Auf eine übersendete nelcke

C.H.v.H.


Du sendest mir das blut von deinem mund und wangen/
Und eine nelcke muß dein theurer bote seyn:
Ich schaue zwar das blut auf weissen feldern prangen;
Doch stellt die wärmde sich hier nicht als nachbar ein.
Die negel ehr ich zwar mit mehr als tausend küssen/
Ich bin dazu verpflicht/ sie kommt auß deiner hand;
Doch wil nichts feuchtes mir auf mund und lippen flüssen:
Was geist und wärmde heist/ ist ihr gantz unbekandt.
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Sie weiß mit honigthau mir nicht den mund zu netzen/
Sie kennt das schmätzeln nicht und diß was züngeln heist/
Sie weiß den purpur nicht auf meinen mund zu setzen/
Ich fühle nicht was mich auf meine lippen beist.
Sie weiß mir meinen mund nicht schlüpfrig aufzuschliessen/
Die feuchte kützelung kennt diese nelcke nicht.
Durch warmes böben kan sie keinen kuß versüssen/
Weil nässe/ geist und blut der nelcke stets gebricht.
Doch kömmt die nelcke mir nicht leichtlich aus dem munde/
Ich aber netze sie durch einen heissen kuß.
Ach freundin! Wünsche mir doch zeitlich diese stunde/
Da mich entzücken kan dein reicher überfluß.
Es reist mich aus mir selbst ein süsses angedencken/
Was mir vor höflichkeit dein kuß hat angethan.
Du wirst mir einen kuß bey dieser nelcke schencken/
Und zeigen/ daß dein mund mehr als die blume kan.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von. Auf eine übersendete nelcke. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6CF7-0