[72] II.
Endymion.

An Spröden, die mir Hohn gesprochen,

Hat immer mich ihr eignes Herz gerochen.

(V. 226.)


[73][75]

Endymion.

In jener dichterischen Zeit,
Mit deren Wundern uns der Amme Freundlichkeit
Durch manches Mährchen einst in süßen Schlummer wiegte;
Als sorgenfreye Müssigkeit
Sich ohne Pflichten, ohne Streit,
Mit dem, was die Natur freywillig gab, begnügte,
Kein Mädchen spann, kein Jüngling pflügte,
Und Manches thunlich war, was Basedow verbeut;
Eh' noch der Stände Unterscheid
Aus Brüdern Nebenbuhler machte,
Und gleißnerische Heiligkeit
Das höchste Gut der Sterblichkeit,
Die Lust, um ihre Unschuld brachte;
Und kurz, in jener goldnen Zeit,
Da die Natur, von keinem Joch entweiht,
Gesetze gab, wodurch sie glücklich machte,
Die Welt noch kindisch war, und Alles scherzt' und lachte:
In dieser Zeit lebt' einst auf Latmos Höh'n
Ein junger Hirt, wie Ganymedes schön,
Schön wie Narciß, doch nicht so spröde,
Wie Ganymed, allein nicht halb so blöde.
[75]
So bald man weiß, Endymion
War schön, so denkt ein jeder schon,
Daß ihn die Mädchen gerne sahen;
Zum mindsten liefen sie nie, wenn er kam, davon;
Das läßt sich ohne Scheu bejahen.
Die Chronik sagt noch mehr, als ich
Den Musen selbst geglaubet hätte;
Sie buhlten, spricht sie, in die Wette
Um seine Gunst; sie stellten sich
Ihm wo er gieng in Steg' und Wege;
Oft warfen sie ihm Bluhmen zu,
Und floh'n dann hinter ein Gehäge;
Belauschten seine Mittags-Ruh
Und guckten, ob er sich nicht rege.
Man meynt, daß er im Bad so gar
Nicht immer ohne Zeugen war,
Doch läßt sich das gewiß nicht sagen.
Genug, kaum fieng es an zu tagen,
So wurde schon von mancher schönen Hand
Der Bluhmen-Flur ihr schönster Schmuck entwandt;
So putzt sich schon, dem Schäfer zu gefallen,
Im Hain, am Bach, der Nymphen ganze Schaar,
Die badet sich, die sticht ihr blondes Haar,
Die läßt es frey um weiße Schultern wallen.
Herabgebückt auf flüssige Crystallen
Belächelt sich die schöne Damalis;
[76]
Wie Vieles macht sie ihres Siegs gewiß!
Ein Mund, der Küssen winkt, ein Lilien-Nacken,
Der Augen feuchter Glanz, die Grübchen in den Backen,
Ein runder Arm, und o! der Thron der Lust,
Die blendende, die anmuthsvolle Brust!
Sie sieht noch mehr, nichts zeigt sich ihren Blicken,
Das nicht verdient selbst Götter zu berücken:
Sie siehts und denkt, ob Leda ihrem Schwan
Mehr Reizungen gewiesen haben kann?
Und zittert doch und wünscht: o! fände mich
Endymion nur halb so schön als ich!
Die Schönheit wird mit Wunder angeblickt,
Doch nur Gefälligkeit entzückt.
War Juno nicht, war nicht Minerva schön,
Als Zevs den Paris ausersehn,
Den Streit der Schönheit zu entscheiden?
Man weiß, sie ließen sich, um bösen Schein zu meiden,
Dem Richter ohne Röcke sehn.
Lang ließ der Hirt von einem Reiz zum andern
Die ungewissen Blicke wandern,
Und zehnmal rief ein neuer Blick
Den schon gefaßten Schluß zurück:
Untadelich ist alles, was sie zeigen.
Beysammen, sind sie gleich – allein,
Scheint Jede reizender zu seyn,
Was wird zuletzt des Schäfers Urtheil neigen?
[77]
Der Juno Majestät? der Pallas Würde? – Nein!
Die flößen nichts als Ehrfurcht ein,
Ein stärkrer Reiz wird hier den Ausschlag geben müssen:
Sie, die so zaubrisch lächeln kann,
Cythere lacht ihn an – er fällt zu ihren Füßen,
Und beut, sie eine Nacht nach Herzenslust zu küssen,
Der Lächelnden den goldnen Apfel an.
Die Freundlichkeit raubt unserm Schäfer oft
Die Gunst, worauf die stolze Schönheit hofft.
Die blasse Schaar der halbverwelkten Wangen
Erwerben sich durch zärtliches Bemühn,
Durch Blicke, die an seinen Blicken hangen,
Und süßen Scherz, manch kleines Recht an ihn.
Wie eifern sie, ihm liebzukosen!
Die schmückt sein Lamm, die kränzt ihm Huth und Stab;
Der Lenz wird arm an Blüth und Rosen,
Sie pflückten ganze Haine ab.
Sie wachten, daß ihn nichts in seinem Schlummer störte,
Sie pflanzten Lauben hin, wo er zu weiden pflag;
Und weil er gerne singen hörte,
So sangen sie den ganzen Tag.
Des Tages Lust schließt bis zum Sternen-Glanz
Manch munters Spiel und mancher bunte Tanz,
Und trennt zuletzt die Nacht den frohen Reih'n,
So schläft er sanft auf Rosen-Betten ein.
Die Nymphen zwingt der keuschen Göttinn Schein,
[78]
Sich allgemach hinweg zu stehlen;
Sie zögern zwar, doch muß es endlich seyn.
Sie geben ihm die Hand, die angenehmen Seelen!
Und wünschen ihm wohl zehnmal gute Nacht;
Doch weil der Schlaf sich oft erwarten macht,
Bleibt eine stets zurück, ihm Mährchen zu erzählen.
An Böses wurde nie von keinem Theil gedacht.
Der Schäfer war vergnügt, das Nymphen-Volk nicht minder,
In Unschuld lebten sie beysammen wie die Kinder,
Zu manchem Spiel, wobey man selten weint,
Den ganzen Tag, oft auch bey Nacht, vereint.
Doch, wann hat Ate je vergessen,
Für jede Lust uns Schmerzen zuzumessen?
