[196] [7]Vierter Theil

Sechzehnter Gesang

Der mißkennet den ewigen Sohn, den Herrlichen Gottes,
Der es nicht weiß, daß durch ihn und für ihn der Vater die Schöpfung
Schuf, und daß er der Schaarenheere, die zählbar nurihm sind,
Jener, die macht der Verstand und die Wahl glückseligkeitsfähig,
Herrscher ist so lange, bis einst aus den Labyrinthen
Aller Welten die Wege des Ewigen alle zu einem
Großen Ziel, zu der Seligkeit Aller, herüberkommen.
Hätte der Herrliche Gottes nicht an dem Kreuze gerufen,
Nicht in dem Tode der Allversöhner: »Es ist vollendet!«
O, so könnte das Heer ohne Zahl der Erschaffenen, ganz dann
Selig, dereinst durch die Himmel »Es ist vollendet!« nicht rufen.
Aber als er zu schaffen beschloß, beschloß er, zu sterben.
Jesus Christus, der göttliche Sohn des ewigen Vaters
Und der Mensch, stieg wieder hinauf zu der Höhe des Berges,
Welcher, bis er sich zur Rechte des Vaters erhübe, sein Thron war,
Sieh, ein Thron auf der Erd' und doch des Beherrschers der Welten!
Unter ihm bebt' und leuchtete Tabor. Die Auferweckten
Standen um ihn und, ferner als sie, die Cherubim Gottes.
Dieser hehre Kreis war offen gegen des Himmels
Allerheiligstes. Christus stand in der Mitte und lehnte
Sich an einen bemoosten Fels, der neben ihm ruhte,
Nicht der Leidende mehr. Vor ihm erloschen der Väter
Und der Cherubim Schimmer in werdende Dämmrung, Eloa's
Lichtausgießende Morgenröthen in Sommermondnacht.
Aber so oft sein Auge voll Gottheit blickte, so faßte
Alle süßes Gefühl der Endlichkeit, standen sie Alle
Gern auf ihren Stufen, auf die in der Reihe der Wesen
Er sie gestellt, so fühlten durch ihn sie Alle sich selig!
Siehe, der Cherub verstand den Wink im gewendeten Antlitz
Christus' und schwebte dahin. Bald kam er mit Seelenschaaren
Wieder, ihr Führer, der Todten, die seit des göttlichen Sohnes
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Auferstehung waren gestorben, und die zu bestatten
Gräber hier Weinende gruben, dort dem Staube die Urnen
Mit der Cypress' umwanden. Die Blume blühet, mit welcher
Einiger Gräber Geliebte nun bald bestreuen; und dennoch
Sprach nicht los das Gericht den Todten im blumigen Grabe.
Christus' Gesendeter führte die Seelen nach Tabor. Sie kamen,
Wie der Gewitterregen, in Sonnenstrahlen hier heller,
Trüber dort, wo es mehr sich wölkt, von dem Himmel herabfällt,
Oder wie, wenn in einer erhabneren feurigen Seele
Leidenschaft kämpft und Vernunft, sie Gedanken zu Schaaren umströmen,
Wahre Gedanken und falsche, doch die mit Geberden der Wahrheit
Täuscher, darein von der Leidenschaft Zauberstabe verwandelt.
Nahe waren dem ersten Gericht die Seelen gekommen.
Und sie schwebten vor Christus und riefen schnelles Erstaunen
Freudig aus und bang, als sie den Gott in der Mitte
Und die Götter um ihn erblickten. Der Herrscher der Welten
Sprach: »Wer seid Ihr, Seelen?« Und dumpfes vermischtes Geschrei rief,
Wer sie wären, bescheidenes Urtheil über sich selber,
Stolzes mehr; allein in dem Antlitz des strahlenvollsten
Unter den Göttern sahen sie bald, daß ihm sie vergebens
Sich verbürgen. Jetzt sondern der Götter einige Seelen
Aus dem Haufen und bringen sie näher dem obersten Gotte.
Christus hielt Gericht, und schnelle Worte geboten,
Schnellere Winke den Engeln. Die Engel zeugten, enthüllten
Flammenschrift; bald rollten sie wieder die Bücher zusammen,
Streuten nur wenig umher des furchtbaren Glanzes. Die Seelen
Redeten, schwebten verstummt. Kurz war des Richtenden Urtheil,
Traf gleich Blitzen, umstrahlte mit Wonne, wie Glanz des Tages,
Den, der blind war, oder sein Wink gebot auch den Engeln
Nur den Weg, den hinauf die Seelen oder hinunter
Wandeln sollten. Es führen der Wege viel' in den Abgrund,
Viel' zu dem Himmel; einige währen Aeonen, und Stunden
Einige. Dort entdecken es ihnen der Welten Bewohner,
Lassen es hier die Seelen selbst erforschen, warum sie
Sich hinauf zu dem Throne des Ewigen schwingen, warum sie,
Ach, hinab in den Abgrund sinken. Der näheren Seelen
Viele riefen und stürzeten sich in den Staub des Gebirges,
Riefen: »Jupiter, Gott des Donners, erbarme Dich unser!
Brama, Tien, Allvater, wir fehlten, sündigten, irrten!
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Zeus Kronion, Götterbeherrscher, erbarme Dich unser!«
Aber den wartenden Cherubim gab der Erlöser Befehle:
»Der vom Euphrates steigt von des Libanon's äußerstem Sterne
Bis zu der siebenten Ceder hinauf des Haines. Gesündigt
Hat er viel; allein stark war die Reizung, und heftig
Seine Seele. Wenn er des Phiala Strahlen sich nähert,
Soll der Bewohner des Sterns des Versöhners Namen ihm nennen.
»Dieses vom Ganges Seele war trüb' und weich; zu Gewißheit
Kam er nicht. Er steiget hinauf bei dem Hermon. Den Richter
Nennt Ihr ihm nie, und früher als Jenem den Sündeversöhner
Bei dem Schimmer Engeddi's! Was neigst Du so tief in den Staub Dich?
Bis zur Unmenschlichkeit stolz war Dieser. Führt ihn zur Hölle,
Eh ich des Oelbergs Gipfel betrete.« »Jupiter, höre!
Zürne nicht so!« Er sank in schnellen Betäubungen nieder.
»Hättest Du Deinen Freund nicht verrathen, so führte der Engel
Dich nicht hinab.« Zween Winke noch lehrten den führenden Cherub.
»Gebt dem redlichen Manne die Palme früher, sobald er
Neben der Quelle Bethlehem's schwebt! Du glaubtest, Allvater
Lohne. Größer ist Gott, als Du ihn, Redlicher, dachtest.
