[8] [1]Aus Berlins Vorzeit

(Eine persische Erzählung.)


Ich hab's gewagt mit Sinnen

Und trag' deß noch kein' Reu.

Hutten.

1. In Ispahan

Das war zu Ispahan.
Da hatten die Schloßgärten sich aufgethan
Seit fünfhundert Jahren zum erstenmal wieder,
Und fluthend wogt es auf und nieder
In den Laubgängen und Gewinden,
Unter Blumengehängen und Gebinden,
Und es war ein Drängen und ein Winden
Und ein Wallen und ein Wandeln
Zwischen Granatbüschen und Mandeln,
An Jasmin vorbei, an Tulpen und Anemonen,
Unter den herrlichen, hohen Platanenkronen.
In prangenden Festkleidern sah man da
Aus ganz Persien von fern und nah,
Von Ost und West, von Nord und Süd,
Wie ein Zug Bienen zum Korb einzieht,
Eine Menge Menschen ziehen heran
Aus Teheran
Und Ispahan,
Aus Kaschan, Kerman und Hamadan,
Von der Wüste aus Jeschd
Und vom Meer aus Rescht,
[1]
Aus Tabbas
Und Schiras,
Aus Asdrabad
Und Harunabad,
Und vom Nachbarreiche aus Bagdad,
Der altberühmten Khalifenstadt.
Es war das hohe Fest des Naurus, und hieran
Knüpft sich ein uralter Brauch in Iran.
Vor undenklichen Zeiten von Dschemschid gegründet,
Ist es ein Fest, das da verkündet
Den Neujahrsangang
Und Frühlingsanfang
Und Wintersausgang
Mit Einklang und Ausklang;
Wo Jung und Alt jubeln und sich freuen
An dem Abschied des Alten und Gruß des Neuen,
Wo alle Welt, so Groß wie Klein,
Froh ist, der alten Qual los zu sein,
Und an allen Ecken und allen Enden
Mit Händedrücken, Geschenkespenden
Der neuen Zeit, die nun will kommen,
Entgegenruft: willkommen! willkommen!
Es hat aber heuer
Ein Umschwung, gewaltig und ungeheuer,
Für Persien bewirkt eine Doppelfeier.
Das war die Wiedererregung
Des alten Reichs und die Rückverlegung
[2]
Der Hauptstadt des Landes aus Teheran
Nach Ispahan,
Nach Persiens gartengeschmücktem Schoße,
Wo einst residirte Schah Abbas der Große.
Darum war überreicher Jubel heute
Und Schaugepränge und Festgeläute
In allen Straßen Ispahans, in allen Alleen
Und auf allen Plätzen vor den Moscheen;
Aber in den Gärten des Schah, im Palastgebäude,
Da war der Gipfelpunkt der Freude.
Vor allen Gärten Ispahans wie Türkise,
Glänzten die Gärten der acht Paradiese,
Und darinnen lag umgeben ganz
Von Festesschmuck, in Märchenglanz
Der Kaiserpalast, der erinnerungheilige,
Mit Namen genannt der vierzigsäulige.
Vor seinem Eingang staute sich enge
Der Strom der geladenen Volkesmenge,
Und sie schritten zu Hauf
Die Marmorstufen hinauf,
Wo die löwengetragenen Säulen stehen,
Dahinter in der Halle die Springbrunnen gehen,
Die murmelnd und plätschernd Kühlung wehen.
Ueber den Marmorboden zogen hier
Die Schaaren durch die Bogenthür
Und sammelten sich alsdann zumal
In dem spiegelumglänzten Säulensaal.
[3]
Mit Bildern bedeckt sind all seine Wände,
Und wohin sich auch immer das Auge wende,
Es schauet der Herrlichkeiten kein Ende.
Worauf beim Eintritt Jeder zuerst hinblickte,
Das war der reich ausgeschmückte,
Perlengezierte Thron vom Schah.
Auf einer Estrade stand er da,
Und von seinen sammetnen Sitzen
Sah man die Edelsteine blitzen.
Aber wie nun im Saale der Männer Schaar
Zur Rechten vom Throne gelagert war,
Siehe da rauschten herauf an dem Marmorgeländer
Genüber zur Linken seid'ne Gewänder,
Und es begann sich dort zu entfalten
Eine Fülle von duftigen Frauengestalten.
Ueber die Gesichter und schlanken Glieder
Fielen Turbanshawls und Schleier nieder,
Aus deren Oeffnungen die dunkeln
Augen funkeln,
Die herniederblitzten in den Saal als Späher,
Und den Männern schlugen die Herzen höher.
Ein Trompetenstoß erklang, darauf erschienen
