Karl Gutzkow
Richard Savage
oder
Der Sohn einer Mutter
Trauerspiel in fünf Aufzügen

Personen

[92] Personen.

    • Lady Macclesfield.

    • Viscount Marishal, ihr Schwager.

    • Lord Tyrconnel.

    • Lord Berwick.

    • Lord Winchester.

    • Richard Savage, berühmter Dichter.

    • Richard Steele, Journalist, sein Freund.

    • Miß Ellen, Schauspielerin.

    • Lord Oberrichter von England.

    • Toms, ein Schneider.

    • Kitty, seine Frau.

    • Haushofmeister der Lady.

    • Ein Bedienter der Lady.

    • Drei Bediente des Lord Tyrconnel.

    • Ein Bursche.

    • Ein Schauspieler.

    • Wachen. Masken. Bediente.

Vorwort

Vorwort.

Der Inhalt dieses am 15. Juli 1839 zum erstenmal in Frankfurt a.M. gegebenen Dramas weicht nicht viel von den historischen Daten ab, wie sie sich in Johnsons Leben der englischen Dichter über Richard Savage finden. Die Hartherzigkeit einer Lady Macclesfield, die ihren natürlichen Sohn verleugnete, hat manche Bearbeitung, im Roman und im Drama, in englischer und französischer Sprache, veranlaßt. Nur das Talent des früh verkommenen Sohnes, der einer Reihe vieler ihm ähnlicher Erscheinungen der englischen Literatur des vorigen Jahrhunderts angehört, war an sich geringer, als die Voraussetzungen eines ihn betreffenden Dramas, das fesseln sollte, anzunehmen geboten.

Auf dem Wiener Hofburgtheater war es früher nicht gestattet, den Schein zu dulden, als könnte eine Dame, die der ersten Gesellschaft angehörte, einen unehelichen Sohn haben. Infolgedessen verwandelte sich dort die Grausamkeit der Lady in die untrügliche »Stimme der Natur«; Richard Savage war – nicht der Sohn der Lady. Die Wirkung dieser Änderung muß eine peinliche gewesen sein. Dennoch wurde sie noch bei mehreren andern Bühnen eingeführt, namentlich da, wo sich Liebhaberinnen, die, trotz ihrer Annäherung an das ältere Fach, sich sträuben, schon einen so großen Sohn zu haben, zum erstenmal in der Darstellung von Mütterrollen versuchten.

Die Änderungen dieser neuen Bearbeitung erstrecken sich nicht so sehr auf den Szenenbau, der im wesentlichen der frühere geblieben ist, als auf die Motivierung und den Dialog. Namentlich ging früher die Kindlichkeit des Helden über das Maß dessen hinaus, was unser heutiger Realismus ertragen zu können glaubt. Vielleicht spielt den jungen Schwärmer einmal Fräulein Ziegler oder die Vestvali.

[93][95]

1. Akt

1. Szene
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Miß Ellen. Steele. Später Richard Savage.

MISS ELLEN.
Immer tadeln, nichts als tadeln! Glauben Sie denn, Steele, daß Sie sich damit bei mir empfehlen?
STEELE.

Schöne Freundin, wie können Sie das tadeln nennen! Sie spielten gestern die Herzogin Anna hinreißend, bewunderungswürdig; aber Sie würden sie noch vollkommener gespielt haben, wäre sich Gloster der Tiefe seines Charakters bewußt gewesen. Sie ließen den Degen, den Ihnen der Tyrann bot, ihn zu durchbohren, mit einer wunderbaren Wahrheit sinken, und dennoch schienen Sie nur anzudeuten, daß Sie der Ehrgeiz trieb, die Huldigung des mißgestalteten Mörders anzunehmen –

MISS ELLEN.

Sie werden doch nicht glauben, daß es Liebe sein soll, die die Herzogin diesem Scheusal in die Arme führt?

STEELE.

Liebe nicht, schöne Ellen; – was komm' ich mir so töricht vor, Ihnen erklären zu wollen, warum ein Weib die Schwächen eines Mannes vergessen kann! Richard der Dritte ist ein Ungeheuer, aber so ein geniales Ungeheuer, seine Reden sprühen einen solchen Übermut des gottvergessensten Menschentrotzes, daß in der Tat Anna über das Großartige seiner Bosheit diese selbst vergißt und in ihm jenen genialen Stolz liebt –

MISS ELLEN.
Der alle Männer so hinreißend macht!
STEELE.
Mit Ausnahme der Rezensenten.
MISS ELLEN.

Da haben Sie recht, darin ganz gewiß! Nein, nein, Steele, wenn Sie sich nur Ihr ewiges Tadeln abgewöhnen wollten! Hab' ich den Abend die Zuschauer durch mein Spiel [95] erwärmt, bin ich sogar mit solchen Lorbeern gekrönt, die mir mein eigenes Bewußtsein für etwas, was mir selbst gelungen erscheint, aufsetzt, träum' ich eine Nacht, wo ich nichts als klatschende Hände um mich zu erblicken glaube, so kommen Sie am folgenden Morgen und bringen mir den bittern Nachgeschmack meines Glücks. Sehen Sie unsern armen Freund! Nie übertreibt Savage, wie Sie, sein Lob, weil er nicht nötig hat, mich für die kleinen hinkenden Boten, die hinterherkommen, zu trösten. Nie bricht er so, wie Sie, mit Ausrufungen: Göttlich! Himmlisch! in mein Zimmer; denn dieser Vorposten bedarf er nicht, weil nicht ein ganzes Heer von Freilichs, Allerdings, Dennochs und Abers hinterherkommt –

STEELE.

Richard Savage, unser vortrefflicher Freund, ist alles, nur kein kritischer Kopf. Der erste Eindruck entscheidet bei ihm. Wie bei allen dichterischen Naturen gibt es für ihn nur Dinge, die ihn ansprechen, oder solche, die gar nicht für ihn vorhanden scheinen. Dem, was er nicht sogleich in eine bestimmte Form und Gestalt bringen kann, hängt er auch nicht nach und bewegt sich nicht, wie ich, in dem verworrenen Gebiete halber Schönheiten, halber Wahrheiten, unvollkommener Versuche und ermüdeter Anläufe, mit denen sich ein Kritiker beschäftigen muß. Ein guter dramatischer Künstler, liebe Ellen, muß mehr auf den Beifall des Verstandes als auf den der Phantasie geben.

MISS ELLEN.

Mit euerm Verstand, mit eurer Kritik! Wählt euch andere Gegenstände aus, um witzig zu sein; warum nur immer wir Schauspieler? Ihnen zumal, Steele, seh' ich es an, daß die ganze Bitterkeit, mit der Sie in Ihrem Journal unsere Bühne beurteilen, nur daher kommt, daß Sie unter uns Komödianten eigentlich nur die Minister verstehen. Weil Sie das Parlament nicht stürzen können, wollen Sie wenigstens Drurylane stürzen. Weil man im Kabinett des Königs Sie vergißt, sagen Sie, daß wir Akteurs vergeßlich wären, kein Gedächtnis hätten und schlecht auswendig lernten. Gäbe man Ihnen ein Portefeuille –

STEELE.

So würd' ich aus der Theaterherzogin von Gloster eine wirkliche machen. Doch kommen Sie, ich begleite Sie in den Shakespeareklub.

MISS ELLEN
vor einem Spiegel ihre Toilette ordnend.

Wie lebt denn unser guter Richard? So lange sah ich ihn nicht, und so gern hätt' ich über sein neues Stück und meine Rolle noch mit ihm gesprochen.

STEELE.

Denken Sie sich, mit welcher wunderlichen Grille [96] er sich seit einigen Tagen beschäftigt! Niemand kann seiner habhaft werden; in einer fortwährenden Bewegung rennt er die Straßen Londons auf und ab. Er will entdeckt haben, daß irgendeine vornehme Dame aus der höchsten Gesellschaft seine Mutter ist.

MISS ELLEN.

In der Tat! Das würde ihn sehr glücklich machen; denn Sie kennen ja die Melancholie, in die er zu verfallen pflegt, sooft das Gespräch auf seinen ihm gänzlich unbekannten Ursprung kommt. Immer hatte er die Ahnung einer vornehmen Herkunft, die sich selbst unter dem Druck der ärmlichsten Verhältnisse erhielt, in denen er erzogen wurde. Vater und Mutter hat er, wie er uns oft erzählte, nie gekannt, noch je erfahren können, wem er das Leben verdankt.

STEELE.

Die traurigste Erfahrung, die er und Sie wohl machen könnten, dürfte die sein, daß er – Mit einem Seufzer. Ihr Bruder wäre –

MISS ELLEN.

Sie wissen, Steele, daß ich unter allen Männern nur zwei lieben könnte; den einen nennen zu hören, wird Ihnen die Bescheidenheit verbieten, der andere ist unser Richard. Sie wissen, wem ich, wohlerwogen, den Vorzug geben würde, wäre Richard bei aller Glut seiner Empfindung fähig, überhaupt sein Herz einer weiblichen Einwirkung gefangen zu geben. Er ist es nicht, liebt nur unser Geschlecht im allgemeinen, und Sie wissen nur zu gut, Sinnend. daß Sie mein Herz erst aus der zweiten Hand besitzen –

STEELE.

Wenn Savages Empfindungslosigkeit gegen Frauen daher käme, daß er Vater und Mutter nicht kannte, wer weiß, ob er mit der Mutter nun nicht auch die Liebe fand –

MISS ELLEN.

Mir ist sein Gemüt ein Rätsel. Während Richard einige Sinne in überreizter Schärfe besitzt, fehlen andere ihm gänzlich. Nach einer Pause. Lebt er noch so wild und wüst in den Tag hinein?

STEELE.

Nein! Seit einigen Tagen ist er wie umgewandelt. Sah man ihn bisher nur im Umgang mit jenen wüsten Gesellen, die er in den Tavernen sich zu Freunden macht, ohne Unterschied, ob es Matrosen oder jüngere Söhne eines Pairs sind, so scheint er jetzt diese Lebensweise, wenn nicht zu bereuen, doch vergessen zu haben. Mit der Gewißheit, er werde seine Mutter entdecken, ist es, als wäre eine sittliche Verklärung über ihn gekommen, die aus seiner vielleicht angeborenen Anlage alles hervorzaubert, was von je, solange ich ihn kenne, an trefflichen Eigenschaften in ihm verborgen lag. Aus den Schlacken seiner bisherigen Aufführung glänzt jetzt nur noch das edle Metall seines Genies[97] hervor; ja selbst die Armut, aus der er früher fast eine Art Schaugepränge machte, wird von dem plötzlichen Adel seines Benehmens so verwischt, daß unsers neuen Gentlemans Wohnung niemand, es ist schrecklich zu sagen, in den ärmlichsten Winkeln der Vorstadt suchen würde, in die er sich jedoch jetzt nicht mehr mit dem alten Vergnügen an seinem Zerfall nächtlich verkriecht.

MISS ELLEN.

Entsetzlich, daß er vor der Teilnahme seiner Freunde von je ins Elend wie in sein wahres Element, wie in seine ihm traulichste Heimat flüchtete! Es ist edel, seinen Freunden keine Unbequemlichkeit schaffen zu wollen, aber grausam, ihr Gewissen zu vergiften und sie mit dem Gedanken zu quälen, daß sie nichts für ihn tun! – Aber Sie horcht auf. hör' ich nicht seine Stimme? Er ist's!

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Savage reißt die Tür auf und tritt schnell herein. Die Vorigen.

SAVAGE.

Steele! Dich sucht' ich überall! Mensch, alle wissen es, die Welt weiß es, und du noch nicht? Ich habe meine Mutter gefun den!

MISS ELLEN.
Nur ihm diese Botschaft?
SAVAGE.

Miß Ellen! Vergebung. Ich sah Sie nicht. Ihnen sag' ich den Namen: Lady Macclesfield! Legt Hut und Handschuhe ab.

MISS ELLEN.
Lady Macclesfield? Sie gibt in der großen Welt den Ton an.
STEELE.

Sie hat außer dem größten Dichter unserer Epoche auch die kleinen schneeflockenartigen Toupets auf die Welt gebracht, die vor einigen Wochen beim Kopfputz der Damen Mode wurden. Und auch du scheinst plötzlich in der vornehmen Welt den Ton angeben zu wollen! Jabot? Spitzen? Handschuhe? Schnallen an den Schuhen?

SAVAGE
wieder vortretend.

Freunde, noch weiß ich nichts von meiner Mutter, als daß sie ein Herz voll zärtlicher Liebe besitzen muß. Die Aussagen der Pflegeeltern, die mich erzogen, die Übereinstimmung der Zeugen, die ich reden ließ, die Kirchenbücher und Taufregister, die ich nachschlug, alles, alles kommt darin überein, daß ich der Sohn des Grafen Rivers bin, der so glücklich war, meiner schönen Mutter noch früher zu gefallen, ehe er um ihre Hand anhielt. Er erhielt sie nicht, weil er – starb. Er starb auf der Höhe seines Glücks. Nur die Bewerbung des Lord Macclesfield verhinderte, daß ich, heimlich geboren, [98] in die Rechte meiner Geburt eingesetzt wurde. Ich kam in die Hände meiner Pflegeeltern, unter die Aufsicht gewissenloser Vermittler, die mich um meine Geburt, meine teure Mutter um ihren Sohn betrogen. Für jede Träne, die meine Mutter, als sie meine Spur verlor, um mich weinte, sollen diese Elenden, die das Märchen meines Todes erfanden, einen Tropfen ihres Blutes zahlen! Daß man mir den Lord stahl, konnte der künftige Dichter ertragen, der sich mit einer Shakespearen, dem Schwan von Avon, ausgerupften Feder seinen eigenen Adelsbrief schreiben durfte; aber daß man mir die Mutter stahl, meine Jugend zu einer duftlosen Blume, mein Herz zu einer wehmütigen Einöde machte, in die kein Strahl der zärtlichsten Liebe, die es gibt, der Mutterliebe, fiel – die Größe dieses Raubes kann man nur begreifen, wenn man die Seligkeit meines Besitzes versteht, der jetzt mich sagen läßt: Sie ist gefunden, sie, die mir das Leben gab!

MISS ELLEN.
Sie schwärmen für Ihre Mutter wie für eine Geliebte.
SAVAGE.

Es geht mir ein ganz neues Leben auf! Bisher hab' ich geträumt, jetzt erwach' ich. Der Schlüssel, der zu den verworrenen Noten meines Daseins fehlte, ist gefunden; nun sind es die göttlichsten Harmonien, in denen die toten Chiffren der Vergangenheit Leben gewinnen. Was ich hoffte, was ich wollte, hat sonnenhelle Beleuchtung; der Punkt ist da, von dem aus sich mir das Leben wie eine geordnete und glücklich begrenzte Landschaft darstellt; und das Weib, Ihr Geschlecht, Ellen, das die eine Hälfte des Weltlebens ausmacht, wie sich die Zeit in Tag und Nacht spaltet, in dem schönern Dufte der Blume, in den geregeltern Wallungen des Herzschlags, in den gewiegter und voller werdenden Begriffen und Gedanken geht es mir auf! Nun entdeck' ich, daß alles einen Schatten werfen muß, jedem Ton ein Echo nachklingt, jedes Verhältnis des Daseins sein Gesetz und seine Schönheit hat.

STEELE.

Eine Stelle aus einem seiner nächsten Schauspiele! Ich hoffe, es enthält mehr Handlung, als worauf diese Blumen der Diktion schließen lassen. Hast du bereits einige Anstalten zu deiner Anerkennung als Lord Rivers getroffen?

MISS ELLEN.

Wenn Sie sich geirrt hätten, Richard,Bittend. würde Ihnen diese wunderbare Bezauberung Ihres Wesens bleiben?

SAVAGE.

Irren? Irren? Greift einen Pack Papier aus der Tasche. Haha! Seht da, Freunde, hier sind Briefe und Siegel! Wenn wir so gewiß von den Toten auferstehen, wie ich meine Mutter [99] gefunden habe, dann würde sich, bei Gott! alles, was getauft ist, wirklich in Heilige verwandeln. Hier, Steele! Hier lies! ewiger Widersacher, der du einst auf deinem Sterbebett noch dem Tod den Puls fühlen und seine Berechtigung, sich in die Angelegenheit der Menschen zu mischen, bezweifeln wirst! Gibt ihm die Papiere. Hier! Prüfe jeden Buchstaben, nimm an, es wär' ein alter Schriftsteller, dessen Echtheit du Silbenstecher zu beweisen hättest; spare die Mühe nicht, den Punkt auf dem i zu untersuchen – du wirst finden, was ich gefunden habe – eine Mutter! Ich schreibe Ihnen ein Stück, Miß Ellen, worin Sie die Mutter der Gracchen spielen sollen!

MISS ELLEN.
Seit wann wissen Sie dies außerordentliche Glück?
SAVAGE.
Daß es Lady Macclesfield ist, erst seit gestern.
MISS ELLEN.

Und Sie eilten nicht sogleich, sich ihr zu Füßen zu werfen? Freilich, gestern war ein großer Ball bei der vornehmen Dame.

SAVAGE.

Ich gesteh' Ihnen, Miß, noch kann ich eine gewisse Zaghaftigkeit nicht überwinden. Hundertmal stand ich seit gestern vor ihrem prächtigen Hause und blickte auf die Fenster, die fast die ganze Nacht erleuchtet waren. Die Klänge der Musik, denen ich mit verzaubertem Ohr lauschte, stimmten mich so wehmütig, daß ich abwechselnd über mein Glück lachen und weinen mußte. Ich schlich mich leise dicht an das Portal und drückte mit kindischer Freude meine Lippen – lächeln Sie nur! – an die marmorne Schwelle. Miß, wie ein Kind auf Weihnachten sich freut und zitternd vor Erwartung in der dunklen Stube lauscht, bis sich, von hundert Lichtern bestrahlt, das Geheimnis der Bescherung öffnet, so steh' ich mit banger Freudigkeit und wag' es noch nicht, dem Glück, das mir der Himmel schenkte, ins Antlitz zu sehen.

STEELE
der inzwischen mit den Papieren beschäftigt war.

Bei Sankt Patrik! würde Hamlet sagen – es ist kein Zweifel, diese Papiere sprechen wie aus einem Munde für die Richtigkeit dieser interessanten Entdeckung. Daraus ließe sich ebensosehr ein Roman wie – ich lege Nachdruck darauf – ein Prozeß machen, der gewinnen muß.

SAVAGE
die Papiere Miß Ellen gebend.

Prozeß! Die Sache ist so gewiß wie Shakespeares Unsterblichkeit! Ich zögere nicht länger. Heut noch geb' ich der Mutter ihren Sohn zurück.

MISS ELLEN.
Sind Sie so gewiß, Richard, daß Ihre Mutter die Entdeckung eines Fehltritts ihrer Jugend gern sieht?
[100]
SAVAGE.
Eine Frau, die mich gebar, muß ein gro ßes Herz haben.
STEELE.

Und einen so kleinen guten Ruf, daß freilich davon nicht mehr viel weggenommen werden kann. Wenn sie nur wenigstens deine Schulden anerkennen wollte! Hm, hm! Lady Macclesfield? Lieber Freund, ich befürchte, du dürftest ihr als Liebhaber willkommener sein denn als Sohn.

SAVAGE
sich über Miß Ellen lehnend und mit ihr die Papiere prüfend.

Wie ihr doch so klug seid und der geifernden Zunge der Gerüchte nachsprecht! Gut! Laßt sie eitel und kokett sein! Wer weiß, warum sie es ist! Die echte Seelenlehre hat noch keiner von euch Moralisten geschrieben! Scheut sie sich, offen zu bekennen, daß sie durch einen Fehltritt ihrer Jugend die Mutter des armen Richard Savage wurde –

STEELE.

Des berühmten Homer der Vorstädte, des Sophokles der Schenken, des Verfassers eines die Schauspieler von Drurylane jetzt mit seinen dithyrambischen Bildern quälenden Dramas, namens Overbury

SAVAGE.

Der auf die Nachwelt kommen wird trotz deiner Wochenschrift –! – so muß mein Glück der Welt leider verborgen bleiben. Ich werde dann nur noch ihr Sohn in der trauten Einsamkeit – ihres verborgensten Gemachs sein –

STEELE.
Falls du dies nicht von einem ihrer jüngern oder ältern Freunde besetzt findest.
SAVAGE
aufblickend und sich von den Papieren entfernend.

