Karl Immermann
Alexis
Eine Trilogie

[253] Die Bojaren
Schauspiel

Personen

[253] [252]Personen.

    • Peter Alexiewitsch, Zar von Rußland.

    • Alexis Petrowitsch, sein Sohn.

    • Katharina Alexiewna, Peters Gemahlin.

    • Eudoxia Lapuchin, Peters frühere Gemahlin, verstoßen, unter dem Namen Helena im Kloster Susdal.

    • Fürst Alexander Menzikof.

    • Oberst Gordon, ein Schotte, Begleiter Peters.

    • Dosithei, Erzbischof von Rostow.

    • Stephan Iwanowitsch Glebof, Generalmajor,
    • Basil Dolgoruki, Generallieutenant,
    • Alexander Kikin, Admiral,
    • Abraham Lapuchin, Eudoxiens Bruder, , Bojaren.

    • Euphrosyne, Geliebte des Alexis.

    • Oberst Schepelew, Kommandeur der Preobraschinskyschen Grenadiere.

    • Hauptmann Markof.

    • Ein Page Menzikofs.

    • Ein Diener Kikins.

    • Ein Diener Glebofs.

    • Ein Adjutant Dolgorukis.

    • Ein Schiffer.

    • Ein Steuermann.

    • Zwei Matrosen.

    • Zwei Bürger von Moskau.

    • Bojaren.

    • Wachen, Soldaten, Bauern und Volk.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Moskau. Eine Straße. Zwei Bürger. Später Ein Schiffer und Volk.

ERSTER BÜRGER.
Und du, du selber hört'st es, Sokolof?
ZWEITER BÜRGER.
Bin ich ein Narr, der nach Gerüchten schwatzt?
ERSTER BÜRGER.
Tot, sagst du?
ZWEITER BÜRGER.
Tritt beiseit', hier kommt der Schiffer,
Der ihn gefahren hat.

Ein Volkshaufen kommt. Darunter ein Schiffer.
DAS VOLK.
Nun redet, Schiffer.
DER SCHIFFER.
Ihr guten Russen ...
EINIGE.
Heda! Schließt 'nen Kreis.
SCHIFFER.
Ihr guten Russen, ach, warum muß ich
Euch diese schauderhafte Neuigkeit ...
EINER.
Erst sagt uns an: Wer seid Ihr, fremde Seele?
[255]
SCHIFFER.
Claus Madsen, Madsens Sohn aus Kopenhagen,
Ein wackres Schifflein hatt' ich untern Füßen,
Und fuhr ums Eiland Ösel. Wisset nun:
Ich hatte Euren großen, gnäd'gen Zar
In Lübeck eingenommen. Jetzt versteht mich:
Im Finnenmeer, dort um das Eiland Ösel,
Starrt es von Klippen, gleich 'ner Hechel. – Wie?
Mein Steuermann ... (Er brenne in der Hölle!)
Der steuert quer. Er war so was betrunken.
Auf einmal gibt's 'nen Stoß. Alles fällt hin.
Ich kucke über Bord ...
EINER.
Fielt Ihr nicht auch?
SCHIFFER.
Wer? Ich? Warum nicht gar! Ich hätt' ja sonst
Nicht über Bord ...
EINER.
Ihr bliebt alleine stehn?
ANDRE.
Laßt ihn, er macht's natürlich, daß man's sieht.
SCHIFFER.
Kuck' also über Bord. Ei, schönes Zeug!
Wir sitzen fest auf einem Stück von Fels,
Von Sandbank, oder sonst dergleichen Ding.
»Hülfe!« ruft's unten. Eine mächt'ge Faust
Streckt aus den Wellen sich. Zornrot geschwollen
Sieht Eures Zaren Haupt empor. Lang fluten
Die aufgelösten schwarzen Haare nach.
Er hatte spähend auf dem Deck gestanden,
Und war von dem gewalt'gen Stoß hinab-
Geschleudert in die Flut. Nun setzt' ich eilig
Ein Boot mit sechszehn starken Kerlen aus,
Den Herrn zu retten. Aber jählings warf
[256] Der wilde Strom das Boot zum Schiff zurück.
Es schaffte nichts. Und jammernd, aus dem Schiff,
Sahn wir den Leib des Herren weitertreiben,
Zuletzt verschwand der Leichnam in der Brandung;
Drei Tage fischten wir, jedoch umsonst.
O Rußland, in dem Meer erlosch dein Licht,
Und auf dem Grunde liegt der Kerze Stumpf.
Mich strafe Gott und hol' der Teufel, sagt' ich
Ein Wort zuviel, zuwenig, oder falsch!
Zu melden dies den mächtigen Bojaren
Schickt Admiral Apraxin mich von Kronstadt.

Ein dumpfes Schweigen unter dem Volke.
EINER
nach einer Pause.
Hm!
EIN ZWEITER.
Ja!
EIN DRITTER.
Und ist der Zar denn also tot!
EIN VIERTER
zu einem Fünften, der weint.
Was schluchzest du, Iwaschka?
DER FÜNFTE.
Ach Batuschka!
Ach unser Väterchen! Du heller Mond,
Der über Rußland schien!
DAS VOLK
herzudringend.
Wer weint?
DER VIERTE.
Iwaschka.
DAS VOLK.
Warum?
[257]
DER VIERTE.
Er weint um unsres Zaren Tod.
VOLK.
So, darum weint er.
SCHIFFER.
Nun Adjes, Ihr Leute.
EINER.
Wir gehn mit Euch. Ihr sollt noch mehr erzählen.
Wir hören's gern zweimal. Wie der nur mocht'
Aussehn im Todeskampfe!

Zu den beiden Bürgern.

Geht ihr mit?
ZWEITER BÜRGER.
Behüt' uns Gott!

Das Volk mit dem Schiffer ab. Die beiden Bürger bleiben.
ERSTER BÜRGER.
Was das nun geben wird?
ZWEITER BÜRGER.
Ich denke: Knute.
ERSTER BÜRGER.
Weil der Zar gestorben?
Aus welchem Grund?
ZWEITER BÜRGER.
Aus welchem Grund? – Du Tropf!
Die Ursach' liegt im Stiel und in den Riemen.
ERSTER BÜRGER.
Das ist ein furchtbar Land!
ZWEITER BÜRGER.
Wenn man drin aufwuchs,
Kommt's einem ganz natürlich vor. Ich war
Mit meinen Zobelfell'n auf Handel, weit
[258] In Ungarn, Hamburg, Sachsen, Amsterdam.
Dort sind sie anders, menschlicher. So heißt's.
Mir konnt's da nicht gefallen. Immer dacht' ich
An unser altes, heil'ges Russenreich.
ERSTER BÜRGER.
Wer wohl den Thron besteigen wird?
ZWEITER BÜRGER.
Schweig still
Von Thron und solchen Sachen, Erich Igel!
Wir schwören Treu', wir Bürger, wenn die Herrn
Bojaren, Erzbischöfe, Bischöf', Äbte
Die Sache abgemacht. Bis dahin, Ruh'!
Wie ist's? Gehst mit? Ich hab' ein Fäßchen Kwaß
Vom besten, kriegt' auch Hausen von der Wolga.
Nun? Auf 'nen Imb's? Nicht wahr?

Sie wollen abgehn.
2. Szene
Zweite Szene
Alexander Kikin. Basil Dolgoruki. Beide mit Gefolge. Vorige.

KIKIN
zu Dolgoruki.
Dort stehn zwei Bürger.

Zum zweiten Bürger.

Bist du nicht Sokolof, der Pelzhändler?
ZWEITER BÜRGER.
Zu deiner Gnaden gnädigstem Befehl.
Ich küsse deines Rockes Saum, Erlaucht.

Er küßt den Rock des Bojaren.
[259]
KIKIN
zum ersten Bürger.
Und Ihr? Wie heißt Ihr?
ERSTER BÜRGER.
Zeugschmidt Erich Igel;
Patentisiert vom Hof.
DOLGORUKI.
Der Mann bleibt aufrecht;
Er muß ein Fremder sein.
ERSTER BÜRGER.
Aus Kexholm, Fürst.
KIKIN.
Hier war ein Auflauf. Sprecht, was gab's?
ZWEITER BÜRGER
furchtsam.
Erlaucht,
Das Volk schrie durcheinander. Man vernahm
Kein Sterbenswort.
ERSTER BÜRGER.
Wozu die Lüg'? Die Fürsten
Begehren es zu wissen. Hohe Herrn,
Der Zar ertrank im Finnenmeer.
DOLGORUKI.
Sankt Niklas,
Ein schwerer Schlag für Rußland!
KIKIN.
Wer bracht's aus?
ERSTER BÜRGER.
Der Schiffer, Herr, der unsren Zaren fuhr.
[260]
KIKIN
rasch.
So muß man's glauben! Hört Ihr? Glauben muß man's!
Verschließt die Häuser, gute Bürger, harrt
Des Ausgangs still. Groß Ding steht nun bevor.

Zum ersten Bürger.

Kannst du mir tausend Stück Gewehre liefern?
ERSTER BÜRGER.
Zweitausend, gnäd'ger Herr, wenn Ihr befehlt.
KIKIN.
Bring sie zu Stepanof, dem Waffenmeister.
Ich zahle bar und auf der Stelle. Geht.

Die Bürger ab.
DOLGORUKI.
Du bist zu rasch.
KIKIN.
Zu langsam du, Basil.
Ich hab' von diesem Peter was gelernt;
Die Eile zwingt den Stärksten.
DOLGORUKI.
Nun, was soll's?
KIKIN.
Jagd auf das fremde Wild in Rußlands Forst.
Hast du verschlafen diese zwanzig Jahre?
Verträumt die Not, den Druck, die Peinigung?
Verschmerzt die Schwielen, und der Ehre Wunden?
DOLGORUKI.
Oho! Ich bin ein Russ', heiß' Dolgoruki.
Ein Dolgoruki focht an Wladimirs
Des Großen, Seit'. Dein Stamm? Wo war er damals?
Der Name Dolgoruki ist ein Merkwort
Von allem Preislichen seit Ruriks Tagen.
[261] Doch hört ich nie von meinen Ahnen, daß
Sie auf dem Markt gestürmt, getost. Der Pöbel
Lärm' in den Gassen! Einem Fürsten ziemt's
Zu schweigen und zu handeln.

Zu seinem Gefolge.

Öffnet weit
Die Pforten meines Hauses! Geht umher,
Und ladet mir die Freunde zum Gelag!
Es ströme der Tokaier! Deckt die Teppich'
Von Samarkand auf Bank' und Tische!

Zu Kikins Gefolge.

Helft
Ihr Euren Kameraden! Euer Herr,
Mein Freund, erlaubt es Euch.

Die beiden Gefolge ab.
KIKIN.
Was soll's?
DOLGORUKI.
»Was soll's«?
So fragst du selber nun. Hör' Alexander:
Der Atem des Tyrannen streift', ein Nebel,
Ob unsrem unglücksel'gen Vaterland.
Im Nebel kennt man die Gesichter nicht.
Nun denk' ich so: Wir schaun der Freunde Antlitz
Zuerst genauer an, und haben wir
Die frühern Lineament' erkannt, so gehn
Wir allesamt ...
KIKIN.
Wohin?
DOLGORUKI.
Zu Stephan Glebof.
KIKIN.
Warum zu dem?
DOLGORUKI.
Er ist, du weißt's wir alle
Sind dessen kundig; mehr noch, als ein Freund
Von der Zariza.
[262]
KIKIN.
Welcher?
DOLGORUKI.
Kahler Scherz!
Ich denk', für uns gibt es nur eine Zarin,
Und 'ne gekrönte Bauerdirne.
KIKIN.
Dann?
DOLGORUKI.
Glebof ist Freund, Vertrauter, Rat der Zarin.
Der Zarewitsch will, was die Zarin will,
Und unsere Gedanken, denk' ich, wandern
Nur eine Straße. Über Kloster Susdal
Führt sie ins Haus des arg gekränkten Sohns.
Der Glebof steht in dieses Weges Mitte,
Recht wie ein Mal von Stein, so stumm und kalt.
An diesem Male ziemt's, sich zu versammeln,
Und weitern Rat zu pflegen.
KIKIN.
Laß ihn fort.
Er hielt sich fern von uns, liebt nur sein Laster.
Er hat kein Herz, sieht immer spöttisch aus,
Beleidigend sind seine Reden oft.
DOLGORUKI.
Zuwider ist er mir, wie dir. Doch wenn
Der Kampf um Kronen geht, heißt's nicht: Wen mag ich?
Man fragt: Wer nützt uns? Und der Glebof ist
Der Mann des Tags, der Not, des Nutzens! – Komm!

Beide ab.
3. Szene
[263] Dritte Szene
Saal in Glebofs Hause.
Glebof. Der Schiffer.

GLEBOF.
Wie nahm das Volk die Nachricht auf?
SCHIFFER.
Sie nahmen
Sie gar nicht auf.
GLEBOF.
Wie das?
SCHIFFER.
Die Lüge liegt
Noch auf der Straß', wo ich sie fallen lassen.
»Hm!« »So!« und: »Ei!« war alles, was ich hörte.
Sprach ich vom Wetter, macht's dieselbe Wirkung.
GLEBOF.
Gut.
SCHIFFER.
Bloß ein paar zerlumpte alte Weiber
Schrien, daß die Hunde an zu bellen fingen:
»Daß Gott erbarm'! So war die Prophezeihung
Von unsres Zaren bald'gem Tod doch richtig!«
GLEBOF.
Gut.
SCHIFFER.
Dem hochwürd'gen Erzbischof von Rostow,
Sei's, sagten sie, im Traume so erschienen.
GLEBOF.
Gut.
SCHIFFER.
Drauf versetzte wer: »Was kümmert's uns?«
[264]
GLEBOF.
Gut.
SCHIFFER.
Gut? – Mein gnäd'ger Herr, was ist da gut?
Ich dacht', Ihr hättet deshalb aus den Eisen
Mich losgemacht, in Schifferrock und Hose
Gesteckt, und auf mein leider zu bekannt
Gesicht, den Hut gedrückt mit breiter Krempe;
Ihr hättet deshalb mir ...
GLEBOF.
St! – Glaubten sie's?
SCHIFFER.
Beim heiligen Georg! Ich meine, denen
Könnt' man vorschwatzen; außer Rußland sei
Die Welt zu Ende, wie 'nes Sünders Leben.
Ach ja, geglaubt ward's wohl.
GLEBOF
nach einem Tische deutend.
Dort liegt ein Beutel;
Nimm den zum Lohne. Flieh!
Verbirg dich fern am Irtysch in der Wüste.
Du bist nun frei. Sieh deine Wunden an,
Die dir die Fessel rieb; und denke stets,
Daß Galgen stehn in Rußland!
DER SCHIFFER.
Freilich! Freilich!
Ich dank' für deine Lehre dir, Erlaucht,
Und werde sie befolgen. Meiner Treu'!
Je wen'ger man zu leben wert, so mehr
Liebt man, zu leben.

Ab.
4. Szene
[265] Vierte Szene
Glebof. Nachher: Ein Diener.

GLEBOF
allein.
Dieser Schelm sagt mir
'Ne bittre Wahrheit. – Meine Tage sind
Ein wüst Gewirr von Lust und Ekel. – Still!
Weshalb den Kläger spielen gegen dich?

Vor einem Kalender und einer Landkarte.

Heut ist der sechste Junius. Meines Wissens
Ist Peter noch in Lübeck. Vierzehn Tage
Gehn auf die Fahrt nach Kronstadt. Dann verlaufen
Der Tage fünf, bis wir erfahren, daß
Er angekommen. Also neunzehn Tage
Sind unser zu des Plans Gedeihn. Nun, mehr
Hat Cäsar nicht gehabt, um Rom zu stürzen. –
Das Volk ist gut, hielt meine Probe aus.
Sie waren Sklaven, blieben's, sind's noch mehr
Durch dich geworden, Zar.

Ein Diener tritt auf.

Was gibt es, Bursch?
DIENER.
Herr, die Bojaren kommen truppweis vom
Palaste Dolgoruki.
GLEBOF.
Hieher?
DIENER.
Ja.
Die Säbel klirr'n, der Balaleika Ton
Begleitet ihren Zug.
GLEBOF.
Wen sahst du?
DIENER.
Viele;
Den Alexander Kikin, den Basil
[266] Und Fedor Dolgoruki. Die Wasemskys,
Die Narischkins und ihre Sippschaft, Woinofs,
Den Bruder der Zariza, Abraham,
Den heil'gen Erzbischof von Rostow, und
Noch manchen andern.
GLEBOF.
Führ' die Herrn zu mir.

Diener ab.
Am Fenster stehend.

Ein wackrer Haufen. Eine Herde, die
Des Hirten noch bedarf. – Wird's glücken? Wird's?
In solchen Stunden, da verlohnt's, zu leben.
Dann ist der Tag was wert, wenn an dem Tage
Das Los von Tausenden, gleich einer Frucht,
Gezeitigt hängt. – Ha, wird es auch wohl glücken?
Wer gibt den Barometer uns, an dem
Der menschlichen Gedanken Stand sich zeigt?
In jeglichem Gemüte ist ein Wechsel
Von allen Jahreszeiten, jeden Tag.
So kann auch ich, auf Sommerhitze rechnend,
Den trägen Winter finden. – Prüfen wir's!

Er setzt sich an einen Tisch zu Büchern und Papieren.
5. Szene
Fünfte Szene
Glebof. Kikin. Dolgoruki. Abraham Lapuchin in Trauer Erzbischof von Rostow. Viele Bojaren. Sie treten nacheinander ein.

KIKIN.
Guten Morgen, Glebof.
DOLGORUKI.
Wir begrüßen dich.
[267]
LAPUCHIN.
Der Zeiten Not zwingt Lapuchin zu dir.
ERZBISCHOF.
Ich geb' dir Gott zum Gruß.
DOLGORUKI.
Er hört uns nicht.
ERZBISCHOF.
Was? Ist er so vertieft?

Er rührt ihn an.

Sieh auf, mein Sohn.
GLEBOF
emporblickend.
Wer ist? ... Mein Gott! Hochwürd'ger Erzbischof,
Wie komm' ich ...

Er steht auf.

All Ihr Heiligen! Verzeiht
Sehr edle Herrn! Ich hab' Euch nicht bemerkt.
Wenn ich bei meinen Büchern bin, ist nur
Der träge Leib am Platz; die Seele wandert,
Wohin die Lettern sie geleiten; oft
Hat dies vertiefte und zerstreute Wesen
Mich lächerlich gemacht. – Seid mir gegrüßt!
Welch' eine vornehm glänzende Versammlung
In Eures armen Dieners Haus! Ich seh'
Die Blüte Rußlands.

Zu Kikin.

Gebt mir Eure Hand,
Herr Admiral!

Zu Dolgoruki.

Auch Eure, Generallieutenant.

Da beide ihre Hand zurückziehn.

Wie? Weigert Ihr dem Freunde dieses Zeichen?
KIKIN.
Der Admiral des Zaren ist nicht hier.
[268]
DOLGORUKI.
Nennt nicht die Titel, welche jünger sind,
Als unser wahrer Ruhm.
EIN BOJAR.
Ich bin ein Narischkin.
Kein Mensch auf Erden kann die Narischkins
Erhöhn. Ihr Name ist das Höchste.
GLEBOF.
Wohl!
Ich rechte nicht mit so erlauchten Gästen.
Nach altem Brauche: Vettern, Brüder! also.
Stephan Iwanowitsch Glebof dankt von Herzen
Für den Besuch. Nun setzt Euch. Heda, Mundschenk!
KIKIN.
Wir haben schon gefrühstückt. Laßt's.
GLEBOF.
Setzt Euch
Denn mindestens.

Sie setzen sich. Lapuchin unten.

Da unten, Lapuchin?
Nein Abraham, nicht unten ist dein Platz.
Den Ehrenstuhl für Abraham Lapuchin!
LAPUCHIN.
Soll Schand' auf einem Ehrenstuhle sitzen?
GLEBOF.
Du edler Trauernder!
LAPUCHIN.
Ich trage Schwarz
Um meiner Schwester Los. Wollt' Gott im Himmel,
Ich hätte keine andre Trauer, Glebof!
[269]
GLEBOF.
Heut ist ein Tag, an dem mein Glück gelacht.
Mich dünkt, du sahst mir scheel, mein Abraham,
Und miedst den Freund. Doch das ist nun vorüber,
Denn Lapuchin sitzt auf des Glebof Stuhl.
LAPUCHIN.
Ich setzte mich auf deinen Stuhl, wie ich
Auf einen Balken mich mit meinem Todfeind
Im Schiffbruch setzen würde. Spottest du?
Ich bin ein Mann von alter, reiner Art,
Verstoßen hat der Zar Eudoxien,
Glebof hat sie beschimpft.
GLEBOF
die Hand am Säbel.
Dies Wort verdient ...
Dolgoruki Laßt Eure Zänkerein!
GLEBOF.
Ja wohl, ja wohl.

Er ist an seinem Tische stehn geblieben.

Nun, was ist Eu'r Begehren, meine Herrn?
ERZBISCHOF.
Du weißt, welch' eine Post mit Feuerschritten
Durch Moskaus Straßen ging. Der Schutzverwandte,
Der Bürger, Gast, Kosak und Hattaman,
Stadthäupter, Älteste, Bojarenkinder,
Sie alle rufen: »Unser Zar ist tot!«
Zum dritten Mal auf Fahrt nach fremdem Land,
Ich weiß nicht, welche fremde Kunst zu holen,
Dem falschen Meere lieber sich vertraund,
Als Rußlands treuer Erde, schlang ihn ein
Das falsche Meer.
[270]
GLEBOF.
Ihr habt's vorhergesagt.
ERZBISCHOF.
Unsel'ge Ahnungsgabe! – Stirbt ein Fürst,
Versammeln sich des Reichs geborne Pfleger
Gemeiner Wohlfahrt halber. Drum sind wir
Vereinigt. – Wir entschlossen uns, auch dich
In unsern Rat zu ziehn.
GLEBOF.
Ihr? Mich? – Recht gut.
Indes ...

Nach einer Pause.

Ich bin der General des Zaren.
ALLE.
Was?
GLEBOF
kalt.
Menzikof verwaltet loco regis
Mit Katharinen dieses Land. Sie sind
Die treu'n Gefäße seines höchsten Willens.
DOLGORUKI.
Kath'rina! Menzikof!
KIKIN.
Siehst Du? Er meint
Es falsch. Ich sagte dir's.
GLEBOF.
Zu ihnen geht,
Und fragt, was der, wie's heißt, ertrunkne Zar
In casum mortis angeordnet.
LAPUCHIN.
Kommt!
Bojaren auf!

Sie sind im Begriff aufzubrechen.
[271]
GLEBOF.
Halt, einen Augenblick!
DOLGORUKI.
Was willst du noch von uns?
GLEBOF.
Daß Ihr die Lobschrift
Vernehmt, die auf den Toten ich entworfen.
ALLE.
Die Lobschrift?
GLEBOF
mit erhobner Stimme.
Nun? Soll ein so großer Mann
Denn ungerühmt zum Grabe gehn? Das wäre
Stumpfsinn von uns, den er so oft gescholten.
LAPUCHIN.
Ich sage, kommt nach Haus!
DOLGORUKI.
Ich sage, bleibt!
Ich wittr' ein Schauspiel.
GLEBOF
beiseite.
Recht. »Die Narrn des Glebof.« –

Er nimmt ein Papier vom Tische und beginnt zu lesen.

»Lobschrift, verfaßt mit ungeschickter Feder
Von Stephan Glebof, auf den großen Zar.«
EINIGE.
Sind wir um Possen hier?
ANDRE.
Still! Still! Hört zu.
[272]
GLEBOF
liest.
»Rußlands Bojaren zogen auf im Land,
Ein jeder mit zehntausend Pferden mindstens. –
Rußlands Bojaren setzten Herrscher ein,
Und Herrscher ab. Aus ihrem Munde floß
Die Quelle der Gesetze. Also war's. –
Da kam ein Zar, hieß Fedor. Dieser ließ
Die Bücher bringen auf den heil'gen Kreml,
Worin verzeichnet unsre Titel, Vorzüg',
Und unser uraltfestgewalt'ges Recht.
Zar Fedor sprach: ›Entzündet mir ein Feuer!‹
Und als das Feuer lodert' im Kamin,
Da warf der Zar die Bücher all' hinein,
Und sprach: ›Hiemit verbrenn' ich Euer Recht.‹ –
Der Roßrad flog als Asche in die Luft,
Und die Bojaren sahn's und blieben stumm.«
EINER.
Ich nicht. Ich murrt'.
GLEBOF.
Ja doch, und sprachst kein Wort.

Liest.

»Dann kam ein Zar, hieß Peter. Dieser fand
Nur Sklaven von der Newa bis zum Don.
Ein Großer und Gewalt'ger! Sprach: ›Ich will
Der Knechte ganzer Herr sein! – Ihre Körper
Gehorchen schon, nun soll'n die Seelen auch,
Wie Puppen, tanzen an des Lenkers Draht.‹
Fuhr übers Meer nach Holland, Frankreich, Deutschland,
Und – lernte Schiffe baun: Der große Mann!
Und – lernte schmieden Erz: Der große Mann!
Und weil er's vorgelernt, so sollten's ihm
Nachlernen die verkleinerten Bojaren,
Und werden Schmied' und Zimmerleut' ...«

Bewegung in der Versammlung.
[273]
ERZBISCHOF.
Ein Lob,
Das kann man gelten lassen.
DOLGORUKI.
Warum uns
Bekannte Schand' erzählen?
MEHRERE.
Weiter! Weiter!
GLEBOF
liest.
»Die Fürsten waren ungefüg, und lernten
Langsam das edle Handwerk. Alsobald
Ließ dieser große Mann von fern herbei
Sich schnell're Köpfe kommen, bess're Schüler.
Da strömt' es über unsres Reiches Grenzen
Aus England, Welschland, Frankreich. Fremde führten
Das Heer; das doppelaar'ge Siegel; Fremde
Führten die neugeschnitzte Flott'. Was sag' ich?
Fremd war ja niemand hier, als just der Russ'!
Nicht alle Russen, nein nicht alle! Nur,
Was hoch und herrlich war! Nein, mit dem Staub
Auf heim'schem Boden, schloß der große Mann
Ein innig Wahlverbündnis. In die Hand
Nahm er hier Staub, dort Staub, und formte draus
Gewalt'ge Untergötter! –
Weil Alexander Menzikof sehr schmackhaft
Pasteten buk, war er nach dem Geschmack
Des großen Manns, und ist ein Fürst. Und weil
Die Witwe des Dragoners schöne Augen
Besaß, taugt sie – das Aug' des Reichs zu sein.«

Die Bewegung in der Versammlung ist immer stärker geworden.
EINIGE.
Ha wackrer Glebof!
[274]
ANDRE.
Guter Lobredner!
EINIGE.
Tod diesem Menzikof!
ANDRE.
Tod Katharinen!
DOLGORUKI.
Tod dem Tyrannen!
GLEBOF
ihn scharf fixierend: lachend.
Ei, der ist ja tot!

Liest.

»So schändete der Zar ...«
EINIGE.
Ihr sollt nicht mehr
Vom Zaren lesen!
ANDRE.
Sollt uns führen!
ALLE
außer Kikin, Dolgoruki, dem Erzbischof und Lapuchin.
Sollt
Des Unternehmens Haupt sein.

Sie erheben sich.
GLEBOF.
Das klingt anders.
DOLGORUKI.
Hört mich, Bojaren!
LAPUCHIN.
Nicht im Sturme ...
KIKIN.
Halt!
[275]
GLEBOF
wirft das Papier zu Boden.
Wer ruft hier: »Halt!« wenn ich gebiete: »Vorwärts!«

Er zieht den Säbel. Die Bojaren desgleichen, bis auf Kikin, Dolgoruki, Lapuchin.

Die alte Moskau, unser Heiligtum,
Ward zur verhöhnten Wüste! In dem Qualmsumpf
Der Newa baute der Despot die Zwingburg!
Wir sind gekränkte Bettler! Um den Thron
Des Rurik wuchern Pilze! In dem Kreml
Seufzt unsre Hoffnung, unsrer Bräuche Freund!
Gehaßt, weil er uns liebt, beschimpft, weil er
Uns Ehre gönnt! Hochherzige Bojaren,
Folgt mir zum Zarewitsch!

Sie wenden sich nach der Türe.
6. Szene
Sechste Szene
Eudoxia durch die Flügeltüre auftretend. Vorige.

ALLE
bei Eudoxias Anblicke zurücktretend.
Ha, die Zariza!
GLEBOF.
Was? Sie? Wo kommst du her?
EUDOXIA.
Aus meiner Gruft.
GLEBOF.
Was suchst du hier?
EUDOXIA.
Ein Reich und eine Krone.
[276]
GLEBOF.
Wer hat dir das erlaubt?
EUDOXIA.
Ich selbst mir selber.
GLEBOF.
Du solltest bleiben, bis ich dich beriefe!
EUDOXIA.
Bis dahin wär' Eudoxia gestorben.
GLEBOF.
Folgt mir zum Zarewitsch!
EUDOXIA.
Hört seine Mutter!
GLEBOF.
Hört sie nicht an!
ERZBISCHOF.
Wie? Die Zariza? Glebof,
Du bist gewaltig kühn.
MEHRERE.
Sprecht, hohe Frau.
GLEBOF.
Fluch allen Weibern!

Er tritt zur Seite.
EUDOXIA.
Bin ich überflüssig?
Wenn Rußlands Fürsten dieses Landes Leid
Erwägen, fehlte dann Eudoxia
In solchem Kreis? Ist ein Gebäude fertig,
Bevor der Giebel ward gefügt? Ihr baut
Von Schmerz ein Haus! Was habt Ihr? Fundamente!
Die Spitze fehlt dem Turm. Was littet Ihr,
Das nicht vergütet könnte sein? Was mißt Ihr,
[277] Das nicht mit Zins und Wucher jeder Tag
Euch rückerstatten könnte?
Mein Leiden ist ein unerschöpfter Born,
Mein Schmerz ist eine ew'ge Qualenwunde!
Ihr seid Vasallen im Gebiet der Trübsal,
Ich aber bin die Königin des Jammers!
EIN BOJAR.
Ach, arme Frau!
EIN ZWEITER.
Wie sie so majestätisch
Umherblickt!
EIN DRITTER.
Seht, sie weint!
EIN VIERTER.
Das schöne Weib!
EUDOXIA.
Moskau prangt gülden in begrünter Au!
Im Föhrenwald graut Susdal, bleich und tot.
Der Thron des Zaren ist des Lebens Sitz,
Der Betstuhl Kloster Susdals ist ein Sarg!
Wer liegt im Sarg? Eudoxia! Das ist,
So hör' ich sagen, ja dieselbe, die
Vorlängst auf jenem Sitz des Lebens saß.
Ei, die muß eine große Sünderin sein!
Unglück, Ihr Fürsten, macht Gedächtnis stumpf;
Ich hab' vergessen der Eudoxia Frevel.
Warum, Ihr Fürsten, ward Eudoxia
Vor ihrer Zeit ins Grab verstoßen? Kann's
Mir einer sagen, der verbindet mich!
Ich bitt' Euch, sagt es mir ...
DOLGORUKI.
Er hat unmenschlich
An Euch gehandelt.
[278]
LAPUCHIN.
Um die Buhlerin
Verstieß er Dich.
EUDOXIA.
Das kann nicht möglich sein!
Ihr irrt Euch ganz gewiß. Wie? um 'ne Buhlerin?
Ein pflichtgetreues Weib! O nicht doch! Nicht doch!
In Nacht und Tod die Zarin um 'ne Metze?
Und solche Untat hätt' zwölf Jahre lang
Die Erde Gottes getragen, und Rußlands Adel?
Um eine Buhlerin! Ich, Tochter aus
Dem Stamm der Lapuchin! Durchs Sakrament
Geweihet als sein Fleisch! Ich, die Gekrönte!
Ich weiß, ein großer Mann wägt nicht genau
Die Taten ab, doch das? O brich mein Herz!
Denn was zuviel ist, ist zuviel! Um eine –
Stirb, Seele, hin in ein entsetztes Ach! –
Um eine Buhlerin ...

Sie wankt. Glebof unterstützt sie.
GLEBOF.
Kommt, Ossudara,
Denn Ihr seid krank, und kränker, als Ihr meint.

Er führt sie durch eine Seitentüre ab.
7. Szene
Siebente Szene
Die Bojaren ohne Eudoxia. Sie stehen gruppenweise zusammen.

EINER.
Ihr Schmerz zermalmt das Herz.
EIN ZWEITER.
Das Recht' erwogen
Sind wir Ersatz ihr schuldig.
[279]
EIN DRITTER.
Sagt mir doch,
Wie war's? ...

Ein Teil der Versammlung redet heimlich untereinander.
Glebof tritt wieder ein, und stellt sich seitwärts allein.
KIKIN
zu Dolgoruki und dem Erzbischof.
Gebt acht, sie rufen sie noch aus.
ERZBISCHOF.
Verhüte Gott die Spaltung.
KIKIN.
Und das alles
Ist abgemachtes Spiel von diesem Glebof.
Hättst du uns nicht hieher geführt, Basil!
DOLGORUKI.
Ich kann's nicht glauben. Seht, er steht beiseit,
Nagt an den Lippen, birgt mit Müh' den Zorn.
Nein, das Konzept des Falschen ward verrückt
Durch jene Stürmerin. – Zagt nicht! Ein Vorteil
Ward uns bereits; das Heft der Leitung ist,
Das er so schlau uns aus der Hand gewunden,
Nun wieder ihm entschlüpft. Bleibt nur gelassen.
EINIGE
aus der Versammlung.
Ja, so soll's sein.
ANDRE.
Vivat Eudoxia!
DIE ERSTEN.
Tragt auf dem Stuhle sie durch Moskaus Gassen!
DIE ZWEITEN.
Dem Volk die neue Herrscherin gezeigt!

Sie bewegen sich gegen die Seitentüre.
[280]
LAPUCHIN
tritt ihnen entgegen.
Nein, Nieswurz für Eu'r krankes Hirn gekauft!
EINER.
Was? Du? Ihr Bruder?
LAPUCHIN.
Nieswurz sag' ich, Nieswurz!
Ich bin Eudoxias Bruder, Rußlands Sohn;
Im ersten Grad mit Rußland, nur im zweiten
Verwandt mit der Eudoxia. So steht
Mir Rußland näher. – Dank für Euer Mitleid!
Höchst grausam hat der Zar an ihr gehandelt,
Und eine Säule will ich richten lassen
Hoch, daß der Wanderer von fern sie schaut,
Woran geschrieben stehn soll, daß unschuldig
Eudoxia litt. – Rach' jenen Ohrenbläsern,
Die ihren Sturz erschlichen! Doch, wer wird
Drum herrschenswert, weil er beklagenswert?
Sie soll gerochen werden, nicht gekrönt.
EINER.
Was hast du nur? Fraunherrschaft, gute Herrschaft.
LAPUCHIN.
Für Schleicher, Klätscher, Ränkeschmiede –

Mit einem Blick auf Glebof.

Buhler! –
EINER.
Gehorchten wir nicht der Sophia?
LAPUCHIN.
Soll'n
Die Zeiten der Chawanskys wiederkehren?
Die Tage der Strelitzen-Greul? Und dann
War sie 'ne Romanow. Sind Eide nichts?
Kaum hundert Jahr, und dieser Boden hörte
[281] Die biedern Väter dem Mikaila schwören.
Der Tartar Boris hatt' in Blut getaucht,
In unsrer Väter Blut das Wappen Rußlands,
Der Busen Rußlands war zerrissen worden
Von dem verlaufnen Mönch Otrepiew,
Der zum Demetrius sich log. Wo suchte
Das Volk die Heilung? Bei dem Romanow.
So lang ein Sproß von diesem Baume grünt,
Ist's Frevel, anderswo nach Schatten spähn.
Kurz, wer ein Freund des Rechts, der folgt mir jetzt,
Und meidet diese irrende Versammlung.
Beim ew'gen Gott! Für Weiberregiment,
Das schlechtste, schimpflichste von allen, hebt
Abraham Lapuchin nicht Faust noch Schwert.
Ruft mich, wenn Glocken hall'n von Iwans Turm,
Wenn sich das Volk zur Kirche drängt, die Fürsten
Zur Huldigung bereit, am Altar stehn;
– Glebof nach seinem Rang in diesem Reigen,
Nicht eine Stelle höher oder tiefer –
Und Ihr, Herr Erzbischof, das Chrisma holt,
Den Romanow zu salben.

Er geht.
EIN BOJAR.
Recht hat er.
ANDRE.
Man muß zu ihm sich halten. Er meint's treu.
EIN ANDERER BOJAR.
Kehrt Euch nicht an den alten Murrkopf! Laßt
Uns unsern Schluß vollziehn.
KIKIN
zu Dolgoruki.
Du siehst, wie's geht.
Sprich du zu ihnen.
DOLGORUKI.
Hört mich, meine Brüder!
[282]
MEHRERE.
Was soll das viele Plaudern? Hört ihn nicht.
ANDRE.
Wir woll'n zum Schluß.
ERZBISCHOF
zu Glebof.
Glebof! stillt diese Menge!
Der Himmel wird's vergelten.
GLEBOF.
Würd'ger Bischof,
Wozu den Himmel stets bemühn?

Er tritt vor.

Bojaren!
ALLE.
Still! Hört den Glebof! Glebof redet wieder.
GLEBOF.
Bojaren! Eure Meinung hat entschieden
Für die Zariza. Nun, so wartet ruhig
Jetzt ab, wie die Zariza sich entscheidet.
Ihr saht den Zustand dieser armen Frau;
All ihre Lebensgeister kämpfen wild
Mit schmerzlicher Erinnrung; wahrlich, Brüder,
Es ist die Stunde der Entschlüsse nicht;
Doch hat das Land vor Abend noch den Herrn. –
Stärkt Euren Anhang! Ist der Zar auch tot,
So leben noch Kath'rina, Menzikof,
Und viele leben, deren Glück im Boden
Der neuen Dinge Wurzeln trieb. Sie alle
Sind unsre Feinde, heiße nun das Wort:
Sohn oder Mutter. Wacht, und rüstet Euch!

Die Bojaren gehn. Kikin, Dolgoruki und Erzbischof von Rostow wollen folgen. Diesen winkt Glebof, worauf sie zurückbleiben.
8. Szene
[283] Achte Szene
Glebof. Kikin. Dolgoruki. Erzbischof von Rostow.

GLEBOF.
Ihr kamt hieher, als Euren Nebenmann
Mich anzuwerben. Das mißlang. Ich sollt'
Am Seile gehn, und mich mit einem Brocken
Dann kümmerlich begnügen. Nun, Ihr saht;
Ich hauche mit dem Atem meines Mundes
Die Seifenblas' hinweg.
KIKIN.
Das trag' ich nicht!
Mißreden solcher Art ...
GLEBOF.
Laß gut sein, Kikin;
Ich muß das Kind bei seinem Namen nennen.
Ihr liebt mich nicht. Ich weiß das. Tut auch nichts;
Ich macht's an Eurer Stelle grad' wie Ihr.
Doch glaubt einmal; ich red' als Freund zu Euch,
Tut's Euch zu lieb', nicht mir! Ich mein' es gut.
Ihr seid die Ersten, Vordersten – nach mir.
(Seht, ich bin offen.)
Nicht mächtig g'nug, der Dinge Lauf zu lenken,
Doch stark genug, mir Widerpart zu halten.
Ihr habt zwei Wege. Stört mich, irrt mich, kreuzt mich,
Verbündet Euch dem Hasser Lapuchin,
Laßt seine Tugend Eure Maske sein,
Regt auf Parteiung! Wirkt, daß unsre Kraft,
Statt nach dem Ziel zu dringen, wie ein Kernschuß,
Zwecklos auf halber Bahn ermatte, sich
Zerstreue, unnütz kämpfend in verschiedner
Feindsel'ger Richtung! 'S ist der eine Weg.
Wählt ihn, ich hindr' Euch nicht. Ihr sollt mich finden.
Nur das vernehmt, Ihr Herrn, und glaubt, es wird
Eintreffen sicher, wie Dezemberschnee;
[284] Den Kopf bringt Ihr aus diesem Kampf nicht heim!
Denn eh' wir dessen uns versehn, und wenn wir
Recht in der Höh' und Hitz' des innern Strudels
Uns abmühn, wird ein ungeheures Schicksal
In unsrer Mitte stehn, und Freund und Feind
Mit Riesenarmen stoßen in das Grab.

Sie sehen betroffen vor sich nieder.

Des andern Weges Anfang liegt in Glebofs
Hier ausgestreckter Rechte.

Er streckt seine Hand aus.

Wer schlägt ein?
KIKIN.
Ich, wenn Du ehrlich bist.
GLEBOF.
Was willst du?
KIKIN.
Herrschen.
GLEBOF
zu Dolgoruki.
Und Ihr?
DOLGORUKI.
Nun – herrschen.
GLEBOF
zum Erzbischof.
Ihr, Hochwürd'ger Herr?
Ich bitt' Euch, sprecht aufrichtig.
ERZBISCHOF.
Hm! Die Herrschaft
Zur Ehre Gottes.
GLEBOF.
Wohl. Und herrschen will auch ich.
Rußland ist groß, man kann sich drum vertragen.

Zum Erzbischof.

Ihr sollt den Patriarchenthron besteigen.

[285] Zu Dolgoruki.

Ihr sollt das Land vom Don zur Wolga haben.

Zu Kikin.

Verwaltet Ihr Smolensk und Nowgorod.
Ich bleib' in Moskau. Ist's Euch so genehm?
ALLE.
Mag es denn sein.
GLEBOF.
So werd' ich auf der Stelle
Verfertigen den König, der uns taugt.

Die Bojaren gehen durch die Haupttüre ab. Glebof durch die Seitentüre.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Gemach bei Glebof.
Eudoxia ruht mit geschloßnen Augen in einem Lehnstuhl.
Glebof steht zur Seite, düster, in sich gekehrt.

GLEBOF.
Der erstgeborne Teufel, der Regent
Der andern all', heißt Ungenügsamkeit! –
O mir ist weh! – Mein junges Weib ging von mir.
»Stephan,« sprach sie, und blickte stolz auf diese,
»Ich will in meines Vaters Haus zurück.«
»Natalia«, sagt' ich, »warum das mir?« – »Stephan,
Du weißt es ja.« –
Ja wohl, ich weiß es. Oh! – –
Nach einer Trän' in ihrem Auge späht' ich,
Sie sah gelassen aus. Ich schwör': der Schmerz
[286] Besaß die zarte Brust wie ein Tyrann,
Doch weint sie nie! Sie hat gelächelt, als
Des Pfuschers Hand sie folterte. – So ging
Sie ohne Abschied, schweigend, leise, wie
Ein Traum der Unschuld uns verläßt, wenn uns
Die Nacht zurückgetäuscht in alte Reinheit.
O Gott, welch schwarzer Böse wicht bin ich!
Ein König gäbe seine Kron' um sie!
Ein Heil'ger fühlte seine Seligkeit
Erhöhter, säh er sie! – Und ich verwarf sie!
Es ist ein Glück für sie. Nur keine Reu!
In dieser Brust gedeiht bloß Lolch und Schierling.
An unser männlich Werk!

Er nähert sich Eudoxien und berührt sie.

Eudoxia!
EUDOXIA
fährt heftig empor.
Zerschmolz das moskowitsche Eis?
GLEBOF.
Die Guten!
Ihr habt sie so gerührt. Bist du denn endlich
Nun bei dir selbst? Kannst du ein ruhig Wort
Vernehmen?
EUDOXIA.
Aus dem Palast weggestoßen
In schale Wüstenei! ...
GLEBOF.
Um eine Buhl'rin.
EUDOXIA.
Gekröntes Gestern, ausgehöhntes Heut!
Beschimpft, zerfetzt ...
GLEBOF.
Ein pflichtgetreues Weib.
EUDOXIA.
Aus tausend Wunden blutend ...
[287]
GLEBOF.
Um 'ne Buhl'rin.
EUDOXIA.
Zerrbild 'ner Königin! ...
GLEBOF.
Tod und Elend!
EUDOXIA.
Spott!
Belachte Schmach! Zielscheib' des Ärgernisses!
O Glebof, kalter, frecher, höhn'scher Glebof,
Mir ist hart mitgespielt!
GLEBOF.
Gib dich nur hin
Dem eitlen Wortgeräusch! Verdirb die Zeit,
Die unersetzliche, mit leerer Klage!
Verstöre meinen Plan, zerbrich mein Werk!
Mich dünkt, schon naht auf tück'schen Augenblicks
Windflücht'ger Schwinge das Verderben.
EUDOXIA.
Glebof!
Ach, warum schicktest du den Boten mir
In Susdals Gruft, und hießest mich zum Leben,
Zur Hoffnung neu erwachen? Sieh, die Schlangen,
Die mir das Blut vom Herzen abgetrunken,
Waren eingeschlafen in dem Moderduft
Von Susdals Halle. Weh! Im Strahl des Lichts,
Am Frühlingswehn der Freiheit wachen auf
Die Nattern all', und ach, mein Herz hat Blut noch,
Des Bluts zu viel. Will das nicht enden? Glebof,
Wälz' deine glühnden Blicke nicht so zornig
Auf die zertretene Eudoxia!
Weißt du, wie mir zumut?
[288]
GLEBOF.
Und weißt denn du,
Wie mir zumut, seitdem ich hab' getragen
An deiner Liebe Joch?
Weißt du, wie mir zumut, wenn meine Lippen
Auf deinen Lippen ihre Gluten suchten,
Und nur Verwünschung fanden deines Feinds,
Und Sehnsucht nach dem alten Glück? – Weißt du,
Wie mir zumut, wenn lechzend deine Seele
Ich in die meine ganz zu ziehen dürstete,
Und dursten mußt' und dursten, weil dir die
Gedanken nur wandern gingen in des Zaren Haus?
Weißt du, wie mir zumut, wenn ich mir sagte:
Sie liebt dich nicht, sie feilscht mit ihren Küssen
Sich den Genossen!
EUDOXIA.
Glebof!
GLEBOF.
Fluch dem Band,
Das uns verknüpft! – Bei meinem Stamm! Wenn du
Noch säßest auf dem Thron im Kreml, und wenn
Glebof dem Throne nahte, Liebe flehnd,
Du stießest mit dem Fuße mich hinweg,
Und sprächst: »Was willst du, Wurm, von deiner Zarin?«
EUDOXIA.
Stephan!
GLEBOF.
Es mag drum sein! – Das fehlte noch.
Ich hielt mein Herz, und halt's mit eh'rner Faust,
Und will es schrein, so drück' ich's, daß es stumm
In seinen Qualen zuckt. Wir stehn zu hoch
Für Schäferleid und zarten Torenzwist.
Ich bin gefaßt, und will Vernunft von dir.
EUDOXIA.
Sprich, teurer Glebof, was ich soll?
[289]
GLEBOF.
Heut abend
Versamml' ich alle Häupter bei Alexis.
Du trittst dann schwarz, in deiner Klostertracht,
Das Kreuz in deiner Linken, und die Krone
In Deiner Rechten haltend, vor den Sohn;
Beugst ihm das Knie, und rufst, wie in Begeistrung:
»Heil unsrem Zar Alexis Petrowitsch!
Huldigt, Bojaren, Eurem wahren Herrn!«
Ich sorge für das übrige.
EUDOXIA.
Bin ich
Denn nicht vorhanden?
GLEBOF.
Das ist Eure Weisheit
Von heute früh.
EUDOXIA.
Warum dem Sohn die Herrschaft?
GLEBOF.
Ich will's! – Und hier die Gründe. Weil nur er
Die Stimmen all' besitzt, sobald die Deine
Mit in des Jünglings Waage fällt. Weil uns
Furchtbare Not einmüt'ges rasches Handeln
Gebietet ... Weil der Sinne Spaltung uns,
Die mind'ste Zögrung in den Abgrund stürzt,
Weil ...
EUDOXIA.
Weil? – Du stockst?
GLEBOF.
Eudoxia, ich muß
Ein großes Wort Dir sagen ...
EUDOXIA.
Sprich.
[290]
GLEBOF.
Ich wag'
Das Heil der Sache.
EUDOXIA.
Weil ...
GLEBOF.
– Der Zar noch lebt!
EUDOXIA.
Er lebt?
GLEBOF.
Er lebt. Sei stark. Beweise Dich
Als sein gewes'nes Weib, und fürchte nicht,
Den alle fürchten. Hör' mich aus. Die Memmen,
Sie hätten nichts gewagt an dem Lebend'gen,
So band er alle Geister zauberisch.
Drum hab' ich ihn getötet mit dem Munde.
Nun atmen sie, nun wagen sie, den Arm
Zu regen. Und bevor sein mächt'ger Fuß
Auf Rußlands Boden tritt, ist umgewandelt
Die Form des Reichs, sind Volk und Truppen schon
In Eid und Pflicht genommen, und Verzweiflung
Wird die Bojaren in dem Kampfe stärken,
Der uns bevorsteht. Es gilt Haupt und Leben
Für jeden dann. Unrettbar bloßgestellt
Hat jeder sich.
EUDOXIA.
Er lebt!
GLEBOF.
Seit Jahren sann
Ich auf den Augenblick, wo was zu wagen.
Und wie der Sternekundige nicht müd wird,
Den Lauf der Lichter
Am Firmament zu schaun; Planetenbahnen
Auszustudieren und Kometenirrläuf',
So schaut' ich unverwandt in unsre Nacht,
[291] Auf Rußlands ernsthaft-wandelnde Planeten,
Wildschweifende Kometen, kleine Monde;
In den Gesetzen ihrer Bahnen still
Sie zu erforschen. – Nun, ich weiß genug.
Vom Höchsten bis zum Niedrigsten durchdrang
Gährung die Herzen.
Was Russ' ist, steht zu uns. Und drüben sind
Glücksritter nur und eingedrungne Fremde.
Fern schwimmt der Zar auf seinem Meer. Die Truppen
Sind aus dem Land nach Mecklenburg.
Der Schwede Karl droht an der Grenze. Will
Das Schicksal uns beschützen, hat es jetzt,
Jetzt oder nimmer die Gelegenheit.
EUDOXIA.
Er lebt!
GLEBOF.
Ich hab's gesagt. Werd' ich's bereun?
EUDOXIA.
Was sprichst du da? Kennst du Eudoxien nicht?
Er lebt! Nun jauchze Herz! Weht, Wünsche, weht,
Wie rote Siegesfahnen über Trümmern!
Ich wähnt' ihn tot, da mußt' ich wohl verzweifeln;
Nur seinem Schatten sandt' ich eiteln Haß
Unmächtig nach ins nie erreichte Haus
Der ew'gen Finsternis! Er lebt! Ich kann
Ihn in Gedanken morden, martern! Was
Lebendig, steht in dem Bereich der Rache.
Jetzt schöpf ich Luft, jetzt hoff' ich schöne Tage,
Ich lieb' mein Leben, Zar, weil du noch lebst!

