Friedrich Maximilian Klinger
Die neue Arria
Ein Schauspiel

[993]

Personen

Personen.

    • Prinz Galbino.

    • Rosaline, seine Gemahlin.

    • Kornelia, Herzogin.

    • Julio.

    • Donna Solina.

    • Ludovico.

    • Graf Drullo.

    • Pasquino.

    • Paulo, ein Maler.

    • Laura, seine Tochter.

    • Amante, sein Lehrling.

    • [993] Rosaura, Dame d'Honneur der Donna Solina.

    • Pirro, Bedienter.

    • Carlo und Bediente.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Paulas Wohnung.
Amante. Vor der Staffelei ein Portrait aufgestellt, Pinsel und Pallet in der Hand.

AMANTE.

Ich darf sie nicht mehr ansehen! Ich gafft' mich rasend, rasend. Ah! so mal ich mich rasend. – Hab sie nur verstohlen angesehen, und ihr Bild fließt so lebendig aus meiner innersten Seele. Alle, alle Reize auf dem heiligen Gesicht; alle Schönheit von der Schönheit selbst eingehaucht. Ha! und dieser Busen! das Heben! Wallen und Leben! die blaue Adern, die sich so sanft durch die Weiße schlänglen! – – Ich muß ihn übermalen. Malt. So durch den leichten Flor durch! – Und doch möcht ich ihn wieder wegblasen; Madonna weiß, meine Seele ist gar rein bei ihrem Mädchen ... Grüß dich, meine reine Liebe, Holde! – Ach mein bißchen Verstand ist völlig hin! Bin ich ein Narr? Spricht sie? Und öffnet sie nicht die Lippen? »Amante du bist nicht Julio!« So gib meine Liebe, mir nur einen teilnehmenden Blick! und mir ist's gut. – – Die himmlische Augen! ach! das geht in meiner Seele so wonniglich auf! – – Die schwarze Äpfel! – siehst du, hin und her! Dann so schmachtend fromm und mehr Liebe in Amantes Herz, als in tausend liebenden Herzen. Laura! heilig keusche Laura! steht sie doch da! – – – Ach du Meisterstück der Natur und meiner Kunst! Amante! als wenn das Kunst wäre, wenn man so tausend Seelen und Herzen in den Fingerspitzen hat. – Sieh am Auge! den Pinsel angesetzt, und es ist wie in mir. Ein Gott arbeitet mit mir. Ja wohl ein Gott, du armer Amante! Ach Laura! Laura! will mich totlieben am Engelsbild. Laura! ich bin außer mir! Stier aufs Bild. Sei mir Gott gnädig, was überfällt mich! Nieder! Nieder meine Knie!

PAULO
tritt auf, Amante vorm Bild liegend.

Amante! In was für Zuckungen liegt der Junge wieder?Naht sich. Was hast [994] du für schwere Sünden begangen, daß du so innig betst? Hörst du nicht? Ha so komm zu dir! Schüttelt ihn.

AMANTE
da er Paulo sieht, fährt er zusammen.
Das Bild weg. Nach der Tür.
PAULO.
Wohin? Steh! was hast du?
AMANTE.
Herr!
PAULO.
Was hast du?
AMANTE.

Der Donna Solina Portrait wovon ich eine Kopie machen sollte. Ich besah's hier, weil's so dunkel im Saal ist. Es ist so erstaunend viel Charakter im Gesicht, und meine Kunst ist, wie Sie wissen, so gering, daß ich immer zittre. – –

PAULO.

Plaudre! willst du denn Maler auf einen Tag werden? Fleiß und ein gutes Aug, da wird's schon gehen. Nu zeig mir das Portrait her, ich will doch sehen –

AMANTE.
Um Gottes willen lassen Sie mich!
PAULO.
Laß sehen! was ist dir?
AMANTE.
Bester Herr! lassen Sie mich!
PAULO.
Ist's nicht richtig mit dir? Was sturst du als wärst du von Sinnen? Zeig her! was hast du?
AMANTE.
Nein! o ich bitte, nein!
PAULO.
Nein? He nun will ich's sehen; eben darum will ich's sehen. Pfuscht du etwa hinter mir her?
AMANTE.
Herr! – Ich hab gemalt –
PAULO.
Was?
AMANTE
reicht ihm das Portrait.
PAULO
es unverwandt ansehend.
Amante!
AMANTE.
Liebster Herr!
PAULO.
Hast du das gemalt?
AMANTE.
Zürnen Sie nicht, ich tat's.
PAULO.

Das hast du gemalt? In Ewigkeit nicht. Das kann kein Mensch. Red! red! wer hat das gemalt? Unmöglich. Ich muß wissen wie weit die Kunst geht. Das ist meine Tochter selbst, Geist und Körper hingezaubert; so malt kein Mensch.

AMANTE.
Verzeihen Sie, bester Herr!
PAULO.

Ist hier die Red von verzeihen? Ich will wissen, wer das gemalt hat, das, was über menschliche Malerei geht, das ich nicht sagen kann, was es ist. Lieber Amante! sag mir, wo ist der Künstler? Ich will ihm zu Füßen fallen, mein Leben keinen Pinsel mehr anrühren.

AMANTE.

Lieber Herr! ich blieb einige Nächte auf, nahm alle Stunden des Tags dazu, da Sie außer Hause waren, und eben [995] ward ich fertig mit. O Paulo es malt sich leicht und schnell!

PAULO.
Amante, es muß mehr in dir sein, als in allen Künstlern der Erde. Hat dir Laura gesessen?
AMANTE.
Ach nein!
PAULO.
So hast du – weiß der Teufel! gehext, gezaubert – ich kann's, kann's nicht begreifen.
AMANTE.
Lieber Herr! seid mir nicht böse!
PAULO.

Je mehr ich's anseh – – Hast du's gemalt, so ist alle Kunst zusammengetreten. Amante das gemalt, ohne gesessen zu haben! Wie geht das zu? Ein Jahr in der Werkstätte und so hinhauchen, hinzaubern, hin, hin, hin – wie sag ich's? es ist mehr als alles das. Laß dich küssen, liebster, bester Junge! Sag nur wie ist's zugegangen? wie's so aus deiner Seele, aus deinen Augen herausgesprungen ist?

AMANTE.

Das ist gar nichts! Aber wenn ich so geh, das Mädchen bloß mit der Seele mal, es in der schnellsten, schnellsten Eil unsichtbar aufs Tuch werf; wenn Sie das mit mir sähen, und die Farben sähen, mit welchen meine Seele malt! Wie ich sie in mich trink, aus ihren reinen schwimmenden Augen, aus der Abendsonne, den Strahlen des Monds, und den flimmernden Liebessternen! Wie es atmet, und spricht, und die wehende Lüfte ihr Gewand beleben, die Windlein ihre braunen Locken heben, daß sie in Liebe fließen! Ha Signor, wie die ganze, weite Schöpfung rund um mich Aufenthalt und Widerhall der Liebe wird, wie sich alles in Liebe wandelt! Wo sie hinblickte, steigt ein Gemälde auf, ungesehen von allen, unausgesprochen von mir. Alles, alles wird in meinem Herzen zum süßen Laut der Liebe.

PAULO.
Herrlicher Junge! herrlicher Junge!
AMANTE.

In meiner Seele klingt der reine Sang der Liebe, und mir ist wohl: Und allen muß es wohl sein, deren Herz gestimmt ist, diesen Klang zu tönen; der mich selig macht, und alles um mich. Harmonisch! himmlisch! rein! Unaussprechlicher Klang, wie das Bild der Liebe in meinem Aug und Herz! Paulo! wer diesen Sang hört, wessen Seele von aller Welt abgerissen ist, und in dieser ewigen Melodie lebt – Wenn ich diesen Laut mit heller Stimme in meine Laute sänge, wie er in meinem Geist hallt, und der Liebesengel trüge diese Melodie zu den Ohren meiner Liebe, sie lauschte ihn, lauschte, wie dieser Klang in Amantes Seele hallt, wie in keines Menschen [996] Herz – Still mein Mund! währe fort! umschwirre mich seligmachende Harmonie! ich kann dich nicht mit Worten umkleiden, sowenig wie ich das aus dem Äther geküßte Liebesbild, mit heiliger Wahrheit umflossen, mit euren Farben umkleiden kann.

PAULO.

Stille, große Seelenharmonie die ich in Raffaels Kopf blickte, dich seh ich wieder! O Raffael! o Gefühl! Amante, du bringst meine Jugend wieder, wo ich schwirrte, wie du in lieber warmer Phantasie. Du schleichst dich mit dem Zauber in das Herz des Graukopfs. Du gibst meinem Geist den Schwung der nie begriffenen Seele des Künstlers. Amante! Küßt ihn. Mehr! Laß mich mehr von diesem lieblich gebildeten Mund küssen, mehr aus diesem Angesicht des Engels lesen!

AMANTE.

Wenn Ihnen je der Sang der Liebe geklungen hat, nur dann wissen Sie, daß er tönt, wohin Sie treten. Mich umsäuselt er, wenn ich die Windlein durch die Blumen wehen fühl, daß sie sich küssen. Wenn sie über Gras, Busch und Baum streichen, daß alles wallt und wiegt. Wenn sie sich an die Blüte der Bäume hängen und lisplen, das ist Sang der Liebe dem Liebenden. Wenn des Mädchens Gewand in dem Wind spielt, ihr Haar hochauffährt, und jeder Wind mit freudiger Eil herbei eilt, die rollenden Locken auf seinen Fittichen zu tragen. Wenn sie dahingeht mit sanfter Bewegung, das ist Sang der Liebe. Ach! wenn der Fluß hinfließt, die Sonnenstrahlen tanzen in den Fluten, am Ufer die Welle plätschert und der Ried lispert – wie klingt die Liebesharmonie durch die Nacht, wenn jedes Sternchen meiner Liebe Freund ist. Gesang der Liebe in allem, was sie umgibt, was mich umgibt. Wenn meine Tränen heiß aus meinem Herzen stürzen, über meine brennende Wangen jagen; wenn Sturm und Ungewitter braust, und ich klage durch die Nacht, klingt mir Liebe! – Ha! und in all dem Leiden, in all dem Drängen – laß mich so! laß mich so sterben!


Weint laut.
PAULO
schließt ihn in die Arme.

Siehst du Amante, du machst mich mitweinen. Ich dank dir's. Junge! Junge! du hast dies all in ein Herz gelegt, das dich begreift. Harre! und sieh das Mädchen ist krank und kummervoll, so harre! Willst du dich gedulden? Ich sag dir, ich begreif dich, so alt ich bin. Bewundre dich, als eine neue Erscheinung, die man wahren muß.

AMANTE.

Ich bitt Sie, liebster Herr! ich hab mich vergessen. O wie das all mit mir hineilte! Ich weiß nicht –

[997]
PAULO.
Willst du dich gedulden, und dir treu bleiben?
AMANTE.

Herr, mir? Herr, frei von allem Hoffen, Begehren und Fordern, steh ich liebeseliger Junge hier. Ich war aufrichtig. O lassen Sie mir das ohne Furcht, lassen Sie mir, was Sie mir nicht nehmen können!

PAULO.
Sieh in mein Aug, Liebster!
AMANTE.
O was meinem Herzen das ist, alter Vater!
PAULO.

Alter Vater! Nun ja mein Sohn. Du gibst mir einen Blick, der mir noch aus keines Menschen Angesicht entgegenglänzte. Aus dem Schimmer deiner Augen sieht man, daß du den Himmel im Herzen hast. Sieht das Bild an. Ach Lieber! wie deine Wünsche malten! O daß es noch ganz so wäre! Sieh du verstecktest den Kummer, verbargst das kranke Mädchen. Und doch ist sie's, schwindet hin.

AMANTE.

Diesen schwermütigen Zug malte der Schmerz, und meine Tränen netzten die Farben. Und ach! Paulo, das tiefe leidende Gefühl würde den Pinsel verführt haben, all das Kranke und Trauren in das himmlische Gesicht zu verteilen. Aber die siegende Liebe stahl sich mit Hoffnung aus meinem Herzen in die Fingerspitzen, und wandelte die kranke, tötende Schwermut in süße anziehende Melancholie. Und wird sich's nicht ändern?

PAULO.

Amante, es soll! Du weißt, er stahl ihr Herz, und da er's hatte – Harre! er soll aus ihrem Herzen weichen.

AMANTE.

Weichen? Und wer so liebt, würde sein bester Teil nicht mitscheiden und er mit? Ich merk dies zu sehr an mir. Laß sie! Er kann sie nicht lassen. O wer sich ihr einmal genaht hat!

PAULO.
Sie erliegt mit ihrer zarten Seele, und mich wird's hinraffen.
AMANTE.
Nein! Paulo, nein! Geben Sie mir mein Bild, ich will gehen. Nein!
PAULO.
Dein Bild? Willst du's haben? Laß mir's nur einen Tag, eine Woche, Jahr! Was willst du mit machen?
AMANTE.

Mit ihm reden, mit ihm weinen, und ihm meine Leiden klagen. Herr jagen Sie mich aus dem Haus, nur mein Bild! mein Bild!

PAULO.
Du sollst's haben, und ich will bei dir malen lernen.
AMANTE.
Du lieber Gott! Laura tritt auf. Schlag auf Schlag! still mein Herz!
PAULO.
Wie mein krankes Mädchen schon wieder aus dem Bett?
[998]
LAURA.
Kein Ort der Ruhe, mein Vater!

Schmiegt sich an ihn.
PAULO.
Liebes Kind!
LAURA.
Wo ist er dann? Wo ist Julio? Es schlug zwei, und er ist nicht hier?
PAULO.
Laß ihn! Sieh mein süßes Täubchen!

Zeigt ihr das Portrait.
LAURA.
Wer ist das?
PAULO.
Ei, ei Lauretchen kennst du dich nicht?
LAURA.
Ach schon lange hin! Und Sie haben den Julio lange nicht gesehn?
PAULO.
Vergiß! liebes Kind, vergiß! und erhalt dich mir!
LAURA.

Nun ja, ich vergeß. Und tu ich's nicht? Soeben fuhr Donna Solina vorbei. Er war nicht bei ihr. Mich wundert, daß er nicht bei ihr war. Mag er nicht einmal an mir vorbeifahren? Es ist ein großes Weib, mein Vater. Ich sah sie in einem Blick, und meine Seele sagte: Donna Solina ist ein großes Weib, und Julio hat einen stolzen Geist. Wie klein und demütig kam ich mir vor, da mein Aug dem ihrigen begegnete, und sie dahinrollte. Ach! und wie ich in der Träumerei seine Blicke von ihrer Stirne küßte! – War's nicht ein unschuldiger Diebstahl, mein Vater? Ich weinte, aber nicht darüber, daß ich so klein und schwach bin; ich weinte, daß mein Herz so ist.

AMANTE
will den Saum ihres Kleids küssen, fährt zurück.
Für sich. Engel! diesen Mund küssen und sterben!
PAULO.

Ich bitt dich, Kind, schließ dich an deinen Vater an, und laß den Gram! Willst du vergehen, und meine Augen fangen an, dunkel zu werden. Sieh wenn du lebst, leben meine Augen der Freude, ob sie schon dem Lichte sterben. Meine Tochter! und sieh diesen Jungen!

AMANTE.
Ich? Herr, was ich?
LAURA.

Amante willst du mir einen Dienst tun? Willst du mir zu Julio gehn, mir versprechen ihn mitzubringen?

AMANTE.
In Tod, liebe Donna!
PAULO.
Kind!
LAURA.
Kommen Sie, ich will Ihnen spielen und singen.
AMANTE
allein.

Zu Julio! Nimm meine Seele in Schutz, Madonna! Liebe Laura! Du kannst mich das heißen? Julio! könnt ich einen Menschen hassen, wärst du's. Glücklicher Julio! Ihr Blick ist mir so heilig, ihre Gegenwart so himmlisch, und sie sieht mich doch nur, wie einen andern an. Julio! Du hast Blicke der Liebe, und konntest sie kränken? – Laura! – Nimm meine Seele in Schutz, Madonna!

[999]
2. Szene
Zweite Szene
Zimmer in Solinas Wohnung.

JULIO
mit dem Gesicht auf dem Tisch in heftiger Bewegung; springt auf.
Sie ist nicht da? Nicht zu Haus? Wo dann? Ich will warten und dauerte es eine Ewigkeit.
LUDOVICO
tritt auf.
JULIO.
Wo kommst du her? Was suchst du?
LUDOVICO.
Ich glaubte Graf Drullo wär hier zur Kur.
JULIO.
Hier? hier zur Kur? Graf Drullo?
LUDOVICO.
Graf Drullo, was wundert dich? Und so find ich dich, das ich nicht glaubte, und in einem Aufzug –
JULIO
in der Stellung wie oben.
LUDOVICO.
Wo bist du die drei Nächte und Tage wieder herumgefahren Wütiger?
JULIO
keine Antwort.
LUDOVICO.

Wenn du's so forttreibst, deine garstige rasende Wirtschaft, leg ich dich in Ketten und schlepp dich nach Teutschland zum Onkel.

JULIO
springt auf.

Und wenn du nicht schweigst, pack ich dich zusammen und stürz dich dem Fenster hinunter, vernünftiger Herr!

LUDOVICO.
Bist du denn ganz wütig, und von Sinnen?
JULIO.

Ja ich bin's. Zapf mir das Blut ab, verkälte es wie das deinige, erstick meine Hitze, mein Feuer, erwürg mein Gefühl; oder schaff mir einen Platz, wo ich all meine Tätigkeit, all mein Vermögen brauch; wo meine Ehrbegierde freies, unbeschränktes Feld hat, herumzutummeln, hinanzugelangen, und sie zu verdienen. O ich halt das dumme, matte Leben nicht mehr aus.

LUDOVICO.

Zerreiß das Schicksal, die Bestimmung, das Verhängnis! flieh drüber weg! über deinen Stand, worein du geworfen bist.

JULIO.

An den Begriffen sieht man, was für ein Mensch du bist. Schicksal? Bestimmung? Verhängnis? Ha, ha, ha! für was hältst du mich, mit deinem Schicksal? für eine Marionette am Draht geführt? Nein, Herr! Ich will alles tun, da soll nichts über mir, noch um mich dazu helfen, als ich! Was das für ein elender Gedanke ist für einen Menschen, der sich fühlt: sich leiten zu lassen, dahin und dorthin. Lieber mein Leben bei der Erde geblieben, als einer fremden Macht was zu [1000] verdanken zu haben. O der Drahtpuppen! Und da könnte der dümmste Kerl besser geführt werden, als der beste Kopf? Viel Ehre!

LUDOVICO.

Das sind Ideen! so geht's wenn man keinen Zweck im Leben hat, einen falschen überspannten Zweck hat. Sich einbildet, wenn man ein etwas beträchtliches Ansehn hat, man könnte Staatsminister, alles sein, und Wunder von seinem Geist und Genie glaubt.

JULIO.
Schweig, und geh deinen trägen Eselsgang, du bist und bleibst der alte Hofmeister.
LUDOVICO.
Nu wir wollen sehen, wer seinen Plan am sichersten gemacht hat; wer das Ziel erreicht!
JULIO.
Deins hängt wohl sehr hoch.
LUDOVICO.

Und nach der Art, wie du dem deinigen entgegenarbeitest brichst du zehen Hälse, und scheiterst tausendmal auf der Fahrt, eh du einen deiner übertriebenen Wünsche befriedigst.

JULIO.

Kein Wort mehr! – Mein alter, werter Vater! heute, wo Sturm meine Seele hin und her reißt, dank ich deiner heiligen Asche! Beugt seine Knie. daß du mir ein Ziel der Ruhe und Genügsamkeit aufgesteckt hast. Noch hör ich deine letzte Worte, die du sagtest, als du mich dem Handwerker übergabst, mich an dein Herz drücktest: Julio! mit diesen Gesinnungen, mit diesen Empfindungen wirst du so wenig durch die Welt kommen, als ich. Versuch's und lern's durch Erfahrung. Hast du's gesehen, und es taugt dir nicht mehr, denn kehr zu mir, und bin ich nicht mehr, so schlag deine Wohnung in der Werkstätte auf, und erwerbe unabhängig dein Brot. Dieser Mann lehrt dich's und du wirst mich segnen.

LUDOVICO.

Nun ja! Da hat er seine Schreinerei wieder im Kopf. Eine Raserei auf die andre. Da geht auch so was Tolles am Hof herum. Sucht in der Tasche. Graf Drullo sagte, es käme vom Poet, und da du unter diesem Namen bekannt bist – lies nur! Was das für Schande ist, so wütige Verse zu machen? ohne Metrum, ohne Harmonie, die so wütig sind, wie du?

JULIO.

Zeig her! Sieht 's Papier an. bist du's Zeuge der großen, seligen, innig gefühlten Stunde! Ich will dich noch einmal mit all dem Feuer vor meine Seele zaubern. Donna du bist um mich!


Liest.

Blick wonnevoll und Geists!
Ha! so hast du meine Seele,
[1001] Gefangen in der Glut,
Und wälzt sich dort in Reizen all?
Blitz zurück! Liebe heißer noch ...
Immer mächtiger ... Ich ras die Liebe.
Mark und alle Nerven glühn;
Feuer frißt das Leben auf.
Ach Taumel! Tanz und Treiben!
In Adern voll der Liebe
Schweb! Schweb! der Geist hat Ruhe nicht.
Ha! die Majestät dem Aug herab! –
Ich halt's nicht aus und Götter nicht.
Hinan! häng dich an Busen
Der Liebesgöttin!
Noch einmal saug, trink der Liebe – – –
Nicht Gift ... Götter Schwingen,
Flügel über Sonn und Welt!
Häng fest gestohlner Geist!
Daß Glut, Wonne, Liebestaumel,
Dich reiße hin; oder
Gesättigt die Liebesglut
Du stille wirst.
Und nimmer stille! Immer neu,
Stark, mächtiger, wie vor,
Jupitern und allen Göttern überhoben! – –
Sodann du Apfel glühenden Augs!
Fest und wälz im Wonnenmeer!
Punkt auf Punkt! Strahl in Strahl!
Flammen durchgekreuzt! Seel in Seel!
O weh der Blick zerschlug mich ganz!
Nun dann Leben! Leben! oder Tod!

Donna! Donna!
LUDOVICO.
Sind das nicht wahrhafte Rasereien die Verse? Pfui für ein vernünftiges Geschöpf!
JULIO.

