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Da lieg ich nun, ohnmächtiger Geselle,
Geschieden von der ganzen, weiten Welt!
Versprengter Tropfen von der Lebensquelle,
Ein Baum, noch grünend, ist er auch gefällt!
Wohlan! ich will, was kommen soll, erwarten;
Still und behaglich ist's im Grabe hier,
Ich fühle nicht die Glieder, die erstarrten;
Doch hell und heiter glimmt die Seele mir.
Hätt ich nun einen ewigen Gedanken,
An dem man endlos sich erproben mag,
So möcht ich liegen in den engen Schranken,
Still und behaglich, bis zum Jüngsten Tag.
Vielleicht, wer weiß, wüchs er zu solcher Größe,
Zu solcher Stärke, daß er, ein Vulkan,
Im Flammenausbruch dieses Grab erschlösse,
Vorleuchtend mir auf neuer Lebensbahn.
Wie wundersam, wenn über meinem Haupte
Der Abendtau die matten Blumen kühlt:
Ob wohl, lustwandelnd dann, der Pfarrherr glaubte,
Daß unter ihm ein Wetterleuchten spielt?
Daß, glänzend in des eignen Geistes Strahlen,
Hier unten eine Menschenseele denkt?
Vielleicht sind dieses der Verdammung Qualen:
Heimlich zu leuchten, ewiglich versenkt.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. 2. [Da lieg ich nun, ohnmächtiger Geselle]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9997-0