Zu Glebof.

Zum letztenmal vermummt, mit Kreuz und Schleier
Erwart' ich dich.

Sie geht.
2. Szene
[292] Zweite Szene
Glebof. Nachher: Ein Diener. Später: Hauptmann Markof.

GLEBOF.
Das Erste kann geschehn sein.

Er klingelt. Ein Diener tritt ein.

Ist Markof da?
DIENER.
Der Hauptmann harrt schon lange.

Diener ab. Hauptmann Markof tritt ein.
GLEBOF.
Nun Markof?
MARKOF.
Sie sind entflohn.
GLEBOF.
Wie? Beide?
MARKOF.
Beide.
Der Pastetenbäcker und die Litauerin.
GLEBOF.
Schilt unsre Feinde nicht! Laß uns sie schlagen.
Wie war's? Erzähle mir.
MARKOF.
Nach deinem Wort
Begab ich mich mit zwanzig tücht'gen Leuten
In den Palast. Wir hatten, was wir brauchten,
Stumm ihren Mund zu machen. Da vernahm ich,
Fürst Menzikof sei mit der Zarin, gleich
Sobald die Post erscholl vom Tod des Zaren,
Verhängten Zügels fortgesprengt.
[293]
GLEBOF.
Schlimm! Schlimm!
So ist uns Petersburg verloren. Wie
Steht's mit den Truppen?
MARKOF.
Nicht zu sicher, Herr.
Die Semenowskyschen sind wie im Sturm.
Sie weinten laut, als sie vernahmen, daß
Ihr Väterchen, wie sie ihn heißen, starb.
Ich sah, die die Montierung sich zerrissen
Vor ungestümem Schmerz.
GLEBOF.
Ich dacht' es fast.
Das Heer ist stets des Helden. Was zu tun?
Sie sollen all' nach Astrachan für jetzt;
Ich will's mit Bauern und Milizen machen.
Sie solln nach Astrachan. Ich will die Ordre
Gleich zeichnen. Folg mir, Markof.
MARKOF.
Menzikof
Hat auch den Zarewitsch entführen wollen.
Doch der hat standhaft sich geweigert.
GLEBOF.
Nun,
So haben wir den Prinzen. Hm! der gilt
Noch mehr als Petersburg. Moskau sei Burg
Und Grab der Tapfern! Kommt Okolnitsch Markof.

Sie gehen ab.
3. Szene
[294] Dritte Szene
Zimmer im Kreml.
Alexis. Euphrosyne.

EUPHROSYNE.
Was wollte nur der Fürst?
ALEXIS.
Weiß nicht, mein Mädchen.
EUPHROSYNE.
Ich hab' ihn niemals so gesehn, sein Antlitz
War häßlicher, als je. Er zerrt' Euch wild
Am Saum des Kleids, und nach der Türe deutend,
Rief er: »Folgt mir nach Petersburg!« Ihr rißt,
Empört von so unwürdigem Begegnen,
Euch los, und standet stolz, den Rücken wendend
Dem schlechten Mann.
ALEXIS.
Du hast nicht recht gesehn.
EUPHROSYNE.
Nicht recht gesehn?
ALEXIS.
Das tat Alexis nicht.
EUPHROSYNE.
Nun freilich tatet Ihr's. Ihr blicktet kühn;
Die Hand am Säbel, Aug' gen Himmel, fest
Auf Euren Füßen ... ach, recht wie ein König!
Ich hätt' die Hand Euch küssen mögen.
ALEXIS.
Kind,
Das war Alexis nicht.
[295]
EUPHROSYNE.
Wer war's denn sonst?
ALEXIS.
Ich kann dir das nicht sagen. Doch Alexis
War jener stolze Trotz'ge nicht.
EUPHROSYNE.
Ihr scherzt.
ALEXIS
in Tränen.
Es ist ja auch in Rußland lust'ge Zeit.
EUPHROSYNE.
Ihr habt die Laune heut.
ALEXIS.
Bleibst du dabei?
Der Menzikof ist ein verruchter Schalk,
Ein Bube und ein Wolfsherz! Ward vom Zar
Gesetzt zum Hüter seines blöden Sohns.
Ein ungetreuer Knecht! Er goß dem Sohn
Gift in jedweder Stunde Trank, erniedernd
Höchst frevelhaft den Samen Romanows!
Riß Vaters Herz von Sohnes Herzen, tückisch
Begrub er seines Herren Kind in Schmach.
Ein Bau'r empörte sich ob solchen Drangs;
Was tut's dem Zarewitsch? Alexis, wisse,
Vernahm in seinem Geiste nie das Wort
Der Ehre. »Nur der Edle fühlt den Schimpf,
Und Schmerz hört auf, wo niedrer Sinn beginnt.«
Weißt noch? So steht's geschrieben in dem Buch,
Das du mir jüngst des Abends vorgelesen.
Alexis' Brust ist ein zerstörtes Schloß,
Worin ein Frevler hauste. Wüst Getier
Durchkriecht die Trümmer. Ja, der hätt' den Mut
Gehabt, dem mächt'gen Menzikof zu trotzen!
[296]
EUPHROSYNE.
Weh, warum schmäht Ihr Euch?
ALEXIS.
Muß ich's denn nicht?
Es sagt's der Zar, ich sag's dem Zaren nach,
Der Zar hat immer recht.
EUPHROSYNE
Ihr seid nicht so.
Ich war ein armes Mädchen, näht' und spann,
Den Schwächling hätt' ich nicht geliebt! Ja, wär' ich
An deinem Platz geboren, sollte mir
Die nächste Sonn' in meiner Feinde Blut
Rot untergehn! Hut in die Stirn gedrückt,
Schwert in der Hand ...
ALEXIS.
Du bist auch tapfer, Mädchen.
Mit mir ist's anders, armes Kind. Alexis
Ist feig!
EUPHROSYNE
stampft mit dem Fuße.
Du sollst nicht lügen!
ALEXIS.
Kleine Bosheit!
Es sagt's der Zar, ich sag's dem Zaren nach,
Der Zar hat immer recht.
EUPHROSYNE.
Der Zar! Dein Feind!
ALEXIS.
Der Vater, der den Sohn doch kennen muß.
Ich will dir's auch beweisen. Sieh, den Zaren
Ergreift Gelüst, dem Türken was aufs Haupt
Zu geben, der in Stambul nickt und träumt,
[297] Und gern in Ruhe wär'! Flugs wird getrommelt
Nach Osten zu. Fünfhundert Feuerschlünde
Sie donnern Schreck ins Herz dem Padischach.
Ist's dort vorbei, geht's an den Schweden, der
Uns auch wohl ließe, ließen wir ihn nur
Sein Haferbrot verzehren. Schuß um Schuß!
Der Schwede flieht, man nimmt ihm ein Stück Land.
So gibt es Schlacht auf Schlacht, und Sieg und Ruhm,
Und Orden für die Tapfern. Mich, mein Mädchen,
Sah nie der Batterien gekrauster Dampf.
Ich hab' mich krank gemacht, um wegzubleiben.
Lorbeern von ihm! O pfui! Bei St. Georg!
Riss' auch der Zar die große Gottessonne
Vom Himmel, sprach': »Die Sonne geb' ich dir
Als Ordensstern für deinen ersten Sieg!«
Mich reizt' es nicht. So bin ich nun. Gott helf mir!
Da frag' ich dich, ob das nicht Feigheit ist?

Ein Schuß fallt durch das Fenster. Euphrosyne fliegt mit einem Schrei an Alexis Brust.

Bist du verletzt?
EUPHROSYNE.
O Gott!
ALEXIS.
Doch nicht verletzt?
EUPHROSYNE.
Ach was war das?
ALEXIS.
Ein Schuß, der mir vermutlich
Beschieden war von einem Dienstbeflissnen,
Den Zar der fernem Sorge zu entheben.
Du bist doch wirklich nicht verletzt?
EUPHROSYNE.
Nein! Nein!
Ach, meine Glieder zittern!
[298]
ALEXIS
lächelnd.
Zarte Heldin!
EUPHROSYNE
sich in Alexis Arme aufrichtend.
Und du? Wie ist's mit dir?
ALEXIS.
Was meinst du?
EUPHROSYNE.
Gib
Mir deine Hand.

Alexis reicht ihr die Hand.

Ei, die ist warm. So warm,
Als wie vorher.
ALEXIS.
Nun, warum soll sie kalt sein?
EUPHROSYNE
die Hand auf Alexis Brust legend.
Dein Herz, wie ruhig schlägt es!
ALEXIS.
Pocht das deine?
EUPHROSYNE.
Bist du denn nicht erschreckt?
ALEXIS.
Erschreckt? Wovon?
Ah so, der Schuß!
EUPHROSYNE.
Ihn wollten sie ermorden!
O du mein Herz! Dich! Dich! O die Verworfnen!
ALEXIS.
Sie weint und zittert. Wenn man es noch hört,
Da hat's ja keine Not. Beruh'ge dich.
[299]
EUPHROSYNE.
Ach, wie wird's enden, Lieber?
ALEXIS.
Hast du Furcht?
EUPHROSYNE.
Schilt mich, ich sollte stärker sein. Ach Lieber,
Wie endet dies?
ALEXIS.
Was soll an mir geschehn?
Das Schreckliche liegt hinter mir. Die Kugel,
Nun ja, sie hätt' mich treffen können. Selig,
Betaut von deiner Augen mildem Guß,
Ruht' aus der Zarewitsch. Sie flog vorbei. –
Tat nicht ihr äußerstes die Wut an mir?
Ward ich nicht abgesperrt von meinen Freunden,
Bewacht, gehegt, wie ein gefährlich Wild?
Wann sah ich einen Menschen? Weht das Lüftchen
Von draußen, das dem Sohn des Zaren Nahrung
Zu frevelnden Gedanken brächte? Ward
Die eigne Mutter nicht dem Sohn versagt,
So oft er auch gefleht, daß er die Hand
Dürft' küssen, die des Knäbleins schwachen Schritt
Gestützt! O meine Mutter! – Euphrosyne,
Gestorben bin ich schon – und Leichen sind
Frei, unantastbar.
EUPHROSYNE.
Du hast einst geatmet!
Vergiß'st du, was gewesen?
ALEXIS.
Das vergab er.
EUPHROSYNE.
Wenn du die ganze Wahrheit ihm bekannt.
[300] Alexis Mein Los verdient' ich, hätt' ich das getan.

Nach einer Pause.

Wir haben in Gedanken uns gewiegt,
Aus Einbildungen uns den Thron gebaut,
Empörung in der Wünsche luft'gem Reich
Gesponnen, bei des Vaters Leben, endlich
Es bis zur Flucht getrieben, um den Arm
Des Kaisers zu gewinnen für die Sache
Notschreinder Fürstensöhne! – Ha, es war
Nicht Recht! – Wer aber wagt, mir's vorzuwerfen?
Ich kam zurück, hab's eingestanden!
EUPHROSYNE.
Nahmst
Großmütig alles auf dein Haupt. Wart Ihr
Der einz'ge Schuldige?
ALEXIS
nach einer Pause.
Ich war es nicht.
Es sannen andre mit mir. Heimlich lief,
Gleich einem stillen Feu'r, mein Name durch
Des Reiches Adern. Was da litt und grollte,
War mein Vasall. Genug davon. Du weißt's.
Geh hin. Gib's an.
EUPHROSYNE.
Mitunter denk' ich, hier
Könn' ich auch dazu kommen. Laßt, ich bitt' Euch,
Die Briefe mich verbrennen.
ALEXIS.
Von der Mutter?
Tu's; wenn es dich beruhigt.
EUPHROSYNE.
Gleich geschieht's.

Sie will fort.
[301]
ALEXIS
hält sie zurück.
Es soll nicht sein. In ihren Zügen lacht
Durch allen wilden Schmerz, und durch den Frevel
Verwegner Plane, wie ein Götterantlitz
Die ganze Zärtlichkeit der Mutter. Mich
Erkiest sie drin zum Ritter ihres Unglücks;
So hat die Mutter ihren Sohn geehrt!
Zwei Menschen lieb ich auf der Welt,
Dich und die Mutter! Jeder Strohhalm ist,
Den Eure Finger rührten, heilig mir.
O wenn ein teures Haupt geschieden ist,
Dann möchten wir das Stäubchen selbst besitzen,
Auf das der Fuß des lieben Toten trat. –
Sie stirbt doch einst! Die Briefe meiner Mutter
Solln nicht verbrannt sein. Still von dieser Not,
Wenn du mich liebhast. Von 'ner andren: Hör,
Ich hab dir lang was sagen wollen. Heut
Ist's neu emporgeregt.
EUPHROSYNE.
Was meint Ihr, Prinz?

Alexis sieht starr vor sich hin.

Nein, sprecht denn auch. Ihr starrt hinaus, Ihr macht
Mir durch das Schweigen bang.
ALEXIS.
Die Welt ist ja
Nur eine Hölle! – – Ha, wozu das Tröpfchen
Von Freude in dem Ozean der Qual? –
Ich bitt' dich, liebe Euphrosyne, sei
Nicht bös, tu' ich dir weh.

Er tritt zu ihr und berührt ihr Haupt.

Senk deine Augen!
Seh' ich in die, vermag ich's nicht. – – Es ist
Durchaus bei mir entschieden. – Einz'ge Liebe:
Du mußt mich heute noch verlassen!
[302]
EUPHROSYNE.
Prinz?
ALEXIS.
Du mußt mich heute noch verlassen, Mädchen!
Sei still, und blick nicht auf. – Als ich dich fand
In deiner Fischerhütt', ein köstlich Perlchen
Am Meer, da dacht' ich: willst die Perle fassen
Ins Diadem, daß sie der Neid des Stolzen,
Die Lust der Guten sei, des Herrschers Wonne.
Und nahm die Perle auf vom Strand des Meers,
Und wahrte sie am Busen ...
EUPHROSYNE.
Alexis!
ALEXIS.
Anders
Ist es gekommen! – Meine Perle liegt
In eines Bettlers Hütte!
Fluch dem, der seine Lieb' zu sich erniedrigt!
Ich wollte dich erhöhn, das konnt' ich nicht,
Erniedrigt dich zu sehn, das duld' ich nicht:
Du mußt mich heute noch verlassen, Kind!
EUPHROSYNE.
Seid Ihr zu End'?
ALEXIS.
Er hat gewagt, vor deinem,
Vor der Geliebten Auge, Hand an mich
Zu legen! Er, der Knecht, der in dem Staub
Sich vor Alexis winden müßte, gäb's
Noch Väter, welche ihre Söhne höh'r,
Als ihre Grillen hielten – –
Vor deinen Augen, die vom Glanz der Majestät
Geblendet, schwimmend zucken müßten, staunend:
Ob dieser Glänzende Alexis sei?
Vor deinen Augen schändet mich der Knecht!
Das darf nicht wiederkehren! Geh hinaus,
[303] Verlaß den Kreml. O glaube, niemand hält dich,
Sprichst du: »Auch ich lass' jetzt den Zarewitsch«.
Zeuch einsam, stumm die Straße bis zum Meer,
Wo deine Hütte steht! Dort birg dich, Liebe,
Und harr' ein Weilchen! Bald, bald kommen Träume,
Trosthelle Träume dir. Vom großen Prinzen
Alexis, der in Macht und Herrlichkeit
Saß auf der Väter Stuhl; und – der dich lieber
Gehabt, als all' die Macht und Herrlichkeit! –

Er umfaßt sie.

Willst du wohl wandern gehn, daß bald so schöne,
So sanfte Träume kommen?
EUPHROSYNE.
Ich verlange
Nach Träumen nicht, mein Wachen ist mir süß.
Verbannte Fürsten suchen Einsamkeit,
Und leben dort in Frieden. Frischer grünt
Das Blatt des Baums, die Blume duftet würz'ger,
Kann Blatt und Blume einen König trösten.
Alexis! Deines Mädchens Brust ist nur
Ein Gärtlein, wird dir Rußland nicht ersetzen!
Doch alle Veilchen, die drin blühn, die Rosen,
Die drin sich aufgetan, und jeder Keim,
Der drinnen sproßt, das alles sproßt und blüht
Doch nur für dich! Das arme Gärtchen ist
So glücklich, daß es treu dem König blieb.
Du mußt, mein stolzer Prinz, dem stolzen Ding
Schon seine Laune lassen!

Sie entfernt sich.
4. Szene
Vierte Szene
ALEXIS
allein.
Halte fest,
Du Bild dort in den Lüften, goldne Krone!
[304] Halt stand der Faust, wie du dem Blicke standhältst!
Du schimmerst göttlich-lockend.
Weg Phantom!
Nein, bleib Phantom! Dies sind Gedankensünden.
Sie sind uns noch erlaubt. Die andern hat
Der Zar uns wohl verboten. Warum bin ich
Zu herrschen unwert?

Er geht nach dem Getäfel, in welches der Schuß gedrungen ist.

Mörderische Kugel,
Du hättest hier –

Auf seine Brust deutend.

Nicht lauter Tand und schimpfliche Gesinnung
Getroffen. Bei dem Blut der Romanow!
Kam' der Tartar, der Pol' vor Moskaus Tor,
Er sollt' erfahren, daß der Stuhl des Rurik
Von einem Zar besetzt sei. –
Wahn und Schaum!
Hier steht der Knabe mit der leeren Tasche,
Und schwatzt vom großen Lose. Armer Tor!
Wo dreht dein Glücksrad sich? Du hast den Einsatz
Nicht wagen wollen!
5. Szene
Fünfte Szene
Die Flügeltüre im Grunde öffnet sich. Man sieht in eine große, erleuchtete Halle.
Eudoxia steht in der Türe, in Klostertracht, das Kreuz in der Linken, die Krone in der Rechten. Glebof, Dolgoruki, Kikin, der Erzbischof von Rostow hinter ihr. In der Halle viele Bojaren, darunter Lapuchin.

EUDOXIA.
Sohn!
[305]
ALEXIS
sich umwendend und zurückfahrend.
Was!? Hat das Reich
Der Unterwelt begonnen? Schickt das Grab
In unsre Wüstenei Gesellschaft? Fort!
Ich bin kein Mann für solchen Anblick!
EUDOXIA.
Sohn!
Sohn, komm zu uns, sei dieser Fürsten Herr!
Die Toten stehen auf, die lebten, starben
Ich bin die Mutter, das ist Ruriks Reif!
ALEXIS.
Du bist die Mutter, das ist Ruriks Reif!
DIE BOJAREN.
Heil unsrem Zar!
ALEXIS.
Die Züge sind's, es ist
Der Schlei'r, das Klosterkreuz!
DIE BOJAREN.
Heil unserm Zar!
ALEXIS
mit einer wilden Bewegung.
Verräter, tretet ihr zu meinem Feinde?
DIE BOJAREN.
Heil unsrem Zar Alexis Petrowitsch!
ALEXIS.
Das ruft, als wär' es außer mir, doch sind's
Nur arge, list'ge Larven meiner Brust! –
Ich weiß, ihr schwindet, nah' ich mich, in Dunst,
Doch ihr umstrickt mich mit des Zaubers Kunst!
Habt mich! Hier bin ich! Gebt mir meine Krone,
Denn wie dem Vater, eignet sie dem Sohne!

[306] Er eilt durch die Flügeltüre ab, die sich hinter ihm schließt. Trompeten und Pauken hinter der Szene.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
St. Petersburg. Gemach im Palast.
Katharina. Menzikof treten ein.

MENZIKOF.
Nun Martha, müde von der Reis'?
KATHARINA.
Ein wenig.
Wir eilten ja, wie unterm Mantel Fausts.
MENZIKOF.
'S tat not. Ich kenne unsre Feinde. – Doch
Ich denk', die Hoffnung hab' ich ihnen gänzlich
Benommen, etwas durchzusetzen.
KATHARINA.
Wie?
MENZIKOF.
Sie münzen Aufruhr; das Gepräge macht
Die Münz', und mit dem Stempel wird geprägt,
Und den zerbrach ich ihnen.
KATHARINA.
Menzikof,
Du jagst mir Schrecken ein. Du bist so heftig!
Ich sah dich heimlich sprechen mit dem Dentschik,
Eh' wir von Moskau flüchteten.
[307]
MENZIKOF.
Der Dentschik
Hat eine gute Buchs' und ist ein Schütz,
Der seinen Mann trifft. Und der Zarewitsch
Ist – nicht von Eisen. Wie die großen Bärte
Erstaunen werden, sehn sie ihre Fahne,
Die alles führen, alles heil'gen sollte,
Zerschmettert und zerfetzt!
KATHARINA.
O Menzikof!
Ein Mord? ...
MENZIKOF.
Laß gut sein, Martha. Es war ratsam,
War nötig, war das kürzeste. Solang
Der Knabe lebt, ist unsre Hoffnung tot.
Zwar er entsagte. Possen! Würd' er Mönch,
Wir wären noch nicht sicher. Keinem nagelt
Man die Kapuze auf den Kopf. Das lehrt
Ihn Stephan Glebof. Kurz, der Anlaß bot
Sich jetzo meiner Hand. Sein Widerstand
Bracht' es zur Reife. Er ist nicht so schwach,
So stumpf, wie man ihn glaubt, wie ihn der Zar
Sich träumt, weil er ... ja, weil er von ihm weiß,
Was ich, daß er es wiss', für gut befinde.
Er war uns weit gefährlicher, als du
Dir ihn wohl vorgestellt, und würd' inmitten
Der tollen Köpfe, die ihr altes Reich
Von seiner Jugend wollen, dermaleinst
Das Feuer sein, das unsre Saaten fräße.
KATHARINA.
Unschuldig Blut vergossen! – Daß man brav,
Und doch so grausam sein kann! Armer Prinz!
MENZIKOF.
Laß gut sein, Martha. Du bist weich, du hast
Das beste Herz. Bekümmere dich um mich,
[308] Und meine Schritte nicht.
Der Fluch sei mein, der Segen bleibe dir;
Rein sollst du pflücken meiner Sorge Frucht.
Er hat dich mir geraubt, dafür will ich
Zu dieses Reiches Throne dich erheben!
Das ist mein Dichten, Trachten. Das der Wunsch
Des Tags, der Traum der Nacht. Das grub der Stirn
Die tiefen frühen Arbeitsfalten ein.
Mag er das Weib besitzen! Doch dem Künstler
Verbleibt sein Werk. Die Königin gehört
Nicht dem Geschlecht! Wenn dich der Purpur schmückt,
Von meiner Hand gewebt, hat Menzikof
Dich nie verloren.
KATHARINA.
Guter, treuer Freund!
Du siehst in mir, was deine Lieb' in mir
Erblicken will. Aufricht'ge Neigung ist
Ein Licht, das von dem Geber strömt, holdtrüglich
Den Gegenstand in seine Strahlen hüllt.
Sieh ohne Schimmer mich; er ist nicht mein.
Ich bin nur eine Frau! Grad' klug genug,
Zu wissen, daß der Frauen höchste Weisheit
Vertrauen zu dem weisern Manne ist.
Versuch mich nicht! Ich möchte gar zu gern
Von diesem Lote Urteil, das mir eigen,
Nichts missen, Menzikof. Das Weib sei dienstbar!
Im Tal gepflanzt, wie soll't ich oben stehn?
Gehorchen lernt' ich; das Gebieten lehrt
Kein Gott dem Schwachen.
MENZIKOF.
Liebenswürd'ge Demut! –
Was das betrifft, verlaß dich ganz auf mich.
Denn deines Armes Arm wird Menzikof,
Und deines Mundes Mund wird Menzikof
Für alle Zeiten sein. Du sollst genießen.
Die Müh', der Schweiß, die Pein für Menzikof,
Für Katharinen Freude, Lust und Pomp!
[309]
KATHARINA.
War's möglich ... wär' es irgend denkbar ... wär's
Nur freilich so gedenkbar, Menzikof!
Ach Freund, ich hab' ganz andre Ding' im Sinn.
Recht bis ins Herz bin ich betrübt. Der Aufruhr
Wird übergehn, wie viele übergingen!
Wer aber hält des Herren Werk? Dies Rußland,
Sein Rußland ist die Riesensäule, halb-
Vollendet von dem bauenden Giganten.
Was sind wir andern? Wer beschließt den Bau,
Wenn der erhabne Meister scheidet vom
Unfert'gen Werk?
MENZIKOF
lächelnd.
In deinem Bild zu bleiben:
Wir lassen diese Riesensäule stehn,
So wie sie steht, und tun nichts ab, noch zu.
Verwittert sie; ganz wohl! Zerfällt sie; recht!
Die Mauern Babylons sind auch ein Staub.
Du sollst mich glühn sehn für des Meisters Werk,
Solang die Glut mir Meisters Gnade schafft.
KATHARINA.
Nicht länger?
MENZIKOF.
Keinen Augenblick. Drei Regeln
Merk, Martha, dir. In zwanzigjähriger Schule
Hab' ich die Sprüch' erlernt. Zum ersten wisse:
Wer Menschen bildet, ist sein eigner Feind,
Denn leichter herrscht sich's über Dumme. Zweitens:
Rußland ist noch der Erde schönstes Los,
Wenn auch der Schwed' hier wieder Kupfer gräbt,
Und Petersburg zum Sumpfe wird. Das dritte
Sag' ich ins Ohr dir. 'S ist für Eingeweihte:
Ein großer Mann ist nur ein großer Tor.
KATHARINA.
Meinst du das wirklich so?
[310]
MENZIKOF.
Daß ich's gesagt,
Beweist, daß ich's so meine.

Ein Page tritt auf.
PAGE.
Fürst, man sucht Euch.
MENZIKOF.
Wer sucht mich?
PAGE.
Boten von Moskau und vom Meer.
MENZIKOF.
So gibt es Neuigkeit zu Land und Wasser.

Zum Pagen.

Führ' sie ins rote Zimmer.

Page ab.

Haben wir
Uns nicht vertieft in ein Gespräch, als ob
Wir auch bereits des Glebof Märchen glaubten!
Von Moskau und vom Meer? Die Boten bringen
Den Sinn zur Gegenwart zurück. Nun Martha,
Laß uns auf unsren Pfad sehn.

Ab.
2. Szene
Zweite Szene
KATHARINA
allein.
Wer hat dir
Gesagt, daß wir zusammen wandern? Jetzt
Hab' ich dir in das Herz geschaut. – Du warst
Mir stets unleidlich, meiner Niedrigkeit
Verhaßter Spiegel! Martha nennst du mich ...
Katharin' Alexiewna soll gedenken
Des Mädchens von Marienburg. Du willst
[311] Die Bäu'rin auf dem Thron! Wie gut! Die Bürde
Nimmst du auf deine Schultern. Welche Großmut!
Man wird dir innig dafür danken müssen. –
Armseliger! Was kannst du? Morden. – Was
Ist all dein Witz? Ein wenig Lügen, Fälschen,
Und Geld zusammenraffen. Ja, um Gold
Verkauftest du Provinzen. Schmutz'ger Mäkler!
Wär' ich ein Mann, der Schwede sollt' es fühlen,
Das letzte Blut des Herzens strömt' ich hin
Für unser Petersburg!
Weh mir, daß ich ein Weib bin! Wir verfehlten,
O wir mißratnen Wesen! – Grausam gibt
Der Himmel Schönheit uns. So schenkt man Kindern
Haus, Hof und Stadt in einem Weihnachts-Kästchen.
Sei auch die Frau vollkommen, ist sie doch nur
Geschmücktes Nichts. Das Erz wächst für den Mann,
Die Eiche streckt sich, daß als Kiel dem Mann
Das Meer sie gebe unter seine Füße;
Die Völker schwellen an, damit der Mann
Mehr Diener habe, und der Himmel schuf
Der Sterne Heer, damit der Mann da droben
Unendliches in seinem Geist erobre,
Wenn er die Endlichkeit bezwungen hat! –
Und blieb uns gar nichts? Sind wir denn so ganz
Verwahrlost? Nein, wir haben auch ein Erbteil;
Gefäll'ge List, und eignen tiefen Sinn,
Einfält'ge Schalkheit, Lächeln in dem Herzen,
Im Auge Tränen! Auf der Lippe: »Ja«,
Im Haupte: »Nein«; und Schritte, zu leicht und leis
Für Euer Ohr. –

Sie macht einige Schritte in Gedanken. Dann ruft sie aus.

Wir wollen Kön'gin sein,
Doch nicht von deiner Gnade, Menzikof! –
Mein Leben ist ein Märchen. Keuchend grub
Der Vater seinen Acker, und – ich teile
Des größten Herrschers Bett. 'S ist alles! – Nichts!
Zitternd begann das Märchen ich zu lesen,
Jetzt bin ich eingelesen, und ich weiß,
[312] Daß diese Wunderfabel nur zum Schluß
Durch Wunder kommen kann. –
So wandre einsam
Geheimen Gang! Vertraue keinem! Sei
Dir selbst ein stummes Rätsel. Wie die Nacht,
Erzeug' in schwarzen Schatten, unbegriffen
Dir dein Geschick.

Sie sieht sich um.

Die Larve vor das Antlitz!
Hier kommt der Mann, der uns zu leiten denkt.
3. Szene
Dritte Szene
Menzikof. Katharina.

MENZIKOF
mit Briefen.
Da sind besondere Sachen, zwiegestaltet.
Von Kronstadt ward ein Schiff signalisiert,
Apraxin sagt, es sei des Zaren Flagge.
In Moskau griff der Aufstand weiter um sich;
Die Bauern rundumher stehn unter Waffen,
Nach Pleskow, Twer und Tula sind Rebellen
In Haufen abgegangen. Ernstlich scheint's.
Mein Dentschik fehlte.
KATHARINA.
Danke Gott.
MENZIKOF.
Wofür?
KATHARINA.
Daß er dich rein von Schuld erhielt.
MENZIKOF.
Zu weichlich,
Zu weichlich bist du, Martha. Schlimme Zeit!
[313] Ich darf dir keine Ruhe gönnen. Eilig
Dem Zar entgegen auf der schnellsten Jacht!
KATHARINA
durch das Fenster blickend.
Es ist so stürmisch.
MENZIKOF.
Hilft nichts; mir ist banger
Vor ihm, als vor dem Sturm. Wir müssen eifrig
Uns zeigen, und zuerst dem Herrn begegnen,
Sonst laufen die Verleumder uns den Rang ab,
Und schwärzen unser Handeln an. Ich fürchte
So ein Gewitter. Wenn man's recht nimmt, konnt'
Ich anders wohl verfahren. Liebe Martha,
Verlaß mich nicht, wenn es den Ausbruch gibt!
KATHARINA.
Katharinens armer Witz, gering Vermögen
Ist Menzikofs.
MENZIKOF.
So komm; dem Herrn entgegen!

Beide ab.
4. Szene
Vierte Szene
Auf dem Verdecke eines Schiffs. Im Finnischen Meerbusen. Sturm.
Der Steuermann auf einem erhöhten Platze am Steuerruder. Zwei Matrosen.

ERSTER MATROSE.
Ihr müßt mehr links halten, Steuermann.
[314]
ZWEITER MATROSE.
Nein, rechts mehr. Links kommen wir auf die Bank.
ERSTER MATROSE.
Steuermann, Ihr fahrt uns ja in die Klippen.
ZWEITER MATROSE.
Grigori, nimm Vernunft an!

Vom Mastkorbe wird gerufen: »Vorgesehen! Vorgesehen!«.
STEUERMANN.
Ja doch!
ERSTER MATROSE.
O böse Stelle!
ZWEITER MATROSE.
O greuliches Wetter!

Signalschüsse. Gleich darauf wird gerufen: »Ein
Boot! Ein Boot!«.
STEUERMANN.
Da kommen noch mehr Narren, die mit uns ersaufen wollen.
ERSTER MATROSE.
Denkst du, daß wir ersaufen werden?
STEUERMANN.
Wer kann vor Unglück?
ERSTER MATROSE.
O heiliger Georg!

Währenddessen wird von draußen wiederholentlich gerufen: »Vorgesehen!«.
5. Szene
[315] Fünfte Szene
Zar Peter. Oberst Gordon. Vorige.

PETER.
Was für ein Lärm?

Zu den Matrosen.

Auf Euren Posten, Mannschaft! –

Zu Gordon.

Dies Volk, zu Lande brav, ist blöd zu Wasser,
Und früher ging mir's selber so, mein Gordon.

Zu den Matrosen.

Ein Schiffer heult nicht um die Wette, merkt's Euch,
Mit Wind und Welle. – Eines Seemanns Antlitz
Ist, wie die Tiefe, stumm. Ich war, ihr Kinder,
Auf einem engeländschen Schiff im Sturm;
Doch wenn ich sagen wollt', es wär' dort anders,
Dort lauter zugegangen unterm Volk,
Als wie gewöhnlich, sagt' ich nur, was falsch.
Sie denken so: Zeigst du dem Meer die Furcht,
So macht es dich zu fürchten. 'S ist ein Prahler,
Der gern sich brüsten mag. Und was ein Brite
Imstand zu leisten ist, das, mein' ich, leisten
Wohl meine Russen doppelt. An die Arbeit!
Die See geht etwas hoch, das ist's, nichts weiter.

Die Matrosen gehn ab. Der Sturm ist stärker geworden.

Gordon Nebst einem Stückchen Schiffbruch allerhöchstens.

Über die Galerie blickend.

Das Meer, der Himmel sind ein kochender Brei,
Und bald im Munde haben wir die Probe.
Das kracht und schäumt! Am hohen Firmament
Zerreißen Blitze fahle Wolkenschichten,
Und durch die Spalten schießt ein gräßlich Licht
Auf diese Klippen, die wie Leichensteine,
Im weiten, nassen Kirchhof starr'n.
[316]
PETER.
Wer sagt dir,
Daß hier ein Kirchhof sei?
GORDON.
's ist eine Phrase.
Vor einer Schlacht, und in dem Sturm nimmt man's
Mit Worten nicht genau. Man spricht was hin,
Die Zeit sich zu vertreiben. Großer Zar,
Die Bucht von Kronstadt wäre wünschenswert,
Denn, unter uns, hier ist's verdammt gefährlich.
PETER.
Wo wäre nicht Gefahr? Und die, mein Gordon,
Aus der man nicht entrinnen kann, scheint mir
Die mindere zu sein. 'S gibt nur ein Unglück,
Und das heißt: Fliehn.
DER STEUERMANN
fällt an seinem Platze auf die Kniee.
O heil'ger Niklas, hilf!
GORDON
ist zum Steuermann getreten.
Goddam! Wir sind verloren!
PETER
besteigt den Platz am Steuerruder, und rückt an letzterem.
Schief gewandt!
So bricht man eine Strömung.

Zum Steuermann.

Sieh jetzo
Auf mich, und lerne, wie man steu'rt. Dein Zar
Wird dieses Schiffes Lenkung übernehmen.
Es ist, ich wiederhol's, kein rechter Sturm,
Sonst würden wir es lassen müssen. Doch
Dagegen kann man noch. Beruh'ge dich!

[317] Der Steuermann erhebt sich, und tritt zum Zaren.

Du fehltest nicht, die fehlten, die zu früh
In dieses Amt dich setzten.
GORDON.
Um und um
Gewirbel, Sandbank, Riff! Der Böse macht
Des Glebof Lüge wahr.
PETER
nach den Masten hinrufend.
Den Bogspriet nieder!
Die Segel ein! Mannschaften an die Pumpen!
Wär' ich der röm'sche Narr, ich spräche: »Schiff,
Du trägst den Cäsar und des Cäsars Glück«. –
Ei nun, ein Zar ist auch noch nie ertrunken.

Donnerschläge.
6. Szene
Sechste Szene
Katharina. Menzikof treten auf. Die Vorigen.

PETER.
Da kommen zwei, die ich nicht hören will.

Zu Gordon.

Schick sie in die Kajüte.
KATHARINA.
Sturm und Not!
Uns schreckt' es nicht. Du zürnst; was ist ein Sturm?
PETER
rückt am Steuer.
Zum Steuermann.
Mit solcher halben Wendung kommt das Schiff
Grad' um den Vorsprung dort.
[318]
STEUERMANN.
Der Zar versteht's!
PETER.
Es sind nur ein paar Handgriffe, mein Sohn,
Die man recht innehaben muß. Und dann,

Er klopft ihm auf die Schulter.

Hübsch Ruh' und kaltes Blut!
MENZIKOF
zu Katharinen.
Sprich! Laß nicht ab!
KATHARINA.
Kein Wort der Liebe, o mein güt'ger Herr?
Wir sind noch Neulinge. Ich hab' gefehlt,
Nur ich, dein schwaches Weib. Dein Menzikof,
Er wär von Moskau nimmer fortgegangen.
Denn bleiben wollt' er, ja, bei Gott, er wollt' es,
Daß er geflohn, ist, ach, mein rasend Werk!
MENZIKOF.
Großmüt'ge Lügen hörst du, Majestät.
Nein, bleiben wollte sie, bei Gott, sie wollt' es,
Und daß wir flohn, ist, ach, mein rasend Werk!
PETER
zum Steuermann.
Hier wallt die See zu stark für unsre Kraft.
Sieh her.

Am Steuer rückend.

Dann stellt man ganz das Steu'r zur Seite,
Den Stoß nicht zu vermehren.
KATHARINA.
Sind wir schon
Gestorben, Menzikof?
[319]
GORDON
zu Katharinen.
Geht, gnäd'ge Frau.

Zu Menzikof.

Fürst, wählt die bessre Stunde. Bei St. Dunstan!
Der Himmel macht ja Lärm genug.
PETER.
Gordon!
GORDON.
Zar!
PETER.
Was verwirken nach des Reichs Gesetz
Statthalter, die vom Posten fliehn?
GORDON.
Das Leben.
PETER.
Es hat sich kürzlich sowas zugetragen.
Vielleicht lass' ich die Schuld'gen ...

Starker Donner.
GORDON.
Herr! Denk' nicht
An dein Gericht. Dies Wetter macht aus uns
In zwei Minuten ein Gericht für Fische.

Ein gewaltiger Donnerschlag. Geschrei vom Mastkorbe und aus dem Innern des Schiffs.
KATHARINA UND MENZIKOF
zugleich.
Wir scheitern!
GORDON
zugleich.
Himmel sei uns Sündern ...
PETER
über den Bord gelehnt, drohend.
Du!!
[320]
STEUERMANN.
Nein Herrn! Nun ist's vorbei. Das war das Letzte.
So kommt es immer.

Der Sturm läßt nach.
GORDON.
Traun, die Luft wird hell.
Ein neues: »Quos ego«!
Ist hier kein Rubens, den Neptun zu malen?
Verdrießlich, gelb vor Ärger, kriecht das Meer
In seine Bucht,
Vom Herrn gescholten, wie ein murr'nder Hund!
PETER
in den Anblick des Meers versunken.
In deinem Grimm, in deiner Milde schön!
Atem der Erde! Mein geliebtes Meer!
Rußland hat wider seinen Arzt und Heiland
Den Schild erhoben, und das Schwert gezückt,
Und Ehr' und Treu' geworfen in den Winkel.
Und das empfandest du. Die Menschen sind
Gemein und bös. Das Element empfand
Die Kränkung seines Herrn.

Zum Steuermann.

Jetzt fahr' du besser.

Er steigt von dem Platze am Steuerruder.

Wir sind vor Kronstadt.

Hinausrufend.

Werft die Anker aus!

Er kommt in den Vordergrund.
KATHARINA.
Es muß gewagt sein.

Sie zieht einen Dolch aus dem Busen.

Gordon, nimm den Dolch!
GORDON.
Besinnt Euch doch, Zariza.
[321]
KATHARINA.
Nimm den Dolch!
Und sage deinem Zar, weil er sein Aug'
Von Katharinen wandte, soll den Dolch
In ihre Brust er stoßen. Sie versteht nicht
Zu leben ohne seine Gunst.
MENZIKOF.
Und ich,
Fürst Menzikof, will gleichfalls sterben, Gordon!
PETER.
Gordon, gib diesen Dolch zurück der Frau,
Und sag der Künstlerin: Zar Peter sei
Kein Bühnenheld und kein Theaterkönig.
Wer Rußlands Freund, sei sein Freund; wie man ihn
Für die Person verehr' und liebe, gelt' ihm
Ganz gleich.

Katharina und Menzikof entfernen sich mit Zeichen der Bestürzung.

Ich geh' nach Moskau. Mich empfängt
Das Land, wie immer, mit Geschäften. Nun,
Was jetzo zu besorgen ist, das denk' ich
Zu enden so, daß nichts dergleichen wieder
Mich je behell'gen soll.
GORDON.
Es ist ein Sprichwort:
Wer hastig jätet, rauft mitsamt dem Unkraut
Die Blumen aus.
PETER.
Gordon, ich hab' nicht Zeit
Zu langem Umschweif, Prüfen und Erwägen.
Ich bin jetzt fünfzig, und durch mein Gebein
Schleicht ein verborgnes Gift. Wie manches gibt
Es noch zu schaffen! Diese Fahrt legt mir
Schon wieder etwas auf. Das Meer ist schlimm.
[322] Leicht scheitert hier ein Schiff. Wir woll'n zurück,
Wenn wir in Moskau unser Werk getan.
Hier muß man Lotsen haben, tücht'ge Lotsen. –
Sobald der Zarewitsch enthauptet ist ...
GORDON
im höchsten Erstaunen.
Sobald der Zarewitsch ...?
PETER
gleichgültig.
Enthauptet ist,
Will ich hier eine Lotsenschul' errichten.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
Zimmer bei Dolgoruki.
Dolgoruki. Ein Adjutant.

DOLGORUKI.
Sind sie im Marsch?
ADJUTANT.
Die Trommel ward gerührt,
Grad, als ich Twer verließ.
DOLGORUKI.
Ist Schepelew
Mir sicher? Hast du ihn erforscht?
ADJUTANT.
Der Oberst
Ist ganz für dich gewonnen, und du darfst,
Ich bin des Bürge, auf ihn zählen. Lachend
[323] Sieht ihn das Glück, das du ihm zeigtest, an.
Auch hält er's für erlaubt, daß du den Zügel
Der Ding' ergreifst, weil du der erste bist,
Der ältste der Bojaren. Pflicht und Vorteil
Vereint, treibt ihn zu dir.
DOLGORUKI.
Das wär' in Ordnung.
Du kennst dein Amt. Wir lassen jetzt Alexis
Ausrufen, krönen in der Kathedrale
Zur Himmelfahrt Maria. Heut zu Nacht
Gibt's Fest und Lustbarkeit. Die Truppen bleiben
In der tartarischen Sloboda. Sprich,
– Wirst du gefragt – gleichgültig von dem Marsch,
Als einer Sach', die sich von selbst versteht;
»Denn eine Garde muß der neue Herr
Doch um sich haben« – Nachts, wenn alles still,
Und seinen Rausch das Volk verschläft, führst du
Das Corps in Moskau ein. Sie werden truppweis
Auf allen Plätzen lagern. Unverweilt
Verhaftst du Glebof, und die andern, die
Von seiner Farbe sind.

Nach einer Pause.

Wenn im Getümmel –
Der Glebof ist ein wilder, hitz'ger Kopf –
Ein Unglück etwa sich mit ihm ereignet ...
ADJUTANT.
Wirst du ergebnen Eifer, Diensttreu, nicht
Zur Untersuchung ziehn.
DOLGORUKI.
Gewiß nicht, Freund.
Mach alles gut. Du schaffst und sorgst für dich.
Du bist das Roß, das mich zu Berge trägt,
Und mit zum Gipfel kommt.

Der Adjutant geht. An der Türe ruft ihn Dolgoruki.

Eberlakof!
[324] Die Zarin wird gebührend ausgezeichnet,
Hörst du? Du gibst ihr eine Ehrenwache,
Sobald der Morgen graut.
ADJUTANT.
Wie du befiehlst.

Ab.
2. Szene
Zweite Szene
DOLGORUKI
allein.
Wir wollen nichts tun, was die Meinung schwächt
Von unsrer Redlichkeit. Die Zarin ist
Ein nützlich Werkzeug, wird uns angehören,
Wenn wir von ihrem Leid mit ihr zu reden
Beständig willig sind, und tun, als ob
Dies große Trau'rspiel heiß': Eudoxias Rache. –
Voreilig scheint mein Handeln, doch es ist
Erwogne Weisheit. Wie der Augenblick
Dem Augenblicke folgt, so folgt dem Ansehn
Vergessenheit. Der Menschen Urteil ist
Ein blindgebornes Kind. Man haßt den Glebof,
Und doch ist er der Held des Volks, der Edlen.
In Strömen leitet er die Macht, das Wirken
Zu seiner Schwell', und läßt uns kaum ein Bächlein
Von Einfluß. Alles sieht auf ihn, und wir
Stehn halbverwittert schon in seinem Schatten.
Ich hab' gefehlt. Der seichte Alexander
Gab guten Rat. Wir sollten überhaupt
Mehr von der Dinge Oberfläche halten,
Wir gingen sicherer, als wenn wir mühsam
Nach ihrem Kerne grübeln. Welch ein Schicksal,
Daß des Verstandes Aug' weitsichtig ist,
Und für die Nähe stumpf! – Kaum hab' ich Zeit,
Den Fehler zu verbessern.
3. Szene
[325] Dritte Szene
Glebof tritt heftig ein. Dolgoruki.

