August Wilhelm Iffland
Ueber meine theatralische Laufbahn

[3] Einige Männer, deren Meinung mir schätzbar ist, haben mich aufgefordert, bey Gelegenheit der Herausgabe meiner Schauspiele über meine theatralische Laufbahn etwas zu sagen. Diese Aufforderungen, das Vergnügen, welches ich empfinde, da ich im Niederschreiben die Vergangenheit mir wieder näher bringe, besonders die Ueberzeugung, daß ich auf dem Wege, den ich gewählt habe, mehr Ruhe und viel mehr inneren Frieden genieße als andere – das sind die Veranlassungen zur Entstehung und die Entschuldigungen für die Bekanntmachung dieser Fragmente.

In meinem fünften Jahre habe ich das erste Schauspiel gesehen, und es machte einen wundersamen Eindruck auf mich. Er steht durchaus in Verbindung mit einer früheren Begebenheit aus dem dritten Jahre meines Lebens; diese ist meine älteste Rückerinnerung.

Im Kriege, oder bey der Friedensfeier 1763, kam der Herzog Ferdinand von Braunschweig nach Hannover. Unter den Anstalten zur Feier seines Empfanges war eine Beleuchtung der Stadt angeordnet und ein großer beleuchteter Triumphbogen. Ich entsinne mich wohl, wie den ganzen Tag über die Rede davon war, daß ich dieser Herrlichkeit zusehen sollte. Meine Geschwister erzählten mir vorher viel davon, und im ganzen Hause war eine fröhliche Erwartung, ein Treiben und Drängen zu dieser Festlichkeit. Ich fragte, jauchzte und hüpfte der Stunde entgegen. Endlich wurde ich wohl eingehüllt einer Magd auf den Arm gepackt, und nach dem Markte, wo der Hauptschauplatz war, hingetragen.

Starr sah ich nach der Feuermasse in die Ferne hin. Wie ich näher kam und einzelne Lampen unterscheiden konnte, schrie ich vor Freuden, wollte vom Arme meiner Wärterin herab, und da ich ganz nahe gekommen war, das [3] bunte Feuer sah, überfiel mich ein überirdisches Entzücken. Man hatte mich in ein rothes Mäntelchen gewickelt, auf dessen Vorderseite Schleifen von weißem Schmelz gesetzt waren. Ich erinnere mich ganz deutlich, daß ich an dem Glanze, den diese Schleifen durch die Lichtmassen von sich warfen, an der rothen Farbe des Mantels, ein eigenes Vergnügen hatte. Ich erinnere mich, als wäre es eine Geschichte von gestern, der Menschenmenge, der Pferde, der Kutschen, des hohen Triumphbogens, von dem ich glaubte, er reiche an den Himmel hinauf – der glänzenden Kirchenfenster und des Freudengeschreys, das die Volksmenge erhob. Ich hüpfte auf den Armen meiner Trägerin, und weinte und schrie laut und unaufhörlich, als mich diese deßhalb weg und wieder in unser finsteres Haus trug. Ich konnte und wollte nicht einschlafen, ich dachte mir den anderen Tag und viele Wochen nachher immer das große glänzende bunte Bild aus jener Nacht. Ich bauete lange Zeit nachher aus Stühlen und Bänken die Ehrenpforte oft wieder auf; ich setzte Lichter daneben, hing den rothen Mantel mit Schmelz wieder um, und war sehr traurig, daß dieses schöne Kleid bey meinen Lichtern zu Hause nicht so glänzend aussah als jenen Abend.

Endlich mag das Bild sich verloren haben; wenigstens erinnere ich mich nichts von allem, was in dem Zeitraume mit mir vorgegangen ist, bis ich das erste Schauspiel gesehen habe. Dieß muß im Jahre 1765 gewesen seyn.

Wie ich hier wieder viele Lichter, viele Menschen, einen großen Raum und bunte Farben auf dem Vorhange sah, so stand auf einmal jenes entzückende Bild wieder vor mir. Die Musik, das Hinaufrollen, das Verschwinden des großen Vorhanges, dünkte mich eine Zauberey. Der große, freundliche, helle Raum hinter dem Vorhange war mir unerwartet. Als er von wohlgekleideten Menschen betreten wurde, als diese sprachen, lachten, als in dem hellen Raume eine Handlung vorging wie zu Hause, so war ich ganz außer mir vor Bewunderung und Freude. Ich küßte meinen Bruder, ich sprach kein Wort, um von der himmlischen [4] Herrlichkeit nichts zu verlieren, die vor meinen Augen aufgegangen war.

Es war, glaube ich, der Kranke in der Einbildung, der den Tag gegeben wurde. Ich wollte noch den Platz angeben, wo der alte Ackermann im Schlafrocke gesessen hat; ich sehe noch den Liebhaber im grauen Kleide und grüner Weste mit Golde. Ich erinnere mich, daß es mir häßlich vorkam, daß der Vater seine kleine Tochter in Gegenwart so vieler Menschen schlagen wollte. Zum Schluß wurde das Ballet, die Judenhochzeit, gegeben. Das machte mir wenig Freude. Der große Topf, der darin zertreten wird, ärgerte mich. Es gefiel mir nicht, daß die Leute nicht sprechen wollten, so wie ich nicht begreifen konnte, und es für ungezogen hielt, daß sie in dem großen, schönen Zimmer beständig sprangen und liefen.

Der große helle Raum, auf dem alles vorging, kam mir vor, wie unsere Visitenstube zu Hause; und wie diese unverletzlich war, wie darin weder ein Topf hätte zerschlagen, noch wie die Juden hätten darin herumspringen dürfen, so kam mir das auf diesem hellen Platze äußerst unschicklich vor.

Das zierliche Benehmen der Personen, welche vorher im Schauspiele gesprochen hatten, und daß sie so einer hinter einander gesprochen hatten, dünkte mich so reitzend, so vornehm, so ehrwürdig! Man erklärte mir, daß sie das alles auswendig gelernt hätten. Nun staunte ich sie an, wie hohe, besondre Wesen.

An jedem Fenstervorhange probierte ich zu Hause das Hinaufrauschen der Zauberdecke, und das Herabsenken, das den schönen hellen Raum und die Wesen, die so zart und fein darin gewandelt waren, mir wie der genommen hatte.

Immer sprach ich von diesem schönen hellen Bilde, und war recht betrübt, daß niemand so entzückt darüber war als ich. Als nun gar einige von den Menschen, die das Bild darstellten, verächtlich sprachen, so gerieth ich in Zorn und Kummer. Ich suchte allein zu seyn, allein an das zu denken, wovon niemand in meinem Entzücken mit mir reden wollte. Ich zog heimlich die Fenstervorhänge auf und nieder, weil[5] man mich auslachte, daß ich mit diesem Spielwerke den Zauber wieder herstellen wollte.

Bis jetzt hatte die Kunst keinen Theil an meinen Empfindungen. Das helle Licht, worin alle Gestalten erschienen, hatte bloß einen angenehmen Eindruck auf meine Sinne gemacht, der in Vereinigung mit jenem ersten Eindrucke war, der mich zuerst empfinden ließ, daß ich lebe und bin.

Da ich fleißig in die Kirche geführt wurde, erinnerte man mich einst, daß es besser wäre, dem nachzudenken, was ich dort sähe und hörte, als mich an den Possen zu üben, die ich auf dem Ballhofe gesehen hätte.

Nun fiel es mir zum ersten Male ein, die Kirche mit dem Theater zu vergleichen, weil ich hoffte, da ich nicht mehr nach dem Ballhofe geschickt wurde, die Empfindung, die ich vor dem großen Vorhange gehabt hatte, dort wieder zu erneuern.

Ich freute mich auf den nächsten Sonntag, und ging rasch und munter den Kirchweg hin.

Die große Orgel und der volle Gesang gaben mir an diesem Tage ein Gefühl, das ich dabey noch nie empfunden hatte. Vorher war mir beides nur wie Lärm und Geschrey vorgekommen. An dem Tage war es anders. Aber was es war und wie es war, das konnte ich mir nicht sagen; doch schien es mir viel mehr zu seyn als die Musik in der Komödie. Nun trat der Prediger auf die Kanzel. Ich stand auf, und wollte ihn mit denen vergleichen, die aufgetreten waren, als der Vorhang sich hinauf geschwungen hatte.

Aber eben das fehlte mir bey seiner Erscheinung. Es ging kein Zauberwerk vor seinem Auftreten her. Er stand allein, er stand im Dunkeln, in einem engen Raume, bedeckt bis an die Brust und beschattet von einer aufgethürmten finstern Masse über seinem Haupte stand er da. Er sprach nicht wie andere Menschen. Er sang in einem heulenden Jammertone, niemand antwortete ihm, und Menschen waren eingeschlafen.

Wie reitzend standen dagegen die zierlichen geschmückten Lichtgestalten, welche sprachen wie andere Menschen, sich [6] antworteten und bewegten wie andere Menschen, vor meiner Einbildungskraft da!

Die nächste Nahrung für das Vergnügen, das mir so werth geworden war, empfing ich aus Hübners biblischen Geschichten. In jedem Kupfer sah ich das liebliche Bild vom Ballhofe. Auf einigen macht ein zurückgeschlagner Vorhang den Vordertheil des Bildes aus. Diese Geschichten las ich um des Vorhanges und um der Bilder willen, die daran sich reiheten, am liebsten.

Nun kam im Jahre 1767 die Seilerische Gesellschaft nach Hannover. Dieser wurde das kleine Schloßtheater eingeräumt.

Im Stillen dachte ich mir diese als ganz außerordentliche Menschen, weil sie in der Wohnung des Königs hausen dürften.

Von ihren trefflichen Darstellungen wurde viel und mit Wärme gesprochen. Meine Geschwister hatten sie gesehen, erzählen den Inhalt der Schauspiele, und sprachen davon mit Rührung, Verstand und Ueberzeugung.

Mein ältester Bruder las zu Zeiten Leßings Dramaturgie, die eben damals heraus kam, in den Abendstunden laut vor. Er verglich den Inhalt mit dem Gesehenen, und gab mit Geist, Wärme und Zartheit das deutlichste Bild von allem. Seine Schulfreunde – und das waren Leute von Kraft, bestritten hier und da seine Meinung, die er mit Feuer und Eigenheit aufrecht hielt. Mit Empfindung, Geschmack und jeder Weiblichkeit gab meine Schwester oft den Ausschlag.

Ich saß in einer Ecke, von niemand bemerkt, und hörte mit Innigkeit zu. Ich verstand das Wenigste, aber ich füllte Vieles. Nie kam mir der Schlaf über diesen Gesprächen, so lange sie auch dauern mochten.

So bekam ich ein dunkles Vorgefühl von dieser Kunst, und auch wohl etwas mehr. Es muß etwas Seltnes seyn, sagte ich mir, was kluge und gute Menschen in eine solche Bewegung setzen kann.

Einst kam mein ehrwürdiger Vater aus einer Vorstellung der Miß Sara Sampson nach Hause. Er war ganz erweicht [7] von den Leiden der Sara, er sprach viel von der Reue des Mellefont und von dem Grame des alten Vaters Sampson. Es ist lehrreich anzusehen, sprach er, wie die Tochter in das Unglück geräth, und Kinder können da einsehen, was ein armer Vater durch ihren Leichtsinn leidet. Ich will alle meine Kinder hinschicken, wenn dieses Schauspiel wiederholt wird.

Dieß geschah bald darauf, und wir wurden hingeschickt.

Ganz anders war meine Freude auf diesen Tag, als vorher, wie ich nach dem Ballhofe geschickt wurde.

Mein Vater hatte gesagt: die Sache sey lehrreich, wir könnten dabey lernen. Ich hatte ihn von der Geschichte gerührt gesehen. Auf dem Zettel stand: ein Trauerspiel! Es war also von Würde, Trauer, Unterricht die Rede. Und alle diese Dinge waren auf dem Schlosse des Königs zu sehen! Die ganze Sache war also vornehm, feierlich, gebilligt von dem Könige und meinem Vater zu betrachten. Mein Vater selbst gab mir den Komödienzettel, und erklärte mir die Personen. Er gab mir Lehren, wie ich mich im Schauspielhause zu betragen hätte. Ich sollte still, sittsam, ruhig seyn, nicht umhergaffen, die Augen nach dem richten, was auf dem Theater vorginge, wohl Acht haben, was dort für nützliche Dinge gesagt würden. Dieß alles gelobte ich ernstlich und aufrichtig.

Den Komödienzettel steckte ich mit aller Sorgfalt, wie einen Reisepaß, zu mir. Das Einlaßbillet betrachtete ich mit süßer Freude, und schwärmte mir manche erhabne Ursache, weßhalb das Siegel auf diesem Billet einen Dolch und eine Larve vorstellen mußte.

Ich wurde angezogen, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegte, wenn wir Fremde besuchen durften. Alles das gab mir einen sehr feierlichen Begriff von der Sache. Um vier Uhr sollten wir hingehen; um drey Uhr hatte ich schon den Hut in der Hand. Endlich schlug es denn. Wir wallten durch zwey Schloßhöfe, die breite Treppe hinan. Noch nie war ich in diesem großen Gebäude gewesen. Die langen Gänge, die hohen Thüren, die Wachen, die gemahlten Deckenstücke über den Gängen, alles dünkte mich groß und erhaben. [8] Der Eingang zum Theater war gedrängt mit Menschen angefüllt. Verehrung, Freude, Wonne gab es mir, daß so viele Menschen auch nach dem sich sehnten, was meine ganze Seele erfüllte. Angst überfiel mich, daß die ganze Stadt sich herdrängen und ich nichts sehen würde. Die Thüren wurden geöffnet, die Menge drang ein, ich mit, und bald saß ich in der vorderen Reihe einer Loge.

Das Haus wurde allmählich beleuchtet, und mein Begriff von der Würde der Sache sehr vermehrt durch die Niedlichkeit der Einrichtung. Die vorderen Lampen auf der Bühne wurden angesteckt, der Vorhang – der alle Sehnsucht meiner Seele noch verbarg, ward sichtbar.

Wie freute ich mich über die glänzenden Farben, die da schimmerten; wie ward ich entzückt, als ich bey vollem Licht, umgeben von einer schwebenden Wolke, den Namen des Königs auf diesem Vorhang erblickte, dem zur Seite eine schützende Gottheit erschien!

Der Eindruck, den dieser Name an dieser Stelle auf mich nothwendig machen mußte, ist nichts weniger als unbedeutend. Er bezeichnet in Hannover alles, was unmittelbar königliches Eigenthum ist, oder unter besonderem königlichen Schutze steht. Er macht die Ehre der königlichen Fahnen, die Autorität der Münzen, er bezeichnet die königlichen Prachtgebäude, und – sonderbar, daß mir das eben damals beyfallen mußte – er steht vor manchen Gesangbüchern.

Wie kann man, dachte ich mir, nicht mit Achtung von Leuten sprechen, und mit Verehrung von ihrem Beruf, deren Werk, bis es die Leute sehen sollen, von dem königlichen Namen in des Königs Schlosse verdeckt ist?

Zugleich muß die Kunst alt und ehrwürdig seyn, sagte ich mir; denn der Name auf diesem Vorhange ist der Name Georgs des Zweyten, der lange todt ist, ein sehr ernster Mann war, brav gefochten hat, und der es doch also nicht für unköniglich gehalten haben muß, hier Belehrung oder Freude zu empfangen.

Eine schwermüthige Musik hatte mein Gefühl veredelt, als der Vorhang und die Wolke mit dem Namen schwand.

[9] Viel heller, zierlicher, edler und überraschender war für mich der Anblick dieser Bühne, als der auf dem Ballhofe.


Miß Sara Sampson!


Ich bin in Thränen zerflossen während dieser Vorstellung. Das Gute, das Edle wurde so warm und herzlich gegeben – die Tugend erschien so ehrwürdig! Die Leiden der Menschen kannte ich bis daher nur aus Hübners biblischen Geschichten, oder von armen Leuten, welche Almosen empfingen: von einer solchen Leidensgeschichte, von einer solchen Sprache hatte ich keinen Begriff. Eckhof als Mellefont, die Hensel als Sara, die Bäck als Marwood! Solch eine wahre, hinreißende Schilderung, diese Allmacht des Gefühls, welche jedes Gefühl erregte und führte wohin es wollte – das reitzte, erhob und überwältigte meine Seele. Ich war ganz aufgelöst – der Vorhang sank herab – ich konnte nicht aufstehen, ich weinte laut, wollte nicht von der Stelle, sprach zu Hause davon mit fremden Zungen, und war niemand unangenehm den mein Feuer umfaßte. Ich mußte meinem Vater alles erzählen, er erzählte mir selbst davon, und seine edle Seele, sein väterliches Herz, das so weich zu empfinden wußte, wurde noch einmal in den Augenblick der Vorstellung selbst versetzt.

Von diesem Augenblick an ward mir der Schauplatz eine Schule der Weisheit, der schönen Empfindungen.

Bald darauf wurde das Trauerspiel Rodogine gegeben. Es war an diesem Tage ein großes Familiengastmahl bey uns. Ich wendete mich an einen freundlichen alten Onkel, er möge für uns das Fest dadurch vollenden, daß er mir die Erlaubniß zu verschaffen suche, in das Schauspiel gehen zu dürfen. Es wurde bewilligt.

Welch ein neues Fest! Der große Säulensahl mit einem grünen Teppich überdeckt. Die Gestalten schwebten feierlich langsam darüber her, man sah majestätische Bewegungen und hörte keinen Schritt. Zu den prächtigen, stolzen Reden wogten die Helmzierden auf und ab. Bey den Donnerworten, womit die Helden den Platz verließen, segelten die seidnen Gewänder weit in die Luft hinaus, und [10] der kräftigste Ton, wie ich noch nie einen vernommen hatte, erschütterte meine Seele.

Die hohe Tragödie erfüllte mich mit schwärmerischer Ehrfurcht.

In Miß Sara hatte mich das Geräusch des Beyfalls beleidigt: in Rodogine erhob mich der donnernde Beyfall auf die höchste Stufe des Mitgefühls, des Stolzes, des Abscheus, der Zärtlichkeit – des Edelmuths. Meine liebsten Freuden hätte ich hingegeben, um eine Rede der Kleopatra in diesem Feuergeiste sagen zu können.

Man gab zum Schlusse ein Ballet – der Kapellmeister. Ich konnte nicht darüber lachen. Es kam einer in einem schwarzen Rocke mit Noten besetzt. Die Gallerie lachte und klatschte Zufriedenheit. Was mögen Antiochus denken und Kleopatra? – Warum schmettern sie nicht diese ungeweihten Lacher mit einer ihrer Königsreden zu Boden? So fühlte ich, und sah gar nicht mehr hin nach den Taubenkrämern im Tempel.

Stolz und hehr kam ich nach Hause, und erzählte von den Leiden des Demetrius und Antiochus. Mein Vater ließ mich eine Weile einhertraben, dann dauerte ihm die Staatsaction zu lange. Er fragte nach meinem Fortgange in den Lectionen, sprach ein paar ernste Worte, und meinte: – »Es sey nun eine Weile her genug von der Komödie gesprochen. Nun müßte es an ernste Dinge gehen.« Er begleitete diese Rede mit einem Blicke, der alle ähnliche Unterhaltungen für die Zukunft verbot.

Ich ward feuerroth, fühlte mich tief gekränkt und sehr unglücklich.

Ich sollte nicht mehr davon reden, was meine ganze Seele erfüllte! Ich sollte an ernste Dinge gehen! Es gab keine Dinge von höherem Ernst für mich, als Antiochus und Kleopatra. Wie? von diesen erhabenen, unglücklichen Fürsten, die sich vor meinen Augen so hoch, so königlich und so vertraulich gezeigt hatten, sollte ich nicht mehr reden?

Ich versuchte es bey meinen Geschwistern – Sie hörten eine Weile zu: aber sehr natürlich hatten sie es doch auch [11] bald genug. Ich wandte mich an das Gesinde – das lachte mich aus; an meine Spielkameraden – die hatten keinen Sinn dafür. Ganze Tage machte ich den Tambur, und trug in ihrem Spiel die papierne Fahne, damit sie nur eine halbe Stunde mir zusehen möchten, wenn ich als Kleopatra ras'te, und als Antiochus weinte. Sie fanden bald lange Weile dabey, und ich verlor mein Auditorium.

Nun flog ich unter das Dach auf den Hohboden. Ein seidnes Tuch flatterte als der Mantel des Antiochus hinter mir her, eine alte Grenadiermütze war der königliche Helm, mit einem abgebrochnen Kinderdegen wüthete ich umher, und manchmahl, ohne das übrige Kostume zu ändern, vollendete ein Reifrock meiner Großmutter die Kleopatra.

Unter diesem allen prangte meine eigenthümliche Kleidung, ein Husarenhabit, an dem skelettähnlichen Körper, eine wohlgepuderte Zopfperücke bedeckte das stolze Haupt. Das hinderte mich nicht zu wüthen, und, von dem Jammer meiner eignen Töne gerührt, oft laut zu weinen. Manchmahl überfiel mich in dieser sehr tragischen Beschäftigung, der späte Abend, das Zwielicht auf dem großen, weiten, alten Boden gab mir Furcht – ein langsames Erstarren, und dann floh der stolze Antiochus in dem ganzen Heldenapparat, vereinigt mit dem der Kleopatra, mit Zetergeschrey von dannen.

Ich trachtete nun danach, alle mögliche Schauspiele zu lesen. Die erhabnen, die wüthenden waren mir die willkommensten.

Unter künstlich erlangter Vergünstigung sah ich noch Romeo und Julie.

Nun war es ganz um meine Ruhe geschehen. Wer meiner Schauspielwuth mit einer Miene in den Weg trat, war Kapellet Vater, ein Tyrann. Wer Geduld mit mir hatte – war mir die Mutter Kapellet.

Von meiner Liebe für das Schauspiel konnte ich mit niemand reden. Jedermann vermied es aus Grundsatz, oder weil es nicht amüsant für ihn war. Niemanden konnte ich vorlesen – niemand konnte mich bewundern, was ich doch [12] zu verdienen glaubte. Das Komödienlesen wurde mir endlich auch erschwert, weil man einsah, wie sehr es mich von jeder andern nöthigen Beschäftigung abzog.

Ich verfiel bald auf ein anderes Mittel, diese hinreißende Neigung zu befriedigen.

Mein Vater las, oder ließ oft Abends Predigten lesen, von denen er wahre Nahrung für seine wohlwollende Seele empfing. Ich drängte mich unter dem frömmsten Anscheine zu dieser Lektüre, die der vortreffliche Mann mir nur selten zumuthete.

Mit Hunger nach der Stunde, mich vernehmen zu lassen, ging ich Abends mit Johann Jakob, oder Eberhard Rambach einher.

Süß und sanft las ich den ersten Theil dieser Predigten, mit erhobner Stimme den zweyten Theil, und im Donnertone die Ermahnungen an die Unbußfertigen in der Applikation vor.

Das freute die guten Aeltern. Sie wußten nichts davon, daß ich dabey nur an Romeo, an Kapellet und Antiochus denken könnte.

Da ich nicht in die Komödie gehen konnte, so ging ich traurig über den Schloßhof, und sah die Lichter flimmern im Vorhofe zum Allerheilichsten. Die Komödienzettel las ich wie Bücher der Weisheit, und der Zettelträger sogar schien mir wenigstens ein sehr an genehmer Mann zu seyn.

Indeß war das Schauspiel eine Zeit lang abwesend. Ein sehr gutmüthiger Lehrer ließ es sich angelegen seyn, mir die Erlernung nützlicher Dinge angenehm und Ehre bringend zu machen. Ich war damals sehr fleißig.

Die Geschichte war mir besonders werth, und die Charaktere, welche sie aufstellt, zogen mich so sehr und lebhaft in ihr Interesse, als das Schauspiel. Freylich dachte ich mir zu den Helden und Heldinnen, welche sie schildert, immer nur Eckhof und die Hensel. Aber beide Theile konnten nicht dabey verlieren.

Man ließ mich um diese Zeit auch den Grandison lesen und den Dechant von Killerine.

Die ehrwürdigen Personen im Grandison und so manche [13] treffliche Menschen in meiner Familie hatten eine genaue Aehnlichkeit. Die Menschen in dem Romane machten mir meine Verwandten lieber, und so vieles Gute, was ich an meinen Verwandten sah, gab mir Glauben an die Menschen im Romane.

O wahrlich! ich habe noch nichts Edles und Gutes gelesen und gehört, was ich nicht an meinen Verwandten erlebt hätte. Die Stimmung für das Schauspiel ist wohl geblieben; aber sie war um jene Zeit viel sanfter.

Ein geistlicher Redner machte um dieselbe Zeit besondern Eindruck auf mich. Es war der verewigte Schlegel.

Früher als er die Menge hingerissen hat, riß er mich zur herzlichsten Rührung hin. Der Ton der Ueberzeugung, der väterlichsten Liebe athmete aus seinen herzlichen Reden. Oft wurde er selbst so ergriffen, daß er inne halten mußte. Sein Wandel ging mit seiner Lehre gleichen Schritt. Jedermann liebte ihn, und wenn es aus diesem Munde an mich ergangen wäre, – »Du mußt kein Schauspiel mehr sehen,« so würde ich mich darein ergeben haben.

Schlegel machte mir das Lehramt ehrwürdig. Ich sah deutlich ein, daß auf dieser Stelle, im öffentlichen Vortrage mehr geschehen könne, als bis daher Sitte war. Ich sah, daß sein Dialekt und seine Konstitution, so wie die weise Schonung der alten Gewohnheiten, ihn daran verhinderten.

In meiner Eitelkeit hielt ich mich berufen, das alles zu erreichen, und von da an nahm ich mir fest vor, es schien mir auch süß und Ehrebringend, Prediger zu seyn.

Nun las ich, schrieb und hielt Predigten.

Sehr leicht fand sich zu diesem heilsamen Zweck ein Auditorium von Hausgenossen, das mir, der ich, über eine Stuhllehne herab, hohe, fromme Dinge sprach, mit Erbauung zuhörte.

Einige alte Basen und Tanten wurden einst eingeladen, und wie jetzt die lieben Kinder den Anwesenden eine Sonate von Pleiel und Haydn vorspielen müssen, so wurde ich citiert, vor diesen Gästen eine Stelle aus dem Christ in der Einsamkeit vorzulesen.

[14] Voll des Glaubens an mich und meinen Beruf, las ich mit Feuer, mit Pracht, und zuletzt mit wüthender Emphase.

Die redlichen alten Verwandtinnen ergossen sich in frommen Zähren, und verkündeten der Kirche ein neues Licht in dem Knaben. Nur mein Vater schwieg und war sehr ernst. Als wir allein waren, sagte mir der edle Mann: »Mein Sohn, der Prunk, mit dem du gelesen hast, kann mich nicht erfreuen. Er kommt aus einem kindischen Gemüth, und verräth eine unbescheidne Eitelkeit.« Ich fühlte, daß er Recht hatte, fand mich sehr gedemüthigt – aber ich predigte noch eine Weile mit großem Uebermuth, von der Stuhllehne herab, jedem, der es hören wollte.

Eine geraume Zeit ging mein Leben so hin, ohne daß etwas darin vorgefallen wäre, was außer dem gewöhnlichen Geleise gewesen wäre. Ich hatte die Arbeiten lieb gewonnen, womit man in diesem Alter beschäftigt zu werden pflegt, und ich that sie mit Anstrengung.

Da ich Privatunterricht empfing, so hatte ich fast gar keinen Freund meines Alters.

Die Spaziergänge, die mir verstattet wurden, machte ich allein in der Gesellschaft meines zweyten Bruders. Wir hatten beide kein Verlangen danach, zu wandeln wo die Menge sich umher trieb. Man sah uns zu Hause, ich weiß nicht weßhalb, am liebsten vor das Steinthor gehen. Der Windmühlenberg war in jener Gegend die angenehmste Lage. An seinem Fuße lagerten wir uns und träumten von unserer Zukunft. Eine ländliche Pachtung war sein Lieblingswunsch, und aus treuer Liebe für ihn wünschte ich mir eine Landpfarre in der Gegend, wo er eine Pachtung haben würde. Ich entsagte gern der Ehre eines Chormantels, wie ihn die Stadtprediger tragen, und dem Beyfall einer kultivierten Gemeinde, um bey ihm seyn zu können.

Unsere Träumereyen gingen so ins Einzelne, daß wir die Lage unserer künftigen Felder, Wiesen und unseres Gartens ganz deutlich uns vorstellten. Wir lebten schon voraus in der seligsten Wirklichkeit. In der Wärme solcher Gespräche bestiegen wir den Windmühlenberg, sahen hinaus über die [15] Gegend, und überließen uns den Ahnungen, wohinaus wohl unser künftiger Wohnplatz liegen möchte! Mit Thränen der innigsten Bruderliebe haben wir oft uns auf dieser Stäte umarmt, und sind dann voll Muth, mit Innigkeit der Stadt zugewandert.

Da wir im Winter nicht dahinaus wandern konnten, so realisierten wir auf dem Boden unter dem Dache, wo ich sonst tragische Rollen wüthete, die Pachtung meines Bruders. Sandkasten bildeten Blumenbeete, Hühner und Tauben wandelten umher. Aus einem Holzhaufen schuf ich meine Predigerswohnung daneben. Halbe Tage haben wir beide allein in dieser idealischen Welt, sehr – ach! – sehr glücklich verlebt.

Die Sachen konnten gar nicht anders kommen. Unser Wunsch schien so mäßig, es war eine so gewöhnliche Glückseligkeit; warum hätte sie nicht in Erfüllung gehen sollen? Wir freuten uns jedes zurückgelegten Tages, denn er führte näher zum Ziele.

Ach! keiner von uns beiden hat jenes Ziel erreicht!

Wir leben getrennt, weit von einander. Alles ist anders gekommen, als wir es so lieblich geträumt haben; nur die Empfindungen, die wir damals einer für den andern hatten, sind noch heut dieselben, und werden so bleiben immerdar.

Ein Zufall, der eben in jener Zeit eintrat, hat meiner ganzen Laufbahn eine andre Richtung gegeben.

Mein sanfter guter Lehrer starb; ich wurde aus einer Hand in die andere gegeben, und keine wußte mich zu führen. Jeder machte mir die Arbeiten verhaßt, die jener mir lieb zu machen gewußt hatte. Ich blieb stehen, wo mich mein Lehrer gelassen hatte, that meine Dinge mit Unlust, endlich mit Trägheit, und suchte es mir durch Possen jeder Art zu verbergen, wie sehr ich uneins mit mir selbst war.

Aus Verlegenheit schickte man mich auf die öffentliche Schule. Ich wurde in die zweyte Klasse eingeführt, da ich kaum taugte in der dritten zu seyn.

Meine Kenntniß der Geschichte, mein Gefühl für die Charaktere der Geschichte, war umfassender, richtiger, wahrer, als sie dort einer neben mir hatte.

[16] Im reinen Gefühl für schöne Künste übertraf ich vielleicht sogar meine Lehrer.

Deßhalb hatte ich eine erhöhte Meinung von mir, die ich auf keine Weise hätte haben sollen, und konnte die Blößen gar nicht ertragen, die ich wegen jedes Mangels an gründlicher Wissenschaft so oft geben mußte.

Den Lehrern in dieser Klasse ward ich eben wegen dieses Mangels bald gleichgültig, und, da ich gar nicht in Betracht kam, meinen Mitschülern ein Gegenstand des Spottes. Unvermögend mir selbst aus dieser Lage zu helfen, zu lebhaft um einen ernsten Entschluß zu fassen, verfiel ich darauf, durch Witz und Neckereyen mich an allen denen zu rächen, die gar nichts in mir erkennen wollten.

Unglücklicher Weise wurde diese Art mich zu nehmen von meinen Kameraden gelobt, ich ging also immer weiter darin. Meine Brüder waren abwesend, meine Schwester konnte den Zustand meiner Unwissenheit nicht übersehen, da ich Liebe genug für sie hatte, in den Augenblicken ihrer Unruhe, und wenn sie mein Ehrgefühl reitzte, durch eine zusammen geraffte Oberfläche sie zu täuschen, oder durch eine periodische Anstrengung gute Zeugnisse meiner Lehrer, oder doch ihrer Hoffnungen, daß es gewiß anders werden würde, herbey zu schaffen.

Der Umgang einiger lebhaften jungen Leute meines Alters, in derselben Lage wie ich, setzte eine ziemliche Verwilderung in mir an.

Ein Buch, das um diese Zeit mir in die Hände fiel, führte mich viel weiter, als ich je gehen wollte und selbst wußte.

Der Roman Peregrin Pickel paßte von so mancher Seite auf meine besondre Lage, daß ich ihn mit Eifer verschlang. Ich that alles, um ihm ähnlich zu werden, um ihn zu übertreffen.

Schaarenweise überzogen wir Stadt und Land, um Kreuzzüge in Peregrins Geiste zu beginnen. Sie gelangen uns nur zu sehr; und da meine Kameraden, mit Recht oder ohne Recht, bey jedem lustigen Streiche, bey jeder Verkehrtheit [17] mich für den Urheber und Anführer ausgaben, so fiel der ganze Unwillen auf mich allein.

Zu welchem Unsinn kann nicht die Sucht, Aufsehen zu erregen, verleiten! zu welchen Widersprüchen mit dem besseren Gefühl, das ich betäubte, aber nie verloren hatte!

Das Schauspiel war lange abwesend gewesen, und wurde im großen Opernhause eröffnet.

Ich sah Richard den Dritten von Weiße.

Das große feierliche Haus machte einen gewaltigen Eindruck auf mich.

Was für eine Sache muß es seyn, dachte ich mir, um derentwillen man einen solchen Palast erbauet!

Auf dem alten Vorhange stand auf einer Seite des Musenberges ein Palmbaum, an welchem eine Gruppe von Waffengeräth aufgehangen war, mit der Unterschrift – »Hinc gloria et securitas«.

Auf der andern Seite war eben so, unter einer Gruppe von musikalischen Instrumenten, Larven nebst anderen Attributen des Schauspiels die Inschrift zu lesen:


»Curarum dulce levamen.«


Dulce levamen!


Das las ich und las es wieder, das dachte ich, das empfand ich. Eine Last war von mir genommen, indem ich so an mich und diese Inschrift dachte. Eine höhere Hand hatte mich an diesen Wegweiser hingeführt. Den Abend, in dem Augenblicke, entschied das Schicksal meine Laufbahn.

Von Richard dem Dritten genoß ich wenig. Einige große Augenblicke ergriffen mich und zündeten die erloschene Flamme für die Kunst wieder allmächtig in mir an. Das übrige des Schauspiels ging an mir vorüber. Ich war mit mir und meiner Zukunft beschäftigt. Warum heuchelst du der Märkischen Grammatik, da du für Richard alles empfindest? Wenn du einst Richard seyn kannst, warum sollst du es nicht seyn wollen? – Dann aber fielen die Wünsche der Meinigen, die Vorurtheile der Stadt Hannover, und die gänzliche Unwissenheit, wie das alles zu vereinigen seyn [18] möchte, mir schwer auf das Herz. Ich brütete darüber bis zu Ende des Schauspiels.

Mit einiger Empfindung sah ich auf den Vorhang hin, als er zuletzt herab gefallen war. – Curarum dulce levamen! las ich abermals, riß mich mit Gewalt los, und rannte voll Muth und Hoffnung nach Hause.

Von nun an – es ist mir jetzt sehr leid – wandte ich mich entschieden von allem ab, was zur Lateinischen Grammatik gehört. Ich las und sah die Schauspiele mit Unterscheidung, mit Studium. Ich that mit der zartesten Sorgfalt alles für die Schauspielkunst, was ich für die übrigen Wissenschaften hätte thun sollen. Ich war überzeugt, daß ich endlich für meine Bestimmung arbeitete.

Es ist begreiflich, daß ich das alles sehr heimlich thun mußte, daß dadurch Heimlichkeit und Widerspruch, also Bitterkeit, in mein Leben, und Mißvergnügen in das Leben der Meinigen kommen mußte.

Je mehr ich um diese Kunst dulden mußte, je theurer ward sie mir. Für die Kunst war ich etwas; für die Wissenschaft war ich nichts.