Das wär Schande? Und daß du nichts bei fühlst keine? Und frag ich darnach wenn mir's wohl ist? Wenn du wüßtest daß ich dadurch mein Leben errettete, meinem gebangten Herzen Luft machte, das kaum mehr Raum in der Brust hatte, da ich ihr gegenübersaß und dies aufs Papier warf; wenn – geh Pharisäer und erinnere dich Roms, wo dir das Gefühl dafür genommen ward. Erinnre dich der Stunde worin der wilde Florentiner die Schande seiner Familie an dir rächte. – Ich [1002] will mich in die Welt stürzen, durchs Gedräng schlagen und hinauf! je mehr Hindernisse, je besser!

LUDOVICO.

Nun dann! treib's, wie du willst. Der Prinz und alles wird aufmerksam auf dein verstörtes Leben. Und wahrhaftig, ich dächte du hättest nicht Zeit, in dem Getümmel von Leidenschaften zu leben. Jedermann wundert sich –

JULIO.

Vetter! ich bitt dich, geh, und wart deiner Sache. Ich weiß, der Prinz hat viel zu tun für dich. Geh, und laß mich so. Mich wundert nichts, als meine Geduld.

LUDOVICO.

Der Prinz fragt, fragt nach Donna Solina. Er hat sie gesehen, kann nicht begreifen warum sie nicht an Hof käme, da sie schon einen Monat hier wäre. Man sagte ihm, daß du bisher ihr einziger Gesellschafter seiest, und du weißt –

JULIO.
Jetzt geh!
PIRRO.
Gnädiger Herr! Donna Solina kommt zu Hause.
JULIO.
Weg!
LUDOVICO.
Vetter! du endest hier! Adieu!
JULIO
allein.

Sie kommt! Und wie mir's leichter wird, und wie mir's dumpfer und schwerer wird. Er fragt! Ha dann Prinz Galbino das können Sie ja wohl! aber wenn Sie mehr wissen wollen – Sie kommt und alles schwindet. Liebe will ich. Meine Seele ist bestimmt. Liebe! Liebe! will sie fordern, und wenn sie mich vernichtete!

DONNA SOLINA
tritt auf.
Sie wieder hier Julio? Und sagte ich nicht –
JULIO.
Hier Madonna! und ewig an keinem andern Ort.
SOLINA.

Sehr kühn! Und Julio! in einem Aufzug so traurig und zerstört. Man sollte glauben, Sie hätten in einem Jahr keine Seelenruh gehabt.

JULIO.
Madonna der Aufzug der Liebe, die meine Sinne wirr gemacht hat.
SOLINA.
Den tragen Sie zu mir?
JULIO.

Mein Ziel ist hier. Schon drei lange, lange Tage und Nächte irr ich verloren in all der Liebe, die mich bald zu den Sternen trug, und bald in Verzweiflung stürzte, um dieses Haus herum. Donna! kein Pfosten, den ich nicht umfaßte, kein Fenster, dem ich nicht mein Leiden vertraute. Und keinen Blick! keinen Gruß! Sie schienen mich zu vermeiden. Sonst hatt ich noch die einzige Wonne, in Gesellschaft, in einem einsamen Eckchen verborgen zu sitzen, wo mich manchmal ein ungefähres Zu winken in den Zaubertaumel wiegte, und meinem[1003] zweiflenden Geist aufhalf. Ich vermocht's nicht länger, mich trieb's herein, unwiderstehlich zog mich's, und Donna, als ich hereintrat, bestimmte sich meine Seele. Sie ist's! Liebe! große Solina! ich weiche nicht. Liebe! Liebe!

SOLINA.

Hast du vergessen Julio, was ich dir so oft sagte, daß du ohnerachtet der großen Prätensionen die sich auf deinem Gesicht beschreiben, für meine Liebe zu schwach wärst? Steh ab Julio! laß dich weisen, steh ab! Solinas Liebe geht über dich, und du hälst die Probe nicht aus. Ich bitt dich, schau mich an, und brauch ich dir mehr zu sagen?

JULIO.

Und eben darum. Erhabene Solina! lassen Sie mich's hören! machen Sie mich zum König, zum Gott! alles werd ich durch das einzige Wort. Sie sollen sehn, was Julio wird.

SOLINA.

Närrchen du weißt nicht was du forderst. Steh ab, es wär dir besser – – was, Liebe willst du kleines Geschöpf? und Solina Pisana sollte dir sagen, sie liebte dich? Was bist denn du für Solina Pisana? Und doch so verwegen, so kühn zu begehren was noch kein Mann wagte? Wie kannst du dir einen Geist geben, wie kannst du mir Liebe geben, das alles ohne Maß? Ach! das kleine Herz, und das geteilt!

JULIO.

Geteilt? Solina, der dich gesehen, muß der nicht, all seine Seele, sein Herz auf dich werfen? Göttin! Göttin! die du auf einen Blick, Menschen über Menschen hebst! Keiner hat's gefaßt, keiner kann Solina Pisana fassen. Ha Zaubermacht! meine Seele ist trunken. Stoß mich hinaus! einen Schleier über die Majestät, oder du zernichtest mich.

SOLINA.
Ha, ha, ha!
JULIO.

Lache! Ist dir Julio zu klein? Deine Liebe, Pisanerin, Julio hat Adlersschwingen. Solina! Deine Liebe! Du sollst sagen, ich sei deiner würdig. Bei dieser hohen Miene! Du sollst stolz auf mich sein.

SOLINA.
Ha, ha, ha!
JULIO.
Lache mir Schwerter durchs Herz! Ich hab Stolz Solina, eine starke, männliche Seele.
SOLINA.
Und kannst so zu einem Weibe reden.
JULIO.

Ich red zu keinem Weib. Wärst du ein Weib, wie Weiber sind, verschmachten wollt ich im Feuer, eh ich so spräche.

SOLINA.

Ha Julio! auf! dein Genius auf! Glut in deinen Augen! was drehst du die Äpfel? will deine Seele heraus? Ha so wachs! ich liebe dich!

JULIO
fällt nieder.
[1004]
SOLINA.

Fühlst du's? was taumelst du? was zitterst du? Hat dich der Donner getroffen? Noch einmal ich liebe dich. Du bist der erste Mann. Ich dachte, eher sollte mir mein Stolz das Herz brechen, als es einem von euch zu sagen. Du bist's! Hebt dich meine Liebe nicht, soll dein Geist schwinden. Sklav ewig, den Solina nicht zum Gott erhebt.

JULIO.
Mehr, mehr, ich bin's.
SOLINA.

Du weißt nicht, wie du deine Seele gebunden hast; wieviel Solina von dem fordert, den sie, wie dich, ansieht. Hör Julio! Deine Seele, dein Herz, du! du! mußt mein sein. Könnt ich mehr haben, ich müßt es haben. In der großen, weiten Welt muß nichts deinen Blick halten. Von meinen Augen mußt du leben, weben, abhängen und sein. Ist ein Fäserchen, ein Blutstropfen in deiner ganzen Maschine, das nicht durch mich wallt, soll sich Solina vor dich hinstellen, ein Blick, und du bist hin.

JULIO.
Ich schwöre.
SOLINA.

Was willst du? Mir schwören? Ha, ha, ha mir schwört man auch! Wer ist Solina, wenn deine Schwüre mehr vermögen! Hier ist Sicherheit für tausend solcher Püppchen. Deine Augen in meine! Näher! Blick in Blick! Fallen dir die Augen zu? Starr! forsche dein Geist in dem meinigen! – So Julio! ich seh du faßt mich. Sieh! alle Männer fuhren zurück, sahen sie mir in die Augen. Starr du! Du bist mehr als der König. Julio! als ich zum König kam, schlug er die Augen nieder, sah auf die Schuhschnallen. Ha dacht ich! das sind mir Königsaugen! Nun hab ich meinen Spiegel. Im ganzen Männerreich, keiner von dem ich's sagen könnte. Nimm meine Hand Julio!

JULIO.

So hebe und treibe mich, bis ich deiner würdig bin. Diesen Kuß auf deine weiße Hand, wag ich mehr, bis ich auf der Höhe steh, so stoß mich in Abgrund.

SOLINA.

Du hättest gut wagen. Diesen einzigen Kuß! Er küßt sie. Der erste seitdem mich mein Vater und meine Mutter küßten.

JULIO.
Ach Solina! laß! laß mich zu Atem kommen! Wer kann das Feuer deiner Lippen ertragen.
SOLINA.

Ich hab dir viel gegeben. Bei Gott du hast mit diesem Kuß ein Heiligtum von meinen Lippen gestohlen. – Ich will doch sehen, ob ich mich betrogen habe. Weh dir Julio! ist dir Solina nicht, was der Erde die Sonne; was der belebende Hauch der ganzen Natur. Deine Hand! ah so zittre! weh dir, [1005] wirst du der Mann nicht den deine Augen und Stirn prophezeien!

JULIO.
Donna! ich kann nichts sagen, als, heute fang ich an zu sein.
SOLINA.

Nun an Hof! und laß dich von meinem Bilde leiten. Ich will sehen, was dir Solina ist. Julio, wenn die Liebe nicht Welten in dir schafft, in deiner Seele weckt und facht, deine Stärke und Mut auf die höchste Spitze treibt! Sieht ihn starr an. Starr mich an! hast du Unternehmen in den Augen? Zeig! wir wollen doch sehen! Julio keine Schwäche! Weh dir hast du Cäsars Blicke nicht, die durchfahren und aller Herzen beugen. Ha der Junge! – wahrhaftig er sieht jovialisch! Bettel Majestät! – Starr! laß mich was Göttliches auf deiner Stirne sehn, daß sich mein Geist vor dir neige! Bei der Größe des Menschen! das war ein Blick der eine Welt zerschlüge! Was bist denn du mit Jovis Blicke, du Schnecke du! Ach Jovis Blicke und ein kleiner, unbedeutender Höfling von einem Edelmann.

JULIO.

Solina! necke mich nicht, ich bitte, schone! Verflucht, daß es so ist! Stell nur ein Rom her, wie's war, du sollst sehen, wie ich von unten hinaufsteig. Dir selbst soll's schwindlen, Stolze!

SOLINA.
Ha! ha! mir schwindlen, mein kleiner Jupiter!
JULIO.

Das soll's! Spotte nicht! reize mich nicht schärfer. Wenn ich dem Luft geben könnte, was in mir stürmt und braust himmelan! Es sei so, die Welt ist so, und alle unsre Verfassung drücke und zwänge. Ich muß einen Geist mit mir herumschleppen, der sich alle Augenblicke überwirft. Ich knirsch mit den Zähnen, nag mir 's Herz ab, verfluch alles, möcht die Welt in Brand stecken, um aus dem Schutt neue hervorzuziehn. Rasend war's, als ich mich in Rom das erstemal vor Cäsars Säule hinwarf. Wie ist's Wunder, daß sich so ein Mensch vor einen Gott hielte, wenn er alles unter sich gebracht hat, seinen Thron aufschlägt; Er, der alleinige! geschaffen der Göttliche, von Millionen Jetztlebenden und Nachkommen angestaunt zu werden. Und dem das stolze, gewisse Selbstvertrauen, das Bewußtsein ohne Eitelkeit, ohne Streben der eignen innren Größe. Größer, als alle, die er sieht. Wie sie alle schwinden vor ihm, er sagen kann: Ich allein! ich bin's! ich vermag's! Hier lebte ein Cäsar, hier war jedem die Bahn offen sich hinaufzuschwingen. Was ist diese Welt? Was tut man hier, wo alles Ziel hat, kurz und beschränkt? Stell mir ein Rom her, wie's war, laß mir meinen jetzigen Rang, du sollst sehen, wie ich von unten hinaufsteig. [1006] Solina, ich tu genug, wenn ich mich erhalt. Beug meinen Geist, anstatt ihn zu reizen. Gib ihn Tausenden, du wirst sehen, wie sie darniedertaumlen.

SOLINA.

Ich fühl den Gott, der aus dir redt. Weiter! Mein Geist ist verwandt mit dir. Deine Blicke! – Da hab ich Sonne. Du getrautest dir also hinanzusteigen, oder willst du lieber springen.

JULIO.
Wie's käme! genug ich müßte hinan.
SOLINA.

Diese Welt ist also nichts für dich? Und hier nichts? Und das Schicksal dieser edlen unterdrückten Herzogen liegt dir nicht am Herzen? Du möchtest sie nicht reißen aus den Klauen dieses hämischen Galbino? Erretten von der Bosheit dieses kalten Heuchlers Ludovicos? Befreien von den Stricken dieses kalten feinen Drullos?

JULIO.

Mein einziger Gedanken seit dem plötzlichen, schröcklichen Tod des großen Herzogs. Solina! das war mein süßer Traum. Mein Herz brannte, ich weinte oft bei der Asche dieses Edlen und schwur ihm, seine Witwe zu retten, mich für sie aufzuopfern. Und ich bin's schuldig. Er zog mich hervor, und mit ihm starb ich, all mein Einfluß, eben da ich anfing zu wachsen und mich auszubreiten. Wär ich ihm fremd gewesen, ihr Schicksal ward das meinige, da ich sie klagen hörte bei der Leiche des Herrlichen, in Tränen zerrinnen fühlte, ihre Gestalt vergehen. Sah, wie ihr und dem künftigen Nachkömmling durch harte Gewalt die Herrschaft entrissen ward. Ach Solina! in der fürchterlichen Stunde des Tods flehte er seinen hämischen Vetter, seine Witwe bei der Regierung zu schützen. Gab's versiegelt dem treuen Pasquino, dem's durch falsche Erklärung, und Drohung des schändlichsten Tods abgezwungen ward. Er riß es an sich. Und wie jetzt sein einziges Bestreben dahin geht, alles an sich zu ziehen, sie und den künftigen Stamm zu liefern.

SOLINA.

Und du sitzest still? Gott gib mir Weib, Stärke und Mut! – Ha Julio ich ahnde eine Zukunft und wie alle meine Geister sich aufmachen, und sich sehnen, zu tilgen und zu retten. Du bist still und siehst?

JULIO.
Was soll ich tun, da sie mir allen Einfluß abzuschneiden suchen?
SOLINA.
Wachen und arbeiten, sie einschläfern und dich notwendig machen.
JULIO.
Wie dann?
[1007]
SOLINA.
Sklav!
JULIO.
Sklav?
SOLINA.

Ja Sklav! Fragt einer der Selbstvertrauen auf seinen Mut und Geist hat, wie er sich notwendig mache? Überbau eine Eiche, und sieh wie sie durch ihr starkes Vermögen emporstrebt? Könnte sie auch nicht gleich durchbrechen, wird der Stamm fest und dicht. Sie breitet ihre Äste aus in den weiten Umfang, raubt den umstehenden Bäumchen Sonne und Wachstum, diese sterben vor der Königin dahin. Kraft hat sie, dein Überbau liegt an ihrer Wurzel. Herrlich empor! dem Wandrer säuselt sie Ehrfurcht.

JULIO.
Sklav!
SOLINA.

Liegt hier nicht vor dir eine weite Bahn zum Ruhm? Du kannst zeigen was deine Talente vermögen. Und deine Ehrbegierde hat edlen Zweck. Und dann – Bist du nicht Sklav deiner Ehrbegierde solang du nicht suchst, ihr Gnüge zu leisten? Dein Geist ist Einbildung; oder falsche Inspiration, wenn du nicht steigst, von unten angefangen. Ha! wie er da steht! Held! Held! du bist ein Mann? Schwache Seele, Cäsar und mein Geschwätz hat dir den Kopf verdreht. Er hat einen emporstrebenden Geist und weiß sich nicht über die wollüstige Höflinge zu schwingen. Hätten mich die Götter zum Mann gemacht – sag, du seist ein Seladon, Metastasios Cäsar du!

JULIO.
Hälst du mir den Spiegel vor?
SOLINA.
Sklav!
JULIO.
Ich?
SOLINA.
Laura! ach Laura!
JULIO.
Donna!
SOLINA.
Sag wie hast du das Mädchen geliebt?
JULIO.
Donna! und ich sage, Petrarca konnte seine Laura nicht sanfter lieben.
SOLINA.
Aus meinen Augen!
JULIO.
Ach von den hohen Augen nur einen von den Götterblicken, und mein Herz hat Flügel.
SOLINA.
Du willst Liebe von mir? willst sagen du könntest meinen Geist fassen? Du!
JULIO.
Bei der Majestät deiner Augen? ich kann's.
SOLINA.

Und kannst ein halbes Jahr mit einem Mädchen leben, die nichts als Klosterideen in die Welt gebracht hat? Sag nur wie ist's möglich mit so einem Schatten von Weibe zu leben, die sich krank um dich härmen kann, wenn man mit so viel [1008] fassenden Blicken in die Welt schaut, wie du zu tun vorgibst? Wenn man jeden großen Mann aus dem Sattel werfen möchte – – –

JULIO.

Sie ist ein liebes Geschöpf, und warum sollt ich ihr die guten phantasiereichen Stunden nicht danken, da ich doch alles vergaß, was mich trübte und kümmerte! Ihr sanftes, mildes Wesen hätt mich ewig gehalten, hätten die Augenbrauen der Solina meine Seele nicht gezaubert. Da wickle sich einer los, von dem Sitz der Größe! Ah Solina! warum muß ich schweigend den Gang der Großen zusehen? Warum muß ich untätig das Leiden der Trefflichen sehen?

SOLINA.

Und bist immer ein Schwätzer, der den Busen voll Größe und Feuer hat, das all den Augenblick zerbufft, wie wenn man eine Blase zersticht. Was tut man denn mit euch schalen, leeren Äffchens? Seufzen, schwärmen? Der Mann, bei dem ich Unterhaltung finden soll, sagt ich dir oft, muß einen Geist haben, hochgespannt, ohne überspannt. Muß fähig sein, Taten zu unternehmen so groß und übersteigend, daß alle jetztlebende Männer sagen müssen: Er ist der Größte von uns allen. Geh in dich!

JULIO.
Rasend! Soll ich morden? Banditen brauchen?
SOLINA.

Kleinmütiger! Dank meiner Liebe, daß ich dich nicht den Augenblick zertrümmere. Morden? Ist das Größe des Geists, wahrer Mut, feurig Unternehmen? Haben Leute vom heiligen Feuer der Ehre getrieben, je gemordet? Kleine Seele, ist das Kunst einem den Dolch ins Herz stoßen zu lassen? Das heiß ich wahre Größe, jeden bedeutenden Menschen nach meinen Absichten zu drehen, ihn denn ruhig sitzen zu lassen, bis an sein seliges Ende, mich bewundernd und seine Schwäche erkennend. Kein Funken des wahren Edelmuts ist in dir. Ich dächte der Geist desselben sollte dich anwehen im Augenblick, da dich meine Liebe niederwarf, und du zucktest und fühltest, was ich dir gab. Herr Gott! der Mensch kann meinen und Cäsars Geist fassen, und spricht von Morden!

JULIO.

Meint ich's so? Lieber zehen Kuglen durch diese Stirne, als einem Menschen das Leben zu nehmen, meine Ehrbegierde zu befriedigen. Mich schaudert der Gedanke.

SOLINA.

Gut Julio! An Hof! und kein Zögern. Faßt ihn an der Hand. Du hast meine Liebe! und sieh du hast sie! und an dem Bewegen deiner Lippen, an dem Zittern deiner Hände – Schweig, ich bitt dich, rede nicht. Ich fühl dir's an, daß du [1009] weißt, was dir Solina gab. Ich bitt dich Närrchen, rede nicht, deine Brust ist zu voll. Julio! und dieses war wohl von keiner Seite eine Liebeserklärung nach der Mode?

JULIO.
Donna Solina! Umfaßt sie.
3. Szene
Dritte Szene
Paulos Wohnung.
Nacht.
Amante und Julio treten auf.

JULIO
im Hereintreten.
Wo bin ich? und was fährt auf in mir? Warum ließt du mich nicht.
AMANTE.

Signor, ich durfte nicht. Verzeihen Sie meinen Ungestüm. Ich hätte Sie nie verlassen, hätte Sie bis an Ende der Welt verfolgt, und wären Sie mir noch wilder und härter begegnet. Meine Donna befahl mir's, und für sie tu ich mehr, als das – Signor, ich mußte wohl, und gewiß ich tat's gerne.

JULIO.
Nun dann! verlaß mich jetzo! Ich will sie hier erwarten.
AMANTE.
Signor Julio!
JULIO.
Amante!
AMANTE.
Ihre Hand aufs Herz, und denn sehen Sie sich um.

Ab.
JULIO.

Der Jung erschüttert mich, und seine verstohlne Tränen fielen wie Feuer auf mein Herz. Amante! – Ich kann den Eindruck nicht begreifen, den die Reden, das wunderliche Betragen dieses Jungens auf mich machen. – – – Nun ja, meine Hand auf meine Brust. Sieht sich um. Das der Ort, die Stelle, die Stelle, wo ich mit Laura den Himmel genoß? Ach dieses alles anders. So stumpf! so taub! – Jetzt nur Solina, allenthalben nur. Dort nur findet mein Geist Ruh bei seiner Schöpferin. Kann ich's ändern? Laura! – Ihre Stimme! Klopft an einer Tür. Laura! Eine betende Stimme! »Madonna! verzeih der heißen Liebe! wende mein Herz von dem süßen Betrüger! daß ich ganz dein sei!« Ich! Laura!


Klopft.
LAURA
öffnet die Tür.
Leise! leise hier! das Geräusch geziemt sich nicht. Tür zu.
JULIO.
Laura!
LAURA
inwendig.
Wer bist du der Traurigen die Ruhe mißgönnt? Ich bin nicht hier.
JULIO.
Laura! kennst du Julios Stimme nicht?
LAURA.
Ich kannte sie, drum leide ich.
[1010]
JULIO.
Amante führte mich her.
LAURA.
Bist du Julio?
JULIO.
Himmlische Laura, ich bin's.
LAURA.

Lüge nicht, häufe deine Sünden nicht. Deine Stimme ist so süß, so süß, sie könnte die heilige Jungfrau dem Gelübde rauben. Das kann kein Betrüger. Du bist nicht Julio! – Du Stimme süßer, als Nachtigallslied, lieblicher, als die Chöre der reinen Mädchen wenn sie in der Mette die Glorie des Herrn besingen. Locke mich nicht! Laß mich der Madonna! Locke mich nicht! Nun du süßer Schall, du bezaubernder Hauch, lieblich durch die Luft zum lauschenden Ohr!