GLEBOF.
Ist er hier?
Da ist er ja. Geh, du bist falsch, Basil!
DOLGORUKI.
Du stehst in meinem Hause, Stephan Glebof,
Und nicht in deinem.
GLEBOF.
Gebt mir einen Feind,
Der offnen Tod ins Angesicht mir schleudert!
Doch du bist falsch, Basil, falsch wie die Hölle.
DOLGORUKI.
Ich bin so wahr, wie Glebof.
GLEBOF.
Wer befahl,
Daß Truppen kommen soll'n von Twer?
DOLGORUKI.
Nun – ich.
GLEBOF.
Preobraschinsky Grenadiere?
DOLGORUKI.
Ja doch.
GLEBOF.
Gib Contre-Ordre.
DOLGORUKI.
Geh, was ficht dich an?
[326]
GLEBOF.
Gib Contre-Ordre, sag' ich.
DOLGORUKI.
Nur ein Weib
Befiehlt und widerruft gedankenlos.
Du kennst die Weiber, Glebof, doch du kennst
Den Dolgoruki nicht.
GLEBOF.
Gib schleunigst Contre-Ordre!
Zieh diese Truppen nicht herbei, umgarne
Uns nicht mit diesem Netz von Erz! Ich hab'
Die meinen weit hinweggeschickt.
DOLGORUKI.
So hört ich.
Was Glebof tut mit seinen Regimentern,
Hat Dolgoruki nicht zu schelten. Gleiches
Verlang' ich von dem Glebof. Schon beginnt
Die Anarchie ihr häßlich Haupt zu schütteln.
Der Pöbel plünderte. Ein paar Betrüger
Sind aufgetreten, schreind: »Noch lebt Zar Peter!«
Wie leicht, daß Aufruhr, Wirren und Gewalt
Die Zeit als Schaum auf ihren Wogen wälzt.
Es braucht bewehrter Faust, die Ruhe Rußlands
In solchem Drang zu schützen.
GLEBOF.
Gut, schon gut.
Ich schau in deine Brust, als trüg' sie Fenster.
Nicht um die Ruhe Rußlands kommen, Freund,
Die Regimenter.
DOLGORUKI.
Ich versteh' dich nicht.
GLEBOF.
Pflegt man zu sagen, wenn man nur zu sehr
Den anderen versteht. Seltsam, daß du
Mich für entbehrlich halten kannst!
[327]
DOLGORUKI.
Ich mag
Nicht länger diese Rätselsprüche hören.
Kurz, ich gab Ordre, und es bleibt dabei,
Denn es sind meine Truppen.
GLEBOF.
Bis wie lang?
DOLGORUKI.
Wie?
GLEBOF.
Bis wie lang? Maschin' ist der Soldat,
Sein Herz ist von der Farbe seines Rockes. –
Wenn Er erschiene, Dolgoruki, plötzlich,
Dem Blitz gleich, wie er pflegt ...
DOLGORUKI.
Er? Wer?
GLEBOF.
Basil! –
Du zwingst mich ... Ei ja wohl! Ihr habt die Mär
Des Schiffers auch geglaubt ... Wie klang sie doch?

Dolgoruki wendet sich verlegen ab.

Die andern? Kann wohl sein. Die Masse? Ja.
Doch Ihr? 'Ne Schiffersage ist ja eben
Kein Evangelium. – Nehmt Euch in Zukunft
Vor Schelmerei in acht. Vertraun zahlt Buße.
Basil, ich sah die Menschen vierzig Jahr,
Ich bin zu alt für Täuschung. 'S ist nicht gut,
Der Sache Blöße also aufzudecken.
Ohn' Wort hofft' ich mich zu verstehn mit Euch. –
Wenn er erschiene, Dolgoruki! Graut
Dir nicht bei dem Gedanken? Oft und vielmals
Ist er gekommen, ehe wir's gedacht.
Das Meer ist seine Magd; der Länder Weiten
Sind ihm ein Nichts. – Und kam' er nun, und fände
Das Messer auf dem Wege, das wir hirnlos
Ihm selber blank und scharf da hingelegt!
[328] Jetzt mög' er kommen. Hier ist's leer. Die Handvoll,
Dir mir ergeben ist, verblieb. Vom Norden
Ist alles fort nach Mecklenburg. Er steht
Allein, wagt er hieher zu gehn. Ich habe
Ein paar Strelitzen, die vom großen Blutbad
Noch übrig waren, unters Volk gestreut;
Die Bauern ringsumher sind aufgeboten.
Wir haben Schutz, zum mindsten nicht Gefahr.
Schick diese Truppen, Dolgoruki, weg,
Schick sie nach Woronesch!
DOLGORUKI.
Es soll geschehn;
Du hast mich überzeugt.
GLEBOF.
So führte dies Gespräch denn doch zum Zweck.
Leb wohl.
DOLGORUKI.
Wohin?
GLEBOF.
Nach Haus. Ein Berg von Arbeit
Liegt mir daheim. Zu mir kommt jeder. Niemand
Weiß hierzuland sich ohne Herrn zu helfen,
Und ich soll alles ordnen. Fast erdrückt mich's.
DOLGORUKI.
Willst du nicht in den Dom?
GLEBOF.
Entschuldigt mich.
Sagt, daß ich unpaß sei. Ich kann die Luft
In Kirchen nicht vertragen. Auf mein Wort:
Sie macht mir Schwindel, Herzweh und Beklemmung!
Kam ich zufällig in ein Gotteshaus,
Meint' ich vor Qualen zu vergehn. Mein Busen
Zerbrach an einem moderschwülen Elend. –
[329] Ich bitt' Euch, macht für mich die Zeremonie
Anständig mit.

Er geht.
DOLGORUKI
allein.
Ich hab' mein Leben nicht
Um Zeremonien gewagt; im Krönungsbild
Als lächelnd-gähnender Statist zu stehn.
Heut abend, Glebof, soll'n die Bajonette
Des Dolgoruki eine Fei'r beginnen,
Die dir noch weniger gefallen wird.
4. Szene
Vierte Szene
Erzbischof von Rostow. Dolgoruki.

DOLGORUKI.
Wie Herr? Nicht im Ornat? Nicht in der Kirche?
ERZBISCHOF.
Die Prachtgewand' und Weihrauchfässer sind
Zur Sakristei zurückgelangt.
DOLGORUKI.
Ihr scherzt.
Soeben woll't ich kommen.
ERZBISCHOF.
Bleibt zu Haus.
Das kann uns all' verderben!
DOLGORUKI.
Was denn, Herr?
ERZBISCHOF.
Die Nische unterm Baldachine ist
Des Löwen Höhle. Niemand wagt sich hin,
[330] Wenn auch der Löwe starb. Das Volk wird stutzig,
Rußland ist nicht der Leib, der seinen Kopf
Lang missen kann. Ich sag' Euch: Dieser Umstand
Ist äußerst schlimm.
DOLGORUKI.
Sprecht klarer, Dosithei.
ERZBISCHOF.
Er weigert sich.
DOLGORUKI.
Wer?
ERZBISCHOF.
Ei, der Zarewitsch.
So wißt Ihr's nicht?
DOLGORUKI.
Nein! Weigert? Wessen weigert
Der Jüngling sich?
ERZBISCHOF.
Den Willen uns zu tun.
DOLGORUKI.
Wo lebt der Mensch, der eine Krone haßt?
Ist's möglich, Dosithei? Weigert sich?
Warum?
ERZBISCHOF.
Man hätt' den Schein der Unterwerfung
Mehr wahren sollen. Ich riet stets dazu.
Es gibt Gemüter, deren Wachen Traum,
Und deren Träume, tönt des Rufers Wort,
In des Erweckten Wort und Tat sich spiegeln.
Wir irrten uns in diesem Knaben. Was
Uns Blödigkeit und weicher Sinn geschienen,
Wirft nun die Larve ab. Sprecht selbst mit ihm,
Versucht, ob Ihr ihm was erwidern könnt.
Ja, diese Romanows! Ein Spitzkopf war
Ihr Ahnherr; faltig sind der Enkel Seelen.
[331]
DOLGORUKI.
Ein böser Streich!
ERZBISCHOF.
Und Kikin ist entflohn. –
DOLGORUKI.
Entflohn? Weshalb?
ERZBISCHOF.
Ich mag davon nicht sprechen.
'Ne Nachricht ward ihm, die ihn blaß gemacht.

Nach einer Pause.

Wir wissen, Dolgoruki, was zu fürchten ...
Hör meinen Rat. Noch können wir uns retten.
So wie die Sachen stehn, läßt alles sich
Auf Glebof werfen. Bergen wir uns zeitig!
DOLGORUKI.
Das ist dein Rat; er duftet nach der Zelle.
Für Dolgoruki ist die rechte Zeit,
Wenn rauh durch blut'ge Stürme rast die Zeit.
ERZBISCHOF.
Ihr seid ein Mann des Kriegs. Ich geh nach Rostow.
Die Zukunft hab' ich nur vorher verkündet,
Sei's, wie es sei! Ich bin geborgen, hoff' ich.
Wer straft um Weissagungen einen Heil'gen?

Ab.
DOLGORUKI
allein.
Der Boden unsres Unternehmens schwankt,
Von Schrecken aufgewühlt. Dosithei fort,
Und Alexander fort! –
Die Wendung sieht
Bedenklich aus. – Mitnichten, 's ist ein Glück!
Folgt' ihnen Lapuchin! Wer sind die beiden?
Ein Tollkopf wen'ger, ist 'ne Hoffnung mehr;
»Mit Priestern teilt der Teufel sich zum Nachteil«
[332] Sagt unsrer Väter Spruch. Sei froh mein Herz!
Das Feld wird immer lichter. Nur noch Glebof.
In einen Zweikampf löst die Schlacht sich auf,
Und ich hab' wackre Sekundanten. – Jetzt
Zum Kreml! Wir woll'n versuchen, ob der Knabe
Nicht wird zu zwingen sein.

Er geht ab.
5. Szene
Fünfte Szene
Gegend unweit Moskau. Nacht.
Ein Haufen Bewaffneter Bauern um ein Feuer gelagert.

EINER.
Wenn wir den Zar nur hier hätten.
ZWEITER.
Spießen wollt' ich ihn.
DRITTER.
Ich wollte ihn köpfen.
VIERTER.
Ich würfe ihn ins Feuer.
FÜNFTER.
Ich vierteilte ihn am liebsten.

Zu einem sechsten.

Was würdest du mit ihm machen, Hendrik?
SECHSTER.
Ei, er sollte für mich den Acker meines gnädigen Herrn baun.
[333]
ERSTER.
Aber es ist doch gut, daß er schon tot ist.
DIE ANDERN.
Warum?
ERSTER.
Wenn er so auf einmal lebendig um die Fichtenecke träte ...
ZWEITER.
Zwei Männer. Wer da?
6. Szene
Sechste Szene
Zar Peter im Mantel. Gordon. Die Bauern.

DIE BAUERN.
Wer da? Sprecht, oder wir hauen zu.
PETER.
Freunde Rußlands.
ERSTER BAUER.
Wenn das ist, so trinkt mit uns einen Schluck.
PETER.
Wir nehmen's an.

Er setzt sich mit Gordon an das Feuer, etwas gesondert von den Bauern.
Zu Gordon.

Dies ist ein Meuterhaufen;
Wahnblödes, armes, irrgeführtes Volk.
Die schick' ich nun vorerst nach Hause.
GORDON.
Herr,
Wenn sie nur gehn.
[334]
PETER.
Sie tun's. Ich kenn' das Volk.

Laut zu den Bauern.

Landsleute, warum sind eurer so viele um das Feuer versammelt?
ERSTER.
Da ihr Russen seid, müßt ihr's wissen.
PETER.
Wir kommen aus der Fremde.
ERSTER.
Es hat sich eine Veränderung begeben in Moskau.
ZWEITER BAUER.
Der alte Wüterich ist gestorben und verdorben.
DRITTER.
Und unsre Hoffnung, unser Leben, der Zarewitsch soll nun regieren.
VIERTER.
Und darum sind wir zusammen.
FÜNFTER.
Und den wollen wir emporhalten gegen den Blutsauger, den Menzikof.
SECHSTER.
Nämlich, weil unsre gnädigen Herrn es uns befohlen haben.
PETER.
Habt ihr den alten Zaren gekannt?
ALLE.
Nein.
PETER.
Warum nennt ihr ihn einen Wüterich?
[335]
ERSTER.
Weil er uns nicht eine Stunde Ruhe gönnte.
ZWEITER.
Weil er unsre Söhne vom Schweden totschießen ließ.
DRITTER.
Weil wir seine neue Stadt bauen mußten, und uns das Fieber dort aus den Sümpfen holten.
VIERTER.
Weil er uns auf die Schiffe führte, auf die leidige See.
FÜNFTER.

Weil er alles um und um kehrte, und die Zeit sogar verrückt hat, daß man nicht mehr weiß, wie man mit Gott und den lieben Heiligen dran ist.

SECHSTER.
Weil unsre gnädigen Herrn sagen, er tauge ganz und gar nichts.
PETER.

Das sind schwere und harte Beschuldigungen. Ich will den Zaren nicht verteidigen. Er gönnte euch keine Ruhe? – Er gönnte sie sich selber noch weniger. Er hat sein Brot gegessen im Schweiße seines Antlitzes.

ERSTER.

Er hatte gut schwitzen! Er tat's, weil er Vergnügen dran fand; wir armen Bauern schwitzen, wir mochten wollen oder nicht.

PETER.

Er ließ eure Söhne vom Schweden totschießen? – Der Schwede trotzte und prahlte an der Grenze. Da dachte der Zar, das dürfe ein Russe nicht leiden.

[336]
ZWEITER.

Ist hier die Grenze? Sind wir für die Grenze da? Wir haben nichts vom Trotzen und Prahlen des Schweden gespürt.

PETER.

Ihr mußtet seine neue Stadt baun? Sie soll schön werden, diese neue Stadt. Er meinte, euer Land sei es wert, die schönste Stadt auf der Erde zu haben.

DRITTER.
Wer am Fieber verreckt, sieht die neue Stadt nicht fertig.
PETER.
Auf die Schiffe führte er euch? – Kinder, habt ihr das Meer, so besitzt ihr die Welt.
VIERTER.

Was sollen wir mit der Welt. Wir sind Russen. Unser Land ist das schönste auf der Welt, wir brauchen das übrige nicht.

GORDON.
Dennoch freßt ihr bloß Grütze.
ALLE.
Willst du ein Freund Rußlands sein? Und sprichst so? Die Grütze ist die erste Kost auf der Welt!
PETER.

Alles soll er umgekehrt haben? Das ist nicht wahr. Aber vieles stand auf dem Kopfe. Die Zeit hat er geändert und den Kalender. Ihr zählt von der Ernte euer Jahr; er dachte, es sei dem Menschen wohlanständiger, seine Tage zu rechnen nach dem Wandel der Lichter am Himmel, als nach dem Wachsen des Krautes auf der Erde.

ALLE.
Das verstehn wir nicht.
[337]
PETER.
Sein ganzes Leben war ein Dienst für euch,
Trug dieser Dienst ihm euren Fluch nur ein,
So ist sein Leben unnütz.

Er steht auf und wirft den Mantel zurück.

Seht ihn vor Euch!
Wer tötet ihn?
DIE BAUERN
sich tumultuarisch erhebend.
Der Zar! Der Zar! Er ist's!
Wir sind gehangen!

Sie werfen sich auf die Knie.

Gnade! Gnade! Batuschka!
PETER.
Das Feu'r brennt trüb'; ich kenn eu'r Antlitz nicht.
Die Rache schleicht nur um das Haupt der Fürsten;
Euch kenn' ich nicht. – Wer morgen Warfen trägt,
Stirbt übermorgen früh. Geht, arme Toren!
Müht ihr an eurer Scholl' euch ab, so denkt,
Daß ich noch härtern Acker bauen muß.
O, wenn wir rechneten, so stände wohl
Die Summe eurer Freuden höher. Geht!

Die Bauern ab.
7. Szene
Siebente Szene
Zar Peter. Gordon.
Der Zar sieht starr vor sich hin.

GORDON
betrachtet den Zar mit gekreuzten Armen.

Nach einer Pause. Deine Feinde sind Schwachköpfe. Man müßte ein Volk gegen dich Einzelnen führen und dann stände der Kampf immer noch zweifelhaft. Deine Feinde sind erbärmliche Schwachköpfe. [338] Sie meinen, dich durch Verschwörungen erdrücken zu können. Das ist, als wenn man den Kaukasus mit der Hand versetzen wollte.


Peter schweigt.

Ist der Zar traurig?
PETER.
Ein König der Bestien zu sein! – O Gordon! – –
GORDON.
Du richtest doch nur mit Bestien etwas aus.
PETER.

Wenn alles eine Torheit gewesen wäre! Alles umsonst! Warum mich unter diese werfen, du eigensinnige Macht? Gordon, man könnte darüber verzweifeln.

GORDON.
Wir müssen doch vorwärts.
PETER.
Richtig. Wir müssen. Und andre müssen mit! Es ist ein Schicksal. – Gordon!
GORDON.
Herr?
PETER.
Glaubst du, daß ein einziger Mensch es von Herzen mit mir meint?
GORDON.
Meinst du mit einem einzigen Menschen es von Herzen?
PETER.
Eine Frage, die treffend antwortet. Auch du nicht, Gordon?
GORDON.

Ich bin ein Schotte. Der Schotte geht nach Geld. Du gibst mir Geld, und ich liebe dein Antlitz auf deinen Münzen.

[339]
PETER
gibt ihm die Hand.

So hab' ich's gern. Gordon, es heuchelt mir alles. Ich bin dessen satt, bis in meine Eingeweide satt! –

GORDON.

Nun, jene Natur-Philosophen heuchelten dir ja auch nicht. Es war ein Parlament aus dem Stegreife. Doch horch! Ich höre Schritte. Und wie ich bei dem Scheine dieser Notfackel wahrnehme ...


Er stößt einen brennenden Pfahl aufrecht in den Boden.

ist es der Fürst. Du hast ihn nach Moskau vorausgesendet? Eine witzige Strafe.
PETER.
Er taugt zum Spionieren.
GORDON.

Er macht Schritte, wie der große Christoph. Seinen Jubel hättest du hören sollen, Zar, als er deine Vergebung erlangt hatte. Kein Hund, der nach empfangnen Prügeln wieder apportieren darf, kann sich aufrichtiger freun.

PETER.
Er hat was Hündisches in seiner Seele,
Doch ist er wohl zu brauchen. Ihm zuliebe
Zeig' ich bisweilen ihm ein finstres Antlitz.
Dann schlägt er seiner Sünden Liste auf,
Und dient, solang der Schreck dau'rt, wieder gut.
8. Szene
[340] Achte Szene
Menzikof. Die Vorigen.

MENZIKOF.
Heil unsrem Zar!
PETER.
Dank, Menzikof. Wie steht's
In Moskau?
MENZIKOF
in Eifer.
Mich hat Gott beschützt! Ich weiß,
Daß ich dir lang noch werde nützlich sein.
Mit seiner Engel Flügeln deckt' er mich
Auf meinem Weg zu meinem Haus. Vorm Auge
Der Feinde ging ich, und sie sahn mich nicht.
PETER.
Von Moskau will ich wissen, nicht von dir
Und deiner Todesangst! Ich glaub', ich bin
Der einzige, der nicht an sich denkt.
MENZIKOF.
Moskau
Ist leer von Truppen.
PETER.
Was?
MENZIKOF.
Die Semenowschen
Hat Glebof fortgeschickt nach Astrachan.
GORDON.
Der zeigt Verstand.
PETER.
Die Semenowschen fort!
Auf diese Truppen rechnet' ich. Das Reich
Ist bar und bloß. Das hat mich überrascht.
[341] Sonst pflegen sich Empörer mit der Macht
Der Waffen zu umgeben; darauf baut' ich,
Denn die Armee ist mein. Sei's drum! Ich geh'
Nach Moskau doch.
GORDON UND MENZIKOF.
Allein willst Du? ...
PETER.
Allein?
Ich geh' nach Moskau in Gesellschaft von
Poltawa, Liesna, Wiborg, Tweremünde!
Ins Kloster mit dem Zar, der zaudern kann,
Wenn er gehört, daß freche Untertanen
Am Throne rütteln! öffnet mir die Adern!
Mein Blut ist weißer Gischt geworden, will
Gen Himmel spritzen! Luft! Mich tötet's noch!
Nicht eine Nacht verschieb' ich's.
MENZIKOF.
Herr, geh nicht.
Versammelt sind im Kreml die Aufrührer,
Ihr Anhang wacht, ist stark. Das Volk zieht lärmend:
»Es leb' Alexis!« rufend, durch die Gassen.
Du stürzest dich in den gewissen Tod!
PETER.
Kann sein, doch glaub' ich's nicht. Mit meiner Faust,
Steht mir auch niemand bei, töt' ich die Hydra.
's mag tollkühn scheinen, ist es aber nicht.

Trommeln hinter der Szene. Gleich darauf Kommando und Rasseln der Gewehre.
9. Szene
[342] Neunte Szene
Oberst Schepelew. Offiziere. Vorige.

SCHEPELEW
zu seinen Offizieren.
Dort glänzen Moskaus Lichter. – Noch einmal:
Tut für Alexis nur die Hälfte dessen,
Was ihr für Petern tatet, dann sind wir
Die ersten Leute Rußlands. Dolgoruki
Hat beide Taschen voll von Stell'n und Orden.
PETER.
Hier kommen ja die Arme, die mir helfen.
GORDON.
'S ist Schepelew.
MENZIKOF.
Im Sold des Dolgoruki.
Die Garnison von Twer ist auf dem Marsch,
Verführt, bestochen, ins Komplott gezogen.
Herr, rette dich.
PETER.
Das will ich.

Er tritt auf Schepelew und die Offiziere zu.

Guten Abend
Kam'raden!
MENZIKOF.
Schwärmt er?
SCHEPELEW.
Wer begrüßt mich da?

Er erkennt den Zar und fährt zurück.

Alle gute Geister!
PETER
lächelnd.
Laß die Geister ruhn!
[343] Noch sprach ich nicht mit Alexander Newski,
Iwan Wasiliewitsch und Wladimir.
Man hat mich totgesagt, ich bin lebendig.
Ein Mißverständnis! Nun, das fügt sich wohl
Bei weiten Land- und Meeresfahrten. Oberst,
Habt Ihr die Truppen bei Euch?
SCHEPELEW.
Ha! Mein Gott ...
Welch ein Ereignis!

Zu den Offizieren.

Meine Herrn ... Was ist ...
Was ist dabei zu machen? Ratet mir.
PETER.
Ob Ihr die Truppen bei Euch habt? ... Herr Oberst,
Red' ich nicht laut genug?
SCHEPELEW.
Ob ich die Truppen ...
Zu Gnaden ... Nein ... Ei wie – wie sollt' ich nur ...
Ich stehe ja in Twer ... Indessen aber –
Ja freilich ... freilich ... Sozusagen, hab' ich
Die Truppen hier ... von Twer, drei Regimenter.
PETER.
Ihr seid ein wackrer Mann, der auf die Stunde
Erscheint, wenn man ihn braucht. Wir werden Eurer
Bei paßlicher Gelegenheit gedenken.
Gordon!
GORDON.
Mein Zar?
PETER.
Du nimmst die Grenadiere,
Besetzst des Kremlins innerste Gemächer.
Wann kannst du dort sein?
[344]
GORDON.
Schlag zwölf Uhr, mein Fürst.
PETER.
Punkt zwölf bin ich im Kreml. Laß mich nicht warten!
Du ziehst die Straß', ich reite auf dem Fußsteig.
Geheim schleichst du dich ein. Es soll kein Lärm
Die Zahl der Schuld'gen mehren. – Ans Geschäft!
GORDON
geht zu Schepelew.
Oberst, laßt Aufbruch trommeln.
SCHEPELEW.
Selbst befehl es! –

Er tritt zum Zaren.

Ich bin nicht würdig dessen mehr. Hier ist
Mein Degen, Majestät. Ich kam in andrer,
In schlimmer Absicht her.
PETER.
Behalt't den Degen!
Die Absicht gilt mir gleich, wenn Ihr gehorcht.
Gehorcht dem Oberst Gordon.
GORDON.
Kommt mit mir!
Der Himmel wechselt schnell bei Wind und Wetter;
Wollt Ihr beständ'ger sein? Marschieren wir,
Ihr notgedrungner Vaterlandserretter!

Gordon, Schepelew, die Offiziere ab. Gleich darauf hinter der Szene Trommeln, deren Schall sich nach und nach entfernt.
10. Szene
[345] Zehnte Szene
Zar Peter. Menzikof.

PETER.
Wer sind die Hochverräter?
MENZIKOF
ein Papier hervorziehend.
Das Verzeichnis
Nennt Eurer Majestät die Feinde.
PETER.
Gib.

Er geht mit dem Papiere zum Feuer.

Bei diesem trüben Schein will ich das Werk
Der Finsternis betrachten. –
Viele Namen!
»Glebof, Eudoxia, Lapuchin, Dosithei«,
Die kenn' ich freilich. »Dolgoruki«? Schade!
Ein guter Name. »Kikin«. – Kikin? Welcher
Von beiden ist's?
MENZIKOF.
Der Alexander Kikin.
PETER.
Dem schenkt' ich einst das Leben, als er mir,
Dem Schlummernden, mit Mörderhand genaht.
Er drückte auf mich ab, und es versagte;
Zu Füßen sank er mir, und zitternd rief er:
»Ich bin von Gott gesendet, dir zu melden,
Daß keine Bosheit dich zerstören kann;
Nimm hin mein Haupt, es ist an dir verwirkt.«
Und ich versetzte drauf: »Gesandte sind straflos,
Der Gott, dem ich vertrau', vergebe dir!«
Und jetzo wieder? Gut, sein Wort von damals
Soll gelten.
[346]
MENZIKOF.
Er entfloh, und Dosithei,
Der Erzbischof. Doch weiß ich den Versteck.
PETER.
Man wird sie holen.
MENZIKOF.
Ist bereits geschehn.
PETER.
Sie alle müssen fallen diese Nacht.
Du wirst das einzurichten wissen.
MENZIKOF.
Ja.
PETER
wieder lesend.
Noch immer Namen?

Er nimmt eine Kohle auf.

Du! Was halt' ich hier?
MENZIKOF.
Ne Kohle, die erloschen ist.
PETER.
So lischt
Dein Leben, Menzikof, ertapp' ich dich auf Trug!
Denk dran, du hast nichts Böses je getan,
Das ich nicht gleich erfahren hätt'. – Herr Fürst,
Ist diese Liste richtig?
MENZIKOF.
Ja, beim Himmel!
Ich lüge diesmal nicht.
PETER.
Sehr wohl gesprochen.
So glaub' ich diesmal dir. –
[347] Fürst Menzikof:
Der Zarewitsch fehlt noch in dem Verzeichnis.
MENZIKOF.
Er ist dein Sohn.
PETER.
Das spricht die Schlauheit, nicht
Ein menschliches Gefühl. Ging' es nach dir,
Läg' er erschossen.

Menzikof erschrickt.

Fürchte nichts. Es wär'
Vielleicht so besser, und erspart wär' uns,
Was aussieht wie Verlegenheit. Gib mir
Den Bleistift!

Menzikof reicht ihm das Verlangte.

So: Alexis Petrowitsch.
Du bist ein Name, gleich den andern. Jetzt
Ist das Verzeichnis fertig. Nun zu Roß.

Beide ab.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
Nacht. Zimmer im Kreml.
Eudoxia in prächtiger weltlicher Kleidung, sitzend. Ihr gegenüber steht Alexis, Dolgoruki, Lapuchin, viele Bojaren reich gekleidet, zwischen beiden gruppiert.

DOLGORUKI
zu Alexis.
Das Volk verlangt den Herrn.
[348]
ALEXIS.
Es ist nicht wahr.
Das Volk sitzt ruhig an dem eignen Herd,
Bezahlt Gesindel lärmt um den Palast,
Doch Ihr verlangt den Schattenkönig.
DOLGORUKI.
Prinz,
Ihr sprecht zu einem Fürsten.
ALEXIS.
Fürst, du sprichst
Zu einem Prinzen.
LAPUCHIN
nähert sich.
Laßt mich; ich beweg' ihn.
Er wird das Wort des Oheims achten. Neffe,
Eu'r Widerstand ist, wie der Regenbogen,
Schön anzusehn. Doch untersucht man den
Genauer, trifft man nur ein trübes Wasser.
So stammt Eu'r Zaudern aus verzagtem Sinn;
Ihr fühlt Euch jung, schwach, fähig nicht, unwürdig
Des Euch bestimmten Loses. Das klingt fein,
Ist aber nur das buntgefärbte Kleid
Der Herzensmattigkeit. Was die Bojaren
Euch zu vertrauen wagen, wagt getrost
Und kühnlich zu ergreifen.
ALEXIS.
Lieber Oheim,
Mir können die Bojaren nichts vertraun,
Das ich nicht ohne sie besitze. Greis,
Kehrt heim auf Eure Güter.
LAPUCHIN.
Höhnest du
Der Mutter Bruder?
[349]
EUDOXIA
steht auf.
Gehn wir!
ALEXIS.
Mutter, geh nicht!
EUDOXIA.
Nach Susdal, wo die Felsen, groß und stolz
Gen Himmel sehn.
ALEXIS.
Der Schmerz verwirrt dich, Mutter.
EUDOXIA.
's gibt freilich Seelen, die kein Unrecht kränkt.
ALEXIS.
Und Mächte gibt es, die dem Grolle groll'n.
EUDOXIA.
Bist du der Lehrer deiner Mutter? Wardst
Berufen du, ihr Weisheit vorzupred'gen?
Ist dieser Mensch mein Sohn?
ALEXIS.
Daß du so hart
Mit deinem Kinde sprichst!
EUDOXIA.
Nenn' dich nicht so,
Wenn ich in dir nicht meinen Mut gezeugt!
Seid Ihr ein Prinz?
ALEXIS.
Den seine Mutter schilt.
EUDOXIA.
Verachtet und verwünscht.
[350]
ALEXIS.
O Gott! Wie rauh!
Verwünscht mich nicht! Ihr habt nur einen Sohn,
Wer liebt Euch, schwind' ich hin an Eurem Zorn?
Ich brauche Segen, meine teure Mutter.
EUDOXIA.
Wenn du mich liebst, wenn du mich ehrst und fürchtest,
Wie recht, und wie geboten steht von Gott,
Gehorche mir!
ALEXIS.
Gar gern.
EUDOXIA.
Sei Rußlands Zar!
ALEXIS.
Das kann ich, darf ich, will ich nicht, o Mutter!
DIE BOJAREN.
Er darf nicht?
DOLGORUKI.
... will nicht. Es ist Eigensinn.
ALEXIS.
Ich war einst strafbar und des Landes Feind.
Ich werd' es nimmer wieder; denn ich weiß,
Daß von der Sünde schwere Träume kommen.
Rußland ist mein! Und die Entsagung, die
Zum Lohn für heiße Reue, mir Bedrängten
Unmenschlichkeit entrungen hat, sie soll,
Ich schwör's, an dem gesetzten Tag, mich nicht
Von meinem angestammten Recht entfernen.
In seine Hütten jag' ich, meine Mutter,
Den eingedrungnen fremden Pöbel! Traun,
Ich bin nicht hochgeartet. Engen Sinns,
Seh' ich in meines Vaters Taten nur
Ein ungeheures, ödes Possenspiel!
Denn dich verstieß er ohne Grund, und mich
Hat er gepeinigt ohne Grund ...
[351]
EUDOXIA.
O herrlich!
So sprichst du wahr. So fahre fort! Nun ende
Den würd'gen Spruch mit würdiger Entschließung!
Ich wußt' es ja, die edle Glut, nicht immer
Könnt' sie in tauber Asche ruhn ...
ALEXIS.
Du irrst.
Wollt' ich Verbrechen üben, übt' ich sie
Auf eigne Hand.
EUDOXIA.
Verbrechen?
ALEXIS.
Doch die Schleuder
In eines andern Faust zu sein, die nach
Des Schleudrers Ziel den frevelhaften Wurf tut;
Ball, Spieler nicht ... Pfui, über solche Schmach!
DIE BOJAREN.
Ihr redet dunkel.
EUDOXIA
verwirrt zu Alexis.
Schweig!
ALEXIS.
Ich bin vom Markt
Der menschlichen Geschäfte fern, ein Kranker,
Zu diesen letzten Tagen auf gewelkt!
Und deshalb glauben sie, Alexis sei
Ein Tauber und ein Blinder. Ich bin's nicht.
Der Helfer wird dem Unglück mitgezeugt.
Er heißt der Zweifel. – Falschheit – lernt' ich sonst
Auch wenig nur, hab' ich erkennen lernen! –
Denn ich sah Menzikof an jedem Tag
Durch zehn verfluchte Jahre.
[352]
LAPUCHIN.
Was soll das?
ALEXIS
zu Eudoxien.
In meine Kluft dringt deine Stimme; Sonnhell
Winkt mir in deiner Hand das höchste Glück.
Da dacht' ich einen Augenblick: Es ist so.
Nur einen Augenblick! Im nächsten rief
Der herbe Helfer: Tor und wieder Tor!
Sieh deine Menzikofs verdoppelt, sieh
Sie dreifach, vierfach!

Gemurmel unter den Bojaren.
DOLGORUKI.
Rußlands Adel ist
An eines Knaben Schmähung nicht gewöhnt.
Wir haben's so beschlossen, wir! Du wirst
Zur höchsten Stelle sitzen. Du gehörst
Nicht dir, nicht deinen Grillen. Du gehörst
Uns, und dem Land. Dein Geist, dein Leib, dein Sinn,
Und was du hast und bist, ist alles unser.
Wenn du nicht willst, so sollst du woll'n, Alexis!
ALEXIS.
Du bist ein Mensch, der mit gefäll'ger Tünche
Die Rohheit des Gemütes überzog.
Fein, höflich, unterwürfig, dienstgewandt;
Frech, aufgeblasen, rauh, gemein und wild.
Um deinesgleichen ist der Russen Name
Verachtet in der Fremde. – Soll'n und Woll'n?
Das Sollen ist an Euch, das Wolln an mir.
Ich bin Eu'r Fürst, beliebt's mir, es zu sein;
Nicht eine Stunde früher. – Mutter, du
Bist rein; ich schwör' auf deine liebe Seele!
Euch andern sag' ich: »Geht!« – Ich will allein sein.
Zerrissen ist der Bund! Ich scheid' auf ewig
Mein Recht von Eurem Unrecht!
2. Szene
[353] Zweite Szene
Glebof. Die Vorigen. Die Flügeltüre bleibt hinter Glebof offen.

GLEBOF.
Prinz Alexis,
Ich komm' als Bot' und Herold hohen Gastes.
Die Galerie hinunterblickend sah ich
Bekannte Zug' und ein gewaltig Haupt:
Gleich wird der Zar hier sein.
ALLE
entsetzt.
Ha!
LAPUCHIN.
Ich bin schuldlos!
DOLGORUKI.
Ich bin verloren!
ALEXIS
zu Glebof.
Du erschreckst mich nicht.
Ich wußt' es längst; die Ersten dieses Landes
Sind Schelm' und Buben worden!
EINIGE BOJAREN.
Flieht! Flieht! Flieht!
ANDRE.
Wohin? Hier ist kein Ausgang.
EIN BOJAR
nach der offnen Türe blickend.
Weh uns! Weh!
Er kommt! Er naht! Mit weiten, weiten Schritten
Dringt er hieher! Schon hat er uns erblickt!
[354] Nun zählt er seine Opfer! Strahlen schießt
Das große Auge, markversengende!
Löst euch, ihr Mauern des Kremlins! Stürzt ein!
Bergt uns in Schutt!
EUDOXIA.
Bist du ein Mann, Glebof?
GLEBOF.
So sehr, daß ich, vom ersten Schreck genesen,
Mich nun des Zufalls freu'. – Kommt es doch jetzt
Zum Ende vor dem Anfang! – Ich vollbring's.
An meiner Seite trag' ich einen Freund,
Der rasch entscheiden soll.

Alle haben sich nach der Seite gezogen. Eudoxia und Alexis stehn für sich, gesondert von den übrigen.
3. Szene
Dritte Szene
Zar Peter. Die Vorigen.

PETER
rasch eintretend, stutzend, beiseite.
Gordon nicht hier?

Er sieht auf seine Uhr.

Mein alter Fehler, Ungeduld! Was tut's?

Er tritt vor.

Seid mir gegrüßt. Ich kam soeben an,
Und sah die Fenster hell. Gesellschaft! dacht' ich.
Und weil ich noch nicht gar zu müd vom Weg,
Hab' ich gewünscht, mit euch zu Nacht zu speisen,
Wenn ihr's erlaubt.
GLEBOF
nach einer Pause.
Eur' Majestät ist früher,
Als wir erwartet, heimgekehrt.
[355]
PETER.
Ja, Glebof!
Ich blieb in Lübeck nicht, wie dir vielleicht
Berichtet ward; ich sehnte mich nach Hause.
Was macht dein Regiment?

Glebof schweigt.

Ah Dolgoruki!
Ist Eure Gattin wiederhergestellt?

Dolgoruki schweigt.

Habt Ihr 'ne gute Ernte auf den Gütern,
Abraham Lapuchin?

Lapuchin schweigt.

Mich dünkt, ich störte
Des Festes Heiterkeit. Das muß nicht sein.
Der Zar ist hier im Hauskleid, und ein Gast
Gleich andern Gästen. Nehmt es so, ich bitt' Euch.
Wer ist der Wirt? Gewiß der Zarewitsch!
Alexis, gebt Ihr mir wohl einen Trunk?

Alexis spricht mit einem Diener.
EUDOXIA
in der heftigsten Bewegung.
Glebof, dein Freund ist träg!

Allgemeines Schweigen.
PETER
nach Eudoxien blickend.
Drei'n Fragen ward
Die Antwort nicht, die vierte sei beglückter.
Wißt Ihr, ob Schwester Helena noch lebt
In Kloster Susdal?
EUDOXIA
langsam sich ihm nähernd, zitternd vor Grimm.
Ja, nach Eurem Wunsche.
Und weil Ihr gütig für die Arme sorgtet,
So betet sie: »Vergilt zehnfältig ihm
Die mir erwiesne Wohltat!«
[356]
PETER.
Edle Fremde,
Gern hör' ich von Helenens Sinnesmildrung!
Da Ihr Euch weltlich tragt, kennt Ihr die Welt.
Wißt denn: Der Zar hat niemals sie gehaßt;
Sie war ein albern-unbequemes Weib,
Anstatt an Peters Glanz, und Rußlands Ruhm
Genügen sich zu lassen, wollte sie
Von Petern nur den Hausmann. Lang ertrug's
Der Zar geduldig, endlich ward er's müd',
Und da verstieß er sie. –
Nichts mehr von Weibern!

Ein Becher Wein wird ihm gebracht.

Nun, unsern alten Spruch! Und wer ein Russ',
Der ruft ihn Petern nach. – Auf Rußlands Heil!

Er trinkt.
LAPUCHIN.
Alt-Rußland wachs' und blüh!
DOLGORUKI.
Auf Rußlands Heil,
Das in dem großen Zar, in dieser Zeiten
Mirakel wohnt!
PETER
den Becher Glebof reichend.
Tu' mir Bescheid, Glebof.
GLEBOF
wirft den Becher zur Erde.
In deinem Blut! Das andre sagt mein Säbel.

Er zieht. Zu den Bojaren.

Seid klug und helft mir! Dieser sondert nicht!
DOLGORUKI.
Glebof hat recht; wir müssen!

Er zieht, die Bojaren gleichfalls.
[357]
DIE BOJAREN.
Nieder! Nieder!
ALEXIS
wirft sich zwischen die Bojaren und den Zar.
Zurück, ihr Mörder!
EUDOXIA.
Drauf, beherzte Russen!
Will er den Weg uns sperr 'n? Ich geb' ihn hin!
Er ist mein Sohn nicht, ist ein Wechselkind,
Ist angefälscht dem Stamm der Romanows!
Ihr stockt? Ihr bebt? Gebt einen Degen mir ...

Sie entreißt einem den Degen.

Ich zeichne purpurfarben euch die Straße
Zum qualerfinderischen Tiger!
PETER
Alexis wegstoßend.
Fort!
Ich will von Schelmen nicht verteidigt sein.
ALEXIS
stürzt in die Kniee.
Chaos und Weltgericht! O Vater! Mutter!
PETER.
Hier steht der Zar Peter Alexiewitsch,
Rußlands gesalbter und rechtmäß'ger Herr!
Des Himmels Legionen schweben schützend
Um eines Königs Haupt! Rebellen! Hunde!
Zermalmt euch dieser Blick nicht?
GLEBOF.
Tat für Wort!
Seht auf des Glebof Stahl! In jener Brust
Laßt zwanzig Degenspitzen sich begrüßen!

Er dringt mit gezücktem Degen auf den Zar ein. Die Bojaren folgen. In diesem Augenblicke erschallen[358] Hörner und Trommeln von allen Seiten. Gordon und Schepelew treten mit Truppen ein. Die Flügeltüre bleibt offen. Man sieht den Gang und die Galerie außerhalb mit Truppen besetzt. Die Verschwornen lassen die Degen sinken.
4. Szene
Vierte Szene
Gordon. Schepelew. Truppen. Vorige.

PETER.
Nun, das war Hülfe in der höchsten Not!
DOLGORUKI.
Nun, das erspart uns einen Königsmord!
GLEBOF.
Ja wohl, weil wir jetzt selbst zum Tode gehn.

Er zerbricht seinen Degen.
DOLGORUKI
zu Schepelew.
Oberst, tut Eure Pflicht.

Auf den Zar deutend.

Er ist geächtet.
SCHEPELEW
zum Zar, ohne auf Dolgoruki zu hören.
Herr, deine Ordre?
DOLGORUKI.
Was?
PETER.
Wo bleibt der Fürst?
[359]
GORDON.
Er kommt sogleich mit Kikin und dem Bischof.
Mein Zar, erlaubst du, deine Uhr zu stell'n?
Sie geht zu rasch.
PETER.
Hast recht. Sie wär' beinah'
Mit Reich und Leben heut davongerannt. –
Den Zarewitsch führt nach dem goldnen Saal,
Ich hab' mit ihm zu reden.
ALEXIS.
Und ich mit dir!

Er geht.
PETER
auf Eudoxien deutend.
Das Weib nach Schlüsselburg!
EUDOXIA.
Ich weiß im Arm
Der klugen Bäu'rin dich, und bin getröstet!
Wir sehn einander wieder! –

Sie geht.
GLEBOF
hat sein Haupt verhüllt, als Eudoxia an ihm vorüberging.
Nach ihrem Abgange enthüllt er sich.
Ging sie? – Sie ging, und ohn' ein Wort für mich.
Wohlan, jetzt bin ich fest.
5. Szene
[360] Fünfte Szene
Menzikof. Die Vorigen.

PETER
zu Menzikof.
Wo sind die Flücht'gen?
MENZIKOF.
Im Sarg. Der Priester rief ein Anathem;
Der andre faselte.
GLEBOF.
Ha, wackrer Renner
Mit Stundenglas und Hipp'! Du überholst
Schnellfüß'ge Furcht zuerst!
DIE BOJAREN.
Weh' und Verderben!
PETER.
Hast Du besorgt? ...
MENZIKOF.
Sandberg und Fackelschein,
Den finstern Mann, und sein geschliffnes Beil;
Bereit und fertig ist's im Hof des Kreml.
PETER.
Verfahr nach deiner Liste.
DIE BOJAREN
in wilder Bewegung.
Das ist gräßlich!
PETER.
Ihr ließt mich schaun die Zeit nach meinem Tod;
Ich hab' gelebt und lebe, sie zu wenden.
Meint ihr, dies sei mir eine Freudennacht?
[361] Verfahr nach deiner Liste, Menzikof.

Er tritt links in den Vordergrund und liest Briefe.
GORDON.
Ergebt euch, Herrn. Die Erde geht nicht unter
Um eines Menschen Fall.

Er tritt zum Zar. Glebof, Dolgoruki, Lapuchin, stehn dem Zar rechts gegenüber. Menzikof etwas zurück nach der Mitte. Schepelew macht mit den Soldaten eine Bewegung nach vorn, so daß nur jene Personen sichtbar bleiben, und die übrigen Bojaren nicht mehr gesehen werden.
MENZIKOF.
Abraham Lapuchin.
LAPUCHIN.
Ich sterbe schuldlos, so beglückter drum.
Zu meinen Vätern geh' ich unbefleckt,
Und sag': »Hier ist eu'r Sohn.« –

Gegen Peter gewendet.

Fluch über dich!
Du tilgst die Edlen weg von Rußlands Boden,
Drum sollen Knechte deiner spotten, Knechte
Soll'n dich verraten, und dein Weib verführe
Der Knecht, dem du vertraut! –

Gegen Glebof.

Fluch über dich!
Sieh jenseits reine Tugend.

Er wird abgeführt.
GLEBOF.
Das ist sinnreich.
MENZIKOF.
Basilius Dolgoruki.
DOLGORUKI
gegen Peter gewendet.
Fluch dem Zar!
Vergiftet Lächeln, honigsüßer Trug
[362] Sei deiner Tage Speis'! Der Dinge Form
Verwandle sich in deiner Hand! Das Feste
Zerfließe unter dir!

Gegen Glebof.

Fluch, Glebof, dir,
Der mich verleitet hat ...
GLEBOF.
Die Garnison
Von Twer herbeizurufen? – Sieh, Basil,
Zum letzten Male deine Truppen an!
Du nahmst das Maß der Grube allzu weit,
Wir haben beide Platz darin. Schlaf wohl!

Dolgoruki wird abgeführt.
MENZIKOF.
Stephan Iwanowitsch Glebof.
GLEBOF.
Herr, da bin ich.

Er blickt zum Himmel.

Wär' überm Klumpen: Welt, ein Fünkchen Sinn,
Und ein verständ'ges Etwas, betet' ich:
»Gib, daß ein unschuldvolles Herz vergesse,
Daß einst ein Mensch gelebt, der Glebof hieß!«
Wer aber mag ins Leere sprechen? –

Er nähert sich dem Zar.

Zar!
Du blühst in Mark und Füll, und ich bin hin.
Doch nur die Stunde früher oder später,
Ist unser Unterschied. – Bau' dir den Thron
Von Millionen Schädeln, web dein Kleid
Aus Alexanders Macht und Cäsars Glorie,
Du wirst vergessen um 'nen Wicht. –

Zu Menzikof.

Zum Schluß!

Er geht. Menzikof, Schepelew und die Truppen folgen. Der Zar und Gordon bleiben allein zurück.
[363]
GESANG
von außen, dumpf, monoton.
Leg in den Sarg mir mein grünes Gewand,
Trubor, Trubor!
Sporen zu Füßen, den Jagdspieß zur Hand,
Trubor, Trubor!
Füttre die Rüden, ich hab' sie geliebt,
Streichle mein Rößlein, es steht so betrübt.
GORDON
ist an das Fenster getreten.
Ihr Todesgesang! Sie stehn im Kreis, und halten
Einander bei den Händen, sehen starr
Auf ihre letzte Stätte, und die Bärte
Wehn schauerlich im Nachtwind. – Glebof nur
Steht stumm beiseit, schürzt höhnisch auf die Lippe.
Die Wachen aber singen's mit; es ist
Ein uralt Lied; ich hört' es oft im Lager.
GESANG.
Mach mir die Grube acht Fuß in dem Grund,
Trubor, Trubor!
Streich auseinander das Erdreich rund,
Trubor, Trubor!
Primeln entblühen dem Rasen im Mai,
Achtlos jaget der Tartar vorbei. –
GORDON.
So sangen Douglas' sieben Söhne einst
Im Turm zu Teviotdale.

Peter hat einen Brief eröffnet, erschrickt und läßt den Brief fallen.

Ein Unglück, Herr?

Er hebt den Brief auf.
PETER.
Ein groß Ereignis meldet Münnich mir:
Der König Schwedens fiel vor Friedrichshall.
[364]
GORDON.
So bist du Jupiter, und dieser Tag
Stürzt die Titanen all', die sich gebäumt,
Dein lichtes Reich zu finstern, in den Abgrund!
Herr, gib mir die Entlassung. Patrik Gordon
Will nicht dein Schmeichler werden.
PETER.
Welch Geschick!
Ach Karl, mein Bruder, wie ich dich beweine!
Kein Mensch auf Erden hätte dich geliebt,
Gleich Petern! O mein großer, lieber Feind!
Beglückter Fürst! Du führtest freie Männer
Im Rat, zur Tat, und ich – durchwate Blut.

Er geht. Gordon folgt.
6. Szene
Sechste Szene
Altertümlicher Saal im Kreml.
Alexis sitzt an einem Tische, den Kopf gestützt, blaß, von Schmerz entstellt. Wachen im Hintergrunde. Peter tritt mit Gordon ein. Gordon entfernt sich gleich darauf mit den Wachen. Peter tritt, wenn die übrigen Personen den Schauplatz verlassen haben, vor.

