gestiegen war – alle diese Empfindungen drükten sich in seinen Zügen aus. – Berwin an den Boden geheftet, bewegte kein Aug von Lydia, und kaum athmete er. – Vater Merioneth, der alles bemerkt hatte, wandte endlich sich um, und sah auch staunend und gerührt den Jüngling an. Alle bisher ruhende Gefühle der Liebe für den alten Berwin – alles was er für den jungen Mann empfand, erwachte. – Er strekte seine Arme aus: –


Herr! heissen Sie nicht Berwin aus Bala?

»Ja – den Augenblick umschlang ihn Merioneths Vater –


O Sohn des edelsten tugendhaftesten Mannes, meines einzigen brüderlichen Freunds! wie find [107] ich dich? – Lydia! Sieh, dieß ist der geliebte Neffe meines guten alten Nachbars, den ich vielleicht ohne den Gedanken, dein Bild zu haben, so bald nicht gefunden hätte.

Nun betrachtete er den Berwin stillschweigend, und in der Thräne des Augs, das er von dem Gesicht des Jünglings gen Himmel erhob, sah man den Wunsch: O gieb ihn der Tugend wieder!

Berwin war äusserst bewegt, schon über die Anrede des edlen Alten. Aber noch mehr in der Freude, daß er Lydia aufgerufen, und sein Oheim ihr Nachbar sey, wo er diese reizende Person öfters sehen würde. – Der Künstler bat nun wieder um Ruhe, damit er noch fortarbeiten könne. – Und als sie weggiengen, wurde Berwin und Merioneth zum Essen geladen.

Nachmittags, da sie noch viel von Wallis gesprochen hatten, fragte der alte Merioneth –


Berwin! wie alt sind Sie?


»Drei und zwanzig Jahre« –


O mein Sohn! Sie sehen älter, als Ihr Vater mit drei und vierzig – diese Luft hier verzehrt Ihre Züge. Dabey sah er nachdenkend ihn an, und Lydia fiel sehr artig ein:


Die Luft kann es nicht seyn, denn Herr Merioneth sieht ja sehr gesund aus.

[108] Berwin erröthete, und sah vor sich. Aber sein Freund sagte –


Es giebt viele Fremde, mein Fräulein! welche die Pariser Luft und Wasser mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen.

Der Vater sagte aber, mit dem Finger drohend:


Junge Leute! Junge Leute!

Berwin erwiederte darauf bescheiden:


»Ich verstehe Sie, mein Herr! aber mein theurer Freund verdient keinen Vorwurf, und keinen Argwohn. Wenn ich ihm immer gefolgt hätte, so würde Mis Lydia keinen Unterschied zwischen uns gesehen haben. – Aber« –


Was aber! junger Mann was?

fragte der Alte lebhaft, Berwin bey der Hand fassend, und gerührt ihn ansehend –

»Ich will in Zukunft den Weg meines Merioneth gehen.«

Hastig drükte ihn der vortrefliche Freund seines Vaters an sich –


Willst du das, mein Sohn! willst du es? O so sollst du mein geliebter Sohn seyn, wie mein Georg es ist; denn kein Jüngling hat je einen schönern Weg genommen.

Berwin sah mit Staunen um sich:


[109] »Mein Freund – Ihr Sohn?«


Ja, der beste Sohn, und beste Freund – durch ihn kenne ich dich, theurer Berwin! um deinetwillen bin ich hier. – Lohne ihn, lohne mich durch deine Gesellschaft bey unserer Rükreise.


»O gerne! aber nicht eher, bis das göttliche Bild von Lydia vollendet ist.«


Davon sprechen wir morgen.

Nun giengen die zwey junge Freunde nach Hause; aber Berwin blieb bey Merioneth aus Besorgnis des Besuchs von Ruthan, und um noch mit Georg zu sprechen.


Wie schön ist deine Schwester? mein Freund! was ein Unterschied von allem, was ich bisher sah! – wie danke ich dir, daß du mich entschuldigtest? – was für ein Freund bist du!

So abgebrochen sprach er den übrigen Abend fort: denn Reue, Dank und Sorge wechselte in ihm ab. Sein Merioneth sagte liebreich:


Sey ruhig, mein Berwin! und glaube, daß du in der Liebe der Merioneth alles finden wirst, was einem rechtschaffenen Mann Vergnügen geben kann: Ich bin glüklich, den Tag erlebt zu haben, wo einer der liebenswürdigsten [110] Jünglinge sich selbst und der edlen Menschheit wieder gegeben ist. – O! glaube, es liegen tausend wahre grosse Freuden auf dem Weg der Tugend, und des Wissens, deren Genuß die Kräfte des Geistes vermehrt, so wie sinnliche Belustigungen die von unserm Körper verzehren.