Manchmal wohl habe ich mir Mühe gegeben, nach den Wünschen der Meinigen anders und gegen meine Wünsche zu denken. Manchmal bin ich an den Windmühlenberg gegangen, und habe die alten Träume dort zurück gerufen. Vergebens! Weinen konnte ich, daß sie vorüber waren, weinen über den geliebten abwesenden Bruder, und daß ich nun nicht mit ihm leben würde. Trauern mußte ich, daß ich nicht mehr in süßer Sicherheit hier stehen konnte wie vordem. Schwermüthig wallte ich den Berg hinan; aber es waren nicht mehr die Dorfpfarrthürme in der Nähe, wo ich sonst meine Heimath wünschte, was mich hinauf lockte. Ueber diese und das ferne blaue Gebirge hinweg rief mein künftiges Schicksal aus weiter Ferne. Wohin? wohin? sprach ich laut, wandte mich nach allen Gegenden, und weinte bitterlich. Wohin? sagte ich dann leiser, und konnte vor Thränen den Pfad hinab kaum finden.

Laut schluchzend rang ich mit der Gegenwart und[19] Zukunft, mit meinen Wünschen und dem Verlangen der Meinigen, mit der allmächtigen Stimme in mir und dem Vorurtheile.

Mir unbewußt ging ich nach Hause, fort und fort bis an den Neustädter Kirchhof.

Ich stutzte – blieb stehen, und übersah das stille Todtengefilde.

Wie mancher – ach wie manche schläft hier, deren Busen einst so gewaltig von innerm Kampfe gehoben ward, als der deine jetzt! Wir steigen herauf aus Erde, drehen uns im Zirkel herum um unser Grab, fallen hinein, der Wind fährt über die Staubblume her, und wer stellt sich hin an den Rasen über unserm Haupte, und weiß es uns Dank, daß wir die stürmende Sehnsucht niederkämpfen konnten, die ja wohl das bessere in uns ist?

Ich ging zu den Grabsteinen meiner mütterlichen Verwandten, und setzte neben ihrem Staube meine Betrachtungen nicht fort; aber ich ließ meinen Thränen freyen Lauf.

Hier werden auch sie ruhen, die mir das Leben gaben! Sollen sie um meinetwillen früher hier ruhen?

Die Grasblumen wankten wehmüthig langsam hin und her am Grabsteine meines Großvaters. – Ich erschrak – fuhr zusammen, wandte mich schnell ab, und eilte der Stadt zu.

Hoffnung, daß sich das einst alles auf gute Weise, ohne jemandes Kränkung noch fügen würde, belebte mich, und ermunterte mich, meine Wünsche nicht aufzugeben, meinen Fleiß für die Kunst fortzusetzen.

Indem ich für meine Bestimmung alles that, that ich wenig oder nichts für die Bestimmung, von der man wünschte, daß ich sie wählen möchte.

Aengstlichkeit verschloß mein Geheimniß in mir, daß es auch niemand ahnen konnte.

Um so widerwärtiger, ja, ich fühle es, um so verächtlicher mußte ich allen seyn, die, nicht unterrichtet von den Stürmen in mir, mich für träge, bösen Willens, und aus manchem verkehrten Streiche des höchsten Mißmuthes, für bös halten mußten.

[20] Nur Eine Seele hat zu keiner Zeit den Glauben an mich verloren.

Meine einzigen Vertrauten waren die Todten.

Sey es nun, daß ich von jenem Tage an ohne mein Wissen mich gewöhnt hatte, meinen Kummer dorthin zu tragen, oder daß der Leidende sich da wohl fühlt, wo alle Leiden vorüber sind – aber wenn ich nirgends mehr ausdauern konnte, zog es mich dorthin, und manchmal, wenn ich die dunkle Pforte des Eingangs betrachtete, dachte ich dann auf andre Weise curarum levamen.

Auf den älteren Grabsteinen pflegt die Lebensgeschichte derer, die darunter ruhen, umständlich erzählt zu werden. Wie der ehr- und achtbare, veste, mannhafte – daher aus der Ferne gebürtig, nach vielen Widerwärtigkeiten in der Jugend, hier sein Vaterland gefunden, in der ehr- und tugendsamen Jungfrau sein Heil, und in der Nahrung, dem Dienste sein zeitliches Glück; wie er sanft und selig dann in dem Herrn verschieden sey. Dergleichen las ich mit wahrer Erbauung.

Er konnte doch auch nicht gedeihen da, wo er gewachsen war. Auch seine Jugend war mühselig. Auch er suchte für sein Herz und seine Sehnsucht anderwärts ein Vaterland. Auch ihm folgten Thränen und Seufzer, und wohl manche mag er vergossen haben, ehe sie ihn da hinab senken konnten. Aber er ist ja doch ehr- und achtbar und vest und mannhaft, und ist sanft verschieden.

Wie? sollte es denn so schwarz und verkehrt seyn, was mein Herz zerreißt? und weßhalb sollte der Zwiespalt ewig dauern, der mich so bangt und kümmert?

Geh hin in ein Land, das ich dir zeigen werde – so lautete das Motto über dem Grabe eines Fremdlings aus Iserlohn.

Das sprach gewaltig zu mir. Ja, rief ich laut und stark – das Schicksal wird es mir zeigen und ich werde hingehen!

Bey diesen Wanderungen waren die Todtengräber endlich mit mir bekannt geworden. Ich war der frühe Vogel in [21] ihrem Gebiet geworden, und verkleidete die wahre Ursache meines Daseins in Neugierde nach ihrer Topographie.

Diese Menschen sind eine furchtbare Chronik. Sie richten strenge und unerbittlich. Mit der menschlichen Nichtigkeit so vertraut, wie kann menschliche Herrlichkeit ihre Zunge bändigen?

Dem Reichen und dem Geachteten bewies der Todtengräber seine Verehrung damit, daß er ihn etliche Schuhe tiefer in den Boden verscharrte.

Das kam mir so traurig vor. Je leichter die Hülle, je sanfter war mir das Bild. Nein, sagte der Mann mit dem Spaten, wen ich recht verehre, den soll mein Nachfolger nicht heraus finden; den grabe ich tief, bis ihn Gott ruft.

Indeß war das Schrödersche Theater nach Hannover gekommen, und Brockmanns glänzendes Talent, das Genie des großen Schröders und seiner Stiefschwestern, fachten die Gluth für die Schauspielkunst zur hellen Flamme an.

Ich war nicht mehr meiner mächtig. Das Studium der Kunst forderte mich fast täglich in ihren Tempel. Alle meine Verhältnisse strebten dem entgegen, so wie die ganze Sitte unsers Hauses, das einfach und herzlich, aber nach alter Weise, in Gebräuchen und Zeitmaß nach einer unabänderlichen Ordnung lebte, die auf besten Willen und Ueberzeugung von eines jeden Heil gegründet war. Jede Verletzung dieser Weise mußte ich mit verhaßter Künstlichkeit verstecken, oder die Folgen waren für alle Theile gleich schmerzlich und bitter.

So entstand für mich und die Meinen ein sehr trauriges Leben.

Wie durfte ich sagen, was in mir vorging? Wie konnte ich – man schrieb damals 1772 – Gewährung hoffen? Wem hätte ich es verargen können, wenn er meine Leidenschaft für die Kunst für Hang zur Zügellosigkeit genommen hätte?

Auf der Schule war ich zu der Zeit in die erste Klasse eingeführt.

Meine wenigen Schulwissenschaften berechtigten mich durchaus nicht dazu; und da diese Schule damals, von dem würdigen [22] Direktor Ballhorn geführt, besonders diese Klasse, in der herrlichsten Blüthe stand, da treffliche Köpfe die Aufmerksamkeit des Lehrers forderten und verdienten – wie übel war ich dort hingewiesen, wie schlecht mußte ich mich ausnehmen, und was mußte ich bey dem Gefühl davon leiden! Gleichwohl kann die kein Vorwurf treffen, die mich dorthin geschickt hatten.

Ein Jahr Fleiß hätte alles ins Geleise bringen müssen, und sie konnten voraussetzen, daß das Mißgefühl über meine Vernachlässigung, weit eher als alles andere, mich gerade an dieser Stelle dazu hätte vermögen müssen.

Was mir den Glauben an mich selbst, den Muth für Thätigkeit raubte und rauben mußte, was – das Gefühl für die Kunst ausgenommen – mich träge und dumpf hinleben ließ, die immer während quälende Angst um die Tagesvorfälle in der Gegenwart und die Stürme für meinen Plan in die Zukunft – diese Noth, darin ich von einem Tage zum andern lebte, und nur durch einen lustig-tollen Streich, zu Zeiten aus Verzweiflung, mir Luft machte – – das alles konnte niemand wissen, und niemand mich beurtheilen, noch leiten.

Die zärtliche Sorgfalt der Meinigen vermuthete die Ursache von allem, was in mir nicht war, wie es hätte seyn sollen, in den Zerstreuungen, darein meine Lebhaftigkeit mich verwickelt haben könnte. Mit vieler Güte wurde es veranstaltet, und Herr Pastor Richter zu Springe vermocht, mich zu sich und meine Bildung zu übernehmen.

Jetzt, nachdem ich die zurückgelegte Bahn hinab sehe, kann ich wissen, daß, wenn das etliche Jahre früher geschehen wäre, meine Verwandten damit alles erreicht haben würden, was nun nicht mehr damit erreicht werden konnte.

Wen einmal der Genius einer Kunst mit lebendigem Oden angeweht hat, der will schaffen, den Gestalten seiner Phantasie Leben geben. Lernen kann er nur was dahin führt; alles andere Wissen ist ihm eine Erzählung von todten Dingen.

Indeß ist jener Aufenthalt mir von großem Nutzen gewesen. [23] Ich verdanke dem Herrn Pastor Richter, seiner Nachsicht, Vollherzigkeit und seinem feinen Geschmacke vieles, sehr vieles von dem, was mir jetzt Freude und Freundschaft erwirbt.

Die Trennung von Hannover war mir sehr schmerzlich.

Am Abend vor meiner Abreise nahm ich noch Abschied vom Opernhause. Das Scheiden von den Meinigen brach mir das Herz.

Ich wurde gütig empfangen, freundlich behandelt, und mein würdiger Lehrer that vieles, um mir frohe Laune zu schaffen und zu erhalten.

Nicht unbeträchtliche Züge wurden über Berg und Thal gemacht, und es wurde mir nicht versagt, manchmal von einer Bergspitze den Thurm von Hannover zu sehen, neben dem alles wohnte, was auf der Welt mir werth und theuer war. – Nicht weit von diesem Thurme stand ja auch mein Ziel – Curarum dulce levamen! In diesen Bergen und Wäldern habe ich es doch nie aus den Augen gelassen. In dieser Einsamkeit bildete ich meine Plane aus für die Zukunft.

Ganz vortrefflich, mit großer Zartheit und Kraft zugleich, las Herr Richter mit uns Cicero über die Pflichten. Mit viel Erfahrung, Geist und Laune besprach er sich mit mir über Montaignes Versuche, die er mir zu lesen gegeben hatte.

Er gab mir die besten Dichter, und verwendete viele Mühe, daß ich die Schönheiten verstehen möchte, die ich fühlen konnte.

Ich bin ihm unendlich viel schuldig und werde es nie vergessen.

Durch ihn lernte ich feinere Sitten der Welt kennen, und bekam, wovon ich vorher fast nichts wußte, Lebenserfahrung.

Der Schauspielkunst ist dort nie erwähnt worden, nicht von ihm, nicht von mir: von seiner Seite wohl nur zufällig, von meiner sehr überdacht.

Ich bekam auch nichts vom Theater zu hören, als den Tod von Charlotte Ackermann. Wie die öffentlichen Blätter bey dieser Gelegenheit von ihr und der Schauspielkunst sprachen – welche Nahrung – welche Bestätigung meiner Gefühle und Entschlüsse gab mir das!

[24] Die Verhältnisse des Herrn Pastor Richter verstatteten ihm nicht, mich länger als bis 1775 bey sich zu behalten. Ich kam nach Hannover und dort auf die Schule zurück. Ich that eine Zeit lang alles, was mir obliegen konnte, mit großer Sorgfalt, aber dennoch ungern, weil ich – jeden Schritt, den ich dort vorwärts that, für einen Schritt hielt, der von meiner Lieblingsleidenschaft mich zurück führte.

Wenn ich mich jetzt recht untersuche, so glaube ich, es war mir nicht zuwider, wenn durch Mangel an Wissenschaft eine Unmöglichkeit entschied, daß ich nicht auf die Akademie gehen könnte.

Anders begreife ich mein Betragen in jener Zeit jetzt nicht. Müßig war ich nie. Ich las, versuchte, überdachte alles, was mich zum Schauspieler bilden konnte: ich that aber gar zu wenig, was mich zum Prediger hätte bilden können.

Brockmanns Hamlet erregte freudigen Tumult in den Empfindungen aller jungen Leute von einiger Lebhaftigkeit, wie hat er mich beglückt.

Bey der Vorstellung des Hamlet schlossen sich in mir Gefühle auf für das Erhabne, Wunderbare und Große, die mir bis dahin unbekannt gewesen waren.

Von der Zeit an wurde mir die Musik mehr als Wohlklang – eine hohe, allmächtige, deutliche Sprache.

Die Musik ward meine Freundin, meine Trösterin, die Pflegemutter meiner edelsten und liebsten Gefühle. Sie erhöhte meine Empfindungen, sprach sie aus, und antwortete dem Drang meiner Seele, wie ihm niemand noch hatte antworten können.

Mit süßer Schwermuth lauschte ich auf den Ton des Violoncells, welches mein Bruder zu spielen pflegte.

Nur wenn ich gar keine Musik hören oder kein Schauspiel sehen konnte, ging ich auf den Kirchhof, dachte in dieser stillen Versammlung meiner Sehnsucht nach, und brütete über der Zukunft.

Als die Beobachtung und der Mißverstand mich von da vertrieben, wich ich an andre stille Oerter, und zuletzt an [25] eine Stelle, der schnelle Graben genannt, wo der Fluß die Leine von einer Höhe herab stürzt.

Ich sah gern hinab in den Wassersturz, und ward ruhiger über dem Bilde, wie die schäumenden Wogen zuletzt klar und milde in die ruhige Strömung sich verloren. Nicht Sturm noch Sonnengluth, nicht Nässe noch Frost hielten mich ab von diesen Wanderungen.

Sie waren Augenblicke, des Studiums, der Untersuchung, der Rücksprache mit mir selbst, der Beobachtung von Menschen-Schicksalen, des Genusses der Natur. Sie waren mir unentbehrlich geworden, und sie haben mir keinen Nachtheil gebracht.

Wohl manche theologische Lehrstunde ist darüber verloren gegangen, und manche andere Stunde des Unterrichts, die ich auf keine Weise hätte sollen verloren gehen lassen.

Einst ermannte ich mich, durchdrungen von Pflichtgefühl, und besuchte alles Ernstes wieder die Stunden.

Aber da war in einer derselben sehr lange und auf sonderbare Weise die Rede von Mohamets Grauschimmel. In einer andern wurden hohe, unverständliche Dinge über die Lehre von der Rechtfertigung gesprochen. Das war nicht einladend.

In die nämliche Zeit gehört, was der gute Anton Reiser in seiner Lebensbeschreibung über die Schulkomödie sagt, welche damals aufgeführt wurde. Wir waren beide von Einem Gefühl beseelt, und er hat über diesen, wie über alle Vorgänge seines Lebens, die ich bis zu seinem Abgange von Hannover kenne, mit Genauigkeit und der strengsten Wahrheit geschrieben. Friede und Wohlwollen sey mit seinem Gedächtniß!

Ich spielte in dieser Schulkomödie wie ein junger Mensch, dem es im Kopf und Herzen braust.

Der Aufwand von Kräften erregte Wohlgefallen. Indeß war ich in meinen Darstellungen sehr unter meinem Ideale geblieben, und fühlte recht sehr, was das für ein Unterschied ist, wenn man eine Sache mehr empfindet, als versteht. Ich wurde mit den großen Schwierigkeiten der Kunst bekannt, achtete sie um so mehr, und fühlte lebhaft, um einst weiter zu gelangen, sey keine Zeit mehr zu verlieren.

[26] Ich fand es unedel, meinen Vater die Ausgaben der akademischen Jahre machen zu lassen, und dann erst einen Weg einzuschlagen, den er und die meisten für entgegen gesetzt halten mußten. Ich beschloß daher, mich ungesäumt aufzumachen, meine Wanderung für die Kunst und meine Lehrjahre anzutreten.

Nie hatte ich eine weitere Reise gemacht, als nach Springe, drey Meilen von Hannover: allein eine Reise nach Petersburg dünkte mich in meinem Plane ein Gang vor das Thor zu seyn.

Mancher Plan wurde gemacht, verworfen, gewählt, festgesetzt – mit einigen beredet – mit einem Einzigen sollte er ausgeführt werden.

Der Tag wurde bestimmt. Eine schwere Krankheit meines Vaters bewirkte Aufschub dieses Vorhabens, und dieser Vorfall hätte beynahe das ganze Unternehmen zerstört.

Es war mir durchaus nicht möglich, zu dieser Zeit etwas zu thun, davon ich wissen konnte, daß es den Planen, Wünschen, Hoffnungen und Gefühlen meines Vaters so durchaus entgegen seyn mußte.

Das schwere Opfer, das ich brachte, gab mir das Wohlseyn, das man bey innerm Werthe hat. Mit reinem Herzen freute ich mich jeder Spur von Genesung, und mit Erhebung sah ich auf das Opfer, das ich zu bringen im Stande gewesen war.

Ich ward in jener Periode recht fleißig. Ich gab mir keine Mühe, meine Leidenschaft für die Kunst zu unterdrücken; aber ich that nichts geflissentlich, diese Flamme zu nähren. Ich ließ es mit meiner Bestimmung auf den Wurf ankommen, den der blinde Zufall thun würde. Damals that ich alle meine Beschäftigungen auf der Schule mit großem Ernste.

Nach dortiger Gewohnheit pflegt ein Schüler von der Orgel herab, Sonntags Nachmittags, die Epistel und eine von dem Prediger entworfene Erklärung derselben in der Marktkirche abzulesen.

Dieß geschah mit einem Geplärr, worauf niemand hörte, so wie auch niemand etwas davon verstehen konnte.

[27] Recht sehr beschäftigte mich die Möglichkeit, ob nicht eine Stimme von unbeträchtlichem Gehalt, in dem ungeheuren Gebäude, ohne zu brüllen oder zu singen, in diesen Vortrag Deutlichkeit, Leben, Ueberzeugung und Interesse sollte bringen können.

Man sagt, der Versuch sey mir gelungen; wenigstens wandte sich die Gemeinde, so schwerfällig sie auch am Sonntag Nachmittag wegen der Tischfreuden zu seyn pflegt, mit einigem Antheil nach dem Leser um.

Dieser geringfügige Umstand gab den alten Ideen, als Prediger zu wirken, wieder neue Kraft. Ich rang meine Kunstleidenschaft nieder; und wenn auch die Dinge um mich her deßhalb in einem wehmüthigen Lichte erschienen, so war dieser Zustand dennoch mehr angenehm als unangenehm.

Ich gefiel wieder denen, an deren Wohlgefallen mir so herzlich gelegen war. Ich trug jedermann ein offnes Herz und den redlichsten Willen entgegen. So lebte ich eine schöne Zeit die selige Unbefangenheit der Kindheit. Es gab Augenblicke, wo ich recht froh und von der heitersten Laune seyn konnte.

Wer dieß Auf- und Niederwogen in meiner Seele – woher es kam, wohin es ging – nicht kannte, was konnte der von mir halten? Ich verarge es niemand, wenn er in diese Sprünge von Entschluß zu Entschluß, in diese bald trübe, bald frohe Laune, sich nicht finden, nicht begreifen konnte, wie harte Fehler und das wahre Gute neben einander stehen konnten. – Ausgesprochen wurde das Anathema: Er ist ein Heuchler und wohl noch mehr. Es ward in der Behandlungsweise, auf den Gesichtern sichtbar.

Man achtete meiner nicht, und ich wußte fast nicht mehr, woran ich mit mir war. Ich bekam Zweifel, Mißtrauen, Mangel an Achtung für mich selbst.

Nur Eine Seele hat nie den Glauben an mich verloren. Dadurch wurde die bessere Kraft in mir gerettet und erhalten.

Es währte lange, ehe ich den Muth hatte, dem, daß man meinem Herzen zu nahe trat, zu widerstreben. Ich fand wahrlich die meisten Fehler an mir. Aber ich fand nirgend Böses.

[28] Erst gerieth ich in Bitterkeit, endlich in Stumpfsinn und Fühllosigkeit.

In der Zeit las ich eine Nacht mit Anton Reiser, auf dem Steinkruge am Fuße des Deistergebirges, den Werther.

Das warf die helle Flamme in den Feuerstoff. Er loderte auf, und ich war nicht mehr Meister meines Willens. Nun fühlte ich manches Gute in mir lebendig, und daß es kein Mahl auf die Stirne drücke, ans der Bahn zu springen, in der hunderte gähnend schlendern.

Auf! dein Schicksal ruft, du bist Meister deiner Bahn! Wolle, zerreiß die Bande des Vorurtheils, laß nicht die Gewalt in dir von morschen Banden fesseln.

Ich sah Stella, Othello, Essex, Elfride, Clavigo. Jede Vorstellung riß mich fort zum Ziele hin.

Die öfteren Besuche des Schauspiels brachten Unordnung in meine ganze Verfassung, Unfrieden unter die Meinen, Aufhebung aller Hausordnung. Die ganze Meinung von mir war gesunken, diese Dinge rissen sie vollends nieder. Ich sah irgend einem Ausbruche von Bedeutung entgegen – ohne ihn abwehren zu können.

Den 21. Februar 1777 wurde die Vorstellung des Ehescheuen gegeben. Im dritten Akt wurde ich abgerufen. Da ich das Haus verließ, ahndete mir meines Schicksals Entwicklung.

An der Treppe vom ersten Rang Logen sah ich mit tiefen Seufzern über die rauschende Leine in die tiefe, stürmische Winternacht hinein. Krampfhaft umfaßte ich den Balken, und stand so still.

Meine Kraft vertrocknet, sagte ich mir, das zehrende Feuer ergreift das Gefäß – dieser Zustand muß enden. Als Schauspieler betrete ich dieß Haus – oder nie wieder, als bis ich es als Prediger betreten kann.

Und wahrlich das würde ich gehalten haben.

Ein Augenblick entschied noch denselben Abend.

Gereitzte Heftigkeit erregte die Gluth des Gefühls für das Bessere, das man nicht vorhanden wähnte.

Mein Loos wurde geworfen.

[29] Der halbe Zustand meines Wissens war mir unerträglich. Der Mißverstand, darin jedermann mit mir lebte, untergrub meine Lebenskraft. Das Jahr, die Akademie zu beziehen, war angetreten; ich hatte zu Hannover weder Freude noch Frieden mehr zu hoffen, nicht jetzt nicht künftig.

Ich durchkämpfte das alles eine lange Nacht hindurch – Vor dem Tode kann keine bängere Nacht hergehen.

Am Morgen früh bat ich um die Erlaubniß, eine Reise über Land zu machen – küßte die Hand meiner Aeltern, riß eine Zeichnung von meines Vaters Gesichte von der Wand – und ging halb sinnlos aus dem väterlichen Hause in die Welt.

Am Archiv, derselben Stelle, wo einst meines Vaters Schicksal sich entschieden hatte, blieb ich stehen – nicht um zu überlegen – nein – Gehe hin, dachte ich, in ein Land, das ich dir zeigen will, und schöpfte neuen Muth.

Die erste Tagereise geschah unter herzlichen Thränen, die zweyte mit ängstlicher Beklemmung.

Die schöne Gegend um Münden erhob mein Gefühl, und so minderte sich meine Angst.

Sehr wehmüthig schied ich an der Gränze von meinem Vaterlande. Ich fühlte, daß es für immer war.

An dieser Gränze besah ich das Bild meines Vaters, das ich mit dem Rahmen mühsam auf der Brust trug. Von der Bewegung hatte sich die Zeichnung in der Gegend des Auges etwas verschoben. Dieß sah aus wie verweinte Augen. Ach – wie hat mich das erschüttert!

In Frankfurt fand ich kein Theater. Herr Marchand war damals in Hanau. Er verwies mich zu der Truppe des Herrn Restricht nach Wetzlar.

Hoffnungslos verließ ich Hanau, zog vor dem Theater den Theaterkalender heraus, und wählte Gotha: das heißt – der Name Eckhof und mein Glaube an ihn zog mich dorthin.

Mit weniger Geld als ich nennen mag, mit mehr Mühseligkeit als man glauben wird, trug die Hoffnung meine Füße über Berg und Thal.

Auf der Brücke unweit Sättelstädt vor Gotha überdachte [30] ich meine Anrede an Eckhof. Des andern Tages stand ich vor ihm. Meine halbe Rede brachte ich vor; aber indem kamen alle Erinnerungen der Vorzeit über mich. Mellefont, Antiochus, Richard, Linzeus, Codrus, Tellheim, Orosmann – alle diese Gestalten stiegen vor mir auf, und hielten den Lorberkranz über Eckhofs Haupt. Ich mußte weinen – mein Herz betete den vollendeten Künstler an – aber ich konnte ihm nichts sagen.

Er reichte mir treuherzig die Hand – Durch alle Glieder fuhr mir die Weihe.

Seine Fürsorge entschied meine Anstellung. Ich verdanke es ihm ewig.

Den 15ten März 1777 habe ich auf dem herzoglichen Hoftheater zu Gotha zuerst die Bühne betreten.

Von dem unvergeßlichen Eckhof sah ich nur noch schöne Reste, dennoch einige Momente mit seiner ganzen Kraft ausgestattet, allmächtige Wahrheit in edlem Gewande, die tiefste Wirkung durch die einfachsten Hülfsmittel. Viele Stellen des Fürsten im Julius von Tarent, sein Sittmann im Ehescheuen, Billerbeck in Geschwind eh' es jemand erfährt, wurden mit voller Kraft von ihm noch gegeben. Ob überhaupt seine Kunst wirkte, oder mehr noch sein reges Gefühl, darüber will ich nicht entscheiden, denn er kann nicht mehr antworten. Allein das weiß ich, er konnte meine Thränen fließen machen wenn er wollte, und ich erinnere mich nicht, oder höchst selten, daß die Reflexion mir nachher Vorwürfe über meine Thränen gemacht hätte.

Böck hatte den Ton des feinen Weltmanns durchaus in seiner Gewalt, und oft rührte ein schöner schmelzender Ton und traf das Herz, wenn auch da, wo mehr der Ton der Ueberzeugung als der Rührung hätte herrschen sollen.

Zu gleicher Zeit entwickelte sich Beils Genie für das feine Komische. Wahrheit, Kraft, Leben und Feinheit seiner Gemählde war schon damals unverkennbar.

Mit vielen Hoffnungen, sehr treu gegen die Schwierigkeiten seines Faches kämpfend, fing zugleich mit mir Beck seine Laufbahn an.

[31] Was mich betrifft, so würde ich mehr als gewiß unter den Schwierigkeiten erlegen seyn, in welche mich Lebhaftigkeit, Voreiligkeit, Unmuth und Unerfahrenheit verwickeln mußten, wenn nicht mit eigner Güte ein sehr edelmüthiger Mann den wankenden Kunstliebhaber und Jüngling kraftvoll ergriffen und auf die rechte Bahn geleitet hätte:


Gotter!


Feier seinem Gedächtniß! Dankbare Thränen und kindliches inniges Gefühl heiligen den Kranz, den ich um seine Urne winden möchte!

Ihm verdanke ich alles, was man als Künstler an mir billigt, und so vieles von dem, was als Mensch das Glück meines Lebens ausmacht. Mit Unverdrossenheit leitete er meine Schritte, mit unermüdeter Geduld lenkte er mich von Abwegen, und mit Freundlichkeit ohne gleichen empfing er meine Rückkehr.

Edler Mann! Ich weiß nicht, ob du im Leben genug erkannt warest – aber ich weiß es, daß nie Haß und übler Wille in deine Seele kam, wie manche Härte du auch erfahren mochtest. Deine Hülle ist hinab gesenkt, mit ihr aller Mißverstand.

Dein Vaterland ehrt deinen Genius. Er handelt noch in deinen Zöglingen, und immerdar wird er leben in den Schöpfungen deines Geistes.

Oft und lebendig gedenke ich deiner, und manchmal umwölkt sich mein Auge, wenn mit deinem letzten Händedruck der letzte Blick deines sanften scheidenden Auges mir erscheint.

Beil, Beck und ich, uns nahe an Jahren, Heiterkeit und Wärme für die Kunst – wir lebten stets zusammen. Wir waren einer dem andern strenge Richter, und spotteten oft über uns selbst, bey Linkheiten, mißlungenem oder schiefem Ausdruck, ohne alle Schonung, erzürnten uns – und fielen bey der ersten kräftigen Wahrheit des Ausdrucks, den einer am andern wahrnahm, mit Rührung einander in die Arme.

Der schönen, herrlichen Zeit!

[32] Wir kannten die Welt wenig, ihre Verhältnisse und Schranken nagten und ängstigten uns nicht.

Rede und Frage, Streit und Resultat, Zweifel und Gewißheit über Kunst und Künstler – Genuß an diesem allen, Genuß der Dichtung, Leben und Weben in Kunst und Phantasie, in Natur, Freundschaft und Freude – das war unser liebliches Tagewerk. Manchmal standen wir Nachts auf, um über Kunstgegenstände zu reden. Wir stritten ohne streiten zu wollen. Die Nachbarn glaubten uns in unversöhnlichem Hader, und wir feierten mit lauter Stimme ein gefundenes Resultat. So wandelten wir denn zu Zeiten ohne Zweck, fast ohne Wissen, vor Tage noch in der Lebhaftigkeit der Unterredung vor das Thor hinaus. Wir kümmerten uns nicht um die Menschen, die uns begegneten, fragten nicht nach den Namen der Dörfer, die wir durchzogen, nicht nach dem Wetter, das uns sengte, durchnäßte und wieder trocknete, bis wir an einen Berg kamen, oder in einen Wald; dann hauseten wir in seinem Schatten, badeten in seinen Teichen, holten unser kärgliches Mittagsmahl aus der nächsten Hütte, oder gruben es aus frischem Boden, und lernten es in der Asche braten. – Die Nacht kam heran, der Mond leuchtete uns heim. Fröhlich und lebendig waren wir ausgezogen, fröhlich und lebendig kehrten wir heim.

Die Menschen begriffen uns nicht; aber wir waren sehr glücklich. Wir waren die glücklichsten Menschen im ganzen Herzogthum.

Selbst die kleinen und großen Verlegenheiten an barer Münze und Geldeswerth, welche, eben wie im akademischen Leben, jene Zeit so merklich auszeichnen, waren uns selten ein Gegenstand der Sorge, nie ein Gegenstand des Kummers, oft ein Fest der muthwilligsten Laune, des lauten Gelächters. Der entschiedene Mangel aller drey Kassen war ein Festtag. Dann wurden die Trümmer gesammelt, nicht reichere Gäste mit noch geringeren Trümmern geladen. Ein Junge trug den Korb mit der Hoffnung des Mittages voraus, die jubelnde Gesellschaft zog am frühen Morgen in das Siebeleber Holz, und lagerte sich in seinen Schatten.

[33] Nie, nie werde ich der Feiertage in diesem schönen Walde vergessen. Außer uns pflegte ihn niemand zu besuchen. An einer Quelle, welche gleich rechts vorn an im Walde entspringt, wurde gewöhnlich unser Mittagsmahl genommen. Das schöne, wohlhabende, milde regierte Land liegt da in fruchtbarer Ebne hinab – der Seeberg rechts – so wie die Schlösser der Gleichen – das freundliche Gotha links – der blaue Brocken schließt die romantische Ferne.

Eines Tages wanderten wir über die andere Seite des Berges hinab, querfeldein, und blieben die Nacht in Wegmar. Wir dachten an keinen Schlaf, zogen im Mondschein umher, und verweilten am Kirchthurme eines nahe gelegnen Dorfes. Der erste unaufhaltsame Perpendikelschlag der Thurmuhr machte uns still und ernst. In einer langen Pause sprach keiner von uns. Endlich erwähnte einer des Augenblicks, wo Hamlet den Geist erwartet. Jeder wurde von der Idee ergriffen, jeder folgte seiner Phantasie, keiner sprach. Wir hörten unsern Athem. Schauer des Grabes war über jeden verbreitet.

Die Räder knarrten in dem alten Thurme, die Glocke schlug – wir verließen einer nach dem andern die Stäte.

Vor dem Dorfe sammelten wir uns, und sprachen über Leben, Lebenswerth, und wie man den Augen blick festhalten müsse – vieles, was Wahrheit und Herzlichkeit hatte.

Der andere Tag war schön, und wurde wieder im Siebeleber Holze verlebt.

Wir waren hier zu Hause, lasen, scherzten, ruheten, lernten Rollen und spielten sie dort, jeder von dem andern abgesondert.

Diesen Nachmittag wurde von Siebeleben eine Bank herauf getragen und an das Ende des Waldes hingesetzt. Die Träger verloren sich ohne uns zu bemerken.

Vergeblich verloren wir uns in Vermuthungen, als endlich an der Waldspitze einer der benachbarten Kirchenräthe sichtbar ward.

Er stand stumm, starr und unbeweglich. Die zerstreuten Kleider, die Hüte auf Stangen – die Menschen, welche tragische Verwünschungen im Nachtgewande mit Begeisterung hersagten – der sonderbare Hausrath um das brennende [34] Feuer – alles schien ihm sehr zuzusetzen. Wir reiheten uns und begriffen ihn nicht. Beide Theile sahen sich unbeweglich an. Da trat in züchtigem Schritt seine weibliche Familie den Berg heran – Um die Zeit wandte er sich – winkte aus der Ferne ihnen zu abwärts zu gehen, drehte sich mühsam um, ging feierlich ihnen nach und mit ihnen hinab, wo er hergekommen war.

Eine Weile nachher holten die Bauern die Bank weg, und sahen mißtrauisch nach uns herüber.

Es war nun klar, daß die geistliche Familie auf dieser Breterbank die schöne Natur hatte genießen wollen, und daß unsere bunte Gruppe dem ehrwürdigen Manne ein arger Spuk zu seyn gedünkt hatte. Wir lachten viel darüber und trieben unser Wesen weiter.

Mühsam kletterten wir auf Bäume, um trocknes Holz für unser Nachtfeuer am kühlen Abende zu holen. Schleppten es mit Lärm und Gesang herbey, und sahen die helle Flamme in die Höhe steigen.

Das ahndeten wir nicht, daß wir an diesem Tage zum letzten Male hier seyn sollten.

Der Tag endete besonders feierlich. Von frohen Spielen und einem Gange auf den Seeberg ermüdet, lagerten wir uns um das Feuer. Da saßen wir, versunken in die Natur um uns her. Der rief eine Erinnerung seiner Vorzeit herauf – jener eine Geschichte von Ernst dem Frommen – einer eine Erzählung vom Grimmenstein – Hier lasen wir Wielands Mönch und Nonne auf dem Mittelstein – sanken in Stille und Ernst – sprachen von unsrer Zukunft – von aller Zukunft – von Unsterblichkeit der Seele – und reichten uns dann mit süßen Thränen die Hand zum Bunde der Freundschaft über das Gras hinaus.

Wir gingen den Abend in ernsten Gesprächen zur Stadt zurück. Es war, uns unbewußt, eine Abschiedsfeier von jenem schönen Wäldchen, unter welchem nachher keiner von uns wieder gewandelt hat.

Einer sonderbaren Begebenheit will ich erwähnen, welche uns damals begegnet ist.

[35] Jene nächtliche Scene am Kirchhofthurme unweit Wegmar hatte einen tiefen Eindruck in uns hinterlassen. Wir sannen darauf, ob nicht auf dem Theater, wenn Hamlet auf dem Kirchhofe den Geist erwartet, der Perpendikelschlag angebracht werden könnte, der uns so sehr erschüttert hatte. Wir theilten dem Theatermeister unsere Ideen mit. Hatte er uns, so ein vernünftiger Mann er sonst auch war, nicht gehörig begriffen, oder mischte sich am Ende ein muthwilliger Genius in diese Sache, dessen entsinne ich mich nicht mehr ganz genau.