PETER.
Ein Wort zu Euch, Alexis.
ALEXIS
steht auf.
Ich erwart' es.
PETER.
Vernähmet Ihr den Ausgang der Genossen?
[365]
ALEXIS.
Ich habe keine Genossen.
PETER.
Das kann sein. –
Wie denkt Ihr über Euer Los?
ALEXIS.
Ihr habt
Den Quell des Denkens in mir ausgetilgt.
Doch ich besinne mich: Ihr seid allmächtig,
Und eine Antwort wollt Ihr. – Laßt denn sehn!
Ich denk', Eur' Majestät erscheint als Bote
Des Henkers.
PETER.
Eu'r Gewissen ist ein Plaudrer.
Ich find' Euch – sehr gefaßt. Spart diesen Mut!
Wahr ist's, ich kam nach Moskau, finstrer Absicht
Auch gegen Euch, Alexis, voll. – Ihr solltet
Für jahrelangen Trotz, verstockten Stumpfsinn,
Für Undank gegen jegliche Bemühung,
Zum Erben meines Sinnes Euch zu bilden,
Für endlich ausgeführten offnen Aufruhr,
In Eurem kranken Blute büßen. Gleichwohl
Schämt' ich mich nie, die Meinung aufzugeben,
Die mit dem Stand der Sachen stritt.
Der Schwachkopf
Muß immer recht behalten. Ich – bedarf's nicht.
Ich glaub', ich irrte mich in Euch. Das heißt,
Was dieser Tage Schuld betrifft. Es ist
Die Stund', es ist an Euch, zu sagen, ob
Mein früh'res Meinen Unrecht Euch getan.
ALEXIS.
Ich werde Rede stehn.
PETER.
Ihr wünscht, ich sah es,
[366] Nicht Eures Vaters Tod. Ihr warft entschlossen
Den Mördern Euch in Weg.
ALEXIS
bitter.
Ist dies die Tat,
Die mich erhöht in Euren Augen?
PETER.
Nein.
Von Lieb' und Achtung ist die Rede nicht,
Von Wahrheit nur und Recht.
ALEXIS.
Wahrheit und Recht!
Ihr armen Worte!
PETER.
Sprecht gesetzt und ruhig.
Kommt mir entgegen. Meines Dünkens hab' ich
An diesem Zuge Euch erkannt.
ALEXIS.
(Es ist
In seiner Red' etwas, das milde schimmert,
Wie'n einsam Blümchen in der schwarzen Wildnis.
Ein Schau'r der Menschlichkeit? Glaub's! Glaub' es, Seele!)
Laßt hören mich, mein Vater, was der Zug
Dem Zar berichtet hat?
PETER.
Hört es, Alexis.
Ihr seid ein Mensch, nicht abgeneigt dem Bösen,
Der wohl den Frevel will, wenn er gefahrlos.

Alexis wendet sich ab.

In Eurer Seele wart Ihr eng-vertraut
Mit schlimmen Wünschen. Wär' der Vater nur
Dahin gewesen! Euer schwörend Wort,
Das Euch den Thron versagt, war dann ein Wort,
[367] Nichts mehr. Ihr schwort mit Vorbehalt; nicht wahr?
Durch schlauen Trübsinn, Seufzer, list'gen Kummer
Habt Ihr die Schlechten Euch verkettet. – »Wenn
Es anders werden sollte ...« Und: »Alt-Rußland,
Das ist mein Wall ...« und so dergleichen mehr.
Doch nun erschien der Tag, an dem es galt,
Mit kühner Faust die böse Schrift des Herzens
In Rußlands Sand zu schreiben; mit dem Schwert
Die Bahn zu zeichnen, die der groll'nde Geist
Lang in der Still' entworfen. »Wage! Handle!«
Rief dieser Tag. Er suchte einen Helden,
Und fand – Alexis.
ALEXIS.
... Dahin zieltet Ihr!
Wie könnt' es denn auch anders sein?
PETER.
Was sagt Ihr?
ALEXIS.
Mir saß die Freude, einer Schwalbe gleich,
Die kurz verweilt, süß-zwitschernd in der Brust,
Und sang: Der Zar sinnt auf ein günst'ges Ende.
Sie regt die Schwingen, flattert fort. O Traum,
Den Leidende zu träumen nicht ermüden,
Daß Elend heilbar sei!
PETER.
Es endet günstig
In Eurem Sinn. Euch bleibt das Leben, hoff' ich.
Ich bin in Eurer Schuld von heute abend,
Ich will's nicht bleiben; ich bezahl' Euch. Selbst
Habt Eu'r Geschick in Händen Ihr. Wie steht's
Um Euren Teil an dieser Felonie?
Ich glaube, was Ihr sagt.
ALEXIS.
Ihr habt bereits
Euch den Bescheid gegeben. Mir gebrach
[368] Der Mut, den Nacken aus dem Joch zu ziehn;
Zu feig war ich für Zepterraub.
PETER.
So war's. –
Verachtungswürd'ge Unschuld! Halbe Tugend!
Viel fremder mir, als ganzes Laster ist.
Ich habe arg gefehlt, als ich von Napel
Zurück Euch holen ließ. Ihr seid bei mir
So freigesprochen, daß kein Kläger je
Was wider Euch vermögen soll.

Nach der Tür deutend.

Jetzt geht.
ALEXIS.
Wohin?
PETER.
Wohin Ihr wollt; mir gilt es gleich.
Ich kann Euch hier nicht dulden, Ihr begreift das.
Flieht! Ungeschädigt lebt, wo's Euch gefällt.
Den Feind vertilgt' ich, der gefährlich mir,
Euch mag ich atmen lassen. Geht doch! Geht!
Der Oberst Gordon wartet vor der Tür,
Zu schützen Eure Flucht.
ALEXIS.
Der Mann ist müd'. –
Laßt diesen Oberst schlafen gehn; ich brauche
Die Hülfe seines Degens nicht.
PETER.
Du brauchst sie,
Unruhig ist die Straße.
ALEXIS.
Ist sie's? Wohl,
So bleiben wir zu Haus.
[369]
PETER.
Du willst nicht fliehn?
ALEXIS.
Bei Eurer Größe: Nein!
PETER.
Du willst nicht fliehn?
ALEXIS.
In tiefster Ehrfurcht eines Knechtes: Nein!
Nein, nein, und aber nein!
PETER.
Was willst du denn?
ALEXIS.
Nichts Unbescheidenes; ich will Gericht!
PETER.
Gericht!? – Du selber ...
ALEXIS.
Ich will Reichsgericht
Um – Rebellion und Hochverrat.
PETER.
Du rasest!
ALEXIS.
Vergebt, ich bin bei Sinnen! – Diese Nacht
Hat mich erzogen! In der Mutter Antlitz
Sah ich der Furie Blick! Der Vater steht
Bis an den Hals in Blut, und höhnt den Sohn!
Ich faß' mich schaudernd an! Ward ich zum Hauch?
Nein, unsre Sehnen sind ein zäh Geweb'!
Es kommt der Tag, wo auch der Schwächste sich
Gerüstet fühlt. Die Menschen haben mich
Nicht sanft geführt;
[370] Drum hat der Himmel meiner sich erbarmt,
Und mündig mich gesprochen! –
Zusammen bricht mein sterblich Teil! Der Gott
Schwebt siegreich über des Alexis Leiche!
Nicht sehn' ich mich nach meines Mädchens Brust,
Nicht dürst' ich nach der Luft, dem Licht der Welt,
Nicht schmacht' ich nach dem Sakrament des Herrn!
Ich sehne mich, ich dürste, schmachte, lechze
Nach Fesseln, Schranken, Ladung, Frage, Spruch!
PETER.
Ihr sollt entfliehn!
ALEXIS.
Du kannst mich niederstoßen,
Du kannst den Richtern heißen, schmählich urteln,
In alle Zukunft hin verfälsch' mein Bild!
Das kannst du, doch was andres kannst du nicht!
PETER.
Alexis!
ALEXIS.
Großer Zar?
PETER.
Besinne dich.
ALEXIS.
Auf meine Ehre hab' ich mich besonnen.
Peter Nur meine Diener richten, deine Feinde.
ALEXIS.
Mit tausend Feinden kämpf' ich um den Preis.
PETER.
Weshalb der Kampf, wenn du so schuldlos bist?
ALEXIS.
Das soll verkündet werden aller Welt.
[371]
PETER.
Unsinniger! Ihr Wort wird lauten: »Tod!«
ALEXIS.
Die Schmach auf sie, die Ehre bleibt für mich!
PETER.
Bei meiner Macht! Trotz'st du auf Spruch und Recht,
Ist mir's, ich schwör's, nur ein gemeiner Fall!
Ich bin zu Großmutsstreichen nicht gestimmt.
ALEXIS.
Vor Eurer Großmut wolle Gott mich schützen!
PETER.
Ihr seid Eudoxiens Sohn! –

Er steht in Gedanken. Nach einer Pause.

Nun, nun, was gibt's
Denn hier so viel zu sinnen? Jeder Russe
Darf fordern, daß vor seine Obrigkeit
Man ihn gestelle. Die Befugnis ward
Ja für den Sohn des Zaren auch geschrieben.

Zu Alexis.

Ihr werdet Moskau morgen früh verlassen.

Er wendet sich zum Abgehn.

Gericht von Petersburg, nimm deinen Gang!

Der Vorhang fällt.

[372] Das Gericht von St. Petersburg
Tragödie

[373]

Personen

Personen.

    • Zar Peter.

    • Alexis.

    • Katharina.

    • Euphrosyne.

    • Menzikof.

    • Gordon.

    • Tolstoi, Staatsrat.

    • Jaguschinsky, Generalprokurator,
    • Ostermann, Vizekanzler,
    • Schaphirow, Generalpostmeister,
    • Theophanes, Bischof von Pleskow, , Beisitzer des Gerichts über Alexis.

    • Oberst Schepelew, Kommandant der Festung zu St. Petersburg.

    • Mons de la Croix, Kammerherr Katharinens.

    • Therese, seine Schwester,
    • Anna Cramer, , Hoffräulein.

    • Danilow, Abgeordneter der Stadt Moskau.

    • Aaron, Archivar von Moskau.

    • Ein Arzt.

    • Costa, Hofnarr Peters.

    • Zwei Türsteher.

    • Ein Bote.

    • Abgeordnete Alt-Russischer Städte.

    • Generale, Senatoren, Geistliche, Soldaten.

    • Sekretäre, ein Dentschik.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Ein Kirchhof unweit Moskau. Die Gräber der Bojaren. Morgenröte.
Danilow Deputierter der Stadt Moskau. Viele andre Deputierte russischer Städte. Sie treten nacheinander herein.

DANILOW.
Sind die von Wladimir da?
ZWEI DEPUTIERTE.
Ja Danilow.
DANILOW.
Von Twer, von Tula, Nowgorod, Smolensk?
MEHRERE.
Wir stehn für diese Städte.
EINER.
Ich für Räsan.
EIN ANDRER.
Ich für Kiew.
EIN DRITTER.
Frag doch nicht einzeln nach.
Du riefst, wir kamen, sind bereit, vors Antlitz
Des Herrn zu treten, und den Sohn zu fordern.
Alt-Rußland steht auf diesem Gottesacker.
DANILOW.
Alt-Rußland steht auf einem Gottesacker,
Und über Toten seufzen Sterbende!
Hier schlafen die Bojaren, unsre Schirmer.
[375] Wie anders tönte jetzt aus ihrem Mund
Gerechten Anspruchs Wort! Sie sind erwürgt,
Und Waisen müssen reden statt der Väter. –
Wir haben schlimmen Weg; das Sprichwort sagt:
Bedenk' Dich hundert Stunden, eh' Du klopfest
Ans Tor des Zaren. –

Geheimnisvoll.

Aber Sachen gibt's
Absonderliche, gegen Schmach und Pein.
Brech' jeder einen Zweig von diesen Gräbern!

Er bricht ein Reis von der Staude auf einem Grabe.

Einer Ist so ein Zweig ein Amulett?
DANILOW.
Er ist's.
Wer einen Zweig vom Grab gemordeter Unschuld,
Ja nur ein Gräslein, Hälmlein bei sich trägt,
Ist hiebfest, stichfest, schußfest, flammenfest.
Sie sagen – ich versteh' nicht, ob's so recht? –
Der Herr hab' einen Engel angestellt,
Der drüber wachen müsse, daß kein Blut
Schuldlos vergossen werde auf der Erde.
Ist's doch geschehn, so sitzt bei Nacht der Engel
Trau'rvoll auf solchem Grabe, härmt sich sehr,
Und taut auf Strauch und Rasen milde Tränen.
Gras, Reis und Staub, von Engeltränen feucht,
Sind dann geheiliget. Das Schwert sinkt furchtsam,
Der Pfeil fleucht seitwärts, Feuer lischt erschrocken,
Nahn Schwert, Pfeil, Flammen dem geweihten Ding,
Woran ein Tropfen Himmelszähre hing.
EINER.
Ihr legt mir aus, was ich nicht wußt' zu deuten!
Ich selber sah bei Nacht beglänzte Gräber,
Wenn ich im Handel meines Pfades zog
Vorüber an dem Richtplatz oder Kreuzweg,
[376] Wo sich ein Hügel hob, begrast und alt.
Und schluchzen hört' ich auch an solchen Stätten;
Es klang so herzlich und so wehmutsvoll,
Daß mir die Brust von seltnem Schauder schwoll;
Was leucht' und schluchze, hab' ich nicht gesehn,
Ich scheute mich, den Plätzen nah zu gehn. –
Laßt uns die Zweige brechen von den Gräbern
Der hingeschlachteten, großmächt'gen Herrn!

Sie brechen Zweige von den Gräbern.
DANILOW.
Da kommt der Alte, der die Schriften aufhebt
Von Moskau und dem Reich, der Archivar,
Aaron, der Greis. Die Urkund' bringt er uns
Der Wahl Mikaila Romanows; daraus
Erweisen wir's dem Zar.
2. Szene
Zweite Szene
Aaron ein achtzigjähriger Greis, tritt auf. Er trägt ein Buch, in Purpursammet gebunden, mit goldnen Buckeln und Spangen. Vorige. Später: Ein Bote.

AARON.
Guten Morgen, Kinder!
DANILOW.
Mein alter Vater, scheut Ihr nicht die Kühle?
Ihr hättet Euren Diener schicken solln.
AARON.
Das liebe Frühlicht ist mein Augenbad,
Der Tau im Gras erquickt den welken Leib.
Wofür siehst du mich an? Hältst mich so schwach?
Wie'n Vogel, der im Käficht hüpft von Stänglein
[377] Zu Stänglein, springt ein alter Archivar
In dem Gewölb von einer Sproß' zur andern,
Das hält ihm frisch die Füße.

Er schaut sich um.

Meine Kinder,
Es freut mich, zu erleben, daß die Wackern
Der alten Städte Rußlands sich geeinigt,
Und wolln nicht dulden, daß ein großer Frevel
Beflecke dieses Land vor Gottes Blick.
Einlegen wollt ihr, wie sich's ziemt, Protest,
Verwahren uns und unsre Enkel. – Noch
Gibt's also russisch Volk, noch sind nicht alle
Gleichgült'ger Straßenpöbel worden. Wandert!
Mein Segen geht mit euch. O meine Guten,
In achtzigjähr'gem Leben merkt' ich stets:
Gewalttat, wüchse sie auch stolz zum Himmel,
Hat keine Wurzeln. Nur was billig, bleibt.
DANILOW.
Das Äußerste versucht er jetzt. Das kommt
Davon, daß wir so lange stillgehalten.
AARON.
Wie gut und löblich war. Rein Schild ist Notwehr.
Ohn' das soll keiner rechten mit dem Herrn,
Den Gott ihm gab.
DANILOW
nach den Gräbern zeigend.
Und wer erweckt die Toten?
AARON.
Sie ruhn in Frieden! – Wenn der Zar ein Übles
An ihnen tat, hast du es zu verbessern?
Wird's dir zu Last gestellt? Warst du ihr Vogt?
Sie konnten sich verteid'gen; fielen sie,
Was gilt das uns? Die Mauern eurer Städte
Bestehn, wenn auch ihr Wappen brach. Allein
Der Sohn, der Großfürst, der geborne König
[378] Mit dem ist's anders. Der gehört uns, der
Ist unsres Friedens Bürge. Bruderteilung,
Zersplitternd Erbgesetz war Rußlands Fluch;
Wer zählt die Fürstentümer, all die Fetzen
Von Ruriks Mantel? – Lest's, wenn ihr's vor Tränen
Vermögt, in meinen Pergamenten, wie
Das große Reich zerfiel, wie sich die Vettern
Gemordet! Unordnung allüberall!
Und dies schandbare Wirrsal wegzutilgen,
Vertrugen unsre Väter sich im Kloster
Ipatzk, und legten's in die eine Hand,
Daß nun von Sohn zu Sohn geruh'ger Herrschaft
Bestimmte Sonn' uns leuchte. – Ihn vermachten
Die Männer uns von Sechszehnhundertdreizehn,
Heilig ist dieses Eigentum, der Pakt
Knüpft uns an ihn.
DANILOW.
Gib mir das Buch.
AARON.
Nimm's hin.
Es ist der Anker des gemeinen Wesens;
Am Herzen trag's, leg's unter deinen Hauptpfühl,
Streckt seine Hand ein Räuber danach, gib
Das Leben ihm, doch nicht das Buch!
DANILOW.
Ich liefr' es
Euch unverletzt zurück.
AARON.
Ich kann's nicht geben!
Hab's sechzig Jahr' hindurch bewahrt; ich stand
Dabei, wenn es besehen ward, es hat
Kein fremder Finger daran rühren dürfen.
Wär' es mir aus den Augen, ich verging'
Vor Unruh. Ich will mit euch.
[379]
DANILOW.
Ei, mein Greis
Bedenk, die Reis' ist schwer.
AARON.
Ihr macht sie leicht.
Ihr habt gewiß ein Rößlein für den Alten,
Ein frommes Tier; bequemen Sattel habt ihr
Legt auch, das weiß ich schon, dem Graukopf gern
Zu nächt'ger Rast die wärmste Decke hin,
Und schafft ihm seine Nahrung.

Ein Bote tritt auf.
DER BOTE.
Auf! Stadthäupter!
Spornt eure Rosse, daß sie windschnell fliegen!
Unbill ist rasch, laßt Tugend rascher sein;
Vom Norden spreng' ich her, sie zimmerten
Dem Zarewitsch die Schranken.
DANILOW.
Wehe über
Die Richter, ihre Kinder, ihre Enkel
Bis in das vierte Glied! Sie soll'n verdorr'n
An Ehre, Gut und Leib!
ALLE.
Weh über sie!
AARON.
Auf, Rußlands Söhne! Eile kürzt die Straße!
Da bricht die Sonne siegreich durch den Duft.
Bei ihrem Licht! Ich habe guten Mut,
Zu retten unser junges Fürstenblut,
Wir fechten ja in einer festen Burg,
Kommt, Ruriks Kinder, kommt nach Petersburg!

Sie gehn.
3. Szene
[380] Dritte Szene
St. Petersburg. Audienzsaal.
Zar Peter auf dem Throne. Jaguschinsky. Menzikof. Ostermann. Schaphirow. Tolstoi. Theophanes. Viele Generale und Senatoren. Gordon im Hintergrunde.

PETER.
Ins Reich zurückgelangt, bedachten wir
Zuerst, die Ruhe heimzuführen, welche
Böswillig eine gottverhaßte Rotte
Aus ihrem stillen Sitz gescheucht. Wohl war
Hier Festigkeit vonnöten. Trifft das Feu'r
Auf Stein und Eisen, ist's von selbst gedämpft;
Wer aber hemmt die Flamme, faßt sie Zunder?
Noch voll des Zunders war das Land. Dies hielt
Fern unser Aug' bisher von andern Dingen,
Wodurch wir, will es Gott, das Volk der Russen
Aus seiner Nacht zu dem glorreichen Tag
Hinanzuleiten streben, den wir ahnend
In unsrer Seele schaun. Von Osten ging
Das Licht aus, so die Welt erleuchtete,
Und wanderte gen Abend bis zum Fels
Des Herkules. Der Ratschluß aber ist,
Daß es, zurückekehrend, ewig weile
Bei uns im Ost. Ich hab' den Schluß erkannt,
Und will der Mann sein, ihn ins Werk zu richten.
Ihr Diener meines Willens, meldet mir,
Was ihr getan.
THEOPHANES
tritt mit einem Hefte vor.
Ich hab' den Wald gelichtet
Für deine schöne Pflanzung. Kein Gedeihn,
Wo Aberglaub' und Priesterherrschaft dunkeln.
Ich sag' es, selbst ein Priester. Überall
Fand ich die Städte blühnd, die Menschen fleißig,
[381] Wo fromme Könige dem Volk gewährt,
Soviel des Glaubens dienen mag dem Volk.
Des Landes Herr sei auch der Kirche Herr,
Ejus religio, cujus regio!
Es ordn' ein heiliger Synod das Heil'ge,
Sei du des heiligen Synodes Haupt.
Zu Füßen leg' ich Eurer Majestät
Der neuen Einrichtung Plan und Entwurf.

Er legt das Heft auf die Stufen des Throns.
PETER.
Bischof von Pleskow! So sei Gott mir gnädig,
Als ich ihn ehr' und fürchte. Mein Gewissen
Erlaubt mir zu empfangen, was Ihr bietet.
Ich rief es heftig einst, nun sag' ich's sanft:
Hier habt Ihr Euren Patriarchen!
JAGUSCHINSKY
tritt mit einem Buche vor.
Das erste Gut des Menschen ist sein Recht.
Es weiht das Irdisch-Flücht'ge zum Bestand,
Und wer's dem Menschen rasch gibt, gibt es doppelt.

Mit einem Seitenblicke auf Tolstoi.

Obgleich denn mancher meint, es büß' etwas
Von seiner Würde ein, wenn es nicht schleiche. –
Erhabner Zar, gerechtester Monarch,
Wirf einen gnäd'gen Blick auf dies Gesetzbuch,
Das deinen Russen künftig weisen wird,
Was Rechtens, bündig, klar und kurz.

Er legt das Buch auf die Stufen des Throns.
PETER.
So lieb' ich's.
MENZIKOF
tritt mit einer Zeichnung vor.
Rußland führt unter einem Haupt zwei Leiber.
Durch Asien streckt der eine sich, der andre
Bedeckt Europa. In jedwedem Leib
[382] Strömt eine Ader: Don und Wolga. Beide
Sind jetzt verbunden. Von dem Europäer
Rollt brüderlich das Blut zur Asiatin.
Schau' es im Bild.

Er legt die Zeichnung auf die Stufen des Throns.
PETER.
Du bist ein tücht'ger Werkmann.
SCHAPHIROW
tritt mit einer Zeichnung vor.
Ich kann nicht flüssig asiatisch reden.
Mein Zar, ich bleibe lieber auf dem Trocknen
Zu ebner Erde. Dort hab' ich gebaut
Die Straße von St. Petersburg nach Asow.
Sieh's abgerissen hier.

Er legt die Zeichnung auf die Stufen des Throns.
PETER.
Ich mag in Worten
Den Scherz, wenn man, wie du, den Ernst betätigt.
Doch was bringt Ostermann?
OSTERMANN
tritt mit einem Dokumente vor.
Die Frucht des Glücks,
Des Zufalls, der Gelegenheit, der Waffen,
Nicht meines geringen Verdienstes. Herr, den Frieden!
Auf Insel Aland haben
Der Baron Görtz und ich die Punkt' entworfen.
Er eilte nach Stockholm. Nicht zaudern wird
Ulrik' Eleonore. Nach des Königs
Unvorgesehnem Hintritt ist das Land
Geteilt, bestürzt, verworren. Gerne gibt
Die Hälfte sie, den Rest zu retten.

Er entfaltet das Dokument.

Wiborg,
Kexholm, Karelien, Livland, Ingermanland,
[383] Estland samt Reval werden unser. – Reservaten
Hab' ich hinzugefügt, woraus noch mehr
Ansprüche bei gelegner Zeit zu folgern.
Was alles klärlich steht im Instrument,
So ich zu höchster Bill'gung niederlege.

Er will das Dokument auf die Stufen des Throns legen.
PETER.
Nicht dahin, Ostermann! In meine Hand!

Er nimmt es.

So halt' ich's denn! Was wir mit Blut gekauft,
Ist endlich nun urkundlich unser. Endlich
Steh' ich auf meinem Grund und Boden hier!
Nach zwanzig heißen Jahren! Wieviel Leichen
Sind in ihr Grab gelegt, damit dies Blatt
Beschrieben werden konnte! – Ostermann,
Senk nicht den Blick zu Boden, wie du pflegst,
Sieh frei empor zu deinem Zar. Du darfst es.
Du hast die Bürgerkrone dir verdient.
Graf Ostermann, der erste dieses Namens,
Wir sind mit Euch zufrieden. Gern gestehn wir,
Wir hätten's nicht so gut zustand gebracht.
Ihr seid auf dem Papier ein bessrer Feldherr,
Als Admiral Peter.

Er steht auf. Zu Theophanes, Jaguschinsky, Menzikof, Schaphirow.

Nehmt die Sachen auf.

Sie nehmen das Niedergelegte von den Stufen des Throns. Der Zar kommt vom Thron herab.

Euch allen danken wir. Es ist doch anders
Bei uns geworden. Asiens Stoffe bringt
Auf deiner ebnen Straße, Schaphirow,
Uns das Kamel der Bucharei. Das Schiff
Fährt, Menzikof, auf Fluten, die du lehrtest
Zu unsrem Vorteil strömen. Neu Gesetz
Schirmt, Jaguschinsky, unser neues Volk.
Der Schwärmer dumpfes Brüten tilgtest du,
Theophanes. Und Ostermann schuf Frieden,
[384] Daß wir das alles auch genießen mögen.
Nach menschlichem Begriff steht's wohl um uns!
Man soll von jenen sieben Wundern nicht
In meiner Gegenwart mehr reden, denn
Es gibt kein Wunder. Nicht ohn' euch wär' mir's
Gelungen. In dem schlichten Wort empfangt
Des Zaren Herz.
MENZIKOF.
Nicht Zar mehr! Großer Herr:
Volk, Heer, Senat flehen zu dir durch mich,
Du wollst, weil du erneu'st der Römer Weltreich,
Ein Kaiser sein, Selbstherrscher aller Reußen,
Vater des Vaterlands dich grüßen lassen.
EINIGE.
Heil Kaiser Petern!
ANDRE.
Heil dem Selbstherrscher aller Reußen!
ALLE.
Des Vaterlandes Vater lebe hoch!
PETER.
Vater des Vaterlands! – Ein schöner Name,
Der Vatername! Dank noch einmal, Freunde!
Ihr seid entlassen. Tolstoi!

Alle bis auf den Zar und Tolstoi ab.
4. Szene
Vierte Szene
Zar Peter. Tolstoi.

PETER.
Du schwiegst.
Hast du mir nichts zu melden?
[385]
TOLSTOI.
Nichts, o Herr,
Was neben Gaben, die dir andre brachten,
Sich nennen ließe. Unser eng Geschäft
Fließt, wie der Bach, in unberühmten Ufern,
Derweilen frei're Tätigkeit, gleich Strömen
Dahinrauscht, und den Mann verklärt. Daß wir
In unsren Grenzen bleiben, ist, was man
Von uns verlangt. Man malt nicht ohne Grund
Die Themis blind und sitzend. Ja, sie darf
Die Schönheit dieser Welt nicht sehn. Sie muß
Inmitten der unendlichen Bewegung
Starr auf dem Flecke bleiben.
PETER.
Wie weit seid Ihr?
TOLSTOI.
Auf morgen steht die Sache zur Verhandlung.
PETER.
Es sind doch alle einberufen, die
Ich dir genannt?
TOLSTOI.
Wie du befohlen hast.
Ganz Neu-Rußland wird in dem Hofe sitzen.
PETER.
Auch Ostermann?
TOLSTOI.
Sobald der Graf ans Land
Gestiegen war, empfing er dein Patent.
PETER.
Ich will, daß niemand fehle, dessen Name
Erklang in diesen letzten zwanzig Jahren,
Nicht einmal Menzikof; des Beispiels halber. –
Ist dir verstattet? ...
[386]
TOLSTOI.
Es ist nicht geboten,
Daß öffentlich Gericht verheimlicht werde. –

Nach einer Pause.

Der Zarewitsch ist schuldlos.
PETER
lebhaft.
Wirklich?
TOLSTOI
lauernd.
Ist's. –
Verhör und Zeugen, Gegenzeugen, alles
Beweist, daß die Bojaren ihn zum Werkzeug
Gebrauchen wollten, daß ein hoher Sinn
Die Wahrheit ihn gelehrt, und daß er rein
In jenem Labyrinthe blieb. Er denkt
Von dir verschieden. Dafür fehlt die Strafe.
In unserem Gebiet büßt nur die Tat.
Unschuldig ist der Prinz. Auf deinen Zorn
Wag' ich's, zu wiederholen.
PETER
finster.
Wer gibt Euch
Die Leucht' in meine Brust?
TOLSTOI.
Ew. Majestät,
Wir sind in schlimmer Lage. Dein Gericht
Hat nur die Wahl: zu morden, oder aber
Geschehn zu lassen, daß das Vaterland
Mit Blut und Wunden seinen Spruch verklage.
PETER.
Wieso?
TOLSTOI.
Du sprachst von ausgelöschtem Feu'r.
[387] Nein, Ew. Majestät vergeb', die Flamme
Ward erst entzündet in Bojarenblut.
Das Volk, emporgerüttelt, schwärmt für die,
Die's lebend nicht zu schützen wagte. Freunde
Und Vettern, Söhne, Brüder schüren zu.
Um Fetzen schlägt man sich von ihren Kleidern,
Vor ihren Bildern brennen Lichter sie,
Als wären's Heilige gewesen. Wahn
Bestärkt die Bosheit; einen Namen hätt' ich
Zu nennen, der dir bitter-schmerzlich ist.
Der Seher starb, die Seherin erstand.
Sie sprüht aus ihrem Dunkel Weissagungen,
Vernichtungsträume übers Reich. Das Volk
Glaubt, tröstet sich, befestigt sich im Starrsinn.
Zwei Geister gehen um: Der Haß, die Liebe.
Die Liebe ruft mit letzter Kraft: »Alexis!«
Und wen der Haß ruft, brauch' ich nicht zu sagen.
PETER.
Nur weiter.
TOLSTOI.
Selbst der Angeklagte birgt
Uns seinen Ingrimm nicht.
PETER.
Die Folg' aus allem?
TOLSTOI.
Schon trieb man mich, drang in mich, schalt auf mich,
Weil auch in dieser Sach' mit des Gesetzes
Ernstem gemeßnem Gang ich Schritt gehalten;
Bedachtsam war ich, und ich schien verdächtig.
Es ist die Eigenheit des Menschen, daß er
Sich leicht für unentbehrlich hält. Sein Unglück
Muß gleich dem Staat ein Mißgeschick bedeuten;
Und um von dem den großen Schlag zu wenden,
Hilft man sich selbst vorerst, gut oder übel.
Anklagen ist des Jaguschinsky Pflicht,
[388] Des Legislators! Nicht die meine. Doch
Nach dem, was ich gehört, aus Winken schloß,
Mein' ich, es gibt ein seltsames Gericht;
Und alles eher, als die Schuld des Prinzen,
Wird morgen uns beschäft'gen.
PETER.
Das sagt Tolstoi?
TOLSTOI.
Ich bin erstorben für den Braus der Welt.
Fiat Justitia et pereat mundus!
Ich werde dies Symbol vertreten. Aber
Mein Amt erheischt, umfassend zu berichten.
Gern wend' ich Schaden ab, vermag ich das;
Ich fürcht' auf jede Weise schlimmen Ausgang.
Denn siegst du nicht, o Herr, in dem Prozeß,
So unterliegst du nicht bloß in den Kosten,
Was weiteren Beweises kaum bedarf.
Und deshalb bitt' ich dich, nimm diesen Handel
Aus meiner Hand zurück. Entscheide du!
Noch ist es Zeit. Zu hoch für Untertanen
Ist Herrschers Streit mit Herrschers Erben.
PETER.
Erben?
TOLSTOI.
Er hehlt es nicht, daß – Eure Majestät
Verzeihe mir das freie Wort – der Zwang
Niemand verbinden könne, daß, gedrungen
Von Eurer Drohung, er verzichtet habe,
Und daß der Anspruch auf die Krone nie
Für den verjähre, der ihn einst besaß.
PETER.
Wie? Spricht er so? Ist dies nicht Todes wert?
Tolstoi Nein, Eure Majestät, es ist 'ne Meinung.
[389]
PETER.
Welch' Ihr zu teilen scheint! –

Nach einer Pause.

Im übrigen
Mag ich dir wohl vertraun, sinkt er darum
Bei mir nicht tiefer. Einmal, nur einmal
War er mir ganz zuwider. Wenn du sagst,
Es sei gewesen, als er aufgab, was
Mikaila Romanow vom Volk empfing,
Trafst du vielleicht das Richtige. – Es gibt
Verschiedne Wege, die zur Achtung führen
In meinem Herzen.
TOLSTOI.
Steht's denn zwischen Vater, Sohn,
So löse der Vater diese Frage.
PETER.
Heut
Bist du nicht glücklich, Tolstoi! Im Rat
Findst du ja sonst so ziemlich dich zurecht.
Er wollt's! Ich hab's verstattet, weil dem Arzte
Zu folgen ich entschlossen bin. Der sucht
Für eigne Schäden nicht bei sich die Mittel.
Nein er, der Tausenden geholfen, heischt sie
Von einem zweiten selber sich. Dies ist
Ein Schaden, nächst am Herzen mir; darum
Berief ich Euch zur Heilung. Nun bewährt Euch.
Ihr, Tolstoi, müßt die flücht'gern Geister leiten,
Denn Ihr seid kalt und unerschütterlich.
Denkt hoch von Eurem Amt! Schöpft Ihr das Urteil,
Das ohne Ansehn der Person, nicht achtend
Auf die Gewalt der Majestät, die Luft
Des Volks, von lautrer Überzeugung blinkt,
Dann, Tolstoi, erfochtet Ihr den Sieg,
Nicht kleiner, als die andern, so der Schwede,
Und die Natur uns lassen mußten.
[390]
TOLSTOI.
Bin
Ich wahrhaft unbeschränkt?
PETER.
Dein Stab erteile
Die Antwort dir. Du fragst nur, um zu fragen.
Ihr sollt hier handeln, als gelt' es die Sache
Des ärmsten Bürgers. Sterb' er, wenn er muß,
Und sprecht den Prinzen frei, sofern Ihr dürft.
Ihr seid die Herrn und Meister Eures Saals.
Vergeßt, ich will's ausdrücklich, daß ein Zar,
Der Peter heißt, regiere. Denkt Ihr meiner,
So denkt an mich als den, der vom Hochbootsmann
Sich bis zum Admiral emporgedient.

Er geht.
5. Szene
Fünfte Szene
TOLSTOI
allein.
Es könnte kommen, daß ich des gedächte! –
Dies Großmannstun muß auch sein Lehrgeld zahlen,
Es war mir lang' schon widrig. Gleich sei alles!
Nun, was ich heute mit dir vorgehabt,
Gelang ja schon. Ich habe dich erforscht,
Und deine schwache Seite zubereitet.
Da wir vor deiner Gnade sicher sind,
Ist dem Alexis seine Gruft gehöhlt.
Zwar ich entdeckte nichts. Nichts? Ist er doch
Ein Mensch! Und unser Menzikof spürt wacker.
In vierundzwanzig Stunden haben wir
So eine Art von Schuld. Ich weiß das schon;
Ich fühl' es in der Luft und an der Witt'rung.
Warum denn haß' ich ihn? Er tat mir ja
Nie was zuleide. – Ei, er ist ein Mensch!
Gibt's einen Titel, welcher dringender
[391] Auf zur Vertilgung forderte? Es soll
Nichts leben, was mir in die Hände fällt,
Denn nichts ist lebenswert. – Die Erde ist
Ein abgeschmackter Haufen Staub, der Himmel
Lügt sein gehaltlos Nichts zur Saphirdecke,
Und nur der Tod ist wirklich. – Nein, auch der nicht!
Er ist nur wieder Leben andrer Art.
Aus welchem irgend haltbar'n Argument
Schleppt sich nun wohl so'n Dasein, wie das meine,
Durch Dinte, Moder, Wust und Pergament?
Ohn' Weib, ohn' Kind, ohn' Freund, ohn' Lust, ohn' Aussicht?
Von Geistern sagen sie, die gierig sind
Nach Blut. Dann wärmt ein kurzes, falsches Feuer
Die öden Schemen aus. Das ist kein Märchen!
Doch will ich's suchen nicht mit Dolch noch Klinge,
Nein aus Gesetzen wirk' ich dir die Schlinge.

Er geht.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Ein Saal Katharinens.
Anna Cramer. Therese Mons de la Croix. Beide mit Stickerei beschäftigt.

THERESE.
Wie spät, Anna?
ANNA.
Eilf Uhr.
THERESE.
Die Zarin schläft lange.
[392]
ANNA.
Wer den Hahnenschrei im Bett hört, vernimmt die Mettenglocke nicht.
THERESE.
Hat sie wieder so lange gewacht?
ANNA.

Ich hörte sie leise weinen bis nach Mitternacht. Dann schlummerte ich ein, und erwachte wieder von ihrem Rufen. Sie stöhnte im Schlaf. Die Lampe warf einen schrägen Schein. Ihr Antlitz hatte einen sonderbaren Ausdruck.

THERESE.
Die Frau! Sie kann es nicht verwinden, daß der Zar ihr zürnt und sie meidet.
ANNA.
Meinst du?
THERESE.
Und davon träumte sie.
ANNA.
Davon?
THERESE.
Wovon sonst?
ANNA.

Sie dauerte mich. Ich trat zu ihr, und berührte ihre Hand, sie zu wecken. Sie ergriff die meinige und lispelte: Bist du's? O wenn du mir nur bleibst!

THERESE.
Da meinte sie den Zaren.
ANNA.
Wirklich?
[393]
THERESE.

Und glaubte, er habe die Moskauer Geschichte vergessen, und den Vorfall auf dem Schiffe, und kehre versöhnt zu ihr zurück.

ANNA.
Bei der Nacht?
THERESE.
Nun ja, im Traume. – Wie kannst du so etwas denken? ...
ANNA.
Was?
THERESE.
Laß mich. Ich muß die Stiche zählen.
ANNA.
Therese!
THERESE.
Anna?
ANNA.
Sieh mich an.
THERESE.
Ich kann nicht. Die Rose macht mir zu schaffen.
ANNA.
Eine glühende Rose. Ihr Widerschein liegt auf deinen Wangen. Nehmt euch in acht.
THERESE.
In acht nehmen? Wer?
ANNA.
Du und dein Bruder.
THERESE.
Du wirst unerträglich.
[394]
ANNA.

Wie jede aufrichtige Freundin. Ihr seid Franzosen. Ihr hüpft und hüpft wie die Vögel immer näher der Falle, bis sie über euch zusammenschlägt.

THERESE.
Was tun wir denn?
ANNA.

Verachte nur meine Warnungen. Das ist kein Boden, auf dem muntre Händel gedeihn. Ich bin ein paar Jahre länger an diesem Hofe als du. In diesen Gemächern ist manch ein Seufzer, manch ein Schrei der Verzweiflung erschollen. Wenn die Tapeten reden könnten! Arme Hamilton!

THERESE
springt auf.

Leichenseherin! Es ist nicht zum Aushalten. Draußen nichts als Staatsgespräche, oder das Lallen des Rausches, hier hocken wir, wie die Mumien in den Pyramiden. Und wird einmal etwas laut, ist's so ein Eulengesang. Ich wollte, ich wär' wieder in unsrem kleinen Hause, da litten wir knappe Not, aber wir lachten und scherzten.


Sie geht zu Annen und liebkost ihr.

Was soll ich tun, dich zu begütigen? Soll ich schwören, soll ich mich vermessen? Herz! Geliebte! Murrkopf! Bei allen Liedern der Gascogne; wir sind unschuldig, der Bruder und ich!

ANNA.
Das glaub' ich gern. Als ob man hier schuldig sein müßte, um unglücklich werden zu können.
2. Szene
[395] Zweite Szene
Katharina blaß und verweint. Die Vorigen.

KATHARINA.
Guten Morgen, Mädchen!

Die Fräulein küssen ihr die Hand. Sie streichelt Theresens Wange.

Wie das leichte Rot
Auf diesen Wangen scherzt und spielt! Das Blut
Der reinen Jugend kommt, und grüßt den Tag,
Indes ein schuldiges Gemüt ums Herz
Der kranken Purpur wogen Flut versammelt,
Dem Licht sie zu entziehn. – War niemand hier?
THERESE.
Nein, gnäd'ge Frau.
KATHARINA.
Dein Bruder auch nicht?
THERESE.
Nein.
KATHARINA.
Niemand!
ANNA.
Niemand, Eur' Majestät.
KATHARINA.
Nennt mich
Nicht Majestät! Die Majestät verkündet
Der Schwarm, die Anbetung. Die Königswürde
Hört auf in Wüsten. Nennt mich Martha, wie ...
St! Habt dies nicht gehört! O, ich schlief schlecht! ...
THERESE.
Matuschka, soll ich dir ein Liedchen singen?
[396]
KATHARINA.
Wird mich dein Liedchen heiter machen, Kind?
Musik erhöht die Freude, schärft den Schmerz;
Ein Dämon, mächt'ger als des Menschen Geist,
Lau'rt in den Tönen. – Laßt uns sticken, Mädchen.

Anna bringt ihr eine Arbeit. Sie setzt sich.

Wir wollen Blumen schaffen mit der Nadel,
Indes das Herz von Dornen starrt. Man sieht
So einem Werk von Frauenhand nicht an,
Wie viele Tränen, Seufzer, Bangigkeiten
Hineingefädelt wurden. – Plaudert, Mädchen!
Denkt, ich wär' eure Mutter, und wir stickten
Ums liebe Brot. Vertreibt mit Stadtgeschichten
Der Mutter ihre Zeit!
3. Szene
Dritte Szene
Mons de la Croix. Die Vorigen.

MONS.
Verzeihung, Höchste Frau, dem Lässigen!
Ich hab' im Dienst gefehlt. Die trägen Gärtner
Sind schuld an dem Verzug.
KATHARINA.
Die Gärtner, Mons?
MONS.
Du liebst den Hügel an der Newa Bord,
Der auf die Wiesen schaut, das Birkenwäldchen,
Und auf dein Schweizerdorf. In duft'ger Ferne
Blaut der Ladoga. Aber kahl und steinicht,
War er nicht würdig, meiner Fürstin Fuß
Auf seinem Haupt zu tragen. Jetzo wirst
Du grün und blumig diesen Hügel finden,
Beschattet von Platanen. Ein Kiosk
[397] Beut dir sein Sälchen, drin zu ruhn, beliebte
Dir ein Spaziergang nach der Wiesen-Aussicht.
KATHARINA.
So woll'n wir dies Geschäft denn gleich beend'gen.

Mons stutzt. Anna lächelt. Therese sieht den Bruder fragend an. Katharina zu den Damen.

Ich hab' zu rechnen mit dem Kammerherrn.

Die Fräulein ab.
4. Szene
Vierte Szene
Katharina. Mons de la Croix.

KATHARINA.
Mons! Mons!
MONS.
Bist du erzürnt?
KATHARINA.
Ihr seid zu kühn!
MONS.
Weil ich ein Gartenplätzchen dir geschaffen?
KATHARINA.
Unschuld liebt, das Geschick herauszufordern,
Ist keck und spielt mit Messern.
MONS.
Wär' es möglich,
Daraus Verdacht ...
KATHARINA.
Verdacht!? –

[398] Kalt und streng.

Herr von Croix,
Was kostet die Anlag' auf dem Hügel, die
Durch Euch ich machen ließ?
MONS.
Ihr? Sie? Durch mich?
KATHARINA.
Besinnt Euch, zieht's zusammen. Vor dem Hofstaat
Werd' ich die Rechnung fordern.

Mons steht betreten.

Ihr, ein Jüngling,
Gewandt und zierlich, fein und ... liebenswert,
Und kennt gewisse Anfangsgründe nicht? –
Genug von jenem Blumenstück! – Erzählt mir,
Erzählt mir etwas! Baut man Schiffe? Lästern
Sie viel auf meine Rechnung? Sprich doch, Karl!
Wieg' mich mit Märchen ein! Ach immer Märchen,
Eins bunter, als das andre; bis man schliefe
Von Arabesken überlaubt ... Das wäre –
Ja, das wär' Seligkeit! Wie seid Ihr nur?
Wie seid Ihr heute grad? Ihr steht so stumm,
So kalt, so teilnahmlos mir gegenüber.
Gereut's Euch, hier zu sein? O daß ich alle,
Die sich mir nahn, unglücklich machen muß!
Geht, lieber Mons, gebt dem Zeremonienmeister
Ein gutes Wort, laßt Euch ablösen. Fügsam
Ertrugt Ihr lang genug den Seelenkrampf,
Die Seufzer der verfallnen Katharina,
In diesen düstern Wänden!
MONS.
Düster sind sie,
Wenn deine Strahlen im Getümmel hier
Der Schranzen sich verlieren! Mons begehrt
Nur dich zu sehn, und haßt, was zwischen deine
Und seine Blicke tritt. Ein fühlend Herz
[399] Sucht die Gesellschaft nicht in der Gesellschaft.
Lang dient' ich dir, und meine Eitelkeit
Empfing von dir das Zeichen mancher Gunst,
Ich zierte mich damit, ich zeigt' es jedem;
Kalt sah mein muntres Aug' zu dir empor.
Doch an dem Tag, da ich dich fand, gekränkt,
Vom Schlag, der dich getroffen, überwunden,
Das schöne Haupt, das sonst so stolz geblickt,
Gleich einer kranken Blume niedersenkend,
Seit diesem Tag ... bin ich nicht eitel mehr,
Und deine Gaben hab' ich all' verborgen!
KATHARINA.
So muß man elend sein, Euch zu gefallen!
Zerbrochen sein, daß Ihr Euch ganz empfindet,
So wollt Ihr Eure Kraft in unsrer Schwäche
Bespiegeln nur!
MONS.
Liegt nicht der Sonne Gold
Am reizendsten auf Wolken? Glüht die Rose
Je herrlicher, als wenn der Tau sie säumt?
Ist Liebe nicht ein tiefes, stilles Mitleid,
Ein zartes Grämen, lächelndes Erbarmen?
Wird mich die Königin bestrafen, daß
Ein leidend Weib mich inn'ger rührt', als sie?
KATHARINA.
Die Königin wird gnädig sein, sie ist
Nicht neidisch auf das leiderfüllte Weib. –
Wie lindernd weht der Hauch der Huldigung
Um Wunden, die ein rohes Schwert gerissen!
Wir wähnen uns geheilt, und alles Glück
Ist ja ein Wahn!
MONS.
O sah' ich dich geheilt,
Geheilt in Wahrheit! Wer darf fröhlich sein,
Bist du es nicht ...
[400]
KATHARINA.
Fröhlich! – Das Wort klingt mir
Aus weiter Ferne zu. So fällt verschallend
Des Hochzeitreigens letzter, schwächster Ton
In den entlegnen Kerker des Gefangnen.
MONS.
Dich trösten möcht' ich ... ach, du ahnest nicht,
Was dieser Trost mich kostet! All mein Glück
Entblühte diesen Schmerzen ... bald, ja bald
Wird Mons vergessen sein! Doch sei's gesagt:
Ist's möglich, daß des Herren Laune, kurz,
Wie sie zu währen pflegt, den starken Geist,
Das edle Herz so beugen kann?
KATHARINA.
Und wenn
Nun dieser Geist, dies Herz in finstern Tagen
Gesucht sich hätten, und gefunden nichts
Als eine große Leere? Mons! Vor dir
Möcht' ich mich nicht beschuldigen ...
MONS.
Vertrau mir!
KATHARINA.
Die Einsamkeit ist eine grause Göttin,
Wenn alles um uns schweigt, schweigt auch die Täuschung.
Und wirklich ist man oft, was man vor andern
Zu scheinen sich bestrebte! – Laß das, Mons!
MONS.
Du bist so reich ...
KATHARINA.
An Einbildungen reich,
An Kräften arm! Ich bin des Schicksals Spielball,
Ein Lamm in eines Geiers Fängen! Scherze
Mit großen Dingen in Gedanken, bin
[401] Den Dingen selbst ein Scherz! Ach Mons, ich bin
Ein ganz gewöhnliches, hülfloses Weib,
Zu lieben fähig, hätt's mein Stern gewollt –
Doch so? Was bin ich nun? Torheit im Prunk,
Erhabne Posse, buntgeschminkte Angst,
Bin die gekrönte Sklavin des Tyrannen!
5. Szene
Fünfte Szene
Therese tritt eilig auf. Die Vorigen. Später Zar Peter.