Und träumten (zum Beweis, daß Alles Unschuld war)
Nichts weniger als von Gefahr.
Der Nymphen schöne Königinn
Erfuhr – man weiß nicht wie? – Vielleicht von einem Faun,
Der sie beschlich – vielleicht auch, im Vertrau'n
Von einer alten Schäferinn,
(Der, weil sie selbst nicht mehr gefiel,
Der Jugend eitles Thun mißfiel)
Kurz, sie erfuhr das ganze Schäfer-Spiel.
Man kennt den strengen Sinn
Der schönen Jägerinn,
Die in der Götter-Schaar
[79]
Die größte Spröde war.
Kein Sterblicher, kein Gott vermogte sie zu rühren.
Was sonst die Sprödesten vergnügt,
So gar der Stolz, selbst unbesiegt,
Die Herzen im Triumph zu führen,
War ihrem größern Stolz zu klein.
Sie zürnte schon, nur angesehn zu seyn,
Bloß, weil er sie vom Wirbel bis zur Nasen
Im Bad erblickt, ward Acton einst zum Hasen.
Dies Beyspiel flößte selbst dem Satyr Ehrfurcht ein.
Ihr schien ein Blick sie schon zu dreiste anzufühlen,
Kein Zephyr wagt's sie abzukühlen,
Und keine Bluhme schmückt' ihr Haar,
Die einst wie Hyacinth, ein schöner Knabe war;
Von Liebe nur im Schlaf zu sprechen,
Hieß bey Dianen schon ein strafbares Verbrechen:
Kurz, Männer-Haß und Sprödigkeit
Trieb selbst Minerva nicht so weit.
Man rathet leicht, in welche Wuth
Der Nymphen Fall sie setzen mußte;
Es tobt' ihr jungferliches Blut,
Daß sie sich kaum zu fassen wußte.
So zornig sahn die Nymphen sie
In keinem andern Falle nie.
Calisto ließ sich doch von einem Gott besiegen,
Das milderte die Schnödigkeit der That;
[80]
Doch einem Hirten unterliegen,
Wahrhaftig! das war Hochverrath.
Ein fliegender Befehl citirt aus allen Hainen
Das Nymphen-Volk persönlich zu erscheinen.
Sie schleichen allgemach herbey,
Und keine läuft, daß sie die erste sey.
Die Göttinn steht an ihren Spieß gelehnt,
Und sieht mit ernstem Blick, der ihren Kummer höhnt,
Im ganzen Kreis nichts als beschämte Wangen,
Und Blicke, die zur Erde niederhangen.
Hofft nicht, spricht sie, durch Läugnen zu entgehn,
Man wird euch bald die Zunge lösen können,
Und werdet ihr nicht gütlich eingestehn,
So soll euch mir der Gott zu Delphi nennen.
Durch Zaudern wird die Schuld nicht gut gemacht.
Nur hurtig! Jede von euch Allen,
Die sich vergieng, laß ihren Schleyer fallen.
Sie spricht's, und – Hem! wer hätte das gedacht?
Diana sprichts, und – alle Schleyer fallen.
Man stelle sich den Lärmen vor,
Den die beschämte Göttinn machte,
Indeß der lose Cypripor
Aus einer Wolke sah und laut herunter lachte.
Wie? rief sie voller Wuth empor,
(Doch selbst die Wuth verschönert ihre Wangen)
Du, Wildfang, hast dies Unheil angestellt,
[81]
Und kommst noch gar damit zu prangen!
Zwar rühmst du dich, daß alle Welt
Für ihren Sieger dich erkenne,
Daß selbst der Vater Zevs, so oft es dir gefällt,
Von unerlaubten Flammen brenne;
Daß, seiner Majestät beraubt,
So oft du willt, der Götter Haupt
Bald als eine Drache, bald als Stier,
Bald als ein böckischer Satyr,
Und bald mit Stab und Schäfer-Tasche
Der Nymphen Einfalt überrasche.
Doch trotze nicht zu viel auf deine Macht!
Die Siege, die dir noch gelungen,
Hat man dir leicht genug gemacht.
Wer selbst die Waffen streckt, wird ohne Ruhm bezwungen.
Auf mich, auf mich, die deine Macht verlacht,
Auf meine Brust laß deine Pfeile zielen.
(Ich fordre dich vor tausend Zeugen auf!)
Sie werden sich vor halbem Lauf
In meinen feuchten Strahlen kühlen,
Und stumpf und matt um meinen Busen spielen.
Du lachst? laß sehn, wie viel dein Bogen kann,
Versuche dich an mir, und sieg' – und lache dann!
Doch stünd' es dir, versichert! besser an,
Du kämst, statt Köcher, Pfeil und Bogen,
Mit einem Vogel-Rohr geflogen.
Latonens Kindern nur gebührt
[82]
Der edle Schmuck, der deinen Rücken ziert.
Bald hätt' ich Lust, dich wehrlos heimzuschicken,
Und, weil der Flug dich nur zur Schelmerey verführt,
Dir noch die Schwingen auszupflücken.
Doch flieh nur, wie du bist; laß meinen Hain in Ruh,
Auf ewig flieh aus meinen Blicken,
Und flattre deinem Paphos zu;
Dort tummle dich auf weichen Rosen-Betten,
Mit deinen Grazien, und spiele blinde Kuh
Mit Zephyrn und mit Amoretten.
Die Göttinn sprichts. Mit lächelndem Gesicht
Antwortet ihr der kleine Amor – nicht.
Gelassen langt er nur von ungefähr
Den schärfsten Pfeil aus seinem Köcher her;
Doch steckt er ihn, als hätt' er sich bedacht,
Gleich wieder an, sieht Phöben an und lacht:
Wie reizend schminkt der Eifer deine Wangen!
(Ruft er, und thut als wollt' er sie umfangen)
Ich wollte dir, wie Amors Wunde sticht,
Ein wenig zu versuchen geben;
Allein, bey meiner Mutter Leben!
Es braucht hier meiner Pfeile nicht.
An Spröden, die mir Hohn gesprochen,
Hat mich noch stets ihr eignes Herz gerochen:
Und, Schwesterchen, (doch unter dir und mir:)
Was nützt der Lerm? er könnte dich gereuen;
[83]
Weit sichrer wär's, die kleine Ungebühr
Den guten Kindern zu verzeihen.