Hamlet wurde gegeben. Er starrt dem kommenden Geist entgegen. Eckhof, als Geist, trat auf – Hamlet schauderte vor den Geheimnissen der Ewigkeit. Der Geist hebt an zu reden.

Indem hört man ein sehr widriges, einförmiges Geklapper, nahe, laut – und das ganze Publikum lacht.

Hamlet sieht einwärts und wüthet – der Geist sieht auf der andern Seite hineinwärts und flucht.

Von diesem allen nicht unterrichtet, schlägt der Theatermeister in gleichförmigem Tempo aus freyer Hand mit einem eisernen Stabe unermüdet an zwey Bretchen, welches denn der Perpendikel in der Dänischen Hofkirchenuhr seyn und vorstellen sollte.

Das lachende Getöse im Publikum nimmt zu – das Fluchen Hamlets und des Geistes nimmt vollends überhand.

Die Acteurs, die Arbeitsleute fahren den Theatermeister an, was um Gottes willen er doch nur für ein verruchtes Geklapper treibe?

Er antwortet ruhig lächelnd – »Etwas ganz neues! Hier geht der Perpendikel.«

Da man ihn indeß von der wüthenden Stimmung der ersten tragischen Personen unterrichtet, von dem gellenden Gelächter der Versammlung, so stand seine Zukunft am Ende des Akts hart vor ihm. Er fing an sich zu vertheidigen. Da er aber in der Lebhaftigkeit des Gesprächs unbewußt mit dem eisernen Stabe von einem Brete zum andern schneller schlug und immer schneller, so ging das Skandal aufs Aeußerste.

Da nun auch die lachten, welche gekommen waren, ihm [36] Vorwürfe zu machen, so citierte er endlich uns als seine Autoritäten, gerieth aber dabey so in Wuth, daß er immer heftiger trommelte. Das Gelächter nahm zu, der Geist verschwand – und der unten noch den alten Schatzgräber spielen sollte, fluchte so irdisch, daß wir, der Perpendikel und sein Lenker die Flucht nahmen.

Nach dem Akte vereinigten sich Hamlet und der Geist in so fern, daß sie über die Entflohenen das Anathema aussprachen. Bald veruneinigten sich aber auch diese beiden, indem Hamlet darüber, daß der Geist seinerseits gehustet hatte, welches dem Perpendikelschlage des Theatermeisters gleich zu achten sey, in Zorn ausbrach. Eckhof, als Geist, erwiederte: Der Geist, welcher reden kann, kann auch husten.

Das Gothaische Theater, welches nach der damaligen Einrichtung ohnehin aus einem schwachen Personal bestand, verlor nach und nach manchen guten oder angenehmen Künstler. Da nun auch im Junius 1778 Eckhof gestorben war, so verlor diese Bühne neben dem innern Werth auch an äußerm Glanz und Rufe.

Die damalige Regie derselben war nicht bemüht genug, mit dem Geiste der Zeit vorwärts zu gehen. Daher entstand eine gewisse Einförmigkeit, welche das Vergnügen stört.

Dieß ist mir die wahrscheinlichste Ursache, welche Ostern 1779 den regierenden Herzog bewogen haben mag, sein Theater unvermuthet und auf Einmal zu entlassen. Da es ihm nicht hoch zu stehen kam, ihm keine eigentlich verdrießliche Augenblicke, und dem Publikum viel Vergnügen gemacht hat, so weiß ich keine andere Ursache.

Es ist mir begreiflich, daß dieser Fürst, als ein feiner Kenner, kein Vergnügen mehr an einem Etablissement hatte, welches mehr und mehr herab gesunken war, und daß es seine Geduld erschöpft hat, eine auf alle Fälle kostbare und langsame Verbesserung des selben abzuwarten.

Michaelis 1779 wurde das Gothaische Hoftheater aufgehoben. Das Publikum verlor dieses Vergnügen sehr ungern. Mit dankbaren Erinnerungen schieden die Schauspieler von einem freundlichen Publikum. Es sey mir verstattet, hier, [37] wo ich von jenem Theater scheide, ehe ich zu der Manheimer Bühne und damit zu einer andern Epoke übergehe, ein Wort über die älteren und neueren Deutschen Schauspieler zu sagen.

Unstreitig waren die Schauspieler der älteren Zeit in Ausführung ihrer Rollen sorgfältiger, präciser, und mehrentheils unterhaltender, als die neueren es sind. Die Stücke, worin sie aufzutreten genöthigt waren, hatten weniger Handlung, mehr Verflößung der Charaktere in Dialogen, als in grellen Zügen. Schon darum waren die Schauspieler verbunden, wenn sie anders interessieren wollten, ihre langen Reden nicht bloß zu erzählen, sondern durch das Leben, das sie hinein zu legen sich bemühten, ein wirkliches Menschengemählde zu schaffen.

Die ehemaligen Parterre wollten doch auch von der Nothwendigkeit einer Handlung überzeugt seyn. Stufenweise mußte der Dichter und Schauspieler handeln, und so den Antheil des Auditoriums gewinnen.

Dieß setzt, wenigstens in den ersten zwey Akten, Ruhe voraus; aber Ruhe ohne Kälte, Ruhe, von jenen Kleinigkeiten angenehm belebt, welche das Geschäftsleben oder den Weltton charakterisieren. Diese Aufgabe ist nicht leicht.

Eckhof fürchtete die Folgen der Shakspearischen Stücke auf Deutschen Bühnen. Er sagte mir einst: »Das ist nicht, weil ich nichts dafür empfände, oder nicht Lust hätte, die kräftigen Menschen darzustellen, die darin aufgestellt sind; sondern weil diese Stücke unser Publikum an die starke Kost verwöhnen, und unsere Schauspieler gänzlich verderben würden. Jeder, der die herrlichen Kraftsprüche sagt, hat dabey auch gerade nichts zu thun, als daß er sie sage. Das Entzücken, das Shakspeare erregt, erleichtert dem Schauspieler alles. Er wird sich alles erlauben, und ganz vernachlässigen.« So sagte er, und leider hat er nicht sehr Unrecht gehabt. Wie oft ist Geschrey für starken Ausdruck, Grobheit für Kraft, Roheit für Natur, und Uebertretung all und jeden Wohlstandes für Eigenheit gebraucht worden!

Unsere heutigen Theater können die Stücke von Marivaux und Destouches nicht so geben, wie die Schauspieler vor fünf [38] und zwanzig Jahren auf dem Ackermannschen und Seylerschen Theater sie geben konnten.

Wie angenehm war nicht der respektuöse Anstand, die feine Galanterie, womit man damals in der Darstellung gegen die Frauenzimmer sich betrug! Mit diesen gehen oft die Dichter, und noch öfter die Schauspieler, jetzt unsanft um und hart. Kaum daß sie eines Seitenblicks sie würdigen, und selten gehen sie ihnen aus dem Wege, wenn diese ihren Platz ändern.

Man zieht sich an, stellt sich hin, sagt seine Lection her, läßt, ohne sich umzusehen, Einheimische und Fremde ins Zimmer kommen, wartet seine Kraftscenen ab, nimmt dann an nichts mehr Theil, zerrt, wenn es hoch kommt, das gnädige Fräulein wie ein Stubenmädchen, Brust an Brust, herum, begegnet dem herein kommenden Vater wie dem Johann – und wenn das alles nur mit Force geschieht – so steht alles wohl und gut.

Ich hoffe nicht, daß man mir die Albernheit zutrauen werde, als habe ich sagen wollen, es hätten keine Stücke von Shakspeare gegeben werden sollen. Aber daß sie eine lange Zeit ausschließlich gegeben worden sind, daß man nichts als Stücke in diesem Zuschnitt, und endlich Ritterstücke gegeben hat, dadurch sind Publikum und Schauspieler entwöhnt, jenen Menschen- und Seelenzustand darstellen zu sehen, der doch wahrlich Herz und Verstand sehr interessiert, wenn er auch nicht stets in Sturm und Drang an den äußersten Enden schwebt. Hat bey der verstärkten Manier irgend eine Vorstellungsart gewonnen, so ist es, sollt' ich meinen, das Fach der hochkomischen Charakterrollen. Die Darstellungen in denselben werden seitdem von manchen nicht, wie sonst, in einer Manier, sondern vielmehr mit ganz eigner Individualität und Wahrheit gegeben.

So ist auch ein gewisser Zunftgeist verscheucht, der sonst überall, auch selbst im Privatleben der Schauspieler, besonders von Aelteren gegen Jüngere, zu walten pflegte. Bey unserm Anfange spukte dieß Phantom, eine Mischung von Handwerkshochmuth und hängen gebliebenen Staatsactionen, noch gewaltig. Manchen jungen Künstler hatte dieses Unwesen scheu gemacht, hatte ihm bittere Thränen gekostet.

[39] Wir ehrten das Talent mit Innigkeit; aber jene Unform, jene todte tragische Larve, wenn eine Blähung sie ins Privatleben übertrug, wollten wir an dem bedeutenden Manne nicht bemerken, wir verspotteten und verlachten sie laut, wenn ein Wicht darin zu erscheinen wagte. Die Vernunft gewann, der Ton änderte sich, und viele konnten es nicht begreifen, weßhalb eine Sache, die sie früher hätten verlachen sollen, ihnen jemals Kummer gemacht hatte.

Durch eine fehlerhafte Kopie von Eckhofs Gutem und eine sklavische Kopie seiner Fehler, vielmehr seiner Gebrechen, welche man neben dem Guten zu sehen so lange gewohnt war, hatte ich nach seinem Tode dem Gedächtniß an ihn Nahrung gegeben. Das Fach der hochkomischen Alten, welches ich übernehmen mußte, erleichterte mir dieß.

So wie die Rede von Entlassung des Theaters war, legte ich plötzlich diese fehlerhafte Weise ab, ging, so gut ich es vermochte, nun gleich meinen eigenen Weg, um ihn anderwärts fortzusetzen.

Zwey Wochen nach aufgehobenem Theater zu Gotha kamen Briefe des Freyherrn von Dalberg aus Manheim an die Gemahlin des Gothaischen Ministers von Lichtenstein, worin jener, Namens des Churfürsten von der Pfalz, fast das gesammte Theater von Gotha dorthin zu engagieren den Antrag machte, worin auch ich begriffen war.

Ich hatte dazu keinen Sinn. Hamburg – Schröder – das Theater, dessen herrliche Darstellungen so oft mich entzückt hatten – dahin ging mein Wunsch. Ich schlug das Anerbieten von Manheim geradezu ab.

Es kam ein Bevollmächtigter des Herrn von Dalberg nach Gotha, um die Engagements in der Form abzuschließen. Diese wurden auch mit Beil und Beck vollzogen. Ich allein schlug die wiederholten Anträge aus. Ich hielt es für ein Vergehen, meine Dienste nicht dem Hamburger Theater zu widmen, welches ich als meine erste Schule betrachten konnte.

Ein zufälliger Umstand entschied in dieser Sache. In eben derselben Zeit fuhren wir drey eines Tages nach Eisenach. Wir tranken Kaffee auf der Wartburg. Es war ein heitrer [40] Frühlingstag. Wir besahen diese alte Burg von allen Seiten, wandelten in den alten Mauern umher, und überließen uns dem Eindruck, den die fremden Gegenstände auf uns machen mußten. Wir ruheten zuletzt in den Fenstern eines Erkers. Gerade dazumal leuchtete die Sonne so milde hin über den Wald unter uns und die lange Heerstraße nach Frankfurt zu. – Es war ein abenteuerliches Gefühl, womit wir dieß alles genossen. Ich war sehr still; aber desto reger und lauter sprachen die andern von ihrer bevorstehenden Reise nach Manheim, daß sie nun bald alle diese Straße, die da unten sich vor uns hinschlängelte, ziehen, und den Rhein begrüßen würden.

So sollte denn nun ich allein über Heilgenstadt, Dingelstadt und die Lüneburger Heide an die Elbe hinziehn, wo kein Wein wächst?

Da sah ich den Mönch und die Nonne – die Felsen, über welche Wieland gedichtet hat – dachte an den Bund der Freundschaft im Siebeleber Holze – sah die Straße nach Frankfurt an – wir umarmten uns – ausgestrichen wurde die Reise nach Hamburg, zugesagt für Manheim, andern Tages in Form unterschrieben, und von nun an lebten wir nur für diese Reise. Wir fluteten auf dem breiten Rheine, ruheten im Schatten der Weinberge, bestiegen die Ritterburgen – ach – wir lebten im Vorgefühl aller dieser Dinge das schönste halbe Jahr.

Gegen Ende desselben legte ich einen Besuch, den ersten seit meiner etwas eigenmächtig gewählten Laufbahn, bey meinem ehrwürdigen Vater ab.

Wie steht er noch heute vor mir, dieser ängstliche, feierliche, schöne Tag!

Vatersegen weihete mich ein, nach Manheim zu wandeln.

Ich rücke den Vorhang sanft wieder vor dieses Gemählde hin. Wenn ich nicht mehr seyn werde, wird man von diesem Manne, und dann auch von diesem Tage, lesen, was gute Menschen nahe angeht.

Je näher es auf Michaelis zuging, je mehr ward uns dennoch bange vor unsrer Zukunft in Manheim.

[41] Wir freueten uns auf eine Stadt, welche dafür bekannt war, in den bildenden Künsten guten, sehr guten Geschmack zu besitzen. Da aber der Hof so lange ein gutes Französisches Theater neben der trefflichen Italiänischen großen Oper gehalten hatte, viele Franzosen und Italiäner dort in Diensten oder ansässig waren, Manheim selbst so nahe an Frankreich liegt; – so fürchteten wir uns, man möchte dort mehr Grazie als Wahrheit von uns verlangen. Zwar waren wir uns bewußt, der Wahrheit, welche mir fühlten, nicht den härtesten Ausdruck zu geben; allein wir fühlten doch auch den Mangel an körperlicher Beredsamkeit, wenn ein Publikum ausschließlich von diesem Standpunkte ausgehen wollte uns zu beurtheilen.

Ich erinnere mich, daß Beil und ich oft scherzten, und mehrere Scenen unserer Rollen im outrierten Französischen Style auf dem Zimmer uns vorspielten. Die Zankscene zwischen Gröbing und Billerbeck aus Geschwind eh' es jemand erfährt, probierten wir einst in dieser Manier bey einem Spaziergange um Mitternacht auf dem Markte zu Gotha. Wir fanden uns links, lachten uns aus, und so wurde denn endlich fest beschlossen, daß wir in unserm Wesen bleiben und so zu Manheim auftreten wollten.

Da wir nun vor dem Churfürsten von der Pfalz auftreten, von ihm besonders unser Ruf und Schicksal abhängen sollten; so suchten wir sein Bildniß zu bekommen, um aus seinen Zügen die Wahrsagung zu finden, welchen Eindruck unser Spiel auf ihn machen oder nicht machen würde. Endlich wurde seine Abbildung auf dem Jahrmarkte bey einem Bilderhändler aufgefunden. Dieses Gesicht flößte mir Vertrauen ein, und wir alle besahen es mit einem Interesse, wie ein Fürst das Bild seiner Geliebten, die er noch nicht kennt.

Die Reise nach Manheim war fröhlich, laut, muthwillig. Die Ueberfahrt über den Rhein bey Oppenheim erfüllte uns mit freudigem Entzücken. Wir sangen Jubellieder, als die Strömung unsere Fähre vom Ufer wegbrachte. Aber kaum waren wir herüber und die Fähre wieder hinüber, so ward ich still und ernst. Ich dünkte mich nun von [42] Deutschland getrennt; ich fühlte tiefer, wie ich so fern von geliebten Menschen weggekommen war; ich war durchaus außer Deutsch land! – Damals ahndete es noch niemand, daß das einst wirklich so seyn würde. Auf dem ganzen Wege war ich von nun an nicht mehr fröhlich, und konnte kaum lächeln zu den gewöhnlichen Scherzen, als wir das letzte Nachtlager in Worms hielten.

Unser Einzug zu Manheim geschah an einem Sonntag früh. Es regnete und war ein kalter, düstrer Tag. Die meisten Menschen waren in den Kirchen, daher schien die Stadt mir leer. Ich warf mich in das erste beste Logis.

Da war ich nun, ohne einen Führer, ohne einen Bekannten – Es war trübe in meiner Seele, und ich fand nirgends die Stelle, wo ich hätte eine Hütte bauen mögen.

Doch das Getümmel, das des andern Tages, wo eben Messe war, in der Stadt entstand, ein großer Vauxhall, wo ich die Menschen sehr leicht und fröhlich fand, die Musik, der Gesang, die überall in Stadt und Land mir entgegen tönten, dieß alles machte bald einen fröhlichern Eindruck auf mich.

Der Churfürst sollte nun das erste Schauspiel von diesem neuen Theater sehen. Der Intendant, Herr Baron von Dalberg, versammelte also diejenigen von uns, mit denen etwas zu überlegen war, bey sich. Der Baron Otto von Gemmingen, der Hof-Kammerrath Herr Schwan, der um die Deutsche Litteratur in der Pfalz sich sehr verdient gemacht hat, und der Direktor Herr Seyler waren dabey gegenwärtig. Jeder durfte dabey von seinen Wünschen reden, wurde nicht nur gehört, sondern man suchte ihm zu begegnen.

Gern wollte man die zuerst erscheinen lassen, deren noch nicht ausgebildete Talente am meisten die Wärme des ersten guten Willens bedurften. Deßwegen wurde beschlossen, daß das churfürstliche Nationaltheater zu Manheim mit dem Lustspiele: Geschwind eh' es jemand erfährt, von Bock nach Goldoni, eröffnet werden sollte. Wir sahen vorher alle edlen und schönen Institute, die der Churfürst Karl Theodor mit freygebiger Hand den Wissenschaften gewidmet hat.

[43] Er hat bey dem Antritte seiner Regierung so vieles noch in Ruinen gefunden, nach seiner vieljährigen Regierung ist so manches jetzt wieder zertrümmert worden, und dennoch ist so vieles noch erhalten worden, dessen ich mich mit freudiger Rührung erinnere. Der Kunstfreund findet überall seine Spur, in seinem Thun seine Gesinnungen. Der Nachwelt wird sein Name gegenwärtig seyn. Sie fröhnt nicht dem Geiste des Augenblicks; indem sie scheiden wird, was auf seine Rechnung gehört, was nicht darauf gehört, was er wollte, wo und warum sein Wille manchmal gehemmt, entstellt wurde, wird sie Karl Theodor einen Platz anweisen, der ihm gebührt.

Dieser Churfürst ist unter den wichtigen Deutschen Fürsten der erste, welcher schon vor langen Jahren für Deutsche Litteratur sich laut entschieden, sie unterstützt, geehrt hat. Er setzte sich aus eigenem Triebe in Verbindung mit Deutschen Dichtern. Einige haben sein Entgegenkommen so kalt aufgenommen, daß die Beharrlichkeit dieses Fürsten eben so für sein Herz, als für seinen Geist spricht.

Er war der erste Deutsche Fürst, der das Französische Theater entließ, und ein Deutsches Hoftheater errichtete. Er zuerst hat 1775 Deutsche große Oper gegeben, und dieses bey den Hoffeierlichkeiten 1776, 1777, fortgesetzt. Sein Zweck bey Errichtung der Deutschen Gesellschaft zu Manheim ist unverkennbar.

Für die Belebung des Handels befahl er den Rheinkanal zu Frankenthal zu erbauen. Dieses Werk ist eines Römers würdig.

Doch ich vergesse, daß ich nicht die Geschichte dieses gütigen Fürsten, sondern ein Wort über meine theatralische Laufbahn zu schreiben, mir vorgesetzt habe. Nur etwas sey mir noch vergönnt von ihm zu sagen. Er, der wohlwollendste Pflegevater aller Künste, hat Kälte und Undank von manchem Künstler erfahren müssen. Allein weit größer ist die Zahl derer, welche mit reger Dankbarkeit fühlen, was sie ihm schuldig sind. Ich bin nicht der letzte unter diesen. Fern von seinem Throne sey mir ein Wunsch verstattet, welchen reine Erkenntlichkeit mir abdringt.

[44] Wenn, durch weitläuftigere Geschäfte aus dem nahen Gesichtspunkte seit Jahren fortgerückt, Habsucht seine Milde entstellte, eine rauhere Hand in seine feinere Lenkung gegriffen, fremde Gewebe seine Plane verdunkelten, Schwärmerey auf jeder Seite die Züge seines Gemähldes undeutlich hatte machen wollen – ist es dann billig, des Unmuths zu vergessen, den dieser geprüfte Menschenkenner über die Menschen, über eignen Kummer und die Geschichte seiner Tage so oft empfinden mußte? Die, welche ihn kennen und die Details, wissen, wie wahr dieß gesagt ist.

Innigst würde es mich erfreuen, wenn ich durch die Berührung der Geschichte dieses Fürsten jemand einst oder jetzt sollte haben vermögen können, sie kräftig zu schreiben. Das Leben eines so wohlwollenden Mannes bedarf des Weihrauchs nicht, und Wahrheiten werden es nicht entstellen.

Sollte durch ein solches getreues Gemählde ein schwarzer Schatten mit Recht auf andere fallen können, so wäre das eine Genugthuung für Karl Theodor, die jedem guten Menschen bey seinem Leben gebührt.

Dieses Schauspiel errichtete und hielt der Churfürst mit beträchtlichen Kosten deßhalb in Manheim, weil er dieser Stadt ein Vergnügen nicht rauben wollte, welches er dadurch, daß er sein Hoftheater und die Kapelle nach München mitzunehmen genöthigt war, hätte stören müssen. Auch hielt er es in Ansehung der Fremden mit Recht für einen Nahrungszweig der Stadt, den er erhalten wollte.

Die erste Vorstellung wurde angesetzt. Wir bereiteten uns fast gar nicht darauf vor, denn wir sahen es für entschieden an, daß wir nur wenig gefallen würden. Harmlos, mit guter Laune und – dadurch vielleicht mit einer gewissen Eigenheit, traten wir auf.

Der Churfürst und das Publikum fanden Vergnügen an der ungeschminkten Wahrheit unserer Darstellung; sie bewiesen es uns mit steigender Lebhaftigkeit und Wärme. Diese Aufnahme erhöhte unsere Kräfte. Die Fortdauer derselben entwickelte in kurzem, fast auf der Stelle, manches Vermögen, dessen wir uns vorher nicht bewußt waren. Das Feuer [45] für die Kunst, die Liebe für unsere jetzigen Verhältnisse, wurde mit jedem Tage mehr und mehr beseelt.

Die Stelle eines Intendanten der churfürstlichen Schauspiele war bis daher mit einer ansehnlichen Besoldung begleitet gewesen. Der Freyherr von Dalberg schlug diese aus, bezahlte sogar seine eigene Loge im Schauspielhause, und übernahm aus reinem Kunsteifer die mühsame Führung der Intendanz. Er ließ alles, was Kunst und Künstler betraf, sich mit einem Eifer, einer Sorgfalt für die kleinsten Details angelegen seyn, welche unmittelbar zum Zweck der möglichsten Veredlung des Ganzen führen mußten.

Herr Seyler war als Direktor angestellt worden. Seine Erfahrung, seine Kenntnisse, wodurch so mancher bedeutende Künstler berichtigt und gebildet worden ist, die glühende Liebe für diese Kunst, welcher er so manche und kostbare Opfer gebracht hatte, machten diese Wahl zu einem schönen Geschenk für die Bühne. Seiner Zurechtweisung, seiner feinen, gründlichen, nicht schonenden, aber nie bittern Kritik, lernten wir vieles verdanken.

Unverwandt beobachtend war sein Platz zwischen dem Proscenium und der ersten Coulisse. Es war Lob, Anfeuerung, Belohnung, wenn man ihn da ausdauern sah, ein warnender Tadel, wenn er seine Lorgnette einsteckte, eine Bestrafung, wenn er seinen Platz verließ.

In seinem Umgange verlebten wir frohe Stunden, und er gab sie mit der heitern Laune eines Jünglings.

Die Kunstausstellungen der Madam Seyler waren in einem hohen edlen Style. Sie gebot über Verstand und Empfindung.

Madam Brandes war damals noch im Besitz der Gewalt, die Gefühle mit sich fortzureißen. Ihre Ariadne war das würdige Gegenstück zur Medea der Madam Seyler.

Mißverstand zwischen beiden Künstlerinnen, deren jede doch die andere ganz anerkannte, veranlaßte Parteyen im Publikum. Hieraus entstand niemals ein unangenehmer Augenblick im Schauspielhause; das Publikum war gerecht und erkenntlich gegen beide Künstlerinnen: aber das häusliche Vergnügen beider Familien wurde desto tiefer zerrüttet.

[46] Da Madam Seyler manche Rollen übernehmen mußte, welche nicht vortheilhaft für sie waren, ein Fall, worin Madam Brandes nicht seyn konnte, da sie das erste Liebhaberinnen-Fach ausschließlich besetzte; da manche ihrer Tochter, der reitzenden Minna Brandes, Verehrung bezeigen zu können glaubten, wenn sie gegen die bedeutende Rivalin sich erklärten: so ward die Partey, ohne Brandes eigentliche Schuld, für diese überwiegend, zu Seylers Nachtheil.

Dieses Verhältniß verursachte der Intendanz große Unannehmlichkeiten, und endete zum Theil dadurch, daß die Familie Brandes einem vortheilhaften Rufe folgte, und die Manheimer Bühne verließ. Indeß schrieb der größere Theil des Publikums, welches nicht anders unterrichtet war, diesen Abgang auf die Rechnung von Seylers Unverträglichkeit. Die ungünstige Stimmung gegen diese nahm also um so mehr zu, je weniger Seylers Umgang und Verhältnisse mit dem Publikum hatten, wodurch dieses hätte berichtigt werden können, wie es sonst wohl in dergleichen Fällen geschehen mag.

Der Antheil des Publikums neigte sich nun ganz auf die Seite einer gewissen Toskani.

Als eine Schülerin der Madam Seyler, vergaß sie alles, was sie diesem Hause schuldig war, so bald und so sehr, daß sie auf einer Probe, bey einer kaltblütigen, vorsetzlichen Uebertretung der Theatergesetze, auf die ruhigste Zurechtweisung des Direktors Seyler, mit steigender Unart und so hämischer Kälte und offenbarem Hohn antwortete, daß der gekränkte, vom Gefühl des schändlichen Undanks überwältigte, lebhafte Mann, da sie eben eine boshafte Tirade ihm dicht unter die Augen sagte – sich vergaß und mit der Hand antwortete. Dem Freyherrn von Dalberg, welcher Seylern ehrte und liebte, war dieser Vorgang äußerst schmerzlich.

Auf höhern Befehl wurde eine Comitee von churfürstlichen Räthen niedergesetzt. Es wurden Zeugen verhört, Protokoll formiert und abgeurtheilt. Die Familie Seyler wurde nach den Theatergesetzen »wegen unsittlicher Aufführung« entlassen. Die Toskani zahlte »wegen Widersetzlichkeit« [47] eine Wochengage Strafe. Der Ausspruch wurde von dem Staatsminister von Oberndorf bestätigt. Der Buchstabe des Gesetzes hatte entschieden.

Ob aber Seyler, der vier Jahre vorher mit seinem Theater von Dresden nach Manheim berufen wurde, deßhalb alle dortigen Verbindungen zerrissen hatte, und der, da er eben mit seinem ganzen Theater sich auf den Weg nach Manheim begeben wollte, die Zuschrift empfing: »sein mit Manheim errichteter Kontrakt könne nicht mehr Statt finden, da sein Personal nicht mehr dasselbe, wie bey Abschließung des Kontrakts, sey, (etwas von dessen Vorausbedingung im Kontrakte selbst kein Wort stand) man habe statt dessen die Truppe des Herrn Marchand zum Hoftheater gewählt;« der deßhalb sich auf gut Glück in Frankfurt etablieren, und endlich das Seine aufopfern mußte – ob dieser Mann deßhalb nicht eine andere Rücksicht verdient hätte, wenn besonders die erwiesene, von Zeugen bestätigte, offenbare, vorsetzliche, injurierende Reitzung und Widersetzlichkeit der Gegnerin mit dem Verlust einer Wochengage als ausgeglichen erachtet werden konnte – das überlasse ich der Ueberzeugung jener Comitee, welche freylich den Buchstaben des Gesetzes in Seylers Vergehen furchtbar gerächt hat.

Das Publikum, so wenig es für Seylers gestimmt war, urtheilte anders. Es belegte die Toskani mit der Gleichgültigkeit, welche sie verdiente. Von niemand beachtet, wurde sie ein Jahr darauf durch Entlassung dem Ueberdruß der Zuschauer entrissen.

Bey unserer Ankunft in Manheim waren schon viele Familien zu dem Hoflager des Churfürsten nach München abgegangen; dennoch waren diese kaum die Hälfte von denen, welche überhaupt dazu bestimmt waren. Manheim war Anfangs noch sehr lebhaft; und da die Fremden noch in der vieljährigen Gewohnheit waren, diese glänzende Residenz zu besuchen, die benachbarten Fürsten theils noch Wohnungen dort hatten, oder doch oft hinkamen, so gab es Tage, besonders bey Anwesenheit des Churfürsten, wo die Stadt ein sehr fröhliches und sogar noch ein prächtiges Ansehen hatte.

[48] Allein da nach und nach immer mehrere Familien nach München ziehen mußten, so verlor sich alles dieses merklich. Gegen Anfang des Jahres 1781 war es auffallend leer geworden. Man rechnete auf vier tausend Menschen, welche nach München gezogen waren. Die Hoffnung von beständiger Rückkehr des Hofes, womit die Pfälzer, welche den Churfürsten nicht vergessen konnten, sich bis dahin immer noch geschmeichelt hatten, war nun gänzlich verschwunden.

Eine sichtbare Freudenlosigkeit war über die Stadt verbreitet; viele Gewerbe des Luxus standen still, mehrere gingen ein; von den Fabriken zu Frankenthal verlosch eine nach der andern; mehrere zur Ruhe gesetzte Hofdiener, welche dem Hofe nicht nach München folgen konnten oder mochten, schränkten sich sehr ein; Einschränkung war die allgemeine Losung.

Da nun auch die churfürstliche Hofkammer mehrere Einschränkungen verordnete, und deren Mitglieder in den Gesprächen des Privatlebens noch engere Einschränkungen vermuthen ließen: so sprachen einige diese angstvolle Losung aus wahrem Bedürfnisse, andere aus Nachahmung, viele aus einer geglaubten Politik, alle, weil es nun einmal überall Sitte geworden war, dieß Wort zu gebrauchen. Es verbreitete sich ein Geist des Kleinmuths, der Kleinlichkeit, welcher gegen alle Lebensfreude strebte.

Die allgemeine Stimmung war nirgend fühlbarer als im Theater, und hier war sie sehr drückend. Diese Periode, so sehr im Widerspruch mit unserm fröhlichen Anfange, war beengend und ängstlich. Das Theater ging zwar seinen Weg damals fort, aber ohne Ermunterung, ohne Kraft, ohne Freude, in der gewohnheitsmäßigen, nicht geachteten Anstrengung alltäglicher Tagewerker.

Eine glänzende Erscheinung hatte vorher im Jahre 1780 alles in Leben und Bewegung gesetzt:


Schröder!


Er kam auf seiner Reise von Wien über München nach Manheim. Die Erwartung, die Freude in der Stadt war [49] groß, größer die unsrige; allein nichts glich der Sehnsucht, womit ich ihn erwartete.

Ich war eben krank, und durfte das Zimmer nicht verlassen. Ich beneidete jeden, der ihn zuerst sehen konnte. Er hatte die Güte, mich zu besuchen. Ich zitterte vor Freude, ich konnte kaum reden. Niemals hat die Weihe des Papstes einen Gläubigen in eine höhere Schwärmerey versetzen können, als die war, wozu mich seine mir dargereichte Hand erhob. Er war es, Er selbst! Er, den ich so oft bewundert hatte; der meine Gefühle mit sich fortgestürmt hatte, wohin er wollte; in dessen Tempel ich das glühende Gefühl für die Kunst empfangen, genährt hatte; dem ich gefolgt, in den Weg gegangen war, wie ein Liebhaber seiner Geliebten! Ich konnte mir sagen – Schröder weiß von mir; er kam zu mir, reichte mir die Hand! Ich war außer mir. Ich konnte nicht schlafen. Ich achtete nicht meiner Gesundheit, noch meines Arztes. Ich ging zu ihm, umlagerte ihn, hing an seinen Blicken.

Er trat auf in der ganzen Kraft, Eigenheit und Vollendung seines Genius. Dieß hatte noch niemand gesehen, empfunden, und so hatte auch ich ihn nicht gesehen noch empfunden. War es ein Wunder bey diesem Gefühl von ihm, daß ich, wenn ich neben ihm auftreten mußte, nur Worte hersagen, Hände bewegen, kommen und gehen konnte? Er wandte sich daher freundlicher zu Beils fröhlicherm Genius, der aus den Gründen, die ihn nicht zurückhalten konnten, weniger von Zartheit des Gefühls bestürmt, und eben deßhalb unbefangener, seinen Werth entwickeln konnte, als es mir möglich war.

Schröders unterscheidender Gunst folgte die Stimmenmehrheit. Das schmerzte mich, ohne deßhalb mein Gefühl für Schröder zu entkräften. Außer dem Kummer, dem Manne, dem ich unter allen am liebsten etwas hätte seyn mögen, unbedeutend geschienen zu haben, minderte dieser Vorgang, durch die Unzufriedenheit über mich selbst, einige Zeit in mir das Selbstgefühl, ohne welches man nichts erreicht.

Hierzu kam nun noch, daß das Publikum nach Schröders [50] Abreise, da es das Vollkommene gesehen hatte, um es desto herber zu vermissen, uns alle eine Weile seine Kälte fühlen ließ. Dieß, die nachherige, aus politischen Ursachen entstandene Antheillosigkeit der Stadt, wie ich sie oben beschrieben habe, die entschiedene Abneigung der verstorbenen Churfürstin, welche zu Manheim Hof hielt, gegen das Deutsche Schauspiel, eine Abneigung, welche aus Nachgiebigkeit oder aus Ueberzeugung sich mehreren mittheilte – wahrlich – ich erinnere mich nicht, eine Zeit meines Lebens abgespannter und trüber verlebt zu haben, als diese. Ich beschloß es fest, Manheim zu verlassen. Dazu wollte ich mich indeß doch vorbereiten. Ich war also viel allein. Ich las viel, beobachtete genau die Fehler und Vorzüge der Uebrigen, ich ging sehr viel allein umher, und genoß die schöne Natur dieses herrlichen Landes.

Um diese Zeit erschien in den Baierischen Beyträgen Engelhofs Leben von Westenrieder. Ich las einen Theil davon. Die Sprache, die Charaktere, die Gefühle, ergriffen mich auf das lebhafteste. Auf einmal wurde ich aus der dumpfen Betäubung gerissen, die mich so kläglich übermannt hatte. Ich berief Beil und Beck. Wir schlossen uns ein; wir lasen zusammen Engelhofs Leben; wir weinten, freuten uns zusammen; alle drey wurden wir von dieser Lektüre in andere und bessere Empfindungen erhoben; wir sprachen von diesem schönen Genuß bis weit über Mitternacht hinaus. Die Kunst belebte uns wieder neu. Wir thaten uns das Gelübde, alle alte Rollen neu zu studieren, mit besonderer Energie darzustellen. Wir gaben uns das Wort, daß die augenblickliche Kälte des Publikums unsern Eifer nicht hemmen, einzelne schiefe Meinungen uns nicht niederschlagen sollten; daß, ohne uns um Einzelne zu bekümmern, welche in Kritiken eine Vollkommenheit begehrten, die sie selbst wohl noch nicht gesehen hatten, und die nach unserm Ideale nicht Vollkommenheit war, das ganze Publikum ein respektabler Richter sey, dem wir das Aufgebot aller Kräfte schuldig wären.