Karikiere nur zu! Immer an der Wand die Kontraste des Lächerlichen! Ätzender Verstand, dessen Scharfsichtigkeit zuletzt blind werden muß, weil er durchaus an jedem Dinge sehen will, daß es zwei Seiten hat! Wenn sie nun das Feuer ihrer Jugend auch noch für ihr Alter bewahrt hat? Wenn sie nun auch gern den Becher der Freude an ihre Lippen setzt und nach den Rosenblättern hascht, die auf dem Weine schwimmen? Sie ist die Mutter eines Poeten! Leider, dessen Torheiten, dessen jetzt freilich endende, regellose und verkehrte Eingebungen müssen irgendwo herkommen. Lord Rivers, mein Vater, wer mag's gewesen sein? Nicht unmöglich ein Gentleman, dessen Philosophie über die Schleife seiner Krawatte nicht hinausging, und der meine geniale arme Mutter vielleicht nur durch eine Locke verführte, die er sich am linken Ohre schön zu drehen wußte. Lord Macclesfield? Der deckte mich, die Leiche meines Vaters und die Tränen meiner Mutter vielleicht mit einer Grafschaft und dem schönsten Palaste Londons. Meine Mutter war eine geborene Mason, aus dem Geschlechte jenes Douglas Mason, der in der Sporenschlacht fiel. [101] Wenn sie nun, wie eine Biene, frei über die Hecken und Zäune der alltäglichen Konvenienz hinausschwärmt und den Honig ihrer Zelle dorther entnimmt, wo sie ihn findet, wird sie, die kühne, edle Frau, nicht um so gewisser meine Mutter sein?

MISS ELLEN
die Papiere, nachdem sie darin geblättert, zurückgebend, innig.

Richard, möge das letzte Siegel, das auf diese Papiere gedrückt wird, der Kuß Ihrer Mutter sein! Möge die stolze Frau, der Sie das ganze Feuer Ihres edlen Herzens zuwenden, den Himmel nicht verschmähen, in welchen die Liebe eines solchen Sohnes versetzen muß! Mit einem unterdrückten Gefühl. Kommen Sie, Steele, es ist Zeit, daß wir in die Sitzung gehen.

SAVAGE
ihre Hand küssend.

O Miß, Sie sind so gut! Auch du, Steele Ihm die Hand gebend. tau' aus deinem Froste auf, wenn ein Sonnenstrahl aus dem Glücke deines Freundes auf dich fällt! Ich bleibe einen Moment noch in Ihrem Zimmer, Miß; ich habe einige Briefe zu schreiben und sehe auf Ihrem Tische Schreibzeug. Ich lese Ihnen nichts.

MISS ELLEN.

Lesen Sie, Richard! Sie würden in der Stimmung, wo Sie jetzt nur von einem einzigen Gedanken beherrscht sind, mein TodesurteilLächelnd. – wenn es dort läge – nur für eine Rechnung der Wäscherin halten –

STEELE.

Oder für seinen Stammbaum, der hochgeborene Junker! Heut' abend nach der Vorstellung in Drurylane doch wohl noch – in der Anker-Tavern? Du mußt noch einige Stellen in deinem Stück ändern, wenn ich sie nicht empfindlich angreifen soll. Kommen Sie, Miß!

MISS ELLEN
nimmt Steeles Arm.
Beide ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Savage allein.

SAVAGE.

Ich schäme mich, es offen zu sagen; in diesem Augenblick bin ich ein Kleiderschrank; mein Kopf ist ganz mit Gegenständen der Garderobe angefüllt –; ein Billett an den königlichen Schneider auf dem Westminstersquare. Ich muß mich in eine modische Kleidung werfen! Kredit soll man mir schon gewähren, da ich ja Er schreibt. – sagen werd' ich es nicht – aber mit einem stolzen, zuversichtlichen Blicke zeigen – – der Sohn – – meiner Mutter bin! Auch eine anständige Wohnung werd' ich mieten, um sie nicht zu betrüben, die nur an Glanz gewöhnte Frau. Sie soll nichts davon wissen, daß ich mir im Winter oft nur – durch den prometheischen Funken meiner Phantasie [102] einheizen konnte. Im Schreiben. Nichts erschien mir von jeher schändlicher, als mit seiner Armut andern Leuten dicht unter die Augen treten und sie in der Harmlosigkeit ihres Daseins durch einen Jammer stören, dem sie nicht immer abhelfen können! – Diesen Brief an den Hebräer Matthews, dem ich – er ist verschwiegen wie ein Beichtvater – meine Papiere gezeigt habe – ich brauche Geld; meine Mutter wird ihre Schatulle öffnen und sagen: Richard wähle; Gold, Silber oder Papier, was dir besser gefällt! – – Und diesen Zettel an die Wirtin Zum goldenen Kamm, wo ich genug geschoren wurde; sie soll ihre Rechnung machen, nie wieder werd' ich in ihre räucherige Höhle kommen und mich an dem Anblick von Matrosen ergötzen, mit denen ich nur umging, um mich zu trösten, daß ihre Verworfenheit doch noch tiefer stand als – – mein Elend! Steht auf. Wie hat sich das nun alles verändert! Ich trete wie aus dem dunklen feuchten Schacht einer Kohlengrube an das helle Tageslicht der Sonne, und meine Augen – zucken mir noch, da sie an so viel Glanz, Hoffnung und selige Gewißheit nicht gewöhnt sind. Wie wird sie mir Mut zusprechen müssen, die herrliche Frau, wenn ich vor sie treten und nichts werde stammeln können – als: Mutter! Sie wird denken müssen für mich, handeln für mich, reden für mich, ich werde nur lachen und weinen können – – – Und komm' ich denn auch so elend, wie der boshafte Neid des Schicksals es wollte? Ich habe meine Widerwärtigkeiten durch mein Talent übersprungen und lege ihr einen Lorbeerzweig unangetasteten Dichterruhmes zu Füßen und kann sagen: So klomm ich in die Höhe, nicht ahnend, wem dereinst zur Ehre! Ich schenk' ihr nicht einen jungen Wüstling aus Bath, dem tausend Gläubiger die Haare seines Hauptes gezählt haben, und der noch mehr durch geisti gen Bankrott erschöpft an der Schwelle ihres Hauses niedersinkt; ich schenk' ihr nicht einen Klotz von Menschen, den die Natur fleischfarben anstrich und auf dem Rücken mit irgendeinem obskuren Namen stempelte, damit er nicht mit andern verwechselt werde. Sie wird meine Schriften kennen, sie wird wissen, was Steele, Addison, Johnson über mich geschrieben haben; sie wird wissen, daß ich nicht zu den Schriftstellern gehöre, die, um genial zu erscheinen, nur ihre Empfindungen mit wahnwitziger Konsequenz durchsetzen oder sie, um sie wahrscheinlich zu machen, mit den Lackfarben einer schreienden Natur überpinseln, oder wohl gar zu solchen, die mit dem Zwerchsack ihres Selbstlobes von einem Journalisten zum andern betteln gehen und weniger für ihren Ruhm als – an ihm arbeiten – Ich halte mich nicht länger. Diese Billette besorgt und dann [103] hin zu ihr! Noch heute muß ich die Trauerkränze, die über meinem vermeintlichen Grabe in ihrem Gedächtnisse hängen, mit Rosen der Freude vertauschen und aus allen Tränen, die sie um meinen Vater und um mich geweint hat, eine Perlenschnur zaubern, die uns alle wie eine diamantene Fessel auf ewig umschlingen soll! Ab.

2. Szene
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Lady Macclesfield, Lord Winchester und Lord Berwick treten von der linken Seite auf. Viscount Marishal ist bereits eingetreten und wartet.

VISCOUNT.

Sie hat Besuch –? Londons Modegecken –? Lord Tyrconnel vielleicht? Nein, der ist entlassen. Zwei neue Günstlinge –

LORD WINCHESTER.

Wir gehen, wie ich sehe, beide nicht ohne Hoffnung, und doch kann einem nur die erbetene Huld zufallen.

LADY
stolz, doch graziös.

Was ist da zu tun, meine Herren? Wahrscheinlich werd' ich so entscheiden: Ihnen, Mylord, gestatt' ich, auf dem Rennen in Epsom Ihren Jockei gelb, Ihnen, Mylord Berwick, den Ihrigen in Blau erscheinen zu lassen; so bilden Sie beide zusammen meine Farbe und können dann auch schon nicht anders als gute – Freunde bleiben –

LORD BERWICK.
Mylady, ein Urteil, das hart, aber weiser als das Salomonische ist. Beide mit einer Verbeugung ab.
LADY
finster zu Viscount Marishal.
Sie sind schon wieder in London? Wahrscheinlich um mich mit einem Prozesse zu unterhalten?
VISCOUNT
durchweg boshaft.
Das wird von Ihnen abhängen, Mylady.
LADY
blättert auf dem Tische in Büchern mit goldenem Schnitt.

Sie glauben, ich würde mich freiwillig zum Opfer Ihrer schlechten Lebensart in Paris machen und die Verlegenheiten decken, in die Sie sich durch Ihre jämmerliche Leidenschaft für das Spiel stürzen!

VISCOUNT.

Im Punkt der Leidenschaften, Mylady, haben wir uns nicht viel vorzuwerfen, um so weniger, da wir dem Vermögen meines Bruders gegenüber uns im gleichen Rechte befinden.

LADY
absichtslos die Worte fallen lassend.

Nicht die kleinste unter [104] den Torheiten meines verstorbenen Mannes war es wohl, daß er Ihnen an seiner Hinterlassenschaft einen Anteil vermachte, der mir jede freie Bewegung in meinem Eigentum abschneidet.

VISCOUNT.

Sie werden das nicht Ihr Eigentum nennen können, was durch Ihren Tod, falls ich Sie überlebe, das meinige würde. Mein Bruder war ein Narr, sonst – Halb beiseite. würd' er Sie nicht geheiratet haben. Aber er machte sein ganzes der Torheit gewidmetes Leben durch jenen einzigen vernünftigen Gedanken wieder gut, den er auf seinem Sterbebette hatte, mich zu Ihrem Erben einzusetzen. Mylady Zieht ein Papier aus der Brusttasche. hier ist ein Wechsel auf Paris von zehntausend Pfund; Sie werden die Güte haben, ihn zu unterschreiben.

LADY
ihn gegen das Licht haltend, lachend, dann aber schreibend.

Wer bürgt mir, daß diese Zahlen nicht mit einer Tinte geschrieben sind, die dem Viscount Marishal erlaubt, morgen zwanzigtausend daraus zu machen! Es wäre nicht das erstemal, mein Herr Schwager, daß Sie gezeigt hätten, wie fleißig Sie in Paris die Chemie studieren – Sie schreibt.

VISCOUNT.

Mylady, als mein Bruder einst mit Ihnen den Heiratskontrakt unterschrieb, hielt er ihn da auch gegen das Licht, um gewiß zu sein, daß man ihm nicht mit sympathetischer Tinte noch einen gewissen – Sohn des Grasen Rivers hineinschreiben konnte?

LADY
erhebt sich nicht vom Bücken des Hauptes.
Es steht Ihnen vortrefflich, mir Moral zu predigen.
VISCOUNT.

Der Knabe war tot, als mein Bruder von diesen Folgen einer – malerischen Reise in die schottischen Hochlande erfuhr. Er war ein gutmütiger Narr, mein Bruder; er hätte den Jungen adoptiert und im Testament vielleicht seinen eigenen Bruder über ihn vergessen.

LADY
erhebt sich.

Warum muß ein so elender Mensch, wie Sie, so feig sein? Ließen Sie sich in Duelle ein, so könnt' ich hoffen, daß irgendein guter französischer Fechter mich von Ihrem lästigen Dasein befreite; Ihre Rente würd' ich anwenden, um eine Kirche bauen zu lassen.

VISCOUNT.
Eine Kirche!
LADY.

Sie würden dann doch meine Schwelle nicht mehr berühren, mir keine Briefe schreiben, die Sie aus den Pariser Spielhäusern datieren, mich nicht in meinen Gefühlen und Neigungen mit Frauen verwechseln, denen Sie Geld geben müssen, um Ihr vertrocknetes Herz anzunehmen. Ich werde – wegen dieses Wechsels noch mit meinem Advokaten sprechen und Ihnen die Unterschrift schicken –

[105]
VISCOUNT.

Vertauschen Sie ihn aber nicht zufällig mit irgendeinem Liebesbriefe, damit er nicht an eine unrechte Adresse und der Brief an mich gelangt. Ich wäre imstande, den Wechsel zu vergessen und im Mantel, verhüllt, daß Sie mich nicht erkennen, bei einem der entzückenden Stelldicheins zu erscheinen, die Sie, wie mich Ihr unglücklicher Lord Tyrconnel versichert –

LADY.
Elender –
BEDIENTER
tritt ein.
Mister Richard Savage!
LADY
sich sammelnd.
Stolz befehlend. Nach diesem Herrn!

Bedienter ab.
VISCOUNT.

Ich will nicht stören, wenn Sie eine neue Bekanntschaft machen. Aber – beherrschen Sie sich! Die kleine Runzeln von der Stirn! So! So! Allerliebst! Leben Sie wohl, Mylady! Morgen geh' ich über den Kanal. Will ab. Mit süßer Gebärde. Kein Wort des Abschieds?

LADY.
Ich will beten, daß es den ganzen Tag stür men möge.
VISCOUNT.

Tun Sie das nicht, Mylady! Sie beten so selten, daß Gott darüber erstaunen würde, wenn Sie einmal zu ihm kämen, und Ihnen das eine Mal, um Sie zu ermuntern, fortzufahren, wohl am Ende gar die Bitte erhörte. Und – den Wechsel nicht vergessen! Mit Kußfinger. Adieu! Ab.

LADY
jetzt und später mit dem Wechsel spielend, ihn zusammenrollend, zuletzt verschließend.

Ich wüßte nicht, daß ich je einen Menschen mehr gehaßt hätte als diesen Wüstling – Vielleicht den Grafen Rivers, als der treulos wurde – – Doch statt meiner – strafte den der Tod – Ernst sinnend. Das ist lange her –!

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Savage tritt schüchtern ein und entfernt sich nur allmählich von der Tür. Lady Macclesfield.

LADY.
Mein Herr?
SAVAGE
tritt langsam näher.
LADY.
Sie haben ein Anliegen?
SAVAGE
endlich vorn, aber sie noch von der Seite betrachtend und schüchtern.
Beiseite. Anders als ich dachte – und doch – wenn sie's wüßte –! Wie bring' ich's an?
LADY.
Ihr Name, mein Herr?
SAVAGE.
Richard Savage.
LADY.
Besinne – mich – nicht –
SAVAGE
schmerzlich.
Sie kennen – einen gewissen – Richard Savage nicht?
[106]
LADY
verlegen.

Ah! Ganz recht! Ich hörte allerdings – Sie wollen mich malen, Sie sind ein Künstler – oder was sag' ich, Sie wollen ein Konzert geben – auch das nicht? – Gelesen hab' ich doch schon Ihren Namen – Mein Herr, klären Sie mich auf!

SAVAGE
für sich; schmerzlich.

Knickt da schon eine meiner Hoffnungsblüten ab! Sie kennt den kleinen Wert dessen nicht, das sie besitzen soll!Laut und schüchtern. Mylady, Richard Savage ist ein junges Talent, das nicht unglücklich in einigen poetischen Versuchen war, einige Stücke aufführen ließ, die eine Wiederholung erlebten –

LADY.

Ganz recht. Sie gehören jener neuen Richtung an, die unsern Geschmack wieder für das Studium Shakespeares gefangennehmen will, und wollen mich wahrscheinlich auffordern, teil an den Sitzungen jener Damen zu nehmen, die mit ihrer starken Einbildungskraft und mit jährlichen Geldbeiträgen für die Wiederbelebung jenes veralteten Theaterdichters glauben wirken zu können. Ich ziehe Werke vor, in welchen sich die englische Kraft Mit dem Blick auf ihre Bücher. mit den feinern Gesetzen der französischen Grazie vermählt hat.

SAVAGE.
Mylady, eine Britin!
LADY.

Noch mehr! Soll man dem wilden Gezänk der Parteien, den Übertreibungen der Presse nicht eine Abneigung entgegenstellen gegen alles, was Sie Literatur nennen? Verworrene Köpfe, die ihren träumerischen Schwindel für die Eingebungen der Gottheit halten und uns mit Gewalt aufzwingen wollen, was sie für edel und gut ausgeben. – Bei uns in England sind die Schriftsteller vollends nichts als junge Leute aus niedern Ständen, denen man verzeihen könnte, wenn sie ihre Ansichten und Begriffe vom Leben auf den Ehrgeiz, in die höhern Kreise einzudringen, begründen, die aber kaum zu ertragen sind, wenn sie den ihnen angeborenen Mangel an Weltton, Sitte, konventioneller Schönheit auf die Beurteilung von Verhältnissen übertragen, die ihnen verschlossen sind und hoffentlich auch verschlossen bleiben werden.

SAVAGE.

Mylady, Sie verwunden mein Herz, und doch Für sich. gerade in dieser Sprödigkeit liegt etwas, das mir den Triumph, sie überwinden zu können, doppelt reizend macht. Sich zu ihr wendend, entschlossen. Mylady, betrachten Sie mich!

LADY
befremdet.
Was wollen Sie?
SAVAGE.

Tief, tief in die Augen, in die Mundwinkel, in die kleinen Furchen der Stirn blicken Sie mir und fragen Sie – Ihr Herz!

[107]
LADY.
Ich begreife Sie nicht – –
SAVAGE.

Ich hab' Ihnen etwas Großes zu sagen, ein Geheimnis, ein Grab zu öffnen; aber ich sähe so gern, daß die Stimme der Natur mir entgegenkäme und Sie mir, Mylady, Sie selbst das wunderbare Ereignis von meinen Lippen nähmen –

LADY.
Sie beängstigen mich, mein Herr! Welch eine Sprache! Was soll das?
SAVAGE.

Soll ich denn über tausend Schmer zen erst klimmen, bis ich zu einem Glücke komme, das ich – kaum noch den Mut habe, mir selbst zu erobern! O, wenn der Wärter hinter dem Käfig eines wilden Tieres fortschleicht, so springt es doch auf, schmiegt sich an die Wand und ahnt die Nähe seines Herrn und Gebieters – und hier

LADY
ihn mit Befremdung und Angst betrachtend und halb wie zur Flucht gewendet.
Ihre Bilder, mein Herr –
SAVAGE.

Sind schlecht gewählt. Was quäl' ich Sie und mich! Mylady, hören Sie mich! Sie hatten einen Sohn, nach seinem Vater genannt Richard – Lady Mason, Ihre Mutter, erbarmte sich Ihrer und Richards und ließ ihn zu einem alten ehrlichen Schulmeister in St.-Albans geben –; Lord Rivers starb, Lady Mason starb, Richard kam zu armen Leuten, die ihn erzogen und nicht begruben – nicht begruben, Mylady, Sie brauchen Ihren Richard nicht erst im Jenseits zu begrüßen – er lebt, er liegt zu den Füßen seiner Mutter –! Stürzt ihr zu Füßen.

LADY.
Wie? Welche schändliche Betrügerei! Entfernen Sie sich –! Fort, augenblicklich!
SAVAGE.
Mutter –
LADY.
Sie sind ein unverschämter Betrüger!
SAVAGE.
Mutter, die Stimme der Natur!
LADY.
Die Stimme der Gesetze werd' ich rufen lassen – Eilt an den Tisch und klingelt heftig.
SAVAGE.
Mutter!

Ein Bedienter erscheint an der Tür.
LADY.

Ruft das Haus zusammen! Bedienter winkt nach hinten. Was hat man mit mir vor? Die Flügeltüren öffnen sich und mehrere Lakaien treten herein. Zu ihnen. Daß dieser Herr nie wieder meine Schwelle betritt! Zu Savage. Elender!Schnell zur Seite ab.

SAVAGE
aufblickend und beide Hände an die Stirn schlagend.
Allmächtiger Gott! Ist es denn möglich?

Die Bedienten treten an ihn heran.
Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Steele allein.

STEELE
tritt ein und legt erschöpft Hut und Handschuhe ab.