»Stand er zu Schlachten nicht auf, und legt' er zu Träumen von Schlachten
Sich nicht nieder?« Schnell war der Blick des Gebieters, und schnell war,
Der den Blutigen führte. »Dem stillen Verleumder, daß diesem
Jeder schlangenzüngichte Lästrer der Höll' entgegen
Zische, stürzet ihn, Engel, hinab in die unterste Hölle!«
Eilend kam ein Cherub herab aus der Ruhstatt Gottes,
Und wie die wehenden Locken ihm flogen, die Wang' ihm entglühte,
Sank er vor Jesus Christus, dem Weltbeherrscher, zur Erde.
»Mittler, der Stern, deß Hüter ich bin, erhebt zu dem Ziele
Seiner Wandlung sich bald. Des hohen Sternes Bewohner
Haben schon Vorempfindung von ihrem Schwunge zum Urlicht;
Aber sie halten den Durst, aus seinen Strömen zu schöpfen,
Kaum noch aus. Zwar ist ihr Gefühl der Seligen Gottes;
Dennoch ist es Begnadung, wenn Du sie früher hinaufführst.
Darf ich Gethsemane rühren und seine Palmen, so zittern
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Wankender meine Pole, so sinken die Pfeiler der Tiefen
Eh, und mit ihnen hinab die Paradiese des Sternes.«
»Rühre Gethsemane, Cherub, und seine Palmen!« Der Engel
Eilte dahin, das Gestirn, daß es früher ende, zu rühren.
Kermath kam sein Engel entgegen, lächelt' ihm Liebe,
Sagte: »Du warst für die Menschen, mit denen Du lebtest, zu edel,
Guter Kermath. Das war's, daß sie Dich verkannten und haßten.
Trockne sie nun, die Zähren, die Du mit innigem Schmerze
Wegen dieser Verkennung in Deiner Einsamkeit weintest.
Komm, den Lohn zu empfahn, den diese Güte des Herzens,
Diese Geduld Dir erwarb. Blick auf (er wies nach dem Sterne)!
Dort wirst Du auf der ersten Stufe der Seligkeit stehen;
Aber Du steigst die Ewigkeit durch von Stufe zu Stufe,
Stets von Helle zu Licht, von Freude zu Wonne!« Sie schwebten
Mit einander empor zu der ersten Stufe des Frommen.
Einer von Indien's Königen war gestorben. Die Seele
Wallte, noch ganz nicht wach von dem letzten Schlummer des Todes,
Säumte, daucht's ihr, in langen nicht absehlichen Gängen.
Jetzo erwacht von dem Schlummer der Todte, von seiner Größe
Wahne noch nicht, von ihrem Taumel noch immer ergriffen.
K. »Aber wo sind die Seelen der Sklaven, deren Gebeine
Aus der Asche duftender Stauden die Lebenden lasen,
Weineten, daß man ihr Gebein nicht läse? wo sind sie,
Daß sie den todten Satrapen, ihr Herrscher komme, verkünden?«
Einsam wallt' er hervor aus dämmernder Gänge Gewölben
In die Freie des Himmels und sah dann gegen sich über
Einen Unsterblichen stehn, deß Recht' ihm winkte, zu weilen.
Auf den Verwunderten sah der himmlische Jüngling mit Lächeln,
Doch mit beginnendem nur, herunter. »Folge von ferne,«
Sprach zu dem Herrscher der Engel, »dem Schimmer, welchen Du sehn wirst
Hinter mir sich verbreiten.« Er mußte folgen, und bald stand
Er in der Seelen dichtestem Drang und wurde gerichtet.
»Ach, hier find' ich gewiß, hier find' ich Rettung! Denn Götter
Seh' ich hier; und Ihr seid gerecht, Ihr ewigen Götter!
Menschen sind das nicht, sind Hasser, Verfolger der Unschuld,
Blinde, verkennen, wer redlicher ist, wer besser als sie ist!«
Rief ein abgeschiedener Geist und wurde belohnet.
Gelimar lag auf dem Sterbelager, ein feuriger Jüngling,
Recht in der vollen Morgenröthe des Lebens. Sein Freund stand
Neben ihm, reicht' ihm Kühle des Quells in brennendem Durste.
Gelimar sprach: »Auf ewig – was wähnest Du anders? – auf ewig
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Ist es, daß wir uns trennen! So sind die Loose gefallen
Jenes Baums und der Blume dort, des sterbenden Jünglings
Hier, den Du liebest, und Deins und Aller, die Sterblichkeit athmen.
Alles ist aus, vorüber, wenn wir hinwelken, verdorren,
Sterben; Alles vergangen, als wär' es niemals gewesen!
Jüngling, was soll der weinende Blick voll Trostes? Du willst mich
Doch nicht etwa trösten? Was soll mir Tröstung? ich sterbe!
Tröste Dich, daß Du leben mögest! Ich fürchtet' es lange,
Aber ich dacht' es nicht oft in der Freude der blühenden Jahre;
Ach, nun ist es gekommen, und ich muß wallen, hinunter
Etwa ins Grab? ich walle nirgends hin! Denn ich bin dann
Aufgelöset, ein Nichts. Du wirst dem verwesenden Leichnam
Doch wol den Namen des Freundes, der Dich liebte, nicht geben?
Ehmals schonet' ich Deiner Thränen; itzt kenn' ich kein Schonen,
Selber Deiner Thränen nicht mehr. Mit eisernem Arme
Fasset der Tod, und eisern wird des Sterbenden Seele.
Ha, er ist voll des Entsetzens, der schwarze Gewittergedanke,
Daß ich sterben muß, hinstürzen muß und verwesen!
Höre, vernimm, bewahre des Scheidenden Wort, Du Geliebter,
Wie ein Krieger den Schild: Ach, daß ich sterbe, vergehe,
Klag' ich die Götter nicht an. Wir Armen sind zu geringe
Zu der Unsterblichkeit. Eile nun hin und schöpfe der Quelle
Ganzen Strudel mir aus, damit ich noch einmal mich labe
Oder, wird es mir Tod, gleich sterbe!« Der Freund gebietet,
Und sie bringen ihm dar die volle Schale des Todes.
Bleicher ward er und schwindelt' und zittert' und starb. Die getrennte
Seele schlummerte fliehenden Schlaf von der letzten Erschüttrung.
Ach, sie schwung sich empor. Schon strömte des lauten Erstaunens
Donnerruf, schon floß der freudigen süßen Verwundrung
Silberstimme: »Ihr Götter, unsterbliche Götter, ist's möglich?
Götter der Sonn' und des Mondes, ist's möglich? ich lebe? der todt war,
Lebet? Ihr Götter der Erd' und des Himmels und aller der Sterne!