JULIO.
Ach Laura! laß mich dich sehen!
LAURA.
Zum letztenmal Julios Stimme?
JULIO.
Ach zum letztenmal!
LAURA.

Sieh! Du bist Julio nicht. So süß und traurig Julios Stimme! Wart ich trockne meine Tränen! zum letztenmal? Noch einmal rufe stark, Todesstimme! zum letztenmal?

JULIO.

Ich halt's nicht aus. Solina, Stärke! Wie klingt's dumpf in mir! warum sterben mir die Worte auf den Lippen? O teuer erkaufte Solina!

LAURA.
Bist du noch da, Todesstimme?
JULIO.
Laura!
LAURA.

Ich komme gleich. Da hab ich Lilien, die will ich knicken, schöne Lilien und ganz frisch. Brich! brich! ach so brich! so sink! – brich! brich! und bald mein Herz. Bist du noch da?

JULIO.
Ach Laura noch da!
LAURA.

Stell dich weit weg und schau mir nicht durch die Tür ins Zimmer. Geh leise, mein Vater malt unten der Donna Solina Portrait. Also geh leise. Sie muß genau getroffen werden. Meines Vaters Kunst verzweifelt, den großen Geist herauszutreiben. Geh leise, daß kein Zug verfehlt werde.

JULIO.
Brennender, als alle Rache. Laura du bringst mich in Verzweiflung.
LAURA
tritt verschleiert heraus.
Gott bewahr dich! – Mach kein Geräusch!
JULIO.
Laura bist du's?
LAURA.
Paulos Tochter. Ein krankes, kindisches Mädchen. Gute Nacht Julio.
JULIO.
Laura!
LAURA.
Halt mich nicht auf. Mir ist's nicht gut hier.
JULIO.
Laß mich dein Gesicht sehen.
[1011]
LAURA
nimmt den Schleier ab.
JULIO.
Gott! Totenblaß und Tränen.
LAURA
verschleiert sich wieder.

Die Lilien sind gebrochen und Lauras Herz. Warum ich dich rufen ließ – – – Julio, ein schwaches Mädchen denkt allerlei. Ich wollte dir wohl Lebewohl sagen. Und – vergiß mich, denke meiner, gut, und ohne Kummer. – Dies nimm von mir, ich malte es.

JULIO.
Ein betend Mädchen auf den Knien, die Tränen den Wangen herunter – Du selbst Laura!
LAURA.

Denk nicht drüber. Willst du mir den Petrarca, meinen ehmaligen Liebling lassen, den du mir an jenem schönen Morgen schenktest? Ich les die »Canzoni sorelle« nicht mehr. Kein süßes Liebesliedchen mehr. Ich hab sie alle mit Band verbunden, daß mir keins vor die Augen komme. Du weißt, wir lasen sie; aber, Julio, da war ein Band um uns gewunden, das den Himmel bindet, und seine Treue lieben. Es riß, und dir ist's gut. Jetzo laß mir ihn bloß des »Trionfo di Morte« wegen. Willst du?

JULIO.
Laura! alles.
LAURA.
Nicht so. Lebe wohl Julio, und gib auch mir Lebewohl.
JULIO.
Du gehst, und ich kann nicht sagen – Ha! wie nun, daß ich ganz vergeh, und nichts! nichts! – Laura!
LAURA.

Julio! ich werd ausdulden und lebe wohl. Schöner, lieber, süßer Betrüger, tausend treue Lebewohl. Die Liebe in Lauras Brust war heiß. Du schöner Betrüger! Madonna segne dich. Macht 's Kreuz über ihn. Adieu! Adieu! sterben ohne Klagen – Adieu! Adieu! Rosen sprossen, wo du gehst, und liebe, laute Freude, wo du bist. Laura sagt gute Nacht, gute Nacht! Ins Nebenzimmer ab.

JULIO.
Laura höre mich!
LAURA
inwendig.
Gott bewahre dich! zum ewig letztenmal gute Nacht.
JULIO
nach langem Schweigen.

So schwach und klein war ich nie. Wie ich in der Gegenwart dieses Engels ganz erlag. Und kann ich's zurückrufen? Kann ich mir's wiedergeben? Solina! – Die Stätte brennt unter mir, und jeder Gegenstand senkt mich in Schwäche und Trauren. Ha! und Mut brauch ich. Ab.


Eine lange Pause.
AMANTE
tritt auf mit seiner Laute.

Nacht! Freundin meiner Liebe! und Teilnehmerin meiner Leiden, umgib mich, umfange mich! Und ach! in all der Finsternis ihr Bild! ihr Bild! – Dieser [1012] Tag, meine Laura, war ein harter Tag. Bewahre mich zu klagen! aber es war ein harter Tag, und noch einen, und wieder einen – Leiden und Lieben, so dein, meine Laura. – Hier auf dieser Stelle, wo du den Kummer meines Vaters in Freude wandeltest, daß er in Friede lebt, will ich liegen, ruhen, leben, sterben und lieben. – Schlummre sanft, himmlische Liebe! Höre nicht die Klage der Liebe. Klage! klage Laute! und wenn meine Tränen deine Trauertöne nicht verstimmten, so klage leis bis an Morgen.


Singt und spielt.

Dumpf ruft die Glocke Mitternacht,
Es schwirrt und hallt so öd um mich.
Verloren, einsam irr ich hier,
Klag durch die Nacht, sie hört mich nicht.

Sie hört mich nicht und schlummert süß.
Ihr Sterne weint! ach weint um mich!
Ihr Lüfte klagt! sie liebt mich nicht!
Blick bleicher Mond! sie liebt dich nie!

Schall Trauerglocke durch die Nacht!
Der letzten Stunde, Totenruf!
Nimm ödes Grab den Liebenden!
Schließ bald mich ein! sie liebt mich nicht!

Vom holden Aug der Liebe fließ,
Nicht eine Trän aufs stille Grab!
Mein bleicher Schatten weinte dir,
Laura! ich liebte treu und warm!

Sinkt in eine schwermütige Stellung.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Paulos Wohnung.
Laura im Bette schlafend. Die Vorhänge gezogen.

AMANTE.

Behüte mich für bösen Gedanken! behüte meine Seele für Gedanken, die Laura entheiligen.Geht ans Bett, zieht den einen Vorhang leise weg. Ach! der ringende der ringende Schlaf! Die großen Tropfen aus dem hellen Aug! – Sie sieht beständig dahin! Freude, wie sich Engel freuen. Kniet sich nieder. [1013] Sanften Schlaf, Madonna! Deinem heiligen Mädchen Kraft und Genesen! Und willst du das nicht, Madonna, so nimm mich auch mit! Gib mir Stärke, sie treu zu warten, und dann Scheiden! Scheiden!

PAULO
tritt auf, setzt sich still hin nach einigem Schweigen.
Amante! Der Arzt mag reden, was er will. Sieh! wir wollen ihr Leben erhalten.
2. Szene
Zweite Szene
Solinas Wohnung.
Solina und Julio.

JULIO.
Bin ich wert, dir unter die Augen zu treten?
SOLINA.

Edler Julio! von ganzem Herzen dein. Du hast dich zu meinem Erstaunen gezeigt; so fahr fort! Ich erklär dich von nun an für einen Menschen, der meine Achtung verdient. Laß dir das mächtiger Sporn sein, den Gang kühn und edel zu vollenden, den du betreten hast. Hinan zum Ziel! dort reich ich dir die Hand, sing dir das Lied, das Göttlichen nur tönt. Und denn Julio!

JULIO.
Meine Schöpferin!
SOLINA.
Dann bin ich dein.
JULIO.
Und ich, was du willst.
SOLINA.
Nicht mehr, als dein Vermögen zureicht.
JULIO.

Da seh ich keine Schranken. Ach! und wenn ich so in den heißen, großen Augenblicken mich gehoben fühl, wo alles in mir lebt; alles zusammenfaß; es sich vor mir reiht, was ich tun könnte, und werde; meine Brust sich erweitert, und meine Augen mit unbeschreiblichen Blick in künftige Schöpfungen schauen, der Geist vorschießt zu haschen, und zu ereilen – Für so einen Augenblick gäb ich alles Leben hin. Solina! ich kam weit, und was das beste ist, was mich innerlich zufriedenstellt, keiner kann sagen, du hast's durch schlechte Mittel erlangt.

SOLINA.

Sonst wär's auch aus mit uns. Wenn du das sein willst, was ich mir von dir denk, muß keiner mehr sein als du, und du doch der Rechtschaffenste, der Geliebteste im Lande.

JULIO.

Schwer! aber sorge nicht. Ich muß Schritte gehn, wie sie einer nur tun kann. Von nun an der Anfang. Der Gedanke soll so mein sein, so fest, unerschütterlich in meiner Seele stehn, bis ich's bin; und die Ruhe der Leidenden hergestellt, Kummer [1014] in Freude verwandelt hab, und die Störer derselben erliegen. Schlaf! Ruhe! Freude weg! Mir nur Liebe! und dies! Solina, ich bin den Augenblick mehr, als Mensch. O gäb's eine Sprache, worin ich dir sagen könnte was der Mensch ist, wie groß er ist, der das denkt und dich. Es ist aus red ich.

SOLINA.

Brauch ich deine trockne, nichtige Worte? Julio, seh ich dir in die Augen – nichts weiter, kein Wort mehr! Mich durchglüht's. Was braucht's Reden? Du stundest da, ich hätt dich umfassen, und anbeten mögen.

JULIO.

Tut's nicht die Liebe Pisanerin? Du! Du! allein vermagst's! Hast mir Kraft gegeben, die Flügel gegeben, eine Welt zu umfassen.

SOLINA.

So gleicht der Liebende dem von den Göttern Inspirierten und Geliebten. Tut Sachen, die andern Wunder sind. Geführt von dieser Göttin der Erde, wirst du wachsen, dich auf neuen, nie zu ermüdenden Schwingen erheben, und außer dem Gesichtskreis aller, derer Herz die wahre Hoheit der Göttin nie erkannte, schweben. Und Julio, es gibt ihrer wenige. Ha! sie nährt und weckt auf in den verborgensten Sinnen, und Winkel des Herzens und des Geistes; führt, leitet und lohnt den, der ins Innre ihres Heiligtums gedrungen ist. Julio! und alles spricht an dir, mit mir geschah's.

JULIO.
Liebe! Liebe! sie führt aus.
PIRRO
bringt einen Brief.
Ein Kurier, gnädiger Herr. In zwei Stunden reitet er ab. Ab.
JULIO.
Das Siegel des Königs.
SOLINA.
Brich auf!
JULIO.
Ein Brief vom König selbst.
SOLINA.
Lies!
JULIO.

Ich sollte kommen, und ihm dienen. Er glaubte an seinem Hof wär der Platz für mich. Das Betragen und die Betreibung meiner letzten Geschäften haben ihn so für mich eingenommen, daß er mich sehr ungern missen würde.

SOLINA.
Laß sehen! Liest. Das dank ich ihm. Julio, wenn das keine Flamme in dir anzündet!
JULIO.
So laß uns hier enden, laß uns herstellen! –
SOLINA.

Alles gut soweit! Ich fahr zur Herzogin. Ich brenne, diese große, leidende Seele zu sehn. Unablässig stellt sich ihr Bild vor mich mit Zügen, die meine ganze Seele an sich ziehen. Ich will hin.

JULIO.

Du mußt, und ich wollte, du wärst vor aller Welt unsichtbar. [1015] Es muß zu Ende. Ich kann nichts dafür, daß ich an diesem Gedanken häng und zuck. Das Fragen, und Forschen des Prinzen – O mir ist's, wenn er so seinen gelben gedrückten Mund in ein überredendes Lächlen bilden will, als müßt ich mein Leben durch den Verlust des seinigen retten. Es muß zu Ende.

SOLINA.

Und laß ihn fragen, erkundigen, und all seine Spionen nach mir aussenden. Ich will hin, durch sie alle durch! und sie um mich niederblitzen.

JULIO.

Da fürcht ich nichts. Es ist klein von mir – Und doch Solina! In deiner Gegenwart bin ich alles zwiefach. Denk ich dich dort, schwindet meine Stärke, und mich deucht, ich kann nur in deiner Gegenwart groß denken und unternehmend sein. Ich fühl daß nur hier mein Mut und Stärke haftet. Auf ihre Stirne zeigend.

3. Szene
Dritte Szene
Palast.
Ein Zimmer.
Prinz Galbino tritt auf. Hofmarschall Pasquino.

PASQUINO.
Ich bitte, gnädiger Herr!
GALBINO.

Ach die Langeweile! die Langeweile, die mich verfolgt! mir auf dem Nacken hängt ohne Weichen! Leeres! unzulängliches Leben! das ich in allen Winklen, in der herrlichsten Gegend erblick! das ist Leben! seid ihr denn alle aufgetrocknet? Elend! Elend! welch dummes, kaltes Leben! weiß der Himmel, wie ich mich nach einer Stunde vollen Herzens und wallenden Bluts sehne!

PASQUINO.
(Ich komm nicht zum Wort.) So arge Langeweile, mein Prinz? behüte Gott!
GALBINO.

Wundert Sie's, Pasquino? Sie sehen so ernsthaft, wenn ich sag, es ist ein dummes, schales Leben, wenn all unsre Sinne und Begierden darniederliegen – Wie nehmen Sie's, mein ernster Pasquino?

PASQUINO.

Kein Übel leichter zu heben. Nehmen Sie nicht ungnädig, wenn ich sage, ich war fünf Jahr um den seligen Herzog, und hörte ihn nie diese Klage führen.

GALBINO.
Das machte der selige Herr hatte so sein Wesen.
PASQUINO.

Freilich hatte er das. Denn man ließ den lieben Herrn nie in Ruh. Und ihm war damit ausgeholfen. Tätigkeit war [1016] seine Hauptfreude. Dabei war er nun so gefällig, daß er jedermann Recht widerfahren lassen wollte, und es am liebsten selbst tat. Er hatte so sein Wesen damit.

GALBINO.
Wie ich Ihre Aufrichtigkeit schätz, mein Treuer!
PASQUINO.
Das ist nun ihr Wesen.
GALBINO.

So! daß ich keinen einzigen guten Kopf am Hofe hab! kein erfindrisches Genie! Da hab ich mich eine Zeitlang mit den Gelahrten abgegeben, die stürzten mich vollends hinein. Mit den Poeten, dem Sang und Klang der Musik will's auch nicht mehr fort. Das wird einem alles zum Ekel. Ich versucht's mit dem Bauen, und überall die garstige Langeweile.

PASQUINO.

Das all zu hörn! Laut. Aber es ist ja noch Trauer an Hof, ohndies nicht Zeit zu rauschenden, zeitfressenden Lustbarkeiten.

GALBINO.
Gut, daß Sie mich erinnern. Ich denk, wir heben die Trauer nun auch auf.
PASQUINO.

An sich unbedeutend. Aber das Volk! es sieht dieses alles anders, findt Mangel der Liebe und Achtung. O und wie wünsch ich Ihre Administration so geliebt zu sehn –

GALBINO.
Administration!
PASQUINO.
Finden Sie was?
GALBINO.

Nein gar nichts. Aber daß ich just vom Volk abhängen soll in allem Sklav seiner Einfalt und Vorurteilen sein soll – – Wie befindet sich die Herzogin?

PASQUINO.
Sehr wohl, wenn man das Wohlsein nennen will. Wie wird Ihnen?
GALBINO.
Ach das Leere!
PASQUINO.
Ich bitte, mein Prinz!
GALBINO.
Red! Du weißt, du hast meine Gnade.
PASQUINO.
Ihre Gemahlin ist sehr krank.
GALBINO.
Ich lieb sie von Herzen.
PASQUINO.
Und doch fürchtet sie – Was ist eine Kamilla, mein Prinz!
GALBINO.

Gar nichts in Vergleich. Eine süße, bezaubernde Schwätzerin, die sich in Busen schleicht, und Sie haben kein Herz mehr, als für sie. Ach was sind das Schlangen, Pasquino! Sie glauben nicht, wie die ein Fäserchen nach dem andern an sich reißen, ein Band um einen herumschlingen.

PASQUINO.
Das ist's eben.
GALBINO.
Nun ja. Aber das zu zerreißen, wenn man sich auf Leben und Tod ergeben hat.
[1017]
PASQUINO.
Wer wird das?
GALBINO.
Niemand. Wär meine Gemahlin gesund –
PASQUINO.
Ich weiß nur einen Arzt, der sind Sie.
GALBINO.
So! Aber sagen Sie mir doch wie treibt Julio seine Geschäften?
PASQUINO.
O das So, das So!
GALBINO.

Gefällt Ihnen nicht? Mir ist vieles nicht recht, und doch muß ich's so lassen. Antworten Sie mir auf meine Fragen.

PASQUINO.

Nun in Wahrheit, ich hab nie einen jungen Mann gesehen, der so viel versprach und leistete. Prinz, ein feurig, unternehmend Herz, festen Sinn, schnelle Würksamkeit, einen Geist, der dem Platz, den Sie ihm gegeben haben, gewachsen ist, und sich zu größern geschickt macht. Vielfassend, weitsehend, unternommen und getan. Er treibt auf alles, was er durchgesehen hat, mit einer Zuverlässigkeit – und was das größte ist, treues Gefühl und Rechtschaffenheit.

GALBINO.

Ich erstaune. Ich hab Sie nie einem Menschen eine Apologie halten hören. Sie waren sonst sehr argwöhnisch. Aber mich deucht, er ist das alles nur seit einer kurzen Zeit. Darüber, daß er seine Sachen so gut bei dem König machte, kann ich mich nicht genug wundern. Er machte Dinge wirklich, die ich nie geträumt hätte.

PASQUINO.

Ich hatte alle Hoffnung. Als er ging, sagte er: »Bring ich's nicht zustand, mag mir der Prinz meinen Abschied geben, und ich werde Schreiber.«

GALBINO.

Sehr schön! Pasquino! ich will nun, daß Sie sich auf Ihre Güter begeben. Ich hab Ihnen eine Pension angewiesen, wovon ich hoffe, Sie werden sich gnügen lassen.

PASQUINO.
Ich danke untertänigst – Aber gnädiger Herr!
GALBINO.

Ich kenn deinen Eifer zu dienen, aber alles muß Ende haben. Und ich denke so, Pasquino hat deinem Vetter und dir treu gedienet, er wird nun auch die Ruhe schmecken wollen. Würklich mein lieber Pasquino, ich habe den Glauben, man muß sich's einmal gut sein lassen im Leben, wenn's auch noch so spät kommt, ist's nicht auszuschlagen. So gehn Sie nun, meiner Gnade versichert. Nicht wahr, Sie kamen ja, um Abschied zu nehmen?

PASQUINO.
Aufrichtig zu reden, nein! Ich hatte sogar den Glauben, ich würde nie überflüssig sein.
GALBINO.

Das eben nicht. Aber ich halt's für gut. Und untersuchen mag ich weiter nicht, lassen Sie sich das genug sein. Ich [1018] seh, Sie machen sich zu einer Rede geschickt. Lieber Pasquino, ich hab viele, vielleicht zu viele Proben, von Ihrer hinreißenden Beredsamkeit. Auch möchte die jetzige recht gut sein, und zum Abschied voller guter Vermahnungen. Aber, eben hab ich keine Zeit, drauf zu antworten. Auch möcht ich nicht so geschickt sein, aus dem Stegreif lange und angenehm zu reden. Übrigens leben Sie wohl. Glauben Sie, ich verlör zu viel dabei, so schicken Sie mir Ihren Seneca, und zeichnen Sie mir das Kapitel, welches die Materie enthält, wovon Sie reden wollten. Adieu lieber Pasquino!

PASQUINO
ab.
GALBINO.

Hätt ich die Verlegenheit des alten Narren gemalt, was gäb ich drum? Klingelt Bediente. Ruft mir den Hofmeister! – Ein gewisser Kaiser behielt seinen Seneca bei sich, um ihn zu necken, und ich schick meinen friedlich fort. Aber er soll mir nicht lange der Güter und Pension genießen. Wie er sich mit Julio verplatzte! es ist eine Freude, so einen alten Kerl auf den Sand zu setzen. – – – Ha!Sieht sich schüchtern um. Die verfluchte Schwäche! Will das nicht einen Augenblick weg? – Näher ans Herz Solina! und wärst du nicht im Treiben, der Starrkopf von toten Vetter mordete mich in Träumen. Und wenn er mir noch einmal erscheint, den Todesbecher in der Hand, mir ihn reichend, sollen seine Gebeine in Fluß, und müßt ich sie mit eignen Händen hineintragen.

LUDOVICO
tritt auf.
Was befehlen Sie gnädiger Herr?
GALBINO.

Alle Aufmerksamkeit, deren Sie fähig sind. Alle Ihre Sinnen zusammen! Denken Sie nichts Fremdes. Und – Sind Sie gegenwärtig?

LUDOVICO.
Wie soll ich anders, da ich die Gnade hab –
GALBINO.

Mann! laß mich deine Hand fühlen! Faßt ihn an der Hand. Nach einigem Schweigen. Geht dein Puls immer so träg, langsam und ordentlich, daß du ihn im Fall der Not brauchen könntest, die Zeit der Stunden an den immer gewissen und sichern Schlägen abzuzählen?

LUDOVICO.
Selten anders, gnädiger Herr!
GALBINO.
Schwillt dir die Ader oft auf, die sich hier deine verschobene Stirne herunterschlängelt?
LUDOVICO.
Selten; ich müßte denn beleidigt sein; oder heftig nach etwas streben.
GALBINO.

Hast du deinen verzogenen, zickzack laufenden, harthaarigten [1019] Augenbraunen hier Halt gemacht, und abscheren lassen; oder sind sie so schraff von Natur gewachsen?

LUDOVICO.
Man hat Vorurteil dagegen, ich tat's.
GALBINO.
Hast allen Versuch an deinem Haupthaar gemacht, ihm andre Farbe zu geben?
LUDOVICO.
Es half nichts.
GALBINO.
Warst auch immer so tot und düster in dich vergraben, auch immer so bleichgelb im Gesicht?
LUDOVICO.
Immer.
GALBINO.
Du hast mit Sylla viel gemein.
LUDOVICO.
Sylla war ein großer Mensch.
GALBINO.

