Die sieben Werbelieder

1.

Ihr Blümlein all' im Tale,
Ja blüht nun mir zur Lust,
Ich möcht' euch pflücken alle
Für ihre weiße Brust.
Ihr Blümlein hier wie ferne,
Wie traurig müßt ihr blühn,
Ich trüg' euch alle gerne
Zu ihren Füßen hin.
Du Sonn' am Himmel oben,
Du scheinst so hell ins Tal,
Du Mond bist hoch zu loben,
Ihr Sternlein allzumal.
Ich wollt', ich könnt' euch ziehen
Zur Erd' herab, zu mir.
Ihr solltet alle blühen
Vor ihrer Hüttentür.
Ich pflanzt' um ihre Hütte
Viel bunte Blumen hin,
So wohnt die Liebe mitten
In meiner Liebe drin.
Mit Blumen streu' ich immer
Den Weg aus ihrem Haus,
Sie geht im Morgenschimmer
So lieblich dort heraus.
Ihr Blumen all im Tale,
Ihr Blumen, meine Lust,
Ich will euch pflücken alle
Für ihre weiße Brust.

[149] 2. Gärtner an Waldvögelein

Du Vöglein, sei gegrüßet mir
In meinen Blumenkronen!
Du Vöglein bunt, ist dir wie mir
So wohl in Blumen wohnen?
Dann wirst aus meinem Garten hier
Wohl nimmer wieder gehen,
Du Vöglein traut, ist dir wie mir
So übel schon geschehen?
Hast sollen von Wald und Blumen fern
Im goldnen Käfig leben?
Wollten dir stolze Damen und Herrn
Zucker für Freiheit geben?
Hast du die Leutlein ausgelacht
Mit ihren goldnen Spangen?
Hast dich heimlich davongemacht,
Läßt dich nicht wieder fangen?
Hast du die schönste Rose gesehn
Dort drüben bei der Linden?
Du kannst durch alle Wälder spähn,
Wirst keine schön're finden.
Drum mach dir nur ein Nestchen fein
In meinen Blumenkronen,
Wir wollen wie die Engelein
In schönen Blumen wohnen.
In Blumen singen den ganzen Tag,
In Blumen die Äuglein schließen.
Fliegst aber über den Mühlenbach,
Sollst du die Rose dort grüßen.

3. Nachtlied

Bist du schlafen gangen,
Hast genug gewacht?
Hält dich Traum umfangen?
Liebe, gute Nacht!
[150]
Hält der Traum umfangen
Dämmernd, still und sacht,
Deine Rosenwangen?
Süße, gute Nacht!
Lächeln deine Wangen
Mit der Rosen Pracht?
Wie die Sternlein prangen!
Holde, gute Nacht!
Wenn der Sternlein Prangen
Mir durch Tränen lacht,
Weicht von mir das Bangen.
Schwester, gute Nacht!
Weicht von mir das Bangen,
Hab ich ausgeklagt.
Bist du schlafen gangen?
Liebe, gute Nacht!

4.

Wie mir im Auge
Die Tränen stehn!
Wie ist mir heute
So weh geschehn.
Vor ihrem Fenster
Die Blumen mein
Hat all zerschlagen
Ein großer Stein.
Ich sah ihn kommen
Den Berg hinab
Und knicken schnelle
Die Blumen ab.
Nun liegt er mitten
Im Gärtchen dort,
Sieht aus, als wollt' er
Nicht wieder fort.
[151]
Ich muß nun wieder
Hin pflanzen gehn.
Wie mir im Auge
Die Tränen stehn.
Was schlugst du nieder
Die Freude mein,
Die zarten Blumen,
Du grober Stein!

5. Der Stein im Garten der Müllerin

Guten Morgen, ihr Leute! ich grüß' euch schön,
Ihr habt wohl lange keinen Stein gesehen?
Sie machen große Augen und wundern sich sehr,
Als wollten sie fragen, was will denn der?
In Blumen will ich liegen, die Müllerin will ich sehn.
Wenn ihr euch genug verwundert, könnt' ihr nach Hause gehn.

6. Am Bach

Ich sitz' in meinen Blumen,
Seh' still der Welle nach,
Sie rinnt, sie rauscht so schnelle,
Nimmt hin mein leises Ach.
Du Welle, liebe Welle
In Liebchens Mühlenbach!
Ich sitz in meinen Blumen,
Seh nach dem Häuschen hin;
Dort pflanzt' ich Blumen viele,
Da wohnt mein Lieb ja drin.
Wohl schau ich nach der Mühle,
Wohl schau ich immer hin.
Und meine schönsten Blumen,
Die trag' ich zu ihr hin,
Daß sie mit Duft und Schimmer
Die Holde stets umblühn.
Ich will mit Blumen immer
Ihr liebes Haus umziehn.
[152]
Ich möchte ganz sie bergen
In Blumen, süß und schön!
Warum, ihr lieben Blumen,
Will ich euch leis' gestehn:
Daß alle Junker und Jäger
Und Müller sie nicht sehn.

7. Mairausch

Maiengrün! Maiengrün!
Ringsum bunte Blümlein blühn,
Und die muntern Vöglein singen,
Und im Wasser Fischlein springen.
Maiengrün! süßes Grün!
Hirt und Schäflein fröhlich ziehn.
Grüne Welt! grüne Welt!
Herrlich blaues Himmelszelt!
Und die weißen Blütenbäume
Und die Knospen all' und Keime,
O, wie lustig Wald und Feld.
Grüne Welt! Sommerzelt!
Maienau! Maienau!
Morgenrot und Abendtau!
Und der Bächlein leises Rinnen
Und die Lotosblätter drinnen
Und ringsum die Blümlein blau.
Maienau! grüne Au!
Maienpracht! Maienpracht!
Alles rauscht und blüht und lacht.
Böser Schnee ist hingeschwunden,
Wird kein Spürlein mehr gefunden,
Wird an Eis nicht mehr gedacht.
Maienpracht! grüne Pracht!
Sonnenschein! Sonnenschein!
Möcht' ein Liebchen heißen mein.
Wollt' ihm alle Blumen pflücken,
Wollt's mit grünen Kränzen schmücken.
Scheint mir recht ins Herz hinein
Sonnenschein! Liebesschein!
[153]
Maiengrün! süßes Grün!
Will in grüne Wälder ziehn,
Will durch lichte Fluren springen
Und mit tausend Zungen singen,
Bis ich alles wachgeschrien:
Maiengrün! Maiengrün!

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hensel, Luise. Die sieben Werbelieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-52B8-D