THERESE.
Ach! Eure Majestät ... Die Überraschung ...
KATHARINA.
Was hast du?
THERESE.
Nun? Wie bin ich denn? Was ist's!
Der Zar wird Euch besuchen.
KATHARINA.
Mich? Der Zar?
Kommt Tolstoi gleich mit?
THERESE.
Nein, er ist mild.
MONS.
So bin ich überflüssig!
KATHARINA.
Mons!
THERESE.
Da ist
Der Zar!

Zar Peter tritt ein.
[402]
PETER
zu Theresen.
Du wildes Reh! Muß ich dir folgen
Bis in das Zimmer? Wann, mein Fräulein Mons,
Erhalt' ich die versprochne Stickerei?
Behandelt Ihr die Freier, wie den Zar,
Wird man Euch tadeln, Fräulein.
THERESE
verlegen, auf Katharinen deutend.
Herr ... Die Zarin ...
PETER.
Ah sieh, Katharina! Wohnst du jetzo hier?
Mons! Welch Gesicht? Was sucht Ihr dort am Boden?
Verlort Ihr etwas?
THERESE.
Ich war immer hier.
PETER.
Du? Wer? Therese? Hier? Wer fragt danach?
Du hier! Du warst nicht hier.
THERESE.
Der Bruder kam
Soeben erst zu Ihrer Majestät.
PETER.
Dann müßt' er vor mir hergegangen sein.

Er betrachtet die Anwesenden mit zweifelhaften Blicken.
KATHARINA
zu Therese und Mons.
Geht!

Therese und Mons ab.
6. Szene
[403] Sechste Szene
Zar Peter. Katharina.

PETER.
Nun Katharina ...?
KATHARINA.
Was befehlt Ihr, Herr?
PETER.
Ich wünschte, deine Zunge spräch' ein Wort –
Ihr habt dergleichen Wort' in Eurem Munde ...
Das diese Schatten niedersänge!
KATHARINA.
Schatten?
PETER.
Siehst du sie nicht? Wie lautete der Fluch
Der sterbenden Bojaren? Nein, so weit,
So weit wird's doch nicht kommen!
KATHARINA.
Welches Wort
Verlangt der Herr von seiner Dienerin?
PETER.
Wenn ich dir's sage, wird's bei dir zur Kunst;
Ihr selber müßtet's finden, Katharina.
Das war ein wunderlich Gerede, Frau,
Womit ich hier empfangen ward. Was soll
Ich davon denken?
KATHARINA
entschlossen.
Alles, wenn Ihr wollt.
PETER.
Was nennt Ihr alles?
[404]
KATHARINA.
Denkt, daß ich Euch trüge,
Therese die gedungne Hehl'rin sei,
Und daß die armen Seelen, die vor Angst
Nicht wissen, was sie reden, sehn sie Euch
Mit flammendem Gesicht, im Schuldgefühl
Verworrnes Zeug dahergestammelt! Denkt das!
Malt Euch ein üppig Bild von dem, was Ihr
Nicht saht! Es tön' in Euer horchend Ohr
Ein lüsternes Geflüster! Tötet mich!
Werft Monsens Leich' und seiner Schwester Leiche
Auf meinen toten Leichnam! Wart; ich will
dich reizen, daß du's bald tust, daß wir bald
Vereint im Grabe ruhn! Wie sollt' er mir
Nicht mehr gefall'n, als du? Wer seid Ihr beide?
Maitag ist er, du bist Novembernacht;
Er opfert mir sein Leben, du verlangst
Von mir das Opfer meines Daseins; zwar
Bist du ein großes Haupt ... Wir aber woll'n
Das Spielzeug in der Liebe. Deine Taten
Was sind sie einem Weib?
PETER
reicht ihr die Hand.
Du hast's getroffen.
Der Zar von Rußland, und die Eifersucht
Von einem Hausmann! Nein, dazu wart Ihr
Zu ernst und wichtig, meine Tage, daß
Ihr schlösset mit 'ner Geckenlaune. – Pfui!
Ein böser Geist lau'rt unsrer Freude auf,
Ich kam in Fröhlichkeit zu dir, mich trieb's.
Allein, wie Herkules
Arbeiten soll ich nur, und nicht genießen.
Ei, weg damit! Setzt Euch, Frau Katharina.

Katharina setzt sich mit Zeichen des Widerstrebens zu ihrer Arbeit. Der Zar setzt sich zu ihr.

Der Vormittag darf nicht verdorben sein.
Weißt du es schon? Ich bring 'ne Neuigkeit.
[405] Sie machten mich zum Kaiser. – Gelt, ich hab'
Mich in die Höh' gedient! Vom Schiffs-Capitain
Zum Kaiser, geht schon an. Siehst, das hab' ich voraus
Vor meinen Herren Brüdern in Europa:
Sie gehören nur zum Zepter, und zu mir
Gehört der Zepter. Nicht? Drei neue Kronen
Hat Ostermann zu Füßen mir gelegt;
Wir werden Frieden mit dem Schweden haben.
Was ich gewollt, wonach ich rang, erfüllten
Dein Menzikof und meine Diener mir
Am heut'gen Tag. Es sind doch tücht'ge Männer,
Nun, Gott erhalt' sie mir! So war der Morgen
Gleich einem Wiegenfeste. Die Bescherung
Wollt' ich dir zeigen, meine Katharina.
KATHARINA.
Heil allem, was Ew. Majestät beginnt!
PETER.
Du sprichst ja feierlich, wie ein Minister.
Da ist noch was im Hinterhalt. Wo steckt's?

Er hebt ihr Angesicht auf.

Vergaß der Mund, wie oft er mich geküßt?
KATHARINA.
Oh, das Vergessen lassen wir den Männern.
PETER.
So herb! Vergaß ich dich?
KATHARINA.
Auf Eurem Schiff
Habt Ihr nicht sanft mit mir gekost. Seitdem
Sah ich Euch nicht.
PETER.
Seitdem hätt' ich dich nicht
Gesehn?
[406]
KATHARINA.
Ihr wart gewiß so sehr beschäftigt.
PETER.
Das war ich; ja. Ei, hat dich das gekränkt?
Du dachtest wohl, ich zürne dir? Nein, Liebe,
Ich mußte nur des Beispiels wegen dröhn.
Dies stete, gegenseitige Vertreten
Von dir und Menzikof, es darf nicht sein.
Es schmeckt nach 'ner Faktion, zeugt falschen Einfluß!
Doch zürnt' ich nicht im mindsten dir.
KATHARINA.
Natürlich.
Für deinen Zorn bin ich zu unbedeutend!
PETER.
Du sollst nur wieder heiter sein! Ich geh' nicht,
Bis du gelächelt hast. Was? Unerbittlich?
Geruh' Ew. Kaiserliche Majestät
Von einer Stunde, allergnädiglichst
Dem rauhen Seemann zu vergeben.
KATHARINA.
Herr!
PETER.
Neu-Rußland macht die alte Fabel jung.
Wie Herkules bei Omphalen gesessen,
Sitz' ich bei dir. Nicht wahr, wir beide haben
Zusammen was erlebt? Zu Land, zu Wasser,
Siegreich und auf der Flucht, in Hütten, Wäldern,
Du meine immer treuliche Gefährtin!
O Ihr könnt wunderstark sein, wollt Ihr's sein.
Noch faß' ich's nicht, wie dir der Mut gekommen
Damals am Pruth. Das war 'ne böse Nacht.
Ja, was ich sagen wollte. Dieser Mons,
Ich selbst – nicht wahr? – gab dir den Kammerherrn?
[407]
KATHARINA.
Hätt' ich ihn sonst?
PETER.
Bist du mit ihm zufrieden?
KATHARINA.
Er ist bescheiden und gewandt.
PETER.
Die Bösen!
Daß keine Güte unverleumdet bleibt! –
Doch freilich, wer, wie wir, auf Gipfeln steht,
Muß denken, daß der Arglist gift'ger Pfeil
Am liebsten nach den höchsten Zielen fliegt.
Die Hoheit ist ein prächt'ger Schein. Drum soll'n
Des Scheines Träger seinen Zauber achten.
Wie sagte jener Cäsar?
KATHARINA.
Nehmt mir Mons!
Bald, heute, gleich! Laßt ihn im Heere dienen.
PETER.
Sorgst du so zärtlich für den Ruhm des Jünglings?
Nein, er bleibt bei dir, denn ich bin kein Tor.
Nur Vorsicht sollt Ihr üben.
KATHARINA
steht auf.
Mein Gemahl,
In Euch ist eine furchtbarliche Regung!
Wild flattert Eu'r Gespräch, der Fahne gleich,
Die, heftig umgeschwungen, Krieg bedeutet.
Ich seh' Euch an, Ihr habt noch nicht gesagt,
Was Ihr mir sagen wolltet. Schüttet's aus!
Verderbe mich Eu'r Grimm! Laßt nicht die Angst
Hinzehren mich.
[408]
PETER.
Ich hab' noch nicht gesagt,
Was ich dir sagen wollte! Recht bemerkt.
Und wie der Mensch im Krampfe sich vergreift,
Greif ich nach Worten gegen meinen Sinn,
Und da ich weinen möchte, bin ich rauh.
Du bist die einz'ge, der ich's könnt' entdecken,
Du hast ihn nie verfolgt ... Und doch ... Ich will
Nicht schwach, nicht kindisch sein.
KATHARINA.
Ihn? Wen? Wovon ...
Von wem sprecht Ihr?
PETER.
Sie haben ihm nichts an!
KATHARINA.
Wer? Wem?
PETER.
Die Richter meinem Sohn!
KATHARINA.
Er ist
Unschuldig?!
PETER
mit ausbrechender Freude.
Ja! Er ist's! Er ist's!
KATHARINA.
Er bleibt
Am Leben?
PETER.
Bleibt's! Bleibt mir! – Zum erstenmal
Gebar ihn mir die Mutter unter Jubel
Und Freudenschrei des Volks. Zum zweitenmal
Gebiert der Kerker schweigend mir den Sohn!
[409]
KATHARINA.
In solcher Regung Euch zu sehn ...
PETER.
Ich glaub's!
Ich bin Euch nur das Schreckbild ohne Herz,
Eisern-zermalmend das Lebendige.
Du hast mich anders doch erblickt Kath'rina.
Ich bin kein Brutus. Diese gräßliche Verwicklung,
Wie sie mir nah und näher kam! Leicht hin
Spricht man ein schweres Wort, und in der Hast
Wird es auch ohne Reue ausgeführt.
Doch wenn die Zeit sich zwischen den Entschluß
Und die Vollziehung schiebt, dann hilft kein Schall,
Dann fällt der Dinge ungeheure Last
In unsre Brust. – Mein Kind! Mein eignes Kind!
Nicht rasch ... im Zorn ... Nein, langsam, quälerisch!
Der Strom aus meinen Adern, ausgelöscht
Im Sand des Richtbergs! Warum Söhne zeugen,
Wenn wir sie töten wollen? – Vor acht Tagen
Hatt' ich 'nen grausen Traum. Ich stand bei Nacht
Allein auf wüster Heide. Und mir deuchte,
Ich wär' allein noch übrig auf der Welt,
Und alles war gestorben. Dunkelrot
Stieg über einem Hügel auf der Mond.
Ich fühlte einen Durst, desgleichen ich
Noch nie empfunden, und mein Eingeweide
War trocken, wie verbrannte Asche. Plötzlich
Hört' ich ein Bächlein rinnen. Und es klang
Wie ein Gewinsel. Doch ich ging zum Bord,
Und bückte mich zum Trinken. Da erschwoll
Der Bach zum Strom, und Fische kamen spielend
Zu mir heran, und reckten Menschenhäupter
Aus den mißfarb'gen Wellen, und mir kam's
So vor, als sein's die Häupter der Bojaren.
Ein heisrer, widerlicher Chor begann,
Sie sangen: »Aus des Zaren Hand gerettet,
Durchscherzen wir das freie Reich der Flut!« –
[410] Es griff mir ein Entsetzen an das Herz,
Ich riß mich von dem Strom empor. Nun sah
Ein Kind ich kommen übern Tannenhügel,
Mit bloßen Füßen und mit bloßer Brust,
Nur angetan in seinem Westerhemdchen.
Und er sah lächelnd, lieblich und unschuldig aus,
Wie, da als Knäblein er mir nichts gegeben
Als eitel Freude. An dem Halse klaffte
Ihm eine tiefe Wunde, daraus sprang
Ein roter Strahl. Das Kindlein hielt ein Schälchen
In seiner Hand, und fing den Blutquell drin,
Und sagte: »Vater, trinke das ... es wird
Den Durst dir löschen.« – Wie es nun die Schale
Mir so hinhielt, bemerkt' ich, daß es nicht
Mit seinen Füßen auf der Erde stand,
Nein, in den Lüften schwebt' es mir entgegen.
Und als ich ihm in seine Augen sah,
So waren's arme, tote Höhlen. Blinkend
Lag in jedweder nur ein Tropfen Tau. –
Ich schrie vor Schauder auf, und stieß die Schale
Weit weg von mir ... und da bin ich erwacht,
In Schweiß gebadet.
KATHARINA.
Ein – verworrner Traum!
PETER.
Ein klarer Traum!
7. Szene
Siebente Szene
Menzikof. Die Vorigen.

PETER
Menzikof bemerkend.
Der Fürst hat dich zu sprechen.

Er führt sie zur Seite.

[411] Halt reinen Mund. Dies darf kein Mensch erfahren.

Er geht.
MENZIKOF
kommt vor.
Versöhnt? Das kommt gelegen.
KATHARINA.
... Schone mich!
MENZIKOF.
Denn nötig haben wir dich jetzt.
KATHARINA.
Mich?
MENZIKOF.
Ja.
Es naht die wichtigste Entscheidung. Nun
Will ich dir wieder Lehren geben. Denk,
Daß das Gewissen nie zum Throne dringt,
Und daß die Kön'ge stets in Gott entschlafen,
Sie taten, was sie taten. Noch vor Abend
Hab' ich das Mittel zu Alexis Sturz.
Du weißt wohl auch, er liebt' ein Mädchen. Immer
War sie bei ihm, in Napel, überall.
Die hat, als wir den Zarewitsch verhaftet,
Von jähem Schreck besiegt, geschrien: Sie wisse,
Was sie um alles zu vergessen wünsche.
Hat Briefe schnell verbrannt. Wir waren damals
Nicht rasch genug, und diese Euphrosyne
Entfloh. Sie war nicht zu erforschen. Heut
Wird mir gemeldet, heimlich und verkleidet
Sei sie zurückgekehrt; man hat das Haus
Mir schon bezeichnet, wo man sie gesehn.
KATHARINA.
Und nun?
MENZIKOF.
Soll sie uns sagen, was sie weiß.
[412]
KATHARINA.
Verraten den Geliebten, Menzikof?
MENZIKOF.
Tolstoi hat einen Käficht, drin die Vögel
Bald singen lernen.
KATHARINA.
Doch nicht ...
MENZIKOF.
Laß es ruhn!
Es ist ein häßlich Wort.
KATHARINA.
Ich aber ...?
MENZIKOF.
Gleich.
Zum Todesurteil treiben wir es bald,
Gerät mein Fang. Was ist damit gewonnen?
KATHARINA.
Und ich soll's weitertreiben! Nicht?
MENZIKOF.
Das sollst du.
KATHARINA.
Ihr, seine Richter, dürft's nicht! (Schmach und Qual!)
Gleichgültig muß Euch scheinen Eures Spruchs
Vollziehung. Von der andern Seite muß
Der Wind wehn, der der Mühle Flügel regt.
MENZIKOF.
O Herrlich! Herrlich! Ja, du lerntest zu.
[413]
KATHARINA.
Wer sollt' in solcher Schule nicht begreifen?
Nur immer tiefer ins Verderben! Halt:
Es dürfte nicht so geradezu geschehn.
Man müßte Worte wählen, die den Zar
Vom Ziel zu leiten schienen, doch zum Ziel
Auf Schlangenwegen führten.
MENZIKOF.
Du entzückst mich!
Ich küß' die Hand dir, Göttliche. Wir sind,
Der Jaguschinsky, Ostermann und ich
Leibeigen dir, die Schwelle deinem Fuß
Zum Krönungssaal. Wir brauchten's nicht, wär' noch
Der Zar, wie sonst. Merkwürdig ist's. Man wird
Doch alles überdrüssig. Streng' und Härte
Erschöpfen sich denn auch zuletzt. Der Alte
Hat sich auf jenem Nachtschmaus im Kremlin
Den Magen überladen, und nun will er
Den Mäß'gen spielen zum Dessert. Ich hab's
Ihm abgemerkt; ich kenn' ihn durch und durch.
Dem sollst du steuern, meine Königin
Aus Morgenland.
KATHARINA.
Dem! Allem, was den Pfad sperrt!
Vorwärts, du dunkler Führer! – –
MENZIKOF.
Ruhig, sacht. –

Geheimnisvoll.

Zu Ende geht das Reich entseelter Bangnis!
Bald wollen wir den Tagelöhnerschweiß
Von unsern Gliedern waschen. Halbes Werk
Ist Torenwerk. Der Prinz bestellt Quartier.
Verstehst du mich?
KATHARINA
entsetzt.
Herr Gott, wie sollt ich nicht?
[414]
MENZIKOF.
Laß nur die Posse mit dem Mons!

Sie bricht in Tränen aus. Er stampft mit dem Fuße.

Den Jungen
Leid' ich durchaus nicht, bin ich hier der Herr!

Sie wendet ihm den Rücken und will gehn. Er hält sie zurück.

Die Brust zerfrißt es mir. Er war der erste,
Der dich besungen hat; der klügsten Frau
Verdreht ein Lied den Kopf. Ich will es auch
Erlernen, darf ich nur erst müßig gehn;
Ich will in Oden deine Schuhe küssen,
Bei deinen Locken will ich schwören, will
Empor sie reimen zu den Sternen, daß
Der Schöpf der Berenice neidisch wird.
Alles für dich! – Noch eins: Im stillen schon
Schafft' ich mir zwanzig neue Pagen an,
Mein künftig Wappen ist auch fertig worden.
Ein kleiner Doppeladler ist im Schild,
Der soll bedeuten, daß der Menzikof
Rußland im Kleinen ist. Ich zeig' dir's morgen.
Wir wollen prassen wie der Mogul Indiens.
Auflauern lassen will ich jetzt dem Mädchen.

Ab.
8. Szene
Achte Szene
KATHARINA
allein.
Verruchter Mensch! – Gottlob, ich bin allein.
Fast barg ich es nicht mehr, und dennoch bin
Ich eingeübt in jeglichem Gesichtszug,
Den die Verstellung fordert. O mein Herz,
Beinah' bist du zerborsten! Welch ein Morgen!
Erst der Despot und dann der Bösewicht!
In kurzem Auszug sah ich meines Lebens
Tiefelend Qualen-vollgeschriebnes Buch.
[415] Mein erst Gefühl, ein Frevel; Kerker-Ehe,
Und schändliche Vertraute! Was noch mehr?
Bist du's nicht müd geworden? Mußt du dir's
Noch beichtend wiederholen? – Irr im Kopf,
Gleich wilden Rossen stürmen die Gedanken.
Nichts hält mir fest, denn ich hab' alles, alles
Gedreht, verkehrt, gedeutelt und gefälscht.
Mit welchem Freimut sagte ich dem Zar
Die Wahrheit ins Gesicht! Und doch, was war's?
Wie? Oder trög' ich mich nur selber? Gilt denn
Mir jener Jüngling etwas? ...
Ach, ich war
Die letzte Zeit zu viel allein! Zerstreu' dich.
Törin, verflattert dein Gemüt nicht schon
Haltlos nach allen Winden? Sammle dich.
Um welchen Punkt? In mir ist nichts als Nichts.
Wir woll'n im Freien uns erholen; ja
Nach Monsens Gartenplatz. O schweben dort
Nicht seine Wünsche? Nein, ins Waisenhaus!
Gestiftet hab' ich's, und sie segnen mich ...
Ha Täuscherin, du sorgst für fremde Kinder,
Sinnst du nicht Tod ...

Sie fährt zurück.

Für wen? Ich? Wie? Unmöglich!
Ich hätte das auch nur gedacht? Nie! Niemals!
'S war Menzikof. Recht. Der versteinte Zar
Weint Tränen um den Sohn. Und ich ... Ich könnte ...
Hab' ich nicht selber Kinder? Eine Mutter,
Und Helferin in solchen Dingen? Dann
War jegliches sein Gegenteil. Er trägt
Die Schuld allein ... Er, der mich ins Verderben
Gerissen – meines Lebens Pest – das Mark,
Von dem das Dasein zehrt, wegdörrt' – O schilt,
Schilt deine Freunde nur! Bald wirst du einsam
Nach einem rufen. Geht er auch zu weit,
Um wen geschieht's? –

Sie geht umher, die Hände ringend.

[416] Was soll ich tun? Was halten?
Woran richt' ich mich auf? –

Vor dem Spiegel.

Du fremdes Wesen,
Gib Rat! In deinen Zügen schläft's, wie Trost.
Ich könnte glauben, dieses Spiegelbild
Gehöre mir ... Doch ach, es ist zu schön!
Denn ich, wie kann ich schön sein? –

Sie wirft sich vor einem kleinen Altare nieder.

Gnad' o Himmel!
Wofern du Gnade hast, hier tut sie not.
O heil'ge Tugend, breite deinen Mantel,
Den sternbesäten, um die Reuige!
O Mutter, nimm mich auf! O Mutter, laß mich
An deiner lebenquellenden Brust gesunden!
Glaub diesem Flehn! Aufrichtig ist's gemeint.
Nach Mord und nach Verrat, nach allen Greueln
Dieselbe stets! Die Magd des fremden Willens.
Dafür den schweren Kaufpreis? – Soweit kam's,
Daß ich den Eigennutz bestell' als Bürgen
Für meine Besserung! –

Sie steht auf.

Ich bin entschlossen;
Nicht enden soll der Tag, wie er begann.
Ich bin die Gattin Peters, und so kenn' ich
Mein herzlich Frauenamt. Es löse friedlich
Sich diese Irrung! All' Eu'r schleichend Tun
Vereitelt die entsühnte Katharina.

Nachsinnend.

Wie machen wir's? Ja ... so ... Doch wenn? Kein: Doch!
Wer Gutes wagt, hat nie zuviel gewagt.
Ich will zum Zarewitsch. Mons soll mir helfen.
Sein letzter Dienst! Auch er sei mir verloren!
Viel geb' ich auf, mehr hab' ich mir erkoren.

Sie geht ab.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
Einsame Gegend an der Newa. Gegen Abend.
Euphrosyne. Später: Costa.

EUPHROSYNE
tritt auf.
Dreimal umkreist' ich den fühllosen Wall,
Flehnd legt' ich meine Brust an seinen Zwinger.
Denn hier, wo alle Menschen grausam sind,
Da, dacht' ich, fühlt Erbarmen wohl ein Stein.
Die Steine blieben Steine! – Luft und Licht
Und Sonnenstrahlen sind der Zärtlichkeit
Dienstbar gewesen in uralter Zeit,
Und kleine Tiere sind gerannt als Boten
Bedrängter Herzen. Ach, ich hab' kein Gold
Für deine Wächter, du mein edles Wild,
Und längst vorüber ist die alte Zeit.
Die Mückchen tanzen überm Strom, das Schilf
Nickt, traulich grüßend. Als ein kleines Kind
Verlief ich mich in vornehme Gesellschaft,
Sie küßten mich und wollten mich behalten,
Sie nannten mich ein hübsches Ding. Ich aber
Schlich mich hinweg, ganz leise, leise, wie
Nur keiner auf mich merkte. Ja, wer blieb' auch,
Wo man nicht hingehört? Nein! Still hinweg!
's wird keiner nach mir fragen! – –

Sie macht einige Schritte gegen den Fluß.
COSTA
tritt aus dem Gebüsche.
Halt!
EUPHROSYNE.
Costa?
[418]
COSTA.

Derselbe. Ich angelte hinter den Weiden. Im Wasser wollte nichts anbeißen, aber in der Luft fing ich verfängliche Reden.

EUPHROSYNE.
Geh!
COSTA.
Hast mir nichts zu befehlen. Du bist das Fischermädchen von Abo?
EUPHROSYNE.
Das arme Fischermädchen von Abo!
COSTA.
Als sie den Prinzen festsetzten, warst du fort.
EUPHROSYNE.
Ich fürchtete mich.
COSTA.
Es war auch kein Scherz.
EUPHROSYNE.
Ich war ein schlechtes Mädchen, o ein feiges Mädchen!
COSTA.
Warst du schon über die Grenze?
EUPHROSYNE.
Weit, weit, wo sie anders reden.
COSTA.
Hättst da bleiben sollen.
EUPHROSYNE.
Es litt mich nicht.
[419]
COSTA.
Hättst bleiben sollen, wo sie anders reden. Eine recht angenehme Gegend hier. Da fließt die Newa.
EUPHROSYNE.
Tief und schnell. Geh!
COSTA.
Hast du geheime Geschäfte mit den Wassermöwen? Ich dachte, du wolltest zum Prinzen.
EUPHROSYNE.
O ich dreimal Ärmste!
COSTA.
Mach mich nicht zu weinen, dann werd' ich konfus. Höre, Schwester.
EUPHROSYNE.
Schwester.
COSTA.

Liebe und Narrheit haben unter einem Herzen gelegen. Wenn ich einen verborgnen Gang in die Festung wüßte?

EUPHROSYNE.
Du?
COSTA.

Ich. In diesem Raspelhause hat jeder seinen Beruf, und meiner ist der Müßiggang. Da kriech' ich denn so überall umher. Ich hatte meinen Ball ins Gebüsch geschlagen, suchte den Ball und fand den Gang. Ich glaube nicht, daß ihn außer dem Kommandanten noch einer kennt. Ein ehrlicher Schlosser verkauft mir wohl einen Hauptschlüssel, das Gatter zu öffnen.

EUPHROSYNE.
Ach, du belügst mich!
COSTA.

Was bekäm' ich dafür? Man muß nichts umsonst tun, nicht einmal das Böse. Fort von der Newa! Dazu bleibt's immer noch Zeit.

[420]
EUPHROSYNE.
Wozu?
COSTA.

Sie hat's schon vergessen. Liebe ist im April jung geworden. Halt dich versteckt. Um Mitternacht komm an die Festung, wo die Trauerweiden slehn. Ich führ' dich, und du sollst ihn führen. Fort!

EUPHROSYNE.
Um Mitternacht!

Ab.
COSTA
allein.

Ich tu's weil ich dem Prinzen gut bin. Er hat mir immer sein Konfekt zu essen gegeben, und mich verbunden, als mich Menzikof geschlagen hatte. Nein, das klingt so ordinärrührend, als wär' ich ein Lumpenhund aus einem deutschen Schauspiele. Ich tu's weil ich's tu, das ist der Satz vom zureichenden Grunde. Punktum. Er sitzt gefangen, weil er die Neigung dazu hatte. Eine sehr bedenkliche Neigung! Sie könnte leicht zu einem vertrauten Verhältnisse mit dem Scharfrichter führen. Um eine dumme Schäferstunde möchte ich nicht gern sein Kompagnon werden. Sie soll ihm die Neigung vertreiben. Die liebe Natur wird denn doch endlich einmal hier auch ein Werk tun. Auf jeden Fall geb' ich ihm das Schwert gegen seine Herrn Rhadamanthen in die Faust.


Nach der andern Seite ab.
2. Szene
[421] Zweite Szene
Menzikof mit Soldaten. Euphrosyne.

MENZIKOF.
Die Spur war richtig.
EUPHROSYNE.
Herr, Ihr irrt Euch!
MENZIKOF.
Nein.
Ich kenn' Euch, Euphrosyne.
EUPHROSYNE.
Was verbrach ich?
MENZIKOF.
Nichts. Ihr sollt nur etwas erzählen, Kind.
EUPHROSYNE.
O du mein ew'ges Heil! Was wollt Ihr wissen?
MENZIKOF.
Den Inhalt jener Briefe.
EUPHROSYNE.
Jener Briefe?
MENZIKOF.
Die Ihr verbranntet.
EUPHROSYNE
fällt ihm zu Füßen.
Ich? Die Briefe? Herr,
Mein lieber Herr! Ihr tut gewiß nicht das!
Ich bin schon elend über alle Maßen ...
Das tut Ihr nicht!
[422]
MENZIKOF.
Du kannst durch Offenheit
Dir Gold und Ehr' und Ansehn ...
EUPHROSYNE
steht auf.
Wohin soll ich?
MENZIKOF
zu den Soldaten.
Zum Staatsrat Tolstoi. Wie sie trotzig blickt!
Geduld, das findet sich!
EUPHROSYNE.
Unglücklicher Alexis!

Sie geht. Menzikof und Soldaten folgen.
3. Szene
Dritte Szene
Zimmer in der Festung. Nichts Kerkerartiges Aussicht auf eine Galerie.
Alexis an einem Tische, vor einem aufgeschlagenen Buche. Oberst Schepelew steht bei ihm.

SCHEPELEW.
Hört auf zu lesen, Prinz; spät ist es schon,
Ihr seid zu eifrig, Ihr verderbt die Augen.
ALEXIS.
Ich wollt', ich hätt' vier Augen, Schepelew,
Um doppelt viel zu lesen. In den Geist
Senkt sich, wie himmlisch Manna, eine Saat
Von würdigen Gedanken. Auf nun wallt
Das dürrgelegne Feld von goldnen Halmen.
O meine Seele dürstet, ihren Trank
[423] Mit tausend Lippen einzuschlürfen! Laß mich
Noch lesen, Schepelew.
SCHEPELEW.
Was las't Ihr eben?
ALEXIS.
Den Tod des Schwedenkönigs Erich Vierzehn,
Und seines Lebens Leiden. – Von dem Vater
Ward er in Ungunst spärlich-kurz gehalten,
So schwand ihm seine arme Jugend hin.
Genannt ein König, wollt' er König sein;
Die bösen Brüder, und die bösen Sturen
Verhinderten's mit arger Hinterlist;
So schwand ihm seine Männlichkeit dahin.
Und als er, ein gehetzter Leu, die Hunde
Zornbrüllend niederwarf, da schlugen sie
In Bande seinen Leib. Nun wandert' er
Die tiefe Furch' in seines Kerkers Estrich,
Erwies es schriftlich Schluß auf Schluß, daß er
Beständig Recht gehabt. (Wie ich der Meinung
Denn auch in Rücksicht seiner bin.) Da brauchten
Das letzte Mittel sie, und schickten Gift
Nach Kerker Örbyhus. Das trank der König;
So schwand zuletzt sein Leben ihm dahin.
SCHEPELEW
beiseite.
(Ich las die Kunde auch von diesem König,
Doch darin stand manch andres Wort geschrieben.
Ach, Unglück sieht nur sich in jedem Ding!)
ALEXIS.
Und kaum ist der gekränkte Fürst verschieden,
So andert alles sich. Haß trennt die Brüder,
Nur Not erschlich der schleichende Johann.
Zur Gruft des heiß zurückersehnten Toten
In Westeräs, drängt sich das reu'ge Volk,
[424] Von Tränen rosten die metallnen Pforten.
Es lebt Erinn'rung über Gräbern auf,
Und sinnend sitzt die Rach' auf Leichensteinen. –
O welch ein teurer Trost ist die Geschichte!
Welch' gründliche Arznei! – Im Zeitensaal
Wird abgetan der Schleier jedem Trug,
Da blinzt verlegen aufgespreizter Stolz,
Da zeigt getrost die Unschuld ihre Wunden.
Der Augenblick ist ein verworrner Spieler,
Mit wüstem Grinsen, ungeschickter Faust
Sitzt er am Brett, auf das des Höchsten Hand
Die Steine hat gestellt. Er zieht sie quer
Und schief und über Eck. Dann durcheinander
Wirft er sie auf den Tisch. – Nun ist die Macht
Des frevelnden Gesellen hin; nun schreitet
Herzu die heil'ge Göttin, stellt das Spiel
Nach seiner Regel wieder her; die Völker
Ruft sie zum Tisch, und zeigt den Schauenden,
Wie eigentlich gezogen werden mußte.
Da wird der Bauer wieder Bau'r, der Schach
Der träge Schach, der Ritter springt und fliegt,
Die Königin geht ihren kühnen Gang.
SCHEPELEW.
Wollt Ihr nicht die Gedanken davon wenden?
Ihr regt Euch auf, und braucht der Ruh'. Ihr habt
Zu morgen einen schweren Tag, mein Prinz.
ALEXIS.
Ich habe morgen meinen Ehrentag,
Ich kämpfe morgen einen guten Kampf,
Ich pflücke morgen mir mein Siegesreis!
SCHEPELEW.
Ein unfruchtbarer Kampfplatz!
ALEXIS.
Wohl so fruchtbar,
[425] Als jeder andre. Überall, wo Feinde
Unmächtig knirschend zagen, grünt ein Lorbeer.
Nicht bloß die Schlacht zeugt Helden.
SCHEPELEW.
Gebe Gott,
Daß Euch die Hoffnung nicht betrügt!
ALEXIS.
Sie wird's nicht.
Sie hat mich vierundzwanzig Jahr betrogen,
Und nun bereut sie es, und tut's nicht mehr.
Ich jauchze über meiner Feinde Qual!
Wie sich die klügsten, stärksten Männer Rußlands
Abmühn, den blöden Menschen zu verderben,
Den sie gehöhnt, verachtet und beschimpft!
Der kluge Feldherr bin ich, der sich stellt,
Als sei er überwunden. Schüchtern sag' ich,
Demüt'gen Blicks, im Ton des Angeklagten,
All meines Herzens Haß und Bitterkeit
Den Schachern ins Gesicht. Was ich gedacht,
Bekommen sie zu hören, und sie dürfen –
(Und das bringt sie zur Raserei –) daraus
Mir kein Verbrechen machen. Wie das freut,
Dem Gegner in das Herz den Pfeil zu senden,
Und dann am Widerhaken ihn zu wenden!
SCHEPELEW.
Ihr habt Euch wundersam verändert, Prinz.
Ihr wart sonst still und scheu.
ALEXIS.
Ich war es, Freund.
Ein jeder wandelt sich wohl mit den Jahren.
Da andrer Los gar anders war, als meins,
Bin ich das Gegenteil von andern Menschen.
Denn ihnen fängt das Leben fröhlich an,
Sie scherzen mutig ihre Tage hin,
[426] Bis daß ein Elend kommt, dann zittern sie
Den Rest der Jahre. – Mir ging auf das Licht
In Trübsal und in Zwang, und ich begann
Mit Zittern meine Jugend. Da zerstörte
Der Zwang sich selbst durch wildes Übermaß,
Im Herzen stockte mir der Quell der Trübsal,
Weil er zu reich geströmt. Jung, war ich Greis,
Nun bringen mir die Stunden meine Jugend,
Und kühnlich end' ich, weil ich scheu begann!
SCHEPELEW.
Beklagenswerter Fürst!
ALEXIS.
Beklagenswert?
Ihr seid viel schlimmer dran.
SCHEPELEW.
Wer?
ALEXIS.
Du, die Leute,
Die draußen sind, bis zu dem Zar. – Du bist
Mir freundlich; warum hältst du mich verhaftet?
SCHEPELEW.
Gott, Prinz, die Furcht ... Der Zar, voll herben Hohns,
Gab mir dies Amt, weil ich für Euch gestrebt.
Er weiß, so streng wahrt keiner diese Schlüssel,
Als ich, weil ich verdächtig einst gewesen.
ALEXIS.
Gut. Und die Richter? Warum sinnen sie
Auf meinen Tod?
SCHEPELEW.
Aus Furcht. Weil, wenn Ihr lebt,
Sie unterm Schwert die Köpfe haben.
[427]
ALEXIS.
Richtig.
Doch Katharina, warum haßt sie mich
In ihrer süßen Maske?
SCHEPELEW.
Nun – aus Furcht,
Sie möchte, höbe Euch die Zeit empor,
Den Platz verwechseln mit Eudoxien.
ALEXIS.
Recht!
Das wird auch alles so geschehn. – Zuletzt:
Der Zar, warum verfolgt er seinen Sohn?
SCHEPELEW.
Aus Furcht, Ihr schleudert in das Nichts sein Werk.
ALEXIS.
Furcht also überall! Vom Zar zu dir!
Kronfarbe Rußlands ist trübsel'ge Furcht.
Ich fürchte niemand. Dich nicht, nicht die Richter,
Nicht Katharinen, nicht den Zar. Wer ist
Beklagenswert?
Ich bin der einz'ge Freie unter euch.
SCHEPELEW.
Gut' Nacht, mein Prinz.
ALEXIS.
Gut' Nacht, mein sanfter Wächter.
Bewahr' du deinem jetz'gen Herrn die Schlüssel.
Der Künft'ge weiß, wie du's getan. – Fort, fort!

Schepelew ab.
ALEXIS
allein, steht am Fenster.
Da drüben prahlen fünfzig helle Fenster;
[428] Grell glüht der Palast mir ins Antlitz. Hier
Flammt ein bescheidnes Lämpchen. Schüchtern wirft's
Sein frommes Licht auf dieses schlichte Lager,
Das keine Sorge je mit mir geteilt.
Du könntst erlöschen, Lampe, und es bliebe
Doch hell in diesem Zirk. Da drüben aber,
Wenn auch der Kerzen hundert, aber hundert,
Und wieder hundert mehr entzündet würden,
Es wär' nicht hell genug, dem Herrn des Schlosses
Die hinterhältigen Gedanken, Listen,
Versteckten Anschläg', Ränke zu beleuchten,
Die in den Falten dort um falsche Lippen
Gelagert lauern; unter tiefen Braunen
Beschattet drohn; heimtück'sche Augenwinkel
Zu ihrer Drachenhöhl erkiesten. –
Zar,
Ich könnt' dich fast bedauern. All dein Leben,
An ein Exempel ist's gesetzt. Sobald
Der Mensch sich findet, welcher ist, wie er
Zu sein sich vorgenommen, steht die Rechnung
Dem Rechner nicht mehr klar. Welch schwach Gebäude,
Das ein beherzter Atemzug erschüttert!
4. Szene
Vierte Szene
Costa ist bei den letzten Worten eingetreten. Alexis.

COSTA.
Hier sind wir ja im besten Zuge.
ALEXIS.
Wie, Narr? So spät? Ließ dich der Kommandant noch ein?
[429]
COSTA.

Ich komme nicht auf dem Kommandantenwege. Ich bin auf meinen eignen Pfaden gekrochen, gerutscht, gestolpert, wie's ging und fiel.


Er schüttelt sich.

Prr! Die Molche, die Unken, die Feuerkröten gedeihen gut in solchen Löchern, immer saß es mir im Nacken wie ein tausendbeiniges Amphibium, es ist erstaunlich, was man in der Finsternis sieht, grüne Augen und gelbe Augen und rote, und Nasen und Schnauzen! Hast was zu trinken? Ich bin nur noch ein halber Mensch.

ALEXIS.
Ich verstehe nicht, was du meinst.
COSTA
zieht einen großen Schlüssel hervor.
Das ist ein Schlüssel, und in die Festung führt ein Diebessteig. Verstehst nun?
ALEXIS.
Warum schlichst du dich ein?
COSTA.
Mußt' Euch sprechen.
ALEXIS.
Um Mitternacht? Geh, leg dich schlafen, du König der Samojeden.
COSTA.
Ihr sollt mich nicht hohnnecken!
ALEXIS.
Ist's nicht dein Titel?
COSTA.

Bin ich jetzt im Dienste? Wenn ich muß, so muß ich, aber jetzt stehe ich als Mensch, nicht als Narr vor dir.

[430]
ALEXIS.

Nicht einmal die Narrheit ist hier freiwillig. Ich erinnre mich. Du solltest einen Brief nach Kiew bringen. Der Stadthauptmann wollte dich bei der Nacht nicht einlassen. Statt zu warten bis morgen, machtest du mit deinem Briefe die dreißig Meilen zurück, und verklagtest den Stadthauptmann.

COSTA.
Lassen wir das ruhn.
ALEXIS.
Die wichtige Botschaft war versäumt; sie sprachen dir das Leben ab. Der Zar begnadigte dich.
COSTA.
Eine schöne Gnade, einem Schellen anzuhängen!
ALEXIS.
Nun, du Mensch, nicht Narr, was bringst du mir zu dieser ungewöhnlichen Stunde?
COSTA.
Erstens: meine Denkwürdigkeiten.

Er zieht eine Rolle hervor.

Für den Fall, daß du dich einmal durchaus in diese Kasematten verliebt haben willst.
ALEXIS
nimmt die Schrift.
»Geheime Geschichte von St. Petersburg. –
Erstes Kapitel: Schlechte Streiche Menzikofs ...
Zweites Kapitel: Der Betrüger Schaphirow.
Drittes Kapitel: Der Verräter Ostermann.
Viertes ...« Von wem ist das?
COSTA.

Von mir. Ich schrieb's in meinen Freistunden. Mir gefällt die lebhafte Jacke nicht, die sie mir angezogen haben, kein ordentlicher Mensch will mit mir trinken; meine Sippschaft [431] hat sich von mir losgesagt. Da bin ich hypochondrisch geworden, und in der Stimmung paßt man scharf auf.

ALEXIS
der indessen gelesen.

Hier seh' ich schwarze Taten der Ersten dieses Reichs angemerkt. Ich lese die Namen meiner Feinde und an jedem hängt ein unverzeihlicher Frevel.

COSTA.

Nebst Angabe der Zeugen und Beweise. Es ist gewöhnlich, daß es in einer großen Wirtschaft nicht so eben hergeht, des Herrn Auge reicht nur, wie weit es reicht. Aber, wie der Zar belegen und betrogen wird, das läuft ins Ungewöhnliche.

ALEXIS.
Im allgemeinen ist mir das bekannt.
COSTA.

Und im besondern mir. Menzikof baut Kanäle und was alles noch, in der Einbildungskraft, und hat seine Hand in der Tasche jedes Russen. Schaphirow geht wie der Schakal mit dem Löwen jagen, nimmt, was Menzikof übriggelassen, und ist ihm Feind, weil es nicht mehr ist. Der Bischof von Pleskow handelt mit Geld und Versprechungen Seelen für die neue, allerhöchst approbierte Religion ein. Jaguschinsky läßt im Zorn und Rausch verhaften ad libitum. Ostermann hat sich den Rückzug nach Schweden vorbehalten, wenn es hier übel gehen sollte.

ALEXIS.
O armes Rußland!
COSTA.

Heute morgen war große Haupt- und Staatsaktion im Thronsaale. Ich saß hinterm Getäfel. Sie traten vor Ihn, wie die Kinder Gottes vor den Herrn, Hiob am ersten, Vers sechs. Mein Kollege, der Zar, war so glücklich und gerührt, wie Schach Riar bei den Märchen der Scheherezade. Ich war's auch. [432] Es ist traurig, allein stehn zu müssen auf der Welt. Ich stand nicht mehr allein.

ALEXIS.

Verruchte Fratzenschöpfung! Seelenmörderisches Affentreiben! Ich hatte ja immer recht! – Aber woher erfuhrst du das alles?

COSTA.

Von den Schenkstuben, den Kirmessen und den Tanzböden. Du treibst Geschichte in deiner Eremitage, du solltest den trivialen Satz weg haben, daß das ganze Land immer gewußt hat, was der König nicht wußte. Außerdem lästern sie selbst einer über den andern, und vor mir hält sich niemand zurück. Sie sagen: »Es ist nur der Narr«, und schwatzen weiter. Ich höre zu, und bring's zu Papier.

ALEXIS.
Sollte denn das alles sich wirklich so verhalten?
COSTA.

Ach nein. Aus ihrem Leben Wahrheit und Dichtung. Gute Memoiren verlangen diese Mixtur, wie die größten Geister behaupten. Was tut's? Hast du's zu prüfen?

ALEXIS.
Ich verstehe dich.
COSTA.
Hier wird einem geglaubt, wenn man nur Übles spricht, denn keiner taugt etwas.
In meiner Hand ist's nicht nutz. Ich schenke dir meine Denkwürdigkeiten.
ALEXIS.

Ich behalte sie und danke dafür. Das ist keine Welt für Edelmut. Haß für Haß, Vernichtung für Verfolgung! Ich bin Meister Eures Schicksals. Warum lachst du?

[433]
COSTA.

Du bist, wie ich dich erwartete. Schlimm, wie dein Vater. Sie sagen, Ihr wärt so verschieden. Es ist nicht wahr. Ihr könnt einander nicht leiden, aus Handwerksneid.

ALEXIS.
Kannst recht haben. Ich bin nicht gut, wie hätt' ich's werden sollen? – Nun geh, du Chronist.
COSTA.
Ich hab' noch eine gar andre Geschichte.

Er nimmt eine Laute vom Tische.

Wenn die Euch recht ans Herz spricht, braucht Ihr weder Wahrheit noch Dichtung.
ALEXIS.
Was willst du?
COSTA.

Singen. Ein Nachtlied. Geister schweben, schwanken, weiße, draußen am Weidenbaum. Wollen sie beschwören.

ALEXIS.
Aberwitz! Wenn man dich hört ...
COSTA.
Summe zwischen den Zähnen ...

Er singt leise.

Jörru, Jörru, darf ich kommen?
Nicht o Liebchen, heute.
Wärest du doch gestern kommen!
Nun sind um mich Leute.
ALEXIS.
Nicht dieses Lied! Es löst mein Herz in Tränen.
Wie fällst du auf das Lied? Auf seinen Wellen
Wiegt, wie ein lächelnd Kind, Erinnrung sich
Heran! Heran! – Es macht mich mild zur Unzeit,
Ich brauche Kraft. Gib Wermut mir zu trinken!
[434] Das Süße, was mein bittres Leben bot,
Stell weit hinweg! – Hör auf zu singen, Bursch.
COSTA
singt.
Aber morgen, früh am Morgen,
Schlanke, liebe Kleine,
Kannst du kommen ohne Sorgen,
Da bin ich alleine.
ALEXIS.
Nicht mehr dies Lied! Ich bitte dich ... Sie sang's.
Es war das erstemal, daß ich sie sah.
Sie saß im kühlen Busch mit sich allein,
Und netzt' im Wasser spielend ihre Füßchen.
Und ich belauschte sie. – Da trat ich zu ihr,
Und Rose ward nun Wange, Kinn und Hals.
Nun, warum singst du nicht?
COSTA
singt.
Wenn die Vögelein sich regen
Früh im reinen Taue,
Hüpf' ich, Liebste, dir entgegen
Weißt? Auf jener Aue.
ALEXIS.
O reiner Tau, wann stärkst du meine Brust?
Ihr Vögelchen, wann hör' ich euer Singen?
Wann hüpf' ich dir entgegen, meine Lust,
Auf jener Au', wo wir so fröhlich gingen?
COSTA
legt die Laute weg.
Gleich, hoff' ich, gleich, wenn sie zu bitten weiß.

Eine Uhr schlägt zwölf.

Die Stund' ist da. Nun Mut ... bring' Euch Gesellschaft.
[435]
ALEXIS.
Gesellschaft? Du?
COSTA.
Ja, durch den finstern Gang.
ALEXIS.
Wen? Wen?
COSTA.
Ein Mädchen, die das Liedchen auch
Zu singen weiß.
ALEXIS.
Das Liedchen! Mädchen! Singen?
Ist's möglich ... Sie ...
COSTA.
Sie!
ALEXIS.
Euphrosyne?
COSTA.
Richtig,
Wenn's keine andre ist.
ALEXIS.
O all ihr Rosen
Von Ispahan! – Sie! Warum kam sie?
COSTA.
's wollt
Sich in der Fremde kein Alexis finden.
Ich bring' die Torheit Euch durch Finsternis,
Durch Qualm, Gewürme, Nessel, Dornenriß!

Ab.
[436]
ALEXIS
allein.
Halt du! Du sollst nicht! Lauscht nicht hier der Tod?
O treues Veilchen! ... Fort! Hinweg! Hinweg!
Herbei! ... Wer reißt den Becher von den Lippen
Des halb Verschmachteten? ...
5. Szene
Fünfte Szene
Schepelew im Nachtkleide, mit einem Windlichte, eilig, bestürzt. Alexis.