Ich hätte nie geglaubt, daß es so viel Mühe kostet, durch ein Journal sich über die Welt lustig zu machen! Unaufhörlich muß man in Bewegung sein, die tausend Gerüchte und Meinungen des Tags einzufangen, ehe sie veraltet sind. Kaum hat man dem einen seine Form gegeben, daß es in leichter gefälliger Kleidung vor die Menge treten kann, so beschäftigt uns schon wieder etwas anderes, das wir uns, und wär's die mangelhafte Straßenbeleuchtung Londons, nicht dürfen entgehen lassen. Ein Journalist genießt nicht den Reiz seiner Tätigkeit. Ein Tag verdrängt den andern. Während das Publikum sich an der Nummer erfreut, die heute ausgegeben wird, schwimmt unsereins schon wieder – in den Druckfehlern der andern! Da der ganze Tisch voll Korrekturen und Briefe! Geht an den Tisch und setzt sich. Anonyme Einsendungen, die man zwar im Prospektus nicht berücksichtigen zu wollen erklärt und am Ende, mit einer Redaktionsverwahrung, doch abdruckt! Auch anonyme Pasquille auf uns selbst – die Hälfte der Kugeln, die wir verschießen, rikochettiert. Eine Schilderung der Umtriebe bei der letzten Parlamentswahl in Westminster? Willkommen! Ein orientalisches Märchen? Hm, Hm! Wahrscheinlich nur eine Satire auf die Minister! Eine anonyme Androhung, daß man mein Journal verbieten würde –? Schreckschüsse – Und wenn nicht, nun so begrabt mich als »Londoner Zuschauer« – als »Londoner Beobachter« steh' ich wieder auf! Eine Ausforderung zum Duell mit einem jungen Dichter, dessen lyrische Erstlinge ich mit den Masern, Röteln und andern Kinderkrankheiten verglichen habe? Ich werde einfach den Aristoteles zum Sekundanten wählen. – Ein Billett von Miß Ellen! Steht auf; nach vorn. Ah! die Liebenswürdigste der Liebenswürdigen –! Nur ist zuweilen ihre Handschrift etwas unleserlich. Liest. Sie ist außer sich vor Entzücken über die Wirkung, die der Erfolg der heutigen Aufführung des Overbury auf Savages Mutter machen dürfte! Wird die Gefühllose hingehen? Niemand kann über ihr hartes Herz unglücklicher [109] sein als die treue Seele. Und wenn ich an unsers Freundes Überschwenglichkeit denke, erscheint mir sogar der Charakter der Lady Macclesfield zuweilen – Es klopft. Man klopft? Ohne Anmeldung? Das kann nur ein Aristokrat sein oder ein Gläubiger –

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Lord Tyrconnel. Steele.

LORD TYRCONNEL.

Mein Herr, ein Wort! Keine Umstände! Bitte! Ich komme in einer Angelegenheit zu Ihnen, von der Sie wissen werden, daß sie in diesem Augenblick ganz London beschäftigt. Ja, die schändliche Grausamkeit der Lady Macclesfield gegen ihren Sohn – Schnell. es ist ihr Sohn – er ist es! Alle Stimmen, alle Zeugnisse, alle Untersuchungen in den Registern der Kirchen – in den Annalen der Schulen non Lincolnshire – von St.-Albans –

STEELE.
Ihr Name, mein Herr!
LORD TYRCONNEL.
Lord Tyrconnel.
STEELE.

Mylord, ich weiß, Sie sind der berühmte großartige Beförderer der Ansprüche unsers Freundes! Der Philanthrop Lord Tyrconnel! Ultor et vindicator der Rechte der Natur, wie Sie sich in den Zeitungen nennen! Man sagt, Sie beteten die hartherzige Mutter einige Jahre an, wurden, glaub' ich, nicht erhört, zuletzt förmlich verabschiedet – jetzt ergreifen Sie –

LORD TYRCONNEL.

Diese Gelegenheit, mich zu rächen? Nein, Sir, denken Sie edler von mir – Und dennoch: Allerdings, ich gestehe, daß ich die Gräfin hasse und nicht Moralist genug bin, meinem Hasse nicht all das Material zu verschaffen, das mir die Aufführung dieser Dame selbst darbietet.

STEELE.

Legen Sie sich keinen Zwang auf! Wir Journalisten kommen so oft in den Fall, zu beobachten, wie mit der Wahrheit oder mit dem, was man dafür hält, Motive verbunden sein können, die den Kampf für das Gute und Edle auch immer für uns selbst sehr vorteilhaft machen. Womit kann ich dienen?

LORD TYRCONNEL.

Mister Steele, Ihre Feder ist scharf wie die Waffe des Schwertfisches. Sie haben mit ihr den Walfischbauch des vorigen Ministeriums durchsägt –

STEELE.
Sie sprechen ja wie ein Grönlandsfahrer.
LORD TYRCONNEL.

Weil ich an den Nordpol denke, an das ewige Eis, das ein Herz bedecken kann! Steele, wie können Sie in Ihrem Journal über diesen Gegenstand schweigen? Über die [110] Sache Ihres besten Freundes! Sie, Sie müssen diesen Skandal einer Mutter, die ihren Sohn nicht anerkennen will, aus der entrüsteten Konversation Londons in die Journalistik einführen! Sie müssen der Nachwelt die Kunde von einem Weibe hinterlassen, das im Angesicht der unwiderleglichsten Zeugnisse für die Echtheit ihres Sohnes dem Muttergefühl trotzt und mit der schnödesten Grausamkeit und Kälte ein Besitztum zurückweist, um welches sie von allen Müttern Londons beneidet wird. Von dem Ruhm Savages abgesehen, wo findet man einen Sohn, der mit mehr Beharrlichkeit und Sanftmut die Laune seiner Mutter erträgt! Sie verweigert ihm ihr Haus, er heftet seinen lechzenden Blick an ihre Fenster. Sie zerreißt seine Briefe, er ist froh, die Fetzen davon wiederzubekommen, weil ihre Hand sie berührt hat! Lady Macclesfield ist ein Ungeheuer, ganz London sagt es; um sie zu demütigen, müssen es auch die öffentlichen Blätter sagen.

STEELE.

Mylord, Richard Savage ist mein Freund. Nächst einem weiblichen Wesen, das Sie nicht kennen, bin ich es wohl, der sein Schicksal am meisten beklagt; aber ich kann nicht sagen, daß mir die Aufführung meines Freundes gefällt. Es ist, denk' ich, eines Mannes nicht würdig, sich in dem Grade, wie es von Lady Macclesfield geschieht, mit Füßen treten zu lassen –

LORD TYRCONNEL.
Es ist seine Mutter –
STEELE.

Die Liebe eines Kindes küßt die Rute, die es züchtigt – wollen Sie sagen, aber hier trifft sie einen Mann – einen Charakter –

LORD TYRCONNEL.

Savage ist ein Jüngling – voll der edelsten Schwärmerei! Denken Sie sich ihn, wie er seine Jugend hindurch über seine ihm verborgene Herkunft brütet, Vater und Mutter nicht kennt und plötzlich entdeckt, daß eine der ersten Damen des Königreichs ihm das Leben gab. Nun Dichter, Phantast, früher auch, wie ich höre, in den Tag hinein lebend und den Adel seines Gemüts, tollkühn genug, der Gefahr des Scheiterns in wilder Gesellschaft aussetzend – Kennt er die Täuschungen des Lebens? Kennt er mehr als die Welt der Bücher? Was wird ihm Liebe und das Wesen der Frauen sein? Etwas, was er nur im Bereiche der Kunst erfahren hat. Nun entdeckt er diese Mutter, findet sich im Leben zurecht, fühlt sich im Wirklichen heimisch, hat den Brennpunkt für sein Herz gefunden, die erste Anknüpfung für ein Verständnis der Welt – sein ganzer innerer Mensch ist in einem neuen Schwung und Aufruhr –

STEELE
beiseite.
Scheint eine wirkliche Überzeugung des Mannes zu sein!
[111]
LORD TYRCONNEL.
Steele, mit einem Wort: Töten Sie dies Weib!
STEELE.

Ich bewundere Ihre Menschenkenntnis, Mylord! Sie mögen recht haben; aber doch, sind es nicht Torheiten, die Richard begeht? Gleich als er die unglückliche Entdeckung machte, hat er sich in ein Meer von Schulden gestürzt, aus dem ihn seine Freunde nicht wieder herausfischen können. In dem märchenhaften Vertrauen, die Mutter würde alles bezahlen, was er brauchte, um anständig vor ihr zu erscheinen, hat er die Kleidermagazine der Stadt ausgekauft, Wagen und Pferde, ich sage Wagen und Pferde, angeschafft, eine glanzvolle Wohnung bezogen – der Hebräer Matthews schoß alles vor –

LORD TYRCONNEL.
Ich bin reich – es wird sich Hilfe schaffen lassen.
STELLE.

Ich sage Ihnen, dieser liebenswürdige, aber tolle Schwärmer, der jetzt den jungen Lord Rivers spielt und sich kaum noch um die heutige Aufführung seines Stücks bekümmert, ist wie ein Verbrecher, der, hundertmal gestraft, sein Vergehen nicht lassen kann. Alles Geld, das ihm seine Freunde steuerten, verwendet er zu dem einen Zweck, seiner Mutter zu imponieren, mit vier Pferden hundertmal des Tags an ihrem Hause vorüberzufahren, ihre Dienerschaft zu bestechen, ihr heimlich Überraschungen zu bereiten, glänzende Gesellschaften zu geben, um von sich reden zu machen und auf den Ehrgeiz der stolzen Frau zu wirken –

LORD TYRCONNEL.

Aber alles das macht mir ja diese Mutter nur noch fürchterlicher! Und Sie können das dulden, Sie, Steele, der die Literatur des Tags erfunden hat, Sie, Steele, der jene olympischen Blitze der öffentlichen Meinung schmiedete, die zerschmetternd aus Ihrer Hand in den Lug und Trug unserer verdorbenen Sitten und Meinungen niederfahren?

STEELE
beiseite.

Ein Akteur, der mit seinem Kostüm auf die Straße rennt und den Brutus ganz in Wirklichkeit spielt! Laut. Mylord! Je verheerender meine Waffe ist, desto vorsichtiger muß man mit ihr umgehen. Die öffentliche Meinung ist nicht immer die richtende Themis, sondern weit öfter eine Harpyie, die nichts wieder herausgibt, was sie einmal zerrissen hat. Beschuldigt sie einmal die Tugend eines Engels, der Himmel selbst kann ihn nicht wieder rein waschen. Tausend Rechtfertigungen, tausend Widerlegungen – immer bleibt etwas hängen.

LORD TYRCONNEL.

Hier ist von einem Teufel die Rede! Ich hab' es selbst gesehen, Sir, daß Richard Savage sich vor ihren im vollsten Lauf ansprengenden Wagen stellt, der Kutscher mußte [112] innehalten, sie blickt zum Schlag heraus, erkennt ihren Sohn, der ihr ein Blumenbukett darreichen will, und befiehlt ihren Leuten mit zorniger Gebärde, zuzufahren. Hätten ihn nicht andere weggerissen, er wäre gerädert worden.

STEELE.

Nun sagen Sie selbst, sind das von meinem Freunde nicht Tollheiten? Bald schwingt er sich auf den Schlag ihrer Kutsche und wirft ihr im währenden Fahren Gedichte zu; bald schlägt er welche an die Tür ihres Hotels, bald wirft er in ihre Theaterloge seidene Tücher; wenn sie im Park fährt, er steckt hinter jedem Strauch; wo sie etwas in der City kauft, er mischt sich in den Handel; wenn sie die Kirche besucht –

LORD TYRCONNEL.
Lady Macclesfield besucht nicht die Kirche –
STEELE.

Mylord, die Geschichte ist bis jetzt nur noch eine Komödie. Wenn ich sehe, daß mein Freund in Wahrheit unglücklich ist, wenn sein Äußeres abfällt, wenn er mit seinen tausend Torheiten auch die einstellt, auf Rechnung seiner Anerkennung seitens dieser Mutter wie ein Fürst zu leben, und noch eins – wenn sie gegen den außerordentlichen Beifall, den sein dichterisches Talent heut' in Drurylane finden muß, gleichgültig bleibt – sehen Sie, da regt sich der Stolz des Schriftstellers und der esprit de corps, der uns alle, selbst zuweilen Produktion und Kritik, zusammenhält – dann, Mylord, dann fragen Sie wieder an.

LORD TYRCONNEL.

Mister Steele, eine Biographie der Dame, von Bedeutungsvoll. meiner Hand geschrieben, steht Ihnen zu Diensten. Studieren Sie inzwischen die Lehre von den Giften, die Zoologie der afrikanischen Wüste, studieren Sie die Verirrungen des weiblichen Gemüts von Messalina bis auf Katharina von Medici, und Sie werden sich von mir noch Bilder und Vergleichungen borgen müssen, um den Charakter der Lady ganz zu er schöpfen. All die Bitterkeit Ihres Ausdrucks, Ihre ironischen Wendungen, Ihre zermalmenden Sarkasmen – ich bitte Sie, Mister Steele, sparen Sie sie für dieses Autodafé auf! Zudringlich vertraulich. Ich bin ein Bewunderer Ihres Geistes, Mister Steele, ich gehöre schon lange zu Ihren guten Freunden, Mister Steele, ich billige auch Ihre politischen Ansichten, Mister Steele, ich bin – überhaupt frei von allen Vorurteilen, Mister Steele, ich nehme nicht ohne Grund Partei für Gegenstände der Öffentlichkeit, ich liebe die Humanität, denn ich – doch Ihre Zeit ist kostbar! Richard Savage werd' ich, wenn er es gestattet, adoptieren als meinen Sohn! Man soll mich den »Vater eines Sohnes« – ihn »den Sohn eines Vaters« nennen – Doch, ich rüste mich auf den heutigen Abend. [113] Sein Stück muß einen großartigen Triumph erleben! Morgen bring' ich Ihnen die Nachricht über den Eindruck des Erfolgs auf die Mutter, und dann, dann, Steele, dann – beginnen – Sie! Ab.

STEELE
ihm verächtlich nachsehend.

Diese liberalen Edelleute! Nur weil sie eitel und zuweilen – furchtsam sind, geben sie sich das Ansehen, als liebten sie Humanität und Freiheit! Ihre Stammbäume bleiben immer dieselben, ob sie nun wild und knorrig im Wald ihrer Privilegien dem Sturm der Zeit trotzen, oder ob sie zierliche kleine Döschen daraus drechseln, die sie dem Zeitgeist präsentieren, um ein galantes Prischen daraus zu nehmen. Der will für die Tugend und das Unglück einstehen? Der will, da er vergeblich der stolzen Lady den Hof machte, sich jetzt an ihr rächen und noch eine Dividende dazu bei der öffentlichen Meinung gewinnen? Darin hat er recht: – ich werde mich seinem Antrag nicht entziehen dürfen – denn Savage und Miß Ellen leiden unter dem Verhältnis, das ganz London beschäftigt; aber Nimmt Briefe und Korrekturen. als Lückenbüßer für mein Journal will ich doch die Bemerkung brauchen – daß in dieser Welt keine Wahrheit mehr dankbar ist, zu der nicht hinten – eine, wenn auch noch so kleine, versteckte Hühnersteige des Interesses führt. Ab zur Seite.

2. Szene
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Savage allein.

SAVAGE
im Mantel, zu den Fenstern aufblickend.

Es ist sieben Uhr. Mögen sie mein Stück im Theater vierteilen, mögen sie den toten Rumpf dem Publikum zum Gelächter hinwerfen, das Erhabene gespreizt, die Tugend wie ein Landmädchen, das Schöne wie eine Kokette geben und meine Verse wie kleine Kieselsteine im Mörser ihres hohlen Pathos zerstampfen – mich kümmert's nicht. Schon seit einer Stunde harr' ich hier vergebens und sehe nicht, daß sie einer Schöpfung ihres Sohnes die Teilnahme schenkt und nach Drurylane fährt. Ach, das, nur das wollt' ich abwarten – –! Sie geht nicht –! Sich selbst Mut gebend. Vielleicht will sie warten, bis »Overbury« im Druck erschienen ist. Vielleicht ängstigt sie das Gefühl, daß man um das Schicksal [114] meiner Arbeit besorgt sein könnte – sie fürchtet einen unglücklichen Erfolg – sie mit ihrem französischen Geschmack –! Könnt' ich ihr den Sinn für die echte Natur abgewinnen! Sie hat zu viel Verstand, um in solchen Dingen ganz verständig zu sein – – –

Nichts regt sich im Hause. Wagen rollen dort genug, die sich beeilen, an das Portal des Theaters zu kommen; hierher lenkt keiner ein –! Und ich lasse mir's nicht nehmen – sie ist, sie ist erweicht! Sie ist überwunden! Sie zittert jetzt oben – bis sie erfährt, wie in Drurylane alles abgelaufen –! Man nennt sie kalt – sie hat mich abgewiesen – sie will mich nicht für ihren Sohn anerkennen – Es ist hart, aber ich bewundere ihren Charakter. Es ist in ihm, wie in Hamlets Wahnsinn, doch Methode. Ich bin ihr zu schroff gegenübergetreten. Wohl will das ertragen sein, wenn die Toten auferstehen. Wer würde nicht erschrecken, wenn er plötzlich ein Grab geöffnet sähe! Sie ist hart, weil sie großen Geistes ist! Ihr Gemüt steht unter der Herrschaft einer vielgeprüften Welterfahrung und eines ihr vielleicht durch bittere Entdeckungen zur andern Natur gewordenen Mißtrauens! O, was werd' ich ihre Begriffe vom Leben läutern, ihr das Buch der Natur und wahren Schönheit aufschlagen und alle Geheimnisse desselben entziffern müssen; ja, ja, Mutter, du sollst in Morgen- und Abendstunden einst noch meine Schülerin werden, du wunderliche, spröde Frau! –

Horch, es geht eine Tür drinnen! Lauscht. Es war nichts. Mich friert – ich vergaß zu essenZieht ein Beutelchen hervor. Goldstücke – aber sie gehören – ha! Sieht den Bedienten. Dem vielleicht –?

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Ein Bedienter mit einem kleinen Paket tritt aus dem Hause der Lady und will dem Hintergrunde zugehen. Savage.

SAVAGE.
Heda, guter Freund!
BEDIENTER
sich umsehend.

Seid Ihr's? Nehmt Euch in acht, daß der Haushofmeister Euch nicht sieht. Ihr sollt nicht immer hier vor dem Hause stehen.

SAVAGE
gibt ihm das Beutelchen.
Nimm dies, guter Freund! Doch sage mir erst: Fährt meine Mutter heut' ins Theater?
BEDIENTER.
Kann ich nicht sagen.
SAVAGE.

Nun denn! Nimm das auch so! Das kannst du nun wohl sagen: Wie lebt meine Mutter? Wann stand sie heut' auf?

[115]
BEDIENTER.
Ihr habt den Toby gestern ganz dasselbe gefragt, heute lebte sie nicht anders als gestern.
SAVAGE.
Was trug sie heut' bei Tisch für ein Kleid?
BEDIENTER.
Gelb.
SAVAGE.
Wie war ihr Kopfputz?
BEDIENTER.
A la reine.
SAVAGE.

A la reine – hm – hm – Sie war geschminkt? Ein wenig? Sag's nur heraus! Sie lebt ja nach der Mode von Versailles.

BEDIENTER.

Mein Gott, diese Dinge haben wir Bediente Euch schon hundertmal gesagt – Lord Tyrconnel mußte lachen, als er mich fragte, was Ihr von uns zu wissen wünscht –

SAVAGE.
Schweige!
BEDIENTER.

Die andern geben uns Geld, wenn wir sagen, wer nach der Lady frägt, und Ihr wollt nur allein nach ihr gefragt haben –

SAVAGE.

Von ihren Freunden und Feinden will ich nichts wissen. War sie heute fröhlich? Las sie nichts? Was hast du da?

BEDIENTER.
Die Lady ist gar nicht so bös, als man sagt –
SAVAGE
vorwurfsvoll.
Wer sagt das?
BEDIENTER.
Diese Bücher, Herr, habt Ihr ihr neulich geschickt. Sie schenkt sie jetzt mir, um sie zu verkaufen.
SAVAGE
nimmt das Paket und schlägt die Bücher auf, mit erstickter Stimme.

Meine Schriften! ... Laß sie mir, guter Freund; ich werde sie dir gut bezahlen. Trag' sie in meine Wohnung! Grosvenor Square –

BEDIENTER.
Wie Sie wollen. Gute Nacht! Ab.
SAVAGE
allein.

