Tagebuchblätter

[227] In dem Traum siehst du die stillen,

Fabelhaften Blumen prangen;

Und mit Sehnsucht und

Verlangen Ihre Düfte dich erfüllen.

Doch von diesen Blumen scheidet

Dich ein Abgrund tief und schaurig,

Und dein Herz wird endlich traurig,

Und es blutet und es leidet.

Heine

[228] 1.

Ich rauchte nicht und trank kein Bier,
Ein junger Mensch von achtzehn Jahren,
Und dieses Buch der Welt schien mir
Wie eines Engels Memoiren.
Schon sah ich mich im Frührothschein
Vor lauter Glück die Hände falten,
Doch heut gesteh ich's traurig ein:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!
Auch schrieb ich manchen Liebesbrief
Und schwärmte à la Heinrich Heine,
Doch das war kindisch und naiv,
Denn statt der Herzen fand ich Steine.
Nun hängt am Galgen mein Humor
Und macht mein warmes Blut erkalten,
Denn traurig klingt es mir im Ohr:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!
[229]
Zwar meiner Kunst ersehnten Kranz,
Schon streift ihn hie und da mein Scheitel,
Doch denk ich schon wie Meister Hans
Und deklamire: Alles eitel!
Mir kreist das Hirn, mir wankt das Knie,
Ein Andrer mag mein Amt verwalten!
Zu traurig klingt die Melodie:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!
[230]

2.

Ins Meer versank des Abends letzte Röthe,
Du gabst mir scheidend das Geleit,
Im nahen Wald blies eine Hirtenflöte
Ein altes Lied aus alter Zeit.
Nicht Küsse waren's, die wir heimlich tauschten,
Es war die Zeit des Blätterfalls,
Doch als am Kreuzweg die drei Linden rauschten,
Fielst Du mir weinend um den Hals!
Und Deiner Liebe langverhaltnes Leiden,
Aus Deinem Herzen brach's hervor,
Als ahntest Du's, dass Jedes von uns Beiden
Im Andern auch sich selbst verlor!
Und Worte sprachst Du, die ich nie vergessen,
Doch ach, uns gönnte das Geschick
Nur noch ein letztes Aneinanderpressen ...
Es war ein dunkler Augenblick!
[231]
Doch nicht entweihen will ich jene Stunde,
Schweig still, o still, Erinnerung!
Denn nie schliesst sich ein Herz um seine Wunde,
Ein echtes Leid bleibt ewig jung.
Noch immer, wenn des Abends letzte Röthe
Ins Meer taucht, wird das Herz mir weit,
Und mich umklingt wie eine Hirtenflöte
Ein altes Lied aus alter Zeit.
[232]

3.

O, wie so oft hab ich gesessen
Auf moos'ger Bank am Buchenhag
Und sann beglückt und selbstvergessen
Dem Räthsel Deines Wesens nach!
Dann sang am waldverschwiegnen Orte
Ihr hohes Lied die Maienfee,
Und jedes ihrer süssen Worte
Fiel mir ins Herz wie Blüthenschnee;
Und jedes ihrer süssen Worte
Klang mir wie Deutung Deines Seins
Und golden that sich auf die Pforte
Und ich und Du, wir waren Eins!
Und doch; wenn Du dann kamst und lächelnd
Die Anmuth Dir zur Seite ging,
Und süsser als der Maiwind fächelnd
Dein weicher Odem mich umfing:
[233]
Dann war dahin, was kaum gewesen
Und was nur dunkel mir geschwant,
In Deinen Augen konnt ich's lesen,
Von Wundern, die ich nie geahnt;
In Deinen Augen konnt ich's lesen,
Was ich gewann, was ich verlor,
Und süsserschreckt schien mir Dein Wesen
Nur räthselhafter als zuvor!
[234]

4.

Mein Herz war froh, mein Leben Poesie,
Draus meine Tage sich wie Knospen schälten,
Da kam Dein Brief, der mir Dein Elend schrie,
Und dessen Thränen mir Dein Leid erzählten.
Nur Einer weiss, wie schwer ich daran trug,
Der Flieder, der nachts an mein Fenster schlug.
Derselbe Flieder, dessen Duft so lind
Im Mai uns wie ein Frühlingstraum umschauert,
Und der jetzt frierend im Novemberwind
Sich wie ein Bettler scheu zu Boden kauert.
[235]

5.

O, wie weit, wie weit,
Liegt die goldne Zeit,
Wo mein Herz von tausend Liedern schwoll!
Nun ist stumm mein Mund
Und mein Herz so wund
Ist von Thränen, nur von Thränen voll!
O was gäb ich drum,
Wär ich nicht so stumm,
Und die Thräne fände ihren Lauf!
Aber Lied wie Schmerz,
Hütet stumm das Herz,
Und wer kommt und schiebt den Riegel auf?
Junger Liebe Glück,
Kehrst du nie zurück?
Ach, das Herz mir noch das Herz zerbricht!
Wie ein Funkelstern,
O so ewig fern,
Glänzt die goldne Zeit im goldnen Licht!
[236]

6.

O dass doch aus dem Klanggewinde
Mir Blatt auf Blatt von dannen stiebt
Und ich nicht mehr die Worte finde,
Wie sie das Herz dem Herzen giebt!
Denn ach, die Lust singt immer leiser
Und immer lauter schreit das Weh,
Und längst sind alle Hoffnungsreiser
Begraben unterm Winterschnee.
Ich bin so stumm und still geworden
Und sing nur manchmal noch im Traum,
Doch in den klagenden Akkorden
Tönt meiner Schmerzen Echo kaum.
Und will mir auch die Brust zerspringen,
Es trägt kein Lied ihr Weh hinaus:
Und so muss denn auch dies verklingen
Und ist doch lange noch nicht aus!
[237]

7.

