[101] 11.

Der Mann nach der Welt

1733.


Ich habe bei diesem Gedichte nichts zu erinnern. Es stellt den hässlichen Gemüths-Charakter eines jungen sogenannten Petit-Maitre und den nicht liebens-würdigern eines ungerechten und eigennützigen Magistrats vor. Jenen habe ich aus verschiedenen besondern kleinen Originalen zusammengesetzt. Dieser ist gleichfalls nach dem Leben, aber auch nach verschiedenen Personen gezeichnet. Eine Satire unterscheidet sich vom Libell, weil dieser einzelne Personen kenntlich abmalt, jene aber die besondern Fehler vieler Leute in einen gemeinen Charakter zusammen mischt.


Du, dessen Beispiel uns die Tugend reizend macht,
In dessen Mund Vernunft, gekränzt mit Anmuth, lacht,
Der Geist und Munterkeit der Weisheit legt zu Füßen,
Die sonst die Hässlichkeit des Lasters schminken müssen,
Warum, o Sinner! lähmt die Herzen unsrer Zeit
Der allgemeine Frost der Unempfindlichkeit?
Der Tugend Nam erlischt, sie ist zum Mährlein worden,
Man zählt die Sitten-Lehr in Arthurs Ritter-Orden
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Und lacht, wenn noch ein Buch von Männern Nachricht giebt,
Die etwas sich versagt und außer sich geliebt!
Verdammte Spötterei, du Weisheit schlauer Thoren,
Die die Unwissenheit vom Uebermuth geboren!
Du hast zuerst bei uns der Dinge Werth verwirrt,
Daß Tugend lächerlich und Laster artig wird.
Seitdem dich in Paris ein Schwarm verwöhnter Jugend
Erwählt zum Gegensatz von Gründlichkeit und Tugend,
Misskennt sich die Natur in unsern Urtheiln oft,
Sie findet Schimpf und Spott, wo sie Verwundrung hofft,
Da manche That, die doch der Hölle Farben führet,
Zur Schau sich kühnlich trägt und ihren Böswicht zieret!
Vor diesem war ein Mann, der rühmlich wollte sein,
Erhaben am Verstand, in seinem thun gemein,
Dem Vaterlande treu, der Gottheit ehrerbietig,
Auch gegen Große steif, auch mit Geringen gütig;
Sich selber war er arm und gegen Arme reich;
Sein Herz war, wo das Recht, sein Ohr bei beiden gleich;
Hold dem, was er gewählt, bei andern unempfindlich;
In Kleinigkeiten fremd, in Recht und Klugheit gründlich;
Gehorsam besserm Rath, auch wann sein Feind ihn giebt,
Und dem Gesetze treu, auch schlüg es, wen er liebt;
Geschäftig, wann allein, und müßig zum Verhöre;
Nicht hungrig nach dem Lohn, noch fühllos für die Ehre;
Aus Eifer nicht zu kühn, nicht feig beim Widerstand,
Und keinem Freunde hold wie seinem Vaterland;
Im reden kurz aus Witz, aus Deutlichkeit begreiflich,
Dienstfertig unbezahlt, um keinen Preis erkäuflich,
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Stieg er und Bern mit ihm, Verdienst war sein Patron,
Die allgemeine Gunst war ihm der liebste Lohn.
Vergebens wird itzt noch der undankbaren Erden
Mit Männern solcher Art der Himmel gütig werden.
Wann seine Tugend nicht der Reichthum edel macht,
Wann Haus und Kleid nicht glänzt in wohlgewählter Pracht,
Wann er die hohe Kunst des schwelgens nicht besitzet,
Wann seine Gäste nicht ein fremder Wein erhitzet,
Wann zwischen Haß und Gunst bei ihm ein Abtritt ist
Und auf den Lippen sich sein Herz zu oft vergisst:
So schicke jedermann den Mann von altem Schrote
In Kistlers Zeit zurück zum Karst und Roggen-Brote. 1
Wie aber soll man sein, daß man uns wohl gefällt?
Wie dort Pomponius, der freien Geister Held,
Der Schönen Augenmerk, der Jugend Sitten-Muster?