Um mich zu kränken, tat sie das? Sie hatte eine andere Absicht. Nur vor der Welt, damit die es sieht, nur vor den Spähern, damit die beschämt werden, gibt sie diese Beweise ihres stolzen Herzens. Die Schriften waren dennoch gelesen! Sie hat Tag und Nacht darin geblättert! Ich weiß es! Er schlägt auf sein Herz. Ich fühl' es hier!

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Die Hoteltür öffnet sich. Zwei Bediente mit Fackeln. In einer geschmackvollen großen Portechaise tragen zwei Träger die Lady Macclesfield. Savage.

LADY
aus dem Fenster der Portechaise.
Nach Drurylane!

Sie wird vorübergetragen.
SAVAGE.

Sie ist's! Sie geht nach Drurylane! Zurückkehrend und freudig. Fass' ich es denn? Hört' ich es denn –? Ihr Herz [116] führt sie dahin, wohin heute halb London wallt! O, nun folg' ich ihr – ich rede sie an – Nein! Sie könnte mich entdecken und umkehren. Himmel, ihr Herz erweicht sich! Sie wird der Brillant in dem heutigen Ring der festlich geschmückten Logen sein und milde und versöhnende Strahlen auf den Ruhm ihres Sohnes werfen! Nun werden in meiner Dichtung die Redeblumen würziger duften, meine Gleichnisse werden treffender, meine Bilder ähnlicher werden, die Gestalten, die ich zeichnete, werden in ihrer Sonne einen erhabeneren Schatten werfen –! Sie, sie wird meine Schöpfung verklären und den glücklichsten aller Söhne an ihr endlich, endlich versöhntes Herz drücken. Ab.

3. Szene
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Viscount Marishal tritt links ein und späht, ob die Loge leer ist. Später Lord Berwick und Lord Winchester. Zuletzt Lady Macclesfield.

VISCOUNT.

Sie ist nicht hier – in ihrer Wohnung verleugnet sie sich, und ich muß sie sprechen. Ich komme atemlos von Paris, da hier ja saubere Geschichten vorgehen! Ein Sohn! Vielleicht ein Erbe ihres Vermögens? Wer kann den Gesetzen trauen, deren Ja oder Nein von der größern oder geringern Kunst der Advokaten abhängt. Ich muß selbst zugegen sein, um einen so gefährlichen Handel zu hintertreiben. Horcht nach der Öffnung ins Theater zu. Man gibt ein Stück von dem Menschen, für den sich ganz London fanatisiert! Lord Tyrconnel, sagt man, will ihn adoptieren – Ich bin so zerstreut, daß ich dem Zusammenhang des Machwerks kaum folgen kann. Wieder nach vorn. Sie sperrt sich zwar, ihn anzuerkennen, aber die Gesetze können sie dazu zwingen.


Die Lords Berwick und Winchester blicken und treten dann herein.
LORD BERWICK.
Sie ist nicht hier – sieh da, Viscount Marishal.
LORD WINCHESTER.
Viel Aufmerksamkeit für Ihren Neffen, daß Sie seinetwegen die Reise von Paris machen –
VISCOUNT.

Mein Neffe hätte sich keinen abgeneigtern Kritiker verschreiben können als mich. Glaubt denn wahrhaftig schon die fashionable Welt an die Echtheit dieses Findlings?

[117]
LORD WINCHESTER.
Es ist ihr Sohn – da ist gar kein Zweifel.
LORD BERWICK.

Und sie leidet schreckhaft darunter. Alle Welt zeigt mit Fingern auf sie, man überschüttet sie mit Pasquillen, die man ihr in ihr Haus schickt, überreicht ihr in den Gesellschaften Bonbondevisen, die Verse von ihrem Sohn enthalten, quält sie mit Spott, Verachtung, Zurücksetzung aller Art –

VISCOUNT.

Das sieht dem Londoner vornehmen Pöbel ähnlich! Die Damen unserer Salons würden sich in ähnlicher Lage fast alle ebenso benehmen; nun, da eine andere das Bad aushalten muß, spielen sie die – Empfindsamen! Haben sich nicht auch schon die Geistlichen –

LORD WINCHESTER.

Allerdings – Schon auf mancher Kanzel ist gegen die Lady gepredigt worden. Sie ist so fürchterlich in die Mode gekommen, daß vor ihrem Hotel – Gras wächst. Wir, die wir noch im stillen ihre guten Freunde sind, würden mit dem Bann belegt werden, erführe man, daß wir ihre Loge besucht hätten.


Lady Macclesfield tritt ein.
LORD BERWICK.

Sie kommt schwerlich her – heute, wo das Stück ihres Sohnes gegeben wird, würde sie einen Aufstand befürchten müssen, erriete man sie hinter dem Vorhang da!

LADY.
Guten Abend, meine Herren!

Die drei Edelleute fahren betroffen zurück.
LADY
zum Viscount.

Was seh' ich? Sie wieder in London? Ich hatte ja gehört, daß Sie in Paris an einer Stichwunde auf den Tod lägen?

VISCOUNT.
Herzensstiche hab' ich. Und ich hört' auch, daß in London die Toten wieder auferstehen.
LORD BERWICK.
Mylady, das heut' angesagte Stück ist nicht abgeändert –
LORD WINCHESTER.
Sie wollten es wagen, sich den zudringlichen Blicken der Menge gerade heute –
LADY.

Haben Sie einen bösen Traum gehabt, Mylord? So wie Sie sprach ja Cäsars Gemahlin, als ihr Gatte in die verhängnisvolle Senatssitzung ging. Was fürchten Sie denn, das heute meine Nerven so ganz ungewöhnlich angreifen würde? Nach dem Vorhang zeigend. Was spielen sie?

LORD BERWICK.
Overbury.
LORD WINCHESTER.
Trauerspiel –
VISCOUNT.
In fünf Aufzügen, Mylady! Bedenken Sie die Folter. Erst ein Akt ist vorüber.
LADY.
Von?

Die beiden Lords verlegen.
[118]
VISCOUNT
beiseite erstaunt.
Das muß ich sagen!
LADY.
Von?
LORD BERWICK
zögernd zu Winchester.
Wer ist es doch?
LADY.

Wissen nicht einmal den Namen des Verfassers? – Seit ich Ihnen geraten, seltener meine Schwelle zu betreten, glaubt' ich, daß Sie eifrig Literatur studierten –

LORD BERWICK
verbindlich stotternd.

Mylady, das Stück ist schlecht; es ringt ein hohles Pathos darin die Hände und – die trockenen Worte werden – wie ein Salat, mit nichts als Tränen angefeuchtet –

LADY.
Eine vortreffliche Kritik –
LORD WINCHESTER.

Es ist ein Dichter, der von der Poesie so etwas wegbekommen hat, wie ein durchs Gras laufender Pudel an seinen Ohren etwas vom Tau auffängt –

LADY.
Noch besser. Nur schade, daß das der jetzt so gefeierte Shakespeare schon gesagt hat –
VISCOUNT.
Es ist von Richard Savage –
LADY
zu Lord Berwick.

Ja, ja, Sie haben trotz Ihrer Zitate wenig Geschmack, Mylord, oder, was ich eher annehmen möchte, zuviel Galanterie. Sie wissen, daß ich mich nicht in den Klub habe aufnehmen lassen, den einige phantastische Närrinnen, die Herzogin von Sutherland an der Spitze, gestiftet haben, um für Shakespeare zu wirken – aber – Richard – Savage – sagten Sie nicht – scheint mir doch noch – der Erträglichste der neuen – Richtung. Seine Weise hat etwas Fieberhaftes, das ist wahr, eine gewisse ängstliche Hitze; aber treffen seine Bilder auch nicht immer das, wofür sie als Vergleichung dienen sollen, so führen sie uns doch in eine Welt ein, die recht schön wäre Mit einigem Gefühl. wenn man sie festhalten könnte. Zu Lord Berwick. Geben Sie mir Ihren Arm und bleiben Sie – beide, meine Herren! – an der Brüstung meiner Loge!

LORD BERWICK
in großer Verlegenheit zögernd und plötzlich sehend, daß nur ein Stuhl an der Balustrade steht.
Mylady, es ist nur ein Stuhl dort –! Ich komme sogleich zurück! Schnell ab.
LORD WINCHESTER.
Wir müssen deren mehre re haben. Bin – sogleich – wieder – da –
VISCOUNT.

Ha, ha, ha! Meine teure Schwägerin, auf welcher Mittagshöhe muß ich Ihre Sonne wiederfinden! Was die beiden Herren für Beine machten, als sie so glücklich sein sollten, Sie dem Ihnen so wohlgeneigten Parterre vorzustellen! Sie suchen Stühle und werden sich morgen, in der Abenddämmerung, daß sie ja nicht gesehen werden, durch ein Lied zur Zither unter Ihrem einsamen Fenster entschuldigen, daß sie keine hätten [119] finden können. Zum Teufel, was ist das für eine Geschichte mit Ihrem Sohn?

LADY
sich mühsam beherrschend.

Es ist mir lieb, daß sie fort sind – ich will allein sein. Sie besuchen mich morgen, lieber Schwager! Ich habe in Westmoreland Güter gekauft, ich hörte gern Ihre Meinung darüber; auch müssen Sie zu einigen neuen Pachtbriefen, die ich ausgestellt habe, Ihren Konsens geben – und auch einige bedeutende Posten sind eingezahlt, die ich nicht wieder unterzubringen weiß –

VISCOUNT.

Da werd' ich schon helfen – Beiseite. sie hat's recht tüchtig weg! Zudringlich vertraut und halblaut. Aber sagen Sie mir, was ist das mit Ihrem –

LADY.

Auch sind einige Verfügungen zu treffen wegen der Kohlengruben, die uns in Durham gehören – es ist ein unterirdisch Wasser in sie eingebrochen – und – die Bergleute –

VISCOUNT.

Lassen Sie die graben! Bleiben wir auf der Oberwelt! Ich will hoffen, daß Sie in Ihrer hartnäckigen Verleugnung dieses Bastards Ihres ehemaligen Kapitäns von der schottischen Garde, des Grafen Rivers –

LADY.

Unverschämter! Geht in den Hintergrund, setzt sich auf den Sessel, zieht den Vorhang zurück und blickt ins Theater hinaus.

VISCOUNT.

Die Keckheit! Den Vorhang weit zurückgezogen! Auf den Zehen und hinausschauend. Aller Blicke auf sie gerichtet! Wären es Pfeile, sie wäre durchbohrt. Wie man sich anstößt, wie sie murmeln! Alle Gläser auf sie gerichtet! Dort zeigt schon einer mit dem Finger! Sie schwört ein Ungewitter herauf. Das gibt einen Aufstand! Ich ziehe mich zurück. Ab.


Hinter der Szene. Entfernt, aber deutlich vernehmbar.
MÄNNLICHE STIMME IM SCHAUSPIEL.
Du warst's, die ihn verdarb!
WEIBLICHE STIMME (MISS ELLEN.
)
Ich?
MÄNNLICHE.
Deiner Liebe
Verdankt er dieses Übermaß der Triebe!
WEIBLICHE (MISS ELLEN.
)
O schilt mir nicht die holden Blumenkränze,
Die ich um meines Sohnes Kindheit wand!
Wo gab es Blumen, gab es Freudentänze,
Als er im Wetter seines Schicksals stand?

Da er noch klein, wie konnt' ich wohl ihn strafen,
Wenn oft ich noch den Todesengel sah,
Wie der der Wiege kleinem Friedenshafen
Um einen Schwung der Sense stand so nah!

[120] Und als er wuchs, da kann die Mutter warten!
Der Vogel fliegt hinaus zum Nest!
Ihr schon genug, wenn er von seinen Fahrten
Sie manchmal fromm und treulich grüßen läßt.

Die Mutterlieb' ist reich durch stetes Geben,
Sie ist schon glücklich, wenn sie weinen kann;
Dem Taue gleicht ihr sorgenvolles Leben –
Er setzt sich nur in kühlen Nächten an.

Sei ruhig! Laß das Herz Mariens zeugen,
Als an dem Kreuze all ihr Glück verdarb,

Lauter und beziehungsreich.

Und

Als zeigte sie auf die Lady.

jenen Marmorstein, in dessen Schweigen
Dem Griechen seine Niobe erstarb.

Ein Beifallssturm hinter der Szene.
LADY
reißt den Vorhang zu und kommt mit leidenschaftlicher Aufregung in den Vordergrund.

Ich halt' es nicht länger aus – diese Blicke töten mich –! Diese Fingerzeige, diese Schadenfreude, diese Verwünschungen an meinem Ohr, rechts, links, oben, unten – Gott, welch' gräßliches Schicksal ist über mich verhängt! Mein ganzes Dasein vergiften sie, meine Träume morden sie – schlafen, wachen – dieselbe peinigende Verzweiflung, die, ich mag sein, wo ich will, immer dicht an meiner Seite ist. Sohn – Mutter – Mutter – Sohn – in der Luft schon derselbe schauderhafte Refrain – es ist, als hätt' ich in die Sonne gesehen und müßte auf allem, wohin mein Auge gerichtet ist, grüne und blaue Flecke wahrnehmen, die ich nicht wieder verwischen kann, die durch alle Farben hindurchbrechen, als hätt' ich einen Mord begangen und könnte das Blut nicht von der Diele tilgen! – – Ich fühle nicht als Mutter für ihn – in meinem Herzen ist auch nicht die kleinste Stelle für ihn, nicht ein Winkel, wo man eine Wiege hinstellen könnte! Ich will die zärtlichste Geliebte, will die treueste Schwester, das gehorsamste Kind, will fromm, demütig, tugendhaft wie ein Engel sein – nur eine Mutter – und dieses Sohnes kann ich nicht werden! – Und hätt' ich ihn denn wirklich unter meinem Herzen getragen – wär' ich betrogen von denen, die ihn begraben haben wollten, begraben auch in mir – Natur, was bist du dann in mir so stumm –! Sprichst nicht mit Beredsamkeit zu meinem Herzen und lässest nirgend auch nur die kleinste Regung von Liebe das Muttermal sein, an dem ich ihn wiedererkennte? Briefe, Siegel, Ringe, alles soll für ihn sprechen und mein Herz nicht! – Nun vollends, da die Welt mich höhnen, [121] mir trotzen will? Draußen Klatschen und wildes Stampfen. Mögen sie meinen Namen durch den Kot der Straße schleifen, mögen sie mein Herz am Pranger der schwärzesten Verleumdungen mit glühenden Zangen quälen, mögen sie mit tausend vergifteten Dolchen auf mein armes verlassenes und vereinsamtes Dasein zücken – ich bin nicht seine Mutter; – Verzweiflungsvoll. ich kann es nicht sein – und wär' ich's – ihr Schatten einer unglücklichen Vergangenheit –! ich will's nicht sein. Heftig ab zur Rechten.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Lord Berwick stürzt herein. Lord Winchester nach ihm. Dann Viscount Marishal. Zuletzt Savage. Draußen der Ruf: Lady Macclesfield.

LORD BERWICK.
Mylady!
LORD WINCHESTER.
Mylady!
LORD BERWICK.
Sie ist nicht mehr hier.
VISCOUNT
tritt schnell herein.
Mylady, das Haus ist in Aufruhr – sie ist nicht mehr da –
SAVAGE
stürzt herein.
Mutter, ich schütze dich – dieser Abend gehört mir zu – Meine Herren, wo ist meine Mutter?
VISCOUNT.

Sind Sie der lächerliche Phantast, der sich wie im Blindekuhspiel aus den ersten Damen Englands eine Mutter heraushaschen will?


Hinter der Szene Klatschen und der Ruf: Savage! Richard Savage!
SAVAGE
zieht halb den Degen.
Mitten unter dem Jubel des Volks, mir, dem Gekrönten, dieser Schimpf!
VISCOUNT
zieht den Degen und will Savage den seinigen aus der Hand schlagen.
Bube, weg mit dem Spielzeug –
SAVAGE.

Weg mit dem Gestrüpp, das mir den Weg zu meiner Mutter versperrt! Sie fechten. Der Viscount ist verwundet.

VISCOUNT
fällt in Lord Berwicks Arme.
LORD WINCHESTER
eilt an die Tür.
Wache! Wache!
SAVAGE
geht in gemessenen schwankenden Schritten, den Degen in der Hand, an die Brüstung der Loge, reißt den Vorhang auf und ruft, da der Jubel schweigt, hinaus.

England! Du willst mir Lorbeern geben? Gib mir die Palme der Versöhnung, gib mir den Ölzweig des Friedens, den du mit meiner armen Mutter schließest! Kann mich eine Krone beglücken, deren Perlen die Tränen eines Weibes sind? Kann mich ein Altar der Huldigung ehren, auf dem man mir eine Mut ter opfert? England, die Unsterblichkeit, mit der du belohnst, wiegt nicht eine einzige Stunde des Elends [122] auf, wenn du zürnst! Zürne nicht! Verzeihe der Mutter, um des Sohnes willen!


Lauter Beifall. Konstabler treten ein.
LORD WINCHESTER
auf Savage zeigend, mit fester Stimme.
Der Sprecher da ist euer Ge fangener!

Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Miß Ellen wartet. Haushofmeister tritt aus der Seitentür.

HAUSHOFMEISTER.

Die Lady wird sogleich erscheinen! Als wollt' er eine Unterhaltung anspinnen. Seit dem Tode des Viscount Marishal, des Schwagers der Lady, haben wir viel zu tun! Da sind hundert Rechnungen, die nicht bezahlt, ebensoviel, die bezahlt, nicht eingetragen sind. Die Lady sitzt den Tag über unter Papieren und hat alle Stunden mit einem Notar oder Advokaten oder sonst einem Geschäftsmann zu verhandeln. Haben Sie vielleicht auch –

MISS ELLEN.
Doch nicht.
HAUSHOFMEISTER.

Das wird der Lady lieb sein, einmal von etwas anderm als von ihrem Schwager und Leiser. von ihrem Sohn zu hören.

MISS ELLEN.
Mylady hat doch wohl nicht Ursache, über den Tod des erstern besonders unglücklich zu sein.
HAUSHOFMEISTER.

Das wahrhaftig nicht! Sie macht kein Hehl daraus. Ein Blutsauger, ein Nimmersatt war's; und was sie hergab, ging wie in ein Sieb.

MISS ELLEN
beiseite.

So hat sie durch seinen Tod mehr gewonnen als verloren und wird gegen Richards unglückliches Los nicht unempfindlich bleiben –

HAUSHOFMEISTER.

Ihr Sohn ist, da er zuerst den Degen zog, wegen Totschlags verurteilt – hoffentlich nur zur Deportation.

MISS ELLEN.

Viscount Marishal war mit den schimpflichsten [123] Worten der Angreifende – Die Lords haben falsches Zeugnis gegeben – darüber ist nur eine Stimme – Mut! Mut! Die Mutter muß ihn retten!

HAUSHOFMEISTER.
Sie kommt – Ab.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Lady Macclesfield. Miß Ellen.

LADY.

Miß, entschuldigen Sie mein Ausbleiben. Ich wollte den Brief erst lesen, den Sie mir vor einigen Tagen schickten.

MISS ELLEN.
Jetzt erst?
LADY.
Als ich ihn erbrach, las ich Ihre Unterschrift – Sie sind Schauspielerin?
MISS ELLEN.
Das bin ich.
LADY.

Ich achte diesen Stand insofern, als eine große Selbstverleugnung dazu gehört, ihn zu ergreifen und sich von der übrigen Gesellschaft gleichsam freiwillig auszuschließen – indessen hielt ich Ihren Brief für nicht so dringend –

MISS ELLEN.
Und nun Sie ihn gelesen?
LADY.

Sie müssen es hoch aufnehmen, Miß, daß ich mit Ihnen über einen Gegenstand rede, dessen bisher in meiner Gegenwart niemand, ich sage niemand erwähnen durfte. Nun gut. Ihnen will ich zuerst erwidern: Sie sind Schauspielerin, Sie finden Ihren Ruhm darin, die menschlichen Leidenschaften greller aufzutragen, als selbst die Natur sie koloriert; so haben Sie auch hier nur die Farben gewählt, für welche sich in Wirklichkeit kaum die entsprechenden Mischungen finden würden –

MISS ELLEN.

Kann etwas wirklicher sein als die Gefahr, in der Ihr Sich verbessernd. – in der Richard Savage schwebt?

LADY.