Wir hielten uns Wort, beobachteten uns gewissenhaft, [51] tadelten, ehrten uns wechselsweise, und leisteten achtungswerthe Kunstübungen. Das Ganze griff mit ein, das Theater that einen großen Schritt vorwärts, das Publikum wurde erwärmt, und die bessere Periode des Manheimer Theaters begann. Ich fand einen Beruf zur Thätigkeit, eine Freude darin, für welche das Lernen und Studieren meiner Rollen mir allmählich ein zu geringer Wirkungskreis ward. Ich schrieb einige Aufsätze über Schauspielkunst, welche in die Rheinischen Beyträge aufgenommen worden sind. Dieß Unternehmen war über meine Kräfte, und ließ um so mehr eine Leere in meinen Empfindungen. Ich fühlte so viel mehr als ich verstand, wußte jenes nicht zu ordnen, und litt schmerzlich an einem Drange mich mitzutheilen, ohne mir erklären zu können, was das sey.

Im Jahre 1781 wurde die Oper Alceste von Wieland und Schweizer gegeben. Die Ouvertüre dieser Oper erregte alle jene herzlichen Gefühle und jede Erinnerung lebhaft und stürmisch in mir. Ich konnte nicht ruhig unter den Zuschauern auf meinem Platze bleiben. Ich verließ die Vorstellung, und ging mit schnellen Schritten an dem schönen hellen Winterabend auf einem großen freyen Platze oft auf und ab. Meine Empfindung ward immer feuriger. Die angenehme Unruhe, welche sich meiner bemeistert hatte, beengte meine Brust; und doch hätte ich um alles nicht gewünscht, daß es anders gewesen wäre. Ich schrieb Briefe an geliebte Menschen in allen Gefühlen dieses Augenblicks. Das genügte mir nicht. Dadurch konnte ich mich nicht der leidenschaftlichen Gefühle entladen, die mich so unerklärbar ergriffen hatten. Ich entwarf den Plan zu einem Schauspiele. Ich schrieb Albert von Thurneisen. Die erste Vorstellung davon wurde mit Nachsicht, mit Freundschaft, mit Wärme aufgenommen. Die schöne Wirkung, viele Menschen für Seelenleiden und Menschenschicksale erwärmt, laut und herzlich erklärt zu sehen, riß mich hin, machte mich unaussprechlich glücklich. So entstand der Vorsatz, mehrere bürgerliche Verhältnisse nach und nach dramatisch zu behandeln.

Um diese Zeit half Schröder dem Mangel an Schauspielen [52] durch eigne Arbeiten und Bearbeitungen von entschiedenem Werthe ab.

Der Sturm von Boxberg des Hofgerichtsraths Meyer hatte Nationalinteresse, indem er an die Thaten des Churfürsten Friedrichs des Siegreichen erinnerte.

Fust von Stromberg von eben diesem Verfasser, mit den Rechten, Sitten und Gebräuchen der Vorzeit, war eine eigne Schöpfung. Diese Vorstellung wurde so viel als möglich mit aller der Eigenheit gegeben, darin sie geschrieben ist.

Hierauf erschien Schillers Genius. Die Räuber wurden im Jahre 1782 zum ersten Male gegeben.

Der Freyherr von Dalberg that alles Mögliche dieses Talent zu ehren. Die Vorstellung wurde an Dekorationen, Kostüme, Fleiß und Genie auf eine bewundernswürdige Art gegeben. Wenn Böck auch nicht ganz das Ideal des Karl Moor erreicht hat, so waren doch viele Scenen, besonders die mit Amalien im vierten Akt, und ganz vorzüglich die Scene am Thurm, sein Triumph. Das Publikum, Acteur und Statisten wurden mit ihm fortgerissen in dem allgewaltigen Feuerstrome. Stärker konnte der Dichter nicht gefühlt haben, als er ihn wieder gab.

Franz Moor war für mich ein eignes Fach, in dem es mir, glaub' ich, gelungen ist Neuheit und Kraft zu entwickeln.

Die Intendanz wußte jedes aufkeimende Verdienst zu ermuntern. Herr von Dalberg erklärte sich ernstlich und thätig gegen jedes Kunstmonopol. Dem Verdienst und dem Fleiße wurde die Bahn zum edlen Wettkampfe nie verschlossen. Dennoch fröhnte man nicht der aufkeimenden Neuheit, sondern dem lang' erworbenen Verdienst wurde mit Achtung begegnet.

Nach des Direktors Seyler Abgange wurde ein erster Ausschuß unter Vorsitz der Intendanz von den Schauspielern gewählt. Die Intendanz ernannte zu dessen Unterstützung einen zweyten Ausschuß, welcher letztere alle drey Monate wechselte.

Erster Ausschuß ward der Schauspieler Meyer, und blieb es bis zu seinem Tode im September 1783. Er war ein Schauspieler von Fleiß und Verdienst, bekannt mit [53] den Geschäften und der Ordnung des Theaters. Zu ängstlich mit letzterer beschäftigt, erschwerte er sich seine Stelle ohne Noth.

Wichtiger, als die Anordnung dieser Stellen, war der Ausschuß, welcher alle vierzehn Tage bey dem Intendanten sich versammelte. Er berathschlagte über Verbesserung des Theaters, brachte neue Stücke in Vorschlag, las die Rezensionen über empfangene Schauspiele vor, empfing Lob oder Tadel über bedeutende Vorstellungen von dem Intendanten selbst verfaßt, stimmte ab über eingegangene Vorstellungen, Klagen, Vorschläge, und es war jedermann, der nicht im Ausschusse war, verstattet, dahin zu kommen und seine Sache selbst zu führen. Die Beantwortungen der vorher aufgegebnen Kunstgegenstände wurden von jedem verlesen, die neue Aufgabe ähnlicher Gegenstände wurde vertheilt, und mit Verlesung des Protokolls der vorherigen Sitzung geschlossen. Die Rezensionen wurden den übrigen Schauspielern von dem Intendanten versiegelt zugestellt. Freymüthige Widerlegung war nie versagt.

Diese Einrichtung war ganz das eigne Werk des Freyherrn von Dalberg. Sie hat sehr viel Gutes gestiftet, dem Einzelnen und dem Ganzen eine Haltung und Richtung gegeben, welche nicht genug zu verdanken ist. Seine Kritik war stets mit Gründen gegeben, nie einseitig, noch auf vorgefaßte Meinung gegründet. Sie verhinderte, daß man sich nicht verleiten lassen konnte, den Beyfall für ausschließlich verdient aufzunehmen. Da er auch selbst mehrentheils die Proben neuer Stücke zu besuchen pflegte, so hatten diese durch die Achtung für dessen Gegenwart sehr bald eine gewisse Anständigkeit gewonnen, welche den Vorstellungen alles Rauhe und Gemeine nahm, den Ton der bessern Welt einflößte, und manchmal sogar Eleganz darüber verbreitet hat.

Die Versammlungen des Ausschusses dauerten von Ostern 1782 bis Michaelis 1785 unausgesetzt.

Vier Foliobände in Manuskript, welche bey den Manheimer Theaterakten befindlich sind, zeugen mit einem interessanten Inhalt für die ernstlichen Bemühungen der Versammlung, wie für die rastlose Thätigkeit, womit der Freyherr von [54] Dalberg sich der guten Sache der Kunst stets gewidmet hat. Die zunehmenden Geschäfte desselben hinderten ihn, diese Versammlung ferner unter seinem Vorsitze zu halten, und ohne ihn verlor sie für uns zu viel von dem, was Ehre bringend, nützlich und zweckmäßig war; also endete der versammelte Ausschuß.

Das Publikum hatte zwey übel gerathene Versuche von Schauspielen mit Nachsicht gegen mich vorüber gehen lassen. Ich habe sie gern vernichtet.

Den 9ten März 1784 wurde das Schauspiel, Verbrechen aus Ehrsucht, zu Manheim zum ersten Male gegeben, und mit inniger Theilnahme empfangen. Ich hörte von mehreren Orten dasselbe, und erlebte es zu Frankfurt am Main selbst.

Mehr als tausend Menschen nach und nach zu Einem Zwecke gestimmt, in Thränen des Wohlwollens für eine gute Sache, allmählich in unwillkührlichen Ausrufungen, endlich schwärmerisch in dem lauten Ausruf, der es bestätigt, daß jedes schöne Gefühl in ihnen erregt sey, zu erblicken – das ist ein herzerhebendes Gefühl. Die meisten Menschen verlassen mit innigem Wohlwollen die Versammlung, bringen es mit sich in ihren häuslichen Zirkel, und verbreiten es auf ihre Angehörigen. Lange noch tönt die Stimmung nach, welche sie in den dicht gedrängten Reihen empfangen haben, und schon vertönt, wird, wenn auch später ähnliche Gefühle an dieser Saite vorüber ziehen, diese nun leichter ergriffen, und antwortet in vollerem Klange.

Davon überzeugt, habe ich den 9ten März 1784, als bey jener Vorstellung das Publikum von Manheim sich so herzlich, laut, so feurig äußerte – an dem Tage habe ich mir selbst das Gelübde gethan: die Möglichkeit, auf eine Volksversammlung zu wirken, niemals anders als in der Stimmung für das Gute zu gebrauchen. Mit meinem Wissen habe ich dieses Gelübde nicht gebrochen.

Unter den Schauspielerinnen entwickelte sich Madam Ritter, geborne Baumann, sehr vortheilhaft. Mariane, Amalie in den Räubern, Juliane von Lindorack, Lotte im Hausvater, Imoinde im Oronoko, sind Rollen, die sie mit Gefühl, mit [55] weiblicher Würde und feinen Accenten giebt. Das Achtungswerthe ihres Charakters interessiert um so mehr für jedes Wort, welches sie herzlich spricht.

Karoline Ziegler, verheirathete Beck, starb 1784. Sie verschwand, eben da sie jedermann die volle Ueberzeugung gegeben hatte, daß das seltenste Genie, die feinste Zartheit mit der innigsten Kraft gepaart, durch eine idealische Gestalt veredelt, mit ihr auf der Bühne erschienen war. Nie habe ich den Augenblick der Dichtung so wiedergeben sehen. Nie habe ich diese Accente wieder gehört, noch die Melodie der Liebe, wie sie in Fiesko's Gattin von diesen Lippen tönte. Wahrscheinlich hat ein unglücklicher Fall in Emilia Galotti, wo aus Odoardo's Armen ihr Kopf schmetternd auf den Boden fiel, und hierauf eine, einem reisenden Freunde zu gefallen in drey Tagen gelernte Rolle ihr Ende veranlaßt. Sie starb zehn Tage nach jenem Falle am Schlage.

Demoiselle Boudet aus Manheim, nachher verehlichte Müller, verbindet mit einem vortheilhaften Aeußern eine sehr angenehme Singstimme. Sie macht, obgleich sie in allen Opern mit verdientem Beyfall auftritt, dennoch besonders in den Französischen Opern davon sehr angenehmen Gebrauch. Sie hat Verdienst in naiven Rollen des Schauspiels, und überhaupt gefälligen Anstand.

Demoiselle Schäfer, ebenfalls aus Manheim, jetzt verheirathete Beck, eine Schülerin der berühmten Dorothea Wendling, betrat als Zemire 1782 die Bühne. Ihr ausdrucksvoller, herrlicher Gesang, nicht von den Verkrüppelungen der falschen Mode und den unsinnigen Ueberladungen der Charlatanerie entstellt, hat immer die Empfindungen mit sich fortgerissen und die Kenner entzückt. Sie liebt die Kunst, denkt darüber, und studiert mit Wärme. Sie hat allerdings jene bunten Zierathen, welche den Gesang verbrämen, in ihrer Gewalt; allein sie übt sie selten, weil es gegen ihre Ueberzeugung ist – wenn ich mich des Gleichnisses bedienen darf – Zucker auf Zucker zu streuen.

Zur selbigen Zeit betrat Herr Gern der Aeltere die Bühne. Seine ausdrucksvolle, seltne Tiefe, überhaupt sein [56] beredter Gesang, sind eben so anziehend, als sein gutes, getreues Spiel und seine komische Laune unterhaltend ist.

Auch Herrn Epps Anfang fiel in jene Zeit. Er ist ebenfalls aus Manheim. Reichards Urtheil über diesen herrlichen Tenor, und daß eine Stimme, wie die seine, nur sehr selten gefunden werde, entscheidet ganz für ihn. Seine Anstrengung, dieses Talent zu bilden, ist achtungswerth.

Nach Meyers Tode wurde die Wahl des Schauspielers, Herrn Renschüb, als Regisseur, bestätigt.

Ich muß noch anführen, daß unter die ausgezeich neten Unglücksfälle dieses Theaters die vielen Krankheiten gehören, womit es besonders im Jahre 1782, wo die Influenza über Europa wüthete, heimgesucht wurde. Zwar spielten alle Kranken, sogar im heftigsten Fieber manchmal; allein es gab Perioden, wo die Bühne ganz geschlossen werden mußte.

Nach dem Tode der Karolina Beck machte diese Bühne die unschätzbare Akquisition der Demoisell Witthöft von Berlin. Der feinste Weltton, das graziöseste Benehmen, liebenswürdige Laune, dicht an Muthwillen, im beständigen Geleit der sittlichsten Weiblichkeit, sind das Eigenthum dieser liebenswürdigen Künstlerin. Ihre Hedwig von der Aue, Rutland, Gurli, und ihr Triumph – Susanne im Figaro, werden mir stets unvergeßlich seyn.

Im Jahre 1784 und 1785 wurden die Mündel und die Jäger gegeben; die Jäger zuerst auf dem Gesellschaftstheater des Fürsten von Leiningen zu Dürkheim. Einige Jahre vorher schon wurden auf diesem Theater im Winter Vorstellungen gegeben. Ich machte dadurch die Bekanntschaft dieser höchst liebenswürdigen Familie.

Ach! indem ich dieses niederschreibe, steht die Vergangenheit dicht vor mir. Unbeschreibliche Wehmuth erfüllt mich, und ich weiß nicht, wie ich bey so viel herzlichen Erinnerungen es dahin bringen soll, nur das zu sagen, was hierher gehören könnte. Treuherzigkeit, Biedersinn, Gastfreundlichkeit, Nachsicht und Wohlwollen ist in diesem Geschlecht ein theures Heiligthum. Hier habe ich schöne Tage gelebt! Die gefälligste Sitte, neben aller bürgerlichen Herzlichkeit, bewohnte die [57] fruchtbaren Thäler, in denen ich einst mein Leben zu enden dachte.

Jene Zeiten sind vorüber! Ihr Andenken ist tief in meine Seele gegraben, und meine treue Dankbarkeit endet nur mit meinem Athem.

Hier empfing ich so manchen Unterricht, genoß so oft den Rath der Erfahrung, den Trost der Freundschaft. Ich sage nicht mehr davon, um nicht selbst in der Wärme der Dankbarkeit die Bescheidenheit zu verletzen. Wenn dieses Blatt in jene Gegend kommt – so bringe es jedem guten Menschen, deren ich so viele dort kenne, die herzliche Begrüßung der treuen Freundschaft, besonders meinem Freunde Greuhm! Seine Erfahrung, seine Bruderliebe haben oft mich aufrecht gehalten, noch öfter mir Erhebung gewährt.

Die Vorstellungen zu Dürkheim waren gut, und manche sehr gut. Die Vorstellung der Jäger war vortrefflich.

Das Jahr 1785 zeichnete sich noch durch zwey merkwürdige Vorstellungen aus.

Julius Cäsar, nach Shakspeare, vom Freyherrn von Dalberg bearbeitet, wurde im April desselben Jahres mit beträchtlichem Aufwand auf die Bühne gebracht. Das Kapitolium wurde nach einem getreuen Abriß dargestellt. Die Scene, wo Cäsar im sitzenden Senat ermordet wird, bestand aus zwey Reihen abgesonderter Sitze hinter einander, welche in einem großen Halbzirkel drey Theile der Bühne einnahmen, die zweyte Reihe höher als die erste. Ein solcher Sitz war die genaue Abbildung der Sella curulis im alten Rom. Hinter dieser doppelten Reihe waren in den Kolonnaden der Coulissen Gallerien für zahlreiche Statisten, welche das Volk auf den Tribunen vorstellten. Die Scene, wo Cäsar an der Bildsäule des Pompejus sterbend niedersank, die nicht unterrichteten Senatoren von ihren Sitzen aufstürmten, die unterrichteten die gährende Masse zum Stehen und Anhören bewegen wollten, das Volk auf den Tribunen mit Geschrey herab stürzte, seine Sitze zerbrach, theils nach dem gemordeten Cäsar hinstarrte – theils wüthend, oder mit Klaggeschrey davon rannte – wurde mit großer Energie und Präzision gegeben. [58] Eben so und ganz vortrefflich die, wo Cäsars Leichnam vom Kapitol herab gebracht wird, wo erst Brutus, hernach Antonius, das Volk pro rostris anreden. Die stufenweise Wirkung jener hinreißenden Reden auf das Volk – sein Antheil – seine Rührung – die Wuth, womit es den geliebten Leichnam aufrafft – mit ihm davon stürmt und Krieg und Tod dem Triumvirat schwört – wurde noch genauer und fast vollendeter dargestellt. Anziehend war die Scene zwischen Brutus und Cassius im vierten Akte. Aber vollkommen war der schauerliche Auftritt, wo Cäsars Schatten dem Brutus Nachts im Zelte erscheint. Kaum waren die letzten Töne von der Laute des Sklaven verschollen – kaum war Brutus neben dem blauen Flämmchen der Nachtlampe auf sein Lager hingestreckt – so quoll aus einer Ecke des Zeltes eine Rauchwolke hervor, und in dieser wankte Cäsars Schatten heran. Feierliche Todesstille ehrte stets diesen furchtbaren Augenblick.

Zum Schlachtfelde im fünften Akte stellte das ganze Theater ein Thal mit wild und schrecklich durch einander geworfenen Felsenmassen vor. Seine Tiefe, von Pechpfannen beleuchtet, ging hinten bergabwärts. Man hatte dazu das Magazin des Theaters benutzt. Da herauf kamen die zerstreuten Heerhaufen, die Flüchtenden, der sterbende Cassius, Brutus auf seiner Flucht, und endlich im Siegesgeschrey das Römische Heer. Julius Cäsar war die Lieblingsvorstellung des eben anwesenden Churfürsten: er sah dieses Schauspiel dreymal.

Mit nicht minderer Präzision und großer Eleganz wurde Figaro gegeben. Herr Cervais, ehemaliger churfürstlicher Hoftänzer, der eben von Paris gekommen war, hatte es übernommen, diese Vorstellung einzurichten. Beck stellte den Figaro mit Leichtigkeit und Anstand vor. Demoisell Witthöft war als Susanna im hohen Grad liebenswürdig und fein.

Der Churfürst hatte zu München einer Gattung Obergewalt der Umstände nachgegeben, vermöge deren dort die Vorstellung nicht zugelassen wurde. Der Hochwürdige in Gott, Pater Frank, soll ihn zu Manheim daran erinnert, der Churfürst aber gelächelt und darauf geantwortet haben: »Das habe hier zu Manheim nichts auf sich.« Er sah die [59] Vorstellung mit Vergnügen, und bemerkte, wie gewöhnlich, jede Feinheit zuerst und laut. Auch wurde in seiner Anwesenheit noch der Cholerische, nach dem Englischen von Herrn von Dalberg bearbeitet, gegeben, und erregte vieles Vergnügen.

Dieses Jahr wurden auch auf dem Hoftheater zu Schwetzingen mehrere Stücke vorgestellt. Dieser schöne Garten, angefüllt mit einer Volksmenge, welche aus Manheim, aus dem sehr nahen Speyer und Heidelberg dahin strömte, gewährt alsdann einen überaus reitzenden Anblick.

Die Menschen, welche in den Gasthöfen von Schwetzingen weder unterkommen, noch Nahrung erhalten konnten, wandelten mit portatifen Diners in den Alleen von Schwetzingen, und ganze Massen gruppierten sich in den Tempeln, Hainen, Moscheen und Berceaus des Gartens.

Abends nach der Vorstellung ergoß sich die Menge aus dem Schauspielhause, welches im Garten selbst ist, wie ein Strom, in die großen Parterre desselben, und verlor sich allmählich in die abgelegnern Partien. Nun fingen nach und nach, bald hier bald dort, die Lichter an durch das grüne Dickicht hervor zu schimmern. Die Gesellschaften suchten, riefen sich, gaben sich Zeichen. Der fröhliche Lärm ward immer lauter und lauter. Man hörte die Gläser klingen, Chöre und Lieder wechselten ab in den wallend warmen Nächten, während daß im Orte Schwetzingen das fröhliche Toben der Musik, der Tanzenden – aus jedem Gasthofe erscholl, und vor allen Häusern die Bewohner und ihre Gäste in beredten Halbzirkeln vor den Thüren saßen.

Auf der Heimkehr um Mitternacht war der drey Stunden lange Weg einem Gesellschaftssaale gleich. Wagen an Wagen, rollte einer dem andern vor. Die Gesellschaften in den vorderen Wagen riefen denen zu, die hinten fuhren. Diese antworteten. Die Fußgänger sangen Lieder. Die Reitenden machten den Weg manchmal eine Strecke hin und wieder zurück. Es war die ganze Nacht hindurch ein Verkehr der guten Laune, des Weinmuths und der Fröhlichkeit, der auch den gleichgültigsten Menschen in dem allgemeinen Taumel mit fortreißen mußte.

Der Churfürst hatte das Manheimer Theater in drey [60] Jahren nicht gesehen. Er war mit dessen Fortschritten so sehr zufrieden, daß er seinen jährlichen, ohnehin beträchtlichen Beytrag zu dessen sicherern Erhaltung mit einigen tausend Gulden jährlich erhöhte.

Er verlangte die Vorstellung des Königs Lear, sagte aber dem Herrn von Dalberg vorher: »Er möge ja bewirken, daß in dem ersten Akte die Scene hinzu gesetzt werde, wo Lear das Reich unter seine Töchter vertheilt. Er sey gewiß, daß diese Scene nicht bloß erzählt, sondern lebendig dargestellt, das Interesse für den König Lear noch weit mehr erhöhen müsse. Er habe sie bisher bey jeder Vorstellung ungern vermißt.« Er sandte zu dem Ende den Theil des Shakspeare, worin Lear enthalten ist, in der Englischen Ausgabe aus seiner Bibliothek an Herrn von Dalberg. Der Churfürst liest nämlich diesen Autor in der Ursprache.

In eben diesem Jahre 1785 machte ich eine Reise nach Lübeck und Hamburg. Ich spielte in Lübeck, auf Herrn Schröders Einladung, in seiner Gegenwart, aber eben deßhalb nicht minder mittelmäßig, als einst in Manheim.

Es gehört zu jeder Kunstübung eine Ueberzeugung, daß man das gut leiste, was man zu thun hat. Außer dieser wird wohl eine kalte Richtigkeit gedeihen; aber jenes Leben in unnennbaren Kleinigkeiten, die letzte Hand, der Lustre wird fehlen, und mit diesem fehlt alles was eigentlich interessiert. Ich vermochte es nun einmal nicht, weder jetzt noch nachher, und werde es wohl nie über mich gewinnen, in der Gegenwart eines so großen Künstlers diese Art von nöthiger Prätension anzunehmen. Nach dem, was ich darüber gesagt habe, ist dieser Zustand weder Mangel an billigem Selbstgefühl, noch minder falsche Bescheidenheit.

Herr Schröder ermunterte mich, ferner Schauspiele zu schreiben, und erbot sich dagegen zu einem ehrenvollen Akkord für meine Manuskripte, den ich billig eine Belohnung nenne.

In Hamburg wurde ich sehr warm aufgenommen. Aber bey aller Erkenntlichkeit dafür hatte ich einen so entschiedenen Hang für Ruhe, und ein kleineres Verhältniß, darin ich der Kunst mit Muße ohne Trägheit mich widmen [61] konnte, daß ich mit einer Art von Sehnsucht nach Manheim wieder zurückkehrte.

In Hambnrg erfuhr ich die schnelle Vermählung des Pfalzgrafen Maximilian mit der Prinzessin Auguste von Darmstadt. Freudig wurde ich davon überrascht; um so mehr, da die Stammfolge in dem Pfälzischen Hause seit dem Tode des Erbprinzen von Zweybrücken jeden, der das Land liebt und das Pfälzische Haus, mit Besorgniß in die Zukunft blicken ließ; um so mehr, da, den Churfürsten mitgerechnet, das ganze Haus nur auf fünf Prinzen damals bestand, und man von dem Prinzen Maximilian damals nur Nachfolger hoffen zu können glaubte. Ich empfing die jubelnden Briefe von Manheim, worin man die nahe Ankunft des neuen Paars dorthin mir anzeigte, und wie alles sich freue, den geliebten Prinzen Maximilian als Ehemann dort zu sehen.

Von jeher waren die Pfälzer mit herzlicher Liebe diesem guten, biedern, liebenswürdigen Fürsten zugethan. Ich dachte mir lebendig das frohe Entzücken des Volks, die herzlichen Augenblicke, die dadurch veranlaßt werden müßten. Ohne daß ich für meine Person im mindesten dabey zu thun hatte, beschleunigte ich meine Reise nach Manheim mit einem Eifer, als dürfe kein schöner Augenblick dort ohne mich bestehen.

Fröhlicher als je begrüßte ich den Rhein, schneller, so dünkte es mich, wallten seine Fluthen, freundlicher nickten die vollen Reben, fröhlicher verkehrten die Menschen im Lande, und im lieblichsten Wiederscheine empfing ich die Empfindung, womit ich kam, wieder zurück von allen Menschen und Gegenständen, worauf mein Blick verweilte.

Dieß war keine Täuschung. Diese Vermählung war Landesangelegenheit. Es war, außer dem Churprinzen, welcher todt zur Welt gekommen war, seit 1728, und ich glaube noch länger, in dem Pfälzischen Churhause kein Prinz geboren worden. Mit Hoffnung und Sehnsucht sah man also auf diese Vermählung hin. Die schöne Pfalzgräfin war einen Tag in Manheim gewesen. Ihre Schönheit, ihre Sanftmuth, ihre Beschei denheit, der Ruf ihrer Frömmigkeit, ihrer Kindlichkeit, war aus ihrem Vaterlande vor ihr hergegangen,[62] ihr Anblick, ihre Art zu seyn, hatte diesen Ruf bestätigt und alle Herzen erobert. Alt und Jung sprach von ihm und ihr. Es war eine eigene Regsamkeit, ein fröhliches, herzliches Plaudern und Zusammenstehen unter die Menschen gekommen, das sogar auf die fremden Nachbarn mit übergegangen war.

Ich sprach darüber viel und lebhaft mit meinem Begleiter. Wir kamen unter diesem Gespräch an die Einfahrt von Frankenthal. Eine Gruppe junger Bäume, die dort am Thore stand, fiel mir besonders auf. Wenn ich ein Eigenthum besäße, sprach ich, so würde ich zum Gedächtniß dieser guten Ehe an eine freundliche Stäte zwey junge Bäume pflanzen, und bey jeder erfüllten Hoffnung des Landes ihre Zahl vermehren.

In Manheim hörte ich von nichts anderm reden, als von dieser Begebenheit. Jedermann war in wallender Fröhlichkeit, alle Menschen zu herzlicher und lauter Feier gestimmt.

Da der Prinz Maximilian, damals der zweyte Prinz von der Zweybrückschen Linie, und der regierende Herzog selbst doch nur präsumtiver Erbe des Churfürsten war, so mischte sich die Sorge ein, ob man nicht mit jeder Volksfeier ein Zartgefühl gegen das regierende Haus kränken würde. Indeß war die Ankunft der Neuvermählten und ihrer Angehörigen auf das Namensfest der Churfürstin, den 20sten November, fest gesetzt.

Von Seiten des churfürstlichen Nationaltheaters war die erste Vorstellung des Barbiers von Sevilla, mit Musik von Paisiello, für den Tag angesetzt, wo der Hof zum ersten Male im Schauspielhause erscheinen würde. Ich kannte die Volksstimmung, und es dünkte mich ein Vergehen gegen dieß rege Gefühl zu seyn, daß man ihm alle Gelegenheit rauben wollte, zur lauten Sprache zu kommen. Da fiel mir plötzlich die Gruppe von Bäumen am Thore zu Frankenthal, wo man von Worms herein fährt, und mein Gefühl dabey ein. Ich bat den Freyherrn von Dalberg, ob er mir erlauben wolle, in einem Prolog von einfacher Handlung diese jungen Bäume zu setzen. Er selbst, voll des [63] herzlichsten Gefühls, dachte an keine diplomatische Schwierigkeit, oder opferte sie leicht dem vaterländischen Gefühle auf. Er reichte mir die Hand, bat mich zu eilen, und vier und zwanzig Stunden darauf las ich den Prolog, Liebe um Liebe, ihm vor. Seine Thränen belohnten mich. Fünf Tage darauf wurde das kleine Stück gegeben.

Wenn ich von der Vorstellung desselben umständlich rede, wenn ich diese schöne, heilige Erinnerung zurück rufe: so hat die Pflicht, eine sehr wichtige Wirkung des Schauspiels zu erzählen, nicht allein, und nicht den hauptsächlichsten Theil daran; dieser Tag hat einem Theile meines Lebens Richtung gegeben, sollte mein ganzes Leben bestimmen, und hat über mehrere Jahre entschieden.

Ich komme zur Sache. Die Gefühle waren überall gegenwärtig, überall erregt, sehnten sich darnach, durch herzlichen Ausbruch Liebe und Treue zu verkünden. Mein Eifer, die Gelegenheit darzubieten, war süße Pflicht. Daß ich dieses mittelmäßig bewerkstelligt habe, ist ein Fehler, den die Umstände entschuldigen. Aber der warmen Anhänglichkeit und Herzlichkeit der Pfälzer an ihre Fürsten, an dieß geliebte Paar, bin ich einen Denkstein schuldig, so schlecht und recht ich ihn errichten kann.

Von Mittag an war das Schauspielhaus schon umlagert, und um drey Uhr so angefüllt, daß kein Plätzchen mehr zu bekommen war. Die Menschen drängten sich in die Coulissen, standen in großen Massen auf den Treppen, den Gängen zu den Logen und fast unter dem Theater. Gegen fünf Uhr legte sich das fröhliche Getöse, und als die churfürstliche Loge beleuchtet war, ward es immer stiller. Bey dem Ankommen der Vorbothen der fürstlichen Familie richtete in freudiger Erwartung die ganze Versammlung in einem Nu sich auf, wendete sich um und sah unverrückt nach der großen Loge hin. Es war eine feierliche Stille. Nun erschien, gebeugt von hohen Jahren, herzlich erschüttert von den freudigen Bewegungen der dichten Volksmassen, durch welche sie sich hatte drängen müssen, die Churfürstin. Mit einem wahrhaft mütterlichen Blick beantwortete sie das allgemeine Händeklatschen der Versammlung. [64] Dieses erneute sich bey dem Eintritte der allgemein verehrten Herzogin Amalia von Zweybrücken, Prinzessin von Sachsen. – Eine kleine Pause – der Pfalzgraf und die Pfalzgräfin treten ein – die ganze Volksmasse wogt hin und her – ein allgemeiner Zuruf – ein Schrey der Freude, der Rührung – die Begeisterung der schönsten Hoffnungen in lauten Segnungen ergossen – strömen dem geliebten Paar entgegen. Man sieht ihre tiefe Erschütterung. – Ihre Verbeugungen, die ganze Art ihres Danks beweist für die Herzen, die jedes Gute wollen, das Vertrauen des Volkes fühlen und verehren, ohne sich anmaßen zu wollen, daß es schon verdient sey. Nun erhebt sich der laute anhaltende Beyfall. Die Vernunft bestätigt jene Ergießungen der Gefühle, welche vorausgegangen waren. Ein donnerndes Getöse, welches das Haus bis auf die Grundlagen zu erschüttern scheint, erwiedert die Begrüßung der Familie. Diese nimmt ihre Plätze: der Herzog und sein Bruder, der Pfalzgraf, in einer Loge nahe am Theater.

Die Musik fängt an; niemand hört sie. Man spricht, man ruft von einem zum andern. Mit Wort, Blick und Händedruck theilt, erneut, bestätigt, heiligt sich Empfindung und Ueberzeugung. Der Vorhang rauscht hin auf. – Still, ernst – unbeweglich richtet die Versammlung ihre Blicke auf die Bühne. Die Vorstellung beginnt. Nur halbe Stimme bedurfte der Vortrag bey dieser heiligen Volksstille. Diese war es, welche meine Knie und meine Stimme wanken machte.

In ernster Betrachtung wurde die Auseinandersetzung der Handlung aufgenommen. Bey den ersten Beziehungen entstand eine augenblickliche Bewegung, welche aber gleich wieder verhallte. Allmählich hörte man ein mit Gewalt zurück gehaltenes »Ach!« – Stille – dann wieder das halb laute Gemurmel der freudigen Rührung. Allein bey der Stelle, wo der treue alte Landmann sagt: »er habe die Bäume vor seiner Hütte bey der Geburt der Prinzen gesetzt, er wolle bey jeder Geburt eines guten Prinzen einen jungen Baum hinzu pflanzen, möge der ganze Platz ein Wald werden, dicht, stark und mächtig, dem kein Sturm in [65] der Welt etwas anhaben könne!« da rufen viele Stimmen laut durch einander – »Mein Gott! O mein Gott!« das Parterre erhebt sich von seinen Sitzen, ein Rufen, endlich ein wildes Geschrey wird allgemein – man sieht empor gehobene Arme – im Jubel geschwenkte Hüte! »Lebet, lebet! Erhalte euch Gott!« dieß rief die Liebe, die Treue, das Entzücken der Familie entgegen.

Die jungen Fürstinnen küßten die Hand ihrer Großtante, welche in Thränen schwamm – laut weinend umarmten sich die fürstlichen Brüder – der Jubel erneute sich – die Vorstellung mußte innehalten und die Gefühle des Volks walten lassen.

Sie wurde endlich fortgesetzt – beständig unterbrochen von der Freude des Volks, das seine Herzlichkeit nicht hemmen wollte, von den Thränen der Schauspieler, welche kaum vollenden konnten.

Da der junge Baum für die neue Pfalzgräfin feierlich gesetzt wurde, schluchzten manche laut – alles wandte sich nach ihr hin – ihre schönen Augen weinten unaufhaltsam. Das Volk segnete sie in lauten Zurufungen – ihre Großtante reichte ihr die Hand hinüber – als wollte sie beurkunden – »Sey glücklich einst an meiner Stelle, du bist es werth!«

Die Bäume wurden mit dem Bande der Liebe und Treue in Pfälzischer Hausfarbe umschlungen. – Das Stück endete im Jauchzen des Volks, welches auf den Vorplätzen, auf den Treppen des Hauses und auf dem Theater wiederhallte. Die Fürsten umarmten ihre Gattinnen öffentlich und herzlich, und huldigten ihrer Großtante, welche sie als Mutter betrachteten. Diese führte die Pfalzgräfin dicht an die Gallerie der Loge; der schöne Engel verneigte sich in Anmuth, Anspruchlosigkeit und Wahrheit, tief vor dem Volke, und wurde im Jubelgeschrey zur beglückten Mutter der Pfalzgrafen eingesegnet; zu ihrer Seite streckte der gute Maximilian seine Arme herab, sah mit Augen, die von Thränen schimmerten, über die ganze Versammlung, als möchte er jede aufgehobene Hand in die seine fassen, dem Volke danken, [66] und für seine Zukunft der Menschheit huldigen zu ihrem Dienst – schloß seine Gattin in die Arme, und wurde nun von der Familie umgeben.

Ich ging fort, ohne mich umzukleiden rannte ich nach Hause, und theilte mit meinen Freunden und Hausgenossen die überschwenglichen Gefühle dieses Tages. Mein Haus ward ein öffentlicher Platz. Menschen von allen Ständen und Alter, viele, die ich vorher nicht gesehen und nachher nicht wieder gesehen habe, drückten mir die Hand, weinten an meiner Brust Freudenthränen.

