Christian Dietrich Grabbe
Ueber die Shakspearo-Manie

[29] Vorwort

Auch diese Abhandlung entstand vor mehreren Jahren und ist jetzt nur revidirt. Der Verfasser kann über die zur Mode gewordene Bewunderung des Shakspeare um so eher sprechen, als er selbst daran etwas gelitten hat. Der Gothland (keines der übrigen Stücke) trägt vielleicht einige Spuren davon, jedoch glaubt der Verfasser, daß sowohl der Geist des Gothland als auch seine formelle Behandlung im Ganzen mehr eigenthümlich als shakspearisch sind. Der Verfasser will mit den Andeutungen dessen, was das deutsche Volk von seinen Dramatikern eigentlich wünscht, keinesweges den einzigen Weg angegeben haben, den jene gehen sollen. Er hätte sich selbst den Stab gebrochen. Die Hauptsache ist, das Volk will deutsche Originalität. Es ist hier ein Streit über literarische Ansichten verhandelt, und da geziemt sich Offenheit und Wahrheit. Es wäre feig gewesen, wenn der Verfasser unter denen, gegen die er ankämpft, L. Tieck ausgelassen hätte, weil er diesen großen Dichter mit vollster Ursache liebt und verehrt. Eben deshalb, weil er Tieck hochachtet, ist er überzeugt, daß Tieck ihn vielleicht zu widerlegen suchen, nicht aber die Freiheit, mit welcher der Verfasser sich ausspricht, tadeln wird.


Der Verfasser.

[29]

Lord Byron sagt in seinem Don Juan etwas spöttisch, Shakspeare sey zur »fashion« geworden.

Ich gestehe vorläufig, daß mir in der englischen schönen Literatur nur zwei Erscheinungen von hoher Wichtigkeit sind: Lord Byron und Shakspeare, – jener als die möglichst poetisch dargestellte Subjectivität, dieser als die eben so poetisch ausgedehnte Objectivität. Lord Byron, in seiner Art so groß als Shakspeare, mag grade wegen seines verschiedenen dichterischen Characters nicht das competenteste Urtheil über ihn abgeben. Niemand ist indeß scharfsichtiger als ein würdiger Gegner, und sollte nicht am Ausdrucke »fashion« beim Shakspeare etwas Wahres seyn?

Ich glaube es.

Will heutiges Tages ein seichter Theater-Kritikus sich eine vornehme Miene geben und kann er diese aus eignen Mitteln nicht zu Wege bringen, so ist ihm nichts leichter als mit seinem Finger auf den großen Shakspeare hinzudeuten und ihn mit einigen leeren Floskeln als Muster zu nennen. Die armen dramatischen Dichter fahren dabei am schlimmsten: schreibt einer von ihnen im Geiste Shakspeares, des angeblichen alleinigen oder doch höchsten Vorbildes deutscher Dramatiker, so heißt es: »der Mann ahmt nach, und wie wenig erreicht er seinen Meister!« Ist der Poet dagegen so kühn, in eignem Geiste zu dichten, so fällt das Urtheil für ihn noch übler aus, denn alsdann »befindet sich der Mann auf Abwegen, es ist ihm zu rathen, Wahrheit und Natur, nicht etwa in ihr selbst, sondern in ihrem einzigen Spiegel, im Shakspeare zu studiren.«

Drei Fragen müssen uns hier beschäftigen.

I) Woher entstand und entsteht diese zur »fashion« gewordene Bewunderung Shakspeares?

II) Verdient Shakspeare eine solche Bewunderung?

III) Wohin würde diese Bewunderung und Nachfolge Shakspeares das deutsche Theater führen?

Wir wollen versuchen, diese drei Fragen in etwas zu beantworten.