Sonnengluthen, Abendschatten
Wechselten im alten Gleise,
Und auch dir, dem Qualenmatten,
Tönt ins Ohr die gleiche Weise:
Ging das Gestern, kommt das heute
Und am Ende auch das Morgen,
Doch in alle drei als Beute
Theilen gierig sich die Sorgen.
Sonnengluthen, Abendschatten
Können nicht von selber enden,
Aber dir, den Lebenssatten,
Ist's vergönnt, sein Loos zu wenden.
Nicht umsonst sei dir gegeben,
Was Natur den andern schuldig:
Drum so ende du dein Leben,
Oder trag es still geduldig!
[238]

8.

Ja, ich geb's zu, und Du hast Recht, mein Freund:
Der Sommer ist's, der meine Wange bräunt,
Und meine Lenzsaat steht noch ungeschnitten.
Und doch, der erste Frühschmelz ist dahin,
Mein Herz ward dunkel, düster ward mein Sinn,
Denn sieh, wer viel geliebt, hat viel gelitten!
Ich weiss, Du glaubst und hoffst noch. Nun, es sei.
In mir ruft's faustisch schon: Vorbei! Vorbei!
Nur wenig noch will meinem Herzen taugen:
Ein Blumenduft, ein ferner Glockenklang,
Ein Vogelruf, ein Sonnenuntergang
Und dann und wann ein Blick in Kinderaugen.
[239]

9.

Mit den Wolken, mit den Winden,
Steur' ich nach dem goldnen Vliess –
Das verlorne Paradies,
O, wann werd ich's wiederfinden?
Tag und Nacht, in Schlaf und Wachen,
Wogt um mich die dunkle Fluth,
Und die Sehnsucht, die nicht ruht,
Ja, die Sehnsucht ist mein Nachen!
Und so gehn denn Mond und Sterne
Immer wieder meerempor;
Doch wie sie, winkt Edens Thor
Mir ach, immer nur von Ferne!
Aber lass das Rad nur rollen,
Wie's das schon seit je gethan,
Denn auch deine irre Bahn
Wird sich ja vollenden wollen.
[240]
Wind und Wellen werden schlafen
Und sein Ziel erreicht dein Boot,
Denn sein Steuermann heisst Tod
Und der Himmel ist sein Hafen!
[241]

10.

Und immer weiter
Dreht sich die Welt,
Ihr Pfad wird breiter,
Ihr Triebrad schnellt;
Die Stunden rollen,
Die Sonne scheint,
Ich bin verschollen
Und niemand weint!
In Kraut und Kressen
Auf hohem Stein
Lieg ich vergessen
Und ganz allein;
Nur eine Linde
Schwingt über mir
Im Abendwinde
Ihr grün Panier,
Und leis nur zittert
Mir ums Gesicht,
Goldrothumwittert,
Das Abendlicht.
[242]
Die Welt ging unter,
Die Gott erschuf,
Nur noch mitunter
Ein Vogelruf;
Nur noch zuweilen
Ein irrer Schrei –
Die Wolken eilen
Vorbei, vorbei!
Was wie ein Stern mir
Die Brust durchzieht,
Singt nun von fern mir
Sein Alphornlied.
Erinnrung hält mich
In ihrem Bann
Und plötzlich fällt mich
Die Sehnsucht an.
O Lust von weiland,
Wie liegst du weit!
O selig Eiland
Der Jugendzeit!
Die Blumen blühten,
Die Quelle sprang,
Die Sterne glühten,
Die Amsel sang;
[243]
Und mir gab Küsse
Zu jeder Stund,
Als ob er's müsse,
Ein Mädchenmund!
Noch stockt der Schmerz mir
In seinem Lauf –
Wie ging das Herz mir
In Liedern auf!
Doch wer beschriebe
Die goldne Zeit,
Die erste Liebe,
Das erste Leid?
Wie dort die Sonne
Versinkt in Nacht,
Stirbt Weh und Wonne,
Eh wir's gedacht.
Schon deckt ihr Schleier
Den Fluss, das Ried –
Die alte Leier,
Das alte Lied!
[244]

11.

Der Sonne letzter Schein
Umspielt das schwanke Ried,
Der Thürmer bläst sein Lied
Ins Abendroth hinein.
Von fernher weht ein Duft
Berauschend mir ums Haar,
Ein weisses Taubenpaar
Durchflattert noch die Luft.
Nun taucht mein Geist ins Bad
Und stärkt sich im Gebet,
Ein Engel Gottes geht
Stillsegnend durch die Stadt.
Für Jeden, der ihn sieht,
Hat er im Herzen Raum:
Dir gab er einen Traum,
Und mir gab er dies Lied.
[245]

12.

Jüngst sah ich den Wind,
Das himmlische Kind,
Als ich träumend im Walde gelegen,
Und hinter ihm schritt
Mit trippelndem Tritt
Sein Bruder, der Sommerregen.
In den Wipfeln da ging's
Nach rechts und nach links,
Als wiegte der Wind sich im Bettchen;
Und sein Brüderchen sang:
Di Binke di Bank,
Und schlüpfte von Blättchen zu Blättchen.
Weiss selbst nicht, wie's kam,
Gar zu wundersam
Es regnete, tropfte und rauschte,
Dass ich selber ein Kind,
Wie Regen und Wind,
Das Spielen der beiden belauschte.
[246]
Dann wurde es Nacht,
Und eh ich's gedacht,
Waren fort, die das Märchen mir schufen,
Ihr Mütterlein
Hatte sie fein
Hinauf in den Himmel gerufen!
[247]

13.