Die Nacht kam kein Schlaf in meine Augen. Der seligste Friede wohnte in meinem Herzen. Noch viele Tage dachte ich nichts als jenes Fest, und jetzt, da ich dieses schreibe, ist die Empfindung mir so gegenwärtig, als wäre diese Feier vor kurzem erst vorgegangen.

Des andern Tages sprach ich die Churfürstin auf ihren Befehl in ihrem Kabinet auf dem Schlosse zu Manheim. Ich war allein ihr gegenüber. Es war Nachmittags fünf Uhr, das Halblicht, welches die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf die dunkele Täfeley der Wände warf, machte den Augenblick feierlich, der durch das, was sie zu mir sprach, sehr ernst wurde. Eine kleine Weile sah sie mich sehr wohlwollend an, und sagte dann: »Welch ein Abend war der gestrige!« – Sie ging einige Schritte, ohne zu reden. Es schien mir als wolle sie Thränen vermeiden, verbergen, oder als wäre sie im Kampfe, nicht alles zu sagen, wovon sie sich durchdrungen fühlte. Mit einem lebhaften Tone setzte sie dann hinzu: »Man kann aber auch nicht Gutes genug von der Pfalzgräfin sagen!«

Ich antwortete nach meiner Empfindung. »Der Prinz Max ist ein recht guter Mensch!« – sagte sie dann. Ich bejahte das treu und willig. »Ein sehr guter Mensch!« setzte sie noch mit einem recht mütterlichen Tone hinzu. »Was mich betrifft,« – hier hielt sie etwas inne – »so haben die guten Manheimer gestern viel mehr aus mir gemacht als ich verdiene!« – Sie wandte das umwölkte Auge in einiger Verlegenheit nach dem Fenster zu, und [67] fuhr dann fort: »Ich bin diesem Lande nicht gewesen, was ich ihm hätte seyn mögen.« Sie ging näher nach dem Fenster. »Es hat nicht so seyn sollen!« – Dieß sprach sie mit wankendem Tone, wandte sich dann lebhaft zu mir und sagte: »Sie sähe mich nach dem gestrigen Abende für einen eingebornen Pfälzer an. Ich möchte das Land nicht verlassen.« Ich verbeugte mich, und sagte, was Rührung und Erkenntlichkeit mir eingaben. Sie gab mir ein ansehnliches Geschenk, und setzte hinzu: »Ich solle ihr die Hand darauf geben, daß ich das Land nicht verlassen wolle.« Ich that es, indem ich ihre Hand küßte. Ich ging. »Wenigstens so lange ich lebe,« rief sie mir nach, da ich aus der Thür gehen wollte.

Das Geständniß einer Fürstin, die, bey allem was sie auf das Aeußere ihrer Würde zu halten gewohnt war, von den Beweisen der Volksliebe so erschüttert worden war, daß sie in dieser ernsten Abendstunde wehmüthig über den Rhein hinaus blickte, und die Worte aussprach: »ich war dem Lande nicht, was ich ihm hätte seyn mögen« – so wie die wohlwollende Bitte, das Land nicht zu verlassen, hatten mich gerührt, und es mochte bey meinem Austritt aus dem Kabinet der Churfürstin sichtbar seyn.

Daß einer ihrer alten Französischen Kammerdiener sich keinen andern Grund der Rührung denken konnte, als das eben empfangene Geschenk, von dessen Werth er wissen mochte, daß er mich bat, mich erst zu erholen, und da ich ihm antwortete – ich würde dieses Augenblicks lange gedenken, indem er mich umarmte, hinzu fügte: »das Geschenk sey freylich konsiderabel, ich habe es aber auch meritiert,« – das gehört zu der eigenen Logik der Vorkammerbewohner.

Eine Zeit lang nach jener frohen Begebenheit im Schauspielhause nahm das Publikum an allem, was darin vorgehen mochte, keinen besondern Antheil. Das war auch natürlich. Jene schöne Feier, welche das Volk zu Einer Familie vereinigt hatte, war eine lebendige Wirklichkeit gewesen. Alle Theile hatten dabey von Herzen gehandelt. Was unmittelbar darauf folgte, mit wie viel Anstrengung [68] es auch geschah, war gegen jenes doch nur für eine Erzählung zu achten, bey welcher die Zuschauer sich leidend zu verhalten hatten, nicht handelnd wie dort.

In dieser Stimmung haben einige kalte Spekulanten, welche darin und davon leben und weben, am politischen Firmament die Witterung zu berechnen, es für den rechten Augenblick gehalten, jene Feier im Dunkeln zu tadeln, den Urheber für vermessen oder bedenklich auszugeben. Daraus ist wohl hier und da Mißverstand entstanden. Es giebt Menschen, welche sich für ausgemachte Kameralisten halten, wenn die Empfindung ihnen ein Aergerniß ist, und die Kunst eine Thorheit. Allein solche Ephemeren leben ihren politischen Tag und löschen aus in ihrem Sumpfe, wenn ihr Tag vorüber ist.

Gewiß ist es, daß jener schöne Tag mich enge mit Manheim verbunden hat. Die Liebe und Wärme für ein Publikum, welches solche Gefühle so äußern kann, machte einen unauslöschlichen Eindruck auf mich. Dann habe ich von jeher mein Wort getreu zu halten gesucht. Das Versprechen, das ich der Churfürstin in jenem herzlichen Augenblick geleistet habe, ist mir stets gegenwärtig geblieben. Nicht weil es von einer Fürstin gefordert, sondern wegen der gutmüthigen Art, worin es gefordert, und der Treuherzigkeit wegen, womit es gegeben worden war.

Mein Leben hindurch bin ich gern und am liebsten der ersten starken Empfindung gefolgt, nicht den Berechnungen des Verstandes. Mehrentheils habe ich dabey mich ganz wohl befunden, wenn ich auch gegen manchen Anschein, der mich hätte umlenken können, diesem Grundsatze unwillkührlich mit etwas Eigensinn gefolgt seyn sollte. So auch in meinem Verhältnisse mit Manheim. Die Folge wird es beweisen, daß ich ihm Aufopferungen gemacht habe.

Im Frühjahre 1786 bezog ich nebst Beil und Beck eine recht angenehme Sommerwohnung auf einem ehemaligen churfürstlichen Jagdhause zu Käfferthal unweit Mannheim.

Dieses freundliche Dorf liegt in einer etwas sandigen Ebne, allein nahe an einem angenehmen Walde, welcher von [69] schönen Alleen durchschnitten ist, und hat eine Aussicht auf die Bergstraße, wie an die Rheingebirge hin. Zwar sind in der Gegend keine Weinberge; aber vielleicht ist eben wegen des weniger ungleichen Ertrages der Haushalt der Bewohner mehr geordnet, ihr Betragen gleichmüthiger. Es herrscht ein Frieden in diesem Dorfe, eine Fröhlichkeit bey der Arbeit, eine Nachbarlichkeit, die uns oft einen sehr schönen Genuß gewährt hat. Außer einem ganz verwachsenen, gichterischen Knaben, den die Gemeinde unterhält, habe ich drey Jahre nach einander keinen einheimischen Bettler gesehen.

Außer Oronoko, worin Herr Böck diese Rolle und Madam Ritter die Imoinde sehr schön spielten, indeß wenig oder gar nichts zu thun hatten, erschienen in diesem Jahre bis Anfang Septembers keine Vorstellungen von Bedeutung.

Die Deutsche gelehrte Gesellschaft zu Manheim hatte einen beträchtlichen Preis auf das beste Lustspiel gesetzt, welches ihr eingeschickt werden würde.

Dieß war sehr gut und achtungswerth. Allein, daß das Theater sich anheischig machte, alle eingesendeten Stücke zu spielen, das war eine sehr übereilte Gutmüthigkeit. Wenig Gutes wurde eingesandt, und die Zeit, unser Gedächtniß, alle gute Laune des Publikums und der Schauspieler den ganzen Sommer hindurch aufs Spiel gesetzt und aufgeopfert. Das Theater wurde uns damit von Ostern bis Michaelis fast verleidet.

Wir entschädigten uns durch den öftern Genuß der Natur auf unserm Dörfchen.

Hier begann wieder auf eine andere Weise, mit mehr Gemächlichkeit und Aufwand, aber dennoch mit vieler Unbefangenheit und sehr viel Fröhlichkeit, das Leben im Siebeleber Walde bey Gotha. Wir frühstückten im Walde, zerstreuten uns in die Alleen, zu lernen oder zu lesen, trafen zur Mittagsstunde wieder zusammen, wandelten dem Dorfe und dem gemeinschaftlichen frugalen Mahle zu. Nachmittags arbeitete jeder auf seinem Zimmer. In der Abendkühle gingen wir zu einem Brunnen in den Wald. Ein großes [70] Feuer loderte in die Höhe, das Abendessen wurde dort bereitet, und in den traulichsten Gesprächen überraschte uns oft die Mitternacht. Einen solchen Abend brachte der wackere Lambrecht, jetzt Schauspieler zu München, an dieser Stelle bey uns zu. Ich glaube, wir beide haben diesen Abend nicht vergessen.

Da war nun mancher, in dem sich der Gedanke regte, daß es nicht gut sey, lange an einem Orte zu verweilen; daß man sich umsehen, ein besseres Heil versuchen und betreiben müsse. Von einem Gespräche in das andere verschlagen, ließen einige – Beck und Beil besonders – an diesem Abende, das Glas in der Hand, es laut werden, sie würden die Manheimer Bühne verlassen. Das that mir weh. Mir war alles, so wie es war, recht und lieb. Nicht diese beiden – nicht Einen von allen wollte ich vermissen, sey er auch ein mittelmäßiger Künstler. Das Ganze hatte Leben und Rundung. Wo nun auch ein besserer Theil für einen schlechten eingesetzt wird, da sieht man doch so lange noch die Meißelschläge vom Ausbrechen und Einsetzen – den Kitt, der zusammenhält!

Ich sprach mit der Wärme der Freundschaft für Manheim, Lambrecht unterstützte mich, und sprach Wahrheiten, welche die Erfahrung ihm eingegeben hatte. Die Wallungen legten sich nach und nach – die Freundschaft unterstützte die Vernunftgründe – und so wurde endlich alles für Manheim entschieden. Wir umarmten uns, und so wurde abermals im Kreise um das Feuer im Walde der Bund der Freundschaft geheiligt.

Wahrlich diesem reinen Gefühle für Freundschaft, dieser Anhänglichkeit an Menschen überhaupt – verdankt die Manheimer Bühne vieles, manche Tugend der Bescheidenheit! Manches geschah deßhalb dort anspruchlos, was eine andere Direktion gern gut vergolten hätte, hätte sie es nur besitzen können.

Nachdem wir nun alle drey beschlossen hatten, Manheim nicht zu verlassen, so setzten wir fest, daß wir am nahen Ende der Kontrakte für unsere Zukunft sorgen, Pensionen erbitten, [71] und, da deren Erlangung nicht wahrscheinlich war, eine wahrlich sehr mäßige Verbesserung fordern wollten. Daß wir aber rund entschlossen waren dort zu bleiben, daraus machten wir nicht das geringste Geheimniß. Es wäre freylich kaufmännischer und sicher uns weit einträglicher gewesen, wenn wir es gethan hätten; aber der Wucher auf die gute Meinung des Publikums, auf Unentbehrlichkeit, oder überhaupt für unsere pecuniaire Existenz, war so fern von uns, als jede Verschlossenheit. Alle Verhandlungen über diesen Gegenstand wurden an unserm Lieblingsplatze, am Brunnen im Walde, gehalten.

Eben dorthin hatten wir uns einst eine förmliche Konferenz über Kunstgegenstände angesagt. Wir erschienen. Jeder hatte viel zu sagen, keiner wollte geradezu anfangen.

Da wir nun darüber, daß wir zu Manheim bleiben wollten, einig waren, so wäre denn doch zu besorgen, sagten wir uns, daß wir nach vieljährigem Aufenthalte zu Manheim endlich dem Publikum, und daß dieses uns gleichgültig werden könnte. Beide Theile könnten allmählich gar höflich neben einander einschlafen. Was dagegen zu thun sey? Da wurden denn allerhand Projekte entworfen: Reiseurlaube, um andere Künstler zu sehen, ein anderes Publikum. Endlich kam es an die eigentliche Kunstrechnung. Ein aufrichtiges Bekenntniß sollte einer dem andern ablegen, ob wir nämlich vorwärts geschritten, stehen geblieben, oder gar zurück gegangen wären.

Wir hatten uns wohl immer noch im Stillen beobachtet, uns manchmal ein Wort darüber gesagt, aber wir hatten eine geraume Zeit her nicht mehr ausführlich über unsere Kunstübungen gesprochen. Da erinnerten wir uns der vergangenen Jahre, wo – manche kleine Neckerey des Künstlerhumors abgerechnet – in Kunstsachen für alle drey doch nur Ein Gewinn, Ein Verlust, Eine Ehre war. Wir fanden, daß größere Verhältnisse kleine Freuden aufgehoben, oder doch unterbrochen hatten. Wir waren alle drey einig, daß die kleinen Freuden, im kleineren Wirkungskreise, eine beglückendere Eigenheit gehabt hatten, als die, welche uns jetzt dafür geworden waren.

[72] Die Gewißheit, um keinen Preis uns in einen noch größern Wirkungskreis, als der damalige war, zu verlieren, wurde also vor allem förmlich bestätigt. Die Erneuerung unserer eignen strengen Kritik wurde festgesetzt, und alles, was ihre Wachsamkeit eingeschläfert haben konnte, ausgeglichen und zu vermeiden gelobt. Wir untersuchten nun unsre Fehler, unser Gutes. Wir gingen ehrlich, lebhaft für das Beste und im Geist der treusten Freundschaft dabey zu Werke. Das Resultat war: daß hier einer anfange zu viel Manier zu haben statt Wahrheit; daß die Wahrheit des einen, zu flach, sich der Gemeinheit nähere; daß der Anstand des andern in Förmlichkeit oder Geziertheit auszuarten im Begriff sey. Wir nannten uns die Rollen, die Vorstellungen, die Stellen, wo das der Fall besonders gewesen war.

Einige Jahre vorher hatten wir unter einander festgesetzt, daß niemand von uns etwas, am wenigsten bey den so genannten Abgängen, dem Applaudissement zu gefallen thun solle. Wir hatten nicht ausgesetzt, uns, was den Punkt anlangt, sehr genau zu beobachten, und sagten uns bey der Uebertretung oft ernste Dinge; allein wir fanden nun, daß wir doch darin zu weit gegangen waren. Manchmal verleitete der Stolz, ein recht glänzendes Opfer zu bringen, einen oder den andern, der Sache viel zu wenig zu thun, um recht gewiß zu seyn, nicht zu viel gethan zu haben. Wir waren dann weit unter der Wahrheit geblieben, so wie der Zwang, mit jener verabredeten Resignation einen Auftritt schließen zu können, nothwendig die ganze vorher gehende Scene drücken und lähmen mußte. Dieß Verhältniß setzten wir in seine gehörigen Gränzen zurück.

Es wurde beschlossen, daß eine ganz leere Tirade, wenn der Dichter sie zum Besten eines armen Sünders hingesetzt hatte, ohne Zuthun besonderer Energie, bloß in der richtigen Gradation des gehörigen Rhythmus hergesagt werden solle. Allein wo eine Handlung am Schluß einer Scene Kraft fordert und Feuer, solle niemanden ferner eine mißverstandene Bescheidenheit hindern, sie mit allem was in ihm ist auszustatten. Wo einer mit dem andern nicht zufrieden sey, [73] solle Stillschweigen auf dem Theater Mißbilligung ausdrücken, bis diese in der nächsten Unterredung aus einander gesetzt sey. Ueber unsere Zufriedenheit verstanden wir uns von jeher durch ein freundliches Kopfnicken, oder einen gutmüthigen Händedruck.

Neu festgesetzt – obschon wir das nie wesentlich überschritten hatten – wurde auch damals, daß nie die Darstellungsweise des einen, im Augenblick, wo wir zusammen auf der Bühne zu thun hatten, das Interesse von dem Charakter des andern, wie überhaupt von keinem Mitschauspieler, stören solle; daß im stummen Spiel, im Gehen und Stehen, nie mehr oder weniger geschehen solle, als die Sache und der Augenblick fordern; daß wir ein besonderes Verdienst darein setzen und besondern Fleiß darauf verwenden wollten, alle Lücken, welche durch unser Versehen oder die Schuld anderer entstehen möchten, sogleich im Geiste der Handlung ersetzen und verdecken zu wollen. Wir gaben uns das Wort, gewissenhafter zu memorieren. Besonders aber setzten wir zwey Dinge fest, und die haben wir, das eine mehrentheils, das andere stets gehalten. Einmal, daß wir bey leerem Hause mit verdoppeltem Fleiß, mit aller Anstrengung, mit allem Aufgebot des Genies, Darstellungen geben wollten. Dann, daß wir, wenn an einem solchen Tage ein Schicksal über uns walten sollte, welches es uns zur Unmöglichkeit machen würde dieses durchzusetzen, wir doch, es koste was es wolle, Eine Scene so geben wollten, daß diese mindestens den unerkennbaren Stempel des Arbeiters trage.

Diese und manche ähnliche Verabredung hat niemand jemals erfahren. Das Gute geschah ohne Geräusch und Anspruch.

Ein neues Leben kam in die ältesten Vorstellungen. Das Publikum, von dem Probespiel der schlechten Preisstücke mehr als lau gemacht, erwachte mit uns. Jedermann freute sich der Veränderung, welche für zufällig angesehen wurde, da sie doch das Werk unserer strengen Verabredung war. Wohl mochten manche uns dazu für zu unbekümmert und leichtsinnig gehalten haben.

[74] Von Michaelis 1786 bis dahin 1793 war überhaupt die beste Periode des Manheimer Theaters.

Im September 1786 beschenkte der Freyherr von Dalberg die Bühne mit seiner Bearbeitung des Einsiedlers von Karmel. Dieses war von allen Seiten eine treffliche Vorstellung. Das Theater hatte das Jahr zuvor an Herrn Julius Quaglio, Neffen des berühmten Dekorateurs dieses Namens, eine überaus schätzbare Akquisition gemacht. Seine Kenntniß der Wirkung, sein Geschmack für den edelsten Styl, seine herrliche Perspektive, sind die Bewunderung aller Kenner. In diesem Schauspiel erschien die erste Dekoration von seiner Erfindung und Ausführung. Sie erwarb ihm den vollkommensten Beyfall, welchen das Publikum laut bewies. Das Kostüme war genau beobachtet; und diese Vorstellung, in welcher die Künstler ihren Antheil an der Sache, wie ihren dankbaren Antheil an dem Verfasser, so unverkennbar bewiesen haben, erregte das erste Mal, und eben so bey mehreren Wiederholungen, das lebhafteste Vergnügen.

Im Winter wurde auch noch die Oper, Helena und Paris, mit Musik von Winter, gegeben. Madam Müller, damals noch Demoisell Boudet, zeigte sich als Amor in einem Gesange von größerm Umfange als bisher und sehr angenehmer Vorstellungsart. Madam Beck bestätigte mit hinreißendem Gesange und wahrer Kunst den Ruhm, den sie sich schon erworben hatte. Die Arrangements der Vorstellung machten dem Regisseur, Herrn Rennschüb, Ehre.

Im Sommer desselben Jahres hatte ich zu Käfferthal das Schauspiel, Bewußtseyn, geschrieben. Es wurde den 12ten December mit Beyfall gegeben.

Beck gab den Ruhberg hinreißend schön. Die sanften Stellen des vierten Akts besonders charakterisierte er durch eine Wehmuth und Würde, welche alles erreichte, was ich mir gedacht hatte.

Beil, als Kammerdiener Meyer, war die Wahrheit selbst. Eine Menge kleiner Züge, die nur ihm eigen waren, ein Detail der Ausmahlung, was nur seinem Genius glücken konnte, verwandelten diese Skizze in einen lebendigen Menschen.

[75] Böck, als Minister – edel und warm.

Der Leser wird über diese Zeilen ungeduldig weggleiten und sagen: »Das war, und ist nicht mehr.« Ach, eben darum ist es mir Pflicht, davon zu reden. Der Baumeister, der Bildhauer, der Mahler – kann von seinem Kunstwerke sagen: »Dieß ist, und es wird seyn!« Nicht so der Schauspieler. Nur das Aufgebot aller seiner Kraft gewährt seinem Kunstwerke Vollendung. Jedes reißt ihn näher an das Grab. – Das sagt nach jeder kräftigen Darstellung die keuchende Brust, seine klopfenden Pulse und das erschütterte Nervensystem, ohne daß er sich rühmen könnte: »Dieß wird einst seyn!« Sein Kunstwerk geht dahin – wie das Lächeln über das Gesicht des Menschen. Darum rede der Freund und der Bewunderer des seltnen Talents ein dankbares Wort von dem, was gewesen ist!

Das Jahr 1787 verging unter den getreuesten Anstrengungen aller Theile.

Herr Müller, von Manheim gebürtig, verließ das Orchester, und betrat als Odoardo die Bühne. Schon in den Vorstellungen eines Gesellschaftstheaters hatte er Aufmerksamkeit erregt, wurde von dem Publikum seiner Vaterstadt mit Beyfall aufgenommen, und hat seitdem in hochkomischen Charakterrollen, wie der Rath Ritter im Freemann, Falbring in Dienstpflicht, Kammerrath Gräber im Vormund, sein Talent so entwickelt, daß er mit Recht zu den Schauspielern von Verdienst zu zählen ist.

Ich trat dieses Jahr, so wie vorher im Jahre 1784, in Frankfurt am Main auf der dortigen Bühne auf. Die warme, herzliche Aufnahme, welche das Frankfurter Publikum mir jedesmal gewährt hat, wird stets zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens gehören.

Ich hatte in diesem Jahre das Schauspiel, Reue versöhnt, geschrieben. Es wurde 1788 ohne Beyfall gegeben.

In dem Jahre kam Mercier von Paris über die Schweiz nach Manheim. Mit der größten Genauigkeit hat er schon damals alles prophezeihet, was nachher bis Anfangs 1790 in Frankreich vorgegangen ist. So wie manches –[76] – was nicht in diese Schilderung gehört. Er war sehr zufrieden mit dem Manheimer Theater. Die Vorstellung der Räuber entzückte ihn. Es würde nicht bescheiden seyn, wenn ich hier erzählen wollte, was er über die Darstellung des Franz Moor mir Ehrenvolles sagte; es freute mich indeß sehr, es von Mercier zu hören. Er wünschte eben so lebhaft dem Pariser Theater eine Revolution, als er der großen Staatsrevolution vorgearbeitet hat.

Im Sommer dieses Jahres war der Churfürst da. Er nahm großen Antheil am Theater, welches ihm gute und lebhafte Vorstellungen gab.

Ich habe damals Figaro in Deutschland geschrieben.

Im Herbste kam der Churfürst unerwartet zurück. Man glaubte damals allgemein, er würde sein Hoflager wieder nach Manheim verlegen. Da ihn die Garden und der größte Theil des Hofstaates begleitet hatten, so gewann diese Vermuthung Wahrscheinlichkeit.

Im Winter dieses Jahres wurde ich, wie im Jahre 1785 und 1786, für einige Vorstellungen zum Hoftheater nach Karlsruhe berufen. Die Güte, die feine Beurtheilung des Herrn Markgrafen, der Umgang der liebenswürdigen Familie Edelsheim, so wie einige sehr kostbare Stunden in Schlossers Umgange, machten mir die Reise dahin jedesmal sehr wünschenswerth. – Der Churfürst erschien wegen seiner Gesundheit, bey dem ungewöhnlich strengen Winter, nur sehr selten im Schauspiele. Im Junius 1789 kehrte er mit seinem Hofstaat nach München zurück. Er ist seitdem bis jetzt nicht wieder in die Pfalz zurück gekommen. Ich ging eben vors Thor, da er, den letzten Abschied von seiner Gemahlin in Oggersheim zu nehmen, über den Rhein zurück kam, und um die Stadt herum nach Schwetzingen fuhr. Das konnte dieser Fürst damals nicht ahnden, und niemand konnte es, daß er jetzt für ewig von der schönen Pfalz über dem Rhein geschieden seyn sollte.

In diesem Jahre wurden zuerst die Schauspiele des Herrn von Kotzebue gegeben. Menschenhaß und Reue, die Indianer in England, so wie die Strelitzen von Babo, [77] erregten allgemeines Vergnügen und erwarben hinreißenden Beyfall.

Ebenfalls in diesem Jahre trat Herr Brockmann als Beaumarchais, Ellborn im flatterhaften Ehemann, Oberförster in den Jägern, und Schauspieler in der Heirath durch ein Wochenblatt, auf. Da ich den Tag nach seiner Ankunft zum Gesellschaftstheater nach Saarbrücken, einer vorher getroffenen Abrede zu Folge, verreisen mußte, so habe ich von seinem herrlichen Spiel, das ich schon längst in frühern Jahren zu Hannover so innig bewundert und genossen hatte, nur den lauten Nachhall im Publikum empfangen, als ich wiedergekommen war. Nach seiner freundschaftlichen Aeußerung gegen mich hatte Herr Brockmann den Auftrag vom Kaiser Joseph, mein Engagement nach Wien zu bewirken. Wir sprachen darüber den Tag vor meiner Abreise.

Das Ganze mochte von einer Aeußerung herrühren, welche ich einst, da ich im Fall der Sammlung meiner Schauspiele um ein kaiserliches Privilegium gegen den Nachdruck Anfrage that, dem damaligen kaiserlichen Gesandten am Pfälzischen Hofe, Herrn Grafen von Lehrbach, dahin gemacht hatte, daß ich wohl wünschte das Wiener Theater zu sehen. Vielleicht habe ich mich nicht bestimmt genug ausgedrückt; denn seine Antwort bezog sich auf ein Engagement nach Wien. Da ich glaubte, der Herr Gesandte würde dieser Unterredung sich bald nicht mehr erinnern, so hielt ich einen Widerspruch für unhöflich und erörterte den Mißverstand weiter nicht. Desto mehr beunruhigte mich Herrn Brockmanns sehr gütige Eröffnung, wobey er unmittelbar auf jene Unterredung, als auf einen von meiner Seite geradezu gemachten Antrag, sich zu beziehen angewiesen war.

Welcher Mensch und welcher Künstler, wie berichtigt auch seine Meinung und seine Grundsätze seyn mögen, wird nicht eine lebhafte Unruhe empfinden, wenn ihm ein Wirkungskreis in einer Stadt, wie Wien ist, dargeboten wird? Dazu fehlte es nicht an auswärtigen Freunden, welche mein langes und beständiges Ausharren zu Manheim für widersinnig erklärten, und sogar für schädlich in Betreff der Kunst.

[78] Dieses und das Zufällige in der ganzen Sache ließ mich einen sehr ernsten Blick auf den Antrag richten. Ich fragte nach den Bedingungen. Diese schienen mir mit Recht unter aller Erwartung zu seyn, welche ich billig haben konnte. Ich freute mich darüber. Nun war ich vom Schicksal selbst der Sorge überhoben, für Weggehen oder Dableiben aus eigener Wahl einen verneinenden oder bejahenden Entschluß zu fassen. Ich erklärte Herrn Brockmann, daß die angebotene Summe von funfzehn hundert Gulden zu gering, überhaupt und selbst gegen meine Verhältnisse in Manheim zu gering sey. Da Herr Brockmann keine Vollmacht hatte weiter zu gehen, so wurde festgesetzt, die fernere Verhandlung dieser Sache in Briefen zu betreiben. Ich erhielt einige Wochen darauf, in derselben Angelegenheit Briefe von Herrn Jünger, worin mir mit dem Garderobegelde neun hundert Conventionsthaler geboten wurden. Allein, außer daß Herr Jünger sich als Theaterdichter unterzeichnet hatte, eine Eigenschaft, welche ihn für kein Geschäft dieser Art als vollgültig bezeichnen konnte, wie werth er mir auch persönlich war, so enthielt dieser Brief noch die sonderbare Bedingung: »Ich solle auf ein Jahr angestellt seyn, alsdann für immer engagiert werden, und zu bleiben verbunden seyn, wenn ich gefalle, und wenn ich nicht gefalle, nach Verlauf dieses Jahres gehen können.« Es gehört bey dem mäßigsten Selbstgefühl wohl keine besondere Eitelkeit dazu, eine Bedingung dieser Art für keine Bedingung zu achten. Die Unterhandlung wurde von mir ganz abgebrochen. Daran habe ich um so mehr recht gethan, da ich nachher Herrn Beck die Erfahrung habe machen sehen, daß in Angelegenheiten eines Schauspiels von ihm das dortige Theater eine Zusicherung nicht bemerken zu müssen geglaubt hat, welche Herr Jünger Namens desselben vorher gegeben hatte.

In diesem Jahre kam für einige Gastrollen die Familie Keilholz nach Manheim. Die ältere Demoisell Keilholz riß durch den Ausdruck, den sie in den Gesang legte, durch ihre schöne Gestalt, jedermann so hin, daß man das geringere Talent ihrer Schwester nicht nur gern übersah, [79] sondern freundlich aufnahm. Beide wurden engagiert. Sehr bald zeigte die ältere Schwester in der Rolle der Maria Stuart, wie in der Iphigenia von Gluck, in Nina, das seltenste Talent für das hohe Trauerspiel. Der Wetteifer, und eben dadurch das Leben, welches diese Künstlerin in das Ganze brachte, schuf die glänzendste Periode der Manheimer Bühne.

Ich muß es zur Ehre des Publikums von Manheim sagen, daß, so groß auch der Enthusiasmus war, den diese Erscheinung mit Recht erregte, so hat dennoch das eigentliche Publikum nie deßhalb eine Ungerechtigkeit gegen Verdienste begangen, welche in ihrer Art diesem Verdienste gleich kamen. Im Gegentheil war man verschiedenemale sichtbar bemüht, denen, welche von jeher mit Eifer danach gestrebt hatten, anerkannte Talente für das Vergnügen des Publikums und ihre Ehre zu verwenden, nicht nur Gerechtigkeit, sondern Beweise der Wärme und Achtung zu geben. Nur hier und da haben Einzelne, begierig nach Neuheit, und von jeher übellaunig, daß nicht alles unter ihrem Einfluß geschah, auch aus andern Nebenursachen, durch das Geschrey über eine Partey, welche nicht da war, die Eigenmächtigkeit einer Partey zu veranlassen sich vergeblich bemüht.

Die Revolution in Frankreich, welche in diesem Jahre ausgebrochen war, warf sehr bald eine Menge Flüchtlinge aller Art nach Deutschland. Noch mehrere kamen 1790 an. Sehr groß war die Anzahl, welche entweder in Manheim, oder der umliegenden Gegend sich niederließ, oder durchreiste.

Der lebhafte Charakter der Franzosen ward bald im Schauspielhause sehr merklich. Die Schnelligkeit, womit sie in eine Lage sich versetzen, das Interesse, womit sie dieselbe, lebhafter als die Deutschen, ergreifen und umfassen, äußerte sich auf das kräftigste. Ein erhöheter Grad von Wärme theilte unwillkührlich dem übrigen Publikum sich mit, erleichterte alles Thun der Künstler, entwickelte schneller den Keim in jedem Anfänger, erhob viele Vorstellungen zu einer Lebendigkeit, warf ein Feuer in dieselben, daß, sich unbewußt, [80] die Schauspieler auf eine Höhe gelangten, dahin sie ohne dieses Treiben des Publikums schwerlich gekommen seyn würden.

Um Ostern 1790 bekam ich auf Befehl des Königs den Antrag, die Direktion des Berliner Nationaltheaters zu übernehmen. Die Bedingungen waren ehrenvoll und glänzend. Ich wurde davon angenehm überrascht, ohne daß irgend eine Stimmung mich dafür entschieden hätte. Eben indem ich zu näherer Kenntniß der Umstände selbst nach Berlin reisen wollte, erhielt ich Nachricht, daß eine Dame ein anderes Projekt übergeben hatte, wodurch dieser Antrag beseitiget wurde. Ich verwandelte die Berliner Reise in eine fröhliche Rheinreise nach Düsseldorf. Einen Theil dieser Reise machte ich mit dem verewigten Forster. In seinen Ansichten giebt er mir in dem Kapitel über den Dom von Kölln das Zeugniß, daß ich ihm nicht gleichgültig war. Es ist ein erlaubtes Gefühl, dieses Patent anzuführen.

Zu den Krönungsfeierlichkeiten des Kaisers Leopold wurde ich veranlaßt, das Schauspiel, Friedrich von Oesterreich, für das Mainzer Theater, welches während der Zeit zu Frankfurt Vorstellungen gab, zu schreiben. Ich trat darin und in noch einigen Rollen dort auf.

Noch vor meiner Abreise von Manheim erhielt Herr von Dalberg, bey dem Besuche eines Kavaliers aus Wien, die Nachricht, daß man dort neuerdings die Idee habe, mich bey dem kaiserlichen Theater zu engagieren. Ich wußte darüber nichts, und erhielt durch Herrn von Dalberg selbst die erste Nachricht davon.

Unsere Kontrakte mit Manheim waren in Jahresfrist zu Ende. Mein Besuch in Frankfurt konnte die Gelegenheit geben, ein Engagement nach Wien allerdings vortheilhaft abzuschließen. Diese Periode war also für beide Theile gleich wichtig. Herr Baron von Dalberg hatte die Güte, über die Möglichkeit eines Abganges sehr freundschaftliche Besorgnisse zu äußern, und mir zu sagen, die Churfürstin habe darüber erklärt – was ich auch wußte: – »Ich glaube nicht an Ifflands Abgang, so lange ich lebe. Er hat mir [81] sein Wort gegeben, und er ist ein ehrlicher Mann.« – Das eine und das andere traf meine Empfindung.

Ich konnte glauben, daß Herr von Dalberg als Mensch etwas auf mich halte. Dieses Vertrauen war mir stets von hohem Werthe. Ich habe vieles gethan und aufgeopfert, damit er sich nicht in mir geirrt haben sollte. Auf der andern Seite hörte ich die Worte der guten alten Dame, – »wenigstens so lange ich lebe, nicht!« – so lebhaft, wie ich für mein Versprechen an sie empfand. Unläugbar hatte sie seit jenem 20sten November 1785 eine andere Meinung von Deutschen Künstlern gefaßt. Sie kam oft ins Schauspiel, nahm wahren Antheil an seinem Fortgange, und bewies uns manche freundliche Gutmüthigkeit mit einer wahrhaft mütterlichen Art. Dieß alles, die Bande der Freundschaft, die ich zerreißen sollte, machten es mir, auch wenn die Vernunft mir zurief den Wiener Anträgen zu folgen, dennoch zur entschiedenen Unmöglichkeit, Manheim zu verlassen.

Offen, geradezu, mit Treuherzigkeit und Rührung antwortete ich Herrn von Dalberg, daß ich ganz und gar nicht daran denke, von Manheim zu gehen. Ich nannte ihm sogar die Gründe, warum es so wäre. Da er noch immer zu zweifeln schien, gab ich ihm mein Ehrenwort, in Frankfurt nicht das mindeste ohne sein Wissen zu unternehmen, falls er auf das gerade Versprechen, mich nicht nach Wien zu engagieren, sich nicht unmittelbar verlassen zu können glaubte.

Ich gestehe, daß, bey der Pünktlichkeit, womit ich ihm stets mein Versprechen gehalten hatte, bey der Wahrheit, die in meinem ganzen Wesen liegen mußte, da ich dieses Versprechen jetzt leistete – diese wiederholten Zweifel mir auffielen, weh thaten und unbegreiflich waren. Es ist billig, setzte ich dann erst hinzu, daß, nach der offnen Erklärung, welche ich gegeben habe, und wozu ich, wenn etwas Wesentliches von Seiten des Theaters für unsere Zukunft geschieht, Beil und Beck ebenfalls zu vermögen glaube, welche Plane sie auch haben könnten – es ist billig, nach dreyzehnjährigen Diensten, und wenn wir jetzt alle Verbindungen von uns weisen und [82] dadurch wahrscheinlich für immer verlieren, daß der Hof für uns thue, was er sonst ohne Schwierigkeit Ausländern zu verwilligen pflegte – daß er nach eingetretenem Dienstunvermögen, oder bey etwaniger Aufhebung der Manheimer Bühne, uns eine Pension bewillige. Mit Vertrauen erwarte ich dieß von der Gerechtigkeit und Güte des Churfürsten.