Zur ersten Frage also. – Seit dem Zeitalter Ludwigs XIV herrschte auf der deutschen Bühne die französische Manier. Zum Heil der Menschheit erwacht im Menschen leicht der [30] Gegensatz und rettet ihn oft vom »Versauern«. So geschah es mit dem französischen Trauerspiel bei den Deutschen, welche, beiläufig gesagt, in der Politik wohl den wenigsten, in Kunst und Wissenschaft aber den größten Muth unter den Völkern haben. Der Trab der deutschen (ich sage derdeutschen) Alexandriner fing mit Recht an zu langweilen, durch Bodmers und Klopstoks epische Werke erwachte die Aufmerksamkeit auf die englische Literatur, besonders auf den im Zuschauer von Addison zum erstenmale gewürdigten Milton. Das weitere Bekanntwerden der Manessischen Sammlung wirkte auf die Stimmung für die sogenannte Romantik ein. Durch Lillo (Verfasser des Kaufmanns von London) und Diderot war das bürgerliche Schauspiel mit dem Streben nach nackter Natürlichkeit aufgekommen. Aber eine bisher unbekannte Eigenthümlichkeit, hohe Romantik neben großer Natürlichkeit, alle Fremdartigkeiten eines ausgezeichneten ausländischen Theaters, – kurz alles, wonach die neue Richtung des Zeitalters sich neigte, fand sich im Shakspeare vereinigt, und Lessing und Schröder wiesen dieser Richtung durch Wort und That in ihm die Befriedigung an.

Der Deutsche glaubt sich so wenig originell, daß Originalität bei ihm einen gesuchten Einfuhrartikel bildet. Die Engländer lieferten damals wie jetzt auch hier die Hauptwaare. Mit Begierde wurde alles, was shakspearisch war, aufgegriffen, Shakspeares Werke erschienen in Übersetzungen und auf der Bühne, und ohne Zweifel zum Heil der im einseitigen Streben befangenen Zeit. Aus dem Ringen der französischen und englischen Schule konnte das Wahre, für uns Passende hervorgehen, wie einstens, um ein historisch genau treffendes, aber leider etwas juristisches Gleichniß zu gebrauchen, aus dem Streit der Proculianer und Sabinianer die Blüthe der römischen Jurisprudenz sich entfaltete.

Das Volk ist eine wunderbare Erscheinung; die Individuen, aus denen es denn doch besteht, sind in der Regel nur mittelmäßig begabt und fassen das ihnen Dargebotene oft sehr flach und einseitig auf, – dennoch pflegt im Volke als Gesammtheit stets die richtige Ansicht, das wahre Gefühl vorzuherrschen.

Man sage was man will: das deutsche Volk hat wohl den Shakspeare als eine neue interessante Erscheinung angeblickt, es hat seine Größe nicht verkannt, aber nie hat es [31] ihn geliebt. Nicht die Hälfte des Effects, welchen Schillers Stücke von der Bühne herab verursachten, hat die Aufführung irgend eines Shakspearischen Schauspiels begleitet, und wenn durch einzelne darstellende Künstler, z.B. durch Schröder in Hamburg, einige der shakspearischen Stücke oder vielmehr einzelne Charactere in ihnen einige Zeit auf die Menge drastisch wirkten, so zweifle ich sehr, ob es eben das »Shakspearische« war, welches diese Wirkung zu Wege brachte. Die ältern Bearbeitungen des Hamlet und des Lear von Schröder, Beck pp rechtfertigen meinen Zweifel. Die beiden tragischen Dramen sind darin zu wahren Familienstücken aus der Diderot-lessingischen Schule umgewandelt: den Lear, der früher gewiß nicht ohne königliche Größe, ohne Erhabenheit und Geist gewesen, (es gehört schon eine bedeutende Portion Verstandes dazu, um so wahn witzig zu werden, wie Lear es ist) und der auch im Alter noch Hochherzigkeit und selbst in seiner Raschheit noch Spuren vergangener Kraft an den Tag legt, – diesen Lear gibt uns die ältere Bearbeitung als einen »edlen« »schwachen« père de famille, durch seine Kinder in ifflandisch häusliches Unglück gerathen. Ich habe es stets als ein Zeichen feinen Tactes angesehen, daß Devrient, der in Berlin den Lear noch immer nach jener Bearbeitung spielen muß, auch den Geist derselben ergreift und consequent festhält und uns nicht den Lear des Shakspeare, sondern den umgearbeiteten vorstellt, vielleicht auch grade hierdurch die enorme Wirkung auf das große Publicum hervorbringt, welches das Einheimischere, selbst wenn es bedeutungsloser als das Fremde wäre, natürlich diesem in der Regel vorziehen wird. Hamlet, mit wenigen Ausnahmen so treu von Wilh. Schlegel übersetzt, daß man oft das Original zu lesen glaubt, will, trotz der besten Schauspieler, nach Schlegels Übersetzung kein rechtes Glück machen.