Es kommt auf den Mann an, der ihn beurteilt. Freilich. – Ich hätt noch mancherlei. Ich les was Großes in deinen Augäpfeln von ausgefallner Farbe. Es liegt was drinnen von vieler Bedeutung. Aber Hofmeister! was Widriges, was Verdrießliches – Du scheinst unzufrieden mit der Welt? Was denkst du von der Welt?

LUDOVICO.

Nicht zum besten g.H. Sie wissen, ich hab eine strenge Moral. So viel Erfahrung und Weltphilosophie, die ich meistens auf unsern Reisen sammlete, um einzusehn, wie sich menschliche Handlungen verhalten. Mein Prinz! wer den besten Firnis hat –

GALBINO.

Der verklebt dem andern die Augen. So mein ich's auch. Der Bombast ist wenig auf dieser Waagschal. Die gepriesene, gute, große Handlungen der Menschen sind einem aus der Imagination des Dichters, mit allem zaubergeschmückten Feenschloß gleich. Du staunst, siehst, hörst, was er will, bis sich nach und nach der Zauberteppich in die Höhe hebt, das heißt, bis du zu dir kommst. Der Dichter tat was der Mensch mit seinen glänzenden Handlungen. Er machte dich eine Zeitlang fürs Würkliche blind, und zog seinen Profit draus. Große Handlungen sind die Irrlichter der Welt. Eine wohlüberdacht, die Absicht tief versteckt, und ohne sie je merken zu lassen, ausgeführt, du ziehst Frommen, Klugen und Weisen Glanzwolken vors Gesicht. Den meisten schwindt der Nebel nie, und du bist angebetet.

LUDOVICO.
Welche Weisheit! und wie sehr recht!
GALBINO.
Man macht sein Glück, und wie man's macht.
LUDOVICO.
Es arbeitet doch alles zum guten Zweck, hier, wie in der physischen Welt.
GALBINO.
Keine Handlung hält die Untersuchung aus.
[1020]
LUDOVICO.
Dem groß und wert, der's nicht tut.
GALBINO.
Fühlst du fürs andre Geschlecht? Hast du starke Leidenschaft? Kannst ohne sie nicht leben?
LUDOVICO.
Völlig. Ich bin drüber weg.
GALBINO.
Von Jugend auf, oder tat's deine Philosophie?
LUDOVICO.
Die tat's mit. Ich bin kalt, und war nur ein einzigmal im Fall.
GALBINO.
Hast du viel poetisches Gefühl? Begeistrung? Feuer und Phantasie? Schweifende, glühende Träume?
LUDOVICO.
Nein! ich bin immer in mir.
GALBINO.
Du hast vorhin von einem Fall gesagt. Ich bitt dich, erklär dich!
LUDOVICO.

Ich bin durch einen verdrießlichen Zufall in Rom entmannt worden. Schrieb drauf ein Buch gegen die Lüste der Welt, das noch von Welt- und Geistlichen angeführt und gelesen wird.

GALBINO.

So bist du der Mann, den ich such. Du hängst von keinen Lüsten und Begierden ab, nur Vernunft führt dich, kannst also für eine Sache allein wachen.

LUDOVICO.
Gnädiger Herr!
GALBINO.
Die Welt muß wenig Reiz für dich haben?
LUDOVICO.
Desto mehr der Ruhm.
GALBINO.
Gewiß! In Wahrheit? Sag der Ruhm!
LUDOVICO.
Der ist mein Idol.
GALBINO.

Das sagt mir die Art, mit welcher du's aussprichst. Du könntest einen großen Platz behaupten. Du wirst gehört haben, an Hof ist eine gewisse bedeutende Dame, ihr Namen ist – weißt du? – Ja wie ich sage – Die Witwe Kornelia. Sonst auch die Herzogin. Pasquino hat Ruhe halben seine Amt niedergelegt. Und zur Belohnung deines treuen mir erwiesenen zweijährigen Unterrichts, erklär ich dich heute noch zum Hofmarschall. Ludovico macht viele Verbeugungen. Und sieh, diese Kornelia ist eine rachbegierige, herrschsüchtige, stolze Art von einer Agrippine. Sieh sie scharf an! Und die Adlernase! Der Feuerblick! – Du weißt diese Dinge sind von keiner guten Bedeutung in einem Weibergesicht. Auch sieht sie so wild, und rast zu gewissen Zeiten, und heult wunderliche Dinge den Sternen vor.

LUDOVICO.
Das sah ich.
GALBINO.
Und – o es ist was Erstaunendes, Titel zu führen – Lies die Überschrift dieser Supplik.
[1021]
LUDOVICO.
Untertänigste Bitte an unsern gnädigen Herrn, Administrator, und –
GALBINO.

Buchstabier das Wort! zergliedre es! Aber nicht, daß ich's hör. Es ist närrisch, wie man gegen gewisse Wörter Antipathie hat. Bei meines Vetters Leben war ein vortrefflicher Mensch hier, der ward wütend, wenn er den Minister nennen hörte. Der arme Schelm war nichts und fühlte, daß er's ebensogut sein könnte.

LUDOVICO.
Es geht oft so.
GALBINO.
Du bist Freund und Vetter von Julio?
LUDOVICO.
Vetter wohl. Freund wie von den Weibern.
GALBINO.

Du sprichst frei, das lieb ich an dir. Es ist eine Donna, eine gewisse Solina – doch du liebst die Weiber nicht. – Es ist ein leeres Leben! Adieu! Wir reden mehr. Adieu!


Ab.
LUDOVICO.

War das nicht die nämliche Melodie, als der Vetter zu lästig war? Es waren der Worte sehr viel, und wenn ich sie übersetzte, sagt es ein kleines Wort, wobei wohl manchem heißen Kopf die Haare zu Berg stünden. Mord! he! Es ist ein Schall, wie jeder andrer. Kommt nur auf die Idee an, die man sich dabei macht. Über das nur ein Weib. Wollen's überlegen. Vetter Julio! hm! und Donna Solina! hm! und Hofmarschall! hm! und Mord! hm! Das klung doch all einander so ziemlich gleich, und ward mir bei keinem anders. Minister! hm! Noch nicht? Graf Drullo! hm! Warum geh ich vor? – Wie manchmal wichtige Dinge aus kleinen Zufällen entstehen. Kornelia ist ein sehr schönes Weib! hm!

4. Szene
Vierte Szene
Zimmer der Herzogin.
Herzogin, und Rosaline auf einem Lehnstuhl.

ROSALINE.
Ich bin so matt, so gar krank, und Sie martern mich vollends tot.
HERZOGIN.
Das glaub ich; du härmst dich, du kümmerst dich.
ROSALINE.
Hab ich nicht Ursach, so elend, und verworfen?
HERZOGIN.

Nein, du sollst nicht. Mich nährt der Gift und stärkt mich. Ach und kommt er mir vor die Augen, dein Gemahl, den ich nachts im Traum bald zerreiß, bald vergift, den hämischen Würger.

ROSALINE.

Geben Sie mir die Medizin, die Stunde ist vorbei. Und [1022] ach! von Ihren Händen, Liebe! ich glaub immer die Würkung ist sichrer.

HERZOGIN.

Armes Lamm! wie gern ich deine Wärterin bin. Gießt in einen Löffel. Nimm den Tod! Dein Gemahl schwelgt heute bei seinen Mätressen. Die schöne Kost, die er dir zubereitet hat; China und bittre Tropfen, die die Zähne aus der Wurzel fressen. O wir Weiber! wir armes Spielzeug!

ROSALINE.
Halten Sie ein! Ach ich bin zu schwach, das alles anzuhören.
HERZOGIN.

Das tu ich nicht. Deine Geister will ich so scharf gegen ihn machen, deine Galle so bitter, bis dir's ist, wie mir, wenn du ihn nennen hörst.

ROSALINE.
Ich bitte – o mein Kopf!
HERZOGIN.

Halt dich Weib! – Du hattest keinen Gemahl, keinen Edlen, Trefflichen, dem er nach dem Leben stunde, den er höllisch zu Tod neckte durch verborgene Schliche mit seinen Helfern. Ha! und laß dir's sagen! laß dich's brennen durch die Seele – Wie sich alles drängt an mir, zu rächen! zu rächen! Leise. Er vergiftete den Köstlichen.

ROSALINE.
Nein! Nein!
HERZOGIN.

Ich will's erfahren, ich weiß es. Aber du sollst's laut bekennen hören. Ich will ihn und seine Helfer fassen im Zorn. Ich will zu dem Grab meines Lieben wandern, mehr Grimm und heißen Durst nach ihrem Blut bei seiner Asche in meine Adern heulen und klagen. Und wenn mir's denn wild vor den Augen tanzt, Gestalten des Tods sich stellen vor mich, will ich sie erhaschen und ihnen mit dem Leben das Geheimnis abzwingen. Wenn du dann an meiner Stelle wärst, und ihm nicht mit Lächlen Gift in die Adern gössest, wollt ich dich auf deinem Krankenbett ersticken – Dich – Ach du Gebeugte! Du Gekränkte! sieh nicht so weich! so kümmerlich und abgefallen! schwäche meine Seele nicht!

ROSALINE.

Leid ich nicht über Kraft, meine Mutter? Bin ich nicht schon die größte Schmerzendulderin? Er nahm mich zur Gemahlin, und weiß der Himmel! ich lieb ihn treu, mein krankes, zerstoßenes Herz schlägt für ihn. Und er verläßt mich, setzt mich gefangen in eine Krankenstube, hängt sich an Elende, ich verzehr mich hier, die Krankheit frißt meine Jugend auf, hab von ihm nichts zu erwarten, als den Tod. Mutter, ist das nicht Fülle der Leiden?

HERZOGIN.

Steig denn auf! Laß dir Rache Kraft geben! Laß uns [1023] ihn zerreißen, wo wir ihn ertappen, wie rechtschaffne Weiber. Laß uns in seinem unreinen Blut baden, ihn an den Haaren schleppen! Das soll Gelächter sein und Freude. Komm wir feiren deinen Hochzeittag! Laß dich küssen und dir römischen Geist einhauchen! Wo ist er? wo hast du ihn gelassen? Steig auf!

ROSALINE.

Herr Gott! Herr Gott! und Sie sehen nicht, daß ich nicht aus der Stelle kann? Legen Sie mir das Kissen untern Kopf, ich will ja gern und willig sterben. Ach meine Mutter!


Küßt ihre Hand.
HERZOGIN.

Wenn ich deine Mutter wäre! Gott im Himmel das nicht auf einmal! Deine Mutter ist ja tot, meine Tochter!

ROSALINE.
Ach!
HERZOGIN.
Das soll ich ansehen!
ROSALINE.
Herzensmutter, ruhig!
HERZOGIN.

Was? Unter meinem Herzen wimmert der vor der Geburt bestohlne Waise. Ruft, wo ich mich hinwende: »Mutter! Mutter!« Ach wo ich hinblick, seh ich das unschuldige Würmchen lebendig. Es hängt sich an mich, zappelt, umfaßt mich mit seinen kleinen Händchen: »Mutter Hülfe! Hülfe gegen bestellte Mörder. Ach rette deinen Einzigen!« Und er wird begleitet und umgeben von dem Geist seines Vaters dich schützen und rächen. Und dann seh ich ihn, kühn, stark und erwachsen, mit der Miene seines Vaters, hervortreten, sich aufschwingen und zernichten. – Weine nicht, mein Junge! laß dich den Gift deiner Mutter nicht töten. Trink ihn all in dein kleines Herz, und komm mit zwiefachem Grimm geboren ans Licht. Und bis du kommst, will ich herrschen, und ich bin geboren, zu herrschen, und ich will, ich will!

ROSALINE.
Möchten Ihre Geister ruhig werden, und mein Leben bald aus sein.
HERZOGIN.

Flüche auf Flüche will ich häufen, und über meine Ohnmacht lachen. Du zartes Täubchen! Du feines, sittsames Weib! Die du im Käficht sitzest, und siehst, wie er andre liebkost, und im Pomp aufführt, du dich hier windest und doch seine Partie nimmst. Stirb denn! er hält dir einen prächtigen Leichenzug, ich setz dir einen Leichenstein mit deiner Geschichte, und fecht's allein aus.

ROSALINE.
Lassen Sie mich dulden!
HERZOGIN.

Tag und Nacht will ich dir's wiederholen, mein Geschrei soll dir den Schlaf wegheulen, bis du mit mir ihm fluchst und gegen ihn betest.

[1024]
ROSALINE.
Nimmer! Nimmer!
HERZOGIN.

Nimmer töricht Weib? Ist er dein Gemahl? Ist er's? Dein Gemahl und wer genießt deine Rechte? Häuf allen Greuel der Wollust, und dann hat er Ursach! Aber so, wie du bist, keusch und rein, und so taubenartig, so heilig, so gut, dafür täglich Todeskampf leidest wegen seiner, doch von Dulden sprichst – – Was ist dir?

ROSALINE
wird ohnmächtig.
Ach wie schwach!
HERZOGIN
reißt ihr die Kleider auf.

Du armes Lamm! komm zu dir! um Gottes willen komm zu dir! Hör! hör! – ach so schlag die Augen auf! Verlaß mich nicht! Fällt ihr um den Hals. Blick mich an! laß mich nicht in Verzweiflung!

ROSALINE.
Mutter!
HERZOGIN.
Gott belohn dich! halt dich aufrecht! Komm zu Bett! Weib! Weib bleib mir am Leben!
DAME D'HONNEUR.
Die Gräfin Solina bittet vorgelassen zu werden.
HERZOGIN.

Sie soll kommen! Geschwind! Helft meiner Lieben zu Bett! Küßt Rosaline. Ich komme zu dir, meine Tochter! Denk, was du mir bist.

ROSALINE
ab.
HERZOGIN
nach der Tür.

Führt Donna Solina auf. Ich bitt, Sie sind hier nicht an Hof! Sieht sie starr an. Dein Julio log nicht. Ha Donna! laß dich auf diese Stirne küssen! und sieh ich versteh dich. Kein Wort, meine Liebe! Wer ein solches Gesicht hat, bedarf keiner Worte. – Umfaßt sie. Ich halt eine Römerin in meinen Armen, eine starkmütige Römerin, und mir ist wohl. Dein Blick senkte sich scharf in meinen Geist, und reicht mir Hülfe. Ich seh dich Retterin! und hier stehst du begriffen. Unsre Seelen gehen einen Gang. Ha! ich hab ein Wesen gefunden, in das ich alles legen kann, und das mich versteht.

SOLINA.

Nehmen Sie mich, so wie ich bin, ganz hin. In diesem Augenblick macht sich alles in mir auf, was ich hab von Entschluß und Tat. Mein Herz war an ihr Schicksal gebunden, eh ich sie sah. Und nun, was in der Welt, das ich nicht unternehm?

HERZOGIN.

Herrlich! Herrlich! Und wie in dem Augenblick aller Schmerz versiegt! wie verloschner Mut zurückkehrt! wie sich alles in mir versöhnt, da ich ein Wesen gefunden hab, dem ich's klagen kann, und das mit mir Rache sinnt. Und hilft nicht[1025] schon dieser Wechsel der Blicke! und dieses Teilnehmen – laß dich lieben! laß dich umfassen, Schwester! Schwester!

SOLINA.

Ich hör die Gemahlin des großen Ämilius! und ich will sie sehen, geschmückt mit der Herrschaft, daß sich ihr Geist entfalte.

HERZOGIN.

Ämilius! Ämilius! Komm Donna!Führt sie vors Portrait. Sieh diesen gepriesenen Ämilius! Und zu dir! zu dir allein wird sein Bildnis reden.

SOLINA.

Ich begreife seinen Wink. Mir ist's, als spräche sein großer Geist herunter: »Ich werd mit euch sein, und vor euch in Schrecken setzen.«

HERZOGIN.

Unser Bund ist vor seinen Augen gemacht. Ämilius! mein Teurer, sieh herab auf uns zwei Weiber! – Wende diesen Blick nicht von mir, der immer ganz mein war! Laß mich weinen, Donna! laß mich weinen!

SOLINA.
Und warum nicht weinen vor dem Herrlichen?
HERZOGIN.

Freundliche Seele! Ich sehe fremde Tränen um meinen Ämilius. Ach daß noch ein Zug im lieben Gemälde ist, daß meine Träne und Küsse es noch nicht getilgt haben! – Sieh Liebe! diese Stirne! diese Augen! dieses Feuer, das die Feinde matt schlug! So, wie er da steht, kam er aus der Schlacht, wo er einen gefahrvollen Sieg erfocht. Er jagte herauf mit Blut und Staub bedeckt, und ich drückte ihn an mein Herz, mein Ämilius! Und wie ich den ganzen Tag und immer in den Ideen lebte, die die Seligkeit der Mütter und Weiber unsrer Voreltern ausmachten. Ich ließ nicht ab, und er mußte sich mir noch selbigen Tag, in der Kleidung und der von der Schlacht verursachten Unordnung malen lassen. Er tat's. So siehst du ihn jetzt. Und sieh diesen Mann! den dreißigjährigen Held! Dann laß dir's sagen! Neig dich zu mir! Ich will ein Wort in deine Ohren lispern, das dich erschüttern wird, so stark du bist: diesen Mann haben sie vergiftet. Ein fremder Hof hatte sein Interesse dabei, denn er ward fürchterlich – Ich seh, wie sich's empört in dir. Still! Ich will dich an einen Ort führen wo Geräusch und Getön ist. Im Gebüsch ist ein Wasserfall, wo ich meine Klage hintrag. Kein Lauscher vernimmt's, du wirst mich begreifen.

SOLINA.
Ämilius! Ämilius!
HERZOGIN.

Still! Still! Zeigt ihr ein verstecktes Portrait. Und dieser hat ihn ermorden lassen. Dieser Galbino! Siehst du nicht den Tiberius? Nachts häng ich ihn hieher! um unablässig [1026] meinen Haß zu stärken. Komm! und dann will ich dich zu einem kranken Lamm führen, das er geliefert hat, und das stündlich mit dem Tod kämpft. Komm an Wasserfall, wir wollen ihn überhallen. Weiber! und schnelle Rache! Ab.

5. Szene
Fünfte Szene
Voriges Zimmer Galbinos.
Graf Drullo, Ludovico treten auf.

LUDOVICO.
Es wird nicht so gehn. Sie setzen's so leicht nicht durch.
DRULLO.

Ich sag Ihnen, ich will den Anschein des letzten Manns in der Farce haben, und alles zusammen in halbem Schlummer führen.

LUDOVICO.
Julio hat würklich viel vor sich.
DRULLO.

Das ist ein überspannter Mensch von einem Poeten, wie ich immer sagte, der neue Welten in sich schafft, und die würklichen vergißt. Mit Leuten seiner Art wird man nur zu bald fertig. Was will er hier mit diesen Empfindungen, mit diesen Gesinnungen? Was nutzen ihm all seine Talente? Lieber Bruder! Poesie und Edelmut leben entweder verborgen, oder gehn gar nach Brot. Kommen sie an Hof, oder in die Welt, müssen sie sich nach dem Ton derselben wandlen, oder sie werden mit ihren Besitzern zugrunde geritten. Sie werden sehen, das ist sein Schicksal, und es muß es sein. Ich hab wohl Poeten prellen sehn, aber nie, daß andre von ihnen geprellt wurden. Und am Ende, was will's mit dem Menschen? Man muß ihn erkennen lehren. Was die Weiber anbelangt – je nun, Weiber sind doch immer bloß Weiber. Und wenn sie Zwist und Uneinigkeit zwischen den heißen Köpfen angefangen haben, so kommt der kalte Zuschauer, und hilft den Überflüssigen zu Ende.

LUDOVICO.
Wir werden denn sehen.
DRULLO.

Wenn mich was in der Welt ärgern könnte, so wär's die Miene und der Ton der Beantwortung, mit welcher Sie eine Sache anhören, und erwidern. Wahrhaftig, man sollte schwören, Sie hätten die Stellung Ihrer Muskeln, die Lage Ihrer Züge von der Zeit an unverändert beibehalten, worin Sie als Knabe Ihrem Schulmeister einen bösen Streich mit dieser Ruhe ableugneten.

[1027]
LUDOVICO.
Hm!
DRULLO.

Wenn Sie den Weg nur die Hälft gemacht hätten, den ich mit festem, sichrem Sinn, ganz durchlief, Sie würden über dies Puppenspiel, das hier Leidenschaften, Narrheiten und Heuchelei aufführen, lächlen wie ich. Wir hatten zwar nie Mangel dran. Und wohl uns! Wie sollten wir uns anhängen und durchgreifen, wenn Leute, die den Platz nun einmal vor uns haben, nicht so beherrscht würden. Aber bei uns war's doch immer so gewöhnlich, daß man gewisse Temperamente traf, und den andern nicht völlig bei der Entstehung Zweck und Ende absehen ließ. Ich war in Spanien, Portugal und Amerika, trieb Sachen durch, die keiner begreifen konnte, wie sie möglich zu machen wären. Und für meine Galle war das immer das Zuträglichste, daß ich im Verborgenen, und sozusagen, unsichtbar die Hauptrolle spielte. Alle die Kerls, die mir brauchbar schienen, nach meinem Willen, Phantasie, Einfall, auch oft bloß des Spaßes halben (um zu sehen was ein einzler vermag, der den wahren Stein der Weisen gefunden hat) anblies, herumzujagen, anzublasen und vorzubereiten. Von welchen allen ein jeder sich einbilden mußte, er arbeitete für sich. Und dann trat ich hervor, und hatte, was ich wollte.

LUDOVICO.
Ruhm war also nie Ihr Zweck.
DRULLO.

Was schiert mich das? Ich dachte immer, du arbeitest in dieser scheinbaren Kälte, zu deiner innren Befriedigung und Behaglichkeit. Und das deucht mich das Beste. Mir ist ein Mensch unausstehlich, der bloß damit umgeht, andern von sich zu reden zu geben, und darin seine Existenz sucht. Ich meine, der Mensch ist glücklich, wenn er für seine innere Behaglichkeit arbeitet, und der Weg dazu schien mir immer Seligkeit.