Die Nymphen lächelten, und Amor flog davon
Die Göttinn zürnt, und rächt an ihnen
Des losen Spötters Hohn.
Unwürdige, Dianen mehr zu dienen,
(Spricht sie mit ernstem Angesicht)
Zur Strafe der vergeßnen Pflicht
Hat euch mein Mond zum letztenmal geschienen.
Sobald sein Wagen nur den Horizont besteigt,
Sey euch verwehrt im Hain herumzustreichen,
Bis sich des Tages Herold zeigt;
Entflieht mit schnellem Fuß, die Einen in die Eichen,
Die Uebrigen zu ihren Urnen hin;
Dort liegt und schlaft, so lang ich Luna bin!
Sie sprichts, und geht die Drachen anzuspannen,
Die ihren Silber-Wagen ziehn,
Und die bestraften Nymphen fliehn
Mehr traurig als belehrt von dannen.
Der Tag zerfließet nun
Im allgemeinen Schatten,
Und alle Wesen ruh'n,
Die sich ermüdet hatten;
Es schlummert Thal und Hain,
Die Weste selbst ermatten
Von ihren Buhlereyn,
[84]
Und schlafen unter Küssen
Im Schooße von Narcissen
Und Rosen gähnend ein.
Der junge Satyr nur
Verfolgt der Dryas Spur;
Er reckt sein langes Ohr
Bey jedem leisen Zischen
Aus dem Gesträuch hervor,
Ein Nymphchen zu erwischen,
Das in den finstern Büschen
Vielleicht den Weg verlor.
Er sucht im ganzen Hain
Mit wohl zerzaußten Füßen;
Umsonst! Der Göttinn Dräu'n
Zwang sie, sich einzuschließen;
Die armen Mädchen müssen
Für kürzre Nächte büßen,
Und schlafen itzt allein.
Dem Faun sinkt Ohr und Muth,
Er kehrt mit kühlerm Blut
Beym ersten Morgenblick
Zu seinem Schlauch zurück.
Er denkt, mich zu erhenken
Da müßt' ich albern seyn!
Ich will die Liebespein
In süßem Most ertränken.
[85]
Indessen schwebt der Göttinn Wagen schon
Nah über jenem Ort, wo in des Geißblatts Schatten
Die Nymphen dir, Endymion,
Vielleicht auch sich, so sanft gebettet hatten.
Wie reizend lag er da! Nicht schöner lag Adon
An seiner Göttinn Brust, die, weil er schlief, ihm wachte,
Mit Liebetrucknem Blick auf ihren Liebling lachte,
Und stillentzückt auf neue Freuden dachte;
Nicht schöner ward der junge Ganymed
Vom Vater Zevs, der große Augen dreht,
In Junons Armen einst gefunden;
Nicht schöner lag, durch doppelte Gewalt
Der Feerey und Schönheit überwunden,
Der Wollust athmende Rinald
Von seiner Zauberinn umwunden:
Als hier, vom Schlaf gebunden,
Endymion – Gesteht, daß die Gefahr
Nicht allzuklein für eine Spröde war.
Das Sicherste war hier, die Augen zuzumachen.
Sie that es nicht und warf, jedoch nur obenhin
Und blinzend, einen Blick auf ihn.
Sie stutzt und hemmt den Flug der schnellen Drachen,
Schaut wieder hin, erröthet, bebt zurück,
Und suchet mit verschämten Blick,
Ob sie vielleicht belauschet werde;
Doch da sie ganz allein sich sieht,
Lenkt sie mit ruhigerm Gemüth
[86]
Den Silber-Wagen sanft zur Erde,
Bückt sich, auf ihren Arm gestützt,
Mit halbem Leib heraus, und überläßt sich itzt
Dem Anschaun ganz, womit, nach Platons Lehren,
Sich im Olymp die reinen Geister nähren.
Ein leicht beschattendes Gewand
Erlaubt den ungewohnten Blicken
Nur allzuviel, sie zu berücken.
Man sagt so gar, sie zog mit leiser Hand
Auch dieses weg, doch wer hat zugesehen?
Was sagt man nicht? – Und wär' es auch geschehen,
So zog sie doch beym ersten Blick
Gewiß die Hand so schnell zurück,
Als jenes Kind, das einst im Grase spielte,
Nach Bluhmen griff, und eine Schlange fühlte.
Indessen klopft vermischt mit banger Lust
Ein süßer Schmerz in ihrer heißen Brust;
Ein zitterndes, wollüstiges Verlangen
Bewölkt ihr schwimmend Aug' und brennt auf ihren Wangen.
Wo, Göttinn, bleibt dein Stolz, die Sprödigkeit?
Dein Busen schmilzt wie Schnee in raschen Flammen.
Kannst du die Nymphen noch verdammen?
Was ihre Schuld verdient, ists Tadel oder Neid?
Die Neugier hat, wie Zoroaster lehrt,
[87]
Von Anbeginn der Weiber Herz bethört.
Man denkt, ein Blick, von Ferne, von der Seiten,
Ein bloßer Blick, hat wenig zu bedeuten.
O! glaubet mir, ihr habt schon viel gethan,
Der erste Blick zieht stets den andern an;
Das Auge wird (es sagts ein weiser Mann)
Nicht satt vom Sehn, und Luna's Beyspiel kann
Uns hier, wie wahr er sagte, lehren.
Der Gegenstand, der Ort, die Zeit,
Wird die Entschuldigung der Göttinn machen müssen.
Selbst ihre Unerfahrenheit
Vermindert ihre Strafbarkeit.
So neu sie war, wie kann sie wissen,
Wie manche wissens nicht, daß man
Vom Sehn sich auch berauschen kann?
Sie schaut, und da sie so, wie aus sich selbst gerissen,
So unersättlich schaut, kommt ein Gelust sie an,
Den schönen Schläfer gar – zu küssen.
Zu küssen? Ja, doch man verstehe mich!
So züchtig, so unkörperlich,
So sanft, wie junge Zephyrn küssen;
Mit den Gedanken nur
Von einem solchen Kuß,
Wovon Ovidius
Die ungetreue Spur
Nach mehr als einer Stunde
[88]
(Laut seiner eignen Hand)
Auf seines Mädchens Munde
Und weißen Schultern fand.
Es kostet sie, den Wunsch sich zu gestehen,
Sie glüht von keuscher Schaam vom Wirbel bis zum Zehen,