Ach, ich bin – kein letzter Traum des sterbenden Leibes
Ist es – ich bin! und dieser kein Leib, so wie Blumen verwelket.
Heilige, heilige Götter, der Sonne Götter, des Mondes
Und der Sterne, die dort mir immer herrlicher strahlen,
Gute, wo seid Ihr? wo such' ich Euch auf? wo stürz' ich mich nieder,
Weine Dank, daß ich bin? und nun auf immer, Ihr großen
Ewigen Götter! Wo klaget mein Freund? Zu weit von der Erde
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Schweb' ich. Wo jammert des Leidenden Herz, er werde vergehen,
Wie, den er liebte, verging? Vergehn, Du Treuer, Du Guter?
Warum starb er nicht auch? Vergehen meinst Du, Du Treuer?
O, die erhabenen heiligen Götter, die Schöpfer des Todes
Und des Lebens, die ewigen Götter meinen es anders!
Darf ich hinuntersteigen, den Hain besuchen, in dem er
Mir mein Grab aufgräbt? mit einer Labung zum Tod ihn
Letzen und ihn mit mir herauf zur Unsterblichkeit führen?«
Jetzo erblicket' er Wesen, die gleich ihm waren; sie schwebten
Nieder nach Tabor; auch andere sah er, welch' ihm nicht glichen;
Und die dauchten ihm Götter zu sein. Er eilet zu Diesen,
Sinkt anbetend nieder und rufet: »Ich bin! ach, ich dank' Euch,
Preis' Euch, lieb' Euch, bet' Euch an, Ihr ewigen Götter,
Daß ich bin!« E. »Wir sind Erschaffne.« G. »Gestorben wie ich? lebt
Nach dem Tode wie ich?« E. »Gott ist nur Einer. Er schuf uns,
Aber unsterblich. Folg uns jetzt! Bald giebt Dir Erkenntniß,
Der die Sonnen, die Cherubim schuf und die Seelen der Menschen.«
Und er kam zum Versöhnenden, ruft' ihm die ersten Jubel,
Folgte dem Führer den Pfad hinauf, den Gott für ihn auskor.
Sonnen gingen auf und Sonnen unter, und immer
Währte Christus' Gericht. Wie wechselnde Regenschauer,
Kamen die Seelen, itzt dicht aus der Wolke stürzend, itzt träufelnd,
Trockneten weg in dürren Gefilden oder entflossen,
Silberquellen, blumigen Hügeln. Der Himmlischen Wehmuth
Oder Wonne begleitete stets die Seelen, nachdem sie
Aufstieg oder sank, die schicksalentscheidende Wagschal'.
Fließe mir jetzt ein rieselnder Bach in den Strom des Gesanges,
Den vollendend ich der Erlebungen seligste fühlte.
Hundert Monde sind vorübergewandelt, seitdem ich
Sang von des Mittlers erstem Gericht. Mich umleuchtet' auch damals
Hoffnung zu meinem Erlöser: vollenden würd' ich! Doch zog einst
Trübes sich um den himmlischen Strahl. Da war's der Gedanken,
Er mir allein: mich in Allem zu unterwerfen! Sie kamen,
Schonten mein nicht und redeten laut von dem Tod und vom Leben;
Etliche schwiegen und redeten so noch lauter vom Tode.
Doch ich verbot den Schauer mir, sträubte mich gegen sie, litt's nicht,
Lebte, vollendete. Preis auch heute dem Herrn, dem Erhalter,
Inniger, heißer Dank! Sie stärket uns, zögert des Todes
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Gang, die mächtige Freude. Zuletzt vermag sie's nicht länger,
Und wir wallen zur Heimath. O tiefer Genuß, wenn auch ich nun,
Einer der kältesten Forscher des menschlichen Denkens und Schicksals,
Drüben steh' und schaue, wie sie herüber mit jedem
Winke der Zeit in Schaaren zu uns, der Gestorbenen Seelen,
Kommen, Zweifler und Leugner und Christen, der Freund, dem vor Kurzem
Um den Freund die heilige Thräne noch rann, die Geliebte,
Lange schon Wittwe, vor Wehmuth lang' verstummt, in der nahen
Fliegenden Wolke der kommenden Todten, und Aller Schicksal
Aufgekläret, umstrahlt, nichts unenträthselt gelassen!
Jeder Staub gewogen, verweht Gebirge der Täuschung!
Wer, dem jemals die Wollust ward des Grübelns und Wissens,
Dürstet nicht hier, auch drüben zu sein? Nur menschliches Schicksal
So zu lernen und, stets in neuer Irre, des Ausgangs
Faden zu finden, schon das ist Fülle der Seligkeit! Eil' itzt,
Bach, und riesl' in den Strom, des neuen Bundes Gesang, hin.
Eines Königes Burg war eingesunken. Die Todten
Kamen. Lüstlinge waren sie oder Tyrannen gewesen.
Einer nur hatt' ein Herz. Der Schwarm umringt' ihn, verbarg ihn,
Und er ließ sie's; nicht lang', und er stand vor den Engeln allein da.
Wie ein redlicher Mann, den Verleumder umwölken, verachtet,
Sich zu vertheidigen, schweigt; denn bald verzieht das Gewölk sich.
Ach, noch rauchet sein Blut, noch rollt er das Auge, noch starrt es
Ganz nicht hin, noch zuckt sein Gebein. Nun streckt er dem Grabe
Völlig sich aus und entschläft. Er hatt' in der Wuth der Verzweiflung
Gegen sein Herz gerichtet den wankenden Dolch, zu der Erd' ihn
Niedergeschmettert, ihn wieder gefaßt, mit furchtbarer Lache
Blinken gesehn den Verderber, hatt' Ahndung gehabt von Blute,
Schwarzem eigenen Blute, mit Kälte den Dolch auf den Herzschlag
Angesetzet, ihn langsam zurückgezogen, mit hohem
Arme gezielt und gestoßen, daß dumpf die eherne Brust ihm
War erschollen, unter des Fallenden Last erschollen
War die Erde. Sein Geist stand jetzt vor dem Richter, besann sich
Kaum noch, was jene Wolken, von vollem Monde gehellet,
Wären, was wäre jenes Gestirn, so die Wolken ihm hellte.
Ach, und diese Götter! Das weckt' ihn. Die Himmlischen alle
Schauerten, zweifelten. Aber der Richter lächelt' ihm Gnade.
Allmacht war sein Lächeln, schuf um zu Wonne das Elend.
Endlich hatt' Elisama sein graues Haupt in die Grube
Niedergelegt, ein dürftiger Greis, der wankend am Stabe
Vor der Thür der Reichen sein Brod erflehte, sein Wasser
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Schöpft' aus den Quellen. Er war empfindliches Herzens gewesen,
Aber geduldig. Ein Held, wie Wenige, hatt' er des Lebens
Größte Trübsal nicht nur ertragen, hatte den Schöpfer
Aller Dinge, den Geber der Freud' und des Schmerzes, gepriesen.