Nochmals! Sie sind nicht fähig, Miß, über die Dinge zu urteilen, wie sie sind. Sie werden aus dem Flug dieses Straußes, der mit dem Fuß kaum die Erde zu verlieren wagt, immer den Flug eines Adlers machen. Die Schauspieler kommen nicht in die Lage, einfache Gefühle, wie sie die wirkliche Erfahrung des Lebens darbietet, zu zeichnen; ein Schmerz, der nicht mit den Händen gestikuliert, ist für sie – Resignation; eine Freude, die nicht mit fliegenden Haaren tobt, nennen sie Kälte; ewig in der Traumwelt erhitzter Phantasien weilend, machen sie an das Leben Ansprüche, denen das Leben nicht genügen kann.

MISS ELLEN.

Mylady, wie verkennen Sie meinen Stand! Wir armen Schauspieler verdienen Ihre Vorwürfe, wenn ein schärferes Auge, ein beweglicheres Herz, ein treueres Gedächtnis, [124] als sich mitten im Alltagsleben bewahren läßt, einen Vorwurf verdienen. Die Blumen, die Sie kalt zertreten, die pflücken wir. Auf dem Feld der Erfahrung sammeln wir diese kleinen Blumen, die Ihnen zu gering erscheinen, und binden sie zu Sträußen und Kränzen, weil abends die Entfernungen der Bühne zu groß sind, um aus ihnen das Kleine deutlich wahrzunehmen. Sie dürfen, wenn Sie einen Bettler am Wege sehen, mit einem gespendeten Almosen an ihm vorübergehen, wir müssen stehen bleiben, ihn nach seinem Kummer fragen und jene Blicke beob achten, die die vorüberwandelnde Menge stumpf und kalt auf seine Blöße wirft –

LADY.

Gut. Sie haben das darzustellen und müssen Ihre Studien machen. Doch bei einem vorkommenden einzelnen Fall, wie ihn das einfache Leben darbietet, werden Sie den ganzen Reichtum von Erfahrungen, die Sie bei ähnlichen Lagen gesammelt haben, mitanzubringen suchen und in dieser Art nie zu einem einfachen und natürlichen Gefühl kommen, wie dem Leben es geziemt.

MISS ELLEN.

Nein, Mylady! Nein! Wenn ich des Abends die Schminke von meinen Wangen nehme, den Flittertand einer phantastischen Garderobe ablege und zu den Empfindungen hinabsteige, die das Leben mir, als meine Aufgabe zu durchkosten gab – o glauben Sie, dann bedarf auch ich der Phrase nicht, um den Schmerz über ein seit frühester Jugend einsames Dasein zu fühlen, der Phrase nicht, um die Bilder einer frühvollendeten, unvergeßlichen Mutter, einer in ihren schönsten Hoffnungen betrogenen und getäuschten Schwester, eines Bruders vorzuzaubern, der in Indien diente und sein Grab in den Wellen des Ozeans fand ... O, Mylady, wenn wir dem lauschenden Zuhörer in den Schmerzen, die wir auf der Bühne wiedergeben, nur eine feine Berechnung der Beobachtung und der Kunst zu entwickeln scheinen, wie oft geben wir da nur unsere eigenen Tränen wieder und beschwören Empfindungen aus den Ruinen unserer Vergangenheit herauf, die wir nicht zu erheucheln brauchen – – Doch – ich – – erwähne alles das nur, weil ich Verwandte habe, die zugegen waren, als vor zwanzig Jahren die schottische Leibgarde nach Indien eingeschifft wurde, bei welcher – Graf Rivers stand –

LADY.

Ha! Sie wagen –? Mit allmählicher Beherrschung. Sie fordern mich in Ihrem Briefe auf, an die Königin eine Bittschrift einzureichen für die verwirkte Freiheit eines Abenteurers, der mir durch einen schändlichen Mord einen – – so nahen Verwandten – raubte –

[125]
MISS ELLEN.

Nahen Verwandten? Der Bruder Ihres so ungeliebten und so wenig vermißten Gatten könnte Ihnen näher verwandt sein als der Sohn jenes Lord Rivers –?

LADY.
Mißbrauchen Sie, sag' ich, meine Geduld nicht –!
MISS ELLEN.

Des Grafen Rivers, der allerdings Ihr Herz betrog – in Indien die Tochter des Gouverneurs zum Weibe nahm und – von Ihnen nicht gerächt zu werden brauchte. Er wurde ein Opfer des Klimas, vielleicht der Reue und des gefolterten Herzens –

LADY
will an den Tisch, um zu klingeln, und ist dabei doch ergriffen.
Ich – werde – die – Diener rufen –
MISS ELLEN
hält sie zurück.

Mylady – Vergebung! Ich verspreche, nur von dem Unglücklichen zu reden, der mitten aus einer Ruhmeslaufbahn gerissen werden soll und um Ihretwillen einem schmählichen Schicksal entgegengeht.

LADY.

Die schreckliche Folge seiner Ehrbegierde, mit deren schauderhafter Konsequenz er sich eine Mutter aus den höchsten Ständen erobern wollte –

MISS ELLEN.
Welch ein Glück für ihn, eine so vornehme und kalte Mutter zu haben –!
LADY.
Das Todesurteil ist eine Formalität! Man wird ihn in die Südsee transportieren –
MISS ELLEN.

Das eine Milderung? Statt durch einen einzigen fürchterlichen Augenblick ihn aus einem Leben voll Gram und Leiden zu entführen, schleppen sie ihn über unermeßliche Gewässer Tausende von Meilen weit nach den Wohnungen von Verbrechern hin, die mit vergiftetem Gewissen, stieren Augen ihn als der Ihrigen einen begrüßen werden, ihn, dessen engelreines Gemüt schon vor der Schilderung eines gemeinen Verbrechens schauderte! Sie, Sie, Mylady, können retten; flehen Sie die Königin an; ganz London erwartet von Ihnen diesen Schritt, der Ihnen die Achtung Englands wiedergeben wird!

LADY.

Mischen Sie – in Ihre Begeisterung für einen jungen Dichter, der Ihnen so schöne Rollen schreibt und vielleicht selbst mit Ihnen einübt, keine Beleidigungen für mich –! Mir ist an der wankelmütigen Meinung Londons wenig gelegen. Jetzt ist es Mode, gegen mich Partei zu nehmen; ich kenne London genug, um zu wissen, wovon es abhinge, daß es für mich Partei nähme. Es ist ein so schöner Roman, den man erfunden hat, und der sich des Morgens bei der Toilette, wenn man seine Papilloten auswickelt, so empfindsam besprechen läßt! Lassen Sie bekannt werden, daß Richard Savage stottert, hinkt, buckelig ist oder sonst eine die Phantasie der Damen enttäuschende Beziehung[126] sich an ihn knüpft, so werden Sie erstaunen, wie die Wage seiner Popularität sinkt.

MISS ELLEN.

Ein Glück, daß in seinem großen Herzen und seiner edeln Gestalt die zärtlichere Natur ihre Vorkehrungen getroffen hat, daß ihm solche Erfindungen nicht schaden können –

LADY.

Ich will auch nur sagen, wie flüchtig das Interesse ist, das man diesem armseligen London einflößen kann. Hätte der unglückliche junge Mann durch seine Freveltat nicht Sorge getragen, daß man ihn immer im Munde führt, er würde längst vergessen sein.

MISS ELLEN.

Man wird ihn nie vergessen! – – Aber was tu' ich? Ich reize Sie – – Nein, es kann Ihr Ernst nicht sein, ist es nicht; Sie werden die Königin bitten, gewiß, gewiß, Sie werden!

LADY.

Ich werde nicht. Tät' ich's, so würde man dem albernen Märchen, daß es mein Sohn wäre, um so mehr Glauben schenken und mich dann erst recht verdammen, wenn ich ihn später doch nicht anerkennte.

MISS ELLEN.
O, diese Berechnungen, Mylady –
LADY.
Bin ich mir selbst schuldig und einer spätern, beruhigtern Zeit, die mich richten wird.
MISS ELLEN.

Ich hör' es, Sie schwanken, Ihre Berechnungen verfangen sich, Sie können fürch ten, für empfindungslos zu gelten – nun werden Sie es auch nicht sein wollen! Sie werden erschrecken vor dem schauderhaften Ruf einer Frau, daß man sagt: Sie hat kein Herz! Sie machten diesen toten Gedanken, diese Kälte, diese Härte schon zum Gegenstand Ihres Nachdenkens – was fehlt nun noch, Mylady, daß Sie die Türen Ihrer Herzenskammern aufreißen und den Frühling der Mutterliebe auf das Eis, das sich in ihm sammelte, mild schmelzende Küsse drücken lassen –

LADY.
Sie irren sich –
MISS ELLEN.

Wagen Sie es, wagen Sie es, gut und lieb zu sein! Ich weiß es ja, nur das Leben der höhern Gesellschaft, die Lüge konventioneller Formen, die Medisance der großen Welt hat Sie erkältet, hat Ihnen den Mut genommen, wahr und gefühlvoll zu sein, hat Ihrem Willen diese kalten Entschlüsse, Ihrem Denken diese schroffen Absprünge, Ihrer Empfindung diese ungeheure Selbstbeherrschung gegeben – aber können Sie sich darin glücklich fühlen? Kann Sie der Ruhm, eine Königin des Hasses zu sein, stolzer machen als der, eine Sklavin der Liebe genannt zu werden? O gewiß, gewiß; wenn es Ihr Sohn ist, gebührt der Mutter die Liebe; wenn er es [127] nicht ist, gebührt dem Weibe, da er Sie dafür hält, das Mitleid!

LADY
streng und sich in ihrem Zimmer wendend.
Ich habe genug gesagt, und ich dächte, Sie auch –
MISS ELLEN.

Nicht genug, wenn Ihr Herz nicht erweicht ist. Noch hoff' ich – Sie schwanken – Sie ringen mit Ihrer kalten, kalten Philosophie, mit den Verhältnissen, mit der Etikette – ja auch dies – ja mit Ihrem Stolz – man hat Sie gekränkt, verspottet, verfolgt Sie, o das ist schlecht! – Aber Sie werden siegen, durch Ihre Großmut siegen, durch Ihre Vergebung; gewiß, Sie gehen zum Hof, Sie schreiben, Sie bitten um Gnade für Richard –

LADY.
Ich bewundere Ihre Beredsamkeit, aber ich – – bedaure, ihr widerstehen zu müssen. Ab.
MISS ELLEN
ihr nachblickend.

Sie läßt mich allein? Sie bleibt kalt? – stumm? – grausam?! Nach einigem Bedenken, fest. Nun denn, so geh' ich selbst zur Königin! Ab.

2. Szene
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Savage steigt eine Treppe im Hintergrunde herab; die Riegel werden hinter ihm zugeschoben.

SAVAGE.

So lassen sie mich noch manchmal frische Luft im Hofe dieser finstern Mauern schöpfen! Ach, es sind die letzten Atemzüge, mit denen ich Englands Luft trinke! Ich soll die Heimat verlassen und werde so viel Tausende von Meilen nur zurücklegen, um jenseit des Ozeans mein Grab zu finden, wie – mein Vater, der nach Miß Ellens Entdeckung in Indien starb. – – Aber was ist mir jener südliche Himmel mit seiner Pflanzenpracht und seinen taghellen Sternennächten! Die verpestete Atmosphäre Birminghams und Manchesters, der Kohlendunst in den Fabriken, die gelben Nebel Alt- Englands sind mir balsamische Luft gegen die würzige Temperatur jener südlichen Welt, die sich für mich in einen großen, lachenden, blühenden und darum nur um so grausamern Kerker verwandeln wird! – – Ausgestoßen dann unter Verbrecher, die mit plattgedrückten Nüstern, unheimlich weißen Augensternen, trotzigen [128] Stirnen die Geschichte ihrer Bosheiten erzählen, selbst wenn sie der Henker ihnen nicht mit dem glühenden Eisen der Brandmarkung auf die Haut gezeichnet hätte! Ausgestoßen unter Menschen, die mit dem Ende des Stricks, an dem die königliche Gnade sie vom Galgen schnitt, herumwandeln, daß ihre Kinder damit spielen, Kinder, denen man als Ammenmärchen die grausigen Abenteuer ihrer Eltern erzählt –! – Mutter, Mutter! Das ganze Leben stellen sie nun zwischen uns! Tod hier, Tod dort, an den beiden äußersten Grenzen, und einst erst Wiedersehen! – – Sie sagen, du trügst die Schuld meines Schicksals, während ich doch nur die Schuld des deinigen trage! Nicht dein Zögern, mich ans Herz zu drücken, tut mir so weh als der Haß und die Verdammung der Welt, die dich verfolgt! – – Daß du auch so starr sein mußt, daß du auch deine Liebe, deinen Namen so umnebeln und an dem heitern Horizont deines Gemüts dir diese drohenden Ungewitter der Verfolgung heraufbeschwören kannst –! Nicht was sie an mir tut, schmerzt mich, sondern daß sie es tut, daß sie sich freiwillig den scharfen Zungen der Verleumdung preisgibt –! Schmerzlich sinnend. Wenn ich je auf den Stolz, unter ihrem Herzen gelegen zu haben, verzichten würde, so geschäh' es, um ihr den Sieg zu lassen und die Menschlichkeit ihrer Empfindungen vor den Augen der Welt zu retten.


Gerassel an der Tür.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Steele kommt die Treppe herab. Savage.

SAVAGE.
Steele!
STEELE
ihn umarmend.

Hundertmal war ich an der Tür deines Kerkers, aber erst nach der Fällung des Urteils wollte man mich einlassen! Armer, armer Freund!

SAVAGE.

Soll ich dir sagen, was mich für mein Unglück, wenn es einen Trost gibt, trösten könnte? Daß mir etwas so Großes hat begegnen müssen, daß selbst dein sonst so verstecktes Gemüt aus dem Dachsbau seiner weltmännischen Philosophie heraus mußte!

STEELE.

Bester Freund – »begegnen müssen«? »So Großes«? Wirst du – – gehängt? Botanybai, mein Freund, verlohnt ein gründliches Studium, und für die Spalten meines Journals ist es mir wert, dort einen Korrespondenten zu haben. Freund, Freund, ich werde dich sehr vermissen, das ist gewiß, [129] aber was »begegnet« dir denn? Du wechselst das Terrain deiner Tätigkeit, und die neuen Eindrücke werden dem Charakter deiner Poesie nützlich sein! In allem Ernst, sieh dich eine Weile in der Welt draußen um! Der Zustand unserer Kolonien soll schauderhaft sein, die Gouverneure saugen ihnen, hungriger als die Spanier in Mexiko, das Blut aus; kein Schutz der Gesetze, keine Hilfe beim Parlament für die unglücklichen Bewohner derselben ist gegeben, alles geht durch den Gouverneur, die Beweisführung und der Hilferuf des Klägers durch die Hände des Beklagten – das muß einmal ans Tageslicht; da kann ich, wenn ich ins Parlament komme, drei Ministerien mit in Schach halten. Lieber Junge, wie lange wirst du dort bleiben? Einige Jahre, und es erfolgt deine Begnadigung. Kapwein wird erst gut, wenn er einmal die Linie passiert hat.

SAVAGE.

Kehrt' ich je zurück, würd' ich viel verändert finden – Meine Mutter wäre tot – Und ich selbst – ich erleb' es nicht – Mein Dasein ist geknickt, ich hänge nur noch am Leben wie eine überreife Frucht; ein Windstoß – und ich bin abgeschüttelt – Was weiß man von meiner Mutter?

STEELE.

Laß diesen unwürdigen Gedanken! Der vorschnelle Tod, den du dem Viscount gabst, hat einige Familien mit ihr ausgesöhnt. Sie gibt Abende, die immer noch genug besucht sind, um ihr Gelegenheit zu geben, mit ihrer Lieblosigkeit zu prahlen. Der Hof, der von deinen Ansprüchen überzeugt ist und dich deshalb ohne allen Zweifel zum Transport begnadigt, hat es ihr nahe genug gelegt, sie sollte für dich einen Schritt tun; sie wurde mit Briefen, Bittschriften aller Art bestürmt – nein, sie bleibt kalt und gibt Bälle. Hätte man dich gehängt, sie würde sich ein Fenster dafür gemietet haben.

SAVAGE.

Steele, es ist eine Freude zu sehen, wie du die Dinge so lange biegst, bis sie krumm werden oder brechen!

STEELE.

Ich bemitleide dich, Savage! Du entfremdest dir deine Freunde durch ein Vertrauen, das du auf eine Anerkennung setzest, die du bei dem Charakter der Lady nie finden wirst.

SAVAGE.

Geheimnisse zu enträtseln, die in der Menschenbrust schlummern, bist du nicht der Mann. Was treibt man draußen in der Welt?

STEELE.

Danke uns, wenn diese Staatsverfassung, diese Gesetzgebung, die einen Bürgerlichen zum Tode verurteilen kann, der sich gegen den meuchlerischen Überfall eines Adeligen mit dem Degen in der Faust wehrt, hoffentlich bald zu Grabe geht! Denn die Macht des Journalismus wächst. Von allen Dingen, [130] die vorgehen, haben wir die Fäden in der Hand. Wir spinnen das Gewebe dessen, was man heute noch zu behaupten, zu glauben, zu unternehmen wagt. Die Gold- und Silberbarren der Wissenschaft prägen wir in kurante Münze um, die von einer Hand zur andern wandert und den Umsatz der Ideen befördert. Zu den edlen Metallen eines Baco, eines Locke setzen wir das Kupfer hinzu, legieren das Silber und geben die Wahrheit dreizehn-, zwölf-, eilflötig heraus, je nachdem sie die Menschen fassen können. Heutigentags will alles seine Form haben. Die Philosophen läßt man's aus Bechern, die Kinder aus Löffeln nehmen; den Frauen versetzen wir die Probleme mit etwas brillanter Einfassung, etwa in Gestalt eines Fächers, mit dem sich's in der Gesellschaft anmutig kokettieren läßt – Kurz, die Ideen müssen Gemeingut werden; alle sind berufen, die Menschheit will wissen, woran sie ist!

SAVAGE.
Die Dichter werdet ihr dabei zu Grabe tragen!
STEELE.

Lustspiele, Savage, Lustspiele! Die Menschen sind eurer Trauerspiele satt, eurer wahnsinnigen Könige, eurer händeringenden Jungfrauen, eurer naturwidrigen Geisterbeschwörungen! Satt, satt –! Lustspiele, Savage! Feine gesellschaftliche Bezüge, satirische Gemälde des Lebens der höhern Stände, Ironien auf die Advokaten, auf die Ärzte, auf die Priester – das ist ein Feld, Savage; Witz, Witz, Witz! Frage die Schauspieler, sie urteilen selbst so. Zieht ein Papier hervor. Aber da hätt' ich das Beste fast vergessen. Das ist eine Satire, wie sie wohl noch nie auf ein menschliches Wesen geschrieben wurde! Wäre deine Mutter eine Griechin, sie würde sich ohne weiteres aufknüpfen!

SAVAGE.
Auf meine Mutter –? Eine Satire?
STEELE.

Sie kommt in die nächste Nummer meines Journals. Noch nie hat die englische Sprache einem Nadelholzbaum so geglichen wie hier. Alle Kammermädchen Londons könnten eine Woche lang ihren Damen damit das Haar aufstecken, wenn jedes Wort eine Stecknadel wäre. Eine Stachelpyramide! Lies selbst!

SAVAGE.
Ich werde dir dafür eine Ode an meine Mutter geben. Zerreißt das Manuskript.
STEELE.