Herr von Dalberg versprach seine Verwendung, leistete sie, und erreichte bald darauf das Ziel seines edlen Bemühens. Bey seiner Anwesenheit auf der Krönung zu Frankfurt zeigte er mir die Pensionsdekrete für mich, Beil und Beck.

Nun war ich entschieden für die Zeit meines Lebens; froh, daß keine Unschlüssigkeit, keine Versuchung mich mehr erschüttern konnte; froh, daß die Uneigennützigkeit, womit ich allen gegenwärtigen Vortheilen entsagt hatte, auch für andere Vortheil hatte bewirken können. Dieß geschah; denn, einmal die Bahn gebrochen, erhielten nun auch andere Mitglieder ähnliche Dekrete.

Inzwischen sah der Kaiser Leopold eine Vorstellung von mir, und gab bestimmt zu erkennen, daß er mit mir zufrieden sey. Da der Wohlstand es forderte, daß ich unter den anwesenden Wiener Großen vorzüglich dem alten Fürsten * * * meine Aufwartung machte, so hätte ich dadurch zugleich erfahren können, worin die Verhältnisse bestehen möchten, welche man von dort mir nun würde gewähren wollen. Diese Neugier ist begreiflich. Da ich auch für das kaiserliche Geschenk dort meinen Dank abzustatten, und dieser Herr das Verlangen geäußert hatte, meine Bekanntschaft zu machen, so habe ich dreyzehnmal vergeblich versucht, vor ihn zu gelangen. Zum vierzehnten Male introducierte mich sein Freund, der verstorbene Badensche Minister von Edelsheim. Der Fürst besah mich lange und sprach nicht – wendete sich nach einigen Arrangements seiner Toilette zu mir, und sagte sehr langsam: »Da ich in Wien angestellt zu seyn wünsche, Seine Majestät der Kaiser es auch genehmigten, so möge ich nach der Ungarischen Krönung nach Wien zu ihm kommen, wo davon zu reden sey.« – Ich verneigte mich, rannte die Treppe hinab nach Hause, und ging, voll Freude über mein [83] abgeschloßnes Verhältniß zu Manheim, lebhaft das Zimmer auf und ab.

Im nämlichen Augenblick schrieb ich an den Herrn von Dalberg, daß ich unter solchen Umständen nicht glauben könnte, ein so großes Opfer gebracht zu haben, als er selbst es dafür ansähe, dachte an die gute alte Churfürstin, an ihr freundliches – »wenigstens so lange ich lebe, nicht –« an die freundschaftliche Besorgniß meines Chefs, welche mit jener kalten Hoheit so sehr kontrastierte; ich war in lauter Jubel, daß ich in meiner kleinen Sphäre bleiben konnte, und sehnte mich von Herzen nach Manheim zurück.

Das Schauspiel Friedrich von Oestreich gewährte mir bey den Vorstellungen, besonders bey derjenigen, wo das kaiserliche Haus gegenwärtig war, und das Publikum die Beziehungen auf so viele Hoffnungen, die man bey der Kaiserwahl des Gesetzgebers von Toskana hatte, mit Kraft zu erkennen gab, einige schöne Augenblicke. Auch Herbsttag, ein Schauspiel, welches ich in diesem Jahre geschrieben hatte, wurde zu Frankfurt in eben dieser Zeit gut aufgenommen. – Ich wurde dem Kaiser vorgestellt, und er sagte mir einige sehr gütige Worte.

Von den Feierlichkeiten der Krönung, mehreren merkwürdigen Tagen, und einigen sehr interessanten Augenblicken sage ich hier nichts. Diese sind anderwärts genug beschrieben. Gold, Silber, Aufzüge, Edelgesteine, Equipagen, Kanonendonner, Märsche, Illuminationen, Trommeln und Glockenläuten – das ganze bunte unaufhörliche Getöse hatte mich so betäubt, daß ich mit Sehnsucht nach dem ruhigen Manheim über die Sachsenhäuser Brücke fuhr, in der Stille des nahen Waldes mit langen Zügen Athem schöpfte, und die frische balsamische Luft des Waldes wie ein Genesender einsog.

Die Dekrete, von dem Churfürsten eigenhändig vollzogen, worin unsere Anstellung auf Lebenszeit zu Manheim oder München zugesichert war, wurden uns nun eingehändiget. Ich las das meinige diesesmal mit mehr Bedacht, als es mir in der ersten Freude über die ganze Sache möglich gewesen war.

[84] Mein Antrag, die Pension unmittelbar auf eine churfürstliche Kasse, wie z.B. die Generalkasse zu Manheim, anzuweisen, war nicht bewilligt, und diese auf die Manheimer Theaterkasse angewiesen. Ich äußerte die Bedenklichkeit, daß mit dem etwanigen Ende des Manheimer Theaters auch diese Kasse ihr Ende erreicht haben würde, und wie es alsdann leicht möglich sey, daß ein künftiger Finanzminister mich an diese nicht fundierte Kasse verweisen, und weitere Vorstellungen wenig oder nicht achten können würde.

Was Herr von Dalberg hierüber, und wie die churfürstliche Hauptkasse in solchen Fällen für die übernommenen Verbindlichkeiten der andern Kassen einstehe, mir sagte, beruhigte mich, und mit freudiger Eilfertigkeit unterzeichnete ich meine Verbindlichkeit auf Lebenslang für Manheim, den 4ten November 1790.

Eben da ich dieses thun wollte, fragte mich Herr von Dalberg, ob ich es nicht mit einer gewissen Aengstlichkeit thue, ob mir es nicht drückend scheine, mich für mein ganzes Leben zu bestimmen? In diesem Falle möge ich nur auf sechs Jahre unterschreiben. Ich erwiederte ihm mit dem herzlichsten Gefühl, daß ich durch die vielen Jahre, in einer Zeit, wo der Wunsch die Welt zu sehen sich ungestümer regt, meine Anhänglichkeit an ihn, an das Land, meine Entschiedenheit für ein Verhältniß, in dem man Ruhe genießen könnte, und die Mäßigkeit meiner Wünsche bewährt zu haben glaube. Hierauf unterschrieb ich, und Herr von Dalberg erleichterte mir, unserer Uebereinkunft zu Folge, durch einen zinsenfreyen Vorschuß aus seinem Vermögen gegen monatliche Zurückzahlung, die Acquisition eines Besitzes am Rhein, den ich mir lange gewünscht hatte, und nun suchen wollte.

In diesem Jahre erhielt ich von Saarbrück den Auftrag, zur Feier der nähern Vereinigung des Landes mit dem vorletzten Fürsten Ludwig ein Schauspiel in Einem Akt zu schreiben. Luassan, zu diesem Zwecke verfertigt, wurde dort gegeben, und mir, um jährlich einigemal dort zu spielen und die dortige Gesellschaftsbühne zu leiten, eine Pension von dem Fürsten ausgesetzt. Der Kammerrath Stengel zu Saarbrück[85] war mir eine werthe, geliebte Erscheinung: fest in Grundsätzen, sanft in Gefühlen, unerschütterlich in Glück und Unglück, von den ausgebreitetsten Kenntnissen, dem feinsten Geschmack und hinreißendem Feuer – Was habe ich ihm nicht zu danken?

Durch die angenehmen Verhältnisse zu Karlsruhe, Saarbrück, und die herzlichen Verbindungen mit Dürkheim gänzlich beruhigt über alle Zukunft, lebte ich in der innigsten Zufriedenheit.

Da nun auch der Wohnsitz des Pfalzgräflichen Hauses von Straßburg nach Manheim verlegt wurde, so gewann die Stadt dadurch mehr Lebhaftigkeit. Die Theilnahme dieses Hauses am Schauspiel, die Aufmerksamkeit, die regen Aeußerungen, welche dieses geliebte Paar bey allen guten und schönen Empfindungen während der Vorstellung zu erkennen gab, verliehen diesen einen eigenen Reitz, und erhöhten die Stimmung aller Schauspieler zu einer herzlichen Berufsfreudigkeit.

Nachdem die ersten Stürme zu Paris vorüber waren, ließen die großen Begebenheiten dort reinen Gewinn für die Menschheit hoffen, nicht so furchtbar erkauft, als es nachher geschehen ist. Jedermann nahm mehr oder minder lebhaften Theil daran, alle freuten sich des aufgehobenen Drucks, und da war niemand, dem nicht die Erklärung der Nationalversammlung, »daß sie Frankreichs Heil zu begründen, zu schützen, aber Eroberungen zu machen nicht verlange,« – das hochherzigste Gefühl gegeben hätte. Man sah das bunte Getümmel der Ausgewanderten, ihre charakteristischen Eigenheiten, ihre Thorheiten, freute sich des interessanten Umganges mit einigen gebildeten Männern – man lebte ganz angenehm in dem Quodlibet, das jeden Tag eine andere Gestalt gewann. Die Verwickelungen, den Blutkampf, der daraus entstehen, unsern und jeden Frieden so grausam zerreißen sollte, ahndeten wir nicht.

Schon in der Mitte des Jahrs 1791, noch mehr gegen Ostern 1792, hatte sich die Gestalt der Dinge und ihr Eindruck auf die Menschen merklich verändert. Alle Begebenheiten und Menschen, welche vorher Unterhaltung gewährt, und zu [86] ruhigen, witzigen oder ernsten Gesprächen geführt hatten, erhitzten nun, erbitterten und veranlaßten oft traurige Augenblicke. Der Krieg der Meinungen begann mit Hartnäckigkeit. Die Unbefangenheit des täglichen Verkehrs war früher, als man es bemerkt hatte, gestört. Diese Störung wirkte erst schwächer, dann stärker im Schauspiele, und ging auf das Privatleben der Schauspieler über. Es ward allmählich zur Sitte, daß die Anhänger dieses und jenes Systems durch künstlich bewirkte oder gebotene Kälte, wie durch jauchzenden Beyfall im Schauspielhause, ihre Ueberzeugung geltend zu machen sich bestrebten.

Das unweise, oft übermüthige Betragen der Emigranten im gemeinen Leben beleidigte den ruhigen Bürger, und ihr lauter, stürmischer, gebieterisch scheinender Enthusiasmus, wenn in den Schauspielen Situationen oder Stellen vorkamen, welche mit ihren Empfindungen Aehnlichkeit hatten, war nur wenigen faßlich, vielen beschwerlich, und allen, welche an Ludwig dem Sechzehnten keinen, oder Antheil gegen ihn nahmen, im höchsten Grade zuwider.

Besonders war dieß der Fall nach der Einholung des Königs auf der Flucht nach Varennes, und äußerte sich in den verschiedenen Meinungen nach der Aufführung der Oper, Richard Löwenherz. Diese Vorstellung wurde durch lautes Schluchzen, ein wildes Geschrey, Umarmungen und durch alle Bewegungen bezeichnet, in welche ein so lebhaftes Volk, in dicht gedrängter Menschenmasse, gequält von Schmerz, Wuth, Eitelkeit, Unglück und Hoffnung, nur auszubrechen vermag. Verse wurden auf das Theater geworfen, und nicht eher war der Aufstand zu stillen, bis diese abgelesen waren. Der Sturm der Burg am Schlusse der Oper, wo Richard von Blondel befreyt wird, riß diese erschütterten Menschen in die Höhe; sie stiegen auf die Bänke, das Geschrey der Stürmenden war im Parterre, unterbrochen von manchem Angstruf um Ludwig den Sechzehnten, dessen Schicksal nach der Einholung von Varennes damals noch nicht entschieden war.

Die Vorstellung endete. Alle Franzosen und sehr viele Einwohner riefen mit unablässigem Ungestüm, und verlangten [87] die Erscheinung des ganzen Personals, welches die Oper aufgeführt hatte. Dieß geschah. Es wäre sehr besonnen gewesen, wenn alle sich verbeugt und niemand gesprochen hätte.

Der Vorhang war hinauf – das ganze Theater stand da – eine feierliche Stille erfolgte. Das Publikum erwartete, wie gewöhnlich nach dieser Art seiner Begrüßung geschieht, eine Antwort. Es war eben so kritisch, einer Volksmasse in dieser gewaltigen Bewegung nichts zu antworten, als es schwer war, nicht etwas zu antworten, was jetzt einigen und später hin der Mehrheit mißfallen konnte. Der Augenblick gebot – zur Ueberlegung war kaum ein Athemzug Zeit.

Erschüttert von allem Tumult, noch mehr von so manchem schmerzlichen Ausruf, welches von der Reitzbarkeit eines Künstlers von Empfindung wohl begreiflich ist – sagte ich auf Französisch: »Möge der König einen Blondel finden, der sein Leben rettet!« Das ganze Publikum, Deutsche und Franzosen, stimmte in den Wunsch ein, ohne daß ein Mißlaut gehört wurde. Der Vorhang fiel. – Ohne daß gleich darauf über diese Begebenheit vieles von einiger Bedeutung gesprochen worden wäre, datiert sich doch von dieser Vorstellung so mancher Mißverstand, und einige höchst schmerzliche Augenblicke, die so sehr in mein Leben und meine Laufbahn als Künstler verwickelt sind, daß ich nicht umhin kann, ihrer hier zu erwähnen.

Alle Theile, oder doch gewiß die Mehrheit, welche in Ludwig dem Sechzehnten keinen Beruf zur Königswürde finden, waren damals darüber einig, und scheinen es jetzt wieder zu seyn, daß er als Privatmann von mancher Seite Achtung, und überhaupt Mitleiden verdiene. Dieß empfand ich bey jener Vorstellung; nicht mehr drückte ich aus, als ich sagen mußte.

Daß Frankreich ein Jahr darauf sich zur Republik erklären würde, sahen vielleicht damals die bedeutendsten Staatsmänner nicht voraus: es ist also wohl zu denken, daß die meisten von denen, welche über diesen Vorfall mich bitter getadelt und verschrien haben, unter ähnlichen Umständen nicht viel anders gehandelt haben würden.

Wie ernstlich ich mich auch stets um den Antheil der [88] Mehrheit durch Anstrengung beworben habe, so habe ich dennoch nie den Antheil irgend einer Partey gesucht. Ich bin in dem Bestreben, auch den Anschein davon zu vermeiden, zu meinem offenbaren Nachtheil, viel zu weit gegangen.

Die Emigranten, mit denen ich – einen einzigen schätzbaren Mann, den ich lange vor der Revolution gekannt habe, ausgenommen – nie Verkehr hatte, bewiesen mir ihren Antheil nach diesem Vorfalle während der Vorstellungen, in welchen ich zu thun hatte, nicht viel, aber doch etwas lebhafter wie zuvor. Ein bedeutender Schauspieler glaubte aber, und eine Partey machte ihn glauben, daß ich auf diesem Nebenwege Beyfall und eine Gattung Ruf erhalte, welcher den seinigen übertreffen könne. Diese Sorge warf eine Art Eifersucht in seine Seele, welche er vorher nie gekannt hatte. Um nun auch seinerseits auf einem nicht minder bedeutenden Nebenwege mich wieder einzuholen, ergriff Er – der für die Sorge um alle öffentliche Angelegenheiten von jeher viel zu leichtsinnig gewesen war – den Anschein – denn mehr war es nicht – unter der Aegide der entgegen gesetzten Partey zu stehen, und diese für sich wirken zu lassen. – Hieraus entstanden Gespräche, wurden Meinungen angenommen und von mir festgesetzt, welche, so wie ihre Wirkungen, ich erst einige Zeit nachher in ihrer ganzen Bedeutung erfahren habe.

Mancher Neckerey, mancher Bitterkeit setzte ich Geduld, Freundlichkeit und Zuversicht auf meine Denkungsart entgegen. Ich ergriff einige Gelegenheiten, die geradesten Erklärungen, auf Thatsachen gegründet, zu geben. Einst sank der Freund, der fast gewaltthätig verleitet wurde mich zu verkennen, mit inniger Rührung an meine Brust. – »Es ist nicht, was man glaubt – ich weiß, es ist nicht!« rief er mir zu. Einige Wochen vergingen in Frieden, dann trieb falsche Ambition und die rege Zwietracht ihn wieder in die Glieder gegen mich. Bis daher war auf dem Wege unserer Freundschaft durch meine Schuld kein Gras gewachsen: nun aber, wo ich ohne Mißdeutung mit niemand reden, niemand mehr grüßen konnte, forderte es meine Ruhe, daß ich mich zurückzog.

Ich brachte auf einem Garten, am Einflusse des Neckars [89] in den Rhein, meine Tage in beschränktem Umgange mit Arbeit zu. Elise von Valberg wurde dieß Jahr auf die Bühne gebracht; auch die Hagestolzen.

Um diese Zeit wurde mir, ohne Veranlassung, Einleitung, Zuthun oder Verbindung, welche ich in Wien weder hatte, noch jetzt habe, über Triest her, auf Geheiß des Kaisers Leopold, der Auftrag, gegen gewaltsame Staatsumwälzungen ein Schauspiel zu schreiben, und dazu das Thema gegeben, wie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Könige von Dänemark die verlorne Suveränität wieder erlangt haben. – Dagegen setzte sich mein Gefühl. Ich konnte nichts an ders erwarten, als daß die Bearbeitung dieses Gegenstandes durchaus mißverstanden werden, entgegen gesetzte und sehr üble Wirkung thun müßte, und schlug daher vor, in einem andern, selbst gewählten Gegenstande, so gut ich es vermögen würde, ein Bild alles Mißverstandes zwischen beiden Theilen, so wie das Gemählde eines Fürsten zu entwerfen, wie Fürsten seyn sollen, und wie manche sind. Indem ich das Ungemach des Parteygeistes in Bürgerhaushaltungen zu schildern mir vornahm, konnte ich zugleich mich des drückenden Gefühls entladen, das ich selbst eben jetzt angefangen hatte hierüber zu empfinden, und dessen Zunahme ich mit Recht befürchtete. Dieser letzte Grund bestimmte mich am meisten, den erhaltenen Auftrag zu übernehmen. Mein Vorschlag wurde angenommen. Dieß ist die Entstehung des Schauspiels, die Kokarden, worüber ich nachher so hart mißverstanden worden bin.

Eine Rheinfahrt, bey welcher wir an der Schwedischen Säule, von Gustav Adolphs Andenken begeistert, eine Libation seinen Manen brachten und bey dem Wunsche, daß in keinem Falle eine fremde Nation die Deutschen überwältigen möge, die Achtung für den Unternehmungsgeist Gustav des Dritten – veranlaßte in jenem Augenblick den Entschluß zur Zueignung der Kokarden an diesen König.

Sie wurde ausgeführt, wie lebhafte Menschen oft den ersten Gedanken ausführen, den sie in einer besondern Stimmung empfangen haben.

[90] Seit der Erscheinung dieses Schauspiels, welches im September 1792 gedruckt wurde, in der Zeit, wo eben der zweyte Theil der großen Weltgeschichte begann, haben manche aus Mißverstand, den ich mit diesen Dingen veranlaßt haben kann, mich öffentlich für einen enragierten Aristokraten, noch dazu in der schlimmsten Bedeutung, erklärt. Nur die Wenigen, welche mich kennen, sind darüber so erstaunt wie ich selbst.

Ich wünsche, daß es mir gelingen möge, durch diese nicht ausgeschmückte, treue Erzählung des Herganges, der Umstände, welche dazu beygetragen haben können, jene Meinung berichtigt zu haben. Sowohl meine frühern Schauspiele, als die, welche nachher geschrieben sind, können mich, glaube ich, von dem Verdacht frey sprechen, als sey ich zu zahm, für die gute Sache der Menschheit Wahrheit zu sagen. Ich habe mich bemüht, diese nach meinen Kräften zu verbreiten, und nie habe ich dabey irgend einer Klasse gefröhnt, sie gelte für die erste, oder für die dritte. Aber eine Staatsverfassung zu untergraben, dahin habe ich nie arbeiten wollen.

War nun unter diesen Umständen von der vorigen glücklichen Unbefangenheit meines Lebens manches verloren gegangen, so setzte ich noch mehr davon zu, als im Jahre 1792 die Regie des churfürstlichen Theaters mir übertragen wurde.

Herr Renschüb, welcher dieselbe bis daher verwaltet hatte, forderte und erhielt seine Entlassung, um eben diese Stelle in seiner Vaterstadt, Frankfurt am Main, mit ungleich größeren Vortheilen zu übernehmen. Das Theater verlor an ihm einen gebildeten Schauspieler in dem Fache einiger gesetzter Rollen und der Raisonneurs. Madam Renschüb gab viele Mütterrollen mit Empfindung und Anstand. Mehrere Versuche im hochkomischen Fach, wie die Oberhofmeisterin in Elise von Valberg, haben bewiesen, daß sie es darin weit gebracht haben würde. Ihr früher Abgang von der Bühne ist auf alle Fälle ein Verlust für dieselbe.

Mehrere Umstände, deren Detail zu weitläuftig seyn würde, machten es mir zur unerläßlichen Pflicht, diese Stelle eben in jener kritischen Periode zu übernehmen. Ich habe [91] ihr treulich vieles von meiner Ruhe, meine Muße zum Arbeiten, einige Vortheile und vielen Frohsinn aufgeopfert.

Der Plan, nach welchem ich diese Stelle zu führen mir vornahm, war vorzüglich, so lange es nicht offenbar in Widerspruch mit meiner Pflicht wäre, das Interesse der Schauspieler zu beobachten, indem ich gewiß war, dadurch am sichersten das Interesse des Ganzen zu bewirken, welches der Intendanz am Herzen lag.

Dieser Plan, welchen ich dem Herrn von Dalberg vorlegte, und den er genehmigte, ist noch bey den Akten des Theaters zu Manheim befindlich. Ich kann mir sagen, daß ich ihn, so viel an mir lag, befolgt habe, und darf mich deßhalb dreist auf das Zeugniß der Schauspieler zu Manheim berufen. Ich habe mich bemüht, die Gesetze der Ueberzeugung der Schauspieler zum eigenen Bedürfniß zu machen. Den Zwang, die Aengstlichkeit, die Morosität, die Abtödtung, welche daraus entstehen, wenn jede gute oder üble Laune notiert und hart verpönt werden muß, habe ich stillschweigend verbannt.

Etliche der auf verschiednen Theatern eingeführten Gesetze enthalten eine Pedanterey, einen Druck, eine Kleinlichkeit, welche mit Künstlergefühl nicht zu vereinigen ist. Sie scheinen mehr für Handwerksbursche, als für Künstler entworfen. Sind freylich nur wenige Schauspieler Künstler, so gewinnt dennoch eine Direktion, wenn sie alle als Künstler behandelt. Sie hat dann von den Schauspielern zu fordern, was sie ihnen vorher geleistet hat – Humanität. Sicher wird diese auf solchem Wege mehr erreicht, als auf jedem andern.

Man kann und soll dem Künstlerhumor nicht beständig einen Kappzaum vorhalten, der bey dem ersten Aufbäumen dem muthigen Nacken aufgeworfen wird. Es ist verzeihlich, wenn derselbe Humor, der heute liebenswürdige Eigenheiten geboren hat, sich morgen in etwas vergißt; und man muß es nicht für ein Kapitalverbrechen nehmen, wenn dadurch der Plan der innern Hausführung um etwas verschoben wird. Eine unschädliche Willkühr, welche man heut übersieht, [92] erzeugt morgen eine Dienstleistung, welche der Tagewerker verweigert. Zudem, wo kein Monopolium in der Kunstübung Statt findet, wo jedem Talente Spielraum gewährt wird, da findet keine Unentbehrlichkeit Statt, und wo keine Unentbehrlichkeit ist, fällt ein kindischer oder bösartiger Trotz auf den zurück, der ihn zeigt. Nach meinem übergebenen Plane war niemand unentbehrlich. Ich war so entbehrlich wie alle. Wie wär' es außerdem möglich gewesen, daß das Manheimer Theater, nach so empfindlichen Todesfällen und einigen schwer zu ersetzenden Abgängen, sich, wenn auch nicht in dem Glanze seiner Mittelperiode, doch bis heute in einer Verfassung hätte erhalten können, welche immer jene noch weit übertrifft, wohin einige andere Theater bey nicht so häufigen Verlusten versetzt worden sind?

Ich habe gewünscht, Unterricht ohne Schulmeisterton, Ansehen durch Offenheit und Zutrauen, Festigkeit ohne Starrsinn, Thätigkeit durch Selbstthun zu bewirken. Es kommt mir nicht zu, zu bestimmen, in wie fern dieses mir geglückt sey. Aber das ist aktenmäßig, daß von 1792 bis 1796 nur Eine Klagsache vorgefallen ist, und zwar in einer Kleiderangelegenheit, von der unheilbaren Eitelkeit und den eingeschränkten Begriffen einer Aktrize veranlaßt. Die Art und Weise der Klagschrift, welche sie gegen mich verfassen ließ, könnte es widerlegen, daß man auf dem Wege der Selbsthintenansetzung Liebe zu gewinnen vermag. Da es indeß der einzige Fall war, wo ich vorsetzlich und mit arger Besonnenheit gekränkt worden bin – so habe ich diesen Vorfall bald vergessen, sicher nie entgelten lassen. Andere Klagen sind ausgeglichen, beygelegt, oder durch Ueberzeugung zurück genommen worden. Einige unerläßliche Punkte ausgenommen, was nämlich die Ordnung bey Proben und während der Vorstellung anlangt, ist es mir geglückt, daß die übrigen Punkte der vorhandenen Gesetze in freundschaftliche Erinnerung, aber nicht in strenge Appellation gekommen sind. Ein schätzbarerEsprit de Corps für die Ehre des Ganzen hat die Manheimer Bühne, so lange ich sie kenne, nicht verlassen. Er konnte eingeschläfert werden, [93] aber stets und ohne große Mühe war er zu erwecken. Mitglieder, die nicht in engem Vertrauen lebten, haben, auch wenn sie eben über einen Punkt in Uneinigkeit waren, sich doch selten Gerechtigkeit versagt, was ihr wahres Talent anlangte. Unbemerkt haben bey gutem Spiel, oder bey längst anerkannten Scenen, die Coulissen sich von den Mitspielenden gefüllt. Die Kunst und der Augenblick siegten über den eben schwebenden Prozeß – man erkannte die Wahrheit, und huldigte ihrem Priester. Möge diese Stimmung der Manheimer Schauspieler sich nie verlieren – so bleibt der Stoff, um jeden Gewinn für die Kunst zu erhalten, zu erhöhen, zu schaffen.

Im Julius 1792 erhielt ich den Ruf von dem neu errichteten Nationaltheater zu Frankfurt am Main, während der Krönung des Kaisers Franz dort aufzutreten, und für die Krönungsfeier ein Gelegenheitsstück zu geben. Es war der Eichenkranz, in Einem Akte.

Ich sah zu Hochheim unter einem furchtbaren Gewitter, das mit dem Kanonendonner von Mainz, der ihn empfing, wetteiferte, den König Friedrich Wilhelm den Zweyten von Preußen ankommen. Dieselbe Stäte hat fünf Monate nachher das Blut seiner braven Krieger gefärbt, als er an ihrer Spitze den Sieg über die Franzosen errang, und, Herr über sich selbst, Vergebung rief, da vom Kirchthurm herab einige Franzosen, als schon die Affaire geendet war, noch auf ihn feuerten.

Im September rief uns die Kanonade des Cüstinischen Heeres bey dem Angriffe auf Speyer von der Probe der Lilla. Diese Oper wurde desselben Abends gegeben. Der Troß und die Bagage der Deutschen lag vor der Stadt; ihre Niederlage war bekannt. – Die Nachrichten, welche, mit jedem Augenblick verändert, in die Stadt kamen und das Publikum im Schauspielhause allarmierten, machten die Stimmung peinlich.

Als aber kurz darauf die unvermuthete Nachricht der Uebergabe von Mainz, an einem Schauspieltage, eben bey Anfang des Schauspiels eintraf – so war die ganze [94] Versammlung davon gelähmt. Leises Reden, stilles, starres vor sich Hinblicken verkündete die Trauer um die gefallene Deutsche Feste – um die gesunkene Ehre des Deutschen Namens. Zwar erkannten damals noch die Franzosen die Pfälzische Neutralität; allein ihre Vorposten gingen dicht an die Rheinschanze. Die lebhaftesten Anstalten wurden gemacht, die Festung in Belagerungsstand zu setzen. Als Anfangs 1793 das kaiserliche Heer auf der andern Seite der Stadt dicht vorrückte, das Gouvernement in strikter Neutralitätsbeobachtung heute Nacht sich in Verfassung setzte, einen Ueberfall der Deutschen, wodurch sie sich in Besitz der Festung würden setzen können, abzutreiben, morgen einem befürchteten Angriffe der Franzosen zu widerstehen: so wurde dadurch eine Thätigkeit, eine Unruhe unter die Beywohner gebracht, welche im Ganzen interessant war.

Ende 1792 wurde in Manheim das Jubiläum der Regierung Karl Theodors laut gefeiert. Auch über dem Rhein, mitten in Cüstines Armee, wurde es feierlich begangen. Das kleine Gelegenheitsstück, welches ich dazu schrieb, heißt: die Verbrüderung. Die Pfälzer nahmen es mit großer Wärme auf, so wie im ganzen Lande viele unzweydeutige Merkmale der Liebe für den Churfürsten und die Verfassung gegeben wurden.

Im Frühjahre 1793 sahen wir unweit Manheim Cüstines Armee retirieren, die Preußen vordringen, den Grafen Wurmser über den Rhein gehen.

Im August und September besuchte König Friedrich Wilhelm der Zweyte die Churfürstin und die Zweybrücksche Familie zu Manheim. Die Vorstellungen, welche der König auf dem Nationaltheater gesehen hat, sind: die eheliche Probe, Lustspiel; die Entführung aus dem Serail, Oper; der Genius, Vorspiel in Einem Akt, nach der Eroberung von Mainz, dazu Otto der Schütz, das Räuschchen und die Oper, drey Freyer auf einmal; die heimliche Ehe, Oper, zweymal; Ritter Roland, Oper. Der König bezeigte seine Zufriedenheit mit diesen Vorstellungen, und hatte die Güte, die Ursachen seiner Zufriedenheit aus einander zu setzen.

[95] In eben diesem Jahre starb Herr Böck. Das Theater litt dadurch einen empfindlichen Verlust, den es lange nicht verschmerzen konnte. Der Graf von Kleve, in Otto der Schütz, war seine letzte Rolle. An seinem Grabe hielt der Stadtdechant, Herr Spielberger, eine rührende Rede, welche seinen Einsichten und seinem Herzen gleich große Ehre machte, und mit dankbaren Empfindungen von uns allen aufgenommen wurde.

Nach Böcks Tode wurde Herr Koch und dessen Tochter, Betty Koch, von dem eingegangenen Mainzer Theater engagiert. Herr Koch trat mit allgemeinem Beyfall als Kaberdar in den Indianern, und seine Tochter als Margarethe in den Hagestolzen, auf. Sie riß jedermann hin durch Wahrheit, Gefühl und edlen Ausdruck. Beide wurden dem Publikum werth und waren sehr geachtet.

Die Schauspiele wurden zu jener Zeit, wie überhaupt während des Krieges, viel besucht. Die Stadt war mit Menschen angefüllt, und das Hin- und Herreisen zu den Armeen bildete ein eigenes Verkehr. Aus den entlegensten Gegenden wallten ganze Züge zu der Belagerung von Mainz; andere kehrten daher zurück; vor dem Rheinthore von Manheim bildeten sich, besonders gegen Abend, mannigfache Gruppen, welche die Kommenden um Neuigkeiten befragten, die ihrigen dagegen umsetzten, und in Muthmaßungen und Prophezeihungen sich ergossen. Dieß alles wurde vom Wiederhall des Kanonendonners vor und aus Mainz, Landau und den Weisenburger Linien begleitet.

Eben hatten wir uns von der Sorge bey Eroberung der Weisenburger Linien und der Angst bey den drey mörderischen Tagen vor Lautern, welche den Ruhm des Herzogs von Braunschweig und die Tapferkeit der verbündeten Heere verewigen, erholt, als im December das kaiserliche Heer, endlich ermüdet von den unaufhörlichen blutigen Kämpfen, in welche der unerschrockene Wurmser diese tapfern braven Soldaten täglich geführt hatte, diese über den Rhein, das Preußische Heer bis an Oppenheim sich zurückzuziehen genöthigt wurde. Französische Heerhaufen erschienen nun [96] vor Manheim, eine kaiserliche Besatzung zog darin ein. Furcht, Mißmuth der einen Partey, Hoffnung und Muth bey der andern, bildeten einen sonderbaren Kontrast. Die Stadt war von einer Seite durch die Franzosen eingeschlossen; die Vertheidigungsanstalten wurden mit Lebhaftigkeit betrieben.

Mein Gartenhaus am Rhein wurde bedrohet, eingerissen zu werden, als ein großes Werk dicht daneben angelegt werden sollte. Einem kaiserlichen Lieutenant, Herrn von Jacadovsky, den ich weder vorher noch nachher je gesprochen habe, ging die Zerstörung der freundlichen Besitzung nahe. Seinem Widerspruch gegen den unnützen Ruin, und meiner nachherigen Versicherung, im Nothfalle das Haus, wenn es verlangt würde, selbst anzuzünden, danke ich die Erhaltung. Den herzlichsten Dank meinem unbekannten Freunde für sein Wohlwollen! Walte einst ein guter Genius über dem Dache, darunter er ausruht von den Beschwerden des Lebens!

Indeß war der Eindruck, den diese veränderte Gestalt der Sachen auf Manheim machte, so merklich er war, dennoch minder ängstlich, als die Anstalten der Landesverwaltung ernst und feierlich waren. Musik und Tanz wurde eingestellt, das Karneval verboten, das Schauspiel sistiert, und das vierzigstündige Gebet angeordnet.

Da die Preußische Armee, ohne Unordnung zurückgezogen, noch jenseits des Rheins stand, und den Winter über stehen blieb – die zahlreiche kaiserliche Armee die Bergstraße entlang in Winterquartieren blieb – so mußten die Bewohner von Manheim nach jenen niederschlagenden Anstalten mit Recht befürchten, daß ihre Obern von dem Aergsten, was geschehen könne, mehr als Vermuthungen hätten.

Ich war einen Augenblick in Kraftlosigkeit und starres Nichtdenken versunken, als Herr von Dalberg mir eines Abends auf Befehl des Ministeriums schriftlich ankündigte, das gesammte Theater sey sistiert, und ich möge jedermann ankündigen, sich nach einem andern Engagement umzusehen.

Mein Aufgeben anderweitiger Verbindungen war nun nach dieser Erklärung traurig vergolten, alle Bande der Freundschaft zerrissen, wir in alle Enden zerstreut, ich aus [97] meinem Gartenparadiese verwiesen. Ich konnte mich von dem Schlage gar nicht erholen. Kein Schlaf berührte meine Augen. Ich stand auf – warf mich nieder – raffte mich wieder auf – hielt unterbrochene Selbstgespräche – las die mitgeschickte, mir officiell bekannt gemachte Ministerialordre einmal und noch einmal – ohne daß ich von dem: »das Theater ist sistiert,« in der Ordre des Ministers, zu dem: »ich solle jedermann die Entlassung ankündigen,« meines Chefs, einen Zusammenhang finden konnte.

Eine Dunkelheit und Verwickelung des dortigen Geschäftsstyles war mir freylich eben so bekannt, als manche sich berechtigt glauben, darin eine absichtliche, dem Staate zu Zeiten nützliche, systematische Sonderbarkeit zu suchen.

Gewiß konnte mein Chef den Umfang und die ganze Bedeutung des Wortes – sistiert, besser als ich und in allen Folgen, nach seiner Kenntniß der Vorfälle am richtigsten bemessen. Sein Befehl, »daß die Mitglieder sich nach andern Engagements umsehen sollten,« enthielt die helle Deutung unserer Lage, so wie es bey aller seiner Liebe für die Bühne, der er so manche Bemühung gewidmet hatte, ein Beweis seiner Fürsorge war, daß niemand unter Verfügungen und einem Doppelsinne leiden solle, welche zu verhindern er nicht in seiner Gewalt hielt.