Könige konnt' er ehren und wurde sogar von den Letzten
Unter dem Volk verachtet. Er lag schon lang' auf dem Lager
Todt, und noch kam Keiner, der ihn begrübe; da leckt' ihm
Einmal sein Hund noch die kalte Hand und starb. Elisama
Stand vor dem Richter. Ihm bracht' ein freudestrahlender Cherub
Eine Krone vom Richter. Im weiten Kreise der Engel
Und der Erstandnen walleten leisere Lispel, der Freude
Stimmen, umher, da der Cherub die Krone dem Duldenden brachte.
Manches Gesetz, weil es leicht ihm wurd', und in seiner Seele
Keine Neigung nicht war, die sich dawider empörte,
Hatte Zadech erfüllt, und stolz war dieser Getäuschte
Auf den kümmerlichen Besitz, den er hatte, geworden,
Auf den Brosam grünliches Brod, den hölzernen Becher,
Aus der stehenden Lache gefüllt, die sinkende Hütte
Und den kupfernen Scherf. Wer solche Arme verachtet,
Weh Dem! aber auch weh dem Mann des Elends, der stolz ist
Auf ein Wenig leichtere That, und selber dem Reichen
An weit schwererer, wenn er dabei mit stolzer Erwartung
Sich einschläfert und Kronen des Lohns an dem Ziele der Laufbahn
Ohne Demuth sich träumt. Den dürftigen Zadech versenkten
Seine Genossen ins Grab; die Seele stand vor dem Richter.
»Steig hinunter mit ihm!« Der Cherub begann ihn zu führen;
Aber er sträubte sich, wandte sich, wollt' entfliehen, vermochte
Nicht zu entfliehn, rief, redete, schwieg. »Mich? welcher so vielen,
Allen Gesetzen gehorchte, der ich Belohnung erwarte!
Mich? Wer bist Du, o Du mit den blutigen Strahlen, der diesen
Schrecklichen Pfad mich führt? Verstandest Du den Befehl auch,
Welcher Dir ward? Ha, wüthe nicht so! Ich fühle die Wendung
Deines Schwunges, fühle das Drohn der tödtenden Augen.
Ungerechter, Du zwingst mich! O, möchte Nacht Dich verschlingen,
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Flammen Dich überströmen und Deine Strahlen vertilgen!
Ha, wer bist Du? weiche von mir!« rief's, trieb nach dem Cherub
Dunkles Gewölk. Schnell leuchtender Nebel, schneller noch Duft, schwand
Vor des Cherub's Glanz das Gewölk. Der Führende schwebet
Vorwärts. Die Seele fühlet die Kraft des Unsterblichen, sträubt sich
Gleichwol, empöret sich noch. Es gelang ihr, in eine der Klüfte
Drei Berghöhen hinab sich zu stürzen. Nun schonte der Cherub
Länger nicht mehr. Sein Ruf war Donner geworden. Die Seele
Kam aus dem Abgrund bebend herauf und flog mit dem Führer.
Heere schlugen. Die Führer der Heere, Eroberer Beide,
Sanken. Umher im verstummten Gefilde lagen die Leichen,
Lagen die Wundenvollen gestreckt, und wie Wolkenbrüche
Strömten die Geister der Todten herzu, mit ihnen der Führer
Geister. Der Richter der Welt erhub die Rechte; da stürzten,
Schmetterten Donner herab auf die beiden großen Verbrecher.
Lange hallt' es den Hochverräthern der Menschlichkeit nach, dumpf,
Weit hallt's nach, voll Entsetzens nach in die Klüfte Gehenna's.
Und nun ruft' es empor von dem Abgrund schicksalverwünschend,
Schwirrt' es als Geißlung. Der eben erst gemordete Kriegsknecht
Geißelte, schrie: »Auch hier wird Schlacht geschlachtet!« und schwung dann
Höher, ergrimmter den Arm. Der Eroberer Kettengeklirr scholl
Langsam, zuckend, und grauser noch Hohngelächter der Hölle.
Melodieen, der süßesten Wonne Gespielinnen, stiegen
Mit dem Lispel empor der Engelharfen. Denn erdlos
Kamen vom Ganges, vom Rhein, dem Niagara und Nilus
An den Cedern einher auf Tabor Seelen der Kinder.
Wie, gesondert von vielen und großen Heerden, aneinem
Langen Hügel hinab, genährt vom Frühlinge, Lämmer
Weiden, so kamen einher an des Tabor's Haine die Seelen.
Aber der Richter richtete nicht. Sie wurden der Wege
Viele geführt, von Sterne geführt zu Sterne, bevor sie,
Himmlische Jünglinge nun, erhabnere Pfade betraten.
Manches sahn sie zuvor auf ihren Wegen und lernten
Manches, umtanzt von fröhlichen Stunden. Mich däucht, es ertönte
Einst von diesem mir auch die vielbesaitete Harfe:
Irgendwo in Gefilde der Ruh wird eines Säuglings
Seele geführt. Auf einem der Blumenfelder begegnet
Ihr die Seele des einzigen Freundes, den Elisama
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Uebrig behielt, und der dem entschlafnen Greise die Hand noch
Leckt' und starb. Die Seele des treuen Hundes gesellet
Sich zu der Seele des Säuglinges, folgt ihr und will sich nicht trennen.
Dieser verstößt sie nicht; bald aber wird sie sich dennoch
Trennen müssen, wenn er nun hinauf in höhere Sterne
Steigt; doch gesellt sie sich gern zu neuankommenden Seelen.
Freuderufend erhob sich die Seele Geltor's und schwebte
Mit dem führenden Engel. Als sie der wallenden Monde
Rauschen nicht mehr vernahmen, nicht mehr der beschweiften Kometen
Fliegendes Donnergetös' und die stille Heitre des Himmels,
Näher den nicht begleiteten Sonnen, erschwebten: Gestalten
Stiegen da auf um Geltor, nicht des sinnenden Geistes
Bildern, nicht Traumerscheinungen gleich; er sah und er hörte,
Was er Gutes im Leben, das nun gelebt war, und Frommes
Hatte gethan; er lebt' es wieder, doch ohne den Anblick
Seiner Fehle und voll von dem Himmelsgefühle, daß Gott es
Ihm belohne. Mit hochgefalteten Händen des Preises
Sieht er um sich die Dürftigen, welch' er labte, die Waisen,
Die er zu taugenden Männern erzog, die Bräute, die Freunde,
Schaaren der Freien, für die in der Schlacht, sie zu retten, sein Blut floß;
Und er wallt' in der Heerschaar fort, mit freudigem Rufen
Und noch froherem Dank des süßen Lächelns gesegnet.
