[10] Ein Friedensort

Kennst du den hohen Garten,
Drin weiße Rosen blühn?
Wer pfleget wohl die Zarten?
Wer mag die Röslein ziehn?
Sie wenden all' nach oben
Das stille Antlitz hin:
Sie möchten lieber droben
Im reinern Lichte blühn.
Nach dem sich Alle sehnen,
Der ist auf Erden nicht;
Drum hängt oft Thau wie Thränen
An ihrem Angesicht.
Der Garten ist so stille,
Kein Nord bricht da hinein;
Drin, ist des Herren Wille,
Soll ew'ger Frühling sein.
[11]
Will Eine nun erbleichen,
Fällt matt vom Stengel ab,
Da thun sich alle neigen,
Sehn fromm zu ihr hinab.
Die reinen Düfte schweben
Hinauf zum ew'gen Tag;
Da thun sich all' erheben,
Sehn froh der Schwester nach. –
O, dürft' ich aus der Ferne
In seine Schatten fliehn!
Wie möcht' ich, ach! so gerne
Im stillen Garten blühn.

Berlin, 1814.


Notes
Entstanden 1814.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hensel, Luise. Ein Friedensort. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5376-A