Was? Wie? Zerrissen? Mein bester Artikel – die gelungensten Einfälle, Sarkasmen wie Scheidewasser – Himmel, was mach' ich! Savage zerreißt die Blätter in kleine Stücke. Mein Journal will seine Spalten gefüllt haben! Aus dem Gedächtnis kann ich diese Eingebungen des glücklichsten Moments nicht wiederherstellen – o, o, Savage, du solltest wissen, daß der [131] echte Schriftsteller, wenn er die Wahl hätte zwischen allen Freuden des Para dieses und der Ehre, ein Bonmot gemacht zu haben, sich gar nicht besinnen würde, in die – ohnehin zweifelhafte Hölle zu fahren – Richard, Richard – – Unterbricht sich. Na, du mußt mir nur nicht zürnen! Du mußt mich nur nicht für lieblos halten! Auf der andern stand der Entwurf zu einer Verteidigung deiner Ansprüche, welche die Stelle enthielt: Wenn ich dein krankes Auge, dein wehmütiges, schmerzdurchzittertes Lächeln sehe, da müssen jedem die Worte, die der Welt die Geschichte deines schönen Herzens erzählen, zuströmen, wie in einer guten Stunde die Ahnungen unsers bessern Selbst! Dein Rächer soll in mir leben! Ja, Freund, wenn du am Strand der fernen Inseln des Stillen Ozeans stehst und siehst ein gewitterndes Leuchten über den Spiegel der Wellen blitzen, dann denke: Es sind die Vorboten der Donner, die wir in deiner Sache schleudern werden! Welch einen schönern Triumph kann die Macht der Rede feiern, als das edelste Opfer unserer künstlichen geselligen Verhältnisse zu verteidigen und an einem gebrochenen Herzen, wie dem deinigen, zu zeigen, daß wir Ereignissen entgegengehen, wo die Natur, das ewige Maß der Dinge, zu Gericht sitzen wird über eine verlebte Welt wie die unserige – – Nun, Gott sei Dank! Ich kann meinen Aufsatz noch aus dem Gedächtnis wiederherstellen. Adieu, ehe du reisest, altes, liebes, gutes Herz, sehen wir uns noch. Ganz London soll dir ans Schiff das Geleit geben, und stünde Hochverrat darauf! Sieht nach der Uhr. Die bewilligte Stunde ist abgelaufen. Sie umarmen sich. Leb' wohl!

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Die Schlösser rasseln an den Türen. Lord Oberrichter tritt die Stufen herab mit einigen Greffiers; nach ihm Lord Tyrconnel mit einem glänzenden Gefolge von goldbordierten Lakaien. Die Vorigen.

SAVAGE.

Hörst du? Man kommt, mir die Stunde anzusagen, wo ich von Englands teuerm Boden scheiden soll! – Es ist mehr als ein Todesurteil –

STEELE.
Der Lord Oberrichter von England? Und Lord Tyrconnel, dein Protektor?
OBERRICHTER
ein Papier in der Hand.

Sir Richard, mit wahrem Vergnügen entledige ich mich der Pflicht, die mich zu Ihnen führt. Sie sind frei.

SAVAGE
auf ihn zustürzend.
Wie?
[132]
OBERRICHTER.
Sie sind frei!
SAVAGE.
Das ist das Werk meiner Mutter? Sie hat bei der Königin für mich gebeten?
OBERRICHTER.

Die Königin war gegen Sie eingenommen. Ihre Tat nicht allein, sondern auch Ihr früherer Ruf, Sir Richard, Ihre ungeregelte Lebensweise hatten den Hof gegen Sie mißgestimmt. Die jetzige Berichtigung des Urteils über Sie und die völlige Begnadigung verdanken Sie nächst Ihrem geachteten Rufe als Dichter einer weiblichen Vermittelung –

SAVAGE.
Meiner Mutter! Hörst du's, Steele? Sie ist besiegt, ihr Stolz ist gebrochen.
LORD TYRCONNEL.

Vergebung – Sir Richard, Sie danken es Miß Ellen, der großen Künstlerin – Sie war es, die vergebens das Herz Ihrer Mutter zu bestimmen suchte und sich dann selbst zur Königin begab – Sie hat gesiegt –

SAVAGE
trauernd.
Miß Ellen –!
STEELE
scherzend zu sich selbst beiseite.
Herzloser Egoist! Selbst darüber eifersüchtig –?
OBERRICHTER.

Hören Sie den schriftlichen Erlaß des Amts der königlichen Gnade: »In Erwägung, daß Sir Richard Savage die an dem Viscount Marishal begangene Tötung unter Umständen vollzog, die Uns schon bestimmten, die gegen ihn ausgesprochene Todesstrafe in Deportation zu mildern; in Erwägung, daß Sir Richards Jugend und Unerfahrenheit Uns jetzt erst deutlicher ans Herz gelegt worden sind, und von ihm ein seiner geistigen Ausbildung angemessener Lebenswandel zu erwarten steht, wollen Wir ihn dem vollen Genuß seiner frühern bürgerlichen Rechte und Freiheit zurückgeben, mit der besondern Hoffnung, daß er sein Talent zur Verherrlichung des Vaterlandes und Unsers ruhmvollen Hauses anwenden werde.«

STEELE
beiseite.
Sie wird ihn noch zum Hofdichter machen – Laut. Richard, mögen dir die Musen diese Freiheit segnen!
SAVAGE.

O, daß ich dem edelsten Geschöpf der Erde nicht mit ungeteiltem Herzen danken kann! Was soll mir das Leben in dieser kalten, grausamen Welt!

LORD TYRCONNEL.

Sir Richard, verzweifeln Sie nicht! Erheben Sie sich! Sie sehen in mir einen Ihrer leidenschaftlichsten Bewunderer. Lord Tyrconnel fühlt es, daß England Ihnen eine Schuld abzutragen, ein Verbrechen, das man an Ihnen beging, wieder gutzumachen hat! Ich bin reich genug, alles nachzuholen, was die Nation an Ihnen versäumte. Ich war mit Ihrem Vater, Lord Rivers, entfernt verwandt, ich erkenne Sie in dieser Verwandtschaft an; wird in meiner Familie ein [133] Besitz oder Titel frei, so soll er unverzüglich auf Sie übertragen werden. In meinem Hotel hab' ich Ihnen ein ganzes Stockwerk eingeräumt und es so poetisch, wie mir armen Dilettanten möglich, einzurichten versucht. Alle Zirkel der höchsten Gesellschaft, die Gesellschaften des Hofs stehen Ihnen von jetzt an offen. Ich, ich halte Sie an meiner Hand – Sie müssen diese Stellung gegen die Intrigen Ihrer Mutter gewinnen.

SAVAGE.
Steele, darf ich mich auf eine so schwindelnde Leiter wagen?
STEELE.

Besser, als eine gewisse andere betreten – die dir drohte! Lord Tyrconnel hat dich bereits in der öffentlichen Meinung als seinen Sohn adoptiert –

SAVAGE.
Nimmermehr!
LORD TYRCONNEL.

Sie sind der Sohn Englands, und ich nur der Bevollmächtigte dieser Liebe! Zwei meiner Landhäuser stehen für Sie offen. Einige Züge der ausgesuchtesten Pferde harren mit Kutschen, die ich eigens in Paris bestellte, Ihres Winkes. Dies Ihr Haushofmeister, dies Ihr erster Kammerdiener, dies das übrige dienende Personal, das ich ganz Ihrer Verfügung anheimgebe. Hier beginnt hinter der Szene eine Musik. Ich, ich führe Sie nicht im geheimen auf den Platz, der Ihnen jener Intrige gegenüber gebührt; ich ließ von diesem schmählichen Ort, der Sie hier zwei Monate gefangen halten durfte, einen Teppich legen bis in meinen Palast. Ganz London soll Ihren Triumph feiern! Ich habe meine Freunde, fünfzig Mitglieder der jungen Gentry der Stadt, aufgeboten; sie stehen mit Rossen und Wagen vorm Tor dieses düstern Hauses. Die Musik des ersten königlichen Regiments wurde mir zur Verherrlichung des Tags vom Kommandanten des Tower bewilligt. Ein Blumenregen wird Sie begrüßen, Sie, den Sohn des Volkes!


Inzwischen hat sich das Theater ganz mit Volkshaufen, mit Matrosen, die ihre Schiffswimpel schwingen, angefüllt. Richard, von Tyrconnel geführt, besteigt schwankend die Stufen. Allgemeines Hoch!
STEELE
während der Marsch fortspielt.

Lord Tyrconnel muß von der Lady einen Korb bekommen haben, der so groß war, daß ganz London hineinging! Wenn ich die Geschichte heut' abend in meinem Journal erzähle, werd' ich für die, die England nicht kennen und sie nicht glauben sollten, hinzufügen müssen: Authentisch!


Trompetentusch draußen und fortgesetztes Hoch der versammelten Menge.
Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Die Lords Tyrconnel, Winchester und Berwick.

LORD TYRCONNEL.

Ganz mein Schicksal! Ganz dieselben Launen und Bitterkeiten, denen zuletzt der Ausbruch eines Vulkans folgt.

LORD BERWICK.
Sie hat sich seit einem halben Jahre erstaunlich verändert.
LORD WINCHESTER.

Sie will es zwar nicht wahr haben, aber die Angelegenheiten mit ihrem Sohn haben ihre Ruhe, wenigstens ihr Betragen gegen uns und alle Welt gestört. Ich gestehe, daß sie mir oft den Eindruck der Lady Macbeth macht. Gespräche hatt' ich mit ihr, wo sie so abwesend antwortete, als sähe sie Gespenster.

LORD TYRCONNEL.
Das Rollen ihrer Augen kann ich mir aus früherer Erfahrung denken!
LORD BERWICK.

Ihre Behauptungen sind schneidender denn je, ihre Ansichten paradox, und ihr Stolz vollends fährt so hinaus, als wohnte sie in den hängenden Gärten der Semiramis –

LORD TYRCONNEL
lachend.

Sie flieht vor den Zumutungen einer allerdings höchst plebejischen Beziehung! Savage war eine Zeitlang in der Lehre bei einem Schuhmacher. Wie nimmt sie die Lage auf, in die ich ihren Sohn seit seiner Freisprechung versetzt habe?

LORD WINCHESTER.

Mylord, Sie hatten das Vergnügen, einige Jahre lang ihr nicht zu mißfallen, und gerade von Ihrer Seite aus mußte diese Handlung für sie das verletzendste sein. Sie wollten ohne Tinte und Feder ein Pasquill – der Rache schreiben –

LORD BERWICK.

Schreiben lassen, Lord Winchester! Lord Tyrconnel ist der Beherrscher der Presse geworden. Seitdem man Sie nicht mehr auf den Fuchsjagden sieht, pirschen Sie im Revier der Popularität –

LORD WINCHESTER.
Steele – war's nicht Steele? – behauptete neulich, Sie sprächen sechs Sprachen –
[135]
LORD TYRCONNEL.

Fünf sprech' ich auch, Mylords. Unter der sechsten hat er die Sprache der Aufrichtigkeit verstanden. Ich darf Ihnen frei bekennen, daß ich Neigung für jene Partei im Parlamente hege, die in der Verfassung Englands nicht die Garantie unserer Mißbräuche, sondern das Mittel erblickt, ihnen abzuhelfen. Es kostet mich – – einiges Geld.

LORD BERWICK.
Doch werden Sie als der Mann des Volks gepriesen.
LORD WINCHESTER.
Seit Ihrer Handlungsweise gegen Richard Savage geradezu vergöttert.
LORD TYRCONNEL.

Ich wollte dem Genie meine Huldigung bringen und ein Wesen beschützen, das doch nur ein Opfer unserer Standesunterschiede ist. Ich verwerfe die Standesunterschiede an und für sich durchaus nicht; nur sollte man anfangen, dem Volk mit der Zeit einige Konzessionen zu machen; z.B. einen Bürgerlichen bei sich zu Tisch zu laden und dafür wiederum eine Einladung bei einem reichen Bankier in der City anzunehmen – warum nicht?

LORD WINCHESTER.
Aber Sie sollen, wie ich höre, bei alledem wenig Freude an ihrem Adoptivsohn erleben.
LORD TYRCONNEL.

Er könnte das, was ich an ihm tue, mit ein wenig mehr Dankbarkeit aufnehmen. Allerdings. Aber er ist krank. Das entschuldigt ihn.

LORD BERWICK.
Seine Verschwendung soll maßlos sein.
LORD TYRCONNEL.

Ich denke mir, er will meine väterliche Liebe auf die Probe stellen. Ich geb' ihm in allen Beweisen seiner adligen Herkunft nach und suche ihn auf die fashionabelste Art zu erheitern. Heute habe ich die Absicht, ihn mit einem Maskenball zu überraschen. Schade, daß Sie nicht bleiben können! Freilich würden Sie bei Lady Macclesfield den Rest Ihrer Gunst verlieren. Ist es denn wahr, daß sie Ihre beiderseitige Bewerbung nur duldet, wenn Sie immer zugleich an die Tür ihres Boudoirs pochen, immer zugleich ihr den Arm bieten, immer zugleich ihr die Hand küssen –? Lacht.

LORD BERWICK, LORD WINCHESTER
blicken verlegen zu Boden.
LORD TYRCONNEL.

Hahahaha! Und als Sieger gar, nach dem Abend im Theater, wo Sie Ihre Dame verleugneten, wieder bei ihr erschienen, natürlich immer als Inseparables, obgleich Sie sich beide, glaub' ich, einander gar nicht einmal leiden können –?

LORD BERWICK, LORD WINCHESTER
verlegen.
Mylord –
LORD TYRCONNEL.

Da wurden Sie beide unter der ausdrücklichen Bedingung wieder zu Gnaden angenommen, daß Sie die [136] Dame in jede öffentliche Gesellschaft, auf jedes Wettrennen, auf jeden Ball führen. Heute werden Sie sie wahrscheinlich auf den maskierten Ball der Herzogin von Sussex begleiten?

LORD BERWICK.
Es würde uns in der Tat mehr Vergnügen machen, den Ihrigen zu besuchen –
LORD WINCHESTER.
Gewiß, gewiß!
LORD TYRCONNEL.
Zumal da die Maske Sie verbirgt –
LORD BERWICK.
Glauben Sie das nicht, Mylord, wir haben der Lady unsere vollständige Neutralität angezeigt –
LORD WINCHESTER.

Und wie kommen Sie dazu, Mylord, der Herzogin von Sussex die Hälfte ihrer Gäste zu rauben, indem Sie ihr mit Ihrer Maskerade Konkurrenz machen?

LORD TYRCONNEL.

Die Herzogin von Sussex ist meine politische Gegnerin und die einzige Dame der Gesellschaft, die noch für Lady Macclesfield Partei nimmt –

LORD BERWICK.

Politische Gegnerin? Die Herzogin von Sussex ist die Freimütigkeit selbst. Hat sie nicht auf dem Eingang zur großen Treppe ihres Hotels die Statue Cromwells aufstellen lassen?

LORD WINCHESTER.

Apropos! Wie kommen Sie denn –? Zu meinem Erstaunen hab' ich von dieser Statue eine Kopie auf dem Estrich Ihres Hotels gefunden –?

LORD TYRCONNEL.

Ich bin der Mann ohne Vorurteile. Ich adoptiere auch gern, wie Sie an Savage sehen, fremdes Eigentum. Aber, Mylords, ich glaube, die Instrumente stimmen schon. Entscheiden Sie sich! Bleiben Sie hier und brechen mit Lady Macclesfield oder –?

LORD BERWICK, LORD WINCHESTER
in Verlegenheit sich empfehlend.
Mylord – erlauben –
LORD BERWICK.
Wir behalten uns vor –
LORD WINCHESTER.
Unsere Verpflichtung –
LORD BERWICK.
Das einmal gegebene Wort –
LORD WINCHESTER.
Das der Herzogin von Sussex gegebene Wort –
LORD TYRCONNEL.
Ich wünsche den Herren viel Vergnügen und im übrigen – sans rancune
LORD BERWICK, LORD WINCHESTER.
Sans rancuneBeide ab zur Seite.
LORD TYRCONNEL
allein.

Ihr Spatzenköpfe, ihr sollt euch wundern –! Eine Erinnerung an Cromwell soll noch niemals so den rechten Weg bezeichnet haben, der allein in England zum Ziele führt, als heute – Er klingelt.

2. Auftritt
[137] Zweiter Auftritt.
Zwei Bediente. Lord Tyrconnel.

LORD TYRCONNEL.
Ah! Da seid ihr! Alles in Ordnung?
ERSTER BEDIENTER.
Mylord, den Kutscher hab' ich auf mich genommen –
ZWEITER BEDIENTER.
Und ich, Mylord, auf mich die Bedienten
LORD TYRCONNEL.
Wen sie entläßt, der tritt in meine Dienste –! Und jedem dreißig Guineen –!
BEIDE BEDIENTE.
Nach Mylords Befehl.
LORD TYRCONNEL.

Der Wagen hält statt vor dem Hotel der Herzogin von Sussex vor dem meinigen. Die Fassade hat die größte Ähnlichkeit; die Treppen schmückt ihr mit denselben Blumen, die ihr bei der Herzogin gesehen habt, die Statue Cromwells ist bereits imitiert; die Masken werden hier wie dort dieselben sein, so daß weder sie noch ihre Begleiter den Irrtum bemerken können. Ich werde ihr dann den Sohn vorstellen, sie veranlassen, daß sie mit ihm tanzt, und wenn sie den Irrtum – gemerkt hat, dann wird die Chronik Englands um eine pikante Anekdote reicher sein. Es schlägt neun Uhr. Hurtig an die Arbeit.


Die Bedienten ab.
LORD TYRCONNEL.

Boshafte Kokette! Dieser Abend soll die Genugtuung krönen, die ich mir für den Augenblick schuldig war, als du mir nach einer Demütigung von mehr als drei Jahren die Tür wiesest –! Savage darf von der Überraschung nichts wissen; er könnte die Entdeckung zu früh herbeiführen und mir den Spaß verderben. Noch eine Weile, bis ich meine erste politische Rede gehalten habe, mag die Komödie dauern – dann werd' ich ihm eine kleine Rente geben und ihn vor die Tür setzen. Da kommt er.

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Savage in geschmackvoller, eleganter Kleidung. Lord Tyrconnel.

SAVAGE.

Ich suchte Sie überall, Mylord, und nun ich Sie finde, hab' ich nicht den Mut, meine Bitte auszusprechen.

LORD TYRCONNEL.

Sie wissen, mein Sohn, daß ich jedem Ihrer Wünsche zuvorzukommen suche; wie sollt' ich erst hinter ihnen zu rückbleiben?

SAVAGE.

Ich hab' erfahren, daß meine Mutter in Kent [138] geboren wurde, auf dem Schlosse ihres Vaters, des Lord Mason; in einigen Wochen ist ihr Geburtstag. Wie wär' es, wenn wir uns daselbst durch Ankauf einige Gegenstände anzueignen suchten, die sie in die Zeit ihrer ersten Jugendjahre zurückversetzen müßten, und die wir ihr, ohne den Absender zu nennen, schickten?

LORD TYRCONNEL.

Sie wissen, daß ich zu allem bereit bin; indessen erinnere ich Sie, daß Ihre Mutter Ansprüche auf Huldigungen macht, bei denen des Geburtstags einer Dame in ihrem Alter nicht gern Erwähnung geschieht.

SAVAGE.

Glauben Sie das nicht, Mylord! Sie wird glücklich sein, einige Erinnerungen an das liebliche Kent und die Besitzungen ihrer Eltern wiederzufinden. Auch soll sie den Wunsch geäußert haben –

LORD TYRCONNEL.
Was Sie alles erfahren!
SAVAGE.

Ich habe meine Späher überall – Zögernd. sie möchte einige von den Gemälden Hogarths in ihrer Galerie besitzen –

LORD TYRCONNEL.
Vielleicht die Geschichte vom verlorenen Sohn –
SAVAGE.

Ohne Beziehungen! Könnte man dem Maler nicht auftragen, irgendeine seiner nächsten Kompositionen meiner Mutter – gleichsam selbst zum Geschenk darzubringen oder in anonymem Auftrag –?

LORD TYRCONNEL.

Sie wissen, Savage, ich bin zur Erfüllung jedes Ihrer Wünsche bereit. Sprechen Sie mit Hogarth – er ist teuer und mit Arbeit überhäuft, indessen rechnen Sie ganz auf mich! Sie sind heut' auf unserm Ball?

SAVAGE.

Ihnen und meinen Freunden zulieb'! Sonst gesteh' ich, daß diese Masken für mich etwas Abschreckendes haben. Im Süden, wo man sich zu jeder Zeit offener und freier gibt, kann man wohl einmal das Bedürfnis fühlen, sich zu vermummen, aber bei uns, wo so schon jeder Blick versteckt und unwahr genug ist, da noch Masken!

LORD TYRCONNEL.

Es ist ein nur scheinbarer Zwang, der gerade auf eine anmutige Freiheit gegründet ist. Die phantastische Tracht, die Unbefangenheit hinter der Brustwehr der Unkenntlichkeit –

SAVAGE.
Ich werde kommen.
LORD TYRCONNEL.