SCHEPELEW.
Seid Ihr noch wach?
Welch eine Überraschung! Prinz, macht Euch
Gefaßt auf den Besuch!
ALEXIS.
Du? Schepelew?
Ist dir's verraten worden? Sei barmherzig!
SCHEPELEW.
Ihr wißt es schon? Empfangt sie nur mit Vorsicht!
Tief um die Mitternacht – Sie an der Pforte!
Das kann den Kopf mir kosten, doch wer darf
Da zu verweigern wagen? ... Wir Bedrängten,
Gefesselten der Macht!

Eilig ab.
[437]
ALEXIS
allein.
Siegreiche Liebe!
Du bändigst Löwen, sänftigst stürm'sche Meere,
Dein göttlich Atmen sprengt den Wall von Stein!
Noch vor dem Streite reichst du mir den Preis,
Und gießest einzigholde Lebenslust
In diese sehnend auf getane Brust!
Es schleicht ein Balsamduft, ein zärtlich Flüstern,
Ein lechzend Wehn, ein Hauch von warmen Küssen
durch wollustschwangre Lüfte ...
Horch! Sie ist's ...

Er eilt gegen die Galerie.
Katharina tritt ein. Alexis tritt bei ihrem Anblicke zurück.
6. Szene
Sechste Szene
Katharina. Alexis. Zuletzt: Mons de la Croix.

ALEXIS.
O ew'ger Himmel! Diese? Was will diese?
KATHARINA.
Den Frieden stiften im entzweiten Haus.
Alexis, sammle dich! Ich fühle wohl,
Daß mein Erscheinen dich befremden muß.
Ich hatte keine andre Stunde, wollte
Nichts vorbereitet Künstliches. Ich brauchte
Auf diesem Wege nicht ein seltsam Tun
Zu scheun. Stiefmutter bin ich dir. Doch glaube,
Auch solche können's redlich meinen. Prinz,
Den Weg der Rettung Euch zu zeigen, komm' ich.
ALEXIS
in der heftigsten Bewegung.
[438] Du? Mir? Den Weg der Rettung! Wo ist Sie?
Wenn diese sie beträfe ... Schmerz und Jammer!
Essig die Säfte meines Leibes ... Oh! –
Das Herz lag aufgebrochen wie 'ne Lilie!
O meine armen Blätter! – Gift'ger Wurm!
Wie dürft' er's wagen, solcher Pracht zu nahn? ...
KATHARINA.
Du bist von Sinnen! Höre zu, hör' mich.
Verloren bist du, wie dein wilder Stolz
Sich auch verteidigt wähnt. Gerichtet wirst du,
Sie treiben's durch, der Zar kann's nicht verhindern.
Sein Sinn ist dir geneigt, das sag' ich dir,
Ein einzig Mittel gibt's, das bring' ich dir,
In innerster Bewegung fand ich's aus.
Du folgst mir auf der Stelle. Noch ist wach
Dein Herr und Vater. Ich vertret' es. Komm.
Du stürzest reuig auf dein Knie vor ihm,
Du badest seine Hand mit Kindeszähren,
Du sagst aufricht'ge Sohnesworte ihm,
Du lobst ihm fromm-empfundenen Gehorsam,
Du gibst dein Los in seine Gnade hin,
Du tust das alles gleich unweigerlich ...

Sie will ihn bei der Hand ergreifen.
ALEXIS
zieht die Hand zurück.
Nur Fürst und Fürstin gehen Hand in Hand! –
Du bist die Gleisnerin, die mich belügt,
Du baust die Falle, die zu gröblich ist,
Du hast verloren List und Müh' und Fleiß,
Ich glaub' dir nicht!
KATHARINA.
Du bist im Haupte krank,
Und drum vergeb' ich's. Bei dem Kreuz. Ich sprach
Von Herzen. Folg mir.
[439]
ALEXIS.
Auch zudringlich? Doch
Das ist ja deinesgleichen stets. Nun denn,
Bist wahrhaft du, will ich kein Heuchler sein.
Zu andrer Stunde sagt' ich's gerne dir
In feinrer Art. Doch heute bin ich nicht
Gefaßt auf Wendungen. Und also mein' ich's:
Im Schlechten gehe vorwärts, das vermagst du;
Zwing dich zum Guten nicht! Der Weg dahin
Ist allzu steil für sündenschlaffe Füße.
Was mich betrifft, so wisse: Morgen abend
Geht losgesprochen aus der Sohn des Herrn,
Ein greulich Schreckbild dir, Euch allen. Sterblich
Ist Peter, doch das Volk lebt ewig! Mir
Gehört's, und fühlen hab' ich mich gelernt
Als Feldherrn; an des Heeres Spitze aber
Ergibt sich nur der Feigling, der ich war.
Räum' meiner Mutter schnöd' erbuhlten Platz,
Sei, was du warst! Stell dich im Linnenkleid
Auf Vaters Hufe, dann will ich beim Gutsherrn
Ausmachen, daß er dir die Büß' erläßt
Für die versäumten Fronden. Kümmre dich
Nicht um das Los des Zarewitsch von Rußland!

Er tritt zur Seite.
MONS
tritt ein mit gezognem Degen.
Sieh beben mich vor Zorn, geschmähte Fürstin!
Gebiete mir, so wühlt mein Degen rächend
In dieses Frevlers Brust!
KATHARINA.
Du schweigst von ihm,
Sonst bann' ich dich auf ew'ge Zeit! Ich bin
Geheilt, bin Katharin' Alexiewna!
Verbrechen sind an mir zu üben: Niemand
Kann mich beleidigen.
[440]
MONS.
Laß mich ihn töten!
KATHARINA.
Sein Haupt ist eines andern Eigentum.
Wer wollt' in fremdes Amt sich drängen? –
Gehn wir!

Sie geht. Mons folgt.
ALEXIS
ihnen nachsehend.
Mein Vater ist ein armer, armer Mann!
Doch sie? Wo war sie? Ist sie? – Weg Gedanken,
Die mich entmannen! – Tag brich an, und leuchte
Dem Braven und dem Schelm ins Angesicht!

Er wirft sich auf sein Lager.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
Gemach in Tolstois Hause. Morgen.
Zwei Türsteher.

ERSTER.
Hat sie bekannt?
ZWEITER.
Nein, sie seufzt und weint und ruft, sie wisse nichts.
ERSTER.
Seine Exzellenz werden es doch wohl herausbekommen.
ZWEITER.

Nun das versteht sich. Wenn die Wahrheit verlorengegangen wäre, wie eine Stecknadel, die in den Brunnen [441] fiel, der Herr Staatsrat fänden sie wieder. Es ist eine Freude, dem Herrn zuzusehen. Immer gelassen, immer freundlich. Sich nicht reizen lassen, nie zornig werden. Und die Beharrlichkeit! Seit acht Stunden sitzt er auf seinem Stuhle, und meint Ihr, daß er schon ein Glas Wasser verlangte?

ERSTER.
Er hat gar keine Bedürfnisse, und dasselbe denkt er von uns, seinen Dienern.
ZWEITER.

Es geht uns spärlich, das ist wahr. Aber das muß so sein. Die Speise der Gerechtigkeit ist die Nüchternheit, sagen seine Exzellenz. Dafür ist dieses Haus aber auch die Freistatt der immerwährenden Ruhe und Sicherheit. Wir haben den Sturz unsres Gebieters nicht, keine Verändrung zu scheun. Noch niemals hat sich gegen ihn eine Anklage, ein Verdacht erhoben.

ERSTER.
Er ist ja auch der gerechteste Mann in Rußland.

Ein Mensch von wildem Ansehn geht mit einem glühenden Eisen über den Schauplatz.
ZWEITER.
Das war der alte Isaak. Nun werden Seine Exzellenz das Mädchen zu fürchten machen.
ERSTER.
Hörtet Ihr nichts? Es schrie etwas. Heftige Schritte? Es kommt!
2. Szene
[442] Zweite Szene
Tolstoi und Menzikof. Ein Sekretär folgt. Vorige.

TOLSTOI.
Wo ist das Mädchen?
ERSTER TÜRSTEHER.
Nicht hier, Exzellenz.
TOLSTOI.
Das sehe ich. Sie muß über den Nebengang geflüchtet sein.
MENZIKOF.
»Zum Zaren!« war ihr letzter Ruf. Was will sie beim Zaren?
TOLSTOI
zu den Türstehern.
Geht, sucht sie, bringt sie.

Die Türsteher ab.
MENZIKOF.
Lebt wohl.
TOLSTOI.
Wohin?
MENZIKOF.

Die Dirne ist reizend, ich kann die Qual nicht länger mit ansehn. Ihr habt ein festes Gemüt, das muß ich bezeugen. Mir ist, als war's mein Gerichtsmorgen.


Er geht.
TOLSTOI.
Schwelger und Wollüstling!

Ein Dentschik tritt auf.
DENTSCHIK.
Im Auftrag und Befehl der Majestät:
Ein armes Mädchen flüchtet' sich ins Schloß,
[443] Gestand dort Ding', bezüglich auf den Prinzen.
Der Herr hat sie gehört, und läßt gebieten,
Ihr sollt vorangehn mit des Tages Werk
Ohn' Rücksicht auf das Kind. Man soll, er will es,
Durchaus in Ruh' sie lassen.

Der Dentschik ab.
TOLSTOI.
So? In Ruhe?
Ihm denn die Unruh'! – »Will es ...« »Läßt gebieten ...«
Ei ja doch. Schiffsmann, Schmidt, zur Abwechslung
Dann Kaiser und Tyrann! Es sei.

Zum Sekretär.

Ignaz! –
Entwerft die Ladung an den Admiral
Peter Alexiewitsch von der Ostseeflotte.

Der Sekretär sieht ihn fragend an. Tolstoi wiederholt.

Peter Alexiewitsch von der Ostseeflotte. –
Die Euphrosyne fällt uns aus. – So mag
Der Admiral denn de auditu zeugen!

Er geht. Der Sekretär folgt.
3. Szene
Dritte Szene
Kurze offne Galerie im Palaste.
Zar Peter. Euphrosyne zerstört mit aufgelöstem Haar. Später: Der Sekretär und Tolstoi.

EUPHROSYNE.
Er soll nicht sterben! Er soll's nicht!
[444]
PETER.
Beruh'ge dich! Du stehst in meinem Schutz.
EUPHROSYNE.

Wer spricht von mir? Bist du denn ganz unfaßbar? – Schutz? – Schütze, die danach verlangen! Er soll nicht sterben. Die Gerichte Gottes über dich, wenn er stirbt!

PETER.
Erhole dich von deinem Schreck.
EUPHROSYNE.
»Und sei meiner Gnade versichert;« und so weiter. Nicht wahr? Die Feuersgefahr wäre ja überstanden.

Sie stürzt in die Knie.

O Heiland! Erlöser! Gepeinigter! Warum ist es nicht geschehen? Warum nicht gestern? Dem Wasser hätt' ich's zugebracht, dem lieben, treuen, still hättest du's verborgen, heiliger Abgrund, flüsternder, grünäugiger Vater des Todes. Nun komm' ich arm, leer, unnütz, ein eitles Spiel der Verwesung!

PETER.
Zwischen gestern und heut, ich verspreche dir's bei meiner Würde, ist kein Unterschied.
EUPHROSYNE
springt auf.
Unterschied? –
Ja, Unterschied soll sein!
Sie hätten gestern gemacht ein Lied
»Vom treuen Fischermädchen«
Und heute?
Das Geflügel des Strandes wendet höhnisch das Haupt,
Und zischt mich aus.
Die Welt singt, sagt von Heldenweibern,
Die um 'nen mürrischen Gatten
Trugen Schmach, Verfolgung, Qualen, Tod;
[445] Wir aber sind standhaft, bis sie uns martern wollen!
Siehst! das ist der Unterschied!
Und mein Liebster war zärtlich.
PETER.
Mädchen!
EUPHROSYNE.
Das Mädchen trägt die Hälfte,
Und der Prinz das andre.
Für einen ist's zuviel! –
Er hat auch Schuld!
Ein Königssohn,
Und so sich erniedrigen?
PETER
nimmt sie bei der Hand.
Er – hat sich nicht erniedrigt. – Sei doch unbesorgt um ihn.
EUPHROSYNE.
Um wen?
PETER.
Bist du abwesend? – Um den Alexis.
EUPHROSYNE
kalt.
So? Um den!
Man sagt, du seist vom Weibe geboren.
Ist's wahr, so ist er wohl nicht verloren.
Tu, was du magst,
Mir gilt's gleich. Es ging mir übel,
Nun geht mir's wohl!

Ab.
PETER
allein.
Da blickt' ich in ein edelmüt'ges Herz. –

Er legt die Hand an die Stirn. Nach einer Pause.

[446] Es ist doch gut, daß ich's erst jetzt erfuhr.

Der Sekretär tritt auf mit einem Papiere in der Hand. Nächst dem Eingang wirft er sich auf die Knie.

Das Knien soll nicht sein! Bei schwerer Strafe
Ließ ich das Knien verbieten. – Auf!

Der Sekretär richtet sich bestürzt auf.

Was hast du?
Bist du ein Stummer des Serails?

Er nimmt dem Sekretär die Schrift ab, sieht hinein und stutzt.

Wie? Ladung?
Ladung ... ins Reichsgericht? ... Der Admiral
Peter Alexiewitsch ... Der wär' ich selber!
Gezeichnet: Tolstoi. – Peter? Alexiewitsch?
Gibt's denn etwa den Zweiten dieses Namens?
Nicht doch! – Ein seltner Fehler.

Zum Sekretär.

Ruf den Staatsrat.

Sekretär ab. Der Zar sieht in das Papier.
Nach einer Pause Tolstoi.
PETER.
Ihr habt Euch auch einmal versehen, Tolstoi.
TOLSTOI.
Ich?
PETER.
Ihr, ja Ihr. Nehmt, lest!

Er hält Tolstoi das Papier vor.
TOLSTOI.
Ich kenn' die Schrift.
PETER.
Wohl nicht so ganz. Ihr müßt nichts unterzeichnen,
Was Ihr nicht vorher durchgelesen habt.
[447]
TOLSTOI
das Papier überblickend.
Das Stück ward Wort für Wort von mir diktiert.
PETER.
Wie soll ich das verstehn?
TOLSTOI.
Die Schrift ist klar.
PETER
lachend.
O ja! Drum dächt' ich, gingen wir und zeugten.
TOLSTOI.
Ich kann Ew. Exzellenz nicht dispensieren.
PETER.
Was!? Exzellenz ...
TOLSTOI
mit Nachdruck.
Dem Grad des Admirals –
Ward diesem Grad vielleicht in jüngster Zeit
Ein höherer Charakter beigelegt?
PETER.
Ah – nun begreif' ich's.
TOLSTOI.
Oder gibt's in Rußland
Der Admiräle, welche nur zum Schein
Die Achselschnüre tragen?
PETER.
Nein, Herr Staatsrat,
Der Admiräle gibt's in Rußland keinen.
Am fernsten aber ist von solchem Schein
Der, den du ludst. Wie wenig er auch sein mag,
[448] Das mindstens ist er immer, was er ist.

Mit einem Blicke in das Blatt.

Was tun wir denn?
TOLSTOI.
Daß man vor unsre Schranken
Ungern sich stellt, ist sehr begreiflich. Doch –
Ich kann Ew. Exzellenz nicht dispensieren,
Wird nicht etwan ...
PETER.
Nun?
TOLSTOI.
Die Geflüchtete
Mir ausgeliefert.
PETER
rasch.
Die hat des Zaren Wort!
TOLSTOI.
Sie konnt's nicht haben, nimmt man es genau.
Mein Bann ist unverletzlich. Wer jedoch
Vermag was wider Majestät? Deshalb
Verhandl' ich eben mit dem Admiral.
PETER.
Tolstoi, nimm du Vernunft an! Diese Grille
Bescherzt ein wenig frei das Heiligste.
Sind wir im Pfänderspiel? Die Antithese
Gehört in eine spanische Komödie.
Auf Seemanns Wort! Das Mädchen sagte nichts,
Was sich bezieht auf des Alexis Schuld.
TOLSTOI.
Das zu erwägen, sei der Richter Sorge.
PETER.
Wie Erz und Stein! – Woher nimmst du die Kühnheit?
[449]
TOLSTOI.
Ich trag' ein Kleid, das mich vergessen macht,
Es gäbe Dinge, welche Kühnheit fordern.
PETER
mit Überwindung.
Nach meiner Kenntnis vom Gesetz des Landes
Dürft Ihr den Vater gegen seinen Sohn
Nicht hören.
TOLSTOI.
Nein, betrifft's Gewöhnliches.
Bei Staatsverbrechen aber mögen Knechte
Vernommen werden wider ihren Herrn,
Der Bruder wider seinen Bruder, Gatten
Entgegen Gatten, Söhne wider Väter,
Und umgekehrt. Slowo i delo! riefst du.
Sobald dies Wort ertönt, schweigt die Natur.
Befiehlst du, daß ich dein Edikt ...?
PETER.
Ich – kenn' es.
TOLSTOI.
Und dann zum Überfluß: Ich redete
Vom Vater gestern früh. Der Zar verwies mir's.
PETER.
Wenn ich nur wüßte, was dir's frommen soll,
Die Folgen abzuwenden, flog sie zu mir.
Sie sagte mir, was sie bereits an dich
Bekannt zu haben, mir versicherte.
Zu Füßen mir gestürzt, entgeistert, blaß,
Mit einem irren Blick erzwungnen Zutrauns,
Rief sie mir's zu.
TOLSTOI.
Mir hat sie nichts gesagt.
PETER.
Nichts? Log sie mir?
[450]
TOLSTOI.
Der Schreck betäubte sie,
Den ich erlaubterweise angewendet.
Im höchsten Aufruhr aller Sinne greift
Des Menschen Seele wild in ihre Tiefen.
Dann weiß ein jeder: fähig sei er dessen,
Was er am meisten haßt, verabscheut; sieht,
Was noch geschehen könnte, schon geschehn,
Weil dem Gewissen der Gedanke auch
Für eine Tat gilt. Die Verzweiflung predigt
Die bodenlose Schlechtigkeit der Menschen.
PETER.
Ihr seid – ein finstrer Späher. Ich beneid' Euch
Nicht um die Wissenschaft. – Mir sank kein Tag,
Der mir nicht Hinterlist, Verstellung, Bosheit,
Geheime Tücke, offenbaren Undank
Auf wohlerdachte Pfade ausgestreut;
Und dennoch glaub' ich an die Menschen noch
Ein wenig, Tolstoi, tu's meinetwillen;
Ein elend Leben war's, tät' man es nicht.
Genug! –

Er deutet auf das Papier.

Dies ist 'ne Frag', wie weit mit mir
Zu gehen sei? – Der Admiral antwortet:
Er wird dir nicht gehorchen.
TOLSTOI
in steigender Bewegung.
Nicht gehorchen?
PETER
ruhig.
Wir sind hier auf dem Lande, nicht zur See. –

Mit dem Zeichen der Entlassung.

's wird Zeit zur Sitzung sein. Den Ausfall meldet
Mir gleich nach ihrem Schluß.
[451]
TOLSTOI.
Du weigerst dich, ins Reichsgericht zu kommen?
PETER.
Ich will mich unter winden des Vergehns.
TOLSTOI
zerreißt sein Gewand.
So zerreiß' ich mein Amtsgewand, wie du das Kleid
Das heil'ge, weiße abgrundgewirkte Kleid
Zerreißest der Gerechtigkeit! So schreit' ich
Stehenden Fußes in den Saal, und schleudre
Die Uloschenie, Statuten, Ukase
Ins Feuer, das sie fressen soll, die dreimal eiteln!
So stoß' ich die Tafel um und die Stühle! Treibe
Die Richter aus den Hallen, denn sie sind unnütz!
So zerbrech' ich den Stab und rufe: »Zeter! Zeter!«
Statt über den Alexis, über das Land der Russen!
PETER.
Tolstoi! Mäß'ge dich! Du bist bei deinem Herrn!
TOLSTOI.
Ich kenne keinen Herrn in dieser Sache!
Ich war bei meinem Herren gestern, gestern früh,
Und er sagte: »Vergesset, daß Euch ein Zar beherrscht,
Welcher Peter heißet!« – Worte waren es, Worte leer!
Wenn es die Mühe nicht lohnt, freilich da gelten wir,
Aber im ernsteren Streit spielet mit Worten Ihr nur!
Laß mich von hinnen, Zar, denn ich erkenne dich jetzt!
PETER
die Hand am Degen.
Tolstoi!
TOLSTOI.
Ich bin geharn'scht, fest, gepanzert in Erz!
Mit dem Schwerte bewehrt unrechthassenden Sinns,
Mit dem Schilde bedeckt todverachtenden Muts!
[452] Lösest du auf die Kreise, die ich geordnet zog,
Dulde, daß ich beklage dieser Zerstörung Werk.
PETER.
Hemm' deine Klage! – Ist denn, was ich heut
Erfahre, mir so neu? Im Jahre Vierzehn,
Vor dem Finnländschen Zug sucht' ich Befördrung
Vom Schout by Nacht zum Vizeadmiral.
Und das Kollegium versagte mir's. Wie Recht.
Und du verfährst nach deiner Pflicht, und tust,
Was selber ich geboten hab'. Wie Recht.
Also bestätg' ich dich aufs neu in deiner Allgewalt,
Und gebe unter deinen Bann mein Kaiserhaupt
Gleich dem gemeinsten Russen hin unweigerlich. –
Nichts hab' ich, womit dir zu lohnen ist;
Erfreut ein Zierrat dich, nimm den Andreasstern!
TOLSTOI.
Den Stern dem Manne, der zu schaffen weiß!
Wir schaffen nichts. Das aber will und fordr' ich,
Daß vor das Reichsgericht der Zeuge komme.
PETER.
Der Zeuge wird kommen, und du sollst durchaus
Den Willen haben. Ich nachher gedenke
Den meinigen zu haben.

Tolstoi ab.

Mit schauerlicher Freude seh' ich überstark
Die Formen, die ich bildete, gewaltiger
Denn ich, mein eignes Selbst in ihren Gang
Fortreißen, unantastbar meiner Faust! –
Das Werk ist ewig, das den Meister meistert,
Und die Gewißheit der Unsterblichkeit
Verdank' ich dieser Stunde. –

Er geht.
4. Szene
[453] Vierte Szene
Der Gerichtssaal. Das versammelte Gericht. An einem halbmondförmigen Tische sitzen: Tolstoi in der Mitte. Neben ihm Schaphirow zwischen Menzikof und Ostermann. Sodann weiter rechts: Theophanes und die Geistlichen. Links an der Tafel: Die Generale und Senatoren. Ganz zu Ende rechts: Jaguschinksy. Sekretäre an kleinen niedrigen Tischen. Hellebardiere an der Pforte. Später: Zar Peter. Alexis steht vor den Schranken.
Pause bei dem Beginn der Szene. Tolstoi blickt unruhig nach der Türe.

JAGUSCHINSKY
steht auf und geht zu Tolstoi.
Laßt einmal nur von diesem Starrsinn! Denkt
Ans Heil des Reichs, an uns, an unsre Zukunft!

Auf die Versammlung deutend.

Wie die Euch stimmen hören, stimmen sie.
Gönnt mir ein Wort. In Euren Händen liegt's.
TOLSTOI.
Herr Generalanwalt, die Willkür liegt
In meinen Händen nicht. Bis jetzt steht's so:
Daß ich den Prinzen absolvieren muß.
JAGUSCHINSKY.
Dann fahre hin, Glück, Hoffnung, Sicherheit!

Er geht an seinen Platz.
MENZIKOF
zu Schaphirow.
Kann ich denn auf Euch baun?
SCHAPHIROW.
All' Eure Werke.
MENZIKOF.
Ach Gott!
[454]
OSTERMANN.
Fürst Menzikof seufzt ja so tief.
SCHAPHIROW.
Er denkt an seine Werke.
MENZIKOF.
Stets dies Haschen
Nach Witz! Satire zeigt ein schlechtes Herz.
Zum Lachen ist, bei Gott, der Tag zu ernst.
SCHAPHIROW.
Er zieht uns ein Gesicht; ziehn wir's ihm wieder!
MENZIKOF.
Sprecht mit dem Ostermann.
SCHAPHIROW
zu Ostermann.
Was dünkt Euch, Graf?
OSTERMANN.
Baron, die Sache hat gewiß zwei Seiten,
Wenn nicht noch mehrere; die rechte aber
Wird sich aus allen Wechselfällen endlich
Von selbst ergeben, was jedoch vor Irrtum
Den Redlichsten nicht schützt.
MENZIKOF
zu Schaphirow.
Ist er für uns?
SCHAPHIROW.
Weiß nicht. Ich kann die Sprache nicht verstehn.
MENZIKOF.
Was spricht er?
SCHAPHIROW.
Diplomatisch Kauderwelsch.
[455]
MENZIKOF.
Der Mantelträger!
SCHAPHIROW.
Es ist zu beklagen.

Auf Theophanes und die Geistlichen deutend.

Die stimmen nicht, weil sie nicht stimmen dürfen.

Auf Ostermann, die Generale und Senatoren deutend.

Die woll 'n das Erz auf Tolstois Felde schürfen;

Auf Tolstoi deutend.

Der Alte bleibt bedenklichen Gesichts;
Er hat gesucht gar viel, gefunden nichts.
Wir beide aber, rufen wir auch heftig,
Sind doch, den großen Saal zu füll'n, nicht kräftig.
DER SEKRETÄR
kehrt von der Tür zurück und geht zu Tolstoi.
Niemand ist noch im Vorgemach erschienen.
THEOPHANES
zu einem Geistlichen neben ihm.
Glückselig unser sanfter Friedensstand,
Wir heben nur zum Segnen auf die Hand.
OSTERMANN
zu seinem Nachbar.
Ein heißer Junius. Die Luft ist schwül.
DER NACHBAR.
Ganz überaus. Ich habe ein Gefühl ...
ALEXIS
beiseite.
Verwirrung, Angst und Schreck in allen Mienen!
Seltsamer Hof! Der Mann im Ehrenschmuck
Erblaßt, errötet von geheimem Druck;
Der Angeklagte lacht und triumphiert!
So ward das Recht in diesen Saal geführt.
[456] Also ergeh's den Sklaven, welche dürsten
Nach dem geweihten Blute eines Fürsten!
TOLSTOI
zum Sekretär.
Seht noch einmal in das Gemach, Ignaz.

Der Sekretär geht wieder zur Tür.
ALEXIS.
Ist mir erlaubt, zu reden?
TOLSTOI.
Immerhin.
Die Freiheit gibt Euch das Gesetz des Staats.
ALEXIS.
Gestanden hab' ich euch den bösen Sinn,
Der mich beherrschte seit den Kindertagen.
Wie ich dem Herrn mein Unglück nachgetragen,
Es ist, ich denk', euch gründlich vorerzählet;
Jetzt sag' ich, wie am schlimmsten ich gefehlet,
Denn alles muß ich mir vom Herzen sprechen.
Den schärfsten Pfeil verschießt zuletzt der Schütz,
Zum Schluß des Mahls wird Firnwein aufgesetzt,
Der Witz'ge gibt zuletzt den feinsten Witz,
Auf einem Fest erscheint der Fürst zuletzt;
Ein Sünder sagt zuletzt sein Hauptverbrechen.
Ihr wißt, daß ich gefrevelt an dem Zaren,
Ihr aber schwebt noch überm Doppelaaren,
Denn zwischen Zar und mir sprecht ihr das Recht,
Der Herrscher ist, gleich mir, hierin eu'r Knecht;
Was ich an euch beging, sollt ihr jetzt hören.
TOLSTOI.
Ihr führet Reden, die nicht hergehören.
ALEXIS.
Ein böser Geist gab über Nacht mir ein:
All' euer Tun wär' eitel Heuchelschein!

[457] Unruhe in der Versammlung.

Von außen herrlich, wacker, stattlich, gleißend,
Von innen faul, zerfallen, giftig, reißend!
Ihr wäret, sprach der Geist, von Ton Kolossen,
Und Wurmgenist wär' in dem Ton beschlossen.
JAGUSCHINSKY.
Ich fordre, daß verbiete das Gericht
Dem Angeklagten solche Lästerung.
TOLSTOI.
Die Hemmung darf nicht sein. Der Ukas spricht:
»Gebundner Mann hab' ungebundne Zung'.«
ALEXIS.
Mein bessres Selbst wollt' euch verteid'gen, Männer;
Der Böse rief: »Ich bin ein Menschenkenner!«
Und zählte Taten auf von Euren Händen:
Erpressung, Schätzung, List, Volksdrängerei –

Mit einem Blick auf Jaguschinsky.

Der schlag' in Banden grundlos, welche frei ...
JAGUSCHINSKY.
Ha, dulden wir's? Heißt, Tolstoi, ihn schweigen!
ALEXIS.
Der zahle Priester, daß sie Herzen wenden
Zu seines neuen Glaubens Sklaverei ...
THEOPHANES.
Gab ich der Kirche Leib dem Zar zu eigen,
Geschah's zu frommer Absicht, heil'gem Zweck:
König und Priester war Melchisedek.
ALEXIS.
Der halt' es mit den Schweden, Goten, Wenden,
Daß er der Diener zweier Herren sei ...
[458]
OSTERMANN.
Mein Gott, wer kann doch so die Pflicht beleid'gen?
ALEXIS.
Der presse Geld und Gut aus allen Ständen,
Und witzle über der Beraubten Schrei ...
SCHAPHIROW.
Ist solcher Geist als Zeuge zu beeid'gen?
ALEXIS.
Des fünften Tage sein ein stetes Schänden
Von Ehre, Zucht, Wahrhaftigkeit und Treu ...
MENZIKOF.
Angeberei! Ich werde mich verteid'gen!
ALEXIS.
Und um des Dämons Lügenspruch zu enden:
All' meine Richter seien taube Spreu. –
Der Pardel, Tiger geh' nach großem Raube,
Nichts zu verschmähn, sei kleiner Füchse Glaube.
Mein schlechtes Herz hat sich dabei bewährt:
Der Schmähung ward ein offnes Ohr gewährt.
Mir galt für Wahrheit sie, für reine, volle –

Er zieht das Heft hervor.

Die Kund' ist aufgeschrieben ...

Er legt das Heft auf die Schranken.

Da die Rolle!
JAGUSCHINSKY.
Zerreißt die Rolle!
MENZIKOF.
Laßt uns Urteil sprechen!
Wir sind bedroht!
ANDRE.
Verdächtigt unser Treiben!
[459]
TOLSTOI
schlägt mit seinem Stabe auf den Tisch.
Bin ich im Rechtssaal? Wollt ihr ruhig bleiben?

Zu Alexis.

Und wie klang gegen mich des Geists Erfrechen?
ALEXIS.
Er schwieg von dir. Ich wüßt', bei meiner Ehre,
Nicht, was von deiner Art zu sagen wäre.

Tolstoi sieht vor sich hin. Allgemeine Stille.
Alexis mit einem Blick auf die Versammlung beiseite.

Gehetzt, geblendet, taumelnd, wutdurchbebt!
Nun helf' euch Dolch und Mord! Ich hab' gelebt.
DER SEKRETÄR
kehrt von der Tür zurück, die offen bleibt.
Er kommt.
ALLE.
Wer kommt?
TOLSTOI.
Peter, der Admiral.
ALEXIS.
Was will er?
TOLSTOI.
Zeugen.
ALEXIS.
Zeugen? Er weiß nichts.
TOLSTOI.
Erwartet jetzt den Fortgang des Gerichts.
MENZIKOF.
Bei uns der Zar?
OSTERMANN.
In unsrem ... unsrem Saal
Die Majestät? Der Landesherr? ...
[460]
TOLSTOI.
Da ist er.

Die Hellebardiere machen die Honneurs. Zar Peter tritt ein, in voller Admiralsuniform, den Admiralshut auf dem Haupte. Die ganze Versammlung bis auf Tolstoi, erhebt sich.
PETER.
Bin ich der Zar, könnt ihr mich hier nicht sehen,
Bin ich es nicht, wer zwingt euch, aufzustehen?
TOLSTOI.
Vollkommen wohl bemerkt.

Die Versammlung setzt sich. Der Zar steht dem Prinzen gegenüber.
ALEXIS.
Was ist geschehen!?
PETER.
Gesetz, Notwendigkeit, sind zwei Geschwister.
Man soll nicht Satzung stiften ausnahmsweis,
Zum großen Ziele führt das breite Gleis.
Ich bin ein Admiral der roten Flagge,
Und nicht zum Scherze trag' ich diesen Hut;
Nein, ich erkor des Dienstes Müh' und Plage,
Daß keiner sich, zu dienen, halt' zu gut.
Eu'r Bote rührte meines Hutes Rand:
Ich folgte ihm. Der Grund? Macht ihn bekannt.
TOLSTOI.
Ihr seid ersucht, dem Hofe vorzutragen,
Was Ihr erfuhret von des Prinzen Schuld.
ALEXIS.
O feiges Herz! Sie weiß es ja allein ...
[461]
PETER.
Ich schwöre, Wahrheit dem Gericht zu sagen,
Bei Gottes Gnade und des Mittlers Huld. –
Die Kunde, die mir beiwohnt, ist nur klein.
Nichts weiß ich von den letzten trüben Dingen,
Doch etwas aus der frühern Monde Gang.
Nach Napel floh der Prinz, um aufzubringen
Den Kaiser gegen seines Zaren Zwang,
Wie er geheißen dessen redlich Dringen
Auf Fügsamkeit und Sohnes Sinn und Dank.
Er kam zurück. Da hat der Zar vergeben,
Mit einem Eid versichert ihm das Leben.
TOLSTOI.
Wofern der Prinz vollständig einbekannt.
Vollständig. Diesen Vorgang weiß das Land.
ALEXIS.
Wer wagt's, den Zarewitsch zu zeihn der Lügen?
PETER.
Es hat der Zarewitsch dem Zar verschwiegen
Damals den Anteil eines Mitgenossen.
Die Mutter wußte um des Sohnes Flucht,
Und um den Zar von seinem Thron zu stoßen,
Hat Aufruhr in dem Lande sie versucht
Durch die Bojaren, so bereits genossen
In jener Moskau-Nacht des Todes Frucht.
Sie schrieb's dem Sohn. Der Brief ward ausgeschlossen
Aus des Alexis Beichte nach der Flucht. –

Nach einer Pause.

Das alles sagte heut, betränter Miene,
Doch unbedroht, ein Mädchen, Euphrosyne.

Alexis fällt in einen Sessel und bedeckt das Gesicht mit den Händen.
[462]
TOLSTOI.
Erfuhrt Ihr sonst etwas?
PETER.
Ihr habt gehört,
Was ich gewußt. Darf ich den Saal verlassen?
TOLSTOI.
Wir sind durch Euch genugsam aufgeklärt.
PETER
geht zu Alexis.
Sei du ein Mann, und suche dich zu fassen!
Schlimm ist das Tun, und nicht die Kundbarkeit;
Daß du's getan, weißt du nicht erst von heut.
ALEXIS
ohne aufzustehn, mit erstorbner Stimme.
Du hast's erreicht. Es geht nunmehr zum Sterben!
Ich mach' mein Testament, gedenke dein.

Er nimmt das Heft von den Schranken.

Nimm diese Schrift! Ich setze dich zum Erben,
Sonst gibt's ja nichts auf Erden mehr, was mein.
Du brachst der holden Treue Welt in Scherben,
Nach dieser Stunde wird nichts fest mehr sein.
Dafür will ich dir deine Welt verderben,
Ich weise dich in ihre Fäulnis ein!

Er reicht dem Zar die Schrift. Dieser steckt dieselbe, ohne sie zu lesen, zu sich und geht ab.
JAGUSCHINSKY
erhebt sich.
Wenn noch des Zweifels Gran war in der Waage,
Schnellt' ihn danieder unsres Herren Spruch.
Die Finger auf der Uloschenie Buch,
Und auf das Zar'sche Kriegsrecht neuster Tage,
Heisch' ich den Tod für diesen Hochverräter!
[463]
MENZIKOF
steht auf.
Beistimmend.
SCHAPHIROW
ebenso.
Gleichfalls.
OSTERMANN
ebenso.
Zu den Senatoren.
Weise, würd'ge Väter
Des Landes, unsre Schmerzenspflicht ist klar.
TOLSTOI
zu Alexis.
Prinz, sprach der abgehörte Zeuge wahr?

Alexis macht eine bejahende Bewegung. Er liegt im Sessel, ohne Anteil an dem Ferneren zu nehmen.

Gebt eure Meinung, Herrn der Geistlichkeit!
THEOPHANES.
Jehovah sprach durch Mose seiner Zeit:

Er schlägt das alte Testament auf.

»So jemand einen eigenwilligen und ungehorsamen
Sohn hat, so soll er ihn greifen und zu den Ältesten
der Stadt führen, und zu dem Tor desselben Orts.
So sollen ihn steinigen alle Leute derselbigen Stadt,
daß er sterbe, und sollst also den Bösen von dir tun,
daß es ganz Israel höre und sich fürchte.«

Wir urteln nicht, wir töten nicht den Samen
Von Mann und Weib. Gott hat's verkündet.
DIE GEISTLICHEN.
Amen!
THEOPHANES.
Der neue Bund hat auch das Recht geweiht.

Er schlägt das neue Testament auf.

»Ihr Kinder, seid gehorsam euren Eltern
in dem Herrn, denn das ist billig.
[464] Ehre Vater und Mutter, das ist das erste
Gebot, das Verheißung hat.
Auf daß dir's wohl gehe, und du lange
lebest auf Erden.«

Wir urteln nicht, wir töten nicht den Samen
Von Mann und Weib. Gott hat's verkündet.
DIE GEISTLICHEN.
Amen!
THEOPHANES.
Schließt nun, ihr Brüder, Augen, Lippen, Ohren;
Das Schwert, das uns gebühret, ist der Geist.
TOLSTOI.
Stimmt jetzo, General' und Senatoren,

Allgemeine Stille.
EIN GENERAL
nach einer Pause.
Sei Du der Führer, der den Weg uns weist.
TOLSTOI
erhebt sich.
Aufruhr verbergen, heißet Aufruhr üben.
Wer des Verräters Brief empfangen hat,
Und des Verräters schont, begeht Verrat;
Mitwissenschaft ist Vorschub, Hehlen Tat.
Du sollst das Land mehr als die Mutter lieben.
Die Klag' ist nicht auf eine Zeit beschränkt,
Auf einzeln Umstand, Fehltritt nicht gelenkt,
Nach göttlichem und menschlichem Gebot
Verdient Alexis Petrowitsch den Tod.
DIE GENERALE
erheben sich.
Er sterbe!
[465]
DIE SENATOREN
erheben sich.
Sterbe!
TOLSTOI.
Einhellig also?
ALLGEMEINER RUF.
Tod!

Wilde Gruppe.
5. Szene
Fünfte Szene
Offne Galerie im Palaste.
Zar Peter tritt auf. Ihm folgen: Ein Arzt und Mons de la Croix.

PETER
zum Arzte.
Wie geht es meinem Sohn?
ARZT.
Er liegt im Fieber.
PETER.
Seit wann?
ARZT.
Bewußtlos fand ich ihn, als er
Von dem Gericht zurückgetragen ward.
PETER.
Hat ihn sein Schicksal so erschreckt?
ARZT.
Noch mehr
Die Art, wie's ihm bereitet ward. Der Wechsel
Von Siegeshoffnung, niederschmetternder
Vernichtung, ferner,
[466] Daß jenes Mädchen, die er lieb gehabt,
Ihn angegeben, rührte die Natur
In ihren feinsten Adern grabend auf.
PETER.
Ist es gefährlich?
ARZT.
Nein, Ew. Majestät.
Die Jugend wird sich helfen. Morgen schon
Ist hergestellt, ich hoff's, der Zarewitsch.
PETER.
Ihr seid der Sache sehr gewiß.
ARZT.
Ich bin's,
Soweit in unsrer Kunst Gewißheit gilt.
PETER.
Ein kluger Nachsatz! – Welcher Offizin
Entnehmt Ihr Eure Mittel?
ARZT.
Mr. Bear's.
PETER.
Ist's ein geschickter Mann?
ARZT.
Durchaus erfahren
In den Geheimnissen von Stoff und Mischung.
PETER.
'Ne Frag' aus Neugier: Sagt man nicht von ihm,
Er mach' Aqua Toffana?
ARZT.
Majestät,
Um solche Ding' bekümmert sich kein Arzt!
[467]
PETER.
Der Kaiser auch nicht. – Seht nach meinem Sohn.

Arzt ab.
Zu Mons.

Was will die Kaiserin?
MONS.
Sie hat mir nie
Die Pforten ihres Zutrauns aufgetan,
Ich steh' ihr ferne, wie ein jeder Diener;
In unnahbarer Hoheit wandelt sie
Uns allen fremd, und der Befehl allein
Verknüpft die Herrsch'rin den Gehorchenden.
PETER.
Zwei Dutzend ungeschickter Wort' zuviel,
»Ich weiß nicht« – mir zu sagen.
MONS.
Zürnt Ihr?
PETER.
dir? –

Mons ab. Der Zar geht auf und nieder. Ein Sekretär tritt mit dem Todesurteile ein.
SEKRETÄR.
Des Hofes Schlußurteil.

Überreicht es.
PETER.
Das ging ja rasch.
Fürsorglich hat es Tolstoi wohl schon
Vorher verfassen lassen. – Bleib zur Hand.
Ich habe deiner Feder mancherlei
Heut zu vertäuen noch.

Sekretär ab. Der Zar liest das Urteil.

Ein höchst gerechter, wohlerwogner Schluß!
Moses und die Propheten und Apostel
Drin angeführt ... und doch ...

[468] Er wirft es heftig auf den Tisch.

Ein Schandurteil! –
An einer Klausel, einem Nichts ihn fassen!
Gemein und niederträchtig! Blutig-albern!
Bestellt' ich euch, daß ihr hyänengierig
In der vergeßnen Dinge Moder wühlen,
Scharr'n solltet aus der Gruft verweste Schuld?
O das ist schlimmer als des Meuchlers Dolch!
6. Szene
Sechste Szene
Katharina in Trauer. Zar Peter.

PETER.
Was für ein Aufzug?
KATHARINA.
Tiefen Grames Kleid.
PETER.
Leicht hüllt sich eine frohe Brust in Schwarz.
KATHARINA.
Doch Seufzer steigen nur aus traur'ger Brust. –
O Herr, beflecke nicht dein würd'ges Leben!
PETER.
Es denke jeder seiner eignen Pflicht,
Wir werden würdig bleiben unsrer selbst. –
Du sandtest durch den Diener mir die Bitte
Um eine Unterredung. Ich versteh',
Rücksichten zu bewahren. Doch bevor
Du sprichst, erwäg', ob ich dich hören kann.
Auf meinem Pult lag namenlos ein Brief:
»Dein Weib verließ mit ihrem Mons das Schloß
Gestern« ...
[469]
KATHARINA
rasch einfallend.
... Um Mitternacht, geheim, verstohlen,
Als gält's ein Werk der bösen Finsternis!
PETER.
Wie?
KATHARINA.
Zu den reinen Sternen rufend: »Zeugt mir!«
Von Mons begleitet, dessen Kindersinn
Sie leicht die Fabel aufgeheftet, fuhr sie
Aus dem Palaste nach der Festung.
PETER.
Dahin? – –
KATHARINA.
Der Kommandant wird mich ja wohl vertreten.
Entschuldigt es.
PETER.
Sie war bei meinem Sohn! –
O Katharina, wie verdien' ich dich?
Du Dulderin! Du Edelmüt'ge!
KATHARINA.
Lob?
Schamröte meinen Wangen? Lieb' ich ihn?
Könnt' ich nur heucheln! Meinen Vorteil sucht' ich ...
Was hülf's, mich zu verstell'n? Ich bin zu schlicht.
Den guten Namen wollt' ich mir bewahren;
Stiefmütter büßen, wenn Vorkinder leiden,
Zu rühren hofft' ich ihn, ich meint' es gut.
Du hatt'st dich mir entdeckt, ich sagt' ihm alles,
Vom Vater sollt' er sich sein Los erflehn,
Damals war es noch möglich.
PETER.
Damals, ja!
[470]
KATHARINA.
Ich zählt' ihm deine heil'gen Tränen vor ...
PETER.
Und er? ...
KATHARINA.
Es war ein Fraungedanke!
PETER.
Er?
KATHARINA.
Ich bin nicht kommen, um ihn anzuklagen.
PETER.
Er widerstrebte?
KATHARINA.
Einer Ungeschickten.
Die Zung' ward nicht gemacht für Überredung;
Was man Behandeln nennt, ich kenn' es nicht,
Die Wahrheit ist so einfach.
PETER.
Warum gräm' ich
Um einen Toren mich? – –
KATHARINA.
Mein güt'ger Herr,
Fehlt' ich schon wieder! – O vergiß dich! Denk
Des Unglücks nur!
PETER.
Ich tu's.
KATHARINA.
Fern sei von mir
Der Lüge Kunstgewirk! Ich furcht' und sag' es:
Er wird ein Opfer doch, früh oder spät,
Des argen Herzens!
[471]
PETER.
Kann wohl sein.
KATHARINA.
Sie treiben
Gewaltsam ihn dazu. Weißt du? Im Süd
Die alten Städte, sandten Deputierte,
Von dir sein Leben zu ertrotzen.
PETER.
Freundschaft
Zur rechten Zeit ist gut. Das schlimmste ist
Unzeit'ge Freundschaft! Wenn doch die Gesandten
Umkehrten halben Wegs!
KATHARINA.
Partei ward alles.
Das eben, o mein Fürst, jagt mich zu dir!
Religion ist mein Gefühl für dich,
Ein höh'res Wesen bist du mir; nun faßt
Mich Schmerz um meiner Andacht göttlich Bild!
Die Richter morden, ihre Angst zu töten,
Den Herrn will sich dein Feind erhalten. Mitten
In diesen Fluten stehst nun du. O daß du
Dich rein entschiedest! du, du selber stets,
Nur du in dem Entschluß! Begeistrung, Kühnheit
Reißt über alle Grenzen mich ... Wo bin ich?
Für meinen Gegner bitt' ich, deinen Gegner,
Für einen Frevler bitt' ich, denn ich muß.
Die Liebe sorgt um Folgen nicht. Entschließ,
Entschließ dich jetzo!
PETER
geht heftig umher.
Du allsehnder Himmel,
Send einen Strahl herab, hier ist es trüb! –
Die blinden Heiden legten auf das Haupt
Des Sohns, der an der Mutter sich versündigt,
Den schwersten Fluch. Den Furien gaben sie
[472] Den Schänder hin, den Geißeln. – Unter mir
Soll einer sterben, der der Mutter schonte!
Ruchloses Recht! Entsetzliches Gesetz!
Ich hätt' es grad wie du gemacht, Alexis. –
Wer seine Mutter preisgibt, ist ein Abscheu
Für jede Kreatur; der Hund verläßt
Den Herrn, der das tat. Schnaubend wirft das Roß
Die Last des Schlechten ab. Der Zar hat Grund,
Dir bös zu sein, wo aber wär' der Zar,
Hätt' ihn nicht seiner Mutter sanfter Schoß
Empfangen und gehegt?
KATHARINA
beiseite.
(Ging ich zu weit?)
PETER.
Gib mir die Hand, daß ich Lebendiges
In meiner fühle! Mich umsaust der Tod
Mit ekler, wesenloser Mattigkeit.
Du stehst bestürzt, du liebe, treue Frau ...
Fühlst du mein ganzes Elend? Wär' ich nie
Gekrochen auf den Haufen Schmutz: die Erde!
Sieht aus wie Ton für eines Bildners Hand,
Ist aber nichts als Schmutz. – Zerbrich, mein Werk!
Stürzt, meine Städte! Sink, verkünstelt Volk,
Zurück in deine alte skyth'sche Nacht!
Mein Reich ist hohl und marklos. Diesen Sklaven
Flößet kein Gott des Lebens Otem ein!
Die Welt kann ich erobern, doch das tat
Vor mir schon Attila.
KATHARINA.
Und dein Gefangner?
PETER
setzt sich erschöpft.
Ah so, mein Sohn. – Der mag denn also leben!
[473] Denn freilich, stürb er, dann erwürgten wohl
Die russ'schen Mütter künftig an der Schnur
Die männliche Geburt; daß ihren Feind
Die arme Kreißende zum Licht nicht fördre!
So hilf mir nun, Erfindung, die so schön
Gekrönter Schwäche hilft. Ich glaubte nie
Dein zu bedürfen. – Gute Katharina,
Du hast den liebevollen Zweck erreicht:
Er soll begnadigt werden.
KATHARINA.
So. Begnadigt?
PETER
steht auf.
Ich will's heut abend noch ihm sagen lassen.
Ist dir das recht?
KATHARINA.
Ei ja. Es ist doch etwas ...
Verzeih mir, darum hab' ich nicht gefleht.
PETER.
Nicht darum? Um was sonst?
KATHARINA.
Darauf zu fallen!
PETER.
Was wolltest du erbitten?
KATHARINA.
Herr, 'ne Grille.
Ich seh' es ein. Wer hindert dich? O tu's.
PETER.
Nichts will ich tun, bevor ich dich gehört.
[474]
KATHARINA.
Zum Tod verurteilt sein, galt sonst für Schmach;
Vielleicht sind die Begriffe anders worden.
Er lebt denn, wie es gehen will, den Brandmark
Von Untertanenhand auf seiner Stirn!
Die Gnad' ist wirksam. Immer gilt's die Probe.
Möglich, daß er damit zufrieden ist,
Ich denk' nicht hoch von ihm. Auch machst du ihn
Gewiß so am unschädlichsten. Man kann
Ja nicht in fremder Seele zeugen. Ich,
Ein Weib, wüßt' freilich, was ich spräche, böt'st
Du deine Gnade mir.
PETER.
Er wär' ein Weib,
Spräch' er nicht so, wie du.
KATHARINA.
Die Gnade sei
Gemeiner Missetäter Bettler-Hoffnung,
Gleichgült'gen Frevels Trost, die Gnade schenke
Der Schuld, die man verachtet, ihre Buße!
Doch Gnade für Gerechtigkeit – das wär'
Seltsamer Tausch. Und bist du stark genug,
Die Wirkung zu beherrschen?
PETER.
Welche Wirkung?
KATHARINA.
Lang lebt ein Fürst in unbestrittner Macht;
Gehorsam ist Gewohnheit, niemand klügelt.
Dann aber kommt der Punkt, wo jeder fragt:
Warum gehorchen wir? – Sei gnädig. Sieh,
Ob nicht ihr Haupt der Zweifel morgen schon
Schüttelnd bewegt?
PETER.
Weil ich ein Mensch gewesen?
[475]
KATHARINA.
Uns andern ging' es hin, dir schenkt man nichts.
Und fragen würden sie: »Wie kam es doch,
Wenn er wollt' gnädig sein, daß er das Aufsehn,
Das kalte, feierliche, unbegehrt
Um nichts erregen ließ?«

Sie hält inne, eine Antwort erwartend. Peter schweigt.