Sonnen gingen auf, und Sonnen unter, und immer
Währte Christus' Gericht. Wie wechselnde Regenschauer,
Kamen die Seelen, itzt dicht aus der Wolke stürzend, itzt träufelnd,
Trockneten weg in dürren Gefilden oder entflossen,
Silberquellen, blumigen Hügeln. Der Himmlischen Wehmuth
Oder Wonne begleitete stets die Seelen, nachdem sie
Aufstieg oder sank, die schicksalentscheidende Wagschal'.
Hagid und Syrmion zuckten ihr Schwert auf einander, und Beide
Taumelten hin in ihr Blut und hauchten mit Zorne den Geist aus.
Ihnen klirrten aus sichtbarer Nacht diamantene Ketten
Fürchterlich, dumpf, fernher, sie mußten nahen, entgegen.
Einem Geiste der Hölle gebot's ein Cherub; der fiel sie
Wuthvoll an und kettete sie an einander. Des Abgrunds
Kluft, in welche sie stürzten, erscholl von der Rufenden Falle.
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Toa, ein Jüngling auf jener Erd' in der Ruhstatt Gottes,
Wo die Sünde nicht ist und der Tod nicht, schaute dem Cherub,
Der ihn traurend verließ, mit Erstaunen nach. Doch es wurde
Bald sein Erstaunen zu Schrecken. Er hatte wider den Schöpfer
Und den Mittler Klage geklagt, mit der Klage begonnen,
Mit der Empörung geendet: daß Denen Leiden des Todes
Bliebe, die doch aus dem Grabe zur seligen Ewigkeit kämen!
Und er schaute bestürzt umher und erblickt' in dem Thale
Chöre Feirender, welche, mit junger Blüthe gekränzet,
In den mächtigen Strömen der himmlischen Harmonieen
Fortgerissen, von lieblichen Reihn der Wonne beflügelt,
Gottes Pfad in dem Labyrinth der Beseligung sangen.
Und er wallet' hinab, von seinen Thränen zu reden;
Aber er stand bald still. Ihm winkt' ein anderer Engel,
Und er mußte folgen. Verwundernd fühlt' er sich schweben.
Ach, nicht lang', und er sah in weiter Fern' sein Geburtsland
Hinter sich leuchten; er sah's, wie andere Sterne der Schöpfung,
Sah es – ach wie erstaunt' er! – bei einer Sonne verschwinden.
T. »Engel des Herrn, wo führst Du mich hin?« Der Engel des Herrn schwieg.
T. »Engel des Herrn, was hab' ich beweint?« Der Engel des Herrn schwieg.
Und des Unsterblichen Feuer verlosch auf der blühenden Wange.
T. »Engel Gottes, ach, hilf mir!« E. »Ich kann nicht helfen.« Sie flogen
Wie auf Flügeln des Sturms, und lange verstummten Beide.
T. »Wer gebot Dir, mich wegzuführen?« E. »Der Richter.« Sie sahen
Jetzo die Erde, zwar ferne, doch schon noch lockere Gräber.
T. »Ach, das sind die Hügel der Todten!« E. »Das sind der Aussaat
Stätten.« T. »Und jener viel höhere dort mit den blutigen Kreuzen
Bei den Hütten?« E. »Ist Golgatha.« T. »Golgatha? Seraph, ich sehe
Sterbliche dort; allein wo ist, der den Sterblichen Leben
Gab?« E. »Du siehst es glänzen. Du kennst uns.« T. »Ach, ich erblicke
In der Cherubim Mitte den Hocherhabnen des Himmels!«
E. »Ja, Du siehest den Richter der Welt.« T. »Und, wehe mir, meinen!
Führst Du zu ihm mich?« E. »Eile!« Sie kamen hinab zu der Erde,
Schwebten nach Tabor hin. Mit Seelenschaaren erreichte
Toa den Berg des Gerichts, der zweiten Verklärung des Mittlers.
[17]
Also kommt, wenn ein Sturmwind braust, mit gewelkten und frischen
Blüthen auch eine der schon gebildeten Früchte geflogen.
Als er unter den Seelen sich sah und mit ihnen herüber
Kam zu dem schreckenden Berge, da wär' er gerne geflohen;
Aber ihn hielt verborgne Gewalt. Er stand vor dem Richter.
Cherubim traten herzu. So schweigt der benachtete Himmel,
Ehe der Donnersturm sich erhebt: so war die Versammlung;
Kurzer, geschleuderter Schlag schlägt hoch herunter: so klagten
Ihn die Cherubim an. Die Kläger hatten gesprochen,
Und die Strahlen Eloa's, der Christus schaute, verloschen
Schnell in Schimmer; es bebten die Auferstandnen, die Engel,
Toa, die Seelen bebten. Auf einmal ergoß sich die Blässe,
Kam die Geberde des Todes, und mit des ernsten Erstaunens
Lautem Ruf sank Toa und starb. Der Arm der Allmacht
Wandelte bald die Verwesung in Staub, gab bald den getrennten
Staub den verwehenden Winden, und, ach, der Seele des Todten
Wurde kein Leib aus der Heitre geschaffen. Sie war allein, war
Ganz von allen Wesen verlassen, war nicht in der Schöpfung,
Nicht auf der Erde der Sterblichen, nicht auf ihrer. Sie sahe
Keines Unsterblichen Antlitz, vernahm in der bitteren Wehmuth
Keines Himmlischen Stimme. Sie dachte wie ehmals, auch konnte
Sie sich bewegen; doch blieb, auch bewegt, sie stets in der Oede.
Wehe! vor ihr war jeder Schauplatz neuer Erkenntniß
Weggesunken; sie hatte nur Voriges und sich selbst, war
Freundelos, ohn' einen Laut Antwort auf die bange
Frage: wenn sein Gericht der Richter endigen werde?
Nur daß ihr aus den alten zuweilen Gedanken entstanden,
Welche, doch dieses wußte sie nicht, die ihren nicht waren.
Zu der Schaar der Todten ward der Stolzesten einer
Unter den Menschen geführt. Der aufgeschwollne Verbrecher
Hatte seinem Volk die heiligen Rechte der Freiheit,
Sie mit Schlangenentwürfen und Klaun des Löwen entrissen.
Da verraucht war das Blut der Unterjochung, und ganz nun
Ueber die Fesselbeladnen ihr Haupt die Herrschsucht aufhub,
Schwelgt' er und zischete Spott den Verstummten; kaum waren sie Menschen,
Er ein Gott. Bald kroch der Wurm zu der Leiche des Gottes.
