[367] Mönchspredigt

Es schlägt ein Mönch aufs Kanzelbrett
Und macht gar schlimme Witze;
Sein Hals ist kurz, der Atem fett,
Sein Wort voll roter Hitze.
Er endet just, mit glühndem Hauch
Die Hölle heiß zu schildern;
»Gott selber«, schreit er, »wollt er auch,
Kann jene Qual nicht mildern!
Gott schloß der Hölle schwarz Portal
Und hat den Schlüssel verloren!
Solange Gott lebt, lebt die Qual,
Das ist euch zugeschworen!«
Er rief's; der böse Schwaden steigt
Aus seinen Eingeweiden;
Still rührt der Schlag – der Lästrer schweigt
Und endet ohne Leiden.
Ihr Christenleute, zittert nicht
Ob seinen wilden Scherzen!
Die Qual ist aus, die Hölle bricht,
Sie brach mit seinem Herzen!
Uns ist auf seiner fahlen Stirn
Ein guter Trost erworben:
Der böse Gott in seinem Hirn
Ist still mit ihm verdorben!

Notes
Erstdruck 1858 unter dem Titel »Unterbrochenes Opferfest«
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Mönchspredigt. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9D0E-8