Und lauscht, und schaut sich um. Doch allgemeine Ruh
Herrscht weit umher im Thal und auf den Höhen,
Kein Blättchen rauscht. Itzt schleicht sie leis' hinzu,
Bleibt unentschlossen vor ihm stehen,
Entschließt sich, bückt sich sanft auf seine Wangen hin,
Die, Rosen gleich, in süßer Röthe glühn,
Und spitzt die Lrppen schon, und itzt – itzt war's geschehen,
Als eine neue Furcht (wie leicht
Wird eine Spröde scheu!) sie schnell zurücke scheucht,
Sie mögt' es noch so leise machen,
So könnte doch der Schäfer dran erwachen.
Was folgte drauf? Sie müßte weiter gehn,
Ihm ihre Neigung eingestehn,
Um seine Gegenliebe flehn,
Und sich vielleicht – wer könnte das ertragen?
Vielleicht sich abgewiesen sehn –
Welch' ein Gedank! Kann Luna so viel wagen?
Bey einer Venus ja, da mögte so was gehn,
Die giebt oft ungestraft den Göttern was zu spaßen,
Und kann sich eh im Netz ertappen lassen,
[89]
Als ich, die nun einmal die Spröde machen muß,
Bey einem armen trocknen Kuß.
Und wie? er sollte mich zu seinen Füßen sehn?
Dianens Ehre sollt' in seiner Willkühr stehn?
Wie? Wenn er denn den Ehrfurchtsvollen machte,
(Man kennt der Schäfer Schelmerey)
Und meiner Schwachheit ohne Scheu
An einer Nymphe Busen lachte?
Wie würde die der Rache sich erfreun,
Und meine Schmach von Hain zu Hain
Den Schwestern in die Ohren raunen?
Die eine spräch's der andern nach,
Bald wüßtens auch die Satyrn und die Faunen,
Und sängen's laut beym nächtlichen Gelach.
In kurzem eilte die Geschichte
Vermehrt, verschönt, gleich einem Stadt-Gerüchte,
Bis zu der obern Götter Sitz;
Dem Momus, der beym Saft der Nectar-Reben
Die Götter lachen macht, und Junons scharfem Witz
Beym Thee-Tisch neuen Stoff zu geben. 1
[90]
Die Göttinn bebt, erblaßt und glüht
Vor so gefährlichen Gedanken,
Und wenn sie dort die Neigung zieht,
So macht sie hier die Klugheit wanken.
Man sagt, bey Spröden überzieh
Die Liebe doch die Vorsicht nie.
Ein Kuß mag freylich sehr behagen,
Doch ists am Ende nur ein Kuß;
Und Freuden, wo man zittern muß,
Sind doch (was auch Ovide sagen)
Für Damen nicht, die gerne sicher gehn.
Sie fängt schon an, nach ihrem Drachen-Wagen
Den scheuen Blick herumzudrehn,
Schon weicht ihr scheuer Fuß – doch bleibt er wieder stehn;
Sie kann den Trost sich nicht versagen,
Nur einmal noch (sie hat ja nichts dabey zu wagen)
Den schönen Schläfer anzusehn.
Noch einmal? ruft ein Loyolist;
Und heißt denn das nicht Alles wagen?
Vielleicht; doch ist es, wie ihr wißt,
Genug, die Göttinn loszusagen,
Daß sie es nicht gemeynt; die Frist
War allzukurz, euch Raths zu fragen;
Und überdem vergönnet mir zu sagen,
Daß Escobar auf ihrer Seite ist.
Vorsichtig oder unvorsichtig,
[91]
(Uns gilt es gleich) genug, so viel ist richtig,
Sie bückte sich noch einmal hin und sah,
(Doch mit dem Vorsatz, ihn auf ewig dann zu fliehen,)
Den holden Schläfer an. Betrogne Cynthia!
Sie sieht, schon kann sie ihm den Blick nicht mehr entziehen,
Und bald vergißt sie auch zu fliehen.
Ein fremdes Feuer schleicht durch ihren ganzen Leib,
Ihr feuchtes Aug' erlischt, die runden Kniee beben,
Sie kennt sich selbst nicht mehr, und fühlt in ihrem Leben
Sich itzt zum erstenmal ein Weib.
Erst ließ sich ihr Gelust mit einem Kusse büßen,
Itzt wünscht sie schon, sich satt an ihm zu küssen.
Doch macht sie stets die alte Sorge scheu.
Diana muß sich sicher wissen,
Und wird ein Bißchen Feerey
Zu brauchen sich entschließen müssen.
Es wallt durch ihre Kunst
Ein zauberischer Dunst,
Von Schlummer-Kräften schwer,
Um ihren Liebling her.
Er dehnt sich, streckt ein Bein,
Und schläft bezaubert ein.
Sie legt sich neben ihn
Auf Rosenlager hin,
(Es hatte, wie wir wissen,
Für eine Freundinn Raum)
[92]
Und unter ihren Küssen
Den Schlaf ihm zu versüßen,
Wird jeder Kuß ein Traum.
Ein Traumgesicht von jener Art,
Die oft, trotz Scapulier und Bart,
Sanct Franzens fette Seraphinen
In schwüler Sommer-Nacht bedienen;
Ein Traum, wovor selbst in der Fasten-Zeit
Sich keine junge Nonne scheut,
Der, wie das fromme Ding in seiner Einfalt denket,
Sie bis ins Paradies entzückt,
Mit einem Strom von Wollust tränket,
Und fühlen läßt, was nie ihr Aug' erblickt.
Ob Luna selbst dabey was abgezielet –
Ob ihr das schelmische Gesicht,
Cupido, einen Streich gespielet –
Entscheidet die Geschichte nicht.
Genug, wir kennen die und den,
Die gerne nie erwachen wollten,
Wenn sie Aeonenlang so schön
Wie unser Schäfer träumen sollten.
Was Jupiter als Leda's Schwan
Und als Europens Stier gethan,
Wie er Alkmenen hintergangen,
Und wie der hinkende Vulkan
[93]
Sein Weibchen einst im Garn gefangen;
Wie stille Nymphen oft im Hain
Dem Faun zum Raube werden müssen,
Wie sie sich sträuben, bitten, dräun,
Ermüden, immer schwächer schreyn,
Und endlich selbst den Räuber küssen;
Des Weingotts Zug, und wie um ihn
Die taumelnden Bacchanten schwärmen,
