[60] Klage der Brüder am Rick um ihre scheidenden Freunde Barkow und Schimmelmann

1777.


Da kommt er her in allen seinen Wehen,
Der bange finst're Klagetag.
Schon lange sah'n wir ihn – ein fernes Wetter – stehen,
Und ahnten Blitz und Schlag.
Und strömten Seufzer, daß sein Falkenflügel
Gehemmt, und seiner Faust das Schwert
Entrungen würd'! – Umsonst! Schon schwärzet Wald und Hügel
Die Wolke, d'rinn er fährt.
[61]
Sein Morgenroth ist trüb' und bleich gestaltet,
Und seines Odems Frost verdirbt –
Des Frühlings Erstgeburt, das Veilchen, halb entfaltet,
Fühlt seinen Hauch und stirbt.
Und gräbertrüb' – zween Sterne, von Gewittern
Und Nebeln rund umdunkelt – stehn
Die Jünglinge, die uns sein Kommen raubt, und zittern
Vor seiner Flügel Wehn – –
Was stehet ihr, ihr Jünglinge, und zittert,
Daß ihr uns lassen sollt? – Verlaßt
Uns nicht. Der Morgen weht so kalt. Die Eiche splittert,
Von wildem Sturm gefaßt.
Verlaßt uns nicht. Gedenkt der Maientage,
Die ihr mit uns so froh genoßt.
[62]
Sie fliehn. Ihr laut Gejauchz verwandelt sich in Klage,
Und Jugendgluth in Frost.
Gedenkt der Freuden, die im Jubelkreise
Ihr öfters uns entgegen sangt,
Wo ihr, entbrannten Aug's, nach echter deutscher Weise,
Das volle Kelchglas schwangt.
Gedenk', o goldgelockter Freund, der Wonne
In deines Mädchens Minneblick –
Wie Maienfrühroth sanft, wie Glanz der Sommersonne.
Gebietend strahlt ihr Blick.
Gedenk', o du, deß Geist mit Flammenblicke
Der Wahrheit Heiligthum durchflog,
Der Schätze, die du grubst, der Blumen, die am Ricke
Dein Fleiß herauf erzog.
[63]
Noch braus't, wie Bergstrom, der das Feld beschwemmet,
So wild, so frei eu'r Herz dahin.
Da, wo ihr hingeht, schnaubt die Sklaverey, und hemmet
Des Jünglings stolzen Sinn.
Verlaßt uns nicht! – Noch steht ihr bleich und trübe?
Und klagt des Schicksals Steifsinn an,
Klagt, daß sein Felsenwort euch von den Freunden triebe? –
So gehet, gehet dann!
Der sey nicht edel, sey nicht werth des Namens,
Den eure Freundschaft ihm geschenkt,
Der nicht mit Seelendrang und Wärme eures Namens,
Ihr fernen Edlen, denkt!
Der werde, wie er euch vergaß, vergessen,
Der nicht mit klärerem Gesicht
[64]
Im Freudenzirkel, wo auch ehmals ihr gesessen,
Von euch mit Freuden spricht!
Heut' aber klagen wir gerührt und bange
Um euren Hinschied, schämen nicht
Der Thränen uns. Denn – selbst des Helden braune Wange
Entehrt die Thräne nicht!
Ihr wandelt hin, und jedem eurer Tritte
Strömt heiß ein Heer von Seufzern nach,
Und wird zum Genius, und leitet eure Schritte
Durch jeden Erdentag.
Wir aber wandeln mit gesenktem Blicke
An unsern Strand zurück, und Der
Rauscht uns entgegen, klagt: »Der Herrlichen am Ricke,
Sind Zweene weniger!!«

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Klage der Brüder am Rick um ihre scheidenden Freunde. Klage der Brüder am Rick um ihre scheidenden Freunde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B74D-A