[47] [49]Der Buchstabe Se.

1.

Bin ich's wirklich, der sein Auge
Um den Freund zu schau'n erschliesst?
O wie dank' ich dir, Vermittler,
Der so hold dem Diener ist!
Wen das Unglück zwingt zu bitten,
Rein'ge sich vom Staube nie:
Erdenstaub im Gau der Bitte
Ist der Wünsche Alchimie.
Weil, o Aug', ein Paar der Thränen
Einst im Schmerze dir entfiel,
Treibst du mit des Glückes Wange
Nun ein stetes Liebesspiel.
Wenn mit Herzblut der Verliebte
Sich zu reinigen verschmäht.
Hält der Mufti wahrer Liebe
Nicht für giltig sein Gebet.
Lenke von des Weges Mühen
Nicht den Zügel ab, o Herz:
Denn der wahre Mann des Pfades
Kennt kein Auf- und Niederwärts.
Lässt der West, der Zwischenträger.
Einen Vortheil mich erschau'n?
Der Zipresse, der geraden,
Ist ja selbst hier nicht zu trau'n.
Greif' in diesem Ort des Scheines:
Nach dem Becher nur mit Wein,
Spiel' in diesem Spielerhause
Nur der Liebe Spiel allein!
[49][51]
Zwar bedürfen deine Reize
Fremder Liebe nicht zum Glück,
Doch von diesem Liebesspiele
Kehr' ich sicher nicht zurück.
Mach' ich dir, was ich erdulde
Durch den Brand des Innern, kund?
Frag' die Thrän' um die Geschichte,
Denn ich bin kein Schwätzermund.
Mit der Schönheit wollte kosen
Fürst Măhmūd; denn er besass
Glückesschönheit und bedurfte
Nicht der Locke des Ăjās.
Wenn Năhīd Ghasele singet,
Erntet sie wohl nimmer Lob
An der Stätte, wo Hafisens
Laute Stimme sich erhob.

[51] [53]2.

Tausend Dank, dass ich dich wieder
Ganz nach eig'nem Wunsch geschaut,
Dass in Reinheit und in Treue
Du mein Herz dir angetraut!
Unglückspfade nicht zu meiden
Halten Wanderer' für Pflicht:
Wer ein Mann des Pfades heisset
Denkt an Berg' und Thäler nicht.
Vor des Neiders Forscherblicken
Birgst du deinen Gram mit Recht:
Denn die Brust des Grollerfüllten
Nähret das Vertrauen schlecht.
Sei zum Dank, dass der Geliebte
Den Gesellschaftssaal erhellt,
Gleich der Kerze, die, misshandelt,
Brennt und doch sich heiter stellt.
Tausche um ein halbes Küsschen
Des Beherzten Segen ein:
Denn dies wird dir Leib und Seele
Von des Feindes List befrei'n.
Was ich schon um dich gelitten.,
– Mein Gesicht beweist es klar –
Könnt' ich, o Ăssāf, dir schildern
Nur in einem langen Jahr.
Es erschallen Liebestöne
In Irāk und in Hědschās,
Singt Hafis mit lauter Stimme
Seine Lieder in Schĭrās.

[53] [55]3.

Sel'ge Nacht, in der du nahest,
Hundertfältig schmeichelnd mir,
Dann mit Schalkheit spröde thuest,
Und ich flehend steh' vor dir!
Bleibt wohl Knospen gleich verschlossen
Was mein armes Herz verhehlt,
Wenn es zum Geheimnisshüter
Sich den Morgenwind erwählt?
Was vom hohen Glück ich hoffte
Stellt' in deinem Wuchs sich dar,
Und mein Wunsch vom langen Leben
Lag in deinem Lockenhaar.
Wie die Kräuslerin des Schicksals
Doch so listig ist und fein!
Reibt sie Seinem Schelmenauge
Noch das Schwarz der Anmuth ein!
An wieviele Herzenspforten
Pocht' ich nicht in heisser Qual.
Hoffend in den langen Nächten
Auf der Liebe Morgenstrahl!
Magst du mich auch hart behandeln,
Quält mich auch der Neider sehr,
Dem Gefangenen der Liebe
Füllt kein langes Unglück schwer.
Ruhe schenkt der Ost dem Geiste,
Wenn die Rose wiederkehrt;
Gottes tausendfachen Segen
Ist ein solcher Schwätzer werth.
Staub, der mein Gemüth belastet,
Macht des Feindes Auge blind;
Wirf, Hafis, dich auf die Erde,
Brenn, doch scheine frohgesinnt!