Mit stolzen, vollgewicht'gen Mienen
Die Minister des Schah, die Würdenträger,
Des Reiches Lasten- und Bürdenträger.
Sie gehn feierlich die Estrade hinauf
Und stellen sich neben dem Throne auf.
[4]
Einer aber aus ihrer Mitten,
Der Minister der Künste und schönen Sitten,
Unter zweimaligem Trompetenrufen
Trat hervor vor des Thrones Stufen
Und verkündete mit Händewinken,
Darauf es stille ward zur Rechten und Linken:
Den Bewohnern Persiens von fern und nah
Entbietet des Reiches Herr, der Schah
Durch meinen Mund Gruß und Gnade zuvor
Und diese Mahnung in euer Ohr:
Ein Märchenerzähler ist heimgekehrt,
Der dem Schah ist lieb und werth
Und den er hochhält und verehrt,
Der in seinem Munde hat aller Vögel Schall
Und die tausendstimmige Nachtigall,
Der in seiner Sprache Wunder birgt,
Und mit Worten Wunder wirkt,
Seine Verse sind wie Zuckerrohr,
Und Blüthenduft steigt aus ihnen empor.
Zu des Neujahrsfestes Krönung,
Zu des heutigen Tages Glanz und Verschönung
Soll klingen seines Liedes Tönung.
Da ist es aber der Wunsch des Schah,
Daß nicht geschieht, was sonst geschah,
Worüber ein jeder Verständige klagt,
Daß, wenn der Erzähler was Schönes sagt,
[5]
Gleich unter den Hörern ein Beifall begann
Und ein Klatschen, das sich höret an
Wie das Kesselschmieden in Kaschan.
Also ist es sein Wille,
Daß Jeder lausche fein stille,
Daß man nach diesem Ferman thue
Und den Erzähler anhör' in Ruhe.
Und das läßt der Schah den Männern einmal
Sagen und den Frauen zweimal. –
Drauf trat er zurück der Sittenminister,
Und rings herum erhob sich ein Geflüster.
Wieder ein Trompetenstoß erklang,
Und jetzt erschien mit bescheidenem Gang
Den verkündet hatte der Lobgesang.
Und all die schönen Augen der Frauen,
Die dunkelbraunen und blauen,
Die guckten auf ihn mit Neugiergrauen,
Und war doch gar nichts Besonderes an ihm zu schauen;
War nur bekannt im Land
Als einer, der es gewandt verstand,
Zum Ohrenschmaus und Genuß der Seelen
Gute Märchen gut zu erzählen. –
Und er sah sich um und ergötzte sich
An dem Staunen rings und setzte sich
Auf den Teppich nieder gegenüber dem Throne
Zwischen dem Männersitz und dem Frauenbalkone.
[6]
Alsbald erscholl eine wunderbare
Jubelklingende Trompetenfanfare,
Und da
Trat herein des Landes Gebieter der Schah,
Strahlend in der Diamanten Licht,
Mit ernstem, bleichem Angesicht,
Und der schwarze Bart, der es umgab,
Fiel ihm bis auf die Brust herab,
Wo das goldbrokatene Gewand
Festhielt ein funkelnder Diamant.
Mit Neigen und mit Grüßen
An die glänzende Versammlung zu seinen Füßen
Ließ er nieder sich auf den Thron und nahm
Vom Pfeifenträger, der zu ihm kam,
Den Tschibuk und raucht ihn lobesam,
Dann lehnt er sich zu behaglicher Ruh
Und nickte dem Erzähler zu.
Und der erhob sich,
Durchblickte die Versammlung frohbewußt,
Legte die Arme über die Brust
Und neigte sein Haupt und verbeugte sich fünfmal,
Vor dem Schah einmal
Vor den Frauen zweimal,
Vor den Männern einmal
Und wiederum vor dem Schah einmal.
Dann ließ er sich wieder
Auf den Teppich nieder,
[7]
Noch ein wenig sann er,
Und so begann er:
Hochmächtiger Schah!
Es sei dir das Neujahr
Ein Lust- und Freujahr,
Ein Glückausstreujahr
Und niemals ein Reujahr!
Sei du der Armen Hirt und Hort,
Der Hungrigen Wirth und der Zufluchtsort
Der im neuen persischen Reich Unterdrückten,
Durch Elend Gebeugten, im Unrecht Gebückten.
Wo dein Name wird genannt,
Sei die Geldgier unbekannt,
Daß durch Gerechtigkeit gesegnet sei
Und alle Zeit schwell' und gedeih'
Die Wohlfahrt des Landes wie eines Stromes Lauf,
Und an seinen Ufern blühe auf