Anders wie das Volk spricht aber ein Haufen ästhetischer Individuen. Ihnen ist Shakspeare das Höchste, oder richtiger das Aeußerste. Doch frage man sie einmal: was schätzt ihr denn eigentlich am Shakspeare? Sind sie offen, so müssen die Meisten antworten: »seine Auswüchse.« Und warum diese? »Weil sie so leicht zu erkennen sind«. Die bizarren und grotesken Charactere, die sonderbaren Ausdrücke und Bilder (z.B. »er weint Mühlsteine« im Richard III, »des Gedankens Blässe ankränkeln«, »beschmiert mit grausamer Heraldik« im [32] Hamlet), wenn es hoch kommt, einzelne Scenen und Sentenzen (einzig dadurch hat Hamlet sein Glück auf der Bühne gemacht), das Unbegreifliche der Handlung (was unbegreiflich ist, imponirt jedem, der sich wenig Begriff zutraut), das Bunte des Scenenwechsels und Ähnliches, – das ist es, was den »Gründlingen« im Parterre und den »Zaunkönigen« der Gallerien am Shakspeare groß, gewaltig oder wunderbar scheint, wie denn die modische Phrase grade heißt.

Dieß verhielt sich bei Shakspeares erstem Auftritt in Deutschland just so wie jetzt, weshalb es nöthig war vorläufig davon zu sprechen. Nur ist zwischen Damals und Jetzt der Unterschied, daß damals kräftige Geister genug da waren, welche von den wahrhaft electrischen Blitzschlägen Shakspeares wohl erleuchtet, aber auch zu eigner Gluth entzündet wurden, ohne wie ein Bleigeräth davon in starre Schlacken verwandelt zu werden.

Goethe, nachdem er mit dem Werther, welcher eher etwas Ossianisches als Shakspearisches an sich hat, erschienen war, trat im Götz von Berlichingen nicht sowohl als Nachfolger, sondern als Nebenbuhler Shakspeares auf. Höchstens die größere Freiheit der scenischen Behandlung, das kühne Beiseitlassen des Ortes, der Zeit und des gordischen Knotens, den die Franzosen mit Einheit der Handlung zu verwechseln pflegen, erinnerten an den Shakspeare, – das wahre Wesen des Stückes, die Charactere, die vorherrschende Empfindung, die Einfachheit und anspruchlose Größe, sind rein deutsch, und in einer Weise ausgedrückt, welche Shakspearen (der sich zu Goethe'n wie Michael Angelo zum Raphael verhält) nie zu Gebote stand. Auch ohne Shakspeare hätte Goethe einen trefflichen Götz zu Stande gebracht, und daß sein Genie, (welches nur den liebenswürdigen Fehler besitzt, im Hoch-Tragischen und Tief-Komischen zu sehr von der Anmuth, einem Begriff, der weniger umfassend ist als die Schönheit, sich zügeln zu lassen,) weder des Shakspeares bedurfte noch im Shakspeare das alleinige Heil der deutschen Bühne erblickte, bewiesen bald die Schöpfungen der Iphigenie, des Tasso, ja die Übersetzungen des Tancred, des Mahomet, waren unter anderen auch wohl Warnungen vor der Shakspearo-Manie.

Nächst Goethe erhob sich Schiller am Gewaltigsten, und ohne Zweifel zeugen die Räuber, sein erstes großes Werk, [33] von Shakspeares Einflusse. Neben diesem Einflusse ist darin aber auch die Einwirkung Goethes, der encyclopädischen und der damaligendeutschen Philosophie und des, wie Windeswehen vor dem Gewitter, in Oden, Declamationen, Staatsanzeigen und Pamphleten vor der französischen Revolution hergehenden Freiheitsdranges nicht zu verkennen. Merkwürdig genug hat ohngefähr mit der Zeit der französischen Revolution die deutsche Literatur ihr Zenith erreicht, und vieles was man bisher in deutscher Kunst vom Shakspeare herdatirt, läßt sich richtiger aus der Einwirkung des damaligen revolutionären Zeitgeistes erklären.