O du lieber, linder Sommerabend,
Bist so süss wie zarte Frauenhuld,
Wenn dein tiefgeheimer Zauber labend
Mich in wunderholde Träume lullt.
Bin ich singend über Land gezogen
Wohl den ganzen Tag im Sonnenschein
Und nun schreit ich durch den Thoresbogen
In die altersgraue Stadt hinein.
Von den holzgeschnitzten Giebelspitzen
Sich schon längst der letzte Schimmer stahl,
Nur die hohen Kirchenkreuze blitzen
Golden noch im späten Abendstrahl.
Kinder auf den Treppensteinen hocken,
Spielen Haschen oder Blindekuh,
Und dazwischen läuten fromm die Glocken
Von den Thürmen Feierabendruh.
[248]
Wer sich abgemüht in Tagesschwüle,
Ruht im Schoosse seiner Lieben aus;
Herzerquickend duftet ihm die Kühle,
Wie ein frischgepflückter Blumenstrauss.
Rollt kein Wagen mehr, es schlägt kein Hammer,
Denn der Werkeltag ist längst verrauscht;
Lämpchen knistert schon in stiller Kammer,
Drin der Nestling Mutters Märchen lauscht.
Immer stiller wird es auf den Gassen,
Immer heimlicher die Dämmrung winkt,
Bis das Giebeldach die silberblassen,
Mondgewebten Flimmerstrahlen trinkt.
Wo in marktumpflanzten Lindenbäumen
Funkenwürmchen hin und wieder fliegt,
Wandeln Liebende in süssen Träumen,
Hand in Hand und Arm in Arm geschmiegt.
Mit den alten, halbverwaschnen Runnen
Und dem steingehaunen Reckenbild
Steht am Rathhauseck der Rolandsbrunnen,
Der aus hundert Röhren tönend quillt.
Auf bemoostem Rande sitz ich nieder,
Und ich schaue in die Fluthenpracht,
Und ich lausche auf die Wiegenlieder,
Bis mein Herz zur guten Ruh gebracht.
[249]
Und da hör ich, wie auf leisen Sohlen
Blonde Engel durch die Gassen gehn,
Und ich blinzle ab und zu verstohlen,
Um die blonden Engel auch zu sehn.
O du lieber, linder Sommerabend,
Bist so süss wie zarte Frauenhuld,
Wenn dein tiefgeheimer Zauber labend
Mich in wunderholde Träume lullt!
[250]

14.

Nun pfeift der Herbstwind ums Gemäuer,
Und grau in grau verschwimmt die Luft,
Und um den Herd und um sein Feuer
Webt Winterduft.
Das ist die Zeit, wo sich die Seele
Stilleinsam auf sich selbst besinnt
Und wie im Lenz einst Philomele
Auf Lieder sinnt.
Willkommen drum zur guten Stunde,
O Muse, unter meinem Dach;
Ist auch dies Stübchen hier im Grunde
Kein Prunkgemach!
Vier Wände nur und was darinnen,
Ein Tisch, zwei Stühle und ein Schrein;
So sitzen wir vergnügt und sinnen
Beim Lampenschein.
[251]
Horch, draussen, welch ein grauses Wetter
Durchrast gespensterhaft die Nacht?
Mir däucht, so klingt das Horngeschmetter
Der wilden Jagd!
Der Regen peitscht in jähem Grimme
Ans Fenster, dass der Laden wankt,
Und durch die Luft heult eine Stimme
Und ächzt und bangt.
Ein Kreischen, wie von Wetterhähnen,
Umkreist der Kirche nahen Thurm,
Denn ihn bedräut mit giftgen Zähnen
Der Drache Sturm.
Von Menschen scheint die Stadt verlassen,
Kein Licht mehr, das nicht längst verblich,
Und wer hinabblickt auf die Gassen,
Bekreuzigt sich.
Fürwahr, ist da nicht unsre Zelle
Ein irdisch Stücklein Seligkeit?
Und predigt nicht des Lämpchens Helle
Gemüthlichkeit?
Und näher rücken wir zusammen
Und was ich frage, thust du kund;
Dein Auge spielt in blauen Flammen,
Es lacht dein Mund.
[252]
Aus Ost und Westen, Süd und Norden,
Von Steinen, Blumen und Gethier,
Warum und wie sie so geworden,
Erzählst du mir.
Und was einst vor so manchem Jährchen
Die Welt erlebt in Lust und Leid,
Und wenn ich bitte, auch ein Märchen
Aus alter Zeit.
Wie Siegfried einst die Maid Brunhilde
Durch seinen Kuss vom Schlaf erweckt,
Und wie sich hinter diesem Bilde
Ein Sinn versteckt.
Wie jährlich noch die Mutter Erde
Sich einspinnt in die Witternacht,
Bis sie im Lenz durch Gottes Werde
Aufs Neu erwacht.
Drum lass den Tod nur draussen dräuen,
Wir zwei sind gegen ihn gefeit;
Das Leben wird sich schon erneuen
Zu seiner Zeit.
Als Lenz wird es uns Veilchen bringen,
Und tändeln wird's als Blüthenfall,
Und Nachts im Flieder wird es singen
Als Nachtigall!
[253]

15.