Zwar sein Verdienst kömmt meist vom Schneider und vom Schuster,
Paris ziert selbst sein Haupt, weil eine mindre Stadt
Nicht Kunst noch Puder gnug für kluge Hirner hat.
In mancher Banque hat sein Muth das Glück besieget,
Wo oft sein halbes Erb auf einer Karte lieget;
Auch, wann bei später Nacht er wohl begleitet geht,
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Prangt seine Tapferkeit, wo niemand widersteht;
Erst wann, wie oft geschieht, nach einem langen Kampfe,
Sein Kopf ihm endlich schwillt von theurer Weine Dampfe,
Was ihm begegnet, bricht, wann Glas und Fenster kracht,
Die öde Straß erschallt und weh der armen Wacht!
An Flinten ohne Blei und hart-verbotnen Eisen
Wird, was er Feinden spart, sein kluger Muth beweisen.
Dann endlich er ist jung, was soll er immer thun?
Er schläft ja zum Mittag, er kann nicht länger ruhn;
Arbeiten darf er nicht, er würde sich entadeln;
Und lesen will er nicht, er mag nicht immer tadeln;
Bei Frauenzimmer muß man zu gezwungen sein;
Was thät er ohne Spiel und Mädgen und den Wein?
Zu dem, die Ehr ist ja der Abgott seiner Sinnen,
Man kann von ihm getrost, mehr als er hat, gewinnen;
Sein erstes Gold fliegt hin und zahlt die Ehren-Schuld,
Der Handwerks-Mann nährt sich indessen mit Geduld,
Der Gläubiger vernutzt die unterwiesnen Thüren,
Und ein erzürnter Blick heißt Arme ferne frieren.
Wie herzt er jenen nicht? Wie stark umarmt er ihn?
»Dein Glück ist meines auch, wann einst ich glücklich bin!«
Der Herzens-Freund geht fort und segnet oft im gehen
Die Stunde, da sie sich zum erstenmal gesehen.
Wann aber in der Noth er zum Patron sich kehrt,
Was er ihm zugeflucht, im zehnten Theil begehrt,
So wird ein: »Itzt noch nicht«, ein: »Wann« und öfters »Morgen«,
Vielleicht was gröbers auch, ihn selber heißen sorgen.
Wie strahlt nicht dort sein Geist und strömt in Einfäll aus?
Wie lacht und lobt man nicht? doch ändert nicht das Haus,
Zwei Thüren weit davon, wird, wie ein Fisch im Sande,
Er, fern von seinem Volk, ertrocknen am Verstande;
Wann die Gesellschaft nicht bei Zoten lachen will,
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Wo man Vernunft begehrt, da steht sein Witz ihm still.
Doch trotz dem Grillen-Kopf, der ihn zu tief ergründet,
Wann nur ein hold Geschlecht ihn liebenswürdig findet!
Wie sieghaft geht er nicht mit seinen Schönen um?
Sie, und was ihres ist, sind bald sein Eigenthum,
Und wann sein eckel Herz nicht güldne Fessel halten,
Wird mitten im Genuß sein Feuer bald erkalten.
Auch so wird, Käfern gleich, die von der Rose fliehn
Und nach dem nächsten Aas mit heiserm summen ziehn,
Er bald zum Kätgen gehn, das, mit beschmutzten Küssen,
Den Brand, den Iris zeugt, ums Geld wird löschen müssen:
Dann Glauben und Natur, Gesetz und Sittlichkeit
Sind feiger Herzen Furcht, wovon er sich befreit;
Sein Freund, sein Herzens-Freund, wird nicht von ihm gescheuet,
Wann den ein artig Weib, ein reines Kind erfreuet;
Findt der Verführer Gunst, er kühlet seine Lust
Und drücket unbereut den Dolch ihm in die Brust.
Pfui! von dem Ehrenmann, wird jener Alte schwören,
Den jungen Taugenichts soll solch ein Titel ehren?
Nein, fragst du nach Verdienst, so sieh den Porcius!
Er ists, bei dem man sich zum Manne modeln muß.
Steif, ehrbar, ordentlich, in seinem thun bedächtlich,
Gewirbig, zum Gewinn war nie ein Weg verächtlich;