LUDOVICO.
Hm!
DRULLO.
Ihre heutige Hms zusammen, mein lieber Ludovico?
LUDOVICO.
Wie?
DRULLO.
Können Sie zu keinem Entschluß kom men? Und doch scheint Ihr Vorhaben wichtig zu sein.
GALBINO
tritt auf.
Ich hab sie gesehen, hab sie nah gesehen.
DRULLO.
Nun, mein Prinz, wie finden Sie's? Nicht wahr, ich sagte weniger, als Ihre Augen sahen?
GALBINO.
Was Sie abgeschmackte Fragen tun.
DRULLO.
Ich wollte nur hören, ob meine Beschreibung eingetroffen, ob Julios Braut das wäre –
[1028]
GALBINO.
Das wäre – Was denn nun?
DRULLO.
Was alle sagen. Ob Sie Julio nicht für glücklich halten.
GALBINO.
Julio, und abermal Julio.
DRULLO.
Ich glaub, daß keine Solina in ganz Italien mehr ist.
GALBINO.
Wohl möglich, Herr Graf.
DRULLO.

Daß sie aber nun an diesem Julio allein den Spiegel ihrer Seele findt, wie sie sich ausdrückt, alle andern so klein ansieht –

GALBINO.
Es ist närrisch, Drullo. Aber ich sag Ihnen, ist Ihrer einer würdig, so ist er's. Denn Julio –
DRULLO.
Ist mehr als wir alle, meinen Sie.
GALBINO.
So!
DRULLO.
Wenn wir's uns einbilden. Wir! Ich red von uns gewöhnlichen Menschen.
GALBINO.
Was hat Ihnen Julio getan?
DRULLO.
Nichts, ich bin so sehr sein Freund, wie Sie, mein Prinz.
GALBINO.
Ich versteh's. Drullo ist's gewiß, ungezweifelt ist, daß Julio –
DRULLO.
Ihr Bräutigam ist. Nichts Gewissers!
GALBINO.
Ich hätt's nie geglaubt, daß so was möglich wäre.
DRULLO.
Was, mein Prinz?
GALBINO.
Eine Donna Solina.
DRULLO.
Drum glaubten Sie mir auch nicht, sahen's für ein Ideal an, in meinem Gehirn geboren.
GALBINO.

Ich wollt, es wäre anders. Und doch wünscht ich mir solche Stunden. Drullo! was das für ein Weib ist! und was das für Gespenster sind, denen wir die Hände lecken, die wir mit Schmeicheleien ersticken, und knechtisch anbeten. Da seht nur, wie verblendet wir sind, wie arm an wahrem unterscheidendem Gefühl. Sie mußte erst kommen, uns zu zeigen, was das Weib ist.

DRULLO.

Was ich dachte, was ich fürchtete, seh ich nun all. Sie hat Sie hingenommen. Und bat ich Sie nicht, Sie sollten sie meiden?

GALBINO.

Ich trau mir's nicht ganz zu gestehen. Sie hat einen Blick – Den Teufel man fürcht sich zu sagen, ich liebe. Stolz und mit schwesterlicher Vertraulichkeit traten sie zusammen in Garten. Graf, verstehn Sie mich! Sie und die Herzogin. O wie mich das lächerte! und wie grimmig die Liebe in mir [1029] ward. – Sie gingen nach dem Wasserfall, kehrten zurück, und ich nahm in der Ferne wahr, daß Kornelia ihr ihr Leiden weinte. Denn sie wischte Tränen von der Herzogin Augen, und drückte sie an die ihrigen, mit einer Stellung, mit einer Teilnehmung – O hier wohnt Haß und Liebe! Sieh Drullo! und jetzt wirst du mich begreifen. Ich lauschte sie, als sie nach der Chaise gehn wollte, und redete sie an. O ich glaubte mein Blick wär fest. Ich sag Ihnen, sie sind selten die Donna Solina. Und was das verflucht ist, just was mich rasend macht, liegt mir im Weg.

DRULLO.
Ihnen?
GALBINO.

Drullo, wenn's eine Kamilla wäre, eine von den gewöhnlichen Mädchen, da ließ ich's gelten. Da geht ihr einige Tage um sie herum, erlangt so viel, daß euch kein Wunsch mehr übrigbleibt. Aber eine Solina, und ein Bräutigam der einen Jupiter vorstellt, und gut vorstellt, da ist's was anders.

DRULLO.
Nicht weit davon Ixions Geschichte.
GALBINO.

Ich glaub fast, dem ging's so, der sich ihr auf diese Art nahte. Ich kann's, kann's nicht begreifen, wo sie das Aug, den Blick, das alles herhat. Aus ihren Augen strahlt ein so heiliges, reines Feuer, solche übermenschliche Macht – Ich biß die Zähne zusammen für Gift, daß meine Sinnen so stumpf waren. Sie ist mir zu groß, ich mag's nicht zu denken wagen.

DRULLO.
Ihr Jupiter!
GALBINO.
Ich verbitt mir! –
DRULLO.

Julio geht aus dem Cabinet. Kommen Sie wir wollen ihn hetzen. Ich hab einen Einfall, gelingt der nicht, gelingt keiner.

6. Szene
Sechste Szene
Paulos Wohnung.
Laura tot in einem Sessel. Paulo vor der Staffelei, malt sie. Amante starr und weg zu ihren Füßen.

PAULO
nach langem schmerzlichen Schweigen, sinkt nieder.
Amante! ich hab mich um meine Augen gemalt.
[1030]

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
Palast.

PRINZ GALBINO
tritt auf.

Mir alles Zauber, unbegreiflich noch. Ich weiß nicht, wie's war, mag's nicht wissen, um die Zaubergemälde in der Verwirrung zu fühlen. Was tu ich? Hin zu ihr? Das wär's. Julio! Julio! – Geduld! und ich sage, nicht Geduld! Ich will deiner loswerden, dieser und aller. Und der Erinnerung –

BEDIENTER
kommt.
G.H. Graf Drullo, und der Herr Hofmarschall –
GALBINO.
Laß sie kommen! Was das düster ist im ganzen Palast!
DRULLO UND LUDOVICO
treten auf.
GALBINO.
Nu was gafft ihr mich an? Was wundert euch?
DRULLO.
Ich hab Sie nie so gesehen.
LUDOVICO.
Ich sah in meinem Leben niemand so reiten.
GALBINO.
Ha, mir galt's!
DRULLO.
In Ihrem Gesicht malt sich's.
GALBINO.

O ihr klugen Leute, daß ihr das sehn könnt! Könnt ihr mir helfen? Geht nur! ich möcht ewig nicht anders sein. Ihr versteht mich auch nicht. Mir fehlt ein junges, volles Herz dem ich's vertrauen könnte. Wenn sich eure Brust nicht hebt bei der Erzählung – ich möcht's euch einhauchen können. Halt Reiterin! Habt ihr noch keine Donna reiten sehn?

DRULLO.
Hier nun wohl nicht.
GALBINO.

Wie das ging? wie das war? wie war's denn? – Nur so was von Vorstellung. Wenn ich nur einmal aus dem Taumel wär, oder ewig drinnen lebte. Jedes Büschchen vor mir stünde, wo sie anstreifte, ich wollte es herzen. Wenn ich jeden Baum sähe, unter dessen hängenden Ästen sie sich beugte, den Waldgesang, alles, und sie!

DRULLO.
Ich rate fast –
GALBINO.

Nicht doch. Kein Wort! was wißt ihr? O daß es vorbei ist! was das dumm ist. Dort alles so herrlich, und so dämmerig jetzt, so gar ärgerlich. Mir fängt's an unerträglich zu werden. Begierden und Wünsche! wär der Augenblick noch, und ich könnte dann der raschlaufenden Zeit die Flügel abschneiden und ewigen Halt machen. Was wir nur sind? Für was wir sind? Da hab ich einen Augenblick, wo ich das volle Dasein [1031] fühl, eh man's wahrnimmt – husch weg! Das rauscht so unaufhaltsam dahin! Alles, und jetzt nichts! Könnt ich's vergessen! Ich muß über den Wunsch lachen.

DRULLO.
Ich versteh kein Wort.

Ludovico geht nach der Galerie.
GALBINO.
Nun denken Sie sich ... Wo fang ich an? – Recht! Ich ritt nach der Villa. Julio fuhr –
DRULLO.
Und die Pisanerin mit?
GALBINO.
Müssen Sie denn gleich auffangen, was ich nicht sagen mag?
DRULLO.
Nu Prinz, wie Sie wollen.
GALBINO.
Jetzt wie ich will.
DRULLO.
So wunderlich träumte ich Ihre Liebe nicht.
GALBINO.

Drullo ich weiß nicht, was das ist! Was für böse Laune mich plagt. Ich kann lachen, weinen, und giftig sein. Wenn ich euch alles sagen sollte, wenn ihr Männer wärt von Entschluß und Tat, mir die Hände reichtet, und mir das vor den Augen entferntet, mir das Bittre, Stechende, und Gehässige vom Herzen nähmet – Jetzt fällt mir wieder so allerlei ein! Und Drullo! sieh! Komm lieber Drullo, laß dich umarmen! es muß weg, wenn ich zu Ruhe kommen soll. – Ach ich dachte, die Liebe machte einen ganz anders. Das ist eine so hämische, würgende Bitterkeit, die mit dem süßen Gefühl wechselt, und sich untermischt – es läßt sich nicht sagen. Auf mir ruht Sauls böser Geist, und hat mich mit seinen garstigen, schwarzen Flügeln überdeckt; er treibt sein Spiel nach Gefallen mit mir; schwellt bald meine Adern, rennt bald im Taumel mit mir dahin, gibt mir dies und jens ein; lächelt und sieht grimmig, und nichts in der weiten Welt, wo ich mich anhalten kann! – Ach wer wird mich besänftigen und einschläfern durch liebliche, berauschende Harmonie?

DRULLO.

Das soll Donna Solina. Ihre Reize mehr, als Saiten, und Stimme klang. Ich denk, in ihrer Gegenwart muß man Himmel, Erde, und sich selbst vergessen.

GALBINO.
Still! ich mag sie von keinem loben hören.
DRULLO.
Immer das Entgegengesetzte.
GALBINO.

Hören Sie, wie's ging. Ich muß reden, und sollt ich's meiner Gemahlin erzählen. Auf der Villa trafen wir zusammen. Ich floh nach dem Garten. Da saßen nun alle die hohläugigten Gespenster von Weibern um die Königin der Liebe herum, die in Pracht, Größe, und Reizen schwamm. Mit [1032] einem Fingerwink schien sie alle die kleinen gehorsamen Weiberseelen zu beherrschen. Keine wagte zu reden, und öffnete sie auch die Lippen, sah sie erst nach der Göttin, biß sich dann in die Zunge und schwieg. Es war lächerlich anzusehen, wie die großen Dames ihr kleines Nichts fühlten und alle schwiegen, weil sie fühlten, man höre, sähe nichts, als ihre stolze Nachbarin. Meine ganze Seele haftete auf ihr. Und in dem Augenblick vergaß ich alles, was mich drängte und quälte. Da war kein Teilchen, keine Bewegung, so klein und unbedeutend sie sich denken läßt, das nicht vermögend gewesen wäre, einen zu bestricken. Ach wie wühlten meine Augen in dem Pracht! und mit welchem Gefühl! Oft vergaß ich mich, und meine Augen glitschten über den Busen zu den ihrigen hinauf, und dann – sieh! das war doch, als wenn plötzlich ein Wetterstrahl euch durch Augen und Seel fährt. Ihr verliert euer Bewußtsein, und eure Sinnen scheinen durch die plötzliche Feuerhelle eine Zeitlang stumpf geworden zu sein, es kostet euch Mühe, zu euch zu kommen. So war mir's und noch. Sie merkte es wohl. Denn wenn ich Zerschlagener nur den Augendeckel ein wenig in die Höhe zog, starrte sie mich an ... O was bin ich? Was bin ich?

DRULLO.
Das ist wunderbar. Prinz! ich sag Ihnen, Sie sollen ihr in die Augen sehn, und daß – –
GALBINO.

Ich versteh. Wär mir damit geholfen! wenn ich nicht wollte, daß sie das an mir fände ... Unterbrech mich nicht und hör. Es dauerte lang, bis sich die andre Weiber in die Alleen zu zerstreuen geruheten, sie ging mit. Und ich wär ihr nach, und hätt ihr – – Aber da lag mir Julio mit seiner großen Miene auf der Seele, und bannte mich, wie ein Kind.

DRULLO.
Prinz! ich schwör, er sollte mich nicht bannen, und schwör Rache dafür!
GALBINO.

O des Starken! Und ich sollte dadurch alles verderben? Ich kann Ihnen sagen, von diesem Augenblick haß ich ihn ärger – Ich seh Ihnen an, daß Sie mich verstehen. Und hier haben Sie meine Hand! in diesem Händedruck liegt ein Befehl –

DRULLO.
Wo mir mit dran liegt ihn zu vollziehn.
GALBINO.

Hören Sie aus! Ich schlich mich nach und nach weg. Die Donna? Wo ist sie? Wo ist die Donna? Und all die Affen, ich weiß nicht. O war ich rasend! Durch alle Gänge, durch alle Säle. Stoß auf meinen Kammerdiener, der mir [1033] sagte: Die Gräfin, die mit dem Staatsrat Julio herausgefahren wäre (der Kerl hatte meine Gnade verloren) sei in Hof gekommen, den Neapolitaner gesattelt stehn gesehn und gefragt, wem's Pferd zuhöre? Dem Prinzen. Geht beiseit, und sie mit ihrer Dame d'Honneur aufs Pferd zu. Er warnte sie, das Pferd sei wild, und da ihre Antwort: »Wenn der Geist wild ist, trägt einen ein wildes Pferd leichter, als man sich selbst.« Ludovico kommt langsam zurück. Ludovico! sind Sie denn Stein!

DRULLO.
Weiter Prinz!
GALBINO.

Er entfernte sich, doch so daß er alles sehn konnte. Sie gab dem Pferd gute Worte, streichelte seinen Nacken – Drullo, was mir das Pferd wert ist! –

DRULLO.
Nun Prinz!
GALBINO.

Schwung sich in ihrem Reitkleid auf, und wie der Blitz nach dem Wäldchen. Donner! ich hatte Flügel. Und nun denkt euch alle Zaubergemälde Ariosts von Angelika und all seinen irrenden Prinzessinnen zusammen, ihr habt nichts. Ha wie ihr seidnes Oberkleid durch die Winde segelte! Die Federbüsche auf dem Hut wehten, und die Göttin! Ich war auf jedes Lüftchen eifersüchtig, das so frei und los um sie spielte, Wangen und Busen küßte, und hebend durchs Gewand wühlte. Ich schlich mich durchs Gebüsch, geführt von himmlischer Melodie. Ich hielt nicht länger, durch und ihr in Zügel. Halt Reiterin!

DRULLO.
Riefen Sie?
GALBINO.

Noch einmal fallt mir nicht in die Rede. Die kleine Anwandlung des Schreckens bei ihr, die sich gleich wieder in Größe, und etwas Verdruß ausbildete, brachte mich völlig außer Fassung. Ich stammelte von Stallmeister – wie ich so glücklich wäre, ihr Pferd zu führen, wie entzückt ich wäre – ihr Blick unveränderlich.

DRULLO.
Kein Wort?
GALBINO.

Ich vermocht's nicht, eine Antwort zu kriegen. Die einzige große Güte, die mich hinriß, war, daß sie ein Ästchen brach, es teilte, auf ihren Hut steckte, und mir das andre reichte. Ich küßte es, und den Saum ihres Kleides. Ach mir war so wohl und grimmig bitter – und auf einmal der Gedanke mit meinem Hirschfänger das Pferd zu durchbohren, ins Gebüsch mit ihr – o ich! Das raste in mir! Durchtobte mir das Mark! ich hielt's nicht länger aus. Und eben da lenkt sie um. Jupiter Julio vor uns. Alles rutschte vor mir hin, wie ein Zauberschloß, [1034] wo alles durch einen Knall verschwindet. Schwarz fiel's nieder, und finster in mir und um mich! Und blutig steht's hier, und so soll's enden.

DRULLO.
Julio nahm's.
GALBINO.
Das acht ich nicht. Weg! weg und laßt mich.
DRULLO.

Prinz die Geschichte ist alles wert. Wird Julio eifersüchtig, und setzt Zweifel in sie, haben Sie gewonnen. Ich will hin. Und hat ihn nicht das bloße Hofgeschwätz von Mätresse wütig gemacht?

GALBINO.
Ha! gehn Sie! Ich brauch viele Stunde um zu mir zu kommen. Ludovico!

Ab.
DRULLO
allein.

Ha! ha! ha! Prinz Galbino Sie hätten's nicht besser machen können, und all ihr Verstellen, wird sie hier nicht helfen. Geht nur zusammen, ich ahnde euch, und euer Vorhaben. Wenn ich dem Spiel dieser Männer zuseh, und dem Spiel dieser Weiber, die sie doch am Ende noch berückten, wenn ich nicht wachte – – Man hat ja wohl eher gesehen, daß einer den Spaß so weit trieb, nachdem er die Leute auf die Spitze ihres Hoffens und Wünschens gebracht hatte, ihnen eine Scheidewand vorstellte, und sie so ganz höflich nach der Reih abfertigte. – Sie mein Prinz tun dies! und Sie Herr Hofmarschall dies! und Sie Herr Julio werden gehetzt, und zum Unsinn getrieben – so wären nun die Rollen ausgeteilt. Dann will ich wie ein Gott aus den Wolken hervortreten – Ha Donna Solina! was für Begierden regen sich in mir! Auf Sie wird gespielt, und Sie will ich davontragen, und Könige und Fürsten zu meinen Sklaven machen. Hm und des Poeten Blicke noch verkehrter machen! Kälte! und Feuer im Herzen!

2. Szene
Zweite Szene
Solinas Wohnung.
Voriges Zimmer.

JULIO
tritt auf.

Das Gered all, das Fragen all, das Blickestehlen all, die Vergöttrung, die Anbetung – wenn das fortdauert, mein Blut noch weiter zu vergiften, sie mir's fort abschlägt, mein zu sein – – – Ich fühl's, ich fühl's, mein Gang ist getan. Hier das Ende all der hohen Gedanken, die meine Brust aufschwellten. Nichts übrig, als der Dolch, der mir so nah am Herzen liegt. Immer tiefer! tiefer! tiefer! – ich will ihn herausreißen, [1035] und sollt ich mich verbluten. So fahrt denn wohl! ihr Götterflügel! und ihr mächtige Eingebungen! Fahrt wohl! ich dank euch ab. Komm kaltes Blut! stumpfer, matter Sinn! Verdräng den unbändigen Geist! Und hier schwör ich, rächen will ich's an ihm, so wahr ich in dem Augenblick noch Julio bin. Und dich rächen ermordeter Ämilius! – Ich will ihr zeigen, was ich bin, sie soll fühlen, daß ich schied.

PIRRO
kommt.
Gnädiger Herr!
JULIO.
Ha!
PIRRO.
Es ist ein blinder Mann draußen mit einem Jungen, der mit Gewalt will vorgelassen sein.
JULIO.
Jetzt nicht.
PIRRO.
Er bittet gar sehr der Alte.
JULIO.
Blind sagst du?
PIRRO.
An beiden Augen.
JULIO.

Laß ihn kommen. Blind! der ist elend. Und doch möcht ich meine Augen mit seinen blinden eintauschen, das nicht mehr zu sehn. Tauber, stumpfer Sinn, blinde Augen, das wär nun meine Sache!

AMANTE
führt den Paulo an einem Stock auf.
PAULO.
Führ mich vor den Herrn!
JULIO.
Gestalten des Tods und des Elends wer seid ihr? Ha wie der Anblick dieser Unglücklichen mich beugt!
AMANTE
stellt Paulo vor Julio.
PAULO.
Steh ich vor dem Herrn Staatsrat?
JULIO
beiseite.

Paulo und Amante! Und so verfallen und verstellt daß ich kaum meinen Augen trau. Ach und Sie sind's! Alter! was bringen Sie mir?

PAULO
bückt sich.
Ich hab ein wunderbares Gemäld.
JULIO.
Das ich jetzt nicht sehen kann.
AMANTE
stellt sich mit stillem gesenkten Blick vor Julio.
JULIO.
Was ist diesem Jungen, Vater! Ich sah nie Leiden so tief und innerlich.
PAULO.

Ein lieber, stiller Junge, der den Tod unablässig bittet, ihn zu seiner verstorbenen Liebe zu bringen. Er leitet meine finstre Tritte, ich alter Mann würde nicht fortkönnen ohne ihn.

JULIO.
Wie gern sagte ich Gesellschaft für mich. – Wie sind Sie um Ihre Augen gekommen?
PAULO.
Mein Kind hat sie mitgenommen.
JULIO
erstarrt.
[1036]
PAULO.
Ich hatt ein gutes Kind – Wollen Sie mein Gemälde nicht sehn?
JULIO.
Ich bin würklich jetzt nicht in der Fassung.
PAULO.
Gib 's Gemälde Sohn! Sie kaufen's gewiß.
AMANTE
stellt das Gemälde auf.
JULIO.
Laura! – Paulo! Paulo!
PAULO.

Sie kennen mich, Sie sind's. Ich preise dich, Gott, daß du meinen Augen das Licht nahmst, den Mörder meiner einzigen Liebe nicht zu sehn.

JULIO.
So tot und heilig wie hier – meine Laura!
PAULO.

Das ist unbarmherzig zu fragen. – Julio, sie starb, da du sie verließt. Und in den Freuden deines neuen Lebens kam nicht einmal das Gerücht zu dir? Kein Erinnern, kein Andenken, dir schlug das Herz nicht da sie verschied. Nur dir rief sie, weinte, rief – »Wo ist er? Ach komme er, daß ich ihn segne, liebe und sterbe.«

JULIO.

Still Paulo! Deine Rache ist zu streng, das vor mein Gesicht zu bringen. Wendet sich nach dem Gemälde. Du bist's Laura! nun ein heiliger Engel! Dein Besuch macht's aus mit dir. Ich hatte dich oft vergessen. Aber wer dich nun vergißt, wer dich vergessen könnte! – Du lachst mich an! – Ha! und wie du den Schleier von den weinenden Augen nahmst, und sagtest – »Julio ich sterbe.« – Ich ging. O nicht mir diesen Blick, meine Liebe! – – So sanft, so gut, und so betrogen!

PAULO.
Gefällt sie Ihnen so blaß und tot?
JULIO.

Alter Vater still! Es würde dir gnügen, wenn du sehen könntest, was in mir vorgeht. Du hast dich gerächt. Nach dem Gemälde sehend. Hier hast du mich! sei Vater, und nimm alle Rache, ich halte dir still.

