[210] An Palemon,
nach ihrer Zurückkunft aus Halberstadt

(Im Weinmonat 1761.)


Der du mit lachendem Auge,
Ansahst den stürzenden Flug
Zum Wagen, welcher mich eilig
Des Elbstrohms Ufer enttrug.
Freund, wüst' ich die lyrischen Thöne
Von Utz und Weißen gespielt,
Dann würd im süssem Gesange
Dir hörbar, was ich gefühlt,
Dort, bey dem Sänger, der feurig
Gesungen Schlachten und Sieg;
Bey dem, mit welchem ich hüpfend
Den Berg der Musen bestieg.
[211]
In dreyßig lächelnden Tagen
War mein Geschäfte die Lust.
Sanft brausend strömten Gesänge
Empor aus fühlender Brust.
Ach! wie ist alles vergänglich!
O unerbittlich Geschick!
Mit wiederkommenden Rädern,
Riß michs eilfertig zurück!
So reißt von jedem Vergnügen
Mich der starkarmichte Feind,
An einem künftigen Tage,
Und Klagen redet der Freund!
Mein Leben, schneller als Räder,
Eilt an das wartende Grab;
Da senken diese Gebeine
Acht Männer traurig hinab,
[212]
Und werfen hurtig ein jeder
Auf mich drey Hände voll Staub.
Da lieg ich unter dem Hügel,
Der Würmer ruhiger Raub,
Bis zehen tausend mahl tausend
Hochfahrende Wagen daher
Gekommen mit dem Erwecker,
Und Gluth verschlucket das Meer,
Und Himmel trotzende Berge
Staub werden, und die Natur
Aufhört den Wagen zu lenken,
Der schnell mit Tagen entfuhr!

Notes
Entstanden 1761.
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TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. An Palemon, nach ihrer Zurückkunft aus Halberstadt. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-91C2-1