Er ist aus Vorsicht keusch, bricht ihm und andern ab
Und lässet ohne sich ja keine Leich ins Grab.
Sein Kirchen-Stuhl wird eh, als er, der Predigt fehlen,
Kein Wechsler wird das Gold, wie er die Münzen, wählen.
Wer ist, der so, wie er, die Marchzahl-Tafel weiß,
Die Geld-Tags-Rechte kennt und der Gerichte Preis?
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Auch hat er Stadt und Land schon manchen heißen meiden,
Wo vierzig Jahr hernach er hätte können leiden.
Vorsichtig häuft er Korn auf ferne Theurung hin,
Und allgemeine Noth macht er sich zum Gewinn.
Wie weislich hat er dort in Ernte-Zeit geschnitten!
Er führt das Schwert des Rechts und zürnt auf böse Sitten;
Aus Reichthum schlemmt der Baur, und Frevel kömmt vom Schmaus:
Das Uebel reutet er mit sammt der Wurzel aus!
Erhebt den theuren Mann, ihr Bürger, in die Wette!
Nicht daß, wann ihr ihm fehlt, er sich vergessen hätte;
Wann nicht Verdienst allein das Glück erfliegen kann,
Setzt List und Dreistigkeit ihm andre Flügel an.
Der Großen Gleichgewicht, die Kenntniß von den Stämmen, 2
Verheißung, Gegendienst, bespähen, drohen, schlemmen,
Vielleicht was baarers noch, ist wahre Herrschafts-Kunst,
Die hebt uns aus dem Staub und zwingt des Schicksals Gunst!
Wer tadelt ihn zuletzt? Die unter seinen Füßen
Mit stummem Neide schmähn und doch ihn ehren müssen!
Jedweder sorgt für sich, ein Weiser ist sein Stern,
Zu eckel wird nicht satt, und Thoren darben gern!
Doch angenommner Scherz weicht allzu wahren Schmerzen,
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Ein großes Uebel schweigt, bei kleinen kann man scherzen.
Verderbniß untergräbt den Staat mit schneller Macht,
Und übern Clodius hat Cato nicht gelacht.
O Zeit! o böse Zeit! wo Laster rühmlich worden!
Was fehlt uns, Rom zu sein, als ungestraft zu morden?
Nein, also war es nicht, eh Frankreich uns gekannt;
Von unsren Lastern war noch manches ungenannt;
Die Ueppigkeit war noch durch Armuth weggeschrecket,
Und Einfalt hielt vor uns manch feines Gift verdecket;
Glückselig waren wir, eh als durch öftern Sieg
Bern über Habsburgs Schutt die Nachbarn überstieg;
Der Mauren engen Raum bewohnten große Seelen,
Sie waren ohne Land, doch fähig zum befehlen;
Es war ein Vaterland, ein Gott, ein freies Herz;
Bestechen war kein Kauf, Verrätherei kein Scherz.
Itzt sinken wir dahin, von langer Ruh erweichet,
Wo Rom und jeder Staat, wenn er sein Ziel erreichet.
Das Herz der Bürgerschaft, das einen Staat beseelt,
Das Mark des Vaterlands ist mürb und ausgehölt;
Und einmal wird die Welt in den Geschichten lesen,
Wie nah dem Sitten-Fall der Fall des Staats gewesen. 3

Fußnoten

1 Ein merkwürdiger Mann in der Republik, der An. 1470 gelebt hat.

2 Diese Künste in meiner vaterländischen Republik lassen sich für einen Fremden nicht leicht erklären.

3 Die traurige Begebenheit des 1749 Jahrs ist eine betrübte Erfüllung dieser Weissagung. Sie ist der Freunde und der Feinde Nachricht zu Folge eine Frucht der überflüssigen Pracht und Verschwändung, der versunkenen Sittenlehre und verlornen alten Bürgerliebe.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Haller, Albrecht von. Gedichte. Versuch Schweizerischer Gedichte. 11. Der Mann nach der Welt. 11. Der Mann nach der Welt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-339E-C