Magnalia Dei

1764, Januar.


Ich singe Gott! Jehovens Rath und That!
Euch Himmeln, Erde, Dir erzähl' ich Gottes Ehre.
Singt, Sphären! singt mir vor! Du hörtest, höchste Sphäre,
Doch nur von fern des Ew'gen Rath!
Und singst. – Und, Erde, steh! und ruh – und höre,
Was Gott für Dich beschloß und that! –
Er singt – sie schweigt – noch brausen Höllenmeere,
Verstummt vor Gott. – Erzittre, Höll', und bebend höre,
Was wider Dich Jehovah sprach und that!
Es wird still! – Ich singe! – Ich?
Bin ich Engel, der von Gottes Rath
Den tiefsten Widerhall nur rauschen hörte – Ich?
Halb Nichts, halb Staubkorn – ja, ich singe – und ganz Erde?
Mit Feuer aus der Höhe taufe mich!
Dein Geschöpf, Dein Kind,
Ja Erde ganz! – doch Dein Geschöpf, Dein Christ, Dein Kind,
O Schöpfer, Vater, Mittler, mich! – Dann werde
Ich hoch zu Dir entzückt und singe Dich!
Gott war! Fleuch, mein Gesang, empor! –
Gott war! um ihn nur Endliches, Nichts! –
Allgegenwärtig Nichts! wer kann es malen!
Wer blickt in diesen Tod des Lichts?
Wer herrscht? Gott herrscht auch übers All des Nichts. –
Er spricht! – sein Schöpfershauch bebt durch die Wüsten
Des Undings – ruft das Sein hervor!
Des Chaos Nacht blinzt schon von seinen Strahlen –
[416]
Sie blinzt und sieht zum Licht! –
Noch schafft sein Licht! – doch einst! – Jehovah spricht –
Sie blinzt – es zittern ihre feinsten Strahlen –
Und sterben! Sie ist Nacht – Gott ruft das Sein ins Nichts!
Und Gottes Allmachtshauch bebt durch die ew'gen Wüsten
Des neugeschaffnen Nichts!
Du schufst's – o Gott! – Du, Dir selbst ewig g'nug!
Warum schufst Du? – Mensch, neige Dich zur Erde!
Gott spricht: »Es sei der Mensch, er werde
Ein Bild, uns gleich!«
Für mich, ein denkend Nichts, schufst Du des Segens Reich?
Der Schöpfung Plan, wer kann ihn übersehn? O nein!
Ein Punkt des Ganzen! Aus dem Mittelpunkt
Sieht auch der Punkt sich selbst; das All zu übersehn,
Muß ich kein Theil des Alls – selbst Schöpfer sein!
Es sah und sieht Dein Gottesblick, wie Myriaden
Der Wesen, die nicht Zeit, nicht Maaß, nicht Kraft ausmißt,
Vom halben Nichts zu Dem, der voll vom Anschaun ist,
In Deinem Glanz sich, Lichtmeer, baden!
Durch Dich zu fühlen und Dir Dank, durch Dich gefühlt,
Von diesem empfindungshell Dir Dank aufblicken,
Jauchzen, daß Gott sei: das siehst Du.
Göttlich fühlest Du Dich als Quell
Des Daseins aller Myriaden –
Und Alles jauchzt, wenn Du Dich fühlst.
Der Seraph nennt Dich neu und fühlt Dich neu!
Der Christ wird Engel, und der Mensch ein Christ,
Der Engel Seraph, und weil Du, Gott, Vater bist,
Auch ich fühl', daß ich göttlich sei! –
Ich göttlich? Gottes Bild?
– – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – –
Noch dacht' ich nicht, schon fühlt' ich wider Gott;
Kaum lallte ich, da glüht' mein Auge schon
Von Rache wider ihn – der Geifer flog umher.
Da ich des Schöpfers Luft kaum saugen lernte,
Da nervenlos die Hand kaum greifen lernte,
Da thürmten Riesengedanken schon
Auf Sünde Sünde, Ossa auf den Pelion,
Und stürmten zu der Gottheit Thron.
Und Gott – blitzt? donnert er mich unter Berg' und Klüfte
Zur Hölle, die er neunmal tiefer gräbt? –
[417]
Die Feindeshand, da sie Dir widerstrebt',
Da hieltest Du sie, nahmst und legtest mich
Als Kind sanft nieder, sprachst: »Nun siehe Dich! –
Du Wurm im Blut! und ewig lieb' ich Dich,
Ja ewig, ewig!« Ueber allen Kreis der Zeit,
Hoch durch den Geiststrom aller Sonnenmeere
Schwing Dich, mein Geist, zur Ewigkeit!
Zum Richterthron, zum Friedensrath!
Hin über alle Zeit! – –
Gott sah mit hohem Blick durch der Aeonen Heere –
Ein großer Weltriß – tief zu unserm Erdball,
Wie er als Eden blüht, des Lebens Atmosphäre
Lichtströmend ihn umfleußt, wie aller Segen Heere
Sanft auf ihm ruhn, und Tugend blüht,
Und jeder Sonnenstrahl von Wonne glüht,
Und Götter auf ihm wohnen! –
Gott sah's und fühlt's und wollt's. Er ward, der Erdenball.
Doch wie so schnell verblüht? da Todesatmosphäre
Ihn pestig schwarz umfleußt, und Plagenheere
Vielklauicht auf ihm ruhn, und Bosheit blüht,
Und Satans auf ihm wohnen! –
Gott sah's, ward Richter – richtete und schwieg.
Sein Blick sprach Zorn, und sieben Donner lallten
Zurück. Da hoben alle Engelsthronen sich aus und sanken,
Alles sah und schwieg!
Da sprach der Sohn, des Richters Sohn: »Ich bin,
Wie Du Gott, Mensch wie sie!
Will Richter und Versöhner sein!« und schwieg.
Des Herren Wink sprach Ja! da lallten
Des Zornes Donner nach das Ja!
Da fühlten sich die Thronen
So endlich, als sie wurden, und sanken hin.

Notes
Entstanden 1764.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Magnalia Dei. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5D0D-E