PAULO.

Bewahre Gott! das Mädchen das Sie sahen, lehrte mich, Rache zu vergessen. Ich schenk sie Ihnen, wandle nach ihrem Grabe, und erzähl's ihr.

JULIO.
Bleib hier!
PAULO.
Bei dem Mörder meines Kinds?
JULIO.
Du hast recht. Nimm dein Gemälde mit, ich hab genug gesehn.
PAULO.

Julio! ihr letztes Wort war: »Vater keine Rache an dem süßen Betrüger!« Ihr letztes Wort du! und ihrem Vater kein Lebewohl. »O Julio!« rief sie einige Stunden vor ihrem Tod, »dort seh ich dich, dort liebe ich dich, wie reine Engel lieben, komme dir entgegen mit Gesang und Liebe. Dann wirst du [1037] deine Laura nicht mehr verlassen, und sie dich nie. Vater keine Rache! Daß mich Julio dort liebe! O Julio! ich lasse dich nie, ob du mich schon verläßt. Tod wie süß bist du, da du so freundlich bist, und meines Julios Bild nicht von meinen Augen scheuchst –«

JULIO.

Paulo nicht weiter! Und bittet ihr Aug nicht noch vor mich? Keine Rache an mir! – und ich will das nicht Rache nennen, Paulo!

PAULO.
Ich hielt's. Um meinem Schmerz Luft zu machen, malt ich sie, und ward blind.
JULIO.

Du fluchst mir nicht, so ist's ärger. Meine Seele war verzweiflend, eh du kamst, und nun – Geh Alter! Dein Anblick ist zu erbärmlich und unglücklich. Ich tat das all! Geh! geh! um Gottes willen verlaß mich!

PAULO.

Das Gemälde bleibt hier. Amante deinen Stock! – Julio! wir sehn uns wieder, denn werden meine Augen aufgetan sein.

JULIO.

Du bist – o könnt ich sagen, du bist grausam! Faßt ihn an der Hand. Würdest du mir nicht vergeben, wenn du alles wüßtest!

PAULO.
Sind das Ihre Tränen die meine Hand netzen?
JULIO.
Paulo! ich wag's nicht zu bitten. Und Vater, du darfst nicht.
PAULO.
Mach mich nicht weicher, mein Herz ist's zu sehr geworden. Gott steh dir bei!

Mit Amante ab.
JULIO
nach einigem Schweigen.

Nun ja! du bleibst hier, du bleibst bei mir, um mich die ganze Qual fühlen zu lassen. Du warst ein heilig, unschuldig Mädchen, und ich betrog dich. Du bleibst hier! Ich kann jetzt noch nicht weinen, du hast mich zu stark angegriffen. Aber diese Nacht, und alle Nächte will ich vor dir heulen und beten. Verzeihung nicht. Ach du würdest sie gewähren, du verziehst mir! – Du Engel! wär ich kein Sünder, ich wollte meine Tränen auf deine Augen weinen, mich tot an deinem Halse klagen, und Verzeihung erringen. Ach du würdest noch einmal erblassen, noch einmal sterben, wenn ich dich anhauchte. – Dein Vater will's vor Gott finden, meine Laura! Du Engel betest für mich! – Diese Nacht, meine Liebe! Stellt 's Gemälde um.

SOLINA
tritt auf.

Nu Signor! Sie werden jeden Tag artiger! nehmen zum Erstaunen zu in neuen Eigenschaften. Geht das immer so fort, daß man Sie aufsuchen muß! Wissen Sie mein Zimmer nicht mehr? Fast glaub ich, eine neue Laurette hat [1038] mir den Gefallen getan, ein Fädchen um ihr Herz zu knüpfen. Hab ich's getroffen?

JULIO.
O gewiß! Einen Faden, der mich ins Grab ziehen wird.
SOLINA.
Das wär bitter. Was hattest du für Besuch?
JULIO.

Einen blinden Mann, den ich in guten Um ständen kannte, dem ich viel zugut getan hab, das er mir heut vergalt. Was hattest denn du für Staatsbesuch?

SOLINA.
Graf Drullo.
JULIO.
Den Herzenskomissionär des Fürsten?
SOLINA.
Julio!
JULIO.
Solina!
SOLINA.
Dir stehn Tränen in den Augen, und siehst weich und wild? Was verzerrst du das Gesicht?
JULIO.
Ha Donna! was ich gejagt werde, was ich mitgespielt werde – mein Verstand ist hin!
SOLINA.

Ich hab etwas an dir gemerkt, das dich vor meinen Augen völlig heruntersetzt. Und wenn sich das Wesen nicht ändert, du den schwachen Alltagsmenschen so fortspielst, so leg dir den Gedanken in deine feige Seele –

JULIO.
Nichts hör ich. Ich hab genug gehört.
SOLINA.

Ha! so bin ich ganz Solina! Solina, wo warst du? deine Augen? dein Geist, daß du dich von einem Schwachen blenden ließt? – Ich wollte einem abgenutzten, philosophischen Herzen mehr Vertrauen, Unternehmen und Stärke eingehaucht haben, als dir fieberhaften, eingebildeten Schwärmer. Ich seh's Solina, es ist keiner für dich, du pflanzest es keinem ein. Alle Männer einem falschen Instrument gleich. Zieh Saiten auf, wie du willst, sie antworten dem angeschlagenen Ton nicht. Im Innern liegt's. Schnarr! Schnarr! da fällt's zusammen, was vor so harmonisch klang. Ha! der Junge spielte eine Komödie mit mir! Er hat den Plutarch im Fieber gelesen, nun glaubt er sich inspiriert. O du großer Mensch! Komm! leg die Maske ab! Verleugne dich nicht weiter! Wo ist der Julio, der mich sonst so gut verstund?

JULIO.
Wenn man dich hört, dich anstarrt – Laß mich meiner Seel einen Eid schwören, es ist so! es ist so!
SOLINA.
Was schwärmst du?
JULIO.

Donna! ich wollte es nicht achten, wär's einer, vor dem sich Julio beugen müßte, und sein Übergewicht fühlte. Aber Pisanerin so ein Affe, der gegen mich ist, was deine Rosaura gegen dich. – Ein solches Weib? so groß! so göttlich! Einzig,[1039] und so fallen! kaum kann ich's denken, und doch entsetzlich wahr. Führt sie an den Spiegel. Ich bitt dich Solina! sieh in den Spiegel! sieh das Weib an! sieh die große Seele in diesem Weiberkopf! So ein Zug! so klein, und unsichtbar möcht ich sagen, du ihn wegschenktest, machte eine andre zur Juno.

SOLINA.
Hast du ausdeklamiert?
JULIO.
Nichts weiter!
SOLINA.

Julio, ich hab nun genug gehört, dich zu unterscheiden. Du hast mich verkannt, das vertrag ich nicht. Denke des Ämilius, und was du zu tun hattest. Von heut dem Tag endet sich alles. Ich will nichts mehr von dir hören. Mich zu verdienen mußt du von neuem anfangen, und daran zweifle ich. Du hörst ich red leise und sanft mit dir. So trennen wir uns. Du bleibst der Phantast, und ich Donna Solina.

JULIO.
Sagst du das?
SOLINA.
Nichts weiter.
JULIO.

Sieh hier das tote, treue Mädchen, dessen Seele an mir hing, und die ich verstieß. Stellt das Gemälde um. Dies Opfer bracht ich dir Solina, um heut verdammt zu sein auf ewig. Es ist Laura, über die du so oft lachtest. Ich wiederhole nichts. Der blinde Mann war ihr Vater.

SOLINA.
Die Liebe zu dir war ihr Tod?
JULIO.
Soll ich's noch einmal sagen?
SOLINA.

Weg von mir! Alle Weiber sollten sich gegen dich verschwören, und dich martern. So ein Geschöpf! ein wahres Bild der Madonna an Güte und Unschuld. Du senkst das Haupt! Verzeih du Engel! ich tat dir Unrecht, ich versündigte mich an dir. Hätt ich dich gekannt, ich wollte diese heilige Lippen in ihrer Blüte geküßt haben; wollte dich schwesterlich an meine Brust gedrückt haben –

JULIO.
Störe sie nicht!
SOLINA.

Ich tät's? Julio, ich mag dir nicht antworten. Aber wagst du's anzusehen, oder gar anzurühren, ohne zu zittern und zu beben? Lächelt dir das unschuldige Mädchen nicht Verdammung in die Seele – – Julio! Julio!

[1040]

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
Solinas Wohnung.
Solina und Rosaura.

SOLINA.
Diese Schleife noch, und so ist's gut. Jetzt da wir fertig sind, so rede. Was hast du nun?
ROSAURA.
Gewiß Donna, Sie sind unbarmherzig und grausam.
SOLINA.
Närrin!
ROSAURA.

Sehn Sie nur wie er dahingeht. Ach so hager, so erbleicht, sich selbst verzehrend in Grimm und Ungewißheit. – Ich fürcht es nimmt ihm noch das Leben.

SOLINA.

Fürchte! Was willst du? Soll ich mich ihm um den Hals werfen? Demonstrieren, daß er sich betrüge in seiner Einbildung? Still von ihm!

ROSAURA.
Ich begreif's nicht.
SOLINA.

Das wär mir auch, begreifst du's! Er mag zu sich kommen, oder eine Kur ausstehen die ihm vielleicht das Leben kostet. Auferstehen soll er, groß und würdig! Hundert Leben mag er verlieren eh mein Geist seinethalben eine andre Richtung nimmt. Ach daß er das nicht sieht, daß nur dies der Weg ist hinzugelangen! – Ich lieb ihn und möcht ihm helfen; aber es kann nicht sein, so nicht. Geh! ich mag niemand um mich sehn.

ROSAURA.
Seine große Liebe!
SOLINA.

Ha! er sollte alles dadurch werden; aber er ist ein Romanheld. Ein schwacher Mensch auf den der Augenblick würkt, und den seine heiße Phantasie herumzieht. Ich die ich zehn Galbinos auf einen Blick erleg, daß sie Sinn und Bewußtsein verlieren, sich ewig nicht wiederfassen, mich mit verbundnen Augen anbeten – Und kein Zutrauen! Die rasende Torheit sich mit solchen schalen Geschöpfen einzulassen, die den Augenblick überm Olymp stehen, denn gleich wieder den Staub der Erde lecken! Wo seid ihr große Männer, an derer Bild ich mich labe? bei derer Erinnern mein Geist sich nachschwingt, den euren zu durchschauen? Ist alles, was euch so groß und göttlich machte mit euch ausgestorben? Das sind nur Schatten gegen euch, die mit euch nichts gemein haben als den Namen Mann! Ich will einen von euch lieben wie gegenwärtig, mich einschließen und ihm treu sterben.

[1041]
ROSAURA.

Wenn Sie nur ein Wort zu ihm sagen wollten. Aber so, der Schein, Ihr Spott, muß ihn das nicht hinreißen alles zu vergessen?

SOLINA.
Schweig sag ich dir.
PIRRO.
Graf Drullo läßt sich melden.
SOLINA.
Laß ihn heraufkommen! Rosaura!
ROSAURA
ab.
GRAF DRULLO
tritt auf.

Große Donna, ich komme weil ich muß. Und muß weil ich getrieben werde, und weil mich's selbst treibt.

SOLINA.
Da wäre nun wohl nichts dagegen einzuwenden.
DRULLO.

Sehr gütig! Der Prinz wirft alle Uhren zusammen, schimpft auf ihre Trägheit, daß sie sich nicht spuden, und die Stunde so schnell bringen, als seine Leidenschaft es heischt. Fragt jeden der ihm in Wurf kommt, wie sich Donna Solina auf den gestrigen Tanz befände, und ob sie noch nicht käme? Für den Federbusch, den er gestern erhaschte, wollte ich ihm ein Königreich abkaufen. Werden Sie nicht gerührt?

SOLINA.
Sehr tief.
DRULLO.

Glück mir! Eine gerührte Seele nimmt mehreren Anteil, und so hoff ich, hat mein Anbringen sichre Würkung. Ich bin just so im Fall. Wie ich sagte, ich mußte kommen. Nicht allein des Prinzen halben, man hat selbst so sein Interesse dabei wie Sie wissen – und wenn Sie so gnädig wären etwas milder und mit weniger großem Blick auf mich zu sehen, daß meine Augen sich hell öffneten und süße Liebe spielten, wollt ich Ihnen in einem Worte sagen, ohne Schwung, alle Poesie, die die Liebe in einem schafft, in einem Herzen verschlossen – Donna Solina, ich liebe Sie!

SOLINA.
Schön! o gar schön!
DRULLO.
Wollte weiter sagen, auch Prinz Galbino liebt Sie; aber wie ich liebe –
SOLINA.

Sehr treu! Und wenn ich das Gegenteil von der Liebe aus allen Charaktern abstrahiert, wollte malen lassen, wissen Sie wen ich bitten würde, daß er dem Maler säße?

DRULLO.
Den Graf Drullo?
SOLINA.
Scharmant!
DRULLO.

Donna mit Ihrem Geist, mit diesen Empfindungen! – Wir wollten die Welt verkehren, was widerstünde uns? Welchen Platz in der weiten Welt halten Sie Ihrer Wünsche würdig?

[1042]
SOLINA.

Herr Graf, nehmen Sie an, ich verstünde mich auf die Chiromantie, und könnte also in Ihrer Hand lesen, wie sich's mit Ihnen und Ihrer Liebe verhielte. Denn nehmen Sie aus meiner Prophezeiung die Antwort auf Ihre edle Liebe. Ihre Hand!Sieht ihm in die Hand. Arme de la Valiere! die liebe Seele Ihre erste Gemahlin! Es war ein gutes Geschöpf, leicht und mutwillig, Marquise de la Valiere. All das leichte Blut, und der einnehmende Humor. Ihr edler Gemahl übergab sie dem Vice Roi zur Freundin, drohte mit seinen Banditen, das französische Mädchen erschrak, und der Herr Gemahl ward durch die Verwandtschaft des Vice Roi in Amerika fürchterlich. Sie soll sehr elend gestorben sein – stünden nicht schrecklichere Dinge hier, meine Tränen flössen schon jetzt. – Stolze Gabriela! Ihre zweite Gemahlin. Ich denke Ihre Seele beugt sich bei dem Namen der Großen. Das herrliche Weib! still in ihrer Größe. Ihr edler Gemahl reichte ihr selbst den Giftbecher, sagte: Trink den Tod! und das – weil sie des Königs Mätresse nicht werden wollte. Und du, duldendes, melancholisches Mädchen, Schwester meiner Jugend, liebe Gräfin Brunella! Dritte Gemahlin des Unmenschen! – Wollen wir eine Reise nach Portugal zu ihrem Grabe machen? – Ihre Hand weg! Meine Träne müßte Ihnen zur Hölle werden, fiel sie drauf! Liebste Brunella!

DRULLO.

Mitnichten! Ich würde sie mit Entzücken aufküssen. Ich bewundre Ihren prophetischen Geist. Man sollte sagen, Ihr wahrsagender Genius habe sich mit nichts beschäftigt, als Drullos Tritte durchs Leben zu verfolgen.

SOLINA.
Kalt und nichts?
DRULLO.
Nichts weiter, als daß Sie's auf der unrechten Seite ansehen.
SOLINA.
Verlassen Sie mich!
DRULLO.

O daß du tot bist Astolphi! Nicht wahr das ist Ihr Genius gewesen? Lebtest du noch, ich wollte die Welt durchreisen dich aufzufinden. Donna, ich zog ihn aus dem Staub, und er verrät mich. Was die Menschen undankbar sind! Sehn Sie nur Donna, wie undankbar die Menschen sind.

SOLINA.
Erschrecklicher Mensch!
DRULLO.

Sie sind die erste Person, durch welche ich etwas von Graf Drullos Geschichte erfahr. Ich hoff Sie sind die einzige. Und hörn Sie ein leises Wort. – Ich bitt Sie Donna, wenn Sie einen Feind haben, vertrauen Sie ihm Drullos Geschichte, [1043] und Sie haben einen Feind weniger. Haben Sie einen Freund, dem verschweigen Sie's, denn ich wollte Ihnen nicht gern weh tun. Glauben Sie daraus nicht, als fürchtete ich jemand, Drullo fürchtet keinen Menschen. Ich hab so meine Grillen, wie sie jeder hat.

SOLINA.
Verlassen Sie mich! – Geist meiner Brunella!
DRULLO.

So geschwind kann ich nicht gehn. Sie haben mir vergangne Dinge aus meiner Hand gesagt, die ich längst vergessen hatte. Und wer wird vergeßne Geschichten widerlegen? – Nehmen Sie an, ich verstünd die Kunst, aus des Menschen Gesicht, sein künftiges Geschick zu lesen. – Donna, diesen Blick nicht. Bei dem Schatten meiner Brunella! ich wollte eher in die Mittagssonne schauen, als in diese Augen wenn sie so blitzen – Mein weissagender Genius ruft: Donna Solina ist in diesem Lande Herzogin, sobald sie will!

SOLINA.
Mensch!
DRULLO.

Und daß ich den Ton wandle. Der Prinz wird sich Ihnen heute nach der Tafel erklären. Er wünschte Sie möchten, da seine Gemahlin nur mit langsamen Schritten dem Grabe zugeht, und seine Liebe kein Harren kennt, Sie möchten, sage ich, ihm bis dahin sein, was die gelobte Marquisin de la Valiere dem Vice Roi war – seine Freundin mein ich.

SOLINA.

Soll ich Sie ersticken? Staub von Mensch! Ich kann deinen Otem und Schatten nicht in meinem Zimmer leiden. – Fast meine Lebensgeister! Hinaus denn!

DRULLO.
Donna!
SOLINA.

Hinaus! oder ich laß mein Kammermädchen kommen, und Ihnen mit Fächerschlägen diesen Lästermund zerplatzen, bis Sie vor Weiber weinen, wie ein wimmerndes Kind. Ich Mätresse! legten mir alle Könige der Erde ihre Kronen zu Füßen, ihnen meine Keuschheit preiszugeben, sie erhielten nichts. Staunen Sie?

DRULLO.
Spricht eine Italienerin, eine Donna Solina? Ehrgeiz Donna!
SOLINA.

Das ist Solina, und das ist Italienerin. Ich bin Solina, bin ehrgeizig, und hier liegt der größte Ehrgeiz. Mich so zu erniedrigen! Für eure Schmuckwelt nicht!

DRULLO.

Donna Vergebung! Ich bewundre Sie! Vergebung! Hätt ich Ihre große Seele gekannt! – Und wenn Sie nicht wollen, wie Sie nicht dörfen, nehmen Sie des Prinzen Hand an. Sie sind Herzogin sobald Sie wollen.

[1044]
SOLINA.
Und die treue Dulderin vergiftet! Aus meinen Augen!
DRULLO.

Ich sprach für den Prinzen, und so wird er reden. Sie müssen mir verzeihen. Gezwungen hab ich Sie beleidigt. Vermögen wir alle nichts, nun Donna, Poet und Julio, wir erwarten's.

SOLINA.
Ich bitte gehn Sie, und sagen Sie dem Prinzen, ich würde kommen, sagen Sie ihm mehr –
DRULLO.
Nichts sag ich weiter. Noch einmal verzeihen Sie.
SOLINA.
Kommt die Herzogin zur Tafel?
DRULLO.
Der Prinz hat sie gebeten.

Ab.
SOLINA
allein.

Pirro! Pirro! – Wie mich das ergriff! Still meine tief gekränkte Seele! Kälte und Ruhe! O daß ich ihn nicht erwürgen durfte! daß ich so an mich halten mußte! Mörder meiner Brunella! und mir das? – Ich will euch kommen, und eure kleine Seelen sollen zittern. Ha! ich will die Sklaven zertreten! – Heute oder nie! Was will das in mir? Und ich kann nicht zu mir kommen? – Julio! daß ich dies all leide wegen deiner! Pirro! Pirro!

PIRRO
kommt.
SOLINA.

Was zögerst du? Nimm die Laute! spiel mir die Melodie! Sieh mich an! und diese Melodie! Verstehst du mich?

PIRRO.
Gewiß Donna! ich seh's Ihnen an der Stirne an was für Musik Sie wollen.
SOLINA.

Brav Junge! Mach's gut! und schnell zu dieser Passage, wobei meine Seele eins wird. Klimper nicht lange! – Wir wollen dich erkennen lehren! – Pirro! – O was ein Mensch! und wenn ich nicht wäre, gewacht und getan hätte! – Pirro!

PIRRO
spielt eine Melodie.
SOLINA.

Das tat gut. Geh nun! Wie alles weg ist, und wie's fest in mir wird, und wie ich ihrer aller lache. Gott du hast mir diesen Mut gegeben, hast mir dieses Herz gegeben, daß ich keinen leiden sehen kann, hilf mir aus! – Julio! was will er! o mich so verkennen! – Schlägt in die Hände. daß ich noch Solina bin! Daß mir alles sagt, du bist Solina! Ruft Pirro. Laß anspannen! Ich will dich einsetzen große Liebe! laß sie lästern, ich will aus dem Gedränge heraustreten, rein hervorblitzen wie der flimmende Stern durch schwarze dünstige Wolken. Dich einsetzen, und denn ins Kloster! – Julio! – drängt sich eine Träne? Verberg dich! Liebe! ha, ha, ha!

JULIO
tritt auf.

Ha, ha, ha! ich hörte ein starkes Lachen wie ich [1045] in die Türe trat – Nicht Donna, es galt mir? – Ich wollte nur fragen, ob ich die Donna würde an Hof begleiten?

SOLINA.
Zerstörter Mensch, ohne Augen, Gefühl und Herz.
JULIO.

Er ist mir begegnet. Wir hetzten uns herum, und mir tat's wohl. Ha wie er lachte Donna, und mir ins Ohr lisperte – ich schreib die Worte ohne Aufhören in meine Schreibtafel – Zieht eine Schreibtafel heraus. Donna! wie lustig das ist, wütig sein, und weinen wie ein Kind. – Ich wollte dich's lesen lassen, und sieh da meine Tränen noch naß! Getilgt! Getilgt! und hier steht's! Die Hand auf die Brust, und hier steht's, und hier wirrt's.Schlägt sich vor die Stirne. Wenn ich keine Sinnen hätte. Taub, unempfindlich gegen alles wäre – Teufel! Teufel! Teufel!