Und wieder nun lässt aus dem Dunkeln
Die Weihnacht ihre Sterne funkeln!
Die Engel im Himmel hört man sich küssen
Und die ganze Welt riecht nach Pfeffernüssen ...
So heimlich war es die letzten Wochen,
Die Häuser nach Mehl und Honig rochen,
Die Dächer lagen dick verschneit
Und fern, noch fern schien die schöne Zeit.
Man dachte an sie kaum dann und wann.
Mutter teigte die Kuchen an
Und Vater, dem mehr der Lehnstuhl taugte,
Sass daneben und las und rauchte.
Da plötzlich, eh man sich's versah,
Mit einem Mal war sie wieder da.
Mitten im Zimmer steht nun der Baum!
Man reibt sich die Augen und glaubt es kaum ...
Die Ketten schaukeln, die Lichter wehn,
Herrgott, was giebt's da nicht alles zu sehn!
[254]
Die kleinen Kügelchen und hier
Die niedlichen Krönchen aus Goldpapier!
Und an all den grünen, glitzernden Schnürchen
All die unzähligen, kleinen Figürchen:
Mohren, Schlittschuhläufer und Schwälbchen,
Elephanten und kleine Kälbchen,
Schornsteinfeger und trommelnde Hasen,
Dicke Kerle mit rothen Nasen,
Reiche Hunde und arme Schlucker
Und Alles, Alles aus purem Zucker!
Ein alter Herr mit weissen Bäffchen
Hängt grade unter einem Aeffchen.
Und hier gar schält sich aus seinem Ei
Ein kleiner, geflügelter Nackedei.
Und oben, oben erst in der Krone!!
Da hängt eine wirkliche, gelbe Kanone
Und ein Husarenleutnant mit silbernen Tressen –
Ich glaube wahrhaftig, man kann ihn essen!
In den offenen Mäulerchen ihre Finger,
Stehn um den Tisch die kleinen Dinger,
Und um die Wette mit den Kerzen
Puppern vor Freuden ihre Herzen.
Ihre grossen, blauen Augen leuchten,
Indess die unsern sich leise feuchten.
Wir sind ja leider schon längst »erwachsen«,
Uns dreht sich die Welt um andre Achsen
[255]
Und zwar zumeist um unser Büreau.
Ach, nicht wie früher mehr macht uns froh
Aus Zinkblech eine Eisenbahn,
Ein kleines Schweinchen aus Marzipan.
Eine Blechtrompete gefiel uns einst sehr,
Der Reichstag interessirt uns heut mehr;
Auch sind wir verliebt in die Regeldetri
Und spielen natürlich auch Lotterie.
Uns quälen tausend Siebensachen.
Mit einem Wort, um es kurz zu machen,
Wir sind grosse, verständige, vernünftige Leute!
Nur eben heute nicht, heute, heute!
Ueber uns kommt es wie ein Traum,
Ist nicht die Welt heut ein einziger Baum,
An dem Millionen Kerzen schaukeln?
Alte Erinnerungen gaukeln
Aus fernen Zeiten an uns vorüber
Und jede klagt: Hinüber, hinüber!
Und ein altes Lied fällt uns wieder ein:
O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!
[256]

16.

Apage, blonder Satan, lass mich los!
Ich weiss, dies ist das Haus »Zu den drei Nymphen«,
Doch setze dich nicht gleich mir auf den Schooss
Und kokettire nicht mit deinen Strümpfen!
Dein Wort ist wie ein tönendes Geschell,
Du wirst dies junge Herz mir nicht beschwatzen;
Du bist ja doch nur eine Biermamsell
Und feil und falsch wie alle diese Katzen.
Durch dein Gelächter zischt die rothe Lust,
Die Goldgier grub sich tief in deine Züge
Und luftgepolstert thront auf deiner Brust
Die gummifabricirte Doppellüge.
Was dir an Locken bummelt um die Stirn,
Ist mühsam nur gestutzt mit Papilloten,
Und dein vertrates kleines Weibsgehirn
Ist bis zum Platzen vollgepfropft mit Zoten.
[257]
Du machst die Augen zu und schnalzt: Wie schön!
Und nippst beim Nachbargast vom Blut der Reben
Und denkst dabei nur an das Lustgestöhn,
Als du dich gestern Nacht ihm preisgegeben.
Dein Element ist recht die Völlerei,
Das Austernfressen und Champagnersaufen...
Wie? Teufel! schlägt die Stutzuhr dort schon Zwei?
Da, nimm mein Portemonnaie und – lass mich laufen!
[258]

17.

Mein Herz schlägt laut, mein Gewissen schreit.
Ein blutiger Frevel ist diese Zeit!
Am hölzernen Kreuz verröchelt der Gott,
Kindern und Thoren ein seichter Spott;
Verlöscht ist am Himmel das letzte Roth,
Ueber die Welt hin schreitet der Tod,
Und trunken durch die Gewitternacht klingt
Das sündige Lied, das die Nachtigall singt!
Die Menschheit weint um ihr Paradies,
Draus sie ihr eigener Dämon verstiess,
Und heimlich zischt ihr die rothe Wuth
Ihre Parole zu: Gold und Blut!
Gold und Blut, Blut und Gold!
Hei wie das klappert, hei wie das rollt!
Und wüst dazwischen kräht der Hahn:
Volksohnmacht und Cäsarenwahn!
[259]
Und immer dunkler wird die Nacht,
Die Liebe schläft ein und der Hass erwacht
Und immer üppiger dehnt sich die Lust
Und immer angstvoller schwillt die Brust;
Kein Stern, der blau durch die Wolken bricht,
Kein Lied, das süss von Erlösung spricht –
Mein Herz schlägt laut, mein Gewissen schreit:
Ein blutiger Frevel ist diese Zeit!
[260]

18.