Seien Sie heiterer, mein Freund – streichen Sie sich die Locken aus der Stirn und stimmen Sie in die Lebenslust mit ein, die Sie umgibt! Sie müssen den rechten Sinn mitbringen, sonst ist alles tot und wertlos, was sich hier [139] vor Ihnen ausbreitet. Ich bin kein Alfons von Ferrara, der sich mit Mäcen vergleichen dürfte, aber Sie verkümmern mir wie ein zweiter Tasso unter all den Freuden, die ich aus dem Füllhorn meiner Teilnahme schütte. Seien Sie heiter diese Nacht, sie wird Ihnen manche Überraschung bieten. Auch Miß Ellen – eine Dame, die Sie liebt, und die Sie, Muster alle musterhaften Söhne, nur darum, glaub' ich, nicht wiederlieben, weil Sie – Ihre Mutter durch eine Mesalliance zu betrüben fürchten. Hätt' ich Sie je für so aristokratisch gehalten! O Vorurteile! Wann wird eure Herrschaft schwinden! Ich muß mir – die Maske holen. Ab.

SAVAGE
allein.

Tasso! Und Tasso dichtete doch wenigstens sein »Jerusalem«, als er in der lästigen Atmosphäre dieser Freuden und Überraschungen, dieser sogenannten Teilnahme lebte! Es waren heitere Gärten, deren melancholische Schattengänge ihm jene Einsamkeit zauberten, ohne die man nicht Dichter sei kann; holde hohe Frauenbilder lächelten ihm und störten sein sinniges Träumen erst dann, wenn sie mit einem selbstgewundenen Lorbeer kamen und seine stillbeglückte Dichterstirn bekränzten! Da lagen sanfte Bergeshöhen vor seinen Blicken, Rebenhügel, silberne Stromgürtel, die sich durch die grünen Fluren zogen, und selbst die fürstliche Pracht, die ihn umgab, hatte den klassischen Schmelz griechischer Bildung, eine idealische Schönheit der Formen, wie sie das Erbteil eines Zeitalters war, in dem Raffael den Pinsel führte. – – Was bieten sie mir? Lakaien in betreßten, geschmacklosen Livreen, nickende Pagoden auf Kaminen, Möbel aus den feinsten Hölzern Südamerikas, Tee, der in den Gärten des Kaisers von China gewachsen ist, Weine und eine Tafel, die fürstlich: nichts, als die glänzendste Art, sich das Leben bequem zu machen, einschläfernd, unterhaltend, wie sie's nennen. Meine Phantasie kann nichts mehr zaubern, da ihr alles geboten wird; mein Gemüt findet keinen dunkeln Winkel, wo alles von Lichtern widerstrahlt; die Muse flattert scheu von einem Raum zum andern und hört nicht mehr, wenn ich ihr rufe. Der Muse kann man nicht wie einem Lakaien klingeln – – Wozu? Miß Ellen hat für mich gesprochen, sie nicht. Ich sitze wie ein Knabe am Bache und lass' ihn durch meine Finger gleiten: Ströme von Gold fließen hindurch; das einzige Ringlein der Liebe von meiner Mutter – das bleibt aus – –

4. Auftritt
[140] Vierter Auftritt.
Ein dritter Bedienter tritt auf. Savage.

BEDIENTER.
Sir! Das Konzert wird zustande kommen. Ein solcher Italiener!
SAVAGE
freudig.
Er wählt meine Mutter zur Patronin seines Konzerts?
BEDIENTER.

Anfangs hätt' ich ihm können zu Füßen fallen – er wollte nichts davon hören. Sie wäre aus der Mode, alle Künstler hätten ihn vor ihr gewarnt, das Konzert würde leer bleiben, wenn sie an der Spitze stünde – und er, er, Tarentello Tambosi Tamburini, ein leeres Konzert! Erst als ich ihm mit dem Notar garantierte, daß Sie drei Konzerte in London decken würden und fünf im übrigen England, falls ihm der Name der Lady irgendwo schaden würde, entschloß er sich, Lady Macclesfield zu bitten um Patronato von sua voce. Er singt famoso.

SAVAGE.

Ist gut! Bedienter ab. Ich muß die Demütigungen hintertreiben, die man sie überall empfinden läßt. England soll milder von ihr urteilen. Ach – – ich zerschelle mir daran mein Haupt wie an einer ehernen Mauer. Wie soll es enden? Mich ergreift Wahnsinn. Ich zweifle schon an der Berechtigung meiner Ansprüche und unterwerfe mich ihrem Haß! Tritt an das offene Fenster. Wie der Mond sein feuchtes Licht auf die ermüdete Stadt gießt! Wie Häuser und Kirchen so dunkle gespenstische Schatten werfen! Der Abendwind singt mit lindem Wehen die Welt in den Schlummer, der sie alle gleich und alle Herzen edel und gut macht. Kräht der Hahn in der Frühe, so sind sie wieder alle Neider und Verleumder, streiten und belügen sich, zeigen wie wilde Tiere fletschend ihre Zähne und trotzen Gott ins Angesicht, der sie nach seinem Bilde geschaffen hat! Die Nacht – die erschreckt sie, der Mond mit seinen Strahlen – der bindet sie. Sollte man nicht glauben, Hinauszeigend. das wäre ein Welt voll Liebe und Freundschaft, Duldung und zarter Schonung? Wuchset ihr denn nicht alle auf demselben Baume, seid ihr nicht die Söhne desselben Apfels, der einst die Sünde in das Paradies und den Schmerz in die Welt brachte? So, so wie ihr dort schlummert, macht euch ja alle einst der Tod gleich; warum ist das Leben nun nicht edler als der Tod? Warum Haß? Menschen, bei den schwebenden Sternen dort am Firmament, bei des Mondes tausendjährigem liebevollen Wächterdienst über die schlummernde Erde, warum hasset ihr euch? Was lächelt ihr nicht mit holder Liebe, wenn ihr euch einer in des andern Augenspiegel erblickt, und seid [141] gut, gut, wie der Gott, der euch geschaffen hat? Heilige Nacht, in deinen Schatten birgt sich die selige Hoffnung, daß ein Tag kommen muß, wo die Menschen sich durchschauen wie mit kristallenen Leibern und jede List, jede Lüge, jede Gewalt auf der Zunge und dem Herzen wie Schaum zerrinnt! O Genius des Friedens, komm, daß ich die heiße Brust an deinem Herzen kühle und sanft hinüberträume in meine Heimat – in das Land der Toten!


Er beugt sein Haupt auf die hohe Lehne eines Sessels, der an der Fensterbrüstung steht.
2. Szene
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Lord Tyrconnel, selbst maskiert, mit einer Maske in der Hand, begibt sich zu dem am Fenster träumenden Savage. Dann Miß Ellen.

LORD TYRCONNEL.
Hier, mein Freund! Schon sind unsere Gäste im besten Zuge –
SAVAGE.
Und mühen sich ab, fröhlich zu sein!
LORD TYRCONNEL.

Nehmt die Maske vor! Es lebe die Heiterkeit! Singt. Viva l'allegrez za! Bindet ihm die Maske vor und ergreift seine Hand. Kommt und mischt Euch unter die Fröhlichen! Geht dem Hintergrunde zu.


Miß Ellen, geschmackvoll kostümiert, tritt ihnen entgegen.
MISS ELLEN
zu Savage.
Was lasest du in den Sternen, Maske?
SAVAGE
sie am Tone erkennend.

O, daß Savage nicht würdig ist – Miß Ellens Freund zu heißen –! Es ist Eure Stimme, Euer süßer Ton, mit dem Ihr für mich schon Wunder tatet, die ich Undankbarer –

MISS ELLEN.
Wunder, die Menschen verrichten, haben meist sich selbst belohnende natürliche Ursachen –
SAVAGE.

Aber selten so unnatürliche Folgen wie bei mir! Miß, verzeihen Sie, daß ich Ihre Schritte bei der Königin nicht in jedem Fußtapfen verfolgt und die Blumen meines Dankes daraufgestreut habe. Sie wissen nur zu gut, daß die Freude über die kühne Tat, die Sie mir widmen konnten, für mich mit einer schmerzlich bittern Täuschung verbunden war!

MISS ELLEN.

Bin ich nicht längst gewohnt, mein Freund, nur wie ein Wanderer am Wege Ihnen nachzublicken, während Sie [142] wild auf dem Flügelroß Ihres Schicksals vorübersausen? Früher war's die leichte Art, wie Sie das Leben nahmen, die Sie mir entführte; jetzt ist es unter den Frauen jene eine, die Sie unter meinen Mitschwestern – je fesseln konnte.

SAVAGE.

Hätten Sie geglaubt, daß die Erfüllung meines einzigen Wunsches auf Erden so in den bittersten Erfahrungen enden würde?

MISS ELLEN.

Die stille Sehnsucht, die Sie nach Ihren unbekannten Eltern trugen, hätt' ich nicht nähren sollen. Was waren wir Kinder, wenn Sie von Ihren nächtlichen Träumen sprachen, wenn Ihnen die Mutter erschienen war, wenn Sie kamen und mit fieberhaft rollendem Auge sagten, es wäre Ihnen, als müßten Sie einst noch Ihre unglückliche Mutter an Ihrem Vater rächen?

SAVAGE.

Weil ich nur an dies eine dachte, was hab' ich mir da nicht alles entgehen lassen! Das ist das Schmerzlichste, wenn wir jahrelang einer Hoffnung nachjagten und sie zuletzt in nichts zerrinnen sehen, daß wir uns vorwerfen müssen, was wir in dem eiteln Streben versäumten, wie der Frühling kam und wir begrüßten ihn nicht, wie der Sommer lachte und wir genossen ihn nicht, wie die Nachtigall schlug, die Rose duftete und alles, alles ging hin und kommt so – so – nicht wieder –!

MISS ELLEN.

Richard, verzweifeln Sie nicht! In der Dichtkunst haben Sie eine Verjüngungsquelle, aus deren urkräftigem Born Sie sich alles selbst schöpfen und schaffen können, was Ihnen die übrigen Menschen, nach ihrer eigenen Schwäche auch Sie beurteilend, bisher vergebens anboten. Trinken Sie von diesem Quell, und die Welt wird Ihnen in einem neuen Licht wieder aufgehen!

SAVAGE.

Die Herzen der Menschen schafft man sich nicht. Verschmähte Freundschaft, abgewiesene Liebe ist verloren wie – ein Stelldichein, das man versäumte, und das uns so nicht wieder geboten wird –! Mit ausbrechendem Schmerz. Mußte sich mir auch in diesem einzigen Gedanken an meine Mutter alles vereinigen, worin sonst ein Jünglingsherz seine Seligkeit findet! Alles Herrliche im Leben, alle Schönheit der Natur, allen Adel des Gemüts bezog ich auf sie; von ihr aus kam mir erst Licht und Wärme in meine Gefühle, ihr bracht' ich die Erstlinge meines Daseins, die erlesensten Früchte meiner Einsamkeit, den Stolz der Armut, die Entsagung eines freien Geistes zum Opfer. Hin – alles! Mit dem einzigen Fehler in meiner Rechnung stürzte das ganze Gebäude zusammen –

MISS ELLEN.

Und rechnen Sie das äußere Glück, in dem Sie [143] leben Auf den Hintergrund zeigend. diese glänzenden Verhältnisse für nichts?

SAVAGE.

Sprechen Sie nicht davon, Miß! Ich bin wie eine abgepflückte Blume, über die einer gekommen, sie Blatt für Blatt zu verunzieren. Er wird sie ansehen, sie zu verdorben finden, um noch in ein Glas frischen Wassers gestellt zu werden – er wird sie – über den Zaun werfen.

MISS ELLEN.

Nein, nein! Kommen Sie! Seien Sie heiter! Ich erzähl' Ihnen von Drurylane, von Ihren ältern Stücken, die man neu beleben soll, von unserer letzten Sitzung im Shakespeareklub; halten Sie sich an das, was Ihnen unentreißbar im Reich der Geister bleibt – und einstweilen hier – an diesen Arm! Sie zieht ihn fort. Beide mischen sich unter die übrigen.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Lord Tyrconnel folgt. Lady Macclesfield, die am Arme Berwicks und maskiert auftritt. Lord Winchester. Die Musik dauert fort.

LORD TYRCONNEL
für sich.
Der Plan ist gelungen! Da ist sie!

Lady Macclesfield und Lord Berwick, maskiert, treten auf.
LADY
befremdet.
Ich finde, daß sich die Lokalitäten der Herzogin seltsam verändert haben.
LORD BERWICK.

Sie hat im Herbst gebaut – es ist weit geräumiger geworden. – Sonst war ihr Salon ein wahrer Engpaß von Thermopylä, wo oft mehr als dreihundert Menschen in Gefahr waren, erdrückt zu werden –

LADY.
Auch die Gesellschaft scheint nicht die gewöhnliche zu sein –
LORD WINCHESTER.

Allerdings muß ich bekennen – daß auch – ich die gute Gesellschaft der Herzogin vermisse. Sehen Sie da! Sogar ein Harlekin mit der Pritsche – macht London solche Fortschritte –!

LORD BERWICK.
Kommen Sie, Mylady! Vielleicht finden wir die Herzogin im Saale drüben!
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Steele als Harlekin mit der Pritsche. Er war schon vorher sichtbar und teilte hier und da Schläge aus. Zehn Masken. Die Vorigen. Die Musik dauert fort.

STEELE.

Heda! Bin auch dabei! Herr Betrachtet ihn von allen Seiten und dann wie überrascht. Lordkanzler, was währt ein wenig länger als eine Mondfinsternis?

[144]
ERSTE MASKE.
Ich hoffe – mein Ministerium.
STEELE.

Nein, die Ehrlichkeit; die währt am längsten. Zu einer andern Maske. Herr – – Sprecher des Parlaments! Warum greift Ihr der Freiheit Englands nicht kräftiger unter die Arme?

ZWEITE MASKE.
Weil wir –
STEELE.

Weil Ihr sie an der Nase herumführt. Zu einer andern Maske. Mister – – Wilkins, warum nanntet Ihr Euer Journal Argus?

DRITTE MASKE.
Weil man, denk' ich, mit hundert Augen besser sieht als mit zweien.
STEELE.

Nein, Mister Wilkins, weil Ihr dann neunundneunzig zudrücken könnt und immer noch eins offen behaltet, um das Geld zu zählen, das Euch Eure Gewissenhaftigkeit einbringt. Zu einer andern. Murrkopf! Seid lustig! Warum wird man mit Euch puritanischem Schneider nie einen Rock nähen?

VIERTE MASKE.
Weil –
STEELE.

Weil geschrieben steht: Kein Kamel geht durch ein Nadelöhr! Schlägt einen andern. Lord Oberrichter von England, warum machen im Leben immer die Juristen so gut ihren Weg, während doch Themis an den Augen blind ist?

FÜNFTE MASKE.
Weil –
STEELE.

Ja weil, weil! – Weil Themis durch die Finger sieht. Zu einer andern Maske. Herr Minister des Auswärtigen Amts, wovon sollen die Parzen, wenn sie noch in England Verehrung finden wollen, den Lebensfaden Europas spinnen?

SECHSTE MASKE.
Von –
STEELE.

Von Baumwolle – merkt es Euch – und nicht Zu einer siebenten Maske. Herr Gesandter, von französischer Seide. Heda, Herr Obersteuerdirektor, wieviel Uhren werden jährlich aus Genf in Dover eingeführt?

ACHTE MASKE.
Dreimalhunderttausend.
STEELE.

Himmel! Dreimalhunderttausend! Und doch weiß man in England nicht, wieviel's an der Zeit ist! Zu einer neunten Maske. Lord Holland, wodurch beweist Ihr, daß Asien die Wiege des Menschengeschlechts ist?

NEUNTE MASKE.
Die Wiege?
STEELE.

Weil bei der ostindischen Kompanie alle Eure Kinder und Kindeskinder bis auf die Ungeborenen schon im Mutterleib ihre Anstellungen haben. Zu einer zehnten Maske. Heda, Lord Osmond, erst neunzehn Jahre alt und schon Kammerherr! Warum schließt Euer Kammerherrnschlüssel weder Euch noch der Königin den Verstand irgendeiner Sache auf?

ZEHNTE MASKE.
Weil –
[145]
STEELE.

Weil er keinen Bart hat. Schlägt auch den mit Miß Ellen am Arm vorübergehenden Savage. Richard Savage! Sohn einer Mutter! Welches Holz ist härter als das meiner Pritsche?

SAVAGE.
Der Bettelstab! Geht vorüber.
STEELE
bleibt stehen und macht eine Pause.

Bist du bei all dem Glanz so traurig, armer Freund, dann muß ich mich meiner Fröhlichkeit wohl schämen!


Verliert sich unter die übrigen.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Lady Macclesfield, sehr aufgeregt, Lord Berwick und Winchester treten wieder ein. Die Vorigen. Dann Lord Tyrconnel, der der Lady immer folgt.

LORD BERWICK.
Das Gewühl ist zu groß – Die Herzogin scheint nicht selbst die Honneurs zu machen –
LADY.

Die Herzogin? Ich glaube, man hat uns getäuscht – Wir sind nicht bei der Herzogin – Ha, die Gestalt –? Ist das der Bruder der Herzogin? –

LORD TYRCONNEL.

Schöne Maske, Sie werden hier einen Menschen finden, den Sie zum glücklichsten aller Sterblichen machen können –

LADY
beiseite.
Welche Stimme!
LORD TYRCONNEL
zu der Gruppe, die sich um sie her gebildet hat.

Meine Herren und Damen, wie angenehm würden Sie überrascht sein, wüßten Sie, wen uns ein glücklich unglückliches Mißverständnis hinter dieser Maske zugeführt hat!

LADY.
Wie? Wer kann ich anders sein als ich? Sie reißt die Maske ab.

Die Musik hört auf.
ALLE
geben ein Zeichen des Erstaunens.
Lady Macclesfield –
SAVAGE
stürzt ihr zu Füßen.
Meine Mutter!
LADY.

Ha! Das das Gaukelspiel? Reißt Lord Tyrconnel die Maske ab. Sie sind es, der das Plagiat am Palast der Herzogin beging und mich hierher verlockte? Reißt sie einem andern ab. Sie, Sie bieten zu dem Bubenstück Ihre Hand? Einem andern. Sie – weiden sich hohnlachend an seinem Gelingen? Zu Miß Ellen, die ihre Maske selbst abnahm. Sie sind die empfindende Närrin, die ihre Theaterschminke für die Farben der Tugend ausgibt?

SAVAGE.
Mutter!
LADY.

Du? – Dir lass' ich die Larve auf dem Armensündergesicht –! Zu solchem Verrat bietet ihr Elenden eure Hand?

[146]
LORD BERWICK UND LORD WINCHESTER
in höchster Verlegenheit.
Mylady –
SAVAGE.
Verrat? Was hör' ich?
LORD TYRCONNEL.
War er noch nicht so glücklich, mit Ihnen zu tanzen?
LADY.

Wenn ich je gefühlt habe, daß ich seine Mutter sein könnte, jetzt wär' es, wo ich das Recht haben möchte, ihm den Fluch einer Mutter zu geben.

LORD TYRCONNEL.

Stehen Sie auf, Savage, Ihre Mutter wird Sie jetzt anerkennen! Ein anderes Mittel ließ sich nicht auffinden! Mylord Berwick, Mylord Winchester, Sie glaubten bei der Herzogin von Sussex zu sein? Haha, ein Maskenscherz! Ein Quidproquo des Karnevals! Richard, mein edler Sohn, führt wohl seine Mutter jetzt zum Tanze –! Musik! Musik!

LADY.

Zurück! Die Musik hört sogleich wieder auf. Ja! Hört es, ihr alle, und saget's wieder in London, daß ich an mir selber irr geworden und der Meinung einer ganzen Welt, ich schwaches Weib, nicht mehr zu trotzen wagte! Es sei, es sei mein Sohn! Sagt's aber auch, daß ich in meinem überwundenen Mutterherzen nicht mehr die Kälte der Verachtung fühle, sondern die glühende Flamme jetzt des Hasses! Bin ich bisher schüchtern, mit tausend Foltern gequält, geflohen vor der Schuld, mit der man mich brandmarken wollte, jetzt werd' ich die Gefahren aufsuchen, in die man mich heimlich, tückisch verlockt, will mir das Opfer meines Hasses auf den offenen Markt rufen, will mich seine Mutter nennen, ja, ja, seine Mutter – um dem Leib zu fluchen, der ihn empfing, der Stunde, die ihn ans Licht des Tages brachte, dem ganzen Leben, das dieser Elende – nein, kein Betrüger! nein, nein, mein Sohn – dem Unglück seiner Mutter Überwältigt. widmet!Stürzt hinaus.