Wie dem sey, so beschloß ich, von dem Befehle, Entlassungen bekannt zu machen, schlechterdings und auf keinen Fall Gebrauch zu machen. Ich stellte Herrn von Dalberg vor:

1. Daß ich mich auf die Gültigkeit meines Dekretes für mich und alle Dekretierten bezöge, wie auf die Vollgültigkeit der unter churfürstlichem Siegel mit den Mitgliedern geschlossenen Kontrakte.

2. Sistieren hieße nicht aufheben oder kassieren, sondern einstellen. Daß, wenn es die Staatsverwaltung unumgänglich für das Beste halte, unsere Kunstübungen einzustellen, wir uns, vorausgesetzt, daß wir die kontraktmäßige Zahlung fort erhalten würden, dieses allerdings gefallen lassen müßten.

3. Daß ich den Befehl, jedermann solle Engagements suchen, nicht bekannt machen könne, ohne alles zu zerstreuen, [98] und manchem die willkommene Gelegenheit zu geben, seine Stelle zu verlassen, wodurch, was so viele Jahre mühsam erhalten worden wäre, in einem Augenblicke vernichtet seyn würde.

4. Daß der Churfürst im siebenjährigen Kriege, zu einer Zeit, wo ein weit beträchtlicherer Theil seiner damaligen Lande vom Feinde besetzt gehalten worden, weder Besoldungen noch Pensionen aufgehoben habe. Daß eine Kassierung wie die jetzige, gegen Wort und Unterschrift, bey der bisherigen Verfahrungsart dieses Fürsten nicht zu denken sey.

5. Daß ich endlich mein Dekret desselben Tages durch einen Rechtsgelehrten dem churfürstlichen Staatsminister Grafen von Oberndorf vorlegen, und um dessen Kraft in dieser sehr bedenklichen Lage mich erkundigen würde.

Zuletzt bat ich Herrn von Dalberg, das Ansehen seiner Stelle und seines Standes zu gebrauchen, um unser Recht, das Nationaltheater, dieß Werk seiner Bemühungen, seiner Geduld, und das Denkmahl seines Geschmacks zu erhalten.

Herr von Dalberg antwortete, daß er für die Erhaltung des Ganzen das Unmögliche wagen wolle. Inzwischen trug derselbe mir die Uebernahme des ganzen Werkes, nebst der Unterstützung von Garderobe und Bibliothek an. Ich verweigerte dieses durchaus, setzte aber hinzu: daß, wenn die Beysammenhaltung des Theaters dadurch zu bewirken seyn könnte, daß das Ganze auf churfürstliche Rechnung bis zu ruhigern Zeiten in Regensburg, Prag, oder einem andern Orte, den man für passend hielte, geführt würde, ich recht gern und ohne Schwierigkeit so lange unter der Direktion eines andern stehen wolle, wozu ich Herrn Koch vorschlug.

Der Herr Minister antwortete dem Rechtsgelehrten, welcher mein Dekret ihm vorlegte: »Daß es freylich eine eigene Sache sey, und er es den Herren – der Regierung – wohl bemerklich gemacht habe. Er glaube, daß die Dekrete würden gehalten werden müssen.«

Ich übergehe hier alle Wege, vorgelegte Plane und Bemühungen, welche ich unverdrossen gegen jede Schwierigkeit zur Erhaltung des Manheimer Theaters gemacht habe. Eine [99] detaillierte Rechenschaft darüber, nebst den Originalbelägen, ist bey den Akten. Erwiesen ist es, daß ich schon damals mich für entlassen ansehen konnte, aber daß ich zu Manheim bleiben wollte.

Da die Besorgniß, daß die Stadt beschossen werden könnte, allgemein geworden war, so bat ich, daß zum Einpacken von Garderobe, Bibliothek und Musikalien die nöthigen Kasten gemacht werden dürften. Es geschah; das ganze Theater wurde demontiert; es wurden Akkorde geschlossen, und alles stand zur Abfahrt nach Neckar-Els bereit.

Ich habe durch einen Zufall die Abstimmung der Regierung über den Gegenwand des zu entlassenden Theaters gelesen, und den Vortrag an den Minister, welcher seinen Befehl an unsern Chef und dessen Ordre an mich veranlaßt hat. »Um den Bürger, so hieß es in dem Antrage der churfürstlichen Regierung, mehr zur ernsten Vertheidigung zu ermuntern, seyen alle Voluptuaria, so auch das Schauspiel, jetzt zu beseitigen; obschon man diesen Leuten zu andern Zeiten ihr Fortkommen wohl gönnen möge.« Zugleich mit der Hinausweisung des Schauspiels war, wegen Theurung der Milch, das Semmelbacken einzuschränken, in dem Antrage enthalten.

Nach sechs Wochen wurde das Theater, ohne weitere beruhigende Erklärung über jenen Vorgang, mit einer Rede wieder eröffnet. Damals wurde das Lustspiel, die Reise nach der Stadt, auf die Bühne gebracht. Es fand zu Manheim keinen Beyfall.

Mitte Julius 1794, nach dem unglücklichen Feldzuge in den Oesterreichischen Niederlanden, war aus dem Gange der Begebenheiten überhaupt, aus der späten Eröffnung des Feldzuges am Rhein, aus dem langen Stillstande, welcher auf die Okkupierung des Postens von Kaisers-Lautern durch den Feldmarschall von Möllendorf in der Position von Speyer über Edinghofen bis nach Lautern hin Statt fand, mit Gewißheit zu befürchten, daß die Lage von Manheim im Winter wieder dieselbe und vielleicht noch schlimmer werden würde.

[100] In diesem Monate, noch vor Wegnahme des Postens der Annakapelle am Ueberrheinischen Gebirge und darauf erfolgtem Rückzuge der Armeen, übergab ich der churfürstlichen Intendanz Vorschläge, was meiner unmaßgeblichen Meinung nach im üblen, oder auch im schlimmsten Falle geschehen könne, um dennoch das Theater zu erhalten. Ich begreife, daß darauf keine bestimmte Antwort erfolgen konnte, und erfreute mich herzlich der Zusicherungen, daß unser verehrter Chef in keinem Falle seine kräftigste Verwendung uns versagen wolle.

Wenig Tage darauf starb Beil. Unvermuthet, schon auf dem Wege der Genesung, rafften ihn die Folgen der Ruhr dahin. Ich empfing diese Trauerpost im Garten, wo ich eben von seiner Genesung gesprochen hatte. Tief erschüttert, wie ohne Bewußtseyn, ging ich nach der Stadt. Ich habe Herrn von Dalberg gesehen, wie er die Nachricht von dem Brande seines Stammhauses empfangen hatte und sie mit Kraft trug: bey dieser Nachricht weinte er herzlich. Auf der Stelle handelte er, seine Gemahlin und viele gute Menschen für Beils Wittwe, welche er ohne Vermögen zurück gelassen hatte.

Jedermann fand den Schauplatz verwaiset. An seinen Ersatz wurde auf keine Weise gedacht, weil das Gefühl zu lebhaft war, daß er nicht zu ersetzen sey. Da ein Schlagfluß hinzu gekommen war, so blieb er bis in den fünften Tag unbeerdigt und bewacht. Man hoffte, lauschte auf seinen Athem; er kehrte nicht wieder. Wie manche – manche Erinnerung zerriß mein Herz, als seine Hülle hinab gesenkt wurde! Zwey Freunde aus dem Bunde schöner Zeiten kehrten von der Gruft des dritten zurück. Sprachlos, in Thränen aufgelöst, von bangen Ahndungen beklommen, traten wir beide, Beck und ich, von der stillen, schauervollen Stäte in das bunte, lärmende Getöse der Stadt zurück.

Ich hatte schon einige Rollen von Böck übernehmen müssen, und mußte nun noch mehrere von Beil übernehmen. Statt der gewöhnlichen drey wöchentlichen Vorstellungen wurden jetzt seit geraumer Zeit viere gegeben. Meine Arbeit ward sehr gehäuft.

[101] Kurz darauf starb zu Weinheim an der Bergstraße, wohin sie wegen der Kriegsunruhen geflüchtet war, ebenfalls an der Ruhr, die Churfürstin Elisabeth Auguste. Noch zehn Tage zuvor hatte ich sie dort gesprochen, wo sie sehr theilnehmend nach der Lage des Theaters sich erkundigte.

Eben damals war durch ein Hofreskript der Generalkasse befohlen worden, mit allen fernern Zahlungen an das Theater aufzuhören. Ein Befehl, welcher von den großen Kriegskosten freylich zur Nothwendigkeit gemacht wurde; ein Befehl, welcher uns um so weniger befremden konnte, da so manche von den Ueberrheinischen Beamten nur schwache Unterstützung erhalten konnten: allein eben dieses, und das Zagen über die Zukunft, welches so vielen Menschen sich mittheilte, machte unsere Lage um so bedenklicher.

Die öftern dringenden Fragen der Mitglieder an mich, wie es denn mit dem Theater stehe? die Besorgnisse, welche sie gegen mich über die Zukunft äußerten, über die Gefahr der Stadt, über die in der That fast unerschwingliche Theurung aller und jeder Bedürfnisse – der Mißmuth über ein Engagement, dessen damals viele gern entledigt gewesen wären – die gehäufte Arbeit, die ich von ihnen fordern mußte – der Umstand, daß ich ihnen nicht jede Wahrheit sagen konnte, und keine Unwahrheit sagen wollte – die oft von Vorsicht wegen der Zeitläufte, noch öfter von dringendem Bedürfniß veranlaßten Zudringlichkeiten auf meine Verwendung, um Aushülfe von einer Kasse zu empfangen, deren nicht zu starker Bestand als unser sicherstes Hülfsmittel im schlimmsten Falle so sehr zu Rathe gehalten werden mußte: – – alle diese Dinge machten mir das Leben lästig, so daß ich oft mit einer wahren Bangigkeit aus meinem Garten, wo ich manches vergessen konnte, der Stadt zugegangen bin.

In jener Zeit waren meine Darstellungen auf der Bühne ein widriges Stückwerk geworden, da ich fast nie mit Unbefangenheit aufzutreten im Stande war. Wie konnte das auch anders seyn? Gute Nachrichten und Furcht, böse Nachrichten und Hoffnung – waren immerwährend im Wechsel. Die Neuigkeiten wurden jedermann aufgedrungen, [102] auch denen, welche es sich zum Gesetz gemacht hatten, gar nichts hören zu wollen. Selbst dieses Stillschweigen über guten oder schlimmen Ausgang der Dinge wurde gemißdeutet. Der einen Partey ward man dadurch verdächtig, der andern ein Gräuel. Man sollte und mußte eine Meinung sagen. Oft bin ich deßhalb bis in die Coulisse verfolgt worden.

Auch der Anblick des Publikums im Schauspielhause ward eine Zeitung. Es gab Perioden, wo jede rasche Bewegung in den Logen das Signal einer übeln Nachricht von den Armeen war. Ende Oktobers stand es so, daß die mindeste Bewegung, welche diese rückwärts machten, die traurige Lage von Manheim entscheiden mußte. Dieß geschah. An einem Vormittage wurde Manheim auf der Rheinseite von den Franzosen umgeben. Bald war ihre erste Linie aufgeworfen, eben so die zweyte, und an diese schlossen sich Batterien für Wurfgeschütz an. Sachkundige gaben dieses alles für Vertheidigungsanstalten aus; allein ich flüchtete abermals einen Theil meiner Habe, und miethete Ende Novembers ein Zimmer in einem entlegenen Theile der Stadt, wo man vor Bomben allenfalls sicher zu seyn glauben konnte.

Ich legte dem Herrn Intendanten einen Plan für die Erhaltung des Schauspielhauses vor, in so fern nämlich die Rede davon seyn konnte, einzelnen Haubitzen- oder Bombenbrand zu löschen. Er wurde genehmigt, das Personal dazu bestimmt, alle Anstalten getroffen, die zur Rettung dienen konnten. Die Garderobe wurde nebst dem entbehrlichen Theile der Bibliothek und Musikalien eingepackt, und erstere an den entlegensten Theil der Stadt, zwischen dem Heidelberger und Neckar-Thore, geführt. Die Dekorationen wurden in den bombenfesten Keller unter das Theater gebracht.

Da sechs Wochen lang dennoch alle Stücke, welche auf dem Repertoir waren, gegeben wurden, so läßt sich die Mühe und Sorgfalt denken, womit aus so verschiedenen Orten die mannigfachen Erfordernisse zusammen gesucht werden mußten.

Endlich war die Absicht der Franzosen, die Rheinschanze [103] nebst den davor angelegten Fleschen, es koste was es wolle, zu nehmen, nicht länger zu bezweifeln. Nachdem beide Theile sich seit mehrern Wochen, oft ohne Erfolg, kanoniert hatten: so forderten die Franzosen, als am Tage vor Weihnachten der Rhein so stark mit Eis ging, daß es ganz unmöglich war, Unterstützung von der Festung aus in die Schanze zu geben, die Stadt selbst und die Schanze auf. Von Mittag an war man in Unterhandlungen über Kapitulationspunkte für die Uebergabe der Rheinschanze und Fleschen. Um sechs Uhr Abends, da eben die Eifersüchtigen und die beiden Billets gegeben wurden, erfuhr ich auf dem Theater, daß mehrere Personen die Stadt schon verlassen hätten, weil die Kapitulation nicht zu Stande gekommen sey. Alle Löschanstalten wurden in Bewegung gesetzt. Halb eilf Uhr fielen die ersten Schüsse des Bombardements. Wir rannten auf den Wall, auf den Pavillon des Schlosses. Kanonenkugeln schlugen an die Mauer, Haubitzen und Bomben fielen in die Gegend des Komödienhauses, weil die Franzosen besonders auf das nahe dabey gelegene pfalzgräfliche Palais ihr Geschütz gerichtet hatten. Nicht weit von mir wurde ein Mann erschlagen. Eine Bombe fiel in den Hof meines Nachbars, da ich noch in meiner Wohnung war.

Mitten in dieser Gefahr wurde noch der übrig gebliebene Theil der Bibliothek des Theaters in die Keller geschleppt; dann ging ich in die zur Sicherheit gemiethete Wohnung. Auch bis dahin reichten mit Tagesanbruch die Haubitzen. Die Pulverkarren waren in jene Gegend gebracht worden. Dieser Aufenthalt ward also unsicherer wie der vorige. Dahin kamen noch Schauspieler, welche im Verreisen Reverse brachten, Gageanweisungen verlangten, mit Klagen, Sorgen und Fragen mich bestürmten.

Eben da ich um Mittag die Stadt verlassen wollte, wurden die Zimmer im Kloster der barmherzigen Brüder, wo die Garderobe verwahrt lag, für die Blessierten, und die Ausräumung der Garderobe verlangt. Ich suchte Platz in der Münze, fand ihn mühsam, und hatte keine Menschen zum Transport der Garderobe. Eben da ich deßhalb hin und her [104] ging, rollte eine Kanonenkugel von jenseit des Rheins die Planke herauf nach dem Walle vom Heidelberger Thore.

Die Garderobiere, Madam Meyer, besorgte endlich den Transport der Garderobe mit beyspiellosem Muthe, da ich indeß andere Veranstaltungen zu treffen hatte. Um vier Uhr Nachmittags verließ ich die Stadt, ging nach Schwetzingen, und um fünf Uhr endete das Schießen. Die Rheinschanze wurde übergeben, und fünf Tage hernach war wieder die erste Vorstellung. Etliche Haubitzen waren in das Komödienhaus gefallen, hatten aber nicht gezündet.

Hier muß ich erwähnen, daß mir im September dieses Jahres aus dem Lager vor Warschau erneute Anträge gemacht wurden, das königliche Nationaltheater zu Berlin zu übernehmen. Im Glauben an mein Dekret wankend gemacht durch den Vorgang bey der Sistierung, meines Wortes an die Churfürstin entbunden durch ihren Tod, machte ich bey Empfang jener Briefe dem Herrn von Dalberg die nachdrücklichsten Vorstellungen über meine Lage. Ich forderte ihn auf, selbst zu entscheiden, was ich für mein Glück, meine Ruhe im Alter, bey allen vorher erzählten Umständen, die ich ihm ins Gedächtniß rief, zu thun schuldig sey. Er antwortete mir sehr gütig, daß er manchen Verlust, den ich seit dem Kriege erlitten, kenne. Mich zu entschädigen, bot er mir den Theil des von ihm aus seinem Vermögen geleisteten Vorschusses, der damals noch nicht zurück bezahlt war, als Geschenk an, und gab eben so für meine Pension, wenn ich sie gegen seine Ueberzeugung verlieren sollte, selbst Sicherheit. Innigst gerührt, durchdrungen von Erkenntlichkeit, ganz hingegeben an diesen großmüthigen Mann, beschloß ich auszuharren bis zuletzt, wie es von nun an auch immer kommen möge. Ich schrieb sogleich nach Berlin, und alles wurde abgebrochen.

Herr Baron von Dalberg, da ich wenige Wochen hierauf in der herzlichsten Stimmung an ihn über diesen Vorgang und seine Güte für mich in seinen Versprechungen schrieb, sah sich genöthigt, mir zu erklären, daß sein Versprechen gern gegeben sey, und ich darauf rechnen könne. Indeß wäre es [105] doch möglich, daß seine eigene Lage noch bedenklich werden könne, besonders wenn seine Güter über dem Rhein verloren gehen sollten. Alsdann habe er die Sorge für sein Haus und manche Beschwerde auf sich, welche sein mir gegebenes Versprechen für ihn sehr lästig machen könnten. Dieß war, so gerecht diese Besorgniß des Familienvaters und so schätzbar die Offenheit des edlen Mannes war, dennoch ungemein niederschlagend für mich.

Wollte ich meinem Gefühl folgen, so war es Pflicht, nach dieser Erklärung auf jenes Versprechen gleich freywillig Verzicht zu leisten. Dann trat allerdings der vorige Zustand der Ungewißheit wieder ein. Oder ich mußte, wenn alles übel gehen sollte, auf ein gütiges, gutmüthiges Versprechen mit einer Zudringlichkeit losstürmen, die nicht und niemals in meinem Charakter gelegen hat. Indeß war meine Liebe zu Herrn von Dalberg für meine Verhältnisse, wie sie auch verringert worden waren, so entschieden, daß ich bald über alle Bedenklichkeiten hinweg, mit Vertrauen auf ein gutes Schicksal und auf das Gefühl von meiner Handlungsweise gestützt, ohne sonderliche Bekümmerniß meinen Weg weiter ging. Ich ward der Apostel, der mit Leben und Feuer alles zur Ruhe, zur Geduld, zum Ausharren, zum Dableiben, zur Hoffnung ermunterte. Da aber mehrere, oft dringend und ernstlich, einen entschiedenen Schritt für die Beruhigung sämmtlicher Mitglieder von mir forderten; so entwarf ich für die Gesellschaft eine Vorstellung an den Churfürsten, ersuchte Herrn von Dalberg um Beförderung dieser Anfrage nach München, und erlebte die Freude der churfürstlichen Erklärung: »Daß Se. Durchlaucht auch im Bombardementsfalle die Kontrakte halten würden, dagegen sich desselbigen von den Mitgliedern versähen.«

Nun war jedermann beruhigt, das Ganze erhielt ein neues Leben, und wir wurden von dem edelsten Eifer beseelt. Wir schmeichelten uns mit dem nahen Frieden, mit Neutralität, mit allem, was uns in den Besitz unserer vorigen Ruhe wieder hätte bringen können. Da war keiner, der dann nicht gern jeden Verlust verschmerzen wollte.

[106] Ich war nun so entschlossen und so gewiß, Manheim nie zu verlassen, daß ich eben in der Zeit mich um die Hand meiner guten, innigst geliebten Frau bewarb. Ihre Verbindungen, ihre Familie, ihr nahes Vaterland, alles machte ihr diese Gegend theuer, welche sie nie zu verlassen wünschen mußte. Froh und glücklich in der Hoffnung ihres Besitzes, wurde das schöne Land mir noch schöner. Mit freudiger Rührung wandelte ich oft in meinem Garten am Rhein umher, und dachte mir die Zukunft, die herzlichen Augenblicke, welche ich mit dieser schönen Seele dort leben würde.

Beruhigt durch jene Erklärung, mit Frieden in der Seele, fing ich wieder an zu arbeiten.

Dem Schauspiele, Dienstpflicht, widerfuhr eine gute Aufnahme. Da Beils Wittwe kein Vermögen besitzt als einen hoffnungsvollen Sohn, so verfiel ich darauf, ihre Anlagen und ihre vortheilhafte Gestalt zu ihrem Vortheil für die Bühne zu benutzen. Ich schrieb ein kleines Nachspiel, die Geflüchteten, damit sie darin auftreten könnte.

Das Publikum war herzlich gegen die Wittwe seines Lieblings, und Herr von Dalberg ehrte das Andenken eines der besten Deutschen Künstler, der viele Jahre für mäßige Belohnung gedient hatte, durch eine ehrenvolle Versorgung seiner tugendhaften Wittwe. Unbekümmert, ob jetzt schon ihr Talent sich der Bühne verinteressiere, hat er Beilen das würdigste Monument gewidmet – er versorgt seine Familie. Er versorgt sie, und wird sie versorgen. Möge auch diese That in der mühsamsten Stunde seines Lebens ihm Kraft geben! – Eine vollwichtige That ist es.

Ich gebe übrigens mein Wort darauf, daß Madam Beil Talent für die Bühne hat. Das Uebermaß ihrer Empfindung stört oft ihr Spiel, sie hat natürlich mit den Schwierigkeiten des Anfangs zu kämpfen, und bedarf der Sorgfalt in der Entwickelung ihrer Fortschritte. – Wer wird diese ihr versagen? Niemand! das glaube ich getrost verbürgen zu können.

In diesem Jahr erhielt ich von dem Freyherrn von Braun aus Wien den Antrag, für die dortige Bühne ein [107] Theaterjournal zu schreiben, und dafür einen sehr angesehenen Gehalt nebst einer Pension in der Art zu beziehen, daß meine Manheimer Dienstjahre mir, als wären sie im dortigen Dienst zugebracht, angerechnet werden sollten. Ich erwiderte meine Erkenntlichkeit, zugleich aber auch, daß ich wegen der Anhänglichkeit an Herrn von Dalberg die Ehre dieses Antrages nicht annehmen könnte. Dasselbe wiederholte ich dem Herrn von Braun bey seiner Anwesenheit zu Manheim.

Der Sommer 1795 verging ohne besondere Unruhe. Die Truppen bezogen verschiedene Lager, ohne besondere Unternehmungen zu verrathen. Wir glaubten uns wegen dieser Ruhe schon dem Frieden nahe, als plötzlich die Französische Armee bey Düsseldorf über den Rhein ging, und Manheim, wegen des Kapitulationspunktes, daß diese Stadt vom Bombardement nichts zu besorgen habe, so lange der Krieg auf dem linken Rheinufer sey – nun abermals und plötzlich bedroht wurde. Alles packte ein, flüchtete, die Anstalten der Gegenwehr waren die furchtbarsten.

Mein vorgelegter Plan, dem Theater außer dem laufenden Monate noch zwey Monate Gehalt auszuzahlen, jedermann zu seiner Sicherheit Abreise gegen den Revers der Wiederkehr am Ende der gefährlichen Periode zu gestatten, wurde genehmigt und ausgeführt. Da dieß von Seiten der Intendanz gegen die Schauspieler mit Vertrauen und mit Präzision geschah, so war in allem Tumult eine gewisse Ordnung. Jedermann trennte sich von dem andern mit der Ueberzeugung: Wir kommen wieder zusammen, und es ist gut und recht, daß, obwohl es manche von uns viel besser und ruhiger haben könnten, wir doch nicht weichlich sind, sondern an der allgemeinen Last unsern Theil mit Erkenntlichkeit für den Staat tragen, der im Augenblick des Kummers die nicht vergißt, welche in bessern Zeiten seiner Freude redlich dienten. Abermals wurde das ganze Theater demontiert, alles eingepackt und in bombenfeste Keller gebracht. Viele reisten nur auf nahe gelegene Dörfer. Ich ging nach Heidelberg. Drey Tage war ich dort, als ich Nachts geweckt wurde, und man mir entgegen rief: »Manheim ist den [108] Franzosen übergeben, die kaiserlichen Truppen ziehen aus, wie die Pfälzische Garnison. Es wird abwärts von Manheim kanoniert; dort werden die Franzosen über den Rhein gehen; in wenig Stunden sind sie hier.« Ich ging acht Stunden weiter auf Neckar-Els. Hier erfuhr ich den Vertrag der Uebergabe von Manheim, welchen der Graf Oberndorf mit den Franzosen geschlossen hatte, um, da die Clairfaitsche Armee im Rückzuge, die Wurmsersche entfernt war, Manheim nicht vergeblich in einen Aschenhaufen verwandeln zu lassen. Aus einer kasemattierten Batterie, welche in der Rheinschanze errichtet war, hätten die Franzosen dieß in einem Tage bewirken können, wenn sie gleich alsdann sich vor dem Geschütz der Festung nicht länger würden haben halten können. Allein plötzlich rückten alle kleinen Corps der kaiserlichen Armeen gegen Manheim vor. Diese selbst folgten; bey Heidelberg wurden die Franzosen geschlagen; Manheim wurde diesseit des Rheins von den Kaiserlichen eingeschlossen; niemand von uns konnte zurück in die Stadt.

In der Zeit erhielt ich einen schmeichelhaften Antrag von Weimar, dort Gastrollen zu geben. Meinem gegebenen Reverse buchstäblich treu, lehnte ich ihn damals ab.

Wie auch das Schicksal von Manheim ausfallen möchte, so wollte ich bey Eröffnung der Stadt sogleich gegenwärtig seyn können, und außer diesem Gefühl für die Pflicht meiner Stelle, wollte ich auch meinen rechtlichen Ansprüchen durch eine Reise außer Land, wozu mich nicht das Vordringen des feindlichen Heeres genöthigt hatte, nichts vergeben.

Clairfait schlug die Franzosen bey Mainz; Manheim, diesseit des Rheins von der Armee des Grafen Wurmser schon früher beschossen, wurde nun von allen Seiten durch die kaiserliche Armee umgeben; das Bombardement begann.

Ach! nie werde ich des Augenblicks vergessen, wie im November, ich glaube den 14ten, wo ich eben im Lager vor Manheim auf der Batterie No. 1 war, die Ordre gegeben wurde, Manheim ernstlich zu bombardieren. Mir schlug das [109] Herz – meine Brust ward enge – meine Kniee bebten. Meine Freunde waren in der Stadt. Die schöne Stadt! sie lag von der Sonne hell beleuchtet so freundlich da! Auf einmal erbebte der Boden vom Donner, der unaufhörlich hinein geschleudert wurde, und aus allen flammenden Rachen der Festung wälzten dicke Rauchwolken sich herab von den Wällen über die Ebene. Meine Thränen fielen unaufhaltsam auf die Brustwehr der Schanze. Das konnte ich nicht aushalten. Ich eilte nach Heidelberg, und bin nicht eher wieder in das Lager gekommen, als bis die Kapitulation unterzeichnet worden war.

Aber in Heidelberg – welche Tage habe ich dort gelebt, wenn an der Wirthstafel einer diese abgebrannte Straße, ein anderer jene nannte, und daß man in den Trancheen das Gewimmer aus Manheim vernehmen könne! welche Abende, wenn in finsterer Mitternacht die Berge zu Heidelberg im flammenden Glanze standen, der von dem Ruine aus Manheim hierher leuchtete! Mit jammerndem Herzen bin ich bey Tage und Nacht, Berg auf und ab gestiegen; in Sturm und Regen habe ich das Jammerbild gesehen, und – hüte mich mein Schicksal, daß ich nie wieder von der Marter, von der Seelenbangigkeit gequält werde, die damals mich ergriffen hat!

In der ersten Zeit der Belagerung habe ich wohl manchmal am Klingenthore zu Heidelberg nach dem langen Dache des Komödienhauses von Manheim hingesehen, und mich gefreut, daß es noch stand. Aber zuletzt war es mir gleichgültig, gleichgültig meine und unser aller Existenz. Das allgemeine Elend der Stadt – meine Freunde – dieß allein nahm meine Seele ein.

Eines Tages hörte man von sechs Uhr Abends an nicht mehr vor Manheim schießen; die oft getäuschte Hoffnung von dem geendeten Jammer belebte alle Menschen. Bis zehn Uhr kommt keine Nachricht. Voll Sehnsucht gehe ich mit einigen in finsterer Nacht an die Heidelberger Brücke. Wir harren auf Bothschaft des Trostes. Mancher reitet in die Stadt – aber es war nicht das muthige Roß, das [110] den Bothen des Friedens trägt. Es war der gleichgültige Schritt des gewöhnlichen Geschäftslebens. Eben wollten wir traurig heimkehren – da kommt etwas aus der Ferne. Wir horchen – wir hoffen – zittern – wagen es nicht zu fragen – da zieht ein Bauer zu Fuße sein müdes Pferd langsam nach. »Wohin?« Auf die Post. »Was dort?« Eine Estafette bestellen. »Warum?« – Ey Manheim ist über! – Ein allgemeiner Schrey – wir umarmen uns – der Bauer wird beschenkt – wir weinen – besuchen unsre Bekannten – die ganze Stadt geräth in freudige Bewegung – niemand schläft – mit Tagesanbruch alles fort ins Lager.

Dort ist alles in regelloser, freudiger Bewegung. – Auf einmal wirbeln die Trommeln; die siegreiche Armee steht da – der Zug beginnt; die Deutschen Fahnen wehen auf die Festung zu; im Jubel der Kriegsmusik zieht das Heer langsam und stolz nach der Stadt.

Ich – über Graben, Trancheen und Sumpf an seiner Seite schnell vorbey, voraus, dicht an die Thore. Noch sind sie geschlossen; die Deutschen halten. Man wechselt Vollmachten. Kein Civilist soll diesen Tag hinein, so hat Graf Wurmser befohlen. Nur der Ingenieur zur Uebernahme der Artillerie soll mit drey andern eingelassen werden. Die eiserne Pforte öffnet sich etwas – nur sein Pferd konnte sich hinein drängen. Ich war dicht an seinem Hufschlag – mit Thränen sah ich den Officier an – ach meine ganze Seele hat gewiß auf meinem Gesichte gelegen. Er blickte menschenfreundlich nach mir her – noch ein durchdringender Blick bat ihn – reden durfte ich nicht. – Indem war er hinein, eben sollte sich das Gitter schließen – er wandte sich, sah noch einmal heraus nach mir – mit einem raschen herzlichen Tone rief er dem Franzosen zu – Das ist mein Kammerdiener, er muß herein. – Das Gitter öffnet sich, die Menge der Manheimer mit klopfendem Herzen mir nach – mit Lebensgefahr riß ich mich durch die Thür – sie schlug hinter mir zu.

Nun fort über die zertrümmerten Brücken, hinein in [111] die todtenstille Stadt, deren Bewohner noch alle in den Kellern waren – fort über Schutt – durch Rauch, zusammen gestürzte Steinmassen, an zerschlagenen Menschen und zerstreuten Gliedern vorbey – athemlos, mit enger Brust, zu meinem Freunde Beck. – Er lebt – er umarmt mich – sein Weib – seine Kinder erheben ein Freudengeschrey – ihre langen Todeszüge beleben sich durch die Wonne der Freundschaft – wir sprechen nichts – weinen, umarmen uns, weinen laut. Hin in die Stadt – Die Menschen kommen aus ihren Kellern – mit Feuer reichen sie mir die Hand – Herr von Dalberg weint – weint herzlich – umarmt mich – der stille Jubel ist ohne Ende.

Ach welch ein Tag! Die armen guten Menschen, was hatten sie gelitten! Die Familie Beck und Müller waren in einem Keller unter dem Schlosse, dicht am Opernhause. Dieß stand schon in Flammen, ehe sie es wußten. Sie retten sich, fliehen über den Schloßhof durch den Kugelregen in einen andern Keller, vermissen ein Kind – finden es wieder – verlieren viel von ihrem Eigenthum – und – Doch, ich will diese Jammerscenen nicht schildern.

Herr von Dalberg hatte in dem Keller unter dem Schauspielhause gelebt. Mit Fassung, Gegenwart und Muth war er dort für Ordnung, Gesundheit und Hoffnung bemüht gewesen. Ich fand, daß er merklich abgenommen hatte. Nach einiger Erholung sprach er: »Von unserm Schauspiel läßt sich nun nichts sagen und wohl wenig hoffen.«

Ich war so herzlich erfreut, ihn erhalten zu sehen, daß ich vorher kaum flüchtig daran gedacht hatte. »Wer weiß!« sagte ich recht muthig zu ihm. – »Unsere meisten Dekorationen sind im Opernhause mit verbrannt.« Ich besann mich, daß viele von der ehemaligen großen Oper nach Schwetzingen in Sicherheit gebracht waren, die wir würden brauchen können. Ich sagte das, und daß ich viel Hoffnung habe. »Ach Sie hoffen immer,« sprach er recht freundlich zu mir. Da er mir das auch mehreremale geschrieben hat, so ist's ein Zeugniß, worauf ich mich gern berufe.

Des andern Tages machte ich ihm die Bemerkung, daß [112] das Hauptquartier der Armee nach Manheim kommen, und daß diese wahrscheinlich sehr bald Schauspiel begehren würde. Er erwiederte, ihm dünke, dieß hieße dem Verlust der Einwohner nicht mit Achtung begegnen, wenn man früh daran denken wollte, Schauspiel zu geben. Das Schauspielhaus hatte wenig gelitten. Die meisten kaiserlichen Bombardiere sind leidenschaftliche Schauspielliebhaber, und ich glaube es, was einige unter ihnen mir gesagt haben, sie haben, davon bewogen, in der Belagerung dieß Haus so absichtlich geschont.

Aber dem redlichen Greise, dem edlen, tapfern Wurmser, sollte Manheim ein Monument der Dankbarkeit errichten. Wie erzürnt war er, als das erste Feuer in Manheim aufging! Wie lange hat er geschont!

Als einst ein General von der andern Seite des Rheins ihm sagen ließ, er möchte das Schloß mit Gewalt beschießen; unter den Schloßkellern seyen die Bürger, ihre Verzweiflung müsse die Uebergabe beschleunigen: so gab Wurmser die schöne Antwort, »mit den Franzosen habe er Krieg, nicht mit den Bürgern von Manheim.« Wie manches Uebel, das Manheim nach der Belagerung treffen sollte, hat er abgewendet, und, was er nicht abwenden konnte, gemildert! Ehre sey dem Andenken des muthvollen Vertheidigers von Mantua! Frieden sey mit der Seele des menschlichen Eroberers von Manheim!

Wenig Tage nach der Einnahme von Manheim werde ich zu dem Herrn von Dalberg gerufen. Er erklärte mir, daß ein Courier des Churfürsten ihn nach München entboten habe, und übertrug mir das Theater. Mit Beklommenheit that ich einen schnellen Blick auf alle Verhältnisse des Landes und den Staat seit der Eroberung. Ich bat um Vollmacht und Instruktion. »Ich kann Ihnen keine geben. Handeln Sie nach Ueberzeugung und Gewissen. Adieu!« Die Nacht noch reiste er weg.

Die Lage, worin ich zurück blieb, war mir durchaus neu und sehr beunruhigend. Unzufrieden mit der Uebergabe von Manheim an die Franzosen, wurden von den kaiserlichen [113] Generalen Requisitionen zur Last und zum Schaden des Landes betrieben. Niemand wußte woran er war; der kaiserliche Hof schien das Betragen seiner kommandierenden Generale ignorieren zu wollen; diese selbst ließen bey allen Gegenvorstellungen sich nie darüber heraus, ob es Befehle des Kaisers, oder eine augenblickliche militärische Maßregel wäre. In dieser Unentschiedenheit dauerte die traurige Lage lange fort.

Von Manheim wurde eine harte Kontribution gefordert, alle churfürstlichen Kassen wurden in Beschlag genommen, Schreck und Angst hatte sich aller Einwohner bemächtigt. Unter dieser Stimmung der Einwohner sollte das Schauspiel anfangen.