Wie sie von trunkner Freude glühn,
Und mit den Klapper-Blechen lermen;
Sie wiehern laut ihr Evoe!
Es hallt vom fernen Rhodope
Zurück; der Satyr hebt mit rasender Geberde
Die nackte Menas in die Höh,
Und stampft in wildem Tanz die Erde.
Ein sanftrer Anblick folgt dem rohen Bacchanal,
Ein stilles, schattenvolles Thal
Führt ihn der Höhle zu, wo sich die Nymphen baden;
Diana selbst erröthet nicht,
(Man merke, nur im Traumgesicht
Und von geschäfftigen Najaden
Fast ganz verdeckt) von ihm gesehn zu seyn.
Welch reizendes Gewühl! Es scheint vom Widerschein
So mancher weißen Bust, die sich im Wasser bildet,
So manches goldnen Haars, die Fluth hier übergüldet,
Dort Schnee im Sonnen-Glanz zu seyn.
[94]
Sein trunknes Auge schlingt mit gierig offnen Blicken
So viele Reizungen hinein,
Er schwimmt in lüsternem Entzücken,
Und wird vor Wunder fast zum Stein.
Man glaubt, daß Cynthia hiebey
Nicht ungerührt geblieben sey;
So süß auch Küsse sind, wenn wir Tibulle hören,
So haßt doch die Natur ein ewig Einerley.
Beym Nectar-Tisch und beym Concert der Sphären
Sind Götter selbst nicht stets von Langerweile frey.
Zum mindsten sagts Homer. Wie wird denn, satt von Küssen,
Diana sich zu helfen wissen?
Sie that, (so sagt der Faun, der sie beschlichen hat)
Was Platons Penia im Götter-Garten that.
Was that denn die? wird hier ein Neuling fragen.
Sie legte – Ja doch! Nur gemach!
Schlagt euren Plato selber nach, 2
Das läßt sich nur auf Griechisch sagen.
Verliebt und weise seyn, ist, wie ein Alter glaubt,
Den Göttern kaum, den Menschen nie erlaubt.
Wer ganz Empfindung ist, kann keine Schlüsse machen.
Der Gegenstand, der itzt Dianen an sich zieht,
Macht, wie Galen bemerkt, nebst Wallung im Geblüt,
Die Augen übergehn und die Vernunft erschwachen;
[95]
Und Martialis muß gestehn,
Daß selbst Cornelia, die Mutter beider Gracchen,
Mit kaltem Blut ihn selten angesehn.
Die Spröden mögen sich hier ein Exempel nehmen.
Das schöne Volk nicht zu beschämen,
Verschwieg' ich gern, wie tief Diana fiel;
Allein der Faun verrieth das ganze Spiel.
Zum Unglück war's der schlimmste unter allen.
Er hatte, wie gesagt, den Nymphen zu gefallen,
Den ganzen Hain umsonst durchspürt,
Und dachte gleich zu seinen vollen Schläuchen
Sich unbemerkt zurückzuschleichen,
Als aus den nahen Myrthen-Sträuchen
Sein lauschend Ohr ein wollust-athmend Keuchen,
Ein liebliches Geseufz und süßes Girren rührt.
Der Satyr stutzt, und denkt bey sich:
Hier ist man glücklicher als ich,
Dies Seufzen hat was zu bedeuten.
So seufzt, beym Styx! trostlose Liebe nicht.
Er schleicht dem Tone nach, und sieht ein hellers Licht
Sich über das Gebüsch verbreiten,
Schleicht immer fort, entdeckt das Drachen-Paar,
Die ungeduldig sich am leeren Wagen sträuben,
Und stutzt noch mehr. Wie? denkt er, mag wohl gar
Diana, die so spröde war,
Die Männer-Hässerinn, sich hier die Zeit vertreiben?
Kaum denkt er's aus, so zeigt ein neuer Blick
[96]
Ihm Luna's Fall und Amors Meisterstück.
O! Göttinn, welch ein Augenblick!
Wie wird der rohe Faun dich höhnen!
Ein Andrer schliche sich von einer solchen Scenen,
Mit angewandtem Aug', aus Großmuth still zurück;
Er würde sich so gar noch Zweifel machen,
Und hieß' es nur ein täuschend Nacht-Gesicht:
Allein in Faunen wohnt so viele Tugend nicht.
Ein wildes überlautes Lachen
Weckt sie, und zeigt den Zeugen ihrer Lust.
Sie hebt ein sterbend Aug' und schließt es plötzlich wieder,
Ein kalter Schaur durchfährt die aufgelösten Glieder,
Vor Schrecken starrt die ausgedehnte Brust.
Sie sinkt betäubt bey ihrem Schäfer nieder,
Und seufzt und weint, daß sie nicht sterben kann,
Was kaum so reizend war, sieht sie mit Grauen an.
Sie wälzt auf Rosen sich, als wie auf Kohlen-Feuer,
Des Zephyrs Athem deucht ihr Pest,
Endymion ein Ungeheuer,
Die weite Welt ein Drachen-Nest.
Sie so betrübt zu sehn, das schmelzte Tartar-Herzen.
Der Faun bleibt ungerührt; er lacht noch ihrer Schmerzen,
Und leert den schaalen Witz, den er bey manchem Schmaus
Gesammelt hat, bey diesem Anlaß aus;
Sieht sie auf ihren Arm sich stumm und trostlos stemmen,
Und eine Thränenfluth, die nicht zu stillen war,
Den schönsten Busen überschwemmen,
[97]
Sieht's und erfrecht sich, der Corsar!
Durch Küsse ihren Lauf zu hemmen.
Sie stößt ihn weg, doch nur mit matter Hand.
Was hälf' ihr, gegen einen Zeugen
Von dieser Art, ein stolzer Widerstand?
Es liegt zu viel an seinem Schweigen.
Der ungeduldige Sylvan,
An dem schon alle Adern glühen,
Verspricht und droht zugleich. Sie sieht ihn schüchtern an,
Erröthet, staunt, und sucht, was sie nicht hindern kann,
Zum wenigsten noch aufzuziehen.
Was soll sie thun? Hier ist die Antwort schwer;
Dem größern zu entgehn, ein kleiners Uebel leiden?
Um bösen Ruf und Aergerniß zu meiden,
Erlaubt Caramuel wohl mehr.