[55] [57]4.

Nach dem Wege zu der Schenke
Sieht man die Verliebten zieh'n,
Betend was die Pilger beten,
Ziehen nach Hědschās sie hin.
Fern von dir, war wie erstorben
Für die ganze Welt mein Blick:
Doch die Hoffnung deiner Nähe
Gab das Leben mir zurück.
Nimmer nah' ich andern Pforten,
Komm' vom hohen Freund ich her:
Nun die Ka'ba ich gefunden,
Dien' ich keinem Götzen mehr.
Eine solche Nacht begehr' ich
Morgens vom Geschicke nur,
Die mir gönne dir zu sagen
Was mir Alles widerfuhr.
Wenn, Hafis, du gleich der Kerze
Glühst für jenen Mond im Zelt.
Steh', wie sie auch, festen Fusses
Und blick' ruhig in die Welt!

[57] [59]5.

Zum Gelag' im Rosenhaine
Kam die Rose, eine Braut;
Doch wo weilt der holde Sprosser?
Sein Gesang ertöne laut!
Herz, du solltest nimmer klagen
Über Trennung, weil die Welt
Gram und Freude, Dorn und Rose,
Thäler und Gebirg' enthält.
Krumm aus Gram, gleich einem Bogen,
Halt' ich doch an Jenem fest,
Der den Bogen seiner Brauen
Wimpernpfeile schleudern lässt.
Deine krause Locke machte
Meines Herzens Wirren kund:
Doch, was Wunder? Ist der Moschus
Doch bekannt als Schwätzermund.
Mein Gesicht auf deine Schwelle
Legt' ich, Tollherz, nicht erst heut,
That's in Gluth und im Gebete
Schon von aller Ewigkeit.
Eb'ne Wege oder steile
Nimmt Hafis in gleichen Kauf,
Denn gleich flink schwingt sich der Vogel
Über Berg' und Thäler auf.

[59] [61]6.

Komm, dass in das Herz, das wunde,
Wiederkehre Kraft und Muth;
Komm, dass in den todten Körper
Wiederkehre Lebensgluth!
Komm, denn deine herbe Trennung
Schloss so fest das Auge mir,
Dass nur wieder deine Nähe
Siegreich es eröffnet mir!
Bluten macht mein Herz ein Kummer,
Der dem Negerheere gleicht,
Doch den heitern Griechenschaaren
Deiner Wangen wieder weicht.
Was ich immer zur Beschauung
Vor des Herzens Spiegel hielt,
Zeigte mir nur immer wieder
Deiner holden Reize Bild.
Nach dem Spruch: »die Nacht ist schwanger,«
Zählte ich, entfernt von dir.
Jeden Stern, ihn wieder fragend
Was die Nacht gebäre mir?
Komm, auf dass der holde Sprosser,
Wohnend in Hafisens Brust.
Wieder singe, freudig ahnend
Deines Rosenhaines Lust!

[61] [63]7.

O Zipresse spröder Schönheit,
Deren Gang so reizend ist!
Liebende mit hundert Bitten
Nahen dir zu jeder Frist.
Dich beglücke deiner Schönheit
Ehrenkleid; – seit ew'ger Zeit
Wurde dir, Zipressenschlanker,
Angepasst der Reize Kleid.
Wen die Sehnsucht nach dem Dufte
Deines Ambrahaar's beschlich,
Brenne wie die Aloe brennet,
Aber stelle heiter sich.
Durch des Nebenbuhlers Lästern
Nimmt mein inn'rer Werth nicht ab,
Wenn man auch dem Mund der Scheere
Gleich dem Gold mich übergab.
Es verbrennt das Herz des Falters,
Nahet er dem Kerzenlicht,
Und das meine schmilzt, erblick' ich
Deine lichte Wange nicht.
Dieses Herz, das kreisen lernte
Um die Ka'ba deines Gau's,
Will nicht nach Hědschās und sehnet
Sich nach deinem heil'gen Haus.
Frommt es mir, wasch' ich beständig
Mich mit Herzensblute rein?
Nur in deiner Brauen Nische
Kann mein Beten giltig sein.
Jener Ssofi, der da gestern
Fern von dir den Wein verschwor,
Brach sein Wort, sobald er wieder
Offen sah der Schenke Thor.
Fröhlich naht Hafis dem Kruge,
Händeklatschend und berauscht,
Weil dem Bechermund er Abends
Ein Geheimniss abgelauscht.