Als, dem Richter schon nah, ihr Führer, ein himmlischer Jüngling,
»Folge!« noch einmal der Seele gebot, und sie von des Todes
Schrecken nun ganz sich ermannete, hielt sie im Schweben. Der Seraph
Sah's, und ein Wenig Feuer, wie uns der Sirius funkelt,
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Schimmerte ihm von der Wange. Noch säumte der Todte. Da wandte
Sich der Jüngling, und mit der leisen Bewegung der Urkraft,
Wie in dem Himmel sie Gott anschuf, berührte des Engels
Wehen, indem er sich wandte, den Todten. Da folgt' er, als rissen
Stürme dahin, als wirbelten ihn Orkane wie Meerschaum.
Und er war, zu beginnen ein Hohngelächter, in Arbeit;
Aber es wurde Geheul. So stürzte der führende Seraph
Ihn vor des Richtenden Fuß in den Staub. Der Göttliche sagte:
»Seele, wer bist Du?« Da hub der Todte sich: »Bist Du der Götter
Einer des Himmels, so wisse, daß ich von den Erdegöttern
Einer bin, und daß dem Gotte kein Gott gehorchet!«
Christus sah umher in der Schaar, die um ihn herumstand;
Samed war's, den der Wink des Versöhners erkor. So gebot er:
»Richt' ihn, Samed!« Da ging in Samed's Angesicht Freude
Wie ein Morgen des Frühlinges auf. Schon wußte des Knaben
Seele, wie kühn Der bitten dürfe, den, über die Todten
Auszusprechen Entscheidung, der Gottversöhner erwählte.
Und er sank und betet' und ward erhöret. Da wandt' er
Sich zu dem Todten und sprach: »Des Abgrunds niedrigsten Sklaven
Sollst Du dienen, Empörer! wer tief an die untersten Stufen
Deines Throns sich stürzte, von dort wegschlich und mit Wuth trat
Auf den Nacken der Unterjochten, der leidenden Guten,
Diesem! Sein zweifelnder Wink schon soll den Fuß Dir beflügeln,
Dich anklagen der Säumniß die wahnsinntrunkene Fodrung!«
Und der Gerichtete fühlt' auf einmal sich schwerer und sank, so
Ueberlastet, hinab, wo der Sklaven Wink auf ihn harrte.
Zoar hatte, vereint in langer daurender Freundschaft
Bunde, mit Seba gelebt. Und jetzt ward ihnen, was selten
Freunden ward. Sie starben zugleich: mit sichrer Erwartung
Jener Herrlichkeit Seba, indem er sich selber die Krone,
Als dem Würdigen, gab; mit Reu' und Befürchtung und Demuth
Zoar. Anders sinket und steigt des Richtenden Wagschal'
Als des Menschen. Da sie zum Gericht ein Unsterblicher führte,
Sprachen sie unter einander: S. »O, Loos des himmlischen Lebens!
Ach, wie ist uns so lieblich das Loos des himmlischen Lebens,
Zoar, gefallen!« Z. »Auch hier vereint uns Beide die Freundschaft,
Ewig ist nun, o Seba, ihr Bund!« Der Unsterbliche hört' es,
Schwieg. Sie standen vor Tabor's Gericht. Dem Unsterblichen sagten's
Winke des Richters. Er führte. Nicht lang', und es kam aus den Fernen
Einer Oed' ein Engel des Todes. Er wandelte langsam,
Aber gerad' auf sie zu. Des schrecklichen Unbekannten
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Richtung und Gang schien, wünschte man ihm zu entfliehn, unentfliehbar.
Noch war zwischen den Dreien und zwischen dem Todesengel
Weite wie Meere. Doch Zoar, als er die Eile des Seraphs
Sah, des Geleiters, der sie aus jener ernsten Versammlung
Hatte geführet, weg sie geführt von dem Antlitz des Einen,
Welcher vor Allen ihm schien ein Hocherhabener, Zoar,
Als er des Todesengels Herüberschauen erblickte,
Ueberströmt' es wie Schrecken. Er säumte. Der Todesengel
Stand vor ihnen und hielt die hohe Flamme gen Himmel:
»Du bist angenommen, und Du verworfen!« Er wandte
Sich mit dem Donnerworte zu Seba. Als Dieser zu hören
Wieder vermocht', erscholl das zweite Wort des Verderbers:
»Scheidet!« S. »O Himmel und Erd' und Alles, was heilig ist, Menschen,
Engel und all' Ihr Wesen der ewigen Dauer, verworfen?
Scheiden? Verworfen! hast Du, hast, Donnerer, Scheidet! gerufen?
Macht der Mächte, wer bist Du?« Z. »Ach, Seba, Seba, Geliebter,
Auserkorner, vor Allen mir auserkoren, so lange
Theuer mir, so lange mein Freund!« S. »Mein Zoar! Auf ewig,
Donnerer eines Gerichts, das meinem Forschen zu hoch ist?«
T. »Ob auf ewig? fragest Du mich.« (Indeß war des Führers
Glanz in Dämmrung erloschen.) »O, frage mich nicht; den Seraph,
Der Euch führte, den frag, er kommt von dem Richter des Himmels
Und der Erde!« S. »War Der, der so vor den Cherubim allen
Strahlte, der Richter der Welt? und hat er diese Verwerfung,
Diese Scheidung geboten? Unsterblicher, welcher uns führte,
Meinen Zoar und mich, Du Engel Gottes: Auf ewig?«
In noch trübere Dämmrung gehüllt, antwortet der Führer:
»Er hat Alles geboten. Gehorch und scheide!« S. »Geboten
Er, der auf mich nicht niederschaute? der Anderer Schicksal
Zwar entschied, doch auf mich mit keinem Blicke nicht schaute?«
Zoar sprach: »Er blicket' auf Dich; es dauchte mir, ernstvoll
Blickt' er auf Dich.« S. »Du zeugest wider mich, Du Geliebter?
Weh mir! in dieser Stunde des Grauns? und an diesem Abgrund?«
Z. »Ach, ich zeuge nicht wider Dich! Du weißt ja, ich konnte
Nie die Wahrheit verhehlen. Umarme Deinen Getreuen,
Seba, ich zeuge nicht wider Dich!« Der Engel des Todes
Hatte sich weggewendet und niedergesenkt zu der Erde
Seine Flamme, gemildert ihr Drohn. Denn Zoar umarmte
Seba; denn Zoar weint' und Seba blutige Thränen.
Aber der Sonderung Stunde war da, die schreckliche, bittre,
[20]
Stumme Stunde war da; der Verderber mußte die Flamme
Wieder erheben, wieder mit ihrem Schrecken sie waffnen.