SOLINA.
Ras mein Lieber! ras! Ich will mir ein Liedchen spielen, und wir wollen sehen wer siegt.

Spielt auf der Laute.
JULIO.

Donna, Sie machten es gut, beim Teufel vortrefflich! Noch so ein Streich, ich bin hin oder er. Nicht wahr, es geht doch über mich hinaus, wenn ich mir nicht die Augen zubind, und hinter mir her lachen laß?

SOLINA.
Was er Zeug schwätzt!
JULIO.

Laß mich deine Hand sehen, nicht küssen! Behüte! – eines andern Eigentum. Ha! siehst du! bei meiner Seele! ein roter Flecken auf dieser runden, weißen Hand, die mir kein Kaiser küssen dürfte. Ein roter Flecken, wo er seine gelben, matten, wollüstigen Lippen hingedrückt hat. Er hat's gebissen für Wollust, nicht anders! Will ich den Flecken auf meinem Todbett noch sehen, daß einer Donna Solina so küßte. Und die schöne blaue Ader! und wie sich diese Hand um die Laute schmiegt! Laß diese Töne ruhen, ich muß ausreden. Es soll mich nicht zaubern! Es soll nicht!

SOLINA
hört auf zu spielen.
Daß du siehst!
JULIO.

O gefällig Donna! – – Dieses Götterplätzchen! in der weiten Schöpfung seinesgleichen nicht. So ein Kerl! Ein Kuß der zwölf Stunden – was sag ich? Drei Tage steht. Der noch steht, und vorige Woche auf diese Hand gedrückt.

SOLINA.
Ein Monat! ha! ha! ha!
JULIO.

Ha? ha! ha! Ich kann auch lachen, den nämlichen Schall. Hörst du? Wir wollen in die Wette lachen! ha, ha, ha! wie grimmig es von den Wänden herabschallt! Donna! die schwarze Feder spielt auf seinem Hut, weht seinen Triumph und meinen Tod! und so willig gelassen! Solina! ihm ein Siegeszeichen [1046] so willig gelassen ... Ich wollte dich wieder lieben, hättest du die Feder noch auf dem Hut, und dieser Flecken wäre weg, der so anklagend ist, der Rache und Wut ruft!

SOLINA.
Du bist wahnsinnig Närrchen!
JULIO.

Ich kann auch lächlen. Donna! sieh wie lieblich ich lächle, und so wollt ich lächlen, wenn ich dich –

SOLINA
hebt ihre Hand auf.
JULIO.

Ich wollte über mich lachen daß ich so ein Schurk war. Ein so dummer Savoyard. O ich möchte dich erwürgen, und ihn, und die ganze Welt. Tu dir was zu guts auf den Tanz. Lach über meinen Unsinn! ha! ha! ha! kluges Weib! heiliges Weib!

SOLINA.

Immer fort Julio! Solinas Seele über dir! – Morgen kommt die Reihe an mich. Ich setz mich aufs Kanapee, und so agierst du mir die Eifersucht vor. Was hast du denn gesehen?

JULIO.

Nichts, gar nichts. Ich weiß nicht, es ging so und so. Erzähl's doch! Nein! wart! ich will mein Gedächtnis martern, und es soll erzählen. Ihr tanztet englisch. Nicht wahr?

SOLINA.
So war's.
JULIO.

Du versprachst das Paar mit mir zu machen. Aber ich hörte: ein heilig Weib, ein keusches Weib, hielte ihr Versprechen nicht, und so gabst du vor meinen Augen dem Prinzen die Hand. Und ich tanzte die Bäume im Garten aus der Wurzel. Weg mit dem Galimathias! – also englisch! Da mußt ich nun just zurückkommen wie er mit dir hinunterflog. Es ging so herrlich! so schnell! oben war der Federbusch der Donna Solina gefallen. Keiner nahm's wahr. Nur er hatte seine Tänzerin so fest in den Augen – der Federbusch fiel, und er wie ein Pfeil durch alle die Tänzer, den Federbusch auf den Hut, dir die Hand gereicht, den Triumph, den Kuß, und hier der Flecken den Ewigkeit nicht tilgt.

SOLINA.

Du bist nicht wert daß dich mein Otem anhaucht – Mensch und sieh! wegen deiner werd ich gedrängt, wegen deiner wird meine Seele beleidigt. Und von allen Beleidigungen ist deine die bitterste. Ha dieser Kampf! und sieh ich siege! siege über dich und sie alle. Wegen deiner kam ich in all diese Verhältnisse, Gott wird mir Weib aushelfen. Und denn Julio! wirst du erkennen, wirst sehen daß dieser Augenblick, wo ich das all von dir dulde, der größte meines Lebens war. Ich bin nicht weich, so sanft ich rede. Ich war nie so stark. Soll [1047] ich dir den Star stechen? Ich darf, ich kann nicht. Tu die Augen auf, und sieh! Was Männer! was Männer läßt du geboren werden? Die Beschimpfung seiner Lieben, und er mich kränken und quälen!

JULIO.

Werd ich nicht gehetzt und mir Dinge vor die Augen gestellt, die mich hinrichten müssen? Und wie verhält sich's?

SOLINA.

Rede nicht weiter, ich halte meinen Zorn, reize ihn nicht. Heute sollst du sehen, und deine Seele wird schwinden.

JULIO.

Donna! ich wollte, ich könnte sagen, ich bin betrogen. Mich dir zu Füßen werfen – Donna! wie's in meinem Herzen ist! Reiß mich heraus aus Zweifel und Ungewißheit!

SOLINA.

Nein! Nein! Sagt ich dir nicht, als ich dir meine Liebe gab, du hälst die Probe nicht aus! Und ist's nicht vorlängst am Tag? Ich gab mir so viel weg, dich noch zu dulden und das Ende zu erwarten.

JULIO.
Laß dir's sagen –
SOLINA.
Still! Es klopft an. Herein!
GALANTERIEKRÄMERIN
tritt auf.
Ew. Gnaden befahlen mir auf heute zu kommen.
SOLINA.
Was hat Sie? Sucht im Korbe. Zieht einen Dolch heraus. Warum versteckt Sie diese Ware so?
GALANTERIEKRÄMERIN.
Sie ist nicht jedermanns Kauf.
SOLINA.
Es ist ein närrisch Ding drum. Mir fällt so allerlei dabei ein – Was will Sie dafür haben?
GALANTERIEKRÄMERIN.
Einen Louisdor wegen des Stiels.
SOLINA.
Da hat Sie's. Geh Sie und komm Sie bald wieder. Jetzt kann ich mich mit Putzsachen nicht aufhalten.
GALANTERIEKRÄMERIN
ab.
SOLINA.

Ha! ich denk ein Freund wie dieser kann nichts schaden. Wir brauchen in gewissen Fällen Freunde auf die man sich verlassen kann. Du Närrchen! ich kaufte dich weit über den Wert, so lieb bist du mir. Wohl will ich dich wahren, wie man seinen Herzensfreund wahrt. Verbirgt ihn in der Brust. Bist du eifersüchtig Julio, auf diesen Busenfreund? Er geht allenthalben mit, und bei seinem Schutz will mir nicht bange werden.

JULIO.
Donna!
SOLINA.

Komm, es ist Zeit. Es wird angespannt sein, und Julio, heut ist der Tag nicht, daß man auf sich warten lasse.

JULIO.

Ich kann noch nicht. – Faßt ihre Hand. Donna reiß mir ganz die Hülle vor den Augen weg, und befreie mich von [1048] nagendem Zweifel! Ich will dir dann eröffnen, will dir zeigen, daß ich gewacht habe, und gearbeitet in all dem Sturm. Liebst du mich? Es wird Licht um mich. Ich bitt dich, Liebe, sieh meine Lage an, wie alles suchte mich zu bestürmen und zu schwächen. Wenn ich dir sagen sollte, wie sie's trieben mich dahin zu bringen – Du würdest deinem Julio vergeben.

SOLINA.
Es hätte nie geschehen sollen. Wer ist Solina?
JULIO.
O nur einen von den Blicken, daß meine Seele von neuem die deine ganz fasse.
SOLINA.
Julio!
JULIO.

Engel ein Wort! Dann Liebe und Vergebung. Ich will sagen, ich bin betrogen, will sagen, ich war schwach. Schaff mich um, mach mich deiner wert.

SOLINA.

Deine garstige Wirtschaft hätte alles zernichten können: daß dich Lauras Schicksal hinriß, vergab ich dir. Aber Julio, das letzte! und darüber die Edle vergehn lassen!

JULIO.

Nein Solina. Ich und Pasquino brachten's dahin, daß wir diesen Abend ausführen können. Ich verbot's ihm, dich's nicht wissen zu lassen, um dich nach der Vollendung zu überzeugen.

SOLINA.

Ha alter Pasquino, du machtest es gut. Das nämliche tat ich, und so arbeiteten wir auf eins. Und doch sahst du nicht daß ich sie einschläfern mußte durch mein Betragen?

JULIO.
Donna, wie meine Seele litte!
SOLINA.
Weine nicht! Komm in meine Arme Lieber!
JULIO.
Laß mich weinen! Meine Solina!
SOLINA.

Ich bin ewig dein. Dein, dich zur Ruhe zu leiten mitten durchs Gebraus der Welt. Schwacher! Schwacher Mensch, daß ich dein bin!

JULIO
sinkt in ihre Arme.
Mein! wie mir dieses Wort alle Kraft und Vermögen mit zwiefachem Mut einflößt.
SOLINA.

Komm! und wir vollenden. Spiel die Rolle verstellt, die du bisher würklich spieltest, daß er sicher werde. Dieser Tag muß dich meiner wert machen! –

2. Szene
Zweite Szene
Palast.
Graf Drullo. Carlo in Hofkleidung.

CARLO.
Herr Graf!
DRULLO.
Was stellst du vor Kerl?
[1049]
CARLO.
Zu dieser Zeit ein reisender Baron, der Ihnen Cour machen will.
DRULLO.
Schäker! Geschwind Carlo!
CARLO.

Baron von – Gefall ich Ihnen? – Nur nicht ungeduldig! Sie sind weg. Ha, ha, ha! Der alte Pasquino und Julio. Alle weg. Ich muß weit ausholen um alles zu erzählen.

DRULLO.

Sag nur wie's jetzo ist. Du weißt daß ich mich um die Schliche nicht eher kümmre, bis nach der Ausführung. Dann, denk ich, ist's Zeit zum Lachen. Nu!

CARLO.

All unsre Leute haben sich unter die Verschworne gegen den Prinzen und seine Partie aufnehmen lassen. Sie sitzen zusammen, und lügen ihnen Welten voll Treue und Tapferkeit vor. Pasquinos Zeichen zum Angriff ist Julios Petschaft. Der Kerl soll's bringen, und wir lassen uns anführen. Merken Sie, Pasquinos Leute, kommen spät nach. Das erste Zeichen von Ihnen, und wir brechen ein.

DRULLO.
Recht gut! brav!
CARLO.
Wer soll bezahlen? Wie sollen wir die Leutchen empfangen?
DRULLO.
Donna Solina kennt ihr?
CARLO.
Kennen? Unsre Leute schwören bei ihr.
DRULLO.

Sie passiert. Denn auf sie wird gespielt. Carlo, sie sollte uns warm gemacht haben! Nach der Farce wollen wir sie mit unsern sechs Hengsten davonführen, daß es ihr schwindlen soll. Und dann nach der Kolonie. Die Herzogin laßt ihr reisen.

CARLO.
Aber –
DRULLO.

Was ist's? Was kümmert sie mich? Der Prinz soll durch sie in die Patsche fallen, wie er's um uns verdient.

CARLO.
Soll die Donna gleich weg?
DRULLO.
Gab ich dir Ordre? Julios Ende soll sie sehen. Kennt ihr alle den Ludovico?
CARLO.
Den Rotkopf? Wer sollte den nicht kennen!
DRULLO.
Den schenk ich euch zum Bratenwender. Der Schurke verdient's.
CARLO.
Großen Dank! Großen Dank!
DRULLO.

Schafft ihn nur aufs Schiff! Carlo! noch was. Vielleicht daß ihr euch an der Tür stillhalten könnt. Du weißt meine Art zu handlen, daß ich immer lieber untätig schein, und daß mir das doppelte Freude ist. Kleid dich um. Herrlich! – Ludovico soll der Herzogin, ein, in einem Monat aufreibendes Gift geben. Sieh daß du vor der Tafel den Julio zu packen kriegst, [1050] und lispere ihm leise und mit weinenden Augen ins Ohr: « Retten Sie die Herzogin.« Derjenige welcher ihr mit diesen Worten »Gemahlin des großen Ämilius« den Becher darbietet reicht ihr Gift dar. Du wirst das andre schon zu machen wissen. Nur vor der Tafel! Sein rasches Blut wird das übrige vor uns tun, und sollte er träge sein, so will ich euch schon winken.

CARLO.
Lassen Sie mich sorgen!
DRULLO.

Diese Nacht kommt zu mir. Ihr müßt an die Höfe herum. Es sind wichtige Dinge von mir ausgeplaudert worden, und ihr werdet zu tun kriegen. Carlo ein Strick, wer einen Bock macht.

CARLO.

Der müßte ein schlechter Kerl sein. Ich denk, wir haben gezeigt, daß auch wir was können. Heute nüchtern, aber morgen wollen wir schmausen.


Prinz Galbino tritt auf.
DRULLO
umarmt Carlo.

Leben Sie wohl Herr Baron! Ich beklag, daß ich Sie nicht länger genießen konnte. Glückliche Reis mein Lieber!


Carlo ab.
GALBINO.
Sie ist da, Herr Graf! Sie ist da!
DRULLO.
Und Sie nicht um sie? Ich sag immer, zu siegen wissen Sie, aber den Vorteil des Siegs –
GALBINO.

Ging sie nicht gradezu zur Herzogin? Sah sich nicht um, und nichts konnte sie aufhalten. Graf, ich füttre mein Herz mit Liebe, Gall und Gift. Es streitet gegeneinander in mir, sieh, es pocht und will los: und bricht's heraus – ich weiß nicht was überwindet.

DRULLO.
Prinz, ich hab Ihnen viel zu sagen, aber Sie sollen erst sehen, und denn bin ich des Danks gewiß.

Ludovico tritt auf.
GALBINO
zu Ludovico.
Was lachst du den langen Tag mit dir selbst, und scheinst trotz uns die Zufriedenheit zu sein?
LUDOVICO.
Ein weises Volk weinte, wenn einer zur Welt kam, und lachte, wenn einer hinausging.
GALBINO.
Weisheit! wer widersteht dir, wenn du Ludovicos Larve trägst.
DRULLO
sieht durchs Fenster.
Haben Sie je einen Menschen solche Schritte machen sehn?
GALBINO.
Wer ist's?
DRULLO.
Julio! was ist dem Menschen?
LUDOVICO.

Mondsüchtig! Mondsüchtig! Armer Vetter, lach meiner [1051] Philosophie! – Hm! er macht große Dinge mit sich selbst aus. – Des Menschen Gang beleidigt. Ich bitt dich Vetter, trag den Kopf anders – – Was dann? Was soll das Augenrollen? – Sehn Sie nur! sehn Sie nur Prinz! hat er nicht die Miene als wollte er verstören und schaffen? Armer Vetter! lach meiner Philosophie!

GALBINO.
Ich hab dich nie so viel reden hören.
DRULLO.
Ha! ha! ha! man möchte sich wälzen. Ha! ha! ha!
LUDOVICO.

Bravo Herr Graf! ich hör heute gern lachen. Ha, ha, ha! o was reizbare Nerven zum Lachen hab ich heute nicht! Prinz! Prinz! was Lustiges! Wenn mir nur einer was recht Lustiges erzählte. Ich wollte ihm lachen, ich wollte lachen, lachen – hi! hi! hi!

DRULLO.
Geduld Herr Hofmarschall, ich will Ihnen zu lachen geben, daß Sie bersten sollen.
LUDOVICO.

Dank! Dank! Dank! Aber jetzt eins gelacht! Ich halt's für die größte Glückseligkeit des Menschen, rechtschaffen lachen zu können. Hi! hi! Mein Prinz, nicht so ernsthaft!

GALBINO.
Was du mir Freude machst – Ha! ha! ha!
LUDOVICO.
Das war gnädig! Das weise Volk! Das weise Volk!

Ab.
GALBINO.
Kommen Sie Graf! Sie verstehn ihn doch! Mich deucht, er braucht Mut.

Ab.
DRULLO.

Ich will euch einen Harlekinsstreich machen, und ihr sollt euch alle zu Tod lachen. Reizbare Nerven! Zindbares Blut! Ab.

3. Szene
Dritte Szene
Herzogin. Solina.

SOLINA.

So soll's gehen, so muß es gehen. Ich will ihn lenken, ihn anzaubern, ihn am Fädchen herumziehen, und dann die Schlinge –

HERZOGIN.
Komm an mein Herz! Ich seh erst wie groß du bist. Rette! und dann Jubel ohne Ende.
SOLINA.

Sehn Sie, jetzt ist er warm. Von Wärme zu voller Hitze, so will ich ihn um alle Vernunft bringen. Ich will einige Stunden schlechter scheinen als ich bin, will mich überwinden, sosehr sich dieses Herz empört. Will ihm ein Gemälde aufstellen, hoffnungs- und seligkeitvoll. Und kommt der erwünschte [1052] Augenblick, er hascht darnach, zieht sich's plötzlich in die Höhe und er weiß nicht wie's geschah. Ich sah einmal einen kleinen Buben, der einen dummen Streich gemacht hatte, und meinte die Mutter hab's vergessen, weil er nicht mehr dran dachte. Er schlich ihr auf dem Fuß nach zum Schrank, wo 's Zuckerbrot drinnen lag; freute sich schon innigst des süßen Genusses. Die Mutter nahm die Rute, peitschte ihn durch. Da hätten Sie die Fratze sehen sollen.

HERZOGIN.
Einzige Liebe wie soll ich dir lohnen? – Mörder! Mörder!
SOLINA.
Stille! – Ab.
4. Szene
Vierte Szene
Ein anderes Zimmer.
Prinz Galbino und Donna Solina.

SOLINA.
Sie wurden zu laut mein Prinz. Ich mußte weg. Lassen Sie mich!
GALBINO.

Nein! Nein! Zu laut Donna! Ha wie kann ich lauter werden, als die Liebe aus meinen Blicken, aus meinem Angesicht spricht. Lassen Sie mich reden! Große, reizende Donna! wenn ich Ihnen sagen sollte – O mir diese Hand! – nur noch einen Augenblick! Wie Donna! – Ja und dieser Federbusch den ich letz, der mich mit Hoffnung hebt wenn er hin und her weht; mich in Verzweiflung stürzt wenn er sich neigt –

SOLINA.
Allerliebster Enthusiasmus!
GALBINO.

O dieses Wort von diesen Lippen! Will sie küssen. Sie hält ihn zurück. Donna! Donna! Donna! Und hat er Ihnen gesagt – hat Ihnen Graf Drullo gesagt?

SOLINA.
Meine Antwort können und sollen Sie in meinen Augen lesen.
GALBINO.
Erhörung! und wenn nicht –
SOLINA.

Ha was will das Augenrollen? Was für Zuckungen? Lassen Sie mich! Die Herzogin ruft mir. Sie ruft mir – los! los!

GALBINO.

Donna, Sie können aus mir machen was Sie wollen. Sie können mein Herz sanft und gut machen – Und wenn diese reizende Lippen, diese glühende Augen mich verwerfen – Gift! Gift durch all mein Blut, und ich verderbe rund um mich.


Tumult und Lärmen hinter der Szene.
[1053]
SOLINA.
Ha ihre Stimme, meines Julios Stimme.

Reißt sich los.
GALBINO.
Bleiben Sie! Donna! Donna! Ich erwürge, wo Sie von der Stelle gehen.

Herzogin stürzt herein. Julio mit bloßem Degen, Ludovico an der Brust haltend. Drullo und viele.
JULIO.

Komm Vetter! Komm! O du Teufel! Dein Gesicht sagte mir in deiner Jugend daß du Giftmischer wirst. Kennen Sie diesen Prinz? Kennen Sie ihn? Ha wie blaß! Kennen Sie ihn? Was zittern Sie? Mörder ist er! Bekenn Vetter!

LUDOVICO.
Laß mich los!
JULIO.
Wind dich unter mir! Du sollst noch nicht sterben! Bekenn!
GALBINO.
Rast ihr zusammen? Wollen Sie ihn lassen?
HERZOGIN
dazwischen; fällt der Donna in die Arme.

Mörder Donna! Er wollte mir Gift geben der Hofmarschall. Sieh! sieh! wie sie sich zusammen verstehen. Mir Gift? Reißt Ludovico zu Boden. Bekenn! bekenn daß es alle Menschen hören. Brecht herein! – Nagelt ihn an! nagelt ihn durch alle Glieder an, und er soll bekennen.

GALBINO.
Entfernen Sie sich! laßt ihn los!
HERZOGIN.

Er bitt für ihn. Ha du hast ihn bestellt blasser Galbino? Hast meinen Ämilius ermordet. Ich will dich zu ihm reißen. Jubel! Jubel! die Mörder gefangen! Ha wie sie zittern und beben. O mein Ämilius der erste Freudentag! Wie sie stehn und beben!

GALBINO.
Stoßt sie hinaus, sie ist rasend.
HERZOGIN.

Rasend! Komm ich will dir's beweisen wie ich rase. Willst du reden! Faßt Ludovico an. Er zieht heimlich einen Dolch hervor. Julio! Julio!

JULIO.
O so will ich deine verdammte Seele –

Stößt nach ihm, verwundet ihn.
LUDOVICO.
Prinz!
GALBINO.

Leg den Degen nieder, du sollst mir für sein Leben bezahlen. Heimlich zu Drullo. Werf den Rotkopf hinaus und gib ihm noch einen.

DRULLO.
Soll geschehen.
JULIO
dazwischen.
Meinen Degen! Ha komm mir einer nah! durch all der Mörder Herz!
SOLINA.
Stark Julio! brav Julio! Hülfe!
HERZOGIN.

Er rettete mir zweimal das Leben! Was Hämischer! [1054] Seinen Degen! Ich will dich zerreißen, der Junge unter meinem Herzen gibt mir Stärke des Löwen.