Berwin schlief mit glüklichen Vorbedeutungen ein, und gieng des Morgens wieder mit seinem Freund zu dem Bildhauer. Aber da dieser Tag zu dem grossen Angriff bestimmt war, und Ruthan schon an Berwin gezweifelt hatte, so gieng er früh zu ihm, wunderte sich, daß er nicht nach Hause gekommen sey, durch sein Nachforschen aber, wo Berwin den Tag über gewesen, und wo er nun sey, hörte er, daß Merioneth sein unzertrennlicher Freund geworden, und beyde wirklich zu einem Bildhauer gegangen wären. Nun – sagte Ruthan, zu einem Künstler dörfen alle Leute mit gleichem Recht, und er zog mit der übrigen Rotte nach dem Bildhauer, um den Merioneth und Berwin abzuholen, weil die Scene auf einem Landhause gespielt werden sollte: Sie stürmten in das Zimmer, staunten auch über Lydia, und sahen stark auf Berwin und Merioneth. Ruthan faßte sich zuerst, und sagte zu ihnen, auf Lydia weisend: –


[111] Ha ha! dieß macht das Band eurer Verbrüderung – Sie soll mit kommen, und die Göttin unsers Festes seyn!

Berwin wollte antworten, aber der alte Merioneth trat vor und sagte:


Mein Herr! nach der Art Ihres Eintrits und Ihres Bezeugens werde ich meinen Sohn und meinen jungen Freund nicht viel mit Ihnen sprechen lassen, noch weniger soll einer von ihnen zu ihrem Fest kommen, und meine Tochter ist berechtigt, von jedem edlen Mann mit Ehrerbietung behandelt zu werden.

Sie schwiegen einige Augenblicke, aber alsdann redeten sie unter sich etwas unruhig und laut, mit sehr bedeutenden Geberden nach Berwin und den jungen Merioneth hinsehend, welche sich beyde vor der zitternden Lydia hingestellt hatten. Die Zöglinge und Arbeiter des Hausherrn stunden von Ferne, und er sagte: –


Meine Herrn! Sie sind von einer Nation, die ich immer verehrte, aber Ihre Aufführung in Gegenwart dieser jungen Dame ist so unanständig, daß ich Sie ersuche, ruhiger aus meinem Hause zu gehen, als Sie herein kamen. –

[112] Sie stuzten und sahen sich an. Da aber die Arbeiter mit ihren Meiseln und Hämmern in der Hand sich ihrem Herrn näherten, so eilten sie weg. Nur Ruthan rufte noch:


Berwin! du bist seit vier Tagen zu unserm Fest verbunden: du sollst mit, wenn du Ehre hast, oder morgen sollst du mir Rechenschaft geben.


»Dieses kann ich gleich thun, ich will nicht mehr in eurer Gesellschaft seyn.« –

Warum das? mit drohender Mine –

»Weil ich nur mit Merioneth leben will.«


O du Karten-Männgen, wie artig wird diese Puppe mit dir spielen? – Doch morgen will ich mit euch zwey Herrn sprechen. Und damit

gieng er trotzig fort. Berwin stand mit niedergeschlagenen Augen da, ohne Muth, die um seinetwillen beleidigte Lydia, oder ihren Vater und Bruder anzusehen. Der alte Herr sagte aber, ruhig nach der Thüre sehend, wo Ruthan ausgieng. –


Armer junger Mann! wenn einmal die Jahre deinen Unsinn zu Verstand umgeschaffen haben werden, wie elend wirst du dieses Stükchen Wiz finden? –

Als sie zu Haus waren, sagte er seinem Sohn, nach Wiederholung dieses Auftritts:


[113] Mein Georg! wie glüklich macht mich der Unterschied zwischen dir und diesen Leuten –

»Ach, sie hatten gewiß keinen Vater, wie ich an Ihnen habe« –


Söhne! O wie leicht klagt Ihr eure Väter an, da doch die meiste von euch, den Vorstellungen der zärtlichsten Liebe und des Ernsts widerstreben – Sie, mein Berwin! hatten Ihren Vater nicht lange genug, um seine Sorge zu geniessen. Aber der falsche Begriff von den Freuden des Lebens, die man bey dem lauten Gelächter dieser Art Wilden zu finden hoft, reißt die beste Jünglinge in das Verderben.

