[32] An Ebert

Ebert, mich scheucht ein träber Gedanke vom blinkenden Weine
Tief in die Melancholey!
Ach du redest umsonst, vordem gewaltiges Kelchglas,
Heitre Gedanken mir zu!
Weggehn muss ich, und weinen! vielleicht, dass die lindernde Thräne
Meinen Gram mir verweint.
Lindernde Thränen, euch gab die Natur dem menschlichen Elend
Weis' als Gesellinnen zu.
Wäret ihr nicht, und könnte der Mensch sein Leiden nicht weinen;
Ach! wie ertrüg' er es da!
Weggehn muss ich, und weinen! Mein schwermuthsvoller Gedanke
Bebt noch gewaltig in mir.
[33]
Ebert! sind sie nun alle dahin! deckt unsere Freunde
Alle die heilige Gruft;
Und sind wir, zween Einsame, – dann von allen noch übrig!
Ebert! verstummst du nicht hier?
Sieht dein Auge nicht trüb' um sich her, nicht starr ohne Seele?
So erstarb auch mein Blick!
So erbebt' ich, als mich von allen Gedanken der bängste
Donnernd das erstemal traf!
Wie du einen Wanderer, der, zueilend der Gattin,
Und dem gebildeten Sohn,
Und der blühenden Tochter, nach ihrer Umarmung schon hinweint,
Du den, Donner, ereilst,
Tödtend ihn fassest, und ihm das Gebein zu fallendem Staube
Machst, triumphirend alsdann
Wieder die hohe Wolke durchwandelst; so traf der Gedanke
Meinen erschütterten Geist,
Dass mein Auge sich dunkel verlor, und das bebende Knie mir
Kraftlos zittert', und sank.
[34]
Ach, in schweigender Nacht, ging mir die Todtenerscheinung,
Unsre Freunde, vorbey!
Ach in schweigender Nacht erblickt' ich die offenen Gräber,
Und der Unsterblichen Schaar!
Wenn mir nicht mehr das Auge des zärtlichen Giseke lächelt!
Wenn, von der Radikin fern,
Unser redlicher Cramer verwest! wenn Gärtner, wenn Rabner
Nicht sokratisch mehr spricht!
Wenn in des edelmüthigen Gellert harmonischem Leben
Jede Saite verstummt!
Wenn, nun über der Gruft, der freye gesellige Rothe
Freudegenossen sich wählt!
Wenn der erfindende Schlegel aus einer längern Verbannung
Keinem Freunde mehr schreibt!
Wenn in meines geliebtesten Schmidts Umarmung mein Auge
Nicht mehr Zärtlichkeit weint!
Wenn sich unser Vater zur Ruh, sich Hagedorn hinlegt;
Ebert, was sind wir alsdann,
[35]
Wir Geweihten des Schmerzes, die hier ein trüberes Schicksal
Länger, als Alle sie liess?
Stirbt dann auch einer von uns, (mich reisst mein banger Gedanke
Immer nächtlicher fort!)
Stirbt dann auch Einer von uns, und bleibt nur Einer noch übrig;
Bin der Eine dann ich;
Hat mich dann auch die schon geliebt, die künftig mich liebet,
Ruht auch sie in der Gruft;
Bin dann ich der Einsame, bin allein auf der Erde:
Wirst du, ewiger Geist,
Seele zur Freundschaft erschaffen, du dann die leeren Tage
Sehn, und fühlend noch seyn?
Oder wirst du betäubt zu Nächten sie wähnen und schlummern,
Und gedankenlos ruhn?
Aber du könntest ja auch erwachen, dein Elend zu fühlen,
Leidender, ewiger Geist.
[36]
Rufe, wenn du erwachst, das Bild von dem Grabe der Freunde,
Das nur rufe zurück!
O ihr Gräber der Todten! ihr Gräber meiner Entschlafnen!
Warum liegt ihr zerstreut?
Warum lieget ihr nicht in blühenden Thalen beysammen?
Oder in Hainen vereint?
Leitet den sterbenden Greis! Ich will mit wankendem Fusse
Gehn, auf jegliches Grab
Eine Zypresse pflanzen, die noch nicht schattenden Bäume
Für die Enkel erziehn,
Oft in der Nacht auf biegsamen Wipfel die himlisch Bildung
Meiner Unsterblichen sehn,
Zitternd gen Himmel erheben mein Haupt, und weinen, und sterben!
Senket den Todten dann ein
Bey dem Grabe, bey dem er starb! nim dann, o Verwesung!
Meine Thränen, und mich!
[37]
Finstrer Gedanke, lass ab! lass ab in die Seele zu donnern!
Wie die Ewigkeit ernst,
Furchtbar, wie das Gericht, lass ab! die verstummende Seele
Fasst dich, Gedanke, nicht mehr!

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Oden. Erster Band. An Ebert. An Ebert. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B414-D