Ach, er flammt', und er schaut' herunter und ruft', und Entsetzen
War die eiserne Stimme des Rufenden. »Scheidet!« Sie schieden.
Cerda, ein kenntnißbegieriger Jüngling, lag auf dem letzten
Lager und war mit dem doppelten Segen des vollen Bewußtseins
Und der Todesgewißheit gesegnet. Heiß vor Erwartung
Dessen, das kommen werde, genoß er so mächtiger Freuden,
Daß er mit Drücken und Küssen und heftigem Schütteln der Hände
Jeden empfing, der ihm nahte, den Freund und den Feind. Da er todt war,
Durfte sein Engel, bevor er ihn brachte zum richtenden Mittler,
Ihn in die Tiefe, die Höh', in die Freie der Himmel ihn führen.
O des Todes, der Gottesgabe! Nun schwebet' er, kreist' er,
Schauert' er in den Weiten des Unermeßlichen, sahe
Gottes Gestirn' und hört', in der Näh', in der Ferne, sie wandeln,
Selber die Gottesgestirn' in der Straße des Lichts, und auf ihnen
Ihre Bewohner, die Namen nicht nennen, Zahlen nicht zählen.
Schaarenheer' umringten ihn jetzo, welche der Schöpfung
Fest begingen. Nun hielt er es länger nicht aus, sank nieder
Auf ein röthlich Gewölk am Wasserfalle. Wie schlummernd
Lag er, erblaßte zu Schimmer; ihm daucht's, er stürbe noch einmal.
Schaaren wurden herzugeführt; in dem dichten Gewimmel
Rief's: »O des rollenden Donners Gott, der weit den Olympus
Aus der schwarzen Wolk' erschüttert, wir brachten Dir Farren,
Sie mit Blumen der Thale geschmückt; wir brachten Dir Widder,
Sie mit Laube! Was thaten wir Sterblichen? Zürne nicht, Vater
Aller Götter! Ihr Götter um ihn, ach, zürnet auch Ihr nicht!
Du mit der furchtbaren Urne, Du hast sie versenkt, sie verborgen
Irgendwo dort in der Nacht; laß, Minos, nicht fallen, nicht fallen
Deine wüthenden Loose, verbirg auf ewig die Urne!
Brama, wir haben uns ja ... Laß, Minos, die Loose nicht fallen!
Brama, gefesselt, verwundet, gedorrt an der Sonne! verschmachtet
Sind wir, Brama, vor Dir! Ha, Gott der Haine, Du zürnest,
Wodan, doch nicht? Allvater, doch nicht? Dir floß ja, Dir floß ja,
Krieger, der Jünglinge Blut in der Schlacht. Gefesselt, verwundet,
Brama, gedorrt! Wir sind der Feigen Tod nicht gestorben,
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Sind in der Schlacht ... Verbirg, o Minos, die Urne, zerschmettre
Sie! laß wehen hinab in das Chaos die wüthenden Loose!
Sind in der Schlacht an tiefen, an brennenden Wunden gestorben,
Sind ... Mit kränzenden Blumen geschmückt, und die Widder mit Laube!
Hebe die Rechte nicht, sammle nicht, Zeus, die erschütternden Wolken!
Zeus Kronion, erbarme Dich unser! laß schlummern die Donner!
Sind für Freie, für Freund und Braut in Blute gestorben!«
Ruften die Seelenschaaren und wurden mit Gnade gerichtet.
Jesus wandte sich, sprach: »Komm, Engel der Erde!« Eloa
Folgte. Schon that vor ihnen der Schöpfung Weite sich auf; laut
Scholl's in dem Unermeßlichen. Lichtglanz strömten die Sterne
Aus den Meeren und von den Gebirgen. Die Pole der Himmel
Schauerten sanft. Nur leise berührete sie in dem schnellen
Gang der Allmächtige. Da den Versöhner kommen er hörte,
Sahe, da schwebt' in der Wonn' hinaus in die Oede, da eilte
Abdiel wieder zur Pforte der Hölle, ruft' es dem andern
Hüter, eröffnete wankendes Ungestüms, daß die Riegel
Klangen hinab und die Angeln ins ewige Grab. Die Verworfnen
Sahn wie in Flammen den Seraph und hörten es stets noch, als rollte,
Schmettert' ein Donnerwagen auf tausend Rädern herunter.
Jesus trat in das offene Thor der Hölle. Die Hüter
Waren nieder vor ihm auf ihre Stufen gesunken,
Und sie erhoben sich, sahn anbetend dem Richter der Welt nach,
Sahen, wie er hinunterstieg in die Tiefe der Tiefen,
Und wie die Satane weit umher zu Felsen erstarrten.
Stürmendes Fluges, ihm strömet zurück sein Schimmer, des Schwertes
Flamme zurück, ereilt den Messias der Todesengel
Erster. Ihn hatte zur Hölle gesandt der Vater. Er sollte
Jenes Gericht, das er sehen würde, den Himmeln erzählen.
Jesus ging nach dem Throne des Abgrunds zu, der erhöhter
Auf den steigenden Tempel des Hassers Gottes und Satans
Schreckliche Schatten warf. In des kommenden Mittlers Geberde
War, in dem Antlitz des Ueberwinders, mit göttlicher Ruhe
Ueberstrahlt (Urkräfte begannen durch sie), war Allmacht.
Unter des Wandelnden Fuß ward Eden; hinter ihm wurde
Eden wieder zur Hölle. Der Furchtbare stand auf des todten
Meeres Gestade, schwieg. Fliehn wollten die Satane; Fliehn war
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Ihnen versagt! ha, sterben! kein Tod erbarmte sich ihrer!
Neben dem Mittler stand mit weitumschauendem Auge,
Heißer Erwartung voll, Eloa. Gedanken der Engel
Denken nicht schneller: so stürzt' auf einmal der Thron des Abgrunds
Trümmer hin ... Dampf, Flammen entstiegen der liegenden Trümmer,
Schossen, wallten empor, und weit umher in Gehenna
Krachten tausendmal tausend der Widerhalle. Der Tempel
Stürzet', und keine Trümmer war des Gewesenen Zeugin.
Du, Eloa, wurdest gewahr in dem Antlitz des Mittlers
Ein Hinschaun, daß Du nieder bei ihm mit dem vollen Gefühl sankst
Deiner Endlichkeit. Dumpf brüllt' auf der Satane Rufen,
Dumpf scholl's her mit der Woge des Meers zu dem hohen Gestade:
»Ha! was bin ich geworden? was Du geworden? und dennoch
Leb' ich! Wehe mir, lebe! Lebst Du auch? Ha, was säumet
Denn sein Donner noch? Wird länger nicht säumen, nicht säumen!