Vom Thurm her klangen die Osterglocken
Ueber des Kirchhofs trauernde Gruft,
Und gleich verwehten Blütenflocken.
Verschwamm ihr Klang in der Morgenluft.
Mich aber riefen sie in die Weite
Und liessen mich nicht im dumpfen Haus,
Und unter der Osterlieder Geleite
Zog ich die Strassen zum Thore hinaus.
Weit hinter mir im Morgendämmer
Sich das Gemäuer der Stadt verlor,
Und selbst das Pochen der Eisenhämmer
Traf nur gedämpft noch an mein Ohr.
Doch dehnte sich immer weiter und weiter
Vor meinen Blicken der sonnige Gau,
Und jauchzend auf tönender Himmelsleiter
Schwang sich die Lerche ins Aetherblau.
[261]
Da stand ich denn nun am Waldesrande
Mit meinen Gedanken so ganz allein
Und sah tief unter mir die Lande
Liegen im flimmernden Sonnenschein.
Und als dann, den letzten Zweifel zu rauben,
Ein Schäfer noch blies auf seiner Schalmei,
Da wollte ich es selbst nicht glauben,
Dass Tod die Lösung des Räthsels sei
Da schien mir alles verweht und vergangen,
Was ich betrauerte winterlang;
Und alle Saiten des Herzens klangen
Zusammen im Auferstehungsgesang.
O, solche Seelenklänge dringen
Weit höher noch in die Himmel empor,
Als je auf seinen Flatterschwingen
Ein Vogel sich in der Luft verlor!
Ja, Fest der Ostern, nun warst du gezogen
Auch endlich in diese verödete Brust;
Und dies Herz, das so oft schon das Leben betrogen,
Erzitterte wieder von süsser Lust
Und schlägt nun der hohen Feier entgegen,
Die über die Erde zu giessen verheisst
Den herrlichsten aller himmlischen Segen,
Den welterlösenden, heiligen Geist.
[262]
Der heilige Geist ist die ewige Liebe,
Die Gott in die Herzen der Menschen gesenkt,
Und die mit jedem Ostertriebe
Von neuem sich zum Lichte drängt.
Sie schwebt herab vom Himmelssaale
Zu Jedem, der an sie noch glaubt–
O neige, neige die goldene Schaale
Auch hier auf dieses Beterhaupt!
[263]

19.

Nun muss sich wieder alles wenden,
Ich fühl's an meines Herzens Schlag,
Und schöner wird's an allen Enden
Und lieblicher mit jedem Tag.
Die Liebe schnürt ihr rothes Mieder,
Der Armut schmeckt ihr trocknes Brod
Und süss klingt's nächtlich aus dem Flieder:
Im Frühling lächelt selbst der Tod!
[264]

20.

Noch stellt der Wald sich taub und todt,
Noch blühen die Primeln nicht,
Doch schlägt mein Herz schon so roth, so roth,
Und meine Seele jauchzt: Licht!
Ja Licht, ja Licht, bis das Eis zerstiebt
Und die Welt in Blüthen versinkt
Und mein rothrothes Herzblut verliebt, verliebt
Die Sonne, die Sonne trinkt!
[265]

21.

Endlich durchfährt nun mit Sang und Klang
Der Frühling wieder die harrende Welt;
Und wo er sich zeigt, da singt es,
Und wo er nur wandert, da klingt es
Jauchzend zum Himmelszelt.
Und wen nur der Frühling zum Feste sich lud,
Der mag nun nimmermehr traurig sein;
Doch mich hat er nicht geladen,
Ich kann ja die Seele nicht baden
In dem goldigen Sonnenschein!
Ich kann ja nicht steigen zu schwindelnden Höhn,
Wo das Adlerweib brütet im luftigen Horst!
Ich kann ja nicht liegen und lauschen,
Wie die Wälder so einsam rauschen
Und die Amseln pfeifen im Forst!
[266]
Vor dem schwärzlichen, städtischen Bogenthor,
Da schauert der lustige Frühling zurück –
Ach, zwischen den Giebeln und Mauern
Muss ich nun einsam vertrauern
Meinen Jugendtraum und mein Glück!
O du Stadt und du kleinliches Krämervolk,
Wie bin ich doch euer so übersatt!
Tagtäglich dieselbe Reise,
Tagtäglich dasselbe Gleise,
Tagtäglich dasselbe Rad!
Und dazu noch dies Weh, o dies innerste Weh,
Das die Brust mir zerreisst und die Sinne zerwühlt!
O sende nur einen Tropfen
Auf dieses Herz und sein Klopfen,
Der die lechzende Seele mir kühlt!– –
Wo das Meer erbraust dumpfdonnernden Schlags
Und die weisslichen Möven flattern und schrein
Und die dunkelnden Meereswellen
Sich bäumen und fluthend schwellen
Zum Leuchtthurm am Klippenstein:
Da möcht ich wohl stehn, ha du wilde Lust!
Wenn die rasenden Fittige schüttelt der Sturm,
Wenn die schnellenden Wogen rollen
Und die gellenden Donner grollen
Und das Feuer verlischt auf dem Thurm!
[267]
Und macht dann des Sturmwinds Orgelmusik
Dich, du wildaufschlagendes Herz, nicht gesund:
Dann kommt, o ihr Wogen, ihr kühlen,
Von dem Fels mich hinunter zu spülen
In den gähnenden Meeresschlund!
[268]

22.

Nun stimmt sie wieder mir den Psalter
Die liedervolle Maienzeit
Und gaukelnd schwebt um mich der Falter,
Das Sinnbild der Unsterblichkeit.
Drum lebt mir wohl, ihr Pergamente
Der winterlichen Hirntortur,
Mich lockt ins Reich der Elemente
Die neuerstandne Lenznatur.
Umspielt von silberbleichem Lichte,
Ein Grabfeld nach verlorner Schlacht,
Ein Todtentanz ist die Geschichte,
Ein Todtentanz um Mitternacht.
Es bleibt der Ruhm, wie er auch glänze,
Ein Blendwerk nur, ein eitler Schein;
Mehr gilt als tausend welke Kränze
Mir dieses Lebens goldnes Sein!
[269]

23.