SAVAGE
aufstehend und ruhig entschlossen zu Lord Tyrconnel hintretend, die Maske abnehmend und vor ihn hinwerfend.

Mylord, hier die Larve, mit der Sie mich zum Mitschuldigen einer schlechten Mummerei machen wollten! Nimmt eine goldene Halskette ab und wirft sie ihm zu Füßen. Hier eine der goldenen Fesseln, aus denen mich diese fürchterliche Stunde erlöst! Wirft ihm Uhr, Ringe und sonstigen Schmuck, Börse und Papiere hin. Hier all das Gold, der Flitter, mit dem Sie mich aufputzten zum Schreckbild für ein Weib, das Sie nur gehaßt haben, und an dem Sie sich rächen wollten. Hier Ihre Pretiosen, Ringe, Ihr Gold, Ihre Bankzettel; hier der Schlüssel, wo Sie alles finden können, was Ihnen gehört – auch die Beweise meiner – Echtheit! Ich habe mehr Mut Hungers zu sterben, als von der Gnade eines Mannes zu leben den ich [147] verachte – und von der Hoffnung auf eine Mutter – die ich endlich, endlich, mir fluchend, gefunden! In die Armut kehr' ich zurück, die ich nur verließ, um zu erfahren, daß elend sein, in Kummer sterben eine Seligkeit ist gegen ein Glück, das man mit seiner Ehre erkauft. Gehen Sie zu meiner Mutter! Durch ihren Fluch hat sie mich ja anerkannt! Versöhnen Sie sich mit ihr; Ihre Herzen dürften doch wohl in keinem zu verschiedenen Takte schlagen. Lachen Sie mit ihr über diesen Scherz, lachen Sie mit ihr über die Welt – über mich, Mylord! Ich weiß jetzt, woran ich in dieser Welt bin, und sehne mich, sehne mich recht nach einem Lager von Stroh, nach einer trockenen Rinde Brotes, nach einem Elend, bei dem man doch noch immer zum seligsten Trost sich selber sagen kann: Du bist besser als dein Schicksal! Sie, Mylord, wenn Sie diesen Glanz verlieren, können nichts mehr werden; ich kann wieder werden, was ich war! Ab.


Im Fallen des Vorhangs.
MISS ELLEN.
Richard! Richard!
STEELE.
Freund! Wir folgen!

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Toms. Kitty.

TOMS.

Warte nur, Kitty, bis Lichtmeß, wenn wir die Rechnungen ausziehen – viel ist es freilich nicht – denn bei unsereinem sehen sie's wohl, daß es besser ist, gleich zu bezahlen, als anschreiben zu lassen – aber dann sollst du ein ordentlich Stück Linnen kaufen und die Dutzende wieder vollmachen!

KITTY.

Lange genug hat's gehalten. Alles war vom besten Faden, was mir die Herrschaften schenkten – nun reißt's aber auch, daß kein Aufhaltens ist.

TOMS.

Zwanzig Jahre! 'ne schöne Zeit! Gespart hast du aber und zusammengekratzt bei den Fürsten und Prälaten, wo du alles gedient hast, Kleider, Wäsche, Schuhzeug sogar – nur kein Geld! Als du bei Lady Mason, ich glaube gar Kammerjungfer – Ans Fenster sich lehnend. Sieh – sieh – da schleicht [148] ja schon wieder der unglückliche Mensch hin, der früher hier nebenan auf der Kegelbahn wohnte! Ein paar Monate ließ er sich gar nicht mehr sehen, und jetzt sieht er auf den Tod aus, und die Leute tun, als wär's bei ihm hier nicht recht richtig –

KITTY.
Daß er nur nicht hereinkommt – wir sind selbst arm genug –
TOMS.

Was nimmt er dir denn weg? Das bißchen Wärme vom Ofen? Die paar Tropfen Tinte, die wir ihm früher zusammenschütten mußten, wenn er sich was zu notieren hatte? Haben doch oft recht über seine Schnurren und Späße, die er schrieb, von Herzen lachen müssen und gar, wenn er deklamierte, da konnte man ordentlich Furcht kriegen! Er soll mir die Rechnungen auf Lichtmeß schreiben. Jesus, es sitzt ihm der leibhaftige Tod um den Mund! Das ist Hunger! Gewiß, gewiß, es ist mir, als hört' ich's bis hierher, wie ihm der Magen knurrt –

KITTY.

Er soll sich ins Kirchspiel einschreiben lassen, daß die Reichen für ihn bezahlen –! Sonst dachte er auch immer, es wäre für uns Arme nichts, wenn er des Abends, wo wir aus Sparsamkeit im Dunkeln sitzen, kam und ein Licht in die Ecke haben wollte, um sich da was aufzuschreiben – und was? Nichts als Narrenspossen!

TOMS.

Und wenn er Männerchen gemalt hätte, würd' ich so gottlos grausam gegen einen Menschen nicht sein, dem man bloß noch eine Zitrone in die Hand zu geben braucht und einen Sarg hinstellen, um den einzigen Wunsch, den er im Leben zu haben scheint, zu befriedigen. Da weicht er kaum dem Burschen aus! Er sieht ihn nicht. Ja, was ich sagen wollte – als du noch bei Lady Mason, der Mutter der Lady Macclesfield, dientest – Will denn der Junge zu uns?

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Ein Bursche tritt herein. Die Vorigen.

BURSCHE.
Kann ich hier nicht erfahren, wo ein gewisser Richard Savage zu finden ist?
TOMS
der aufgestanden.

Kitty, so heißt ja der da draußen? Ja, junger Mann, so warten Sie doch – da war er ja eben Zum Fenster hinaussehend. noch die Minute! Eben hab' ich ihn gesehen –

BURSCHE.

In den finstern Gassen und hinter den Buden kann ich ihn nicht finden! Ich hab' einen Brief für ihn. Wollt Ihr ihn abgeben –?

[149]
KITTY.
Laß dich damit nicht ein – Ich habe von dem Narren Dinge gehört –
TOMS.

Ich weiß nicht, was du willst –! Lassen Sie nur den Brief hier, ich kenne den Herrn – Es ist so gut, als hätten Sie ihm selbst den Brief gegeben –

BURSCHE.
Ich glaube, es hat nicht viel damit auf sich!

Gibt den Brief und geht.
KITTY.

Es wird ihn einer mahnen, dem er schuldig geblieben ist – Er soll gespielt, in Saus und Braus gelebt, seine Gesundheit ruiniert haben –

TOMS
zum Fenster hinaussehend.

Da ist er! Wie ihn friert! Kaum ist seine Blöße bedeckt. Er steht still und grübelt. Die Leute sind in der Vorstadt solche arme Heruntergekommene schon gewohnt und wundern sich gar nicht mehr über sie. Was er gen Himmel blickt! Nun will er wieder die Erde durchbohren! Jetzt kommt er pfeilschnell auf uns zu wie sonst, wenn er ein Gedicht niederschreiben wollte –

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Savage tritt in kahler, schwarzer Kleidung schnell, aber krankhaft in seinem Wesen und hinfällig, herein. Die Vorigen.

SAVAGE
blickt gen Himmel und verrät seine dichtende Inspiration.
Nach einer Weile. Eine Feder! Einen Streifen Papier, ihr guten Leute!
TOMS
schiebt ihm das Verlangte auf den Schneidertisch am Fenster.
KITTY
blickt finster hinüber.
SAVAGE
schreibt, geht dann mit dem Geschriebenen schnell in den Vordergrund, überliest es und sagt dann, aus überreizter Spannung in Erschöpfung sinkend.
Mein Schwanengesang!
TOMS
führt ihn auf den Lehnsessel.
Erholt Euch, Ihr seid erschöpft! Hier ist ein Brief für Euch angekommen.
SAVAGE
greift danach, erbricht, liest und gibt einen einliegenden Zettel an Toms.

Nehmt – ein Buchhändler schickt mir für ein Gedicht zwei Pfund; es wird genug sein – mich damit begraben zu lassen.

TOMS.
Lieber Herr –!
SAVAGE.

Einfach – klein – ein mäßiger Hügel – –Dringend. ein Stein darauf – und auf den mit schwarzen, deutlichen Buchstaben: Richard Savage!

TOMS.
Ihr werdet leben – erholt Euch – Kitty, eine Erquickung für ihn!

Kitty ab.
[150]
SAVAGE
schüttelt heftig mit Hand und Kopf.

Brauche nichts – laßt, laßt – Nur Ruhe! Geht an Eure Arbeit, lieben Leute; nur Ruhe – arbeitet – ich stör' Euch nicht – geht, geht! –

TOMS
geht langsam an einen Tisch.

Ich weiß von früher, Ihr beschäftigt Euch gern mit Euch selbst; wir sind Eure guten Freunde, lieber Herr; es stürmt draußen, gut, daß Ihr bei uns seid und noch den alten Toms nicht vergessen habt.


Geht allmählich in die Kammer.
SAVAGE
für sich.

Die Zeit läuft ab – – Ich sehe den Weiser, wie er immer weiter und weiter – weiter fortschleicht bis an die Zahl, wo das Uhrwerk stockt und alle Räder abgelaufen sind. – Leb' wohl, du schöne Erde! – – Die Himmlischen wollten nicht, daß sie ein Kerker wäre, aus dem wir uns zur Freiheit sehnen! Sie gaben ihr das Grün des Feldes, den Gesang der Vögel, die Wärme der Sonne und die Kühle der Gewässer – wir, wir verderben sie uns, wir verpesten sie –! – – O, der einzelne kann es gar nicht fassen, das Weh, das sich zusammenballt und wie eine Lawine uns verschüttet; der Vater hinterläßt es schon dem Sohn, der Sohn dem Enkel – alle arbeiten sie daran, und nur einige wenige sind es, die über sich die aufsteigenden Dünste zusammenziehen und getroffen werden müssen von den Blitzen, damit die übrigen verschont bleiben!Ironisch. Gut gelebt hab' ich! Geboren in der Stille, heimlich, mit bösem Gewissen der Eltern, wie ein Diebstahl begangen wird; geboren so niederträchtig schimpflich wie ein Sprachfehler, über den man rot wird, eine Null, die der Knabe beim Rechnen vorn statt hinten ansetzt; – erzogen im Schmutz, belogen um meine Herkunft, verraten bei jedem Bissen Brots, den ich mir durch knabenhafte gutmütige Vergeßlichkeit, die ich all den erlittenen Mißhandlungen entgegenstellte, erbettelte – Ich entfliehe, ich schieße in wilder Freiheit zum Dichter auf, verständige mich mit meinen Pflegeeltern und entdecke das Geheimnis meiner Geburt. Ach! Wenn leben sich an die Natur und Welt traulich anschmiegen heißt, dann kann ich sagen: Drei Tage hab' ich gelebt! Tückisches Schicksal, drei Tage glücklich – und glücklich – über einen Wahn! Seitdem mich der zwischen Seligkeit und Verzweiflung hin und her schleuderte, bin ich Glied für Glied abgestorben. – – Ich hoffte, Elend und Armut würden mich heilen, und floh meine Freunde, um zu gesunden, aber ich verrechnete mich. – Die Stürme, unter denen ich auf freiem Felde schlief, löschten die Flamme aus, sie ist aus; was noch da ist, ist das letzte Glimmen des verkohlten Dochtes und der Rauch – der wirbelt noch so – bald wird alles still [151] sein – still – still – so still – daß ich die Musik der Sphären höre ... Man hört draußen einen Wagen vorrollen.

TOMS
kehrt aus der Kammer zurück.
Eine vornehme Karosse –?
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Ein Bedienter mit Kitty tritt ein. Dann Lady Macclesfield.

BEDIENTER.
Wohnt hier Kitty Smith?
KITTY.
Wohl! Wohl! Aber Kitty Toms, gebo rene Kitty Smith –
BEDIENTER.
Die vor fünfundzwanzig Jahren beim Lord Monk diente? Dann bei Lady Mason –
KITTY.
Dieselbe – aus St.-Albans – in der Grafschaft Kent.
BEDIENTER.
Ganz recht – Ihr müßt es sein. Ab.
TOMS.
Was soll das heißen, Kitty –?
KITTY.
Kenne ja fast die Livree noch.

Lady Macclesfield tritt ein, verschleiert. Sie hält sich während des Folgenden auf der einen Seite, ohne auf der andern Savage zu bemerken.
LADY
zu Kitty, sie heftig bei der Hand fassend und halb vorführend.
Ihr seid Kitty Smith. Kanntet Ihr Lady Mason?
SAVAGE
richtet den Kopf herüber.
KITTY.
Mylady, Lady Mason –? – Die Dame ist längst tot –
LADY.
Zögert nicht, Euch auf alles deutlich zu besinnen, was Ihr von Lady Mason wißt!
SAVAGE
sich aufrichtend und an der Lehne des Stuhls haltend.
Die Stimme –!
KITTY.

Mylady, das ist lange, lange her – Fünfundzwanzig Jahre sind's, daß ich von Lord Monk wegzog – Lady Mason war eine stolze Frau, und was ich von ihr weiß, ist gerade nicht gemacht, andern wiedererzählt zu werden –

SAVAGE
sinkt wieder erschöpft in den Sessel zurück.
LADY.
Seid ohne Rückhalt, Frau! Ich bin die Tochter der Lady Mason –
KITTY.
Wie? Ihr – Mylady –
SAVAGE
richtet sich, ohne aufzusehen, groß und gespannt nach der Lady zu.
LADY.
Ihr hattet ein Kind aufzuziehen, das der Tochter der Lady Mason gehörte ...
KITTY.
Den Sohn des Grafen Rivers, der nach Ostindien ging –! Mylady, Ihren –
SAVAGE
immer gespannter und nur durch sein Leiden an lebhaftern Gesten verhindert.
[152]
LADY.
Was geschah mit diesem Kinde? Seid aufrichtig! Himmel und Erde stehen auf Eurer Antwort.
KITTY
verlegen.

Mylady, ich weiß, daß Ihr Euch aus Haß gegen den treulosen Grafen Rivers ganz von seinem Kinde lossagtet. Ihre Mutter war es, die allein für dessen Schicksal sorgte ...

LADY.

Lebt das Kind? Hat mich meine Mutter auf dem Sterbebett nicht getäuscht, als sie mir sagte, der Knabe wäre tot –? Die Familie, bei der sie ihn untergebracht, wäre ausgewandert –?

SAVAGE
richtet sich hoch und gespenstisch auf.
KITTY.
Mylady, ich bin eine arme Frau –
LADY.
Ich meine es gut mit Euch – redet!
KITTY.

Mylady, Ihre Mutter war eine heftige, unternehmende Dame. Sie haßte den Lord Rivers und, um ihn ganz von Euch zu trennen, nahm sie mir – Mylady –

TOMS.

Mylady, ich bin zwanzig Jahre mit Kitty Smith verehelicht – aber ihre Ehrlichkeit und ihre Redlichkeit –

LADY.
Lebt das Kind, frag' ich –?
KITTY.

Ihre Mutter – sag' ich, die haßt' es – Wenn ich kam, um mir das Nähr- und Pflegegeld zu holen – ich war ein ehrliches Mädchen und konnt' es nur mit Milch und Wasser aufziehen – da mochte sie's nicht auf ihren Arm nehmen – Dann, als ich heiratete und als Unbescholtene kein Kind in die Ehe mitbringen mochte, gab ich's in die Kost bei unserm Schulmeister – dann kam's zu einem Schuhmacher, und da wuchs der Knabe auf – bis er – entfloh –

LADY
schwindelnd.
Gott!
KITTY.

Seine Pflegeeltern starben, und die Papiere – die Rechnungen – der Taufschein – alles kam ans Kirchspiel – Mylady! Ihre Mutter konnte von dem Kirchspiel nichts wieder herausbekommen, die Papiere haben sich in St.-Albans noch vor einem Jahr gefunden – ich schwör's beim heiligen Evangelium! Als ich vorm Jahr meine Verwandten in Kent besuchte, sagte der Küster, in den Kirchenbüchern da lägen mehr Geburtsscheine, als manche Mutter wünschen möchte, und im letzten Sommer wär' einer draußen gewesen und hätte alles nachgeschlagen und abgeschrieben, was – sich über den Richard – ja so hieß er, vorgefunden. So ist's, und darauf kann ich bei unserm Heiland schwören.

LADY.
Es – war – mein – Sohn!
SAVAGE
in höchster Erregung, doch zusammenbrechend.
Erlösung – Licht – Freiheit –
[153]
TOMS
herbeieilend.
Was ist Euch? Barmherzigkeit! Hilfe!
LADY
Savage erblickend.
Wie – Was seh' ich – Täuscht mich – mein Auge –?
5. Auftritt
Letzter Auftritt.
Die hintere Tür wird schnell geöffnet. Steele und Miß Ellen treten ein. Die Vorigen. Am Schluß Volk.

STEELE.
Heda, ihr Leute! Kennt ihr hier nicht einen gewissen Richard Savage?
MISS ELLEN.
Allmächtiger Gott! – – Er ist's! Er stirbt – Stürzt vor dem sterbenden Savage nieder.

Die Tür, die auf die Straße führt, bleibt offen. Man erblickt Volkshaufen.
STEELE
bewegt.

Freund, Freund – wir kommen, dir die Palme des Sieges zu bringen und sollen sie dir auf dein Grab legen? Die Lady erblickend. Wie? Mylady? Welcher schadenfrohe Dämon führte Sie hierher, um das Opfer Ihres stolzen Herzens verbluten zu sehen? Hat Ihnen der Tod den Sohn zuführen müssen, den die Mutter im Leben floh? Es treten Leute aus dem Volke und Begleiter Steeles näher. Mylady, die Ansprüche Ihres Sohnes wurden von mir auf die Tafel des Parlaments niedergelegt. Ich verteidigte sie vor den Schranken des Unterhauses; die betreffenden Papiere sind untersucht, und einstimmig haben die Vertreter der Nation die Echtheit derselben anerkannt.

LADY
mit tonloser Stimme, aber immer noch mit Stolz.

Erst – als mich – Richard Savage – floh, sucht' ich ihn – auf. Erst als – die Welt über ihn verstummte, fing in meinem Herzen eine Stimme für ihn zu reden an. Ich hatte – den Schwur meiner Mutter, daß er – tot – – An die tausendfachen Leiden meiner Jugend, an einen Mann, der meine Ehre, meine Seele gewann, mich mit dem Schwur seiner Treue verließ, ihn in Indien brach, an den Gegenstand meines glühendsten Hasses erinnerte mich – Zeigt auf Savage. dies Leben –! Sohn einer vielbeweinten, mit tausend Flüchen belasteten und sich jetzt, jetzt so rächenden Liebe –

SAVAGE
hebt langsam seine Hand empor, um sie zu reichen.
MISS ELLEN
ergreift sie.

Er ist versöhnt, Mylady! O, mein Freund, mußtest du vom Leben scheiden in dem Augenblick, wo das starre Gemüt deiner Mutter sich erweichte und sie dich – – hätte lieben können –!

LADY
noch mit sich ringend.

Bestattet – meinen Sohn – in der Gruft – der Grafen Mason und – der Douglas –! Laßt[154] – zu seinen Füßen – zu seinen Füßen – eine Stelle leer – für mich – die Mutter, die bald – bald – ihm folgen wird! Sie will gehen. Sie kann nicht weiter. Mit dem Ruf. Mein Sohn! Sinkt sie zu den Füßen Savages nieder.

MISS ELLEN
will sie auffangen.
Überwunden!
STEELE.

Zeiten und Sitten, seht eure Opfer! O spränge doch die Fessel jedes Vorurteils, daß mit dem vollern Atemzuge der Brust die Herzen mutiger zu schlagen wagten und nicht im Getümmel der Welt mit ihrer kalten Bildung und ihren sklavischen Gesetzen auch die Stimme der Natur dem mahnenden Gefühl die Antwort versagte! Glaubt dem Gott, der aus euerm Innern spricht! Denn in der Liebe ist selbst der Irrtum besser als im Haß die Wahrheit!


Der Vorhang fällt.

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Lizenzvertrag

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Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Gutzkow, Karl. Dramen. Richard Savage, Sohn einer Mutter. Richard Savage, Sohn einer Mutter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1731-D