Ich glaube, daß man diese Geschichte, von einem italienischen Genie erzählt, nicht ohne Vergnügen lesen werde. Tassoni hat sie in seinen geraubten Wassereymerals eine Episode eingeflochten. Sie ist nach meiner Empfindung eins der schönsten Stücke seines ganzen Gedichts; wenigstens für Ausländer, die nicht so lange in Bologna und Modena sich aufgehalten haben, daß sie die komischen Wendungen alle darinnen verstehen könnten.

[98] Herr Wieland scheint nicht an diese Erzählung gedacht zu haben, als er seinen Endymion schrieb; sein Genius hat hierbey einen ganz eignen Flug genommen; wobey er unterdessen doch immer dem Tassonischen begegnen mußte. Mir war es ein angenehmer Anblick, diese zwey Götterkinder sich begegnen, und Bekanntschaft machen zu sehen.

Hier ist die Uebersetzung der Tassonischen Stanzen davon:


47. Endymion lag, von der Arbeit des langen Tags abgemattet, auf einem Rasen voll Bluhmen im süßen Schlummer; kühler wurde der Himmel, und um ihn scherzten die Lüfte herum. Die kleinen Liebesgötter waren zu ihm herab gestiegen, und hatten vom Köcher und Horn ihn entgürtet; sie glaubten bey den verschlossenen Augen und dem Glanze des Gesichts den Cupido zu sehen.


Dormiva Endimion tra l' erbe, e i fiori
Stanco del faticar del lungo giorno;
E mentre l' aura, e 'l ciel gli estivi ardori
Gli gian temprando, e amoreggiando intorno,
Quivi discesi i pargoletti Amori
Gli avean discinta la faretra, e 'l corno;
Ch' a i chiusi lumi, e a lo splendor del viso
Fu loro di veder Cupido avviso.

[99] 48. Mit den schönen Locken spielten die Winde, die wie goldner Regen auf die Wangen fielen. Die Amoretten eilten herbey, und theilten sie mit ihren Händen auf diese und jene Seite des schönen Gesichts; und flochten eine liebliche Arbeit aus den Bluhmen, wovon sie sich ringsumher den Schooß voll gesammlet hatten, für die Stirne einen Kranz, für Fuß und Arme Ketten, und den Busen ein Angehänge.


Sventolando il bel crine a l' aura sciolto,
Ricadea su le guance in nembo d' oro;
V' accorrean gli Amoretti, e dal bel volto
Quinci, e quindi il partian con le man loro;
E de' fiori onde intorno avean raccolto
Pieno il grembo, tessean vago lavoro,
A la fronte ghirlanda, al piè gentile,
E a le braccia catene, e al sen monile.

49. Peonien und röthliche Anemonen verglichen sie dabey mit dem lieblichen Mund; und mit der glatten Wange Lilien und Rosen. Peonien verloren, und Lilien und Rosen. Wind und Fluth schwieg stille, und in dem Wiesengrunde regte sich nicht ein Lispel. Wasser, Luft und Erde schienen in verschiedenen Gestalten schweigend zu sagen: Sieh! Amor schlummert.


E talor pareggiando a l' amorosa
Bocca o peonia, o anemone vermiglio,
E a la pulita guancia o giglilo, o rosa:
La peonia perdea, la rosa, e 'l giglio.
Taceano il vento, e l' onda, e da l' erbosa
Piaggia non si sentia mover bisbiglio;
L' aria, l' aqua, e la terra in varie forme
Parean tacendo dire, ecco Amor dorme!