[63] [65]8.

Was von deiner Lippe ich begehrte
Hat sich noch zur Stunde nicht erfüllt;
Was mir dein Rubinenglas liess hoffen
Hat den Durst mir immer noch gestillt.
Ich verlor aus Lust nach deinen Locken
Meinen Glauben schon am ersten Tag;
Wie's bei solchen schwarzen Nachtgedanken
Mir zuletzt wohl noch ergehen mag?
Gib von jenem feuerfarb'nen Wasser
Mir ein Schlückchen, Schenke! Bin ich doch
Unter Jenen, die durch deine Liebe
Gar geworden, stets ein Roher noch.
Weil ich Nachts einst irrig deine Haare
Mit dem Moschus aus Chŏtēn verglich,
Hält ein jedes Haar auf meinem Leibe
Immer noch das Schwert gezückt auf mich.
Auf des Seelenfreundes Lippe schwebte
Eines Tag's mein Name aus Verseh'n,
Wesshalb noch bei meines Namens Nennung
Seelendüfte Liebende umweh'n.
Deinen Wangenschimmer sah die Sonne
Einst in meinem einsamen Gemach;
Darum wandelt sie, gleich einem Schatten,
Immer noch auf meinem Thor und Dach.
Dein Rubinenmund, der holde Schenke,
Reichte mir vor allem Urbeginn
Hefe aus so wirkungsvollem Glase,
Dass davon ich ganz betäubt noch bin.
Der du sprachst: »Entäuss're dich der Seele
Und zur Ruhe kömmt dann wohl dein Herz!«
Nimmer noch ist Ruhe mir geworden,
Weiht' ich auch die Seele Seinem Schmerz.
Die Geschichte deines Mundrubines
Schrieb dereinst Hafisens Schreibe-Rohr:
Darum quillt mir aus den Schreibe-Rohren
Immer noch ein Lebensquell hervor.

[65] [67]9.

Wer erzählt die Leiden wieder,
Die ein blutend' Herz empfand?
Wer begehrt das Blut des Fasses
Wieder von des Himmels Hand?
Vor dem Aug' der Weinverehrer
Fühle sich von Schaam durchglüht
Die betrunkene Narzisse,
Wenn im Lenz sie wieder blüht.
Nur der Wein, der gleich dem Plato
Immerdar im Fasse lebt,
Sagt mir das Geheimniss wieder,
Das die Weisheit tief vergräbt.
Jedermann, der gleich der Tulpe
Kreisen liess den Weinpocal,
Wasche nur mit Blute wieder
Das Gesicht ob dieser Qual.
Heimlich stimmte schon die Harfe
Manches Lied der Klage an:
Drum beraube sie der Haare,
Und nicht wieder ächzt sie dann.
Wie die Knospe sich erschliesset,
So erschliesst mein Herz sich auch,
Wenn der tulpengleiche Becher
Wieder spendet süssen Hauch.
Um das heil'ge Haus des Fasses
– Wenn die Kraft es ihm erlaubt –
Hält Hafis den Umgang wieder:
Wär' es selbst auf seinem Haupt.

[67] [69]10.