Lydia fragte:


Aber wie kann ein natürlich edler und sanfter Mann diese rauhe Menschen lieben, und vertraut mit ihnen leben?


»Weil sie glauben, diese Roheit zeige Stärke des Geists und des Körpers an, und weil jetzo viele die Stärke nur in der Gewalt des Zerstörens hochschätzen.«


In der Geschichte aber, werden doch die Menschen gerühmt, welche dem Zerstörer Widerstand leisteten – die besiegte wurden nur beklagt? –

[114] Berwin kehrte sich gegen sie, und mit der Schamröthe des edlen Unmuths gegen sich selbst, so spat auf den rechten Weg zu kommen – sagte er:


Und dem geretteten wünscht man Glük, einen Georg Merioneth gefunden zu haben, der mit so viel Klugheit und Güte sich des schwachen Sinkenden annahm.

Lydia wurde etwas verlegen, sagte aber mit viel Sanftmuth:


Es freut mich, die Schwester des würdigen jungen Manns zu seyn, der nicht nur die Kraft hatte, aller Verführung zu widerstehen, sondern auch einem edlen Freund zur Vertheidigung diente, dessen Untergang von allen guten Menschen beweint worden wäre.

Der äusserst gerührte Berwin umarmte seinen Merioneth mit Thränen: –


Nimm sie, Bester! die Thräne des Danks für alles, was du für mich thatest! Möge ich bald durch dein Beyspiel der Freudenthräne deines Vaters und deiner Schwester würdig seyn!

Sie hatten die Tage ihres Aufenthalts alles merkwürdige von Paris gesehen, und reißten ab, um noch die Landschlösser und Provinzen zu besuchen. Berwin war überall mit. – Seine Liebe für [115] Lydia und sein Eifer zu Rechtschaffenheit wuchsen in gleichem Maas, – und bey ihrer Zurükkunft in Wallis wurde das zweyfach schöne Bündnis geschlossen. – Berwin erhielt Lydia, und beeiferte sich mit Georg Merioneth, jedem Verdienst nachzuforschen, durch welches ihr Name der Nachwelt als gute Patrioten aufbehalten seyn würde. –

Lydia zeigte ihm durch die Briefe ihres Bruders, daß er ihr immer von seinen Kenntnissen alle das mittheilte, was einer künftigen guten Familien Mutter zu wissen nöthig war. Sie sagte auch, ihr Bruder sey ihrem Herzen das Vorbild des liebenswürdigen Verdiensts gewesen, und daß sie sich vorgesezt, nie einen andern Gemal als einen würdigen Freund ihres Bruders anzunehmen, daß er ihr Herz für seinen Berwin durch Mitleiden eingenommen habe, da er ihr einst von Paris schrieb: –


»Wie traurig ist es, meine Lydia! einen für jede ausübende Tugend gebohrnen Jüngling in den Händen verdorbener Bösewichter zu sehen! – Berwin ist wie ein blühender Baum an dem Rand eines wilden Stroms, der schon die Hälfte seiner Wurzeln ihres festen Grunds beraubte, und das Ufer völlig [116] wegzuspühlen droht, wo dann der herrliche Stamm stürzen, und ganz mit hingerissen wird.« – Er bat mit nemlicher Post meinen Vater, ihm seinen Berwin retten zu helfen – und mir sagte er noch in Paris: –


O Lydia! verewige den Ruf der Schönheiten von Bala, indem du sie anwendest, ihren sanften und mächtigen Einfluß zum Dienst der Weisheit zu gebrauchen! – Feßle die Sinnen meines Freunds, und zeige seiner Liebe und seiner Sehnsucht das Ziel seiner Wünsche, auf der Laufbahn der Verdienste des Patrioten –

Dem Himmel sey Dank! – sezte sie ihren Gemal umarmend hinzu:


daß es so gelang – denn ich hoffe, die schöne Früchte des geretteten Baums sollen in unserm Vaterlande noch von den spätesten Enkeln gesegnet werden!

Ja, mein Engel! wenn ich so glüklich bin, in meinen Kindern Georg – und Lydia Merioneth zu erziehen.

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TextGrid Repository (2012). La Roche, Sophie von. Erzählungen. Moralische Erzählungen. Erste Sammlung. Ein guter Sohn ist auch ein guter Freund. Ein guter Sohn ist auch ein guter Freund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DACD-C