[100] 50. Wie in den Gefilden des Himmels, wo der große Stier in den Strahlen leuchtender Sterne flammt, die Töchter des Atlas mit goldenem Haare zu funkeln pflegen, und die andern weniger schön rings um diese glänzen, die größer und reizender ist, als sie; so schien Endymion mitten unter den Liebesgöttern zwischen den Bluhmen zu liegen –


Qual ne' celesti Campi, ove il gran Toro
S' infiamma a i rai di luminose stelle,
Sogliono sfavillar con chioma d' oro
Le figliole d' Atlante alme sorelle,
Ch' a la maggiore, e più gentil di loro
Brillando intorno stan l' altre men belle;
Tal in mezzo agli Amori Endimione
Parea tra l' erbe, e i fior de la stagione –

51. Als die schöne Göttinn des ersten Himmels, mit den Strahlen der untergegangenen Sonne das Haupt umwunden, auf der Scene der Welt den Schleyer enthüllte. Still und einsam erblickte sie die Fluren, und goß den Thau auf Gras und Violen, richtete von ohngefähr den Blick in diese Gegend, und stieg, lüstern nach dem Gesichte, herab vom Himmel.


Quando la bella Dea del primo Cielo
Tutta cinta de' rai del morto Sole,
A la scena del Mondo aprendo il velo,
Le campagne mirò tacite, e sole,
E sparsa la rugiada, e scosso il gelo
Dal lembo sovra l' erbe, e le viole,
A caso il guardo in quella piaggia stese,
E vaga di veder, dal Ciel discese.

[101] 52. Erschrocken über der Göttinn Erscheinung, verschwanden die Knaben; und sie, sie hielt den Schritt zurück, und stand betrachtend still, da sie den Jüngling allein hier schlummern sah. Das jungfräuliche Herz hielt die Kühnheit im Zügel, schaamhaft und unentschlossen hatte sie schon den Fuß umgewandt, um zurückzukehren, aber sie wurde von dem schönen Gesichte wieder gerufen.


Sparvero i pargoletti, a l' apparire
De la Dea spaventati; ed ella, quando
Vide il giovane sol quivi dormire,
Ritenne il passo, e si fermò guardando.
L' onestà verginal frenò l' ardire,
E negli atti sospesa, e vergognando,
Avea già, per tornare, il piè rivolto;
Ma richiamata fu da quel bel volto.

53. Sie fühlte durch die Augen eine Gluth in's Herz sich schleichen, die mit einem süßen Verlangen die Seele fesselte: nach und nach näherte sie sich ihm, bis sie an der Seite des Jünglings saß; sie pflückte die schönen Bluhmen los, die die Amoretten zum Scherz auf tausenderley Art durchflochten hatten, bekränzte sich die Stirn und schmückte den Busen damit; Gift und Flamme waren sie für sie alle. 3


Senti per gli occhi al cor passarsi un foco,
Che d' un dolce desio l' alma conquise:
Givasi avvicinando a poco a poco,
Tanto ch' al fianco del garyon s' assisse;
E di que' vaghi fior, ch' avean per gioco
Gli amoretti intrecciati in mille guise,
S' incoronò la fronte, e adornò il seno,
Che tutti fur per lui fiamma, e veleno.

[102] 54. Die Bluhmen reizten die Hand, und die Hand die Küsse auf die Wangen! auf die Lippen, auf die Augen, auf die Brust, die so lebendig, so hangend gegeben wurden, den, daß der Jüngling bestürzt davon erwachte: er zitterte durch und durch vor Ehrfurcht bey dem Blitzen der göttlichen Augen; schon stand er auf, sich auf den Boden zu werfen, wenn sie ihn nicht in den Armen gehalten hätte.


Trassero i fior la man, la mano i baci
A le guance, a le labbra, agli occhi, al petto,
Che s' impresser sì vivi, e sì tenaci,
Che si destò smarrito il giovinetto:
Al folgorar de le divine faci,
Tutto tremò di riverente affetto,
E ad atterrarsi già ratto surgea,
S' ella non l' abbracciava, e nol tenea.

[103] 55. Schöne, schläfrige Seele, sagte sie, was zitterst du? was staunst du? ich bin Luna; Amor, Schicksal und Fortuna leiten mich in diese Gegend, mit dir zu schlummern; sey ohne Sorge, sitz' und ruhe, und sey nur darauf bedacht, die Flamme, die ich dir entdecke, in die Stille der braunen Nacht zu verhüllen, oder den Zorn des Himmels zu erfahren.


Anima bella, disse, e dormigliosa,
Che paventi? Che miri? I' son Luna,
Ch' a dormir teco in questa piaggia erbosa
Amor, Necessità guida, e Fortuna;
Tu non ti conturbar, siedi, e riposa,
E nel silentio de la notte bruna
Pensa occultar l' ardor ch' io ti rivelo,
O di sperimentar l' ira del Cielo.

56. O du Auge der Welt, in dem die Fackel der Sonne sich spiegelt, ich bin, versetzte der Knab', ein unwürdiger Schäfer, aber wenn es dir gefällt, so gnädig zu seyn, mich aus der Gränze der Sterblichkeit zu ziehen, so sey versichert von meiner Treue; diesen Schleyer geb' ich dir zum Pfande; Etlio, mein Vater, gab ihn schon meiner Mutter Calice, und auch zum Zeichen seiner Treue.


O pupilla del mondo, in cui la face
Del sol s' imprenta, pastorello indegno
Son io (disse il garzon) ma se ti piace
Trarmi per grazia fuor del mortal segno,
Vivi sicura di mia fè verace,
E questo bianco vel te ne sia pegno,
Ch' a mia madre Calice Etlio già diede
Mio padre, in segno anch' ei de la sua sede.

[104] 57. So sprach er, und zog den weißen, mit Lilien und Perlen eingefaßten Schleyer, der Rücken und Brust von der rechten Schulter herunter bis zur linken Seite ihm umgab, herab, und überreicht' ihn der Göttinn zum Geschenke, die keine Zurückhaltung mehr in dem ganz entflammten Herzen hatte, und wie eine Bluhme, wann's friert, in seine Arme sank.


Così dicendo, un vel candido schietto,
Che di gigli e di perle era fregiato,
E 'l tergo in un gli circondava, e 'l petto
Giù da la spalla destra al manco lato,
Torse in dono a lá Dea, ch' ogni rispetto
Già spinto avea del cor tutto infiammato;
E come fior che langue, allor ch' agghiaccia,
Si lasciava cadèr ne le sue braccia.