Schenk ein, liebe Sonne, dein Licht, dein Licht,
Ich will es trinken wie Wein,
Und wenn mich mein Herz dann zu packen kriegt,
Dann werden wir beide betrunken sein!
Dann dreht die Welt sich rund um uns rum
Und die Nachtigall singt wie ein Buch:
Wie ist doch der Hansel so dumm, so dumm,
Und die Grethel so klug, so klug!
[270]

24.

Willst du denn immer noch nicht ruhn?
Hast du noch immer so viel zu thun?
Häng deine Harfe, mein Herz, an die Weiden,
Lerne dich endlich doch, endlich bescheiden!
Immer noch fühl ich dich flammen und glühn,
Wenn dich im Frühling die Rosen umblühn;
Immer noch sehnst du dich, süss wie vor Jahren,
Wild nach dem Glück mit den goldenen Haaren,
Schmeichelst es Liebling und Lorelei,
Ach, und noch immer fliegt es vorbei!
Lass doch dein Schlagen, lass doch, mein Herz,
Sieh, diese Welt ist ein grausamer Scherz,
Ueberall gähnt es dich an: Verzichte!
Immer und immer die alte Geschichte!
[271]

25.

Still, still, Kind, still! es war ein Traum.
Die Wellen grün und weiss der Schaum.
Er rollt durch den Sonnenschein, blitzt und zerstiebt –
Es war ein Traum, dass es Rosen giebt!
Es war ein Traum, dass ein deutscher Wald
Hoch über dir grün seine Wipfel geballt,
Und dass dort, von Menschen wie du gesehn,
Berge, Thäler und Städte stehn!
Schon seit Wochen sahst du kein Streifchen Land,
Hinter dir liegt, was du Welt genannt.
Nun giebt's kein Leid mehr und keine Lust,
Nun schlägt kein Herz mehr in deiner Brust!
Das Segel blitzt, die Welle schäumt,
Es war ein Traum, wie ein Kind ihn träumt;
Der Schornstein raucht, die Möwe flieht,
Nichts, nichts, so weit dein Auge sieht,
Nur:
Himmel und Wasser!
[272]

26.

Gründunkel wehn die Pinien,
Von Fern her blaut die See –
Schau nicht so ernst in die schöne Welt,
Wie die Griechin Antigone!
Dein Goldhaar flackert wie Feuer,
Micht packt ein wild Gelüst:
Denk lieber, du seist Cleopatra,
Die ihren Cäsar küsst!
Befiel, und der Erdball zerblättert,
So wahr ich sein Herrscher bin,
Und zitternd vor deine
Füsse kniet Die ewige Roma hin!
Die Völker bauen dir Tempel
Von Susa bis Carchedoon –
Du aber, als Aphrodite, setzt
Dich, lächelnd, auf meinen Thron!
[273]

27.

Wozu dies Fältchen heut, mein Süsschen,
Dies Fältchen unter deinem Hut?
Meinst du, das Scharren mit den Füsschen
Thut deinen Stiefelsöhlchen gut?
Dein rothes Sonnenschirmchen zittert,
Dein Händchen fiebert brennend heiss,
Gesteh's nur ein, du bist erbittert
Und denkst, sein Herz ist kalt wie Eis.
O nein! Sein Herz hat tausend Fühler
Und schlägt genau so warm wie deins;
Nur denkt sein Kopf ein wenig kühler
Und kennt genau das Einmaleins.
Ich wollte wohl, dass ich es wüsste,
Wie rosenroth dein kleiner Zeh,
Wie milchweiss deine kleinen Brüste
Und wie diskret dein Negligee.
[274]
Nach Indien würd ich mit dir fliehen,
In Heinrich Heine'schem Geschmack,
Und wenn du willst, auch vor dir knieen,
Ein neuer Don Quixote im Frack.
Doch dir Bonbons und Ringe kaufen?
Den Casus, Kind, nehm ich dir krumm.
Das Beste, wär's, du lässt mich laufen
Und siehst dich – anderweitig um!
[275]

28.

Mille de Fleurs und Bonbonnièren,
Atlasschleifen und Bouquets,
Jeden Tag drei Dutzend Briefe,
Ungerechnet die Billets,
Jeden Tag ein goldnes Armband,
Ein gesticktes Etui –
Für die »Wunden« unsrer »Herzen«
Die vorzüglichste Charpie!
Kind, sag selbst: wozu dies Alles,
Dies Geliebel per Distance?
Heut, im neunzehnten Jahrhundert,
Ist das längst nicht mehr Usance!
Heut, im neunzehnten Jahrhundert,
Kratzt der Mensch sich, wenn's ihn juckt;
Werther's Leiden sind pläsirlich,
Aber nur, wenn sie gedruckt.
[276]
Deine Schwüre pack in Watte
Und verschliess sie in Dein Spind,
Sie verwehn sonst wie die Fäden,
Die der Sommerabend spinnt!
Deine Thränen aber, Goldkind,
Lass getrost dem Krokodil
Und vor allen Dingen, bitte,
Deine Mutter aus dem Spiel!
Täglich fährt sie ihre Nerven
Bleich spazieren durch den Park,
Und der Hut an ihrem Schleier
Kostet sicher sechzig Mark.
Doch die Liebe schlägt sich barfuss,
Wie ein Bettler, durch die Welt,
Und ich fürchte, dieser Dame
Ist sie noch nicht vorgestellt!
Deine Mutter, Kindchen, kennt nur
Ein Idol: die Prüderei,
Und noch mehr als Dich verzieht sie
Ihren grünen Papagei.
Deine Mutter, Kindchen, hat mich
Sozusagen auf dem Strich,
Nochmal ihr die Hand zu küssen,
Dafür, Herz, bedank ich mich! ...
[277]
»Reiss« auch nicht, um's mir zu »schenken«,
Dir das »Herz« aus Deiner »Brust«,
Küsse will ich, nichts als Küsse,
Roth wie Rosen im August!
Küsse will ich, nichts als Küsse,
Alles and're gilt mir gleich –
Morgen Abend, Punkt halb Sieben,
Treff ich Dich am Goldfischteich!«
[278]

29.