Die Armee begehrte es, und ohnerachtet fünf und zwanzig Dekorationen verbrannt waren, die meisten Schauspieler und Schauspielerinnen von dem langen Kelleraufenthalte krank wurden, und die Familie Koch in Hamburg abwesend war, wurde doch das Schauspiel am sechsten Tage nach der Eroberung eröffnet. Die kaiserliche Armee schien ein Gelegenheitsstück zum Empfange des Eroberers von mir zu erwarten; allein ich würde damit dem Kummer der Bürger Hohn zu sprechen geglaubt haben, und unterließ die Erfüllung dieses Wunsches.

Da nun seit anderthalb Jahren der churfürstliche Zuschuß zurück genommen, ein großes Kapital bereits aufgenommen, und in den Umständen, wo jeder seine Existenz bedroht fand, von der Stadt wenig Einnahme zu erwarten war, so bestand meine Hoffnung auf der beträchtlichen Einnahme, welche die Armee und das Hauptquartier der Theaterkasse geben würde.

Ich kann den Schrecken nicht beschreiben, der mich überfiel, als von Seiten des kommandierenden Generals mir erklärt wurde: »Daß, da nun die kaiserliche Garnison in die Verhältnisse der vormaligen Pfälzischen Garnison trete, sie auch dasselbe wohlfeile Abonnement fordere, das jene gehabt habe, und darauf bestehe.« Zugleich wurde für den General eine freye Hofloge, und dasselbe für den Generalstab verlangt.

[114] Meine Erklärung, daß das Abonnement der Pfälzischen Garnison möglich gewesen und gestattet worden wäre, weil man darauf als auf eine gewisse Summe Jahr aus Jahr ein habe rechnen können; daß das mit dieser Garnison, welche bey Eröffnung der Campagne verändert werden würde, offenbarer Nachtheil, und bey der Menge von außen herein kommender Officiere, denen man in der Eile es nicht ansehen könne, und welche die Frage, ob sie zur Garnison gehören, sehr übel deuten würden, gar nicht thunlich sey; daß der Churfürst seine eine Loge mit achtzehn tausend Gulden jährlich, der Herzog und der Intendant selbst ihre Logen besonders bezahlten, fruchtete nichts, als daß die Loge für den Generalstab bezahlt wurde.

So antheilnehmend und warm sich das Corps Officiere der kaiserlichen Armee im Ganzen gegen das Manheimer Theater betragen hat, wovon ich die dankbaren Erinnerungen gewiß nie vergessen werde: so habe ich doch wegen dieser Sache, welche von den meisten mit großem Eifer und von einigen mit Erbitterung betrieben, von mir lange standhaft versagt wurde, von den einzelnen Beauftragten harte und bittre Augenblicke erleben müssen.

Das Militär sah dieses Abonnement für ein Recht der Garnison an, und fand sich beleidigt, daß man der kaiserlichen Garnison weniger zugestehen wollte als der Pfälzischen.

Mühsam verstand ich mich endlich zu einem herab gesetzten Preise für die Militärhälfte des Parterres. Ein Theil des Schauspielhauses war mit ein paar Kompagnien von der Artillerie als Einquartierung belegt worden. Die Händel, die vielen Zänkereyen, Mißverständnisse, Verlegenheiten, eben deßhalb die Berichte von dieser Einquartierung veranlaßt, hätten eigentlich vor dem Ressort der Hofkammer behandelt werden müssen. Allein da diese jetzt gar nicht, wie sonst wohl, eifersüchtig auf ihre ausschließlichen Befugnisse war, so wurde das alles mir überlassen. – Die Billigkeit und Artigkeit des Festungskommandanten, Generals von Baader, überhob mich mancher Weitläuftigkeit.

[115] Ich erinnere mich nicht, jemals in meinem Leben so angespannt und verbraucht worden zu seyn. Bald war ich auf den Proben; bald wurde ich abgerufen, wegen einzelner Begehren des Militärs, wegen Einquartierung in mein Haus, in meinen Garten, wo man einst das allgemeine Grab des Lazareths mir dicht vor den Fenstern anlegen wollte; dann mußte ich Rollen für andere übernehmen. Eben für ein paar Tage eingerichtet, wurde dieser Plan durch Krankheiten zerrissen. Krankheiten und schleichendes Mißvergnügen aller Mitglieder verbitterte mein Leben. Indem schreibt mir Herr von Dalberg aus München: »Es sey nun für das Theater alles verloren, und sein Bestand nicht zu denken.« Ich und alle hatten für dieses Theater nun zu viel gethan und gelitten, als daß ich bey diesem trüben Anscheine es gleich hätte aufgeben können. Weit entfernt von dieser Furcht niedergeschlagen zu seyn, erhob sie meine Beharrlichkeit zum angestrengtesten Kampfe. Ich beschloß für die Ausdauer der Manheimer Bühne das Unmögliche zu thun. In diesem Muthe schreibe ich Herrn von Dalberg, daß er nicht zu früh die Hoffnung aufgeben möge. Er verspricht dieses, wiederholt mir aber seine Zweifel mit schwer zu widerlegenden Gründen. Desto größer sagte ich mir, wird seine Zufriedenheit mit mir seyn, wenn er kommt und findet mich, wie ich die schlimme Sache hindurch kämpfe! Ich freute mich auf seine Ueberraschung damit, wie ich mich gegen die Zumuthungen der Eroberer benommen hatte.

Zu gleicher Zeit betreibt der Herr General Alvinzy einen noch wohlfeilern Preis des Eingangs für die Armee, als der schon herab gesetzte war. Ich wiederholte alle Gegengründe, ich übergab dem Herrn Grafen von Wurmser ein Memoire über die Lage, daß man die Kasse des Churfürsten, woraus seine Diener bezahlt werden, in Beschlag nehme, und zugleich den Erwerb beschränke, wovon sie subsistieren könnten. Dieses Memoire war mit mehr Kühnheit geschrieben, als vielleicht irgend ein Pfälzischer Staatsbeamter gewagt hat es zu thun. Ich erklärte geradezu, daß entweder das kaiserliche Armeekommando von dieser Kasse auf den rückständigen [116] churfürstlichen Beytrag uns ein Kapital aushändigen müsse, oder daß wir den Preis nicht vermindern würden.

Graf Wurmser verlangte mich zu sprechen, sagte mir selbst: dieser Antrag sey billig, er solle bewirkt werden; inzwischen bäte er mich um die Gefälligkeit, den Preis herab zu setzen. Er könne das nicht vermeiden. Auf jenes Versprechen des Grafen von Wurmser, und da auch die Einnahme überhaupt über alle mögliche Erwartung war, und nicht nur zur Unterhaltung der Bühne, sondern auch noch zu einem Ueberschuß hinreichte, welcher dem Ueberschuß voriger Jahre gleich kam; da ich endlich den General, welcher in dem Augenblick im Besitz landesherrlicher Rechte über die Pfalz war, und fast in allen Ressorts sie ohne Widersetzung übte, nicht konnte reitzen wollen, zu befehlen, was er, außer seiner persönlichen Güte, vielleicht aus Rücksicht auf meine ehrliche unermüdete Verwendung, gebeten hatte: so wurde ich von allen diesen Rücksichten bewogen, die abermalige Herabsetzung der Preise nachzugeben.

Ich that also sehr spät, und nur dann, als ich vorher alle Ablehnungen und Ausbiegungen erschöpft hatte, was mancher andere weit früher dem allgemeinen Wohlwollen der kaiserlichen Officiere, wovon ich die ehrenvollsten Beweise empfangen hatte, aus Höflichkeit, Erkenntlichkeit oder egoistischer Künstlerrücksicht, geleistet haben würde.

Ich habe nie Anstand genommen, die Rechte der Intendanz mit Nachdruck zu vertheidigen, wie ich auch darüber mißverstanden zu werden wagen mußte. So wurde zu Manheim manchmal die Vorstellung der Zauberflöte mit erhöhten Preisen gegeben. Das geschah auch in dieser Periode.

Ein Mitglied der Adjutantur machte mir darüber Vorwürfe, welche unter Autorität des Grafen Wurmser gemacht zu seyn schienen. Sogleich übergab ich dem Herrn General eine Vorstellung, und erklärte, daß ich, was die Führung der innern Theatergeschäfte anlangte, nur die Befehle meines Chefs und die Verordnungen des Churfürsten anerkennen könne. Zugleich erinnerte ich dringend an die [117] versprochene Zahlung eines Theils vom Rückstande des Theaters aus der in Beschlag genommenen Generalkasse.

Herr General Baader sagte mir im Namen des General Wurmser, daß er jene mir gemachte Aeußerung mißbillige, und alle Einmischung in den Gang der Theatergeschäfte verboten habe. Was die Kapitalzahlung anlange, müsse ich mich an die Reichskanzley wenden. Ich übergab dem zu Folge an jene Behörde nachdrückliche Vorstellungen, und unterstützte dieses Gesuch unermüdet durch persönliches Sollicitieren.

Dieß, und die Polizey im Schauspielhause, welche von dem kaiserlichen Festungskommando auf die musterhafteste Weise gehandhabt wurde, war der Gegen stand einer beständigen Korrespondenz und fortgesetzter mündlicher Vorstellungen.

Ich mußte dabey um so behutsamer gehen, da ich bey allem, was ich zu erlangen wünschte, auch so mich zu benehmen hatte, daß ich nicht am Ende für vergebene Rechte oder willkührlich scheinende Einräumungen der Pfälzischen Landesadministration verantwortlich werden konnte.

Unter allen diesen Bemühungen und Sorgen wurde mir eines Abends die Rückkehr des Herrn von Dalberg aus München angesagt. Freudigst eilte ich zu ihm. Ich durfte nach meiner redlichen, angestrengtesten Verwendung seines Beyfalls gewiß seyn. Ich freute mich auf diese Belohnung, und hatte die Eitelkeit zu glauben, daß mein Betragen in einer so kritischen Periode, welche jedermann mit Besorgniß und viele mit Zaghaftigkeit erfüllt hatte, da ihre Entwickelung so gar nicht vorher zu sehen war, seine gute Meinung von mir erhöhen würde.

Herr von Dalberg empfing mich etwas kalt. Er ließ sich den Hergang der Dinge, worüber ich ihm mit jeden Posttage Bericht erstattet hatte, umständlich erzählen, unterbrach mich durch öfteren Tadel, und endigte mit gänzlicher Unzufriedenheit über alles, was ich, nach seiner Meinung, leichtsinnig und zum größten Schaden der Theaterkasse verwilligt habe.

[118] Nie in meinem Leben ist meine Erwartung so bitter getäuscht worden. Ich konnte ihm nicht antworten. Sein Benehmen schmerzte und kränkte mich tief. Ich weiß nicht wie ich damals sein Zimmer verlassen habe. Resigniert antwortete ich ihm, er habe mir keine Instruktion hinterlassen, als die, nach Ueberzeugung und Gewissen zu handeln; dieß sey geschehen.

Ich befand mich einige Tage sehr übel. Haben Umstände, Menschen, falsche Nachrichten, der Druck seines Vaterlandes, meinem Chef diese Richtung gegeben? Ich weiß nicht, welchen von allen diesen Dingen ich die Kälte und manchmal eine gewisse Härte zuschreiben soll, die er mich von da an fortdauernd empfinden ließ. Oder verdiene ich Vorwürfe darüber, daß ich in einem Augenblicke, wo seine Seele von den wichtigsten Schicksalen des Staates bestürmt war, die Forderung machen wollte, er möge meine Bemühungen freundlicher erkennen? Darüber entscheide ich nicht: aber ein schlimmes Zeichen ist es nicht, wenn man lebhaft wünscht, von denen erkannt zu seyn, die man verehrt. Auf allen Fall war das Gefühl über meine Kränkung zu fein und zu schmerzlich, als daß ich es hätte überwinden können.

Der Churfürst hatte ihm an der Spitze einer Konferenz die Landesverwaltung aufgetragen. Seine vielen, ernsten, verwickelten Geschäfte entfernten mich noch mehr von ihm. Wir wurden einander fremd. Dieser Zustand war mir unerträglich. Meine sehr mäßigen Vortheile konnten mich nicht in der Pfalz halten. Die Achtung, welche mein Chef dem Menschenwerthe in mir bewiesen hatte, die schöne Natur, die Freundschaft und die Liebe hielten mich dort.

Die Natur ward mir öde, da ich von dem süßen Traume erweckt worden war, daß ich erkannt sey. Die Freundschaft und die Liebe trösteten mich für das gewaltthätige Verkennen eines Chefs, vor dessen Augen ich so viele Jahre offen, ehrlich, uneigennützig gewandelt war, und dem, wie ich nun sah, meine herzliche Anhänglichkeit an seine Person entweder nie von besonderm Werthe gewesen, der sie nie geglaubt hatte, oder ihrer jetzt nicht mehr achtete. Der Mensch sollte [119] ihm lieb seyn, das war mein Stolz, mein einziges Ziel; der Künstler kam so viel weniger dabey in Anschlag, daß ich es kaum in Rechnung bringen mochte, was er diesem einräumte.

Mit zerrütteter Gesundheit, mit abnehmender Seelenkraft, mit einer dumpfen Gleichgültigkeit habe ich damals von einem Tage zum andern gelebt.

In der Last dieses Zustandes erbat und erhielt ich im Frühjahre 1796 die Erlaubniß zu einer Reise nach Weimar. Wahrlich, es war eine schöne Zeit, die ich dort gelebt habe! Mit der Rührung der innigsten Dankbarkeit denke ich an so viele edle, gute Menschen, welche mich mit Wohlwollen und Wärme überhäuft haben.

Was meine Aufnahme als Künstler anbetrifft, und das was ich in meinen Darstellungen geleistet habe, so fürchte ich, daß die entschiedene Freundschaft Herrn Böttigers Feder geführt, und er dem Publikum seine Ideale in der Schilderung meiner Kunstübungen gegeben habe, weil sein Wohlwollen ihn glauben machte, ich hätte sie ausgeführt. Nie habe ich lieber, nie sorgfältiger gespielt, als zu Weimar. Das läßt sich denken. Die warme Aufnahme so herrlicher Menschen warf wieder einen Funken in meine Seele; ich empfand wieder neu für die Kunst, wie ehedem. Verglich ich die Ruhe, womit ich hier meine Tage zubrachte, mit dem vergeblichen Kämpfen, wodurch ich nun seit drey Jahren mich abgetödtet hatte – so mußte die Sehnsucht nach Ruhe in mir Leidenschaft werden. Zu Weimar ist zuerst in meinem Leben der Gedanke in mir erwacht, daß es mir möglich seyn könne, Manheim zu verlassen.

Gegen Ostern sollte der Krieg wieder anfangen. Ich schrieb aus Weimar an Herrn von Dalberg über diesen ängstlichen Gegenstand, und erhielt hierüber, wie überhaupt, kalte und fast abschreckende Antworten.

Ich fing nach und nach an, in Manheim fremd zu werden. Ein schönes Verhältniß, welches fast sechzehn Jahre gedauert hatte, war auf einmal verändert, so gut als aufgehoben. Ich konnte diese Gleichgültigkeit nicht ertragen. Nun [120] war es nicht mein Unmuth hierüber, den ich hörte, sondern die Vernunft, welche mir mächtig zurief, still zu stehen, an meine Zukunft und vorzüglich an meine Lebensruhe zu denken. Ich beschloß also bey mir, daß, wenn außer dem, was schon geschehen war, und viel umständlicher geschehen war als ich es hier erwähne – im Laufe dieses Krieges abermals mein Verhältniß zu Manheim in einer Art wankend gemacht werden würde, welche vor meinem Gewissen, vor der Vernunft, und selbst vor der buchstäblichen Gerechtigkeit, den Riß durch diese Verbindung, der ich so redlich meine uneigennützige Treue in den gefahrvollsten Krisen bewiesen hatte, verantwortlich machen könne, ich, aufgefordert von meinem Glück, das ich nun nicht länger hintansetzen konnte, diese Verbindung entschlossen zerreißen wolle. Ich äußerte dieses in Weimar, und daß ich alsdann dort zu leben wünsche. Man begegnete dieser Idee, und die Vorschläge, welche ich, falls die Umstände sich so vereinigen würden, entworfen habe, können, glaube ich, für meine Uneigennützigkeit, für meine Hochachtung für Herrn von Dalberg, und für die Anhänglichkeit an die Pfalz und meine Freunde reden.

Bey meiner Rückkehr war Herr von Dalberg verbindlich; aber es war eine Höflichkeit, in der ich nicht den Ersatz des ehemaligen herzlichen Verhältnisses finden konnte.

Den 19ten May gründete meine Frau das Glück meines Herzens auf Lebenszeit. An diesem Tage wurden wir verbunden. Einige Tage darauf überraschte uns das Theater durch ein Fest in meinem Garten, welches mir die freudigste Rührung gab, deren ich bis an mein Ende gedenken werde. Man führte uns am Abend hinaus. Der Garten war erleuchtet, eine sanfte Musik begleitete die Umarmungen der wohlwollenden Menschen, und ihre Thränen sprachen für ihre Glückwünsche – die unsrigen für die innigste Dankbarkeit.

Der Waffenstillstand wurde aufgehoben. Der Abgang eines beträchtlichen Theils der Armee nach Italien, und der Krieg, welcher so unglücklich dort geführt wurde, forderte den Rückzug der Oesterreichischen Armee über den Rhein. [121] Ich erneuerte meine Propositionen für den schlimmsten Fall, war aber nicht so glücklich, daß ein Beschluß erfolgte.

Das rechte Rheinufer wurde von Düsseldorf und dem Breisgau bedroht. Der traurige Erfolg war vorher zu sehen. Ich erneuerte so unermüdet, deutlich und wiederholt wie ehedem, wo möglich um so dringender, je weniger ich nun, nach dem was ich im schlimmsten Falle für mich selbst zu thun entschlossen war, noch mein eignes Interesse dadurch zu befördern glauben konnte, in mehrern Vorstellungen die Vorschläge zu Maßregeln, welche die Sicherheit der Mitglieder und die Zusammenhaltung des Theaters begründen könnten.

Herrn von Dalbergs unruhiger, mühsamer, gefährlicher Posten verhinderte einen festen Entschluß.

Die Mehrheit der Schauspieler, welcher die Angst und Gefahr der letzten Belagerung zu frisch im Gedächtniß war, hatte sich gegen mich bestimmt erklärt, einem Bombardement sich nicht und in keinem Falle aussetzen zu wollen. Ich stellte dieß dem Herrn Intendanten vor, und daß ich nun, da ich für meine Frau zu sorgen habe, nicht wie ehedem den letzten Augenblick der Gefahr abwarten könne.

Niemand bekommt in einem solchen Augenblicke der dringendsten Gefahr ein Fuhrwerk, oder riskiert, daß es ihm auf der Landstraße zum Transport der Bagage von der Armee abgenommen wird. Ich, so lange ich allein war, konnte auf der Flucht so weit gehen, als es nöthig war; meiner Frau konnte ich eine Reise zu Fuße nicht zumuthen. Herr von Dalberg, der damals selbst im Falle eines Bombardements nicht zu Manheim bleiben wollte, fand dieß billig, und gab mir seine Zustimmung.

Die Franzosen drangen über den Rhein, schlugen das Corps des Prinzen von Würtemberg, wurden von dem Helden Karl von Oesterreich wieder geworfen, drangen aber dann bey Kehl über den Rhein, und standen schon bey Friedberg, hatten Rastadt passiert, als ich noch immer zu Manheim war.

Nun sagte mir den 10ten Julius ein mit allen Umständen [122] und Vorfällen bekannter, überhaupt sehr unterrichteter kaiserlicher Officier, den ich gebeten hatte, mir den letzten, dringendsten Punkt, wo eine Flucht noch möglich war, zu nennen, eben da ich zur Vorstellung gehen wollte: »Jetzt sey es Zeit an die Flucht zu denken.« Mit welchem Herzen ich, in den Geschwistern vom Lande, den alten Baron, meine letzte Rolle zu Manheim, gegeben habe, läßt sich denken. In der Mitte der Vorstellung kam er auf das Theater und sagte mir, daß die eben eingegangenen Nachrichten ihn verbinden mir zu rathen, ich möge morgen abgehen; lieber heute noch, wenn es seyn könne. Die Straße über Marburg und Fulda sey nicht mehr zu passieren; nur die über Würzburg sey noch offen.

Am Ende der Vorstellung läßt mich Herr von Dalberg zu sich bescheiden. »Alles scheint verloren, was ist nun zu thun?« rief er mir entgegen. Ich sagte ihm, daß ich meine Frau in Sicherheit bringen, und am Ende der Unruhen wiederkommen würde. Er drang in mich, da zu bleiben, sagte, daß er selbst da bliebe. Ich erwiederte ihm, daß die seit acht Tagen getroffenen fürchterlichen Anstalten zur Vertheidigung der Festung zu deutlich predigten, was wir zu erwarten hätten. Nach der Erfahrung, welche die Schauspieler im letzten Bombardement gemacht hätten, könne ich mich dazu nicht entschließen, und hätte die Pflicht, meine Frau der Gefahr nicht auszusetzen. »Gehen Sie, rief er mir unmuthig zu – aber ich weiß es, Sie werden nicht wiederkommen!« Ich betheuerte ihm, daß ich zu den Ruinen von Manheim wiederkommen würde.

Ich erhielt zwey Monat Gehalt, gab den Revers, am Ende der Gefahr zurück zu kommen, und reiste, nachdem ich mühsam genug ein Fuhrwerk gefunden hatte, des andern Morgens mit Hinterlassung aller meiner Effekten ab.

Bey der Ueberfahrt zu Neckar-Els mußte meine Frau mit Lebensgefahr durch drey tausend angespannte Bagagewagen gehen, welche in drey Reihen auf der Chaussee in einander gefahren waren. Ein anderer Weg, als diese Chaussee, war des grundlosen Weges halber nicht zu fahren, noch [123] zu gehen. Der Troß und die Flüchtenden mehrten sich jeden Augenblick. Zu Würzburg mußten wir an dritten Tag auf Pferde warten. Hier war der Zusammenfluß aller Geflüchteten. Die Nachricht langte an, daß Frankfurt brenne.

Den zweyten Tag nach unserer Abreise von Würzbug waren die Franzosen vor dieser Stadt, und der Schauspieler Koch wurde dort mit seiner Familie eingeschlossen. Beweis genug, daß ich nicht später hätte gehen dürfen.

Ich ging, ohnerachtet ich durch Gotha reisete, nicht über Weimar, um mich nicht selbst zu einem Schritte gegen Manheim zu verleiten.

Bis Ende Augusts blieb ich ruhig in Hannover. Dann ging ich auf die Einladung des Herrn Schröder zu einigen Gastrollen nach Hamburg, und blieb dort bis den 9ten Oktober.

In dieser Zeit war die Neigung, in Manheim zu leben, ganz und mit unwiderstehlicher Gewalt in mir erwacht. Aber gegen die beständigen Unruhen, die bis zu Ende des Krieges dort vorher zu sehen waren, wollte ich doch nun mindestens über meine Zukunft außer jedem Zweifel seyn. Ich schrieb daher von dort aus an Herrn von Dalberg oft, und so umständlich und deutlich wie möglich. Ich verlangte ganz und gar keine Verbesserung, sondern seine Meinung über die Sicherheit der ganzen Sache, welche er selbst mir wiederholt zweifelhaft gemacht hatte. Ich bat bescheiden um eine Auskunft, wie ich auf jene Zusicherung rechnen könne, welche er die Güte gehabt hätte mir 1794 zu geben. Ich berührte meinen Schmerz über das geänderte Verhältniß zwischen ihm und mir. Meine Reise nach Berlin zu einigen Gastrollen hatte ich schon aus Hannover gemeldet. Vermuthlich sind von meinen Briefen welche verloren gegangen. Ich wüßte mir sonst nicht zu erklären, weßhalb ich auf die wichtigsten Punkte gar keine Antwort erhalten habe. Auf andere erhielt ich kurze, höfliche, ausweichende Aeußerungen.

Ich kann mir sehr wohl denken, daß Herr von Dalberg [124] mir nichts Entscheidendes für meine Sicherheit auf die Zukunft schreiben konnte, und daß er zu edel dachte, mir eine Gewißheit zu geben, an die er selbst nicht hätte glauben können. Aber das eben vermehrte die Peinlichkeit meiner Lage. Bey allem Wunsche, in Manheim zu leben, mußte ich mir doch endlich, nach allem was dafür schon aufgeopfert war, die Frage aufwerfen, wohin es mich führen werde.

Da ich in Hamburg die Nachricht erhielt, daß der König mich anstellen zu wollen geäußert habe, meldete ich es Herrn von Dalberg sogleich. Ich sagte dabey offen und ehrlich, daß ich gern, sehr gern zurückkehren wolle; nur wünsche ich die Ungewißheit über Dinge aufgehoben, deren beständige Erörterung ohne meine Schuld ihm lästig werden müsse, wie sie mir peinlich sey. Nach meiner Ankunft zu Berlin wiederholte ich ihm diese Bitte. Die Ungewißheit meiner Lage blieb dieselbe.

Noch am 18ten Oktober schrieb ich aus Berlin, daß die Aeußerungen über ein hiesiges Engagement vortheilhaft wären, und anfingen dringender zu werden; daß ich nicht Verbesserung, nur bestimmte Auseinandersetzung der Verhältnisse wünschte. – Die immer gleiche, geprüfte Art meines Betragens in Geldsachen konnte und mußte mir den Kredit erwerben, daß mir diese Uneigennützigkeit Ernst sey. Ich setzte hinzu, daß, wenn meine sehr mäßigen Verhältnisse nicht ins Klare gesetzt würden, ich alsdann bey den Bedingungen, welche die Gnade des Königs mir gewährt habe, es vor der Vernunft nicht zu verantworten wisse, sie nicht anzunehmen, und daß ich bis zum 10ten November höchstens die Annahme verschieben könne. Gegen den 10ten November kam, in Einlage an den Churmainzischen Gesandten, Herrn Grafen von Hazfeld, ein Brief, der nichts von allem beantwortete, warum ich so oft und so dringend gebeten hatte.

Ich fragte den Herrn Grafen, ob er, da er ein Freund des Herrn von Dalberg sey, vielleicht ein Ultimatum habe, womit er zurück halten solle? Ich bat ihn es nicht zu thun, da ich nun meiner Pflicht für Manheim mehr als [125] Genüge geleistet habe, und also, wenn der Herr Graf für mich keine Aufträge habe, die Gnade des gütigen Königs anzunehmen im Begriff stehe.

Er versicherte mich nicht nur, daß er keinen Auftrag für mich habe, sondern zeigte mir Herrn von Dalbergs Brief, der außer einer Anfrage, wie ich zu Berlin gefalle, nicht das mindeste von mir enthielt. Unter diesen Umständen kann wohl niemand sagen, daß ich mich leicht von Manheim getrennt habe.

Den 14ten November früh Morgens schrieb ich dem Herrn geheimen Kämmerer Ritz, daß ich die Gnade, welche des Königs Majestät mir erzeigen wolle, dankbar erkenne, und die hiesigen Dienste an nehme. Desselben Abends 10 Uhr erhielt ich die königliche Kabinetsordre, welche meine Annahme des Engagements zu Berlin vollzog.

Den 16ten kam – zu spät – ein Brief des Herrn von Dalberg, welcher die nähere Auseinandersetzung enthielt, warum ich so lange gebeten hatte, und eine Verbesserung, warum ich nicht gebeten hatte. Wäre dieser Brief, auch ohne Verbesserung, drey Tage früher gekommen, so würde ich, treu meinem Worte, aus Ehrfurcht für mein Gefühl, das an jenes Land, zu manchem guten Menschen, zu meinen treuen Freunden mich hinzog, zwar mit schwerem Herzen von der Gnade des Königs, nicht ohne gerechte Empfindung von Berlin selbst, aber ohne allen Kampf von den beträchtlichen angebotenen Vortheilen geschieden, und in meine schöne Einsiedeley an den Rhein zurückgekehrt seyn.

Die mich kennen, wissen, daß das Geld mich für nichts entscheidet, daß Ruhe mein höchstes Gut ist; sie wissen es, welche Dinge ich für mein gegebenes Wort zu wagen und hinzugeben im Stande bin: es ist eine Lenkung in den Menschen-Schicksalen; diese hat entschieden. Ich denke mit Wärme an die Pfalz, mit Innigkeit an die schöne Zeit, wo Herr von Dalberg offen und zutraulich gegen mich war. Ich habe ihm nie Unruhe verursacht, oder mit meinem Wissen seinen Unwillen erregt. Ich habe ihm die Last der Intendanz, welche er edelmüthig übernommen hat, [126] erleichtert, so viel ich es vermochte. Ich habe allem Kunstmonopolium widerstrebt, wie er selbst, und zur Bildung angehender Talente unermüdet nach meinen Kräften beygetragen. Ich glaube gewiß, die Schauspieler von Manheim werden mir auch in der Ferne nicht übel wollen.

In der Folge der Verhandlungen ist das Geschenk, welches Herr von Dalberg 1794 mir bewilligte, mit Ehrfurcht zurück gegeben. Auch die zwey Monate Gehalt, welche ich bey meiner Abreise empfangen habe, sind zurück gegeben.

Im Jahre 1785 hatte ich aus freyem Antriebe in einem herzlichen Billet dem Herrn von Dalberg einen Revers gegeben, daß ich nie ohne sein Wissen ein Engagement irgendwo abschließen wollte. Ich hatte dieses Billet vergessen, so wie Herr von Dalberg dessen selbst nie bestimmt erwähnt hat. Aber es bedurfte dieses Reverses nicht: meine Empfindungen und Entschließungen sind dieselben geblieben, welche ich hatte, da ich jenes Billet schrieb. Meine Briefe, welche ich von dem Augenblicke an, wo ich in Hamburg muthmaßen konnte, daß zu Berlin von einem Engagement die Rede seyn konnte, dem Herrn von Dalberg geschrieben habe, wenn sie für ihn anders den Werth haben konnten, daß sie noch vorhanden wären, mögen es beweisen, ob ich übereilt, und ohne ihn die Sache hell sehen zu lassen, gehandelt habe.

Er hat mir nach geendigter Sache den Revers mit Unwillen zugeschickt, und die harte Stelle geschrieben: »Ich handelte anders als ich schriebe.«

Wie ich diesen Revers las, diese ehrliche Aufwallung eines Jünglings, der ich auch als Mann in harten Zeiten gefolgt bin, und das Jahr 1785 vor mir sah, – das Jahr, wo alles anders aussah, friedlicher und freundlicher – die Welt – Herr von Dalberg und ich – so dachte ich mit Wehmuth an den zwanzigsten November 1785, wo er mich mit Thränen in seine Arme schloß.

Und wie ich die harte Stelle in seinem unfreundlichen Briefe las, dachte ich: »Was ist es denn nun? Sechzehn Jahre bin ich vor diesem Manne gewandelt mit dem Glauben, [127] ich sey ihm bekannt. Am Ende der Last und Plage bin ich ihm nicht mehr als das?«

Ein bittrer Unmuth wandelte mich an. Ich legte den ungerechten Brief – den Brief, der mir Buchstaben anrechnete und mein Thun auslöschte – im Gefühl vom Werthe meines Herzens mit fester Hand beyseite.

Damals – und auch weil ich in der Folge bemerkt habe, daß man gegen mich bey Leuten, an deren guter Meinung mir viel liegen muß, nicht allerdings mit Glimpf verfahren ist, habe ich beschlossen über meine Laufbahn ein Wort zu sagen.

Ich bürge mit meiner Ehre für die strengste Wahrheit aller Angaben, welche ich bey dieser Gelegenheit gemacht habe, um so mehr, da ich, wenn es erforderlich wäre, eine jede mit Belegen beurkunden kann. Sollte um ein oder zwey Tage rückwärts oder vorwärts irgendwo – nur nicht in der Berliner Engagements-Sache, worin alles auf die Stunde zutrifft – aber sollte sonst irgendwo ein Datum unrichtig stehen, so wird mir das Nachsicht erwerben, daß ich aus dem Gedächtniß schreiben muß, weil ich meine Papiere nicht alle hier bey mir habe.

Die Weitläuftigkeit, in die ich wider Willen gerathen bin, wird denen minder entgegen seyn, unter welchen ich viele Jahre gelebt habe. Andere Leser werden es der Absicht zu gute halten, durch eine – vielleicht zu genaue Schilderung überzeugen zu wollen.

Ich bitte Herrn von Dalberg, die Versicherung anzunehmen, daß ich nie seine seltnen Verdienste um die Deutsche Bühne vergessen werde. Geschmack, Bildung, Beharrlichkeit, Geduld, vieles Gute hat er ihr gewidmet. Nie werde ich gleichgültig der Zeit gedenken, wo ich in sein Haus wie in den Tempel eines friedlichen Genius gegangen bin. Herr von Dalberg wird nicht der Zeit vergessen, wo ein junger Künstler mit reiner Herzensergießung sich ihm hingegeben hat. Er wird vielleicht, wenn er je dieß lesen sollte, empfinden, was ich empfinde indem ich es schreibe, die Wehmuth über den Unbestand menschlicher Entwürfe und menschlichen [128] Wollens. Sehen doch zwey Wanderer, die lange einen Weg mit einander gegangen sind, wenn sie nun sich getrennt haben, noch einer nach dem andern sich um, und gedenken der traulichen Gespräche, in denen sie einher gegangen sind.

Der König Friedrich Wilhelm der Zweyte hat die Gnade gehabt, mir die Führung der Direktion des Berliner Theaters anzuvertrauen. Man kann keine edlere Instruktion für diesen Posten geben, als die er selbst mir zu Potsdam mündlich ertheilt hat: »Hüten Sie Sich für einseitige Rollenvertheilung, lassen Sie jeden vorwärts gehen. Ich hätte gern, daß auch das letzte Mitglied am Theater zu Zeiten bemerkt würde. Die Direktion thue etwas, besonders um seinetwillen.« Diese väterliche Absicht wird mir stets vor Augen seyn, wie die ganze unvergeßliche Unterredung – wie dieser gütige König selbst.

Die Gerechtigkeit, die Milde, womit Se. Majestät der jetzige König bey der Last seiner Geschäfte es nicht verweigert, den Angelegenheiten des Nationaltheaters einen Blick zu schenken, geben ein erhebendes und das dankbarste Gefühl.

Das Berliner Publikum hat mir Achtung eingeflößt und Erkenntlichkeit. Vom ersten Augenblicke an ist es mein fester Vorsatz gewesen, für sein Vergnügen und das Beste des Ganzen, so viel an mir ist, zu wirken, ohne durch Neuerungen eine Gewaltthätigkeit zu begehen, welche den Schaden der Einzelnen bewirkt, indem sie das Ganze mehr hemmt als vorwärts bringt.

Die Talente, welche ich auf dem Berliner Theater gefunden habe, sind ächt und selten. Zutrauen und guter Wille werden immer mehr ihre enge Vereinigung veranlassen, welche die Vollendung des Ganzen und den Triumph der Kunst bewirkt.

Fern von Kleinigkeit, offen und wahr habe ich an dem Künstler vom ersten Rang, dem Vertrauten der Wahrheit und Natur – an Herrn Fleck, einen Mitarbeiter, dessen Freundschaft und Biedersinn das alte Mährchen widerlegt, daß [129] zwey Künstler mit gleicher Wärme für die Kunst auf Einer Bahn nicht in Frieden wandeln könnten.

War es nun recht und gut, wenn ich im Ueberblick auf meine Laufbahn mir sagen kann: »Ich bin stets mit jeder Aufopferung gern und am liebsten meinem ersten Gefühl treu geblieben,« oder ist das Schwäche? Darüber entscheide ich nicht. Aber das darf ich versichern, diese Weise hat mich minder irre geführt, als die Reflexion.

Herzlich reiche ich allen die Hand, welche mir wohl wollen.


Berlin, den 17ten April

1798.

Iffland.

[130]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Iffland, August Wilhelm. Autobiographisches. Über meine theatralische Laufbahn. Über meine theatralische Laufbahn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-89A3-6