Nun, sprächen andre,
Er ist denn auch zuletzt wie unsrereiner,
Dräut und bereut. Der Fall belehre Euch.
PETER.
Schweig! – Dieser Fall wird etwas Härtres lehren.

Er nimmt das Todesurteil vom Tische.
KATHARINA.
Findst du's? Ja großer Herrscher, übe Großes!
Ein Unrecht wird geheilt nur durch das Recht,
Auf höherm Stuhl gesprochen, und du bist
Der höchste Richter! Schilt ihr Urteil, streue
Die Fetzen ihnen vor die Füße! So
Übst du die Macht, so bleibst du dir getreu,
Zur Quelle kehrt der Dinge Strom zurück.
Zwei Wege hast du, und den dritten nicht;
Du mußt ihn sterben lassen, oder mußt
Die Richter richten.
PETER.
Allerdings. So steht's.
KATHARINA.
Und weißt du nun, was ich erbitten wollte?
PETER.
Was ich nicht leisten kann, das weiß ich.
KATHARINA.
Wie?
[476]
PETER.
Fluchwürdig war der Sinn, der Spruch ist gut!
Mir muß der Spruch nur wiegen, nicht der Sinn.
Zur rechten Zeit bist du gekommen. Fast
War eine Torheit hier geschehn, es war
Das Zeichen zu dem Bürgerkrieg gegeben,
Sobald sich meine Augen sterbend schlossen.
Im Irrtum war ich, grausam straft er mich;
Ich frevelte an der Natur, nun reift
Die Frucht; der Widersinn, das Ungeheuer.
Verloren war er schon, sobald den Hof
Ich eingesetzt. Wie auch der Hof gesprochen,
Ich mußte seiner mich entledigen.
Denn ist er schuldlos, bin ich der Tyrann,
Er ist der Märtyrer, für den das Volk
Berechtigt, heil'gen Wahnsinns Fahne schwingt!
Mein neu Geschlecht wird sich behaupten wollen,
Ein Zwischenreich beginnt, von dem mein Stamm
Das Land erlöst.
KATHARINA.
Wie weit-entlegne Sorgen!
PETER.
Das Unglück pflegt mit schnellem Fuß zu wandern,
Das Ferne gelt' uns nah', wenn wir's erblickt.
Er ist bedauernswert, und sie – sind schlecht,
Und wählen muß ich zwischen ihm und ihnen.
Ich hab' gewählt. –
KATHARINA.
Um alle Heil'gen, Herr ...
PETER.
Aus dunkler Wolke trifft der Strahl ... Nachahmen
Werd' ich den wetterbraunden Mächten!
KATHARINA.
Hör mich! ...
[477]
PETER.
Dies also wäre abgemacht. –

Er legt die Hand auf ihre Schulter.

Wenn ich
Jetzt nicht mein Haar zerraufe, diesen Estrich
Mit meinem alten morschen Leibe nicht
Bedecke – dank' ich's dir. Ein großer Schmerz,
Ein großer Balsam in derselben Stunde!
Seit heut erst kenn' ich dich. Du sprachst ja stattlich,
Wie eine rechte, echte Königin!
Hast mir was abgehorcht.
KATHARINA.
Ach, nicht von mir!
Verlor ich mein Gesuch?
PETER.
Verlorst es ganz. –

Er tritt nach einer Pause vor sie hin.

Du rettetest mich einst, du halfst mir jetzt
Durch tief Gespräch zur Wahrheit. – Hier ja wäre
Etwa, was wir gesucht. Von unsrer Glut
Ein Fünkchen, Art von Art. Und die Sarmaten
Sind's schon gewohnt. Beschenken möcht' ich dich,
Und hab' nur Not und Sorgen zu vergeben.
Rußland besitz' ich. – Willst du's?
KATHARINA.
Großer Gott! ...
Mich überschütten deine Worte ... Ich?
Alexis? ... Herr ...
PETER.
Die Schande spar' ich ihm,
Kann ich ihm sonst etwas ersparen?

Er geht.
7. Szene
[478] Siebente Szene
KATHARINA
allein.
Endlich! –
Der Fürsprach' bei dem Gutsherrn werden wir
Jetzt zu entbehren wissen! – Und wer wirft
Auf uns den kleinsten Makel? – Donnre, Rächer!
Hab' ich gelogen? – Donnre! – Stumm verbleibt's.
Ich bat für meinen Feind, gab Lieb' für Haß,
In allem wahrhaft, mild, untadelich.
Die Nachwelt soll von dieser Großmut reden!

Nach der andern Seite ab.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
Die Galerie. Jaguschinsky. Schaphirow.

JAGUSCHINSKY.
Verhaftet Menzikof?
SCHAPHIROW.
Soeben.
JAGUSCHINSKY.
Wegen?
SCHAPHIROW.
Erpressung, Volksdruck, Lug.
JAGUSCHINSKY.
Das zielt auf uns!
An diesen Pfahl hängt er die Warnungstafel.
[479] Der Schrecken geht durch Petersburg. Zur Festung
Soll'n wir um Eilfe kommen?
SCHAPHIROW.
Alle, die
Den Zarewitsch verurteilt.
JAGUSCHINSKY.
Schaphirow,
Was soll'n wir in der Festung?
SCHAPHIROW.
Publikum
Vorstellen, oder ... Weiß ich's? – Eingepackt!
Die Post muß stets zur Abfahrt fertig sein.
Klar ist's, wir sprachen ihm zu Danke nicht,
Und selber sind wir seines Sohns Verklagte.
JAGUSCHINSKY.
Den – läßt er aus, und uns behält er dort.
SCHAPHIROW.
Und wen behält er draußen?
JAGUSCHINSKY.
Das erwägt
Sein Grimm nicht. – Ha! Gehn wir, dem Kalbe gleich,
An Schlächters Seil zur Bank?
SCHAPHIROW.
Mein Jaguschinsky,
Uns beide nährt' er wohl zu Stieren auf.
Gilt's, wollen wir, wie trutz'ge Stiere, kühn
Die Hörner weisen, daß der Schlächter merke,
Er müsse mit des Armes höchster Stärke
Den Beilschlag führen.
[480]
JAGUSCHINSKY.
So erwartet' ich's.
Ihr seid ein Mann, der nicht dem Tode bleibt
Die Antwort schuldig. Fällen mag er uns,
Er soll uns nicht erniedrigen! Die Wipfel
Sie mögen liegen in dem Staub, zerquetscht;
Grün, nicht von Angst gewelkt! Kommt, Schaphirow,
Aufsuchen laßt die Freunde uns, daß wir
Durch unsern Zuspruch ihren Mut erwecken;
Dem Schreck ohn' Ende folgt ein End' mit Schrecken!

Beide ab.
2. Szene
Zweite Szene
Danilow. Die Städte-Deputierten. Aaron mit der Wahlurkunde. Sie treten im Hintergrunde auf und bleiben anfangs dort. Später: Zar Peter und Gordon.

DANILOW.
Er kommt, hier woll'n wir ihn erwarten.

Aaron schlägt die Urkunde auf.
Zar Peter tritt mit Gordon von der Seite auf.

Peter Gordon, es treibt mich keilhaft zum Entschluß!
GORDON.
Ihr wart ja schon entschlossen.
PETER.
Nennst du das
Entschluß, wenn die gequälte Seele sich
Luft macht in einem Aufschrei? Sie sprach klug,
Sehr klug, oh leider allzu klug! Hier liegt's
Fein, weiß, wie eines jungen Teufels Unschuld! ...
[481] Die Blicke weg davon! ... Schaun wir der Not
Ins ehrliche Medusenantlitz! – Görtz
Gefallen der Kabale, neugestärkt
Die schwed'sche Kriegspartei, Ulrike zögernd,
Engländer unter Norris durch den Sund,
Auf allen Plätzen Rüstungen! So schreibt
Mir Mardefeldt. – Die Arbeit geht von vorn an,
Hier, draußen! Ich bin stumpf und mürb ...
GORDON.
Zähl Geld,
Das ist das einzige, was Stich hält.
PETER.
Dich
Schickt mir mein gutes Glück! Dich fand ich ab,
Was deine Habsucht wollte, hast du! Nagst
Gestillt, zufrieden an dem Bissen! – Tat,
Ereignis, Vorsatz, Wort, Gedanke, alles
Log mir mit Doppelsinne unausgründbar.
Dich frag' ich, trockner, dürrer Mensch: »Trügstdu's?
Mit Würmern seinen Herbst zu teilen, wenn man
Endlich die Früchte brechen will!« – Gordon,
Was soll geschehn?
GORDON.
Zar, nichts.
PETER.
Nichts?
GORDON.
Muß beständig
Etwas geschehn? Wer immer handeln will,
Verspinnt zu rasch den Werg. Gibts keine Zukunft?
Unmöglich etwas halten, ist ein Irrtum,
Der freilich manches schon untunlich machte.
PETER.
Das sind so allgemeine Sätze.
[482]
GORDON.
Ja,
Zur Abwechslung auf viel Absonderliches.
PETER.
Es kam zu weit, und eins von zweien heischt
Der Tag.
GORDON.
Das Datum steht im Almanach,
Die Dinge wissen vom Kalender nichts.
Unfertiges ward in die Welt gewirkt,
Drum dauert sie. Doch große Männer wollen,
Daß alles fertig sei. Und hiemit wär'
Zu Ende meine Weisheit.
PETER
nach einer Pause.
Sag dem Weide:
Er soll den Becher in die Erde schütten! –
Mir fehlt ein Stück zu deinem großen Mann.
GORDON.
Und deine Diener bleiben heim?
PETER.
Mitnichten.
GORDON.
Es siegt der Almanach! Nun meinetwegen.
So sind denn also, die du ludst zur Veste,
Des Tages Mahl, und nicht des Tages Gäste!

Die Altrussen treten vor.
PETER.
Wer sind diese?
GORDON.
Die Alten. Schick sie fort!
[483]
PETER.
Ich bin zugänglich für jedermann.
GORDON.
Nur jetzt nicht! –

Zu den Russen.

Schickt euch selber fort!
PETER.
Warum hinderst du sie?
GORDON.
Ich will denn nur gleich gehn.
PETER.
Du kannst noch etwas verweilen.
GORDON.
Nun ist es entschieden.

Er tritt zurück.
PETER.
Wer seid ihr?
DANILOW.
Abgeordnete gesamter alt-russischer Städte. Eurer Majestät demütige und getreue Untertanen.
PETER
auf Aaron zeigend.
Wer ist der Greis?
AARON.
Aaron, der Archivar von Moskau.
PETER.
Was bringst du da getragen?
AARON.

Die Wahlurkunde Michaels Feodorowitsch Romanow [484] Jurjew, mit der Unterschrift aller gegenwärtig gewesenen Leute jeglichen Ranges und Standes. Geschrieben im Jahre 1613, im Monat Mai.

PETER.

Indem du redest, erinnre ich mich deines Gesichts. War ich nicht als Knabe einmal in deinem Briefgewölbe?

AARON.

So ist es. Ihr wart ein wißbegieriges Herrlein, ich mußte Euch manches Fach auftun. Als Ihr den bunten Einband und die glänzenden Siegelkapseln dieser Urkunde saht, klopftet Ihr in Eure Hände, und fragtet: »Was steht in dem schönen Buche?« Ich aber sagte: »Darin steht geschrieben, daß wir unserm Zaren treu und unterwürfig sein sollen im Leben und im Tode, daß wir ihn aufrecht erhalten sollen mit Leib und Gut gegen die Deutschen und Schweden, gegen die Polen und Littauer, und gegen alle innre Feinde und Ruhestörer. Es ist das Verbündnis zwischen ihm und uns.« Und Ihr legtet Eure kleinen Finger auf das Buch, saht mich mit blitzenden Augen an, und spracht: »Das hebe wohl auf, damit man diese Sache nicht vergesse.«

PETER.
Die einzelnen Umstände sind mir entfallen. Wie lebt ihr, Leute?
DANILOW.
Wir tun unsre Arbeit, ehren die Heiligen und zahlen die Steuern.
PETER.
Ich will eure Bitte vernehmen.
DANILOW.

Wir haben keine Bitte. Wir bitten um Nachlaß am Kopfgelde, um Frucht aus deinen Speichern in der Hungersnot, und wenn du zu uns sagst: »Löschet das Feuer auf euren Herden, [485] weichet aus euren Häusern, denn sie gefallen mir, und ich will sie haben«, so bitten wir: »Der Zar gönne seinen Knechten das Obdach, denn der Zar kann sich überall wärmen, aber seine Knechte besitzen nur die eine Stätte.« – Wir haben keine Bitte.


Zu Aaron.

Lies
AARON
liest aus der Urkunde.

»Und da der von Gott auserkorene Herrscher Michael Feodorowitsch, gehorsam seiner erhabenen Frau Mutter, das allgemeine Flehen nicht verachtet, sondern sich bereit erklärt hatte, die Herrscherwürde über die Reiche Wladimir und Moskau, und über das ganze große Rußland anzunehmen, so riefen die Bojaren und Edelleute, und die ganze zarische Wahlversammlung, wie auch die Beamten, Gäste und alle rechtgläubige Christen aus einem Munde: ›Wir küssen schwörend das lebendigmachende Kreuz und versprechen Gott und der heiligen Mutter Gottes, den himmlischen Kräften, den erhabenen Wundertätern Georg und Nikolaus, und allen Heiligen, daß wir unsre Seelen und Häupter weihen, und treu und wahrhaft dienen wollen dem von Gott geliebten Zaren und Großfürsten Michael Feodorowitsch und seinen Nachkommen, die Gott in Zukunft schenken sollte‹«.

DANILOW.
Und seinen Nachkommen, die Gott in Zukunft schenken sollte.
AARON
liest.

»Und alle Bojaren, Okolnitschen, Fürsten, Heerführer, Edelleute, jegliche Beamte, Gäste, Deputierte, die aus allen Ständen des ganzen großen russischen Reiches in Moskau zur Zaren-Wahl zusammengekommen waren, unterschrieben dieses, auf daß hinfüro alles dasjenige von Geschlecht zu Geschlecht unabänderlich gelte, was in dieser bestätigten Urkunde geschrieben steht.«

[486]
DANILOW.

Sie ist gehandhabt worden bis heute. Der Vater auf dem Throne zeugte den Herrscher, die Väter in den Hütten zeugten diesem die Diener. Wir sind der Romanows, aber die Romanows sind unser.

AARON.
Michael war der erste, Alexei der zweite, Feodor der dritte, du bist der vierte.
DANILOW.
Und Alexis ist der Fünfte.

Er verbeugt sich tief.

Der Zar vergebe! Der Zar lebe hoch!
ALLE.
Er lebe hoch!
PETER.
Ich habe mehr denn einen Sohn.
DANILOW.
Die Erstgeburt ist heilig. Da der Herr Ägypten schlagen wollte, schlug er es an dieser.
PETER.
Seid kurz. Was begehrt ihr?
DANILOW.

Daß der Zarewitsch habe unverschränkten Eingang und Ausgang, Ehre bei Tage, Ruhe bei Nacht, Ansehn für jetzt, Hoffnung für die Folge.

PETER.
Gehört er nicht mir?
DANILOW.

Wir pflegen zu sagen: »Die Zariza gebiert die Söhne dem [487] Lande. Er ist unser. Der Zar weigre ihn, wenn er dessen sich getraut.«


Er verneigt sich.

Der Zar vergebe! Der Zar lebe hoch!
ALLE.
Er lebe hoch!
PETER.
Ich habe ihn richten lassen von meinen Räten.
DANILOW.

Das Roß trägt den Reiter, der Pflug geht in des Pflügers Hand, der Knecht gewinnt Urteil vom Herrn, nicht der Herr vom Knechte.

PETER.

Ihr wagt es, Trotz auf der Stirne, Tücke im Herzen, zu mir zu treten? Ihr untersteht euch, meinen wohlerwogenen Beschluß zu schelten?

DANILOW.
Es ist aller Hoheit ein Ziel gesetzt worden.
PETER.
Habt ihr noch etwas zu sagen?
DANILOW.
Unsre Rede meide den Überfluß. Die Majestät erwäge solche in ihrem Herzen und wähle, was gut ist.
PETER.
Denkt in euren Weichbilden alles so?
DANILOW.
Wir stehn für Hunderttausende.
PETER.
Gordon!

[488] Gordon nähert sich ihm.

Laß Weiden nach der Festung sich verfügen.
GORDON.
Ich wußt' es ja.
PETER
zu den Russen.
Euch dank' ich für die Lehre,
Die aus des Lands Geschieht' ihr mir erteilt.
Stets fand ich mich, hatt' ich mich eingebüßt,
Im Angesicht des Feinds, des Heers, des Volks,
Das dringt und fordert! – Nach der Festung folgt.
Ich werd' euch, wenn ihr dort ihn noch verlangt,
Nicht länger euren Liebling vorenthalten.

Er geht. Die Russen folgen.
3. Szene
Dritte Szene
Zimmer in der Festung. Im Hintergründe ein Alkoven, den ein Vorhang von dem Zimmer trennt. Der Vorhang ist aufgezogen. Im Alkoven auf einem Ruhebette Alexis schlafend. Der Arzt und Oberst Schepelew im Zimmer.

SCHEPELEW.
Zehn Stunden schon! Ist dies sein Todesschlaf?
ARZT
tritt zu Alexis und legt die Hand auf dessen Brust.
Das Herz hält gleichen, abgemeßnen Schlag,
In Leib und Gliedern wohnt, gemäßigt, Warme.
Mein Mittel wirkt', er wird gesund erwachen.
[489]
SCHEPELEW.
Ich furcht' mich vor dem Augenblick. Das Elend,
So auf des Armen Scheitel sank gehäuft
Mit Überlast, wird sein entsetzlich Antlitz
Dem Unglücksel'gen zeigen. Alles traf ihn!
Auch jenes Mädchen legte Hand an sich,
Erschütternd klang die Meldung. – Lieber Doktor,
Ihr hättet ihn nicht heilen soll'n.
ARZT.
Das Fern're,
Wenn sich die dreiste Wirklichkeit herzudrängt,
Vermag ich nicht vorherzusehn. Fürs erste
Seid ohne Sorgen. – Dieser wird allein
Von seinem Siechtum wissen.
SCHEPELEW.
Von nichts andrem?
ARZT.
Des Menschen Brust faßt nur ein Maß von Leid,
Was drüber geht, zerstört ihn scheinbar. Krankheit
Benennt es unser Wahn; es ist die Hülfe.
Denn Einbildung schwingt sich aus den Ruinen,
Und löst den Druck in ferne Schatten auf,
Mit denen träumrisch spielt die freie Seele. –
Hier war der Qualen übervoller Kelch!
Was sonst der ganze schmerzbestimmte Kreis
Der Sterblichen verteilt zu tragen hat,
Entbehrung, Härte, Raub der süßen Liebe,
Schiffbruch des Zutrauns, Irrtum und Enttäuschung,
Furchtbarer Gegensätze Widerstreit
Hat man gelegt auf dieses einen Schulter.
Ihm werden's nicht'ge Fieberbilder sein.
SCHEPELEW.
Meint Ihr, daß ich dem Zar das melde?
[490]
ARZT.
Tut's!
SCHEPELEW.
Er ist schon auf dem Weg vom Schloß.
ARZT.
So eilt!

Schepelew ab.

Du zeigtest mir die Furie, die sich grinsend
An meinen würd'gen frommen Kreis heranschleicht!

Er nähert sich dem Alexis.

Da liegt der Leib, für welchen tausend Kräfte
Seit Ewigkeiten zueinander strebten!
Dann mußt' in sie versenken sich der Hauch,
Mächt'ger, denn jede Kraft. Da liegt der Leib,
Den ich erhielt mit tiefer Wissenschaft,
Schlafloser Nächte müherrungner Beute!
Ruchlose Menschen, wißt ihr, was ein Mensch ist?
Wagt einzureißen ihr, wo ihr nicht baun könnt?
ALEXIS
erwacht.
Fedor, mein Morgenkleid!
ARZT.
Er ist in Moskau.
Nun gib mir Stärke, mein Beruf!
ALEXIS.
Wo ist
Denn dieser Lässige?

Er erhebt sich und kommt in den Vordergrund.

Verhängt das Licht!
Ist's spät am Tag? Wo bin ich? War ich krank?
Wer seid Ihr?
ARZT.
Euer Arzt.
[491]
ALEXIS
nachsinnend.
So war ich krank.

Er setzt sich.

Die stille Mattigkeit! Und doch so frisch,
So neugeboren; liebliches Gefühl!

Er sieht sich um.

Ich kenne dieses Zimmer nicht.
ARZT.
Es liegt
Im fernsten Teil des Kremlins, abgesondert
Von jedem störenden Geräusche.
ALEXIS
in die Ferne schauend.
Dort
Wenn ja so viele Flaggen.
ARZT.
Fischerkähne,
Die auf der Moskwa hergeschwommen sind.

Er verhängt das Fenster.
ALEXIS.
Die großen Segel auf den kleinen Nachen? –
Auch wir entfalten hoher Zuversicht
Gewaltig-schwellende Segel allen Winden,
Das Boot, darin wir fahren, ist nur schmal. –
Ihr seid mein Arzt?

Der Arzt macht eine bejahende Bewegung.

Ihr habt ein gut Gesicht!
Kennt' ich Euch näher, fragt' ich Euch nach jemand.
ARZT.
Sie ist – verreist.
[492]
ALEXIS.
Verreist? Jetzt, da ich litt?
ARZT.
O zürnt der armen Abgereisten nicht!
Ich hoff' – Ihr seht sie wieder.
ALEXIS.
Sicherlich.
Wenn sie nicht kehrt, reis' ich ihr nach.
4. Szene
Vierte Szene
Schepelew. Die Vorigen.

SCHEPELEW.
Der Zar!
ALEXIS.
Ist er ins Reich zurück?
SCHEPELEW.
Hegt keine Furcht ...
Begütigt ist er ... Euch besuchen will er ...
ARZT.
Verändert hat sich mancherlei. Nur eins:
Eu'r größter Peiniger, Fürst Menzikof
Ist schon verhaftet worden.
ALEXIS.
Steht es so,
Werd' ich gefaßt den Herrn empfangen.

Er steht auf.
5. Szene
[493] Fünfte Szene
Zar Peter. Adam Weide folgt mit einem Pokale. Vorige. Bei dem Eintritte des Zaren will sich der Arzt entfernen.

PETER
zum Arzte.
Bleibt!
ARZT
entsetzt nach dem Pokale blickend.
Mein Amt ist aus! Ich übergeb' den Prinzen
Genesen den Händen Eurer Majestät!

Er geht schnell ab.
PETER
zu Weide.
Stell' diesen Kelch dorthin.

Weide stellt den Pokal auf einen Tisch und geht mit Schepelew ab.
6. Szene
Sechste Szene
Zar Peter. Alexis.

PETER
tritt zu Alexis.
Ihr wart sehr krank?
ALEXIS.
Ich glaube, ja! Der Arzt wird's Euch berichten.
Das Fieberbett vergeß' ich nicht, o Herr!
Wild spiegelte der Geist die ärgsten Fratzen
Den glühnden Sinnen vor. Die Mutter trieb
Mit falschen Freunden mich zu Freveln ... drauf
Den Vater schützt' ich gegen Mörder ... Er
[494] Stieß unter Schergen mich, beschuldigt alle
Der größten Bosheit ... Treu blieb ich der Mutter,
Und das verriet ein Mädchen, die mich liebte,
Und das bezeugte gegen mich der Vater ...
Dann folgte noch etwas ... Allein, wie bin ich?
Da steht mein Herr und mein Monarch! Vergebt,
Daß ich vor Euch von solchen Nichtigkeiten
Zu reden mich erdreiste.
PETER.
Nichtigkeiten! –
Ihr habt im weitsten Sinne recht. Wohl Euch,
Daß Ihr's im Fieber nur erfuhrt.
ALEXIS.
Ich bin
Gottlob jetzt hergestellt, und doppelt, hoff' ich.
Wenn ich nicht irre, haßt' ich sonst. O Torheit!
Der Haß ist Tod, ich aber lebe ja!
Ein Fremdes ward aus mir hinweggespült.
Mein unnatürlich Dasein, ich empfind' es,
Und geb' es auf.
PETER.
Das heißt verständig reden.
ALEXIS.
Nehmt meinen reinsten Dank für den Besuch.
PETER
außer Fassung.
Dank nicht! – Soll ich zu Boden stürzen? Soll'n
Gefoltert, meine Glieder knirschend schlottern? –

Sich mühsam bezwingend.

Ich bin in Worten karg. Mit einem Wort:
Du tust mir leid. Ich wollt', du wärst ein Kind,
Und jene traur'gen Jahre lägen vor uns!
In milder Pflege hätte deine Blüte
Sich wohl entfaltet! Dieses Ehrenzeugnis
[495] Gibt dir hiemit Gerechtigkeit. Die Macht
Des Unheils überwältigt mich; der Mensch
Bleibt, was er ist. Wenn einer zwanzig worden,
Kenn' ich den Mann. Kein Vorwurf, Wahrheit nur!
Ich kam nicht her, dir weh zu tun. Ich will
Was irgend billig ist, dir gern gewähren.
Sag deine Wünsche mir.
ALEXIS.
Erleucht' mich, Geist,
Daß ich Vernünft'ges bitt' in dieser Stunde! –
Drei Bitten aber hab' ich, großer Zar,
Die erste ist: Gib meine Freiheit mir!
Die Luft da draußen weht für jedermann,
Weshalb, unschuldig, atm' ich Kerkerdampf?
Die zweite ist: Zwing mich nicht, wie du pflegtest,
In deines neuen Wirkens schroffe Qual!
Ich will es anschaun, achtsam, emsiglich,
Und find' ich mir's gemäß, am selb'gen Tag
Fleh' ich zu dir: Gebrauch mich, wo du willst.
Die dritte ist: Gönn' offenen Verkehr
Mit jenen Alten mir, die feindlich dir!
Es war nicht gut, daß wir einander nur
Im Dunkel, im Verborgnen nahen durften,
Versagter Umgang steigt im Wert. Vielleicht
Lieh nur dein Zwang den Männern Tugenden,
Drum gönne Umgang mir am Tageslicht!
Mein fürstlich Ehrenwort verpfänd' ich dir,
Nichts Böses sinnen sie, das du nicht hörst.
Find' ich sie unverständig, dumpf und roh,
Will ich nicht ruhn, bis ich zu dir sie wandte;
Den Mittler laß mich sein von dir zu ihnen.
Ein Gut sonach in drei Gestalten: Freiheit!
Gib dreifach mir das eine, mein Monarch.
PETER.
Habt Ihr nicht sonst etwas zu bitten?
[496]
ALEXIS.
Nein.
PETER.
Bedenkt Euch drauf.
ALEXIS.
Ich hab 'nichts mehr zu bitten.
Trotz Eurem Zweifel aber hoff' ich! Ja:
Ich werde würdig zählen in der Reihe
Erlauchter Romanows, die du verklärst.
PETER.
Man soll an nichts verzagen. Hoffe nur!
Die Bitten, die du tatst, gewähr' ich dir,
Frei wirst du heute noch von meiner Haft,
Nicht zwing ich ferner dich zu meinem Werk,
Und deine Freunde lud ich selbst zu dir.

Er deutet auf den Pokal.

Jetzt trink!
ALEXIS.
Was soll ich trinken?
PETER.
Diesen Trank!
ALEXIS.
Ich bin geheilt, mein güt'ger Herr.
PETER.
Der Kranke
Wähnt's oft zu früh. Du zaudre nicht! Von Grund aus
Das alte Übel wegzutilgen, trink!
ALEXIS
tritt zum Pokal.
Bleich seht Ihr aus, und Eure Knie wanken.
Ist dies ein Stärkungstrank, so scheint er Euch
Mehr nütz, als mir.

Er hebt den Deckel ab.

[497] O laßt uns frohen Brauch
Ehrwürd'ger Väter üben! Jeder Bund
Der Lieb' und Freundschaft ward im Kelch besiegelt.
Auch wir errichteten den Bund. Ich bitt' Euch,
Geruht, mir diesen Becher zuzutrinken.
PETER.
Sei du versichert, daß, wenn ich dem Trieb,
Der Sehnsucht, meinem Durste folgen dürfte,
Ich nicht die Neige dir des Trankes ließe!
Halb aber hilft er nicht; so sei denn dir
Der ganze Kelch gegönnt.

Alexis trinkt. Peter hält sich an einer Säule.
ALEXIS.
Ihr schwankt!
PETER.
Wie schmeckt' es?
ALEXIS.
Ich hab' mich zu sehr angestrengt. Ich bin
Noch schwächer, als ich dachte. Müdigkeit
Rinnt süß durch mein Gebein; es liegt
Wie Flor um alle Nerven. 'S ist so eigen ...
So muß dem Sterbenden zumute sein;
Ach, Herr, ich freu' mich, daß ich auferstand!
Darf ich wohl morgen in die Kirche fahren?
PETER.
Sollst morgen abend in die Kirche fahren! –
Leg' dich zur Ruh! Richt' dein Gemüt auf Hohes,
Mit edlem Stoff erfülle ganz die Seele,
So schlummre ein!

Er reicht ihm die Hand.

Ich bringe dich zur Rast.

Er führt ihn in den Alkoven.
Der Vorhang fällt hinter ihnen zu.
7. Szene
[498] Letzte Szene
Jaguschinsky. Schaphirow. Ostermann. Theophanes. Tolstoi. Generale und Senatoren. Später: Danilow. Aaron. Die Städte-Deputierten. Zar Peter kommt aus dem Alkoven zurück.

JAGUSCHINSKY.
Hier sind wir, ahnend der Berufung Grund.
Wir kennen dich, du lern' erkennen uns!
Zu großen Dingen wurden wir verwandt,
Wir haben teil an ihnen. Tu, was dir
Mit uns beliebt, doch die Geschichte nennt
Bei Petern seine Helfer, unsre Namen
Erschlägst du nicht. So mein' ich's.
DIE ÜBRIGEN.
Wir, wie er!
PETER.
Des Menzikof Verhängnis macht euch bang.
Die Schranken des Alexis bleiben stehn,
Wen ich davor will stellen, wartet ab! –
Ich fahr' gen Schweden mit der Schärenflotte;
Dies Schweden ist die spröde Braut, und ich
War ein zu kühler Werber. Jetzo werd' ich
In feur'ger Weise um das Jawort frein;
Mit glühnden Kugeln such' ich ihr Stockholm. –
In solcher Dringlichkeit, bei unsern Jahren,
Tut's not, die Reichsnachfolge anzuordnen.

Danilow, Aaron, die Städte-Deputierten treten ein.

Tolstoi, entwerft ein Manifest des Inhalts:
Unbeugsam-starrer Anspruch zeugt Hartnäckigkeit,
Darum vernicht' ich dumpfer Vorwelt Schluß!
Die Herrscher Rußlands setzen künftighin
Nach eigenem Ermessen sich den Erben,
Wie jeder Hauswirt dessen hat die Macht,
Den meinigen erwählt' ich, nenn' ihn bald.
[499]
DANILOW.
Alexis ist der fünfte!
PETER.
Ihr da, werft
Eu'r totes Sehnen einem Toten nach!
Mein Stern ist der lebend'ge, den verehrt.
Von einem hohen, reinen Spruch getroffen ...

Die Stimme versagt ihm. Nach einer Pause.

Uns sparend traurige Notwendigkeit ...

Er winkt. Der Vorhang des Alkovens wird aufgezogen. Die Leiche des Alexis liegt auf dem Ruhebette.

Am Schlagfluß ist der Zarewitsch gestorben!

Die Alt-Russen eilen zur Leiche und werfen sich im tiefsten Schmerze am Ruhebette nieder. Die
russischen Großen sehn mit Erstaunen dorthin. Peter steht unbeweglich in der Mitte.

[500] Eudoxia
Ein Epilog

[501]

Personen

Personen.

    • Eudoxia (erblindet).

    • Peter der Große.

    • Katharina.

    • Gordon.

    • Mons de la Croix.

    • Jaguschinsky.

    • Ostermann.

    • Menzikof.

    • Theophanes.

    • Ein Späher.

    • Das Volk.
    • [502]

[Stücktext]

Öde Heide

Eudoxia. Ein Junges Mädchen. Das Volk.

VOLK.
Nicht die Wolke zog im Regenrot herauf,
Abendgang, o heil'ge Mutter wallest du;
Nicht der Nebel fliegt um weißen Kieselberg,
Graue Lock' umfliegt erbleichtes Gramgesicht;
Nicht der Erdspalt lechzet, den die Quelle ließ,
Tränenblinder Augen Höhlung dürstet, grau. –
Schaunde dennoch! Thronberaubte Herrscherin,
Welche, grüßend aufgetan empfing das Reich
Klarer, zukunftschwangrer, sterndurchblitzter Nacht!
Pflogest einsam deines Tages still Gespräch
Mit dem Wehn des Forstes, mit des Winds Gebraus;
Schrittest Rückweg durch die Heide ginstergelb
Nach dem birkenschatt'gen Newsky-Trümmerbau,
Drin du hausest, angeredet aus der Fern'
Von des murmelnden Ladoga Wogenschlag.
Liebevoll verlegt den Pfad, geweihte Frau,
Deine Füße küssend, dir das Gottesvolk,
Auf der Fläche scheugedrängt, dem Wilde gleich,
Wenn der Weidmann lauert mit dem Todesrohr.
Denn der Zar ist groß, und tausend Augen hat,
Wer der Späher reichbelohnte Koppel nährt!
EUDOXIA.
Was begehrt das Volk?
VOLK.
Erinnrung, Hoffen, Trost!
EUDOXIA.
Habt ihr Hoffnung, Trost, Erinnern eingebüßt?
[503]
VOLK.
Auf der Erde trat er Spur des Gestern aus,
Aus den Lüften luft'ges Morgen scheucht' er weg,
Ließ erbangten Herzen trostlos kahles Heut.
EUDOXIA.
Nicht der Hoffnung, nicht des Trostes Priesterin
Ist, die weiland ward genannt Eudoxia.
Doch Erinnrung, wer vertilgt sie?
VOLK.
Wo ihr Feld?
EUDOXIA.
In der Brust des Drängers! Furchen zieht sie dort,
Zehrt von seiner Seufzer schwerem Hauche, trinkt
Glühndes Leben aus den Zähren, die er weint.
VOLK.
Näh're gib uns, Mutter, näh're Zuversicht!
EUDOXIA.
Seht den Falken ihr?
VOLK.
Auf hoher Eiche Zweig,
Schwarz, verdorrt sich streckend in den Abendstrahl,
Sitzt ein braungesäumter schlanker Edelfalk,
Der zerfleischt den schwarzen Raben, seinen Fang;
Blut, vom Schnabel rinnt es, von den Klauen scharf,
Und die Federn stäuben von dem Baum herab.
EUDOXIA.
Lest die Federn auf, und zählt sie! Diese Zahl
Rollet; dreimal roll 'n der Jahre neun hinzu.
Dann wird sitzen wieder in dem goldnen Tor
Vielbetürmten Kremls der Moskowitsche Zar!
Knäs, Bojar in Reihermütz' und Zobelpelz
Sehn ihn von der Seite kühnlich blickend an,
[504] Und vergessen hat der Bürger, Handelsgast,
Flur, die jenseits schwarzer Donau Strand sich streckt.
VOLK.
Unsrer Enkel Enkel Enkelkinder Glück!
EUDOXIA.
Schaun die Lose kann ich, darf ich legen sie?
Gebend Wahrheit, spendet' ich mein Alles aus.
Linderung verlangt ihr; die versag' ich streng:
Bald zerbreche der Verrenkung Mißgestalt;
Lange länderüberlastend drückt der Alp.
Kennt ihr nach der eignen Freude, beßre Lust,
Als den Feind hinabgeschleudert sehn in Gram?
Schmerzen-Mitgenossenschaft verkünd' ich euch:
Eh' die Mitternacht ihr leises Wiegenlied
Singt im Geisterton dem neugebornen Tag,
Seid ihr Leidensbrüder worden, ihr und er.
VOLK.
Ist sein Heil zu Ende?
EUDOXIA.
Ganz unzögerlich.
Denn wie hoch emporgerückt ihn Himmels Schluß,
So ihn tief hinabzudrücken hob bereits
Sich der Arm der ewigen Notwendigkeit.
Seine Kebse ließ in Moskau krönen er!
Auf der dienstschweißeingenetzten Stirn der Magd
Ward entweiht Kiews uralte Fürstenzier.
Dies ist seine letzte Handlung. Nahe wallt
Auf der Staub der Kehrenden von Olegs Stadt!
Bald in diesem Sande steht der Zar, das Weib
Und der Knechte Schwarm. Der Heide Boden sieht
Ihn zuletzt als Menschen; grad von hier beginnt
Unaufhaltsam schauderhaft beeilter Fall!
Daß des Lebens Glänze sich vergleichet nur
Solches Sterbens äußerste Verfinsterung.
[505] Kehre Volk! In deiner Hütt' erwart' den Tag!

Zu ihrem Mädchen.

Führe mich nach Haus! Geschäfte bringt die Nacht.

Sie geht, von dem Mädchen geleitet. Das Volk folgt.
EIN SPÄHER
tritt auf.
Arm bleibt die Pflicht, begünstigt nicht Gelegenheit
Des Tät'gen Fleiß; verschwenderisch sah Goldes Gunst
Zuroll'n ich oft der läß'gen Faust des Schlafenden,
Indes ich, nimmer rastend, viel' der Jahr' im Joch
Verwandte schlechtbelohnter Augen Spürerkraft.
Ins Blaue dreist geworfen trifft des Toren Stein,
Es schießt Erfahrung zielend fehl, gebar den Mann
Der böse Tag! Doch heut gelang Aufmerkers Müh';
Ablauscht' ich, was, schnell angebracht, ein groß Verdienst
Mir in des Herrschers leichterzürnter Seele zeugt.
Gestampf der Roß' und Stimmenlaut! Sie sinds, sie nahn!

Er tritt zur Seite.
Peter der Große. Katharina. Gordon. Mons de la Croix. Gefolge.
PETER.
Ermüdet hat mich unser Ritt; gefällt es dir,
So gehn wir eine Strecke.

Zum Gefolge.

Nur des Wegs voran!
Und harrt am Wald, der Petersburgs Weichbild begrenzt.

Das Gefolge ab.
KATHARINA
sich umschauend.
Aus dürrem Erdreich keimt empor die Distel hier,
[506] Unheimlich schwingend blaß-gefärbter Dolden Haupt;
Der Ort ist öde, Siedler sind wohl Fuchs und Wolf.
Da hinten steigen schwere Dämpfe, lagern sich,
Die niedre Sphäre deckend zu des Horizonts.
Wo sind wir? Grell im gelben Licht scheint alt Gemäu'r
Zerborsten, fahl, ruinenhaft von jener Höh'.
GORDON.
Die Trümmer auf dem Birkenhügel, Zarin, sind
Was übrig ist verblieben von dem Ehrenschloß
Des Helden Alexander, (Newsky zubenannt,)
Dem steten Denkmal seines Sieges, nah dem Strom.
Aufsteigen siehst du Dämpfe des Ladogasees,
Der vielen russischen Heiden eine liegt vor uns.
KATHARINA.
Urbargemachtes preise, wem der Boden fehlt!
Die Steppe zeigt der Landesfülle Überfluß.
Daß unsre Seen dampfen, nenn' ich Schicklichkeit,
Weihrauch aus solchen Schalen nur geziemt dem Zar.
Zertrümmert' Alexanders newanaher Bau,
Bau'n wir ein Denkmal, weiter nach Finnlands Gesümpf!
PETER.
Für heut indessen schlafen wir in Petersburg. –
Gordon, ich seh' den Haufen dichtgereiht am Weg,
Von jedem Alter, Kinder, Knaben, Weib und Mann.
Es scheint, die Heimkehr ward dem Volke kund; sie woll'n
Mir lärmenden Geschreies Willkommgrüße weihn.
Bedeut die Menschen! Ferne mir den lauten Kreis!
Die Jugend ist vorüber, wo das Herz erschwoll,
Wenn jauchzend sich auf meinen Pfad die Menge goß,
Wie um den Pfleger munter tanzt der Bienen Stock.
Für sie zu leben, sterben, heischt mein Königseid,
Doch ihren Dank kann ich entbehren.
DER SPÄHER
vortretend.
Sende nicht,
[507] Entsende nicht den Boten, groß dich täuschend, Herr,
Zum bösen Pöbel, seelenlos gleich trägem Kot.
Entgegen hält er deiner Liebe heil'gem Pfeil
Den Schild, den siebenhäut'gen. Unter dem bespricht
Er seine Feindschaft. Gruß zu meiden, wallen sie
Abwärts hinweg vor deinem Mahn. Eudoxia,
Die stets bereite Zeugerin des Übels sprach,
Sie aber sogen gierig ein der Rede Gift.
Dies zeigt ein guter Untertan pflichtschuldig an.
PETER.
Was sagte jene?
SPÄHER.
Greuliches Verderben rief
Sie schäumend aus; des Herrschers und der Seinen Sturz.
PETER.
Vernahm das Volk sie gläubig?
SPÄHER.
Leid der Hohen trifft
Ein offnes Ohr der Niedern.
PETER.
Spricht sie öfters so?
SPÄHER.
Wo Deiner Hasser etliche zusammenstehn.
KATHARINA.
Wohnt dieser Wahnwitz hier im Frei'n bei Gras und Laub?
SPÄHER.
In jenem alten weißbemoosten Trümmerbau
Dort ist ihr Horst, seitdem sie schlechtvergoltne Gunst
Des Herrn entließ aus Schlüsselburgs gestrenger Haft.
[508]
KATHARINA.
Und geht das Raubtier täglich vor aus seiner Kluft?
SPÄHER.
So lang der Tag dau'rt, ruht sie stumm in jenem Schutt,
Unnahbar, Eule bei den Eulen, Staub im Staub,
Zerstörte mit Zerstörtem, Blind' in Dunkelheit.
Doch wenn des Abends feuchter Duft Nachtvögel weckt,
Verläßt auch sie gedehnten Schritts die öde Burg,
Und diese Heid' ummessend sacht, langsamen Gangs,
Wie kettenziehnd der Kund'ge mißt Landeigentum,
So markt sie murmelnd ihres Zorns Grundstück sich ab.
Querdurch dann schneidend die Gelände, steht sie lang
Gereckten Arms, bildsäulenstarr, o Königspaar
Auf deinem Platz, wo ihres Ackers Mittelpunkt.
Da streut sie bittern Fluches Unglücksamen aus,
Drauf kehrt erleichterten Mutes sie zum nächt'gen Schloß,
Und morgen wiederholet sich, was heut geschah.
KATHARINA.
Was regte dieses Greuels Wut so heftig auf?
Späher Ihr streng Geschick, bereitet durch Gerechtigkeit.
KATHARINA.
Prophetensprüch' enthallen ihrem Mund?
SPÄHER.
Vergib
Des Aberwitzes fälschliches Bezeichnen mir!
PETER.
Genug; im Palast künde deinen Namen. Geh!

Der Späher ab.

Drei Rosse laß, Gordon, sofort vorführen.

Gordon ab.
[509]
KATHARINA.
Mons!

Mons tritt zu ihr.

Verfüge dich zur wüsten Trümmer-Klausnerin!
Sag, wer dich sende, sprich sodann: Von ihrer Kunst
Sei viel des Rühmens mir gemacht. Die ganze Zeit
Wohl durchzuforschen, habe sie auch Zeit genug.
Des Hortes Scherflein nur begehr' ich; nur des Tags,
Nur meines morgenden nächsten Tags Ereignisse.
Gold leg' in der Klikusche Hand! Denn nicht umsonst,
Nein, von den Kunden bar bezahlt, spricht das Gewerb.
Für einer Zarin hohe Stellung ungeschickt,
Mag diesem Handwerk besser eignen ihr Verstand.

Mons de la Croix ab.
Peter. Katharina.
PETER.
Warum der schon Gebeugten noch des Hohnes Schlag?
KATHARINA.
Von jedem, was darbringt das Land an Früchten, fall'n
Dem Herrn, der Herrin Zinsen. Feld und Herde zinst,
Bergwerke, Jagden, Handels Vorteil, Reederei:
Zinsbar ist alles der alles schützenden Gewalt.
Und ich enthöbe diesem Boden nicht das Recht?
Er trägt, vernahmst du, seltne Saat der Weissagung.
Befreiungen sind unerlaubt; ich zehnt' ihn ab
In dem, was außer Disteln hier allein gedeiht.
PETER.
An dem Verfalltag gehen erst, Katharina, Zins
Und Zehnten ein!
KATHARINA.
Mir stände dieser Tag noch aus?
Ernstfragend ruht dein Blick auf mir, doch ich vermag
[510] Antwort zu geben. In der Öde wildem Graun, –
Und nahe krächzt der Hasserin giftsprühnder Mund –
Hier wag' ich's dir zu sagen: ja, ich fühle mich
Nun ebenbürtig, Gleiche Gleichem zugesellt!
Denn hin nach Moskau führtest du die Zitternde,
Die Unerschrockne, Tapfre hast du heimgebracht.
Der Traum gerann zu goldgediegner Wirklichkeit,
Ich wurde heilig, unverletzlich! Selber du
Hast deine Macht an mir verloren. Diese Stirn
Umschloß der Reifen, der ewiglich-beschirmende,
Den Kaisertöchter aus Byzanz fruchtlos gewünscht!
Von beiden Schultern rauschend wogte Purpursamt,
Salböl empfing ich auf der angstgenes 'nen Brust,
Dem Strom des Wandelbaren weiß ich mich enttaucht!
PETER.
Du seiest schon Regentin, nicht, das meinest du?
KATHARINA.
Die Untertanin, mein' ich, ward niemals gekrönt.
PETER.
Metall ist Zeichen, ich vergabt' es, halt' es fest!
Hand nimmt, was Hand gegeben hat, wohl nur geliehn.
Die Frau, die mir zur Seite sitzet, muß doch auch
Des Platzes wert gezieret sein. Verstehst du mich?
Aus Güte Schwachheit folgern ist der Toren Schluß.
Ich will dich nicht erschrecken! Hoffnung bleibe dir.
Mag sein, der Vorsatz, schattengleich in mir gekeimt,
Da meines armen Sohnes böse Stunde schlug,
Wächst, reift zum Licht! Für jetzt indessen, fasse dies:
Ist deiner Moskau-Krone dich berauschend Erz
Zierat und Schmuck; und wird sie jemals mehr, sie wird's
Nur für die mäß'ge, stillgeduld'ge Wärterin.
Denn, meine Gute, ird'scher Ding' Ausbruch und Kern
[511] Erwirbt der Mensch tiefschweigend nur. Stumm reißt der Heu'r
Vom Ort den Demant; heimlich klopft von tiefer Bank
Die Perl' der Fischer. Kommt man leergeschwätzig wohl,
Auf breitem Heerweg, schlenderhaft, ins Schatzgewölb,
Zum Schrein der Reichskleinodien? Weise grub den Gang
Der sinngewalt'ge Meister in Verborgenheit.
Leis taste durch das Dunkel dich! Bescheiden poch'!
Dem Ernste tut der ernste Hüter auf die Tür.