Nein, nein! Im Ernst, mein Herz! Dein Marquis Posa
Hat bitter unrecht. Dieses Leben ist
Durchaus nicht schön.
Denn Stunden schickt es dir auf deinen Hals,
In denen du dich wüthend drüber ärgerst,
Dass Con-Fu-Tse, der Bhudda der Chinesen,
Kein Droschkenkutscherssohn aus Zwickau war.
Auch will es dir durchaus nicht in den Kopf,
Dass die Pastoren weisse Bäffchen tragen.
Warum nicht pfeffer- oder ferkelfarbne?
Pflanz dir dies Eine zolltief in den Schädel
Und lass ihm Zeit, zu wachsen, und ich wette,
Dein ganzer Kerl platzt prasselnd wie ein Frosch,
Den man zum Schluss auf einem Jahrmarkt abbrennt,
In fünfmalhunderttausend kleine Stücke.
Dann bist du futsch, und deinem Publikum,
Das sein Entree nur ungern gratis zahlt,
Bleibt nichts als eine Nase voll Gestank.
[279]
Zuletzt verpufft auch der, die Bande brüllt,
Schimpft, pfeift, krakehlt und prügelt sich
Und johlt dann schliesslich knüppeldick besoffen
Durch Vollmondschein und Fliederduft nach Hause.
Dort liegt das dann wie ein gestochnes Kalb
Idyllisch da in seinem Himmelbett
Und schnarcht gemüthlich sich die Sterne runter.
Nein, nein! Es ist nur Eins: entsetzlich albern.
Nichts weiter.
[280]

30.

Wohl jauchz ich, wenn der Tag sein Werk bestellt,
Und helf ihm mit, die alte Zeit zerhämmern,
Doch soll noch manchmal mich umdämmern
Die alte, goldne Heidenwelt!
Denn stets beleidigt meine Phantasie
Ein Marmorchristus mit verrenkten Knochen,
Doch oft hat mir ins Herz gesprochen
Ein Jupiter Otricoli!
O schöne Zeit, als am Hymettoshang
Ein heilig Volk sein heilig Feuer schürte,
Als Phidias seinen Meissel führte
Und Pindar seine Hymnen sang!
Ihr Wallfahrtsweltort hiess Olympia
Und nicht von Holz war'n ihre Rosenkränze,
Wenn sie die priesterlichen Tänze
Sich seelenvoll verschlingen sah!
[281]
Die Erde, nicht der Himmel, war ihr Traum,
Erst später lernte sie das dumme Knieen;
Sie spann nicht graue Theorieen,
Ihr Leben war ein grüner Baum.
Doch das ist lange, o schon lange her,
Die Opferschalen fielen und zerklirrten,
Und heut tönt nur das Lied der Hirten
Noch nächtlich übers Mittelmeer.
Das Volk des Perikles gab sich den Rest,
Doch wächst und blüht der Stammbaum des Eumäus –
Heut ist die Weltstadt am Pyräus
Ein elendes Barackennest!
Zwar ist der Himmel noch wie ehmals blau,
Der Urwald harft noch und das Weltmeer psaltert,
Doch ach, die Menschheit hat gealtert
Und pinselt nur noch grau in grau!
Der Schönheit goldner Springquell ist versiegt,
Fürwahr, wir leben in der Zeit des Spottes,
Da selbst die heilge Mutter Gottes
Auf Pflaumenbäume kriecht!
Drum zupft den Dichter nicht an seinem Kranz
Und titulirt ihn nicht gleich einen Narren,
Denkt er umqualmt mal von Cigarren
Der Götterwelt Altgriechenlands.
[282]

31.