Die wunderbare Blume des Schönen,
Die immerdar den Wohlstand muß krönen.
Hochmächtiger Schah!
Wie seiner Zeit Saadi, der Held,
Durchzog ich weit und breit die Welt,
Und ward mir auch nur der tausendste Theil
Von seiner Erkenntniß dabei zu Theil,
So zähl' ich es mir zum Ruhm und zum Heil.
[8]
Nun kam ich zurück, bin hierher entboten,
Und du hast mir zum heutigen Fest geboten,
Dir zu berichten von einer Stadt,
Die deine hohe Bewunderung hat.
Mit Namen ist sie genannt Berlin,
Und beginnt die Augen auf sich zu ziehn
Der Welt und zu strahlen in hellstem Lichte
Durch ihre Gegenwarts- und Zukunftsgeschichte.
Nun war ich dort, und mein Wort betheuert,
Daß sie nach einem Ziele steuert,
Das groß und erhaben einst wird kund
Ueber die Städte vom Erdenrund.
Aber auch aus ihrem Innern
Weiß ich an Manches mich zu erinnern,
Was als groß und selten
Und einzig in seiner Art zu gelten
Vor andern wohl sich darf getrauen,
Und manche schöne Perle der Frauen
Und Naturwunder auch sind dort zu schauen,
Wenn man beim Regen mit einmal im Strome steht,
Oder wenn der Sand-Samum durch die Straßen weht,
Der den Bewohnern über alles geht. –
Bei diesen aber herrscht vor allen Dingen,
Von denen ich heute dir will singen,
Eine Begeisterung und Voreingenommenheit
Für ihrer Stadt Vollkommenheit,
[9]
Die oft nicht anders als kindlich ist
Und für den Fremden empfindlich ist.
Wen sah die
Welt so klug als Abdul Saadi?
Aber wenn heut Saadi leibhaftigermaßen
Wieder wandelte durch unsere Straßen,
Und du wolltest kühn mit stolzem Wagen
Ueber ihn einen Berliner fragen,
Wird er dir achselzuckend sagen:
Das ist der Saadi? So sieht er aus?
Den haben wir klüger bei uns zu Haus. –
Wenn aber ein Esel auf ihrer Straße fällt,
Gleich haben sich hundert dazu gesellt,
Aus fern und nah,
Die stehen da
Gedrängt wie die Fruchtbeeren bei den Hollundern
Und fangen an, ihn zu bewundern. –
Aber frisch ist das Volk, voll Saft und Mark
Und von innen heraus gesund und stark
Und unverzagt wie im Winter die Meisen,
Und arbeitsam wie die Ameisen,
Und wer bei ihnen längere Zeit nur blieb,
Ich versichere dir, der gewinnt sie lieb.
Du triffst bis heute dort keinen Dichter,
Aber der Wissenschaft leuchtende Lichter
[10]
Und Sprachengelehrsamkeit, darin du
Findest den Buschmann und den Hindu,
Den Altägypter und die Indianerrotten,
Den Eskimo und den Hottentotten.
Nun willst du, daß ich ein Märchen erzähle
Aus dieser Stadt mein Stücklein wähle,
Um Zeugniß zu geben
Von ihrem Thun und Treiben und Leben,
Von ihrer Verwaltung und Lenkungsart
Und Geistesgestaltung und Denkungsart,
Und dies Märchen, mit bunten Bildern gefüllt,
Soll sein der Wahrheit Spiegelbild.
Hochmächtiger Schah!
Die Wahrheit zu sagen ungeschminkt,
Ist ein Wagstück, worin selten Belohnung winkt,
Wer aber die Wahrheit offenbart
Aus der Gegenwart,
Der muß versehen mit Waffen sein aller Art,
Zu bestehen den Kampf, der seiner harrt,
Muß gepanzert sein bei sich aufs best'
Und hieb- und stich- und kugelfest.
Weil aber solch Kampf ist mißlich,
Mehr verdrießlich,
Als sehr ersprießlich,
Hab' ich es vorgezogen heut
[11]
In Hoffnung deiner Gewogenheit,
Zu erzählen in Unbefangenheit
Ein Stück aus Berlins Vergangenheit,
Zu dichten und zu berichten ein Märlein,
Das dort geschah vor etwa vierhundert Jährlein. –
Nun merket allauf und spitzet die Oehrlein.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Jacoby, Leopold. Gedichte. Es werde Licht. Aus Berlins Vorzeit. 1. In Ispahan. 1. In Ispahan. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8BB6-A