Niedergeschleudert, daß mit die Hölle vergeht, daß die Lasten
Ihrer Gebirge, wird bald ...« S. »Ha, rufet es, brüllt es mir zu: Wer,
O, wer seid Ihr geworden? Ich lieg', hier lieg' ich,« Satan
Zittert' es, stammelt' es, »lieg' an dieser Verwüstung und starre
Weit hinunter gestreckt!« Wo der Tempel der goldenen Tafel
Hatte gestanden, auf dieser geebneten Oede Gefilden
Lag Adramelech und rief, daß der Andern Stimmengetöse
Niedersank: »Hier lieg' ich, Du Weh des Wehes! Gericht Du,
Dem selbst sie verstummen, die Donner Gottes! hier starr' ich,
Last' ich die Höll', ein Todtengeripp!« Da der Engel der Erde
Ihre furchtbare Täuschung vernahm, mit der sie sich täuschten,
Bebt' er zurück. Die verworfenen Seelen, mit ihnen die Seele
Philo's, Ischariot's Seele mit ihnen, waren wie Wolken
Aus den Fernen herüber zum todten Meere gezogen.
Jetzo sahn sie den Richter nicht mehr, sahn über dem offnen
Schreckengefild weit ausgebreitet Todtengerippe,
Engelgebein, und von ihnen umringt in seiner Gestalt stehn
Abbadona; allein auch er erblickte Gerippe.
Täuschung hatte sich über die ganze Hölle verbreitet;
Nur der eignen Verwandlung entsetzliche hatte der Seelen
Und des Engels geschont. Der feurige leuchtende Klumpen
Stand in der Mittagsgluth hoch über dem Meere des Todes,
Erst entstellter als sonst, von schwarzen Beulen des Urstoffs
Aufgeschwollen; allein die öffneten sich und ergossen
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Lichteren Brand, aus jedem der furchtbaren Rachen ein Gluthmeer.
Weißer ward das Schreckengefild bis hin, wo kein Auge
Mehr von einander vermochte die Grabgestalten zu sondern.
Aber auch da, wo die Seelen sie unterschieden, erkannten
Sie doch Keinen als nur an seiner Stimme Gebrülle.
Denn wie sonst die Stimmen herauf mit dem Ocean brausten,
Wie von dem Felsen herab sie schmetterten, schollen sie jetzt auch,
Jetzt nur dumpfer vor Qual, vor Wuth, vor Entsetzen gebrochner!
Satan richtete sich zuerst ganz auf, und allein stand,
Hoch stand Satan unter den Todten, schlug, daß es furchtbar
Widerhallt' aus den Trümmern des Throns, mit der Hand an den Schädel,
Rufte, der Klippe, die lang aus den Wolken schwindelnd herüber
Hing, das Entsetzen des fliehenden Wanderers, und dem Damm gleich,
Der in dem widertönenden Walde den Strom noch zurückzwang,
Welche zugleich jetzt stürzen; so brach sein wüthender Schmerz aus:
»Ja, ich weiß, was es ist, daß diese Gestalt Euch belastet!
Daß Ihr ihn an dem Kreuz bei den Schädeln tödtetet, würgtet,
Mordetet, ihn in das Grab eingrubt: Das ist's, Ihr Verruchten,
Das, Ihr Geripp', Ihr Gräul, wovon die Verwesung, des Nagens
Müd', aufstand! ha, Ihr Ungeheuer, welche der Donner
Gottes zerstreu', und des Abgrunds Beben wieder vereine,
Wieder zusammenwerfe der Sturm, und das Meer in Empörung
Gegen den fliegenden Sturm, wenn es seine Ströme dahergeußt!«
Ruft' es und schwankt' und lag und strömte sich Flammen ins Antlitz.
Belielel klagete so in der Jammeröde:
»Habt Ihr die Blumen gesehn, die vor ihm – ach, Eden des Himmels,
Dich erblickt' ich! – vor ihm aufsproßten, hinter ihm schleunig
Welkten, dorrten, vergingen? Wir dorren ewig, vergehn nicht!
Ach, vergehn nicht!« Er rief's und wünschte, daß unter ihm neue
Tiefen sich öffneten, ihn in ihren Gräbern zu bergen.
Endlich raffte sich auch Adramelech auf, ein Entsetzen
Aller Stolzen. Denn schnell entsank ihm die Kraft, und er stürzte
Nieder, daß laut das Gebein ihm hallt', und dunkel die Asche,
Dickgewölkt von dem Fallenden stieg. Lang' lag er Geripp da,
Als von der Täuschung genesen die Hölle war. Moloch strebte,
Aufzustehen. Er saß, gestützt auf die dorrende Rechte,
Sprach zu Magog: »Mir schwanken vom Wirbelwind die Gebeine,
Und mir heult der Orkan in dem Schädel; aber ich will es,
Aufstehn will ich! Es lieg' Adramelech!« Er thut's, steht, fasset
Magog und reißet ihn auf! Nun standen sie, gingen sie; Magog
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Rief: »Den schrecklichen Leib, wenn es anders ein Leib ist, wir wollen
Ihn uns, Einer dem Andern, zerstören. Zermalm das Gebein mir,
Ich zermalme Dir Deins; das Uebrige, wenn wir nun sinken,
Werden die Donnerstürme zerstreun!« Sie faßten einander,
Wollten zermalmen; allein wie in Felsen Orion's gebrochen
War ihr Gebein! sie stürzten von thürmenden Bergen sich nieder.
Aber als wär's in den Klüften der sieben Sterne gehärtet,
War der Hingestürzten Gebein. Sie mußten im Abgrund
Liegen bleiben, wie sie von der Höh' sich hatten gestürzet,
Liegen gestreckt, unbeweglich und stumm! Unnennbares Grausen,
Gleich aus wolkenbeladnem Gebirg herschäumenden Wassern,
Ueberströmete, so wie er lag in dem weißen Gefilde,
Gog und drang ihm hinab in des Geistes gesunkensten Abgrund.
Sieh, er krümmte sich, wand vergebens sich, nun noch zu leugnen,
Daß Gott sei; er brüllet' es, heulet' es, rang nach Vernichtung,
Winselte, raste nach ihr, griff aus mit der Sterbenden bangem
Furchtbaren Greifen nach ihr und war! So fühlte, wer Der sei,
Der auf Golgatha starb, die unterste Hölle. So warnte
Neues Gericht sie mit schrecklicher Warnung: nicht aufzuhäufen
Auf Empörung Empörung dem letzten Gericht des Versöhners.

Notes
Erstdruck des 16.-20. Gesangs: Halle (Hemmerde) 1773.
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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Sechzehnter Gesang. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B52B-6