Wie lang ist's her? Erst sieben Jahre!
Und doch klingt's schon: Es war einmal!
Der Wiege näher als der Bahre,
Stieg ich tagtäglich ins Pennal.
Ich war ein träumerischer Junge,
Las Cicero und Wilhelm Hauff
Und trug das Herz auf meiner Zunge
Und spiesste Schmetterlinge auf.
Auch lief ich, Katzengold zu suchen,
Oft Tage lang im Wald umher
Und schwärmte unter hohen Buchen
Von einstger Nimmerwiederkehr.
Betäubend dufteten die Kressen,
Grüngolden floss das Licht herein;
Es war ein seliges Vergessen,
Vergessen und Vergessensein!
[283]
Der Lenzwind liess die Aeste knarren,
Vom Dorf herüber klang die Uhr,
Ich lag begraben unter Farren
Und stammelte: Natur! Natur!
In alten Büchern steht geschrieben,
Du bist ein Weib, ein schönes Weib;
Ich bin ein Mensch und muss dich lieben,
Denn diese Erde ist dein Leib!
Weh, jenem bleichen Nazarener!
Er stiess dich kalt von deinem Thron!
Ich aber bin so gut wie jener
Der Gottheit eingeborner Sohn!
Ich will nicht mönchisch dich zergeisseln –
Her, deinen Freudenthränenwein!
Ich will dein Bild in Feuer meisseln
Und Vollmensch wie ein Grieche sein!
Doch du, um die in ewgem Schwunge
Die Welt sich dreht, o Poesie,
O, lege Gold auf meine Zunge
Und in mein Herz giess Melodie!
In ewge Lieder lass mich weben,
Was du so süss in mir erhellt,
Und wie so köstlich doch das Leben
Und wie so wunderschön die Welt!
[284]
Noch gährt's von Blinden und von Tauben
Und mehr als ein Herz ward zum Sfein,
Ich aber lehre sie wieder glauben,
Ich will der neue Johannes sein!
In deine Wunder will ich wiegen
Die Sehnsucht ihres kranken Seins,
In deine Arme will ich sie schmiegen,
Denn ich, du, sie ... o, wir alle sind Eins!
So lag ich träumend einst im Walde,
Wenn tiefblau rings der Himmel hing,
Bis draussen hinter grüner Halde
Die Sonne blutroth unterging.
Dann schritt ich heimwärts, und mit Singen
Begrüsst ich meines Vaters Haus
Und schaute, wenn die Sterne gingen,
Noch lange in die Nacht hinaus.
Und jetzt? – Die heimatlichen Thäler,
Die seine Jugend grün umrauscht,
Hat längst der lyrische Pennäler
Für eine Weltstadt eingetauscht.
Er sieht mit Schauder, wie das Laster
Sich dort juwelenfunkelnd bläht,
Das Elend aber tritt das Pflaster
Von Morgens früh bis Abends spät!
[285]
Er hört, wie nachts in den Fabriken
Der Proletar nach Freiheit schreit,
Indess ein Volk von Domestiken
Dem nackten Recht ins Antlitz speit!
Er fühlt, wie wilde, wilde Flammen
Ihm heiss und roth das Hirn durchlohn,
Und beisst die Zähne fest zusammen
Und murmelt: Hohn, Hohn, dreimal Hohn!
Er sieht, er hört, er fühlt den Jammer
Und wandelt tags von Haus zu Haus
Und grollt dann nachts in seiner Kammer
Sein Herz in wilde Lieder aus.
Er hat es längst, schon längst vergessen,
Wie wohl im Lenz die Sonne thut,
Und wie's im Wald, umblüht von Kressen,
Sich einst so schön, so schön geruht!
Nur manchmal, manchmal noch durchziehen
Sein Herz, das nach Erlösung schreit,
Die grünen Waldhornmelodieen
Der längst verrauschten Kinderzeit.
Dann stöhnt er auf, und seine Hände
Presst er verzweifelt vors Gesicht
Und rings die weissgetünchten Wände
Erzittern, wenn er schluchzend spricht:
[286]
O Poesie, du Heiligschöne,
Von Thränen ist mein Herz durchnässt,
Weil du den treusten deiner Söhne
In Nacht und Noth verkümmern lässt.
Ich war ein Kind und sprach: O, schütte
Dein Füllhorn golden in mein Lied
Und lass mich knien in einer Hütte,
Auf die der Stern der Liebe sieht.
Ja, lass auf einem weissen Zelter
Mich fliegen in den Sonnenschein,
Lass aus des Lebens Freudenkelter
Mein Herzblut sprühn als Liederwein!
Du schwebtest segnend durch die Lüfte,
Ich hab dir selig nachgeblickt,
Und Lenzgoldlicht und Blüthendüfte
Hast du mir lächelnd zugenickt.
Und doch, und doch! Du hast gelogen!
Dein Lächeln war ein schönes Gift!
Du hast mich um mich selbst betrogen!
Dein Herz ist schwarz wie deine Schrift!
Du gabst mir einen wilden Rappen,
Umschnürtest meine Brust mit Erz
Und unter Thränen in mein Wappen
Hast du gestickt ein blutend Herz!
[287]

32.

Nacht.
Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht,
Von seinen Blättern funkelt der Thau ins Gras
Und mein Herz
Schlägt.
Nacht, Nacht, Nacht.
Ein Hund bellt – – ein Zweig knickt – – still!
Still!!
Still!!!
. . . . . . .
Du?
Du??
Ah, deine Hand! Wie kalt, wie kalt!
Und – deine Augen: gebrochen! – –
Gebrochen!!
. . . . . . .
Nein! Nein!! Du darfst es nicht sehn,
Dass die Lippen mir zucken,
Und auch die Thräne nicht,
Die ich kindisch um dich vergiesse – –
[288]
Du armes Weib!
Also nachts?
Nachts nur noch wagst du dich,
Schüchtern, aus deinem Sarg?
Aus deinem Sarg?
Um dich auf Zehen zu mir zu schleichen?
Armes Weib!
Todt, todt, todt ...
Verblüht die Kränze,
Die du gewunden,
Verweht die Lieder,
Die du gesungen,
Und in deinen Haaren,
Die so golden geflattert,
Klebt nun die
Erde!
Todt, todt, todt ...
Und deine Flügel, deine armen Flügel!
Unbarmherzig heruntergeschnitten
Von den schimmernden Schultern – ah, weine nicht!
Weine nicht!
Hier! Hier!! Zu mir sollst du dich setzen,
Nächtlich, allnächtlich,
[289]
Bis der Morgen graut,
Bis die Sonne scheint,
Und die Welt,
Die kluge Welt,
Wieder plump über dein Grab rollt – –
Horch!
Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht,
Der Thau tropft
Und mein Herz
Schlägt!
Nacht, Nacht, Nacht ...
[290]

33.

In himmelblauer Ferne,
Da liegt und lacht ein Paradies,
Da singen die Sirenen,
Da trocknen alle Thränen,
Da wohnt das Glück.
In himmelblauer Ferne ....

[291][293]

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