[234] Rothschilds Gräber

Ach, hier haben sie dich bey deinen Vätern begraben,
Den wir liebten, um den lange die Thräne noch fliesst;
Jene treuere, die aus nie vergessendem Herzen
Komt, und des Einsamen Blick spät mit Erinnerung trübt.
Sollt um seinen entschlafenen König nicht Thränen der Wehmuth
Lange vergiessen ein Volk, welchem die Witwe nicht weint?
Ach, um einen König, von dem der Waise, des Dankes
Zähren im Aug', oft kam, lange nicht klagen sein Volk?
Aber noch wend' ich mich weg, kann noch zu der Halle nicht hingehn,
Wo des Todten Gebein neben der Todten itzt ruht,
Neben Luisa, die uns des Kummers einzigen Trost gab,
Die wir liebten, der auch spätere Traurigkeit rann!
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O ihr älteren Todten, ihr Staub! einst Könige, früh rief
Er den Enkel zu euch, der die Welten beherscht!
Ernst, in Sterbegedanken, umwandl' ich die Gräber, und lese
Ihren Marmor, und seh Schrift wie Flammen daran,
Andre, wie die, so die Aussengestalt der Thaten nur bildet,
Unbekant mit dem Zweck, welchen die Seele verbarg.
Furchtbar schimmert die himlische Schrift: Dort sind sie gewogen,
Wo die Krone des Lohns, keine vergängliche, strahlt!
Ernster, in tieferer Todesbetrachtung, meid' ich die Halle
Stets noch, in welche dem Thron Friederichs Trümmer entsank!
Denn mir blutet mein Herz um ihn! O Nacht des Verstummens,
Als die Aussaat Gott säte, wie traurig warst du!
Aber warum wank' ich, und säume noch stets, zu dem Grabe
Hinzugehen, wo er einst mit den Todten erwacht?
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Ist es nicht Gott, der ihn in seine Gefilde gesät hat?
Ach, zu des ewigen Tags dankenden Freuden gesät?
Und, o sollte noch weich dess Herz seyn, welcher so Viele,
Die er liebte, verlor, Viele, die glücklicher sind?
Dessen Gedanken um ihn schon viel Unsterbliche sammeln,
Wenn er den engeren Kreis dieser Vergänglichkeit misst,
Und die Hütten an Gräbern betrachtet, worin die Bewohner
Träumen, bis endlich der Tod sie zu dem Leben erweckt!
Diese Stärke bewafne mein Herz! Doch hab' ich im Anschaun?
Ach des Todten Gebein! unseres Königs Gebein!
Streuet Blumen umher! Der Frühling ist wiedergekommen!
Wiedergekommen ohn' ihn! Blüthe bekränze sein Grab!
Daniens schöne Sitte, die selbst dem ruhenden Landmann
Freudighoffend das Grab jährlich mit Blumen bedeckt,
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Sey du festlicher jetzt, und stren um des Königs Gebeine,
Auferstehung im Sinn, Kränze des Frühlings umher!
Sanftes, erheiterndes Bild von Auferstehung! Und dennoch
Trübt sich im Weinen der Blick, träufelt die Thrän' auf den Kranz?
Friederich! Friederich! ach, denn dieses allein ist von dir uns
Übrig! ein Leib, der verwest, bald zerfallnerer Staub!
Schweigendes Grabgewölbe, das ihm die Gebeine beschattet,
Schauer kömt von dir her! langsam auf Flügeln der Nacht
Schauer! Ich hör' euch schweben: Wer seyd ihr, Seelen der Todten?
»Glückliche Väter sind wir! segneten, segneten noch
Friederich, als der Erde wir Erde gaben! Wir kommen
Nicht von Gefilden der Schlacht!« Ferne verliert sich ihr Laut,
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Und ich hör' ihr Schweben nicht mehr; allein noch bewölkt mich
Trauren um ihn! Ach, da schläft er im Tode vor mir,
Den ich liebte! Wie einer der Eingebornen des Landes
Liebt' ich Friedrich, und da schläft er im Tode vor mir!
Bester König! Es klagt ihm nach der Gespiele der Muse,
Und der Weisheit! um ihn trauert der Liebling der Kunst!
Bester König! Der Knabe, der Greis, der Kranke, der Arme
Weinen, Vater! es weint nah und ferne dein Volk!
Von des Hekla Gebüge bis hin zu dem Strome der Weser
Weinet alle dein Volk, Vater, dein glückliches Volk!
Kann dir Lohn Unsterblichkeit seyn; so beginnet die Erd' ihn
Jetzt zu geben! allein ist denn Unsterblichkeit Lohn?
Du, o Friederichs Sohn, du Sohn Luisens, erhabner
Theurer Jüngling, erfüll' unser Erwarten, und sey,
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Schöner, edler Jüngling, den alle Grazien schmücken,
Auch der Tugend, sey uns, was dein Vater uns war!
Heiliger kann kein Tempel dir, als dieser voll Gräber
Deiner Väter, und nichts mehr dir Erinnerung seyn,
Dass es alles Eitelkeit ist, und die Thaten der Tugend
Dann nur bleiben, wenn Gott auch von dem Throne dich ruft!
Ach! in dem Tod' entsinkt die Erdenkrone dem Haupte,
Ihre Schimmer umwölkt bald der Vergänglichkeit Hand;
Aber es giebt auf ewig die ehrenvollere Krone
Jenen entscheidenden Tag seiner Vergeltungen Gott!

Notes
Entstanden 1766. Erstdruck als Fragment in: Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur, 2. Sammlung 1766.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Rothschilds Gräber. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B5B9-4