Auf, und giess der Freude Wasser
In der Schale helles Gold,
Noch bevor uns Modererde
Aus des Hauptes Schale rollt!
In dem Thale der Verstummten
Wohnen alle wir zuletzt:
Drum zum Himmelsdom erhebe
Laute Jubeltöne jetzt!
Eines Seelenfreundes Wangen
Naht ein trübes Auge nicht:
Nur aus einem reinen Spiegel
Blicke auf sein Angesicht!
Grünbewipfelte Zipresse!
Werd' ich einst des Staubes Raub,
Nimm den Trotz aus deinem Haupte
Und beschatte meinen Staub!
Meinem Herzen, wund gebissen
Von der Schlange: deinem Haar,
Reiche hold in deiner Lippe
Terjak, der es heile, dar!
Das Besitzthum dieses Feldes
Hat – du weisst es – nicht Bestand:
Setze durch das Herz des Glases
Jeglichen Besitz in Brand!
Thränen dienen mir zur Waschung:
Sagt doch jeder Ordensmann:
»Erst wenn du dich selbst gereinigt,
Blicke jenen Reinen an!«
Herr! dem dünkelvollen Frömmler,
Der nur sieht der Fehler Schmach,
Trübe du der Einsicht Spiegel
Mit dem Rauche eines Ach!
Reiss' dein Kleid entzwei, gleich Rosen,
Weht, Hafis, Sein Duft dich an,
Und dann wirf es, so zerrissen,
Jenem Flinken auf die Bahn!

[69] [71]11.

Jener, der das Herz mir raubte,
Ist ein Wühler Lulis gleich,
Hält sein Wort nicht, ist ein Mörder
Und an Ränken überreich.
Dem zerriss'nen Hemd der Schönen
Sei'n zu Tausenden geweiht
Falscher Gottesfurcht Gewänder,
Kutten der Enthaltsamkeit!
Dankbar für den Ball der Schönheit,
Den man dir vor Engeln gab,
Fordere ein Glas und schütte
Rosennass auf Adam's Grab!
Krank kam ich zu dir und dürftig:
Habe Mitleid denn mit mir;
Kein Geschenk kann ich dir bieten,
Als die Liebe nur zu dir.
Mich erkauft nur jene Rede,
Die zur Flamme bringt die Glut
Und des Wortes helle Gluthen
Nicht begiesst mit kalter Fluth.
Komm, denn gestern in der Schenke
Rief mir eine Stimme zu:
»Halte fest an der Ergebung;
Nicht entfliehst dem Schicksal du!«
Sei nicht stolz auf eig'ne Kräfte:
Lehrt uns doch die früh're Zeit,
Tausend Schicksalsmittel stünden
Zu der Kaiser Sturz bereit.
Knüpf an's Grabtuch mir den Becher,
Und am Morgen des Gericht's
– Naht der Tag der Auferstehung –
Schreckt mich Weingestärkten Nichts.
Zwischen Liebchen und Verliebten
Hat kein Hinderniss Bestand:
Auf, Hafis, geh' aus dem Wege,
Bist ja selbst dir eine Wand!

[71] [73]12.

Komm, und auf des Weines Strome
Lass mein Schiff von Stapel geh'n
Und in alt- und jungen Seelen
Lauten Jubelruf ersteh'n!
Wirf mich in ein Schiff, o Schenke,
Das mit Wein beladen man,
Denn es heisst ja: »Thue Gutes
Und in's Wasser wirf es dann.«
Da ich von dem Gau der Schenke
Einen falschen Pfad betrat,
O so leite du mich wieder
Gnädig auf den wahren Pfad!
Bring' von jenem rosenfarb'nen
Moschuswein ein Gläschen voll,
Und in's Herz des Rosenwassers
Wirf die Funken: »Neid und Groll!«
Bin ich auch gar wüst und trunken,
Könntest du doch gnädig sein
Und mit einem Blick mein wüstes,
Mein verwirrtes Herz erfreu'n.
Wenn um Mitternacht dich lüstet
Nach der Sonne hellem Licht,
Zieh' der ros'gen Rebentochter
Ihren Schleier vom Gesicht!
Übergib mich nicht der Erde,
Wenn ich einst gestorben bin,
Sondern trag' mich in die Schenke
Und zum Weinfass wirf mich hin!
Wenn, Hafis, des Himmels Härte
Dir zu viel zu dulden gab,
Sende auf den Diw der Leiden
Flammenhelle Pfeile ab!

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TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe Se. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2C7D-2