Mons de la Croix tritt auf, verstört.
KATHARINA.
Zurück? – Wir wurden eben streng vom Zar belehrt,
Wir sei 'n das große flitterputzbehängte Kind.
Sonach gebeut er selber uns die Albernheit!
Mons, deine Schicksalskunde! Sprich! Wie bildeten
Sich meines Tags Gestalten ab im Tassensatz?
MONS.
Erforsche nicht, was ich gehört! Das Siegel laß
Auf meinem Mund!
KATHARINA.
Verderben war's, was sie gesagt?
Du zahltest wohl der Gierigen zu kleinen Preis?
MONS.
Furchtbaren Preis bezahlest du! Er wird dich mehr
Als eine Träne kosten!
KATHARINA.
So erschrecklich klang's?
[512] Die Tapferkeit, wenn Männer beben, flieht zur Frau.
Mein großes Leid erfahren will ich alsobald!
PETER.
Das ist des frevelhaften Spiels Bezauberung.
Mit Unvernünftigem zu scherzen wähnt der Mensch,
Geringe scheint's. Doch angerufen kaum, beherrscht
Dich schon der Dämon, welchem wir die Augen soll'n
Durchaus verschließen, oder zum gerechten Kampf
Bereit, entgegen in der Tugend Mute stehn.
Zuckt nicht die Lippe heiß und rot, sehnsüchtig dir?
Fliegt nicht die Brust, vom Wunsch emporgestürmt? Es ward
Etwas getrieben, welches ich verböte, war's
Zu hindern noch. Jetzt werde dieses Hirngespinst
Sofort hinausgeschüttet in die heil'ge Luft,
Die alle Dünste lösend tilgt! – Was trug sich zu?
MONS.
Aufriegelst du die armen Lippen mächtiglich,
Die gern verschlossen blieben, weil beizeiten doch
Sie ein sich üben müssen, immer so zu sein!
Ich könnte, raunt ein Ahnen deutlich-flüsternd zu,
Unsel'gen Ausgang wenden vom lebend'gen Haupt,
Wagt' ich, der erste, Widerstand; verbliebe stumm,
Und sprengte, mit verhängtem Zügel jagend, fort
Von der graunbeladnen Heide! Rastlos, bis das Roß
Am fernen Grenzstein unter mir zusammenbräch'.
Dort läg' ich matt, gerettet; litte, lebte doch.
Allein zur Feigheit nicht erzog mich hohes Glück;
Zu handeln, wie sie mögen, ist der Kön'ge Macht,
Des Dieners Ehr' ist duldende Gelassenheit
Und adlich-festes Schweigen.
KATHARINA.
Eines Dieners Pflicht
Ist, seinen Dienst ausüben. Den versäumest du.
[513] Nach deinem Tranke lechz' ich, Mons! Reich mir den Trank!
PETER.
Welch' Los ersann der Kranken nächstem Tag die Frau?
MONS.
Viel Glück! Erfüllung innerlichst genährtem Wunsch:
»Sie sei zu morgen ausgerufne Kaiserin.«
KATHARINA.
Und das war unheilvolle Kunde dir, o Mons?
Mons Ich meldete, was dich betrifft.
PETER.
Und mich zugleich.
Sie prophezeite mir den Tod. Weshalb die Furcht?
MONS.
Vom Tode war die Rede. Zu der Furcht ist Grund.
PETER.
Bestraft' ich jemals eines Dritten Fehl an dir?
KATHARINA.
Erhole dich, du Weichlicher!
MONS.
Hinweg! Wer gibt
Mir meiner Unschuld süßen Jugendhauch zurück?
PETER.
Was sagt er?
KATHARINA.
Unverständliches.
[514]
PETER.
Das gebe Gott!
KATHARINA.
Wie Herr?
PETER.
Daß dieses Knaben Schreck und Seufzerlaut
Dir unverständlich seien!
KATHARINA.
Lachen muß ich nur!
Ist Kahleres wohl auszusinnen? Wer behend
Wahrsagen will, erfinde doch Wahrscheinliches.
Vor meiner gründlich-eingeschärften Nichtigkeit
Stehst du gesund, kraftstrotzend ...
PETER.
Ach!
KATHARINA.
Hast du geseufzt?
PETER.
Ich seufzte nicht.
KATHARINA.
Es kam mir vor, als seufztest du,
Da deiner kräftigen Gesundheit ich erwähnt.
PETER.
Du irrst.
GORDON
zurückkommend.
Die Rosse stehen an des Waldes Rand.
PETER
zu Katharinen.
So reise denn nach Petersburg; erwart mich nicht
Heut abend, ich hab' außerhalb Geschäfte noch.
[515]
KATHARINA.
Ich scheid' in Demut. Tiefgesenkten Nackens fleht
Zurechtgewies'ner Übermut: Vergiß ihn, Herr!
Den breiten Heerweg, unersprießlich, wie du sagst,
Meid' ich hinfort. Den angerühmten dunkeln Gang
Soll emsig suchen meine schwache Fähigkeit.

Zu Mons.

Du aber ruf' in dir beherzt dein Leben wach!
Als Führer, als Begleiter wardst du angestellt.
Hoch über schmaler Brücken Steg, Abgründen dicht
Vorüber windet sich der Pfad, nachteingehüllt.
Auf wessen Arm die Fürstin dort sich lehnen muß,
Der stehe fest! Den Schwindel bann er weit hinweg!

Katharina und Mons ab.
Peter und Gordon.
PETER.
Verkehrte Sterne lenken meinen Fuß und Arm,
Gewaltsamkeiten auszuüben gegen Sinn
Und eigne Neigung, schlechterfreut von herbem Zwang.
Eudoxiens dacht' ich sonder Regung. »Abgetan
Ist diese mindestens!« sprach ich froh. Doch weit gefehlt,
Sie drängt heran sich, nötigend.
GORDON.
Weshalb verblieb
Unschädlich nicht die Heftige zu Schlüsselburg?
PETER.
Auftritte wurden mir berichtet, schlimmster Art,
Gehemmter in sich abgesperrter Tobewut
Verzuckungen. Das Mitgefühl erweichte mich,
Das kränklich, hoch von Kränklichen gepriesen, wirkt,
Daß keines Lebens reine Vollgestalt erblüh'.
Selbst leidend, dacht' ich ihrer Leiden, ordnete:
[516] Entlassen dürfe wandern sie, gemäß dem Wunsch.
Nun dankt sie mir mit Flüchen, pflanzt den Gärekeim
Den Seelen vieler Menschen ein. Sie wagt sich frech
Selbst an die Gattin, dreistversuchend. – Volksbeschrein,
Und schlaffe Zügel, erfreulich Willkürdürstenden! –
Schlau mischt sie unsrer alten Zwietracht Stoffe, rührt
Im Hexentopfe durcheinander ihr Gebräu.
Ich fürchte, Gordon, nachgeboren aus dem Blut
Der toten Feinde, zieht bereits ein frisches Heer
Gerüstet auf zum Streite! Marsch und Kampfsignal
Erklinget aus der Seherin Drommetenton!
Ihr Schmettern hemm' ich.
GORDON.
Stirbt sie, Herr?
PETER.
Ich hoffe: Nein.
Dem Licht jedoch, dem zeig' ich sie, dem Tageslicht.
An meinen Tag gebietend zwing' den Drachen ich!
Einöden sind es, die das Einhorn auferziehn,
Den Greif, das Pferd mit Flügeln! Jeder Geist, beglänzt
Vom Sonnenscheine, wirft den Schatten. Angeschaut
In nüchterner Gesellen Kreise, schrumpft Alraun
Zur Wurzel ein; Lindwürmer werden Schlängelchen.
In Petersburg ist viel Geräusch der Tätigkeit,
Das überhallt wohl müßiges Prophetenwort,
Da rechnet, zählet, mißt man. Bald ergründet ist
Von meinen Mathematikern auch das Problem.
Und weil die Straßen breitgebaut und grade sind,
Gebricht der Winkel, der des Rufes Echo weckt.
GORDON.
Du willst nach Petersburg sie führen?
[517]
PETER.
Allerdings.
Deshalb bestellt' ich Rosse. Nun, mein treuer Mann,
Gebrauch' ich deiner Hülfe. Geh, eröffne du
Ihr meines Willens unabänderlichen Schluß.
Nichts sinn' ich ihr mit rechtem Grunde Kränkendes;
Das Haus laß' ich ihr rüsten dort, bequem und still
Entlegen, daß die Neubegier sie nicht verletzt.
Aufsicht verordn' ich, sanfte, ziemliche; Gewalt
Sei ferne, wenn bescheiden sie zu leben weiß.
Dies gib, in strenggemeßner Weise redend, kund,
Befehlend, wie dem Boten deines Herrschers ziemt,
Vor Härte brauch' ich nicht zu warnen, dich, den Greis.
Hier will ich deiner, ihrer harren; bring sie schnell.
GORDON.
Laß ungestört die Leidige.
PETER.
Wie gern geschäh's!
Und möchte nur die Eumenid' im düstern Hain
Für sich erheben jeden schärfsten Fluchgesang!
Denn ihren Segen wahrlich hab' ich nicht verdient.
Sie aber strebt in mein Gebiet. Mit Taumeltrank
Erregt sie frische Kräfte jenem Ungetüm:
Dem dummen, dumpfen, träggewalt'gen Widerstand.
Und weil auf Erden ihre Schlacht verloren ging,
Bewaffnete die Hölle sie. Leichtsinnig säh'
Ich solchem Treiben, duldend zu? Ich warf der Pest
Des eignen Sohnes Leiche hemmend in den Weg,
Und nun ließ' ich sie rasen?
GORDON.
Jüngst erzählte mir
Der Fremde, der das Land besucht, die Wundermär.
Ein Ritter, stolz und tapfer ohnegleichen, stritt
Mit einem zauberkund'gen Feinde, der sich bald
[518] Zum Bären wandelte, Löwe dann, drauf Tiger ward.
Den Bären, Löwen, Tiger schlug des Ritters Schwert.
Als unbedeutend-kleines Mäuschen schlüpft zuletzt
Ermattet schon, der Gegner in der Höhle Spalt,
Klaglaut erhebend, angstgequält. Der Ritter dringt
Nach in die Zuflucht, seines Feindes äußerste.
PETER.
Du bleibst den Schluß mir schuldig.
GORDON.
Schenk ihm Glauben, Herr!
Am andern Morgen fanden sie den Sieger tot,
Zwar unverwundet, doch entstellten Angesichts,
Die edlen Züge ganz verzerrt vom letzten Schreck.
PETER.
Was tötete den Ritter?
GORDON.
Das erfuhr man nicht.
Er hat vermutlich Grauseres, als Bär und Löw'
Und Tiger in des Flüchtigen Versteck gesehn.
PETER.
Phantome trägt der warme Schoß des Märchens aus!
Ich bin der späten Zeiten kalter Paladin.
GORDON.
Schick mich in des Phantomes Höhle nicht zur Nacht!
PETER.
Das Fieber hätt' ich nimmermehr in dir gesucht.
GORDON.
Ja, ich begreif es, sonderbar erschein ich dir.
[519]
PETER.
So schwärmt in einem Punkte selbst der Tüchtigste.
GORDON.
Wie fest umstrickt uns frühster Jahr' Erinnerung.
PETER.
Mit Worten spüle diesen Kindertraum hinweg.
GORDON.
Den Kindertraum! – Schottland erzeugt in jedem Clan ...
PETER.
Propheten? Wohlfeil ist sonach Weisheit bei Euch.
GORDON.
Die Menschen, die behaftet sind mit second sight.
PETER.
Dem angebornen Übel! Sie war frei davon.
GORDON.
Auch Jammer treibt die Seelen aus des Fleisches Eng'.
PETER.
Fünf Sinne fassen, was hienieden faßlich ist.
GORDON.
Unermeßlich furchtbar wächst die Kraft Verzweifelnder!
PETER.
Und welche Tiefen schauet der Erhöhten Schwung?
GORDON.
Der Welt betünchte Risse.
PETER.
Was erblicken wir?
[520]
GORDON.
Firnis des Hoffens, Wünschens, eitler Täuschungen.
PETER.
So schreit in jener Klause du sorglosen Muts!
Denn ich bin ohne Wunsch und Hoffnung, längst enttäuscht.
Mithin der Wahrheit weiß ich wohl so viel, als sie.
Wenn unsichtbar-geheime Hände stellten, Freund,
Die Zeiger unsres Zifferblatts, so wäre meins
Der Ehre wert gewesen! Aber nie erfuhr
Ich andres als Gemeines, Leichtbegreifliches.
Sonst galt dir meine Rede was. Vernimm: Dies ist
Nur Lug, so wahr du deines Vaters Namen trägst.
GORDON.
Ich bin ein Waisenfindelkind, ich kenn' ihn nicht.
PETER.
Es braucht ja auch ein klarer Satz Beteuerns nicht.
Dich überzeugen könnt' ich gleich. Eudoxia
Weissagte jetzo, kurz zuvor, was nicht geschieht,
Weil grade damals, grad' im selb'gen Augenblick
In tiefster Brust ich dessen Gegenteil verfügt.
GORDON.
Gehorche dir Verfügendem die Zeit, wie ich!

Gordon ab.
Es ist Nacht geworden.
PETER
allein.
Herzklopfend schreitet er von hinnen. Glücklicher,
Dem diese bangen Schläge noch der Dinge Puls
Trostreich verbürgen! Bebend jetzt, beruhigt dann,
Mit neuer Lieb' umklammert dein Gemüt die Welt.
Verstehst du mich? Verstehst du den, Frohmütiger,
Des Seele nachtfroststarrer Eisesspiegel ward?
[521] Denn der Erwartung Mut verlor ich! Ungestalt,
Schwer, massenhaft, wie grauer Vorwelt Urgebirg,
Bedeckt Erfüllung meines Geistes dunkeln Grund.
Und, Sterne, unter eurem reichen Lichte sitzt

Er setzt sich auf einen Stein.

Der weiten Länderstrecken allerärmster Mann!
Ich tat das Unnatürliche, des Lebens Schein
Der Mißgeburt zu geben. Mich bedünkt, es sei
Der Ruhm, die Größe, wie die Macht zu Land und Meer,
Als deren Schöpfer mich der Menschen Zunge nennt,
Auch durch Mechanik zu erhalten, Druck und Stoß,
Durch Wasser, Feu'r. Und solches hab' ich eingetauscht
Für das, wornach in seinem Himmel selbst ein Gott
Sich einst gesehnt: Gefühl des Vaters! Ich verließ
Das Menschliche, nun leid' ich Übermenschliches.
Ja, auch des letzten Trostes letzter Schimmer schwand!
Durch meinen Winter flog es, wie der Sonnenstrahl
Im Januar; sie dürfe mich beerben. Mild
Im schrofferbauten finstern Hause zünde sie
Des Herdes schöne, sitt'ge Gluten mütterlich.
Katharina, Peter! Dieser Namen Bund verglich
Des schweren Daseins tiefempfundnen Widerstreit;
Ach, immer, was mir mangelte; begriff ich's nicht?
Jetzt sollte sie die Königsprobe wohl bestehn
Im Dom zu Moskau. Wehe mir! Erlegen ist
Die Schülerin. Der Scheitelpunkt des Glückes trifft
In Würd'gen würdiges Bewußtsein. Ruhig nimmt
Ein edler Mensch, wovon er denkt: Du hast's verdient;
Und wahren Fürsten deucht der Purpur schauerlich.
Sie aber prunkt und spreizet sich. Der Zofe gleich,
Begeistert vom geschenkten Kleide! Da erscheint
Verdorbnes Wesen, niedrer Herkunft Sinnesart!
In solchen Stunden bricht hervor das Innerste;
Die andern prüf' am allgewohnten Lauf des Tags,
Denn ihre Pflicht ist Tageswerk, gewöhnliches;
Am Ungemeinen aber miß den Herrscher ab,
[522] Da er im Guten, Schlimmen, Ungeheuerstes
Ertragen muß. Irrtum verlaß mich, freundlicher!
Nie wird sie Rußlands ausgerufne Kaiserin. –
Fühlloser Stein, in deine Fasern graben sich
Die Finger ein! Dir sagt mit wildem, wundem Druck
Sein ganz Geheimnis schweigend ein zerstörter Greis.
Hier unbehorcht, erleichtre dich im Klagelaut,
Natur! O mein zerrißner, schmerzdurchwühlter Leib!
Ach! Ach! Ward eines Feuerberges Lavastrom
Ich mich verlegt, darin zu kühlen? – Doch es naht.
Nun wickle dich in deine Leiden! Ruhe groß
Auf großem Elend, todesheiter, stillgefaßt!
GORDON
tritt wieder auf.
Gordon War es hier? Schau ich den Kaiser?
PETER.
Auf dem Steine ruht er aus.
Widerstrebte sie?
GORDON.
Sie folgt mir. Was du wolltest, wird geschehn.
PETER.
Mich erfreut, daß sie gehorsamt.
GORDON.
Meinst du, daß sie dir gehorcht?
PETER.
Sagtest ja, sie komme willig.
GORDON.
Von dem eignen Geist geführt.
[523]
PETER.
Endlich müde dieser Reden bin ich, Gordon, wisse das!
GORDON.
Wisse du, daß mir erspart ward, ihr zu bringen dein Geheiß.
PETER.
Trafst du schon sie unterweges?
GORDON.
Nein, jedoch in ihrem Haus
Harrte sie des Boten sehnlichst.
PETER.
Dessen Auftrag nur gehört
Dieser Öde tauber Flugsand?
GORDON.
Frage sie, wer ihr's verriet.
Melden meiner Sinne Zeugnis, das vermag ich.
PETER.
Leg es ab.
GORDON.
Durch des Vorhofs Schutt gestiegen, trat ich in der Pforte Rahm',
Ihres Dienstes quitt, vereinsamt, stand sie schwarz im Mondenlicht;
Und daneben über Steine von zerfallner Mauern Ring
Schlüpft' emporgescheuchtes Hochwild, ungehemmt, das sich geatzt
An der Kräuter wildentsproßnem, grünem Wucherüberfluß.
Vor mir sah ich vielgestalt'ger Bauzerstörung schnödes Bild,
Aus dem Gras, hoch über Mannsläng', balkenstarrendes Gewirr,
[524] Pfeilerschäft' und eingesunkner Giebeldächer Sparrenwerk.
Gegenüber aus dem Wandstück, stehngeblieben, aber flammt'
Einzeln, trüberhellt ein Fenster! – Nun, zusammen mich gerafft,
Auf des Wilds getretnem Pfade schritt ich vorwärts, Schwert im Arm,
Und ich tastet', und ich tappte zwischen Gruben, halbbedeckt,
Brunnen, Farnkraut-überwachs'nen, strauchelnd nach dem schlimmen Ziel.
An der Wendeltrepp' hinaufwärts schwang ich mich zur Flügeltür,
Und ich horcht', anziehnd den Atem. Drinnen sprach es rauh und tief:
»Rasch die goldnen Schuhe reich mir! Vor der Türe lauscht der Mann,
Mädchen, welcher kommt zu führen uns zum Zar nach Petersburg.«
Auf, Entsetzen im Gemüte, riß der Pforte Wucht ich schnell:
»Harre nur ein wen'ges« – rief sie – »gleich bereit bin ich zu gehn!«
Schreckgefesselt fand ich, schauend, in der Hand der Klinke Griff.
Auf der Truh', der offnen, Erzrand setzte sie gehobnen Fuß,
Und ihr Mädchen band der Goldschuh kunstgewirkte Bänder fest.
»Jetzt den Mantel!« rief sie. Mühsam, an den Zipfeln schwer, gefaßt,
Hob den schmelzbeblümten Mantel aus der Truh' die Dirn' empor,
Über Leibrock, Mieder warf sie bauschig seine bunte Last,
Und in Falten, steifgebrochnen, wallt' er um die Schreckliche,
[525] Welche drauf, mir zugekehret, hohlen Stimmlauts also sprach:
»Fort! Zu melden mich dem Zaren! Nur die Binde fehlet noch.
Eh' du ausgeredet, naht ihm festgeschmückt die Priesterin.«
Und hinab die Stiege schritt ich, fürchtend, rückwärts, daß nicht Graun
Schwindelnd mich ergriff' und stürzte, wendet' ich den Nacken ab.
Jene legte nun die Binde, schimmernd, um die hagre Stirn ...

Eudoxia tritt auf in Goldschuhn, Mantel, mit einer Stirnbinde. Das junge Mädchen mit der Fackel vor ihr her.

Nicht betrogen hat dich Irrsinn; sieh sie selber, wie sie ist!
Zornig sind die dunklen Wächter vor der Schmerzen Heiligtum,
Bitter rächen sie den Einbruch, geh' vorüber, da ist Gott!
Diese wird zu feiern wissen, Feste, die sie sich ersann!
PETER.
Soll Verkleidung mich besiegen? Her die Roß'! Es wird gereist.

Gordon ab.
Eudoxia. Peter.
EUDOXIA.
Hier steht, die du riefst.
PETER.
Folgsam; das ist gut.
[526]
EUDOXIA.
Heut sehn wir uns wieder, o Zar.
PETER.
Spät lernst du, indessen beizeiten doch stets gleichmütigen Sinnes Geduld.
Widerstreben dem Herrn, fruchtloses Bemühn! Lang hättst du ein mäßiges Glück,
Wär' entschritten gezogenem Kreise nicht kühn Mannweiblich der irrende Fuß.
Aber nun wird der Rest der beschiedenen Zeit dir verfließen in ruhigem Strom,
Heilsames vergessend-vergessenes Sein, friedbringendes Dunkel ist nah.
O Eudoxia, welchen die eiserne Pflicht in der Erde Geschäfte nicht stößt,
Der halte sich fern der unseligen Ding' gramtriefendenem Greuelgemisch!
EUDOXIA.
Weisheit spar auf; noch ist nötig sie nicht. Bald, bald wird sie nützlicher sein!
PETER.
Wem?
EUDOXIA.
Dir!
PETER.
Warum mir?
EUDOXIA.
Wenn zerschmetterten Haupts
auf dem Altar der Heide du liegst.
PETER.
Schon ertrug ich's zu lang'. Nun herunter die Schuh' und den Mantel, das flitternde Band!
[527]
EUDOXIA.
Für den Dienst aufschmückt' ich mir Busen und Leib.
PETER.
Armseliges Larvengeschwätz!
EUDOXIA
murmelnd.
O du in des Lebens erborgeter Larv' einherstolzierender Tod!
PETER.
Nicht murmle du leis!
EUDOXIA.
Noch verspar' ich die Lust!
PETER.
Sprich laut!
EUDOXIA.
Noch kost' ich an dir,
Vorschmeckende Süß'! An des Wartens geheimdurchdringender lieblicher Qual!
PETER.
Herstarrt sie nach mir, doch sie höret mich nicht.
Nun gehorch', ablege den Pomp!
EUDOXIA.
Siegjauchzende Freude, den schwächlichen Sprung des bezeichneten Opfers zu schaun!
PETER.
Ich befehle dein Unsinn: Schweige! Dir na des Verstandes gebietender Tag!

Er nähert sich ihr, tritt aber betroffen zurück.
EUDOXIA.
So erhebe dich tapfre urewige Nacht! So erhebe zum Kampfe den Schild!
Warum weichst du zurück?
[528]
PETER.
Wen erblick' ich?
EUDOXIA.
Nun mich.
PETER.
O der kläglichen Jammergestalt!
Bist du es? Ist sie das entfleischte Gebild in der Fackel verratendem Glanz?
Wo blieb der Glieder gerundete Fülle?
EUDOXIA.
Du weißt es.
PETER.
Die Augen, o Weib?
EUDOXIA.
Das weißt du ja auch. Müd waren sie schon; als dem Sohne den Trank du gereicht,
Da entfloß den erschöpften Brunnen die Seh'.
PETER.
Weib, liebtest du ihn?
EUDOXIA.
Ja, im Tod.
PETER.
Sie ist blind!
EUDOXIA.
Nein, sie sieht.
PETER.
Kehr heim!
EUDOXIA.
Nein, sie folgt.
[529]
PETER.
Vor dem Äußersten tret' ich zurück.
EUDOXIA.
Doch das Äußerste tritt haarsträubend anjetzt, zum Vernichten gerüstet, dir nah!

Sie naht ihm.

Bin die Bettlerin ich, die du rufest und schickst, wie der wechselnden Laune behagt?
Mitgift hab' ich einst dir gebracht in das Haus, Mitgift bring' heut' ich dir zu.
Als wir beide gekniet, hob Mutter das Brot, hob Vater das Heiligenbild
Ob der Betenden Haupt; daß gedeihe der Schatz in dem gütervermehrenden Bund;
Und gewirkt hat der Segen! Ich zeig' es dir heut. Nur herauf! Aus der Tiefe herauf,
Großmächtiger Gaben gesammelte Last, Prachtherrliche, würdig des Manns!
PETER.
Wahnwitzige!
EUDOXIA.
Wandelnde Leiche!
PETER.
Ha, wie?
EUDOXIA.
Jetzt lös' ich die Schnüre vom Gut! –
Was die Diener nicht wissen, dem Arzte verschweigt, und der Kebse der zuckende Mund,
Das erfährt das zerknitterte Kissen, der Pfühl, und das ruhlose Schlummergemach.
Er ist krank! Es zerfrißt ihn der Qualen Gebiß! Mich bestraf' um die Lüge der Zar!
[530]
PETER.
Den Verrückten beschert es der Gott! – Doch ich ring', und die Mitgift wäg' ich noch auf!
Nur das Übel erblicket der Bettlerin Geist, nicht die Kraft, die das Übel verhüllt.
EUDOXIA.
Aufdrehn sich die Flügel des Kirchengewölbs, und sie suchen die Stelle zum Sarg.
Eh' das Aug' er geschlossen, bestaudete sich neusprossend, Bojaren-Gewächs.
Sein Will' ist ein Nichts, sein Streben ein Spott; Er aber erfährt es, vernimmt's.
Nach der Buhlschaft Schmach, nach der Günstlinge Trotz, nach der Räuber verprassendem Mut,
Mord, Mord an dem Kind, an dem Gatten der Mord, Mord, Mord an dem Vater zuletzt!
Es genüget der hungrigen Sünde nicht mehr, weit gähnt der verschlingende Mund!
Sie zerstücken der Völker lebendigen Leib, Rührung in dem schwimmenden Aug',
Denn der Falschheit süßliches Grinsen bedeckt's, wie der Schlange gesprenkelte Haut,
Großmut wird geheißen, den blutenden Freund ausplündern zu helfen dem Feind.
Überwältigend drängt sich Gesicht an Gesicht! Lahm werden die Schwingen des Worts,
Mein Stammeln erreichet Unendliches nicht; mich bestraf' um die Lüge der Zar!
PETER.
Sie strafe die Zeit! Doch erfüllte sich's ganz, ja, erfüllte sich rasender Fluch,
Mit Gemeinspruch kauft den dürftigen aus der vertrauende Glaube des Manns.
Was die Tier' aufbauen, erreichet den Zweck, und das meinige wäre nur Traum?
Ich bin, ich war! Darum werde ich sein bei dem Meinen. Ich segne das Land,
[531] Ich segne die Halmen des Feldes, den Wald! Ich segne die Bäche, den Strom!
Ich segne die Häuser im Dorf, in der Stadt! Ich segne der Mutter Geburt!
Zu beständiger Wohlfahrt segnet dich ein, Rußland, dein sterbender Held!

Er ergreift Eudoxien bei der Hand.

Folg!

Sie sieht starr in die Weite.
EUDOXIA.
Stören wir nicht!
PETER.
Wohin starrt sie denn nun?
EUDOXIA.
Ei, wir halten die Finger uns vor!
Grausam, aus der Lieb' einlullendem Rausch dem Verderber ins Antlitz zu sehn!
PETER.
Rausch? Liebe?
EUDOXIA.
Verhängt aber mindestens doch das geharnischte Bild am Kamin!
PETER.
Katharinens Gemach! Mein Bild!

Er schlägt die Hände vor das Gesicht.
EUDOXIA.
Wie sie küßt, wie den Knaben sie streichelt und herzt!
Ich verdenke dir diese Ergötzungen nicht; hat der Zar deine Art doch gekannt.
Stumm ruhet der Knab' an der Gütigen Brust, Liebkosen erwidert er nicht;
[532] »Ach Herrin, mir rufte den schleunigen Tod weissagend die Gräßliche zu.«
Mein Teurer vergiß es, du blühest so frisch! Sei ruhig, wir freuen uns beid'
In der Freiheit Rot auf des Leidigen Grab ...
PETER.
Gordon!

Er stürzt ohnmächtig nieder.
GORDON
eilt herbei.
Ist er tot?

Er kniet bei dem Hingesunkenen.
EUDOXIA.
Nun beginnt
Ausgang und vollendend Marter Triumph! Zählbar sind die Sprossen, hinab
In sibirischer Werke tief untersten Gang; unzählbar aber, o Mensch,
Ist der Stufen gehauene Meng' in des Leids Abgrund und ergiebigem Schacht.

Sie steht hinter der Gruppe.

Terrasse am Meere

Morgen.
Jaguschinsky. Ostermann.

OSTERMANN.
Nicht, Jaguschinsky, folge deines Grolls Gebot!
Dem Manne ziemt die mäßige Gleichgültigkeit.
Notwendig ist die Törin, schau gelassen zu.
[533]
JAGUSCHINSKY.
Uns aber hält sie eben doch für nötig nicht.
Mit welcher künstlich-deutlichen Absichtlichkeit
Vermied sie unser Zwiegespräch! Dem stummen Blick
Ausweichend, und gewohnter Andeutungen Gruß,
Erheuchelt Fremdheit, sonderbare Kälte sie,
Seitdem in Moskau ihre Glieder eingehüllt
Die schimmernde Dalmatika. Die Miene sagt:
»Da bin ich! Weiter komm' ich auch wohl sonder Euch.«
OSTERMANN.
Sie läßt es merken, ist in unsrer Hand dadurch.
Wenn man mir schmeichelt, kann ich zittern; wagt der Stolz,
Entbehren mich zu wollen, bin ich hergestellt.
Mir wollt' er lügen, sich belügt er. Diese Frau
War lang, ich darf es nun gestehn, mir fürchterlich;
Stets blieb mir undurchdringbar ihre Schlauigkeit.
Wenn sie, das Aug' voll Tränen, flötenlispelnd sprach:
»Wie müßt' ich bangen, lehnt' ich mich auf Freunde nicht
Gleich dir und deinesgleichen – mich durchzuckt' ein Graun.«
Natürlich schien es, war's gewissermaßen auch;
Sie ist die Meisterin der Kunst, sie glaubt an sich.
Gefährlich sind die unbewußten Täuschenden!
Nun aber sieht des Geschlechtes Schwäche klar hervor,
Das feiner als wir Männer einzufädeln weiß,
Und durch den Aufzug sehr gewandt das Schiffchen wirft,
Doch vor dem fertigen Gespinst ratlos verstummt.
JAGUSCHINSKY.
Sie wird den Rat zu schaffen wissen! Schleichend wird
In dieses Herrschers Abendstunden unsre Macht
Sie untergraben; endlich wird geschehn, was längst
Mir jedes Morgens racherglühter Strahl gedräut.
[534] Wir werden fallen, Ostermann! Umsonst hast du
Vergebens haben unsres Innern Stiche wir
Hinabgekämpft, Blutschuld geladen auf das Haupt!
Ein drittes, jüngeres Geschlecht erzieht für sich
Die Falsche; Fremde raffen hin, was wir bezahlt.
OSTERMANN.
Heerführer ist der Lautenspieler Mons, nicht wahr?
Ich mag den Nebenbuhler dulden.
JAGUSCHINSKY.
Lebten wir
Im Stand der Ordnung, frei, berechtigt, wohlgeschützt
Von starker Satzung, Volksgefühl und stillem Brauch,
Dann ruhte, sich vertrauend, würd'ge Kräftigkeit.
Doch hier ist alles möglich. Ja das Törichtste
Erscheint mir als das Glaublichste! Das Ungefähr
Regiert, und dessen Scharfsinn ist bekannt genug.
Es schwand die Feste; wüst darüberhin erbraust
Meerflut, von Wracken einer frühern Zeit bedeckt,
Und unsrem Machwerk. Freundlich trägt die Welle Kork,
Das Gold, der Marmor sinkt zum Grund ...
OSTERMANN.
Sehr unverhofft
Ertönt der Freiheit Preisen mir aus deinem Mund.
JAGUSCHINSKY.
Ich preise nicht. Ich zeichne nur die Gegenwart.
OSTERMANN.
Die Not verdoppelt's, zeichnest du sie an die Wand.
JAGUSCHINSKY.
Zu wenden wäre diese Not mit rascher Tat.
[535]
OSTERMANN.
Das, hoff' ich, hab' ich mißverstanden.
JAGUSCHINSKY.
Nicht so ganz.
Vernichtet, unterläßt sie, uns zu schädigen.
OSTERMANN.
Du willst sie stürzen, Jaguschinsky? Nimmermehr!
JAGUSCHINSKY.
In seine Seele werf' ich gleich den glüh'nden Brand.
OSTERMANN.
Unglücklicher! Verblendeter! Ahnt dein Gemüt
Die Folgen dieses Schrittes? Stürze sie, so fällt
Schwerpunkt und Gleichgewicht ins Leere! Unser Trost,
Ja unser einz'ges Hoffen ist das Schaumgeschöpf.
Vergaß'st du mancher Traulichkeit nachttiefen Schluß?
Nur unter solcher ungemein-gemeinen Frau
Enthüllen wir die Stirnen, sind die Waltenden.
Belehrt das Beispiel nimmer? Wollen wir durchaus
Nacheifern? Auch Bojaren sein? Vertilge sie!
Ersetzt der unsern einer jene Bäuerin?
Der Stoff, aus dem man Kön'ge wirkt, heißt der: Verdienst?
Dem Glück, dem Fremden, Neuen beugt Andacht-entzückt
Sein Knie der Mensch! Am liebsten völl'ger Nichtigkeit.
Darnach ist sie die Tüchtigste. Bereitet ward,
Wenn wir erhoben wider dieses Wahngebild
Unweise Hände, ein vom Feind Gefertigtes.
Repnin hat sich entschieden; nach der schwärmenden
Eudoxia lenkt er seiner Helfershelfer Sinn.
Verehren unser Wunder wir mit kluger Treu',
Gleich einem Talismanne, der, von schlechtem Holz,
Dem Gläub'gen dennoch sichert Heil und Wohlergehn!
[536]
JAGUSCHINSKY.
Und ihren Listen bieten wir wehrlos die Brust?
OSTERMANN.
Mein Gleichnis wiederhol' ich von der Weberin.
Vor ihrem fertigen Gespinste steht sie dumpf,
Verwirrter sie zu machen sei mir liebe Pflicht!
Ich legte niemals klar zutage Strebemut,
Der Dunkelste wohl bin ich ihr. Ertönen laß'
Ich ihrer nunmehr ganz erstarkten Machtgewalt
Triumph und Ruhm! Drauf spend' ich süßen Lobesspruch:
Daß ihre Hoheit jetzo stolz entbehren kann
Die unentbehrlich, leeren Wähnens, sich geglaubt.
Die eigne Weise fortzusetzen rat' ich an.
Da wird sie staunen! Treulos sei der Schmeichelton,
Empfindet ihr Erschrecken. Grad' das Gegenteil
Beschließt sie nun; zu warten, nach der Frauen Art.
Indessen gehn die Zeiten, kommt der Tag heran,
Der auch des stärksten Lebens Kraft todatmend bricht,
Katharina, wartend aber hat die Tat versäumt!

Menzikof. Die Vorigen.
MENZIKOF.
So erfüll'n sich die Gerichte!
JAGUSCHINSKY.
Eifrig glüht des Fürsten Wang'!
OSTERMANN.
Welch ein wildes Lied! Die Ursach?
JAGUSCHINSKY.
Über wen erging Gericht?
[537]
MENZIKOF.
Über ein verächtlich Spielwerk in der Undankbaren Hand.
OSTERMANN.
Ha, ich ahne deine Nachricht!
JAGUSCHINSKY.
Ich der Rache Sättigung.
Menzikof Hört des Schlosses neu Geheimnis, wißt das Ende jenes Mons.
Von der Heid' am See Ladoga, ließ der Zar die Zarin ziehn,
Sicher kam sie mit dem Knaben abends an im Sommerschloß.
Denn der Herr versprach zum Abschied, auszubleiben über Nacht.
Welche Dinge sich bis ein Uhr drauf begeben, hüllt die Nacht.
JAGUSCHINSKY.
Wie? Wo war er?
MENZIKOF.
Weiß es jemand?
OSTERMANN.
Weiter! Weiter! Dann um eins ...
MENZIKOF.
Plötzliches Gepolter! Repnin, der im Erdgeschosse schläft,
Fühlt sich heftig angerühret, fährt empor entsetzensvoll;
Schief den Hals gezogen, seitwärts, steht der Zar vor seinem Bett.
»Folg mir!« ruft der Krampfverzerrte. Zitternd folgt Repnin, er meint:
[538] Ihm bestimmt sei schwarz Verhängnis. Leuchtend schwankt der Zar voran;
Nach der Katharina Zimmern gehn sie schweigend. Sinnberaubt,
Ausgestreckt liegt Mons am Boden, seine Schwester jammert kniend.
Ernst, entblößten Schwertes Gordon! Finstrer Hüter steht er da.
Katharina sitzt im Lehnstuhl, blaß, doch scheinbar ganz gefaßt.
»Nimm ihn!« stöhnt mit wutbelegtem Laut der Herr. Aufraffend hebt
Repnin den, der schon ein Leichnam, schlaff die Glieder hängen läßt.
Drauf verläßt der Zug das Zimmer; nicht ein Wort sprach sie für ihn.
JAGUSCHINSKY.
Und wo ist er?
MENZIKOF
in die Ferne deutend.
Frag die Raben, die ob jenem Felde schrein.
OSTERMANN.
Katharina?
MENZIKOF.
Folgt vermutlich.
OSTERMANN.
Weh dem Zufall dieser Nacht!
JAGUSCHINSKY.
Mich bestürzt es. Arger Bildung zeigt sich, was ich selbst gewollt.
MENZIKOF.
Seid ihr Toren? Jauchzt und jubelt!
[539]
OSTERMANN.
Wir erwägen mehr als du.

Theophanes. Die Vorigen.
THEOPHANES.
Pflegt ihr müß'ge Unterredung, wenn die Zukunft, segenschwer,
Seufzt nach euren kräft'gen Händen, quitt zu werden ihrer Frucht?
Fürsten ruft sie zum Gebärstuhl; hohe Ärzte, zögert nicht!
JAGUSCHINSKY.
Was bedeutet's?
THEOPHANES.
Ungeheures! Denn im Sterben liegt der Zar.
JAGUSCHINSKY.
Ha, im Sterben?
OSTERMANN.
Große Wendung!
MENZIKOF.
Sprich, im Sterben?
THEOPHANES.
Aufgezehrt.
Scheidend von dem Dochte hebt sich schon der Flamme letzt Geleucht.
MENZIKOF.
Und so plötzlich? Wer erklärt das?
THEOPHANES.
Nicht im Flug kam dies herbei;
[540] Lange nagt' ihn schwere Krankheit in des Lebens Marke matt,
Leiche lang' schon war der Körper, nur der Geist hielt ihn empor;
Fühlend alles sich in allem, täuscht' er uns, bezwang er sich,
Jetzo wirft des Kummers Faustschlag unsren Ringer in den Staub.
JAGUSCHINSKY.
Rasch von hinnen!
OSTERMANN.
Halt! Fortuna sucht ein weidliches Geschlecht;
Finde sie uns ihr gewachsen! Sieh die Göttin ruhig an,
Wende drauf den Kopf verachtend! So will sie behandelt sein.
Und nun laßt es uns entscheiden!

Zu Jaguschinsky.

Deinen Groll warfst du hinweg?
JAGUSCHINSKY.
Nur die Furcht trieb mich zum Hasse.
MENZIKOF.
Tod der Doppelzüngigen!
Es verderbe die Verrätrin!
OSTERMANN.
Fröhnst du deinem Liebesneid,
Heilt vom Unsinn unsre Sache gleich der Degen Ostermanns.
Fürchte den, der nie geprahlet! Nimmer droht' ich, jetzt geschah's.
MENZIKOF.
Darf ich mit der Worte Felswurf sie zerschlagen, sagen ihr:
[541] Daß sie, Sklavin unsrer Großmut, unverdient erhoben wird,
Kehr' ich um zu Euch.
OSTERMANN.
Gebare hierin dich nach deiner Art.
THEOPHANES.
Ohne Zaudern denn ein jeder an sein Amt! Versammelt ist
Der Synod in voller Anzahl.
JAGUSCHINSKY.
Unser also?
THEOPHANES.
In Betracht
Dessen, was Ihr uns versprochen ...
OSTERMANN.
Was gehalten werden wird.
Führt sie nach dem Gartensaale dort, dem nahen!
THEOPHANES.
Soll geschehn.
OSTERMANN.
Ich berufe den Senat hin.
JAGUSCHINSKY.
Ich die Garden. Buturlin
Hat uns seine Schar gewidmet.
MENZIKOF.
Katharinen führe ich.
Zeichnen soll sie erst die Schriften, unsrer Macht Bestätigung,
Uns die Schenkungen verbriefen.
[542]
OSTERMANN.
Dann des Siegels noch bedarf's
Vor dem gottergebnen Volke; hören aus geweihtem Mund
Muß es, daß der Zar sie sterbend zur Nachfolgerin ernannt.
JAGUSCHINSKY
zu Theophanes.
Könnt Ihr es beschwören?
OSTERMANN.
Wollt Ihr's?
THEOPHANES.
Ich beschwör' es. Laßt uns gehn.
OSTERMANN.
Hier verein'gen wir uns wieder, zeigen uns von Schmerz erfüllt,
Wie der Anstand bei so großem Trauerfalle dies befiehlt!

Sie gehn ab.
Peter der Große. Gordon ihn führend.
PETER.
Hier laß mich rasten, bis der Wust von Schleim und Kot
Der dreiundfunfzigjähr'gen Lüge müde ward,
Und ernste Wahrheit ihre tiefen Züge prägt
In diese kalte Masse. Glänzt nicht dort ein Licht?
GORDON.
Des nahen Meeres morgenbleicher Streifen ist's.
PETER.
Drum weht' es auch so eigenkräftig atmend her!
[543] Den ältsten Freund im Angesicht, erwarten wir's.

Er sitzt in einem Sessel. Gordon steht neben ihm.
GORDON.
Wie fühlst du dich?
PETER.
Ganz leidlich. Nur die Zunge quält
Ein salzig-faulichter Geschmack, als läge drauf
Der Welt Gemeinheit.
GORDON.
Diese Nacht hat dich geschwächt.
PETER.
Hältst du in meine früheren hineingehorcht,
Du stauntest, daß ich dies' erlebte. Längst zerbarst
Das Gefäß, und gänzlich war der Inhalt ausgeströmt.
Ein letztes Tröpfchen zittert' an des Eimers Rand,
Und dieses freilich schleuderte die Trau'r hinweg,
Trau'r ob der Menschen völliger Verworfenheit.
Zu einem Schüler der Wahn-Prophetin aber mach'
Mich dennoch nicht! Phantasterei, Zufall demnächst,
Die Spur der Untat weisend, die ich lang geahnt!
Gordon, es gibt nichts Leichtres als Wahrsagerkunst!
Auch diese, wie so vieles, lernt' ich; sie zuletzt,
Dir hinterlaß' ich, daß sie bleibt, die Wissenschaft:
Sprich dreist das Ärgste, Dümmste, Widerwärtigste,
Denn das erfolgt.
GORDON.
Beruf' ich nicht den Arzt, mein Herr?
PETER.
Ja wohl, beruf' ihn! Sänftlich soll er neues Blut
In die verlechzten Adern gießen; einen Leib
Aus frischem Fleisch auf erbauen! Und er soll
Den Glauben heilen, die Liebe! Stellt er ferner her
Die abgezehrte Sonn' und Erde, lohn' ich ihm
Mit glänzender Beförderung.

[544] Jaguschinsky, Ostermann, Theophanes und andere Große treten in der Entfernung seitwärts auf.
Peter sieht nach ihnen hin.

Hinweg den Kram.
Gebt ihr dem Volke Puppenspiel an meiner Gruft?
GORDON.
Es sind die Großen deines Hofs, du kranker Fürst.
PETER.
Es sind geschnitzte Marionetten, lebensgroß!
Die Glieder klappern an den Drähten! Schütze mich!

Menzikof tritt auf, Katharinen führend.

Ausrufer! Eigentümerin der Bude! Fort!
GORDON.
Er redet irr. In dein verdüstertes Gemüt
Tönt meine Frage: »Wer soll erben? Nenn' ihn, Zar!«
PETER
auf seinen Körper deutend.
Hier liegt ein andres, einstens wohlgefügtes Reich.
Darin, nach wenigen Sekunden, wird nun auch
Nachfolg' eröffnet von gewisser Erben Schar.
Ist mir Verfügung dort erlaubt? Befehl' ich dem:
»Das hab'!« Und denen: »Jenes!« Darf vorweg etwas
Mein Wille geben, nehmen? Nein, nach eignem Recht
Zernagt der Chor. – Es sei das Chaos anerkannt
In seiner allerhöchsten Machtvollkommenheit!
Beschließen, heißt ein Knabe sein in grauem Haar!
Absicht ist Blödsinn ...

Er sinkt in Ermattung.
[545]
OSTERMANN
tritt näher.
Starb der Zar?
GORDON.
Er starb. Ihr könnt
Den Lüften schenken eurer Herzen Klageschrei!
OSTERMANN.
Auf den Altan! Des großen Toten Testament
Den Völkern eiligst öffnend, Freunde, kund zu tun.

Katharina mit den Großen ab.
GORDON.
Dem Meere werf' ich knirschend diese Träne zu,
Die Einzige! O er hat Recht! Warum, Natur,
Erschufst du einen Mann?
RUF
von außen.
Sie lebe, lebe hoch!
Katharinen Heil und Huldigung!
PETER
erwacht.
Wer weckt mich auf?
Nicht sterben können! Endige! Schon klingt Geräusch
Arbeitenden Verwesens! Bei dem Werke sind
Geschäftig-laut die Würmer. Still ... Gordon, vernimm:
Gebt alles an ...

Er stirbt.
GORDON.
An wen, o Herr? – Der Atem steht,
Und Rauch des Todes schwärzet seiner Lippen Saum.
»Gebt alles an« ... Du hast, das Rätsel deiner Zeit,
[546] Abscheidend, Rußlands Rätsel der Zukunft vermacht,
Die, hoher Seeheld, immer dein Orlog gesucht.
RUF.
Heil unsrer ersten Katharina! Ew'ges Heil!
GORDON.
O Gott, ich könnt' auflachen laut! – – Das Rätsel bleibt
Fürs erste wohl noch ungelöst von dem Geschmeiß.
Doch ziemt's, an andres hier zu denken, als an dich?
Du siehst aus offnen Fenstern dir den Lärmen an!
Ehrfürchtig naht sich, o erloschne Sterne, Euch,
Die Augen drückt, mein König, fromm dir einer zu,
Der von den Wirren unsrer Welt so viel begreift,
Als der Entseelten gläsern-stumpfer Blick erschaut.

Er drückt ihm die Augen zu.

Notizen
Erstdruck: Düsseldorf (J.E. Schaub), 1832. Uraufführung am 20. und 21.04.1835, Düsseldorf.
Lizenz
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Immermann, Karl. Alexis. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-89C5-9