[305] Die Rosstrappe

Da steht der übrige Stamm des alten Haines umher, Da enget das Thal der Fels herüberragend,
Auf dem das einzige Maal der Urjahrhunderte Deutschlands
Der pfadverlierende Wanderer sieht.
Der Weidner fabelt ihm her: Ein Riesenross
Ein hoher Ritter darauf, sprang über das Thal
Der schönen fliehenden Riesin nach!
Oben auf der Klippe liess den Fusstritt das Riesenross.
Druiden haben und Barden, mit erobertem
Eisen, in den Felsen gehaun das einzige Maal
Der Urjahrhunderte Deutschlands,
Den Huf des heiligen weissen Rosses,
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Mit dem Flammenblick, mit der dichten
Niederströmenden Mähne, dem Sturme selbst
Zu heben schwer, mit der schmetternden, (es stampfte dann,
Dass die Erde scholl) mit der zukunftwiehernden Stimme.
Der begeisterte Barde trat in den Umkreis
Des nachgebildeten Hufes, und so durch die Weihe
Der Götter geweiht, weissagt' er, aus des stürzenden Bachs
Mannichfalten Welle, die Wechsel der feinen Tage;
Oft blutige: Dass in Winfeld Hermann sich einst
Ein Maal erbaut' aus Legionengebein!
Dass Bojokal, der zu treue Deutsche,
(Er weigert' es Hermann, am Maal mitzubaun;
Und der verbot ihm grössere Treu durch die Fessel)
Bojokal einst, belohnt von den Welttyrannen, weinete:
O Wodan! Und Mana! und all' ihr Götter! fehlt zu der Hütt' uns
Erde; so soll doch Erde zum Grab' uns nicht fehlen!
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Ein Barde weissagt's. O Zukunftwisser!
Bach in dem Hain,
Dess übriger Stamm
Dem weihenden Hufe schüttet,
An dir, o du der schönen Öde Bach,
Ging oft mein Cramer, wo du
Entflohen ihr warest, nicht mehr bergunter rauschetest,
Ging mein Giseke, ging mein Resewiz dem Haine zu.
Geboren wurde nicht fern von dir mein Gleim;
Ich ward an dir geboren. Die Tage nach mir
Sollen entscheiden, ob aus dir, o mütterlicher Bach,
Auch ich geweissagt habe.
Was säumst du? fang an, ich sehe den Schaum,
Bardiet, fang an, des stürzenden Bachs!
Vernehme, wie in der Felskluft!
Das Rauschen der redenden Wog' ertönt!
Sein Name lebt, welche Thaten er auch gethan hat,
Hinsiechendes Leben einst, in des Ruhmvergeuders Buch', in dem eignen,
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Schmück' es der Griffel auch, deck' es ein goldener Schild, und steh's
Im gemähldebehangenen Säulensaal', hinsiechendes Leben!
Denn betrit er nicht noch
Die Bahn des vaterländischen Mannes; so schweigt
Von ihm die ernste Wahrheitsbezeugerin,
Die Vertraute der Unsterblichkeit, Deutschlands Telyn.
Sein Name lebt, welche Thaten er auch thun wird,
Hinsiechendes Leben einst, in des Ehrevergeuders Buch,
Schmück' es der Griffel auch, deck' es ein goldener Schild, und steh's
Im gemähldebehangenen Säulensaal', hinsiechendes Leben!
Denn dein ehrenvoll Wort (des Worts Ankündiger trauret!)
Hältst du das dem Vaterlande nicht; so schweigt
Auch von dir die ernste Wahrheitsbezeugerin,
Die Vertraute der Unsterblichkeit, Deutschlands Telyn
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Ah Zukunft! Dampf steigt nun von dem Bach' empor!
Die beyden Namen,
(Es ist spätere Zukunft, und die
Scheidet ganz von der edlen Handlung die glänzende!)
Sie leben, gebückt, gekrümt, eisgrau,
Starräugig, noch kaum ihr sieches Leben.
So seh ich sie wallen umher mit des Bachs Dampfe,
Schattengestalten.

Notes
Entstanden 1771. Erstdruck in: Klopstocks Werke, 1. Bd., Leipzig (Göschen) 1798.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Die Rosstrappe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B2B5-6