[311] Der Unterschied

Hoher Genuss der Schöpfung, wenn wir, von des Denkens
Feuer entflamt, sie empfinden, sie erblicken,
Hören, staunen vor ihr, vor ihren
Blümchen, und Strassen des Lichts!
Diesem Genuss' erhebt uns beynah, wer uns darstellt,
Schöpfung, wie du dich dem Sinne, dich dem Geiste
Offenbarest! wie du aus bittern
Quellen, aus süssen uns strömst!
[312]
Stellt ihr euch selbst Abwesendes dar: so geniesset
Ihr es durch euch, wie's der Dichter zum Genuss' euch
Gegenwärtiget; doch so schnell lässt
Er nicht erscheinen, als ihr,
Schweigende. O ihr wandelt nicht, fliegt! Doch wie strebet
Er, euch zu nahn! denn er weiss es, dass der Lorber
Für den nahen allein fortgrünet,
Aber dem fernen verwelkt.
Denken wir recht; so lieben wir auch der Bemerker
Wissenschaft, sie, die den Grundbau des Geschafnen
Gern ergrübe; die Kraft, die Arten,
Jede Veränderung forscht.
Selten nicht floss mir froher das Blut, wenn ich sahe,
Stutzte, wie sie von dem Wesen des Geforschten
Dachten. Flogen sie irr; so hub doch
Seele den kühneren Flug.
[313]
Vieles wird sonst durch Lehre bestimt, ist noch manche
Wissenschaft, die das Gemeine des Erkanten
Zeiget; hier sich verzeigt, dort gute
Leiterin Suchenden ist.
Andres ist ganz dess Wissen und Thun, der erfindet:
Was wir nicht sehn, durch das Wort so in des Lebens
Glut, so wahr die Gestalt zu bilden,
Dass es, als web' es vor uns!
Wandelt der Schein. Noch dauret der Kampf um den Vorzug.
Hat ihn das Werk des Erfinders? des Bemerkers?
Ruh der Hand! auf den Weiser festen
Blick; und es wäge, wer will!
Weich du von hier, der selbst nicht bemerkt, und nur nachspricht,
Eben darum, weil du diess nur, und nichts mehr thust,
Aufschwillst, weich, du entweihst, und schwatzest
All dein Geschwätz in den Wind!
[314]
Auch dein Geschwätz von dem, was du nennest der Seele
Obere Kraft, was die untre, von erhabnern
Wissenschaften im Sand' aufführend
Deiner Belehrung Gebäu.
Wirket vielleicht die Seele nicht ganz, wenn Gestalt sie
Schaffet, dass wir in dem Leben die Natur sehn?
Ganz nicht, wenn die Natur durchwandelnd,
Bis in ihr Leben sie sieht?
»Schweben wohl gar die Schalen dir gleich?« So verschiednes
Schwebet nicht gleich. »Und dich ahndet bey dem Hinschaun
Nicht von Blendung?« Mich ahndet! denn ich
Sagte ja: Schwebet nicht gleich.
Aber es gilt, ich seh' es, es gilt, wie um's Leben!
Seyd ihr gerecht? »O du bliebest wohl es selbst nicht,
Wenn, stets heisser im Streit, wir Sandkorn
Endlich auch wögen, und Haar!«
[315]
Meint ihr? Da liegt noch eine vor euch von den ernsten
Wagen! »Und die?« Auch der Nutzen wird gewogen!
An sich selbst, und zugleich: Oh längrer
Etwan auch grösserer sey?

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Oden. Erster Band. Der Unterschied. Der Unterschied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B3E0-9