[105] 58. So fest umwunden hält die Rebe den unfruchtbaren zweigigten Ulmenbaum nicht; so stark und strenge schlingt sich Epheu nicht um die schattichte Fichte, als die Verliebten, von heftigem Verlangen entbrannt, eins an des andern Busen sich fesselten: die Zungen schossen indessen die süßen Stacheln nach den Herzen, die Amor härtete.


Vite cosi non tien legato, e stretto
L' infecondo marito olmo ramoso,
Nè con sì forte, e sì tenace affetto
Stringe l' edera torta il pino ombroso;
Come stringeansi l' uno a l' altro petto
Gli amanti accesi di desio amoroso:
Saettavan le lingue intanto il core
Di dolce punte, che temprava Amore.

59. So brachte die Göttinn unter ungewohnten, süßen Empfindungen, Worten, Blicken, Seufzern und Umarmungen, die allein frohe, verliebte Liebende kosten, zween Tage zu, und klagte die Gestirne und die Elemente an, daß sie in einem so großen und langen Irrthume dem Wilde gefolgt, und nicht der Liebe.


Così mentre vezzosi atti, e parole,
Guardi, baci, sospiri, e abbracciamenti
Facean dolcezze inusitate, e sole
A gli amanti gustar lieti, e contenti;
Levò la Diva l' uno, e l' altro sole,
Accusando le stelle, e gli elementi,
Poichè con tanti, e con sì lunghi errori
Seguite avea le fiere, e non gli amori.

[106] 60. Ach ich Elende, sagte sie, was für einen Irrthum hab' ich an dem Tage ergriffen, als ich den Bogen ergriff, und den Wald betrat! Wie viele Jahre hab' ich darinnen zugebracht und verloren, die ich nie wieder einzubringen hoffe! O des irrenden, eiteln, übelverstandenen Lebens? wie in die Luft hab' ich es geworfen. Wie viel besser wär' es gewesen, diese Früchte zu pflücken, als den Fuß mit Gefahr dem Wilde nachzusetzen.


Misera me, dicea, quant' error presi
Quel dì, ch'io presi l' arco, e'l bosco entrai!
Quant' anni poscia ho consumati, e spesi
Che di ricoverar non spero mai!
O passi erranti, e vani, e male intesi,
Come al vento vi sparsi, e vi gettai!
Quant' era meglio questi frutti corre,
Ch' a rischio il piè dietro a le belve porre!

61. Jetzt erkenn' ich mein Vergehen, und mögte wieder gut es machen, aber der Himmel erlaubt mir es nicht: nur allein bleibt mir übrig, die Zukunft so anzuwenden, daß ich niemals wieder darüber mich betrübe. Luft und Erde und Meer sey Zeuge dessen, was ich beschlossen habe; das Gesetz, das ich mache, verpflichte, so lange die Sonne währt, mich selbst und das ganze weibliche Geschlecht.


Or connosco il mio fallo, e farne ammenda
Vorrei poter, ma il Ciel non me 'l consente:
Restami sol, che del futuro i prenda
Pensier, di cui mai più non sia dolente.
Però l' Aria, la Terra, e 'l Mare intenda
Quel che di terminar già fisso ho in mente,
E la legge, ch'io fo, duri col sole
Sovra me stessa, e la femminea prole.

[107] 62. Der Himmel, den ich beherrsche, bedecke nie eine schöne Dame – einige wenige ausgenommen, die größer, als ich, und jedes Gestirn, seyn werden, – die mit reinem und keuschen Eifer erdulde, ihr Leben als eine Feindinn der Liebe zu beschließen, ohne diese so süßen Empfindungen zu fühlen, wenn's nicht verstellter Weise, und wider ihr Verlangen geschieht.


Io stabilisco, che non copra il Cielo,
Ch'io governo, mai più femmina bella;
Eccetto alcune poche, ch'io mi celo,
Che fien di me maggiori, e d' ogni stella;
Che sopporti con casto, e puro zelo
Finir la vita sua d' Amor ribella,
E che stia intatta di sì dolce affetto,
Se non mentitamente, o al suo dispetto.

* * * * *


Die Göttinn behält freylich beym Tassoni ihre göttliche Majestät, da sie Wieland tief herab von ihrem Throne gestürzt hat. Die gutherzigen Damen werden ohne Zweifel den Tassoni Wielanden vorziehen.

[108] Ich las beide Erzählungen einer Dame vor, die an Herz und Geist und Reizen eine Freundinn der Aspasia hätte seyn können. Als ich meine Vorlesung geendigt hatte, so sagte sie: »Die Tassonische Erzählung scheint Orpheus gesungen zu haben: die Wielandische? – der muthwillige Geist wird bey euch Dichtern oft dem guten Herzen untreu; es ist nicht möglich, daß dieses bey dem Anblick einer so sehr mißhandelten griechischen Schönheit angenehme Empfindungen haben könne.« Ohne Zweifel ist hier dieses Urtheil zu strenge; es soll auch nur ein bezaubernder Wink für unsre jungen unbesonnenen Blasphemisten der griechischen Schönheiten seyn.

Fußnoten

1 Sollte eine Göttinn bey dem ersten Genuß der Liebe wohl einen so langen Monolog halten können? Amor erlaubt ihr gewiß nicht, so weit sich von ihrem Herzen zu entfernen. In einer schüchternen Empfindung konnten alle diese Gedanken, wie zitternde Embryonen, mit süßer Angst das spröde Herz beklemmen.

2 In seinem Abendmahle.

3 Wer soll den Vorzug haben? meine Ohren geben ihn der Sprache der Liebe; mein Herz wird von beiden entzückt. Tassoni dringt immer nach und nach, ohne abzulassen, tiefer hinein; diese zwo Stanzen sind klassisch schön.


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TextGrid Repository (2012). Heinse, Wilhelm. 2. Endymion. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4CF5-7