GALBINO.
Er hat ihn zum Mörder bestellt, drum stach er ihn nieder. Ich will ihn rächen. Faßt ihn!
JULIO.

Hier steh ich mit euch allen zu rechten. Sie haben Ämilius ermorden lassen – He warum so kleinmütig und zerschlagen als hätte sie sein Geist gefaßt? Rache seiner Asche, und seiner edlen Gemahlin die Regierung. –


Drullo öffnet die Tür. Carlo tritt herein mit seinen Helfern. Pasquino will nach.
CARLO.
Sie können nun gehen. Stößt ihn hinaus. Schließt ihn fest!
HERZOGIN.
Pasquino! Pasquino. Hülfe meine Freunde!
JULIO.
Was zaudert ihr? Ich klage den Prinzen an, er wollte Ämilius' Gemahlin ermorden lassen.
SOLINA.
Was hält euch Sklaven zurück?
CARLO.

Es ist Zeit daß wir Ihnen das Geheimnis eröffnen. Dieser Julio, mein Prinz, und der alte Pasquino haben sich mit vielen gegen Sie verschworen, aber es fanden sich einige rechtschaffne Kerls, die das Ding anders verstunden, diese sind hier zu Ihrem Dienst.

HERZOGIN.
Donna! Donna! betrogen!
SOLINA.
Halten Sie sich, werden Sie nicht schwach.
HERZOGIN.
Schwach ich? und sehe meine Mörder? Ha! ha! ha! ich will sie alle ermorden. Julio steh fest!
JULIO.
So will ich euch Meineidige mein Leben teuer bezahlen.

Drullo winkt Carlo.
GALBINO.
Legt ihn in Ketten!
JULIO.

Das will mich nur lächern. Einige führen die Herzogin mit Gewalt weg. Laß die Herzogin los wem sein Leben lieb ist. Schlägt sich durch.

GALBINO.
Faßt ihn!
CARLO.
Sind ihrer mehr draus.
SOLINA.
Sind ihrer Sklav! Du siehst Drullo sehr gleich!

Will hinaus.
GALBINO.
Bleiben Sie Donna, wenn Sie Julio retten wollen.
SOLINA.

Retten? Ha? ha! ha! wen retten? Fürchten wir einen von euch? Wir wollen uns retten, und euer aller lachen. Zieht den Dolch. Nahen Sie sich! Ich bitt Sie mein schöner Prinz, nur einen Schritt näher! Sie verstehn mich doch? Und so leben Sie wohl. Ha! ha! ha! was der Aff die Augen wälzt! Mich [1055] retten! Stark Julio! ich hör dich ferne wüten, deine Donna ist nah. Ab. Galbino ihr nach.

DRULLO.

Das Ding ging doch so ziemlich. Wart liebe Donna! Du setzest mir hohe Sachen in Kopf! – Lebst du Rotkopf? Komm ich will dir ein lustiges Märchen erzählen, will sehen ob deine Nerven noch so reizbar sind. Ab.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
Palast.
Prinz Galbino. Graf Drullo.

GALBINO.

Dieser Palast ist die Hölle! Ich sitz in dunklen Gräbern, mich deucht die Würme fressen mich lebendig. Was will die Schattengestalt? – Der Teufel treibt sein Spiel mit mir, mir alles so schwarz vor die Augen zu stellen. Verflucht! Verflucht und abermal verflucht! – Wie sitzen Sie da? Ist Ihnen wohl? Schämen Sie sich so blühend und vollwangigt zu sein, mir Schattengestalt zum Ärger. Zehren Sie ab, und beißen Sie die Zähne zusammen, laß deine Lippen gelb werden, und ich will dir ein Gehalt geben.

DRULLO.

Sein Sie ruhig. Erhaltne Rache macht Körper, Sie blühen bald wieder. Einer muß wachen, wenn der andre in Grimm herumrast.

GALBINO.

Was werd ich erhalten? Ist die Herzogin nicht auf dem Weg mit Tausenden, und der König hat sich nach ihrem Vorteil gewendt, und vergessen was ich ihm tat? Drullo wie ist das Weib durchgekommen? Habt ihr sie nicht mit Fleiß entwischen lassen? Ha ich will's von euch fordern.

DRULLO.

Fordern ha! Ist das der Dank dafür, daß ich Sie errettete? Saßen Sie nicht wo Julio sitzt? Ich will gehen, man macht's keinem Menschen zum Dank. Ich ließ mir's angelegen sein, und Sie taumelten dahin betrunken von Armidas Zaubertrank. Was nutzt mir's? Wer rettete Sie? Er allein stund da mit seinem Degen gegen den Haufen, und jede andre hätten seinen Anblick, seinen Angriff nicht ertragen, nur Drullos Leute achteten das nicht. Seine Donna um ihn mit gezücktem Dolch, daß man ganz verging. Er stach meinen Carlo auf den Tod, ruinierte mir fünf der besten Kerls. Wer gibt mir sie wieder? [1056] Wer schickte das eindringende Volk mit einem Märchen in seine Häuser? Wessen Leute ziehen in Stadt und Dorf herum und verbreiten die ihnen von Drullo in Mund gelegten Geschichtchen? Wer stellte Puppenspiel, Komödie, Seiltänzer und Musik dem Volk vor? Ziehen nicht all meine ausländische Tier im Land herum? Wer brachte die Geistliche dahin daß sie gegen Aufruhr predigen? Daß es nicht mehr so gehen will dafür kann ich nichts. Ich kann die Herzogin nicht zurückhalten – und wir wollten doch gesehen haben –

GALBINO.

Haben Sie Geduld mit mir! O Drullo! wenn du sähest, wenn du fühltest, wie's mit mir ist – Hölle und Teufel ist um mich – So helf dann! Und sieh sie sitzen zusammen, hier ist's öd und tot.

DRULLO.

So schicken Sie einen hin, und lassen ihm den Kopf abschlagen. Aufruhr ist da, die Herzogin ist auf dem Weg und das Volk betet ihn an. Lassen Sie ihm den Kopf abschlagen, wie ich sage.

GALBINO.
Ist das Rache? Ist das Rache? und ich möchte ihn eine Ewigkeit quälen.
DRULLO.

So überlassen Sie mir's, und ich will ihn diese Nacht noch fortschaffen. Ich sagte Ihnen immer, Julio ist ein Mensch der sich nichts aus dem Verlust des Lebens macht. Diese Leute haben den altrömischen Geist – was ist ihm das? Auf ein Schiff ist mein Rat. Da mag er sich die große Empfindungen mit tausendfacher Qual ausrudern. Wenn Sie das nun wollen, so machen Sie schnell. Ich hab Nachricht von einem Schiff das bald nach Amerika auslauft. Anders kann ich Ihnen nicht helfen.

GALBINO.

So schaff ihn diese Nacht noch fort, und gelobe mir ihn unablässig zu peinigen, bis er in später Zeit seinen großen Geist mit blutiger Angst hergebe. Und ich will die Donna aufs Pferd nehmen, mit ihr davonreiten, wiederkommen, und das Land in Brand stecken bis mich's erkenne. – Der Aufruhr zieht durch Stadt und Dorf, ich will flüchten um desto schneller über sie herzufallen.

DRULLO.
Nur einen Anschlag fest und gewiß gefaßt. Es findet sich all noch am Ende.
GALBINO.

Die Donna hat um diesen einzigen Tag noch bitten lassen, und denn will sie sich geben. Drullo, räche! räche mich! Wenn ich dir den schrecklichen Durst nach langsamer Marter ins Herz gießen könnte, der in mir brennt, daß du ihm einen Tropfen Blut nach dem andern mit unbeschreiblicher Qual vom [1057] Herzen drücktest – ich bitt dich laß ihn für zwanzig arbeiten. Nur laß ihn nicht sterben. Ich bitt dich Drullo, sieh dafür, daß sie bei ihm sitzt, und sie zusammen lachen und höhnen, und ich zusehen muß, wenn ich sie willig haben will. Hätte sie mir die Spitze des Dolchs nicht gezeigt, ich wollte sie längst davongetragen haben. Ich bitt dich, quäl ihn dafür! Nur halt ihn lange am Leben. Geb ihm Stärktränke, und Leckerbissen, nur martre ihn. Füttre ihn daß sich sein Leben verlängre, nur quäle!

STALLMEISTER
tritt auf.
G.H. der Neapolitaner ist gefallen.
GALBINO.
So fall du – Sieht sich nach Gewehr um.
STALLMEISTER
entflieht.
GALBINO.
Wart, ich will das Pferd von deinem Leben fordern.
DRULLO.
Es war ja krank.
GALBINO.

Gift habt ihr ihm gegeben um mich zu quälen. Ihr seht alle, daß ich mich nur an einem schwachen Brettchen halt. Wenn ich euch reich und zu Ministers machen könnte, da solltet ihr vor mir kriechen, den Staub anbeten auf den ich tret.

DRULLO.
Sie reden doch nicht von mir mein Prinz? Das wäre mir –
GALBINO.
Wievielmal sagte ich nicht Sie sollen nichts auf sich ziehen? Ich bitt dich Drullo, hab Geduld!
KAMMERDIENER.

Gnädiger Herr! Ihre Gemahlin bittet Sie noch einen Augenblick zu ihr zu kommen. Der Arzt versichert, sie könnte keine Stunde mehr leben.

GALBINO.
Ich kann nicht, ich kann nicht.
DRULLO.
So gehn Sie doch. Ich will alles besorgen.
GALBINO.

Ich will kommen. Drullo wie kann ich an das Bett dieser armen Gekränkten treten? Wie kann ich jetzt? – soll sie erblassen sehen, hören wie sie weich und sanft mit mir spricht? Fluchte sie mir, ich folgt ihr in die Hölle. Und doch wollte ich sie diese Stunde noch ermorden, wenn sie mir im Weg stünde –

DRULLO.
Gehn Sie nur!
GALBINO.

Laß es ihm sagen, und sie soll weg. Ich will sie mit meinem Wagen holen lassen. Drullo, ich kann nicht zu ihr, mich faßt's mit glühender Hand an der Brust – Daß du's ihn fühlen läßt Drullo, was ich leide!


Ab.
DRULLO.

Nun wollen wir Anstalten machen, und ganz höflich unsern Abschied nehmen und euch's alle zusammen fühlen lassen. Adieu mein schöner Prinz!

[1058]
2. Szene
Letzte Szene
Staatsgefängnis.
Julio. Solina.

JULIO.

Ich fühl's Solina, daß dieser Ort und Ruhe mit mir endet. O wär ich in vollem Feuer dem Ziel hinan, als ein rechtschaffner Kerl gestürzt, auch ohne es erreicht zu haben, und erreicht hätt ich's. Alles mit mir niedergerissen, und sich mein Geist über meiner Asche erhoben, fortgelebt zu künftigen Welten, dem seltnen Edlen das Bild des Erreichens; dem sein Herz geklopft hätte unablässig wie mir, da ich in meiner ersten Jugend vor den Großen auf den Knien lag und mein Geist sich überwuchs.

SOLINA.
Und jetzt wo du alles sein könntest!
JULIO.

Ha! da hängt's vor mir wie ein Teppich. Wie vor den Augen eines abgesetzten, kühnen Königs der seinen Nachbarn und Untertanen zu große Schritte machte. So ist's mit mir. Dieses Herz will unablässig getrieben sein. Wie soll ich mit dieser kalten, marternden Ruhe auskommen? Solina, was das ein Geschenk ist, Größe des Geistes, unternehmendes Herz, und unter solchen Menschen zu leben, durch sie hieher geworfen zu sein.

SOLINA.
Und seinen Leidenschaften es abgewinnen.
JULIO.
Daß wir aussehen wie gemeine Menschen.
SOLINA.
Sagst du das?
JULIO.

Ich schlag mir aufs Herz daß es schallt. Pack mich an daß das Blut nachläuft. Wie soll ich mit mir auskommen? Wenn ich ihrer denk!

SOLINA.

Das sollst du nicht. Sie sind nicht wert daß wir uns einen Augenblick ihrer erinnern. Schreib fort wo du stehnbliebst.

JULIO.

Was ist das? Leute handlen zu lassen und selbst untätig sein? Ist's nicht so als wenn man einen tapferen kriegshungrigen Soldaten einkerkerte die Taten seiner Nebenbuhler zu beschreiben. Solina, für uns ist Ruhe nicht gemacht.

SOLINA.

Für keinen, Julio, als die Elenden, denen Wachen und Schlaf eins ist. Gott ist ewig tätig, hat sich währende Erhaltung, ewiges Treiben, Schaffen und Hauchen vorbehalten. Und wir die wir von ihm beseelt sind, begabt zu handlen, und würksam zu sein, uns doch das Blut durch die Adern schleicht, wie einem Ohnmächtigen – Julio! wenn ich dich anseh!

[1059]
JULIO.
Und du gewahr wirst, wie all die bedeutende Züge meines Gesichts schwinden, samt dem Geist –
SOLINA.
Und mein Gesicht sich so matt verwandelt, daß man's in ein Kloster aufstellen könnte –
JULIO.

Nein so weit nicht. Daß läßt sich bei dir nicht tilgen. Du bist immer noch Solina! Dein Blick dringt noch durch und zwingt Seelen die Verbeugung ab. Wenn ich dich seh in deiner Göttlichkeit strahlen! seh zu was du bestimmt bist! was bestimmt? was du bist. Daß wir nun dahin gebracht sind, den Kampf mit uns selbst zu kämpfen und uns zugrund zu richten. Sich ausblasen sehen wie ein schwaches Lichtchen.

SOLINA.
Ich bin Solina nicht, wenn du so sprichst. Widerrufe!
JULIO.

Donna! Faßt sie an der Hand. Liebe, nimm Abschied von mir. Erwart das Ende nicht. Du siehst sie wollen mich martern durch Aufschub. Laß mich!

SOLINA.
Dich lassen? Dich so lassen? Sagt dein Herz so?
JULIO.

Ich bitt dich tu's. Ich vermut daß ich hier vergehen muß. Du hast lang genug mit mir in diesem Kerker gelitten. Deine Seele will und muß frei sein.

SOLINA.
Ich verlaß dich nicht. Meine Liebe teilt mit dir. Weißt du wer meiner wartet?
JULIO.
Ich fürchte keinen.
SOLINA.
Brich ab! Wir sind frei, wir sind hier frei. Du leidest zwiefach ohne mich.
JULIO.
Liebe! was das ein Gedanke ist so zu vergehn.
SOLINA.
Hast du nicht eine Tat getan die dich krönt mit Lob der guten Menschheit? Was wollen die Sklaven?
JULIO.
Erwart's nicht!
SOLINA.
Wir sind groß genug das all nicht zu achten.
ABGEORDNETER
tritt auf.
Signor lesen Sie des Prinzen Willen!
JULIO.

In zwei Stunden – Auf ein Schiff – Nach Amerika – Drullo – Eine Galeere doch? Ha, ha, ha! Empfehlen Sie mich dem Prinzen mein Herr, ich werde mich fertig halten.

ABGEORDNETER.
Donna! der Prinz hofft Sie würden mir folgen.
SOLINA.
Und ich hoff der Prinz wird die Gnad haben, mich in einer Stunde abholen zu lassen.

Abgeordneter ab.
JULIO
liest noch einmal.
Ha! ha! ha! herrlich ausgedacht, und sklavisch, ganz ihrer würdig. Nun Donna! laß mich allein!
SOLINA.
Was sagst du?
[1060]
JULIO.

Lies nur! unsre Banden sind getrennt. Gott sei gedankt, daß du's mit solcher Standhaftigkeit liest. Ewiger Sklav! nicht weiter! – Laß mich Liebe!

SOLINA.
Julio! Mein Julio!
JULIO.

Denke nichts. Geh in Frieden. Ich hab mich aufgeopfert, durch meinen Eifer, durch meine Wärme. Ha ich möchte mit dem letzten Römer rufen: Unglückliche Tugend wie ward ich in deinem Dienst betrogen. Ich glaubte du wärest ein würkliches Wesen, und in diesem Glauben verband ich mich mit dir; aber heute seh ich, daß du nur ein eitler Name, ein Schatten, Raub, und Sklavin des Glücks bist. – Donna! laß mich dich noch einmal umarmen, und sie anbeten. Rette mich von diesem Zweifel, und dann geh – Geht auf und nieder. Ich hab noch zwei Stunden nach dem Ausspruch, laß mich nun! laß mich! –

SOLINA.
Willst du's abwarten?
JULIO.
Abwarten? Donna schau mir durch die Augen in die Seel! fühl was ich denk.
SOLINA.
Ha Julio! daß du das bist! daß ich dich hier habe! Sieh mich an, und fühl wie einig wir sind.
JULIO.
Bei der Hoheit des Menschen! wir sind die einzige Geschöpfe auf Gottes Boden.
SOLINA.

Julio und eben deswegen die Erde unter unsre Füße. Wir sind würdig Gottes allmächtigen Atem in uns zu ziehen. Julio! mein Julio!

JULIO
faßt sie an der Hand.
Was läuft dir durch die Adern? Du weinst – meine Solina!
SOLINA.

Für Freude, daß ich dich würdig seh mit mir zu sterben. Armer, lieber Narr! Du glaubtest ich könnte dich lassen!

JULIO.
Meine Donna!
SOLINA.

Unaussprechlich ist's was mir durch die Seele fährt. Julio ich steh über der Schöpfung – Gott im Himmel sei Dank! daß du mir die Stunde des Muts geschenkt hast, mich rein zu erhalten, und dir meine Seele unbefleckt zu überliefern.

JULIO
kniet sich vor sie.

Und du unaussprechliches Wesen, das du den Augenblick den Göttern mehr verwandt bist als den Menschen, hier nimm meinen letzten, heißen Dank, daß du deine Augen auf mich gerichtet hast, meine Seele verstundest, und so mit mir endest. Du durftest kaum meinen Geist berühren und er begriff den deinen. In mir und dir bildete sich kein Gedanken, kein Wollen, das nicht gleich einstimmig in uns [1061] beiden geboren ward ... Laß uns ewig so sein, laß mich dir wert sein in dieser Stunde!

SOLINA.

Steh auf! Steh auf! Laß dich umfassen! laß dich lieben! Laß dich mit diesem Kuß entzünden! Denke des ersten! Denke was unsre Liebe war!Küßt ihn. Rein war sie, wie keine Liebe hier.

JULIO.

So sei unsre Liebe noch einmal unbefangen. Das ist weggewischt was mich nicht schlafen ließ, was mich nicht wachen ließ. Ohnegleichen liebte ich dich von der ersten Sekunde. Aber seither! in der wärmsten Umfassung, in den heißten Begegnungen unsrer Seelen, da fiel das auf mich –

SOLINA.

Dank! daß das all so war. Drum warst du Julio! Was wollten wir auch zusammen machen. Diese Empfindungen mußten dem Geist aufhelfen, und so zu ewigem Gefühl werden.

JULIO.

Daß wir's sind! daß wir uns alles sind! daß darauf nichts ankommt es auch für andern zu sein und zu scheinen.

SOLINA.

So mein ich's. Das allein ist daurende Unsterblichkeit in mir und dir. Das machte mich dein von Anfang. Ich sah Julio, daß eigne Größe dein Teil war, wenn du nur wolltest. Und daß nicht Neid, Eifersucht, schale Eitelkeit dich hinriß nachzuklettern. Bewußtsein Ich kann's, ich bin's, dies verschaffte dir Solinas Liebe und das Glück mit ihr zu enden. Getrennt kann keins von uns leben!

JULIO.

Wie könnte eins ohne das andre diesen Geist herumtragen? Laß uns enden! laß uns ihnen den Rücken wenden und uns mit der Quelle unsers Wesens vereinigen. Ha wie alles an mir strebt aufzufliegen, und abzuwerfen! wie meine Seele zittert auf den Lippen voll des heißen Verlangens!

SOLINA.

Ah so faß denn noch einmal alles in deinem Herzen zusammen und laß das Entzücken an meinem Halse zu hangen noch einmal durch deine Adern dringen – Fühle die Gottheit wie ich!

JULIO.
Ich fühl alles so, vom Herzen bricht mir das Wort. Ich hab ausgeredet.
SOLINA.
Ohne aufzuhören, denn jetzt bist du erst.
JULIO.
Alles, große Liebe!
SOLINA.

Alle meine Anstalten sind gemacht, meine Sachen an meinen Bruder geschickt, so bereitet war ich. Hast du noch was?

JULIO.

Ich hab Pirro zur Herzogin geschickt, wenn sie ihn haben [1062] weggelassen. Gott segne sie, und helfe ihr aus. – Ich war bereitet Donna!

SOLINA.

Da könnte man sich noch einmal freuen; aber Ende muß sein. Zieht einen Dolch hervor. Diesen Freund kennst du? Schreckt er dich?

JULIO.
Laß mich ihn küssen.

Küßt ihn.
SOLINA.
Und mich. Küßt ihn gleichfalls. Ganz mein Julio!
JULIO.
Ganz dein!
SOLINA.
Denke an Laura!
JULIO.
Ihr Geist umschwebt uns.
SOLINA.

Umfaß mich! Umfaß mich! Zieh ihn aus meinem Herzen, wenn ich meiner Seele Flügel gegeben habe. Noch eins! wenn du den Dolch aus meiner Brust ziehst, ihn mit meinem Blut geschmückt in die deinige stößt, und ich werde im Ermatten des Tods, Zuckung und Kampf mit der Liebe zum Leben auf deinem Gesichte gewahr, will ich noch einmal dem Tode trotzen, und Erröten in deinem schönsten Augenblick auf deine Wangen ziehen. Umfaß! Umfaß mich! du siehst stark! Lebe wohl! dein Geist umschlinge den meinen.


Umfassen sich.
JULIO.

Kein Lebewohl, wir bleiben beisammen. Ich halte dich wie ich dich jetzt umfaß. Umschlungen unsre Seelen! Bin ich gefangen?

SOLINA.

Umschling mich, unsre Seelen sind eine.Stößt sich den Dolch in die Brust, reicht ihn dem Julio. Mein Julio! er schmerzt nicht!

JULIO
besieht ihn.
Heilig! Reines Blut. Durchstößt sich. Wohl! Wohl mir! Ich trink Leben aus deinen Augen.

Sinken zusammen.
SOLINA.
Schön! Herrlich!

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TextGrid Repository (2012). Klinger, Friedrich Maximilian. Dramen. Die neue Arria. Die neue Arria. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B2A4-C