Was aber an den Räubern dem Publico gefiel, war wieder nicht eben das sogenannte Shakspearische. Dieses hatte, wie fast überall, nur in der Form seinen Sitz. Die erhabene, überall hervorleuchtende Begeisterung des Dichters (Shakspeare sucht die seinige zu verstecken, und zwar, so lange er dennoch Begeisterung erweckt, mit Recht), eine Tiefe und Gewalt des Gefühls, welche selbst sich oft an die Stelle des Characters drängt (bei Shakspeare herrscht der Character stets vor), dabei alles in der kräftigen Sprache Luthers vorgetragen, – das war und ist es, was das deutsche Volk am Schiller sucht, bewundert und empfindet, das ist es, was in sämmtlichen Schiller'schen Werken, wenn sie auch der Form nach dem Shakspeare noch so nahe stehen, das auszeichnende Merkmal bleibt. Er selbst spricht in dem Vorworte der Braut von Messina deutlich aus, wie wenig ihm der Shakspeare genügt.

Schiller begann die deutsche Tragödie, Kotzebue die deutsche Comödie zu beherrschen. Die Opposition blieb nicht aus. Wohl vorzüglich gegen Schiller, den mancher beneidete, erhob sich die romantische Schule (die Schlegel, Novalis, Tieck pp.) Diese bemühete sich der allgemeinsten Objectivität in allen spanischen, englischen, italiänischen und mittelalterlichen Darstellungsformen zu huldigen. Trotz der ausgebreiteten Gelehrsamkeit des älteren Schlegel, der für Genialität ausgerufenen Bizarrerien seines Bruders und der wirklich trefflichen Poesie Tiecks, war (wie schon Pustkuchen in seinen Wanderjahren nicht mit Unrecht bemerkt) dieser Verein nicht kräftig genug, seine Grundsätze zu den herrschenden zu machen. Daher wurde Goethe (wohl ohne seine Einwilligung) zum Meister erkohren, und als auch dieses nicht ausreichte [34] (besonders, da Goethes Talent zu umfassend ist, um sich einer Schule zu fügen) wurden verstorbene Dichter fremder Nationen, vor allem Shakspeare, zur Meister- und Mitgliederschaft berufen. Nun legte Wilh. Schlegel durch die classische Übersetzung von 17 Schauspielen Shakspeares die festeste Basis zur Dauer der romantischen Schule in Deutschland, – ohne diese Übersetzung wäre sie schon aus Mangel eigner Stärke erloschen, – seit dieser Übersetzung hat aber auch außer Goethe, Schiller und einigen wenigen anderen Bevorzugten, die deutsche schöne Literatur nichts Bedeutendes hervorgebracht, – Vieles, sehr Vieles, was sich sonst wohl selbstständig und herrlich entfaltet hätte, ist seitdem im Shakspearischen Streben untergegangen.

Es ward unter den Schriftstellern (nicht unter dem Volke) beinah Mode, etwas spöttisch auf Schiller hinabzusehen, man warf ihm nicht undeutlich eine bornirte Subjectivität vor, und als Schiller gestorben war, Goethe wenig mehr schrieb, Kotzebue nach Rußland flüchtete, herrschten die Romantiker ohne Hinderniß.

Die Napoleonische Zwangsherrschaft trat ein: da die Deutschen im Leben nichts mehr von Freiheit besaßen, suchten sie dieselbe in der Kunst, – was sie an Land verloren hatten, schienen sie in der Wissenschaft wiedererobern zu wollen, – aus der trüben Gegenwart flüchtete man in das Mittelalter, zu dem leuchtenden Throne der Hohenstaufen, – und wer weiß, ob nicht eben so wie in der Wissenschaft geschah (Humboldt, Oken) etwas Eigenthümliches, Vollkräftiges auch in der Kunst hervorgegangen wäre, wenn nicht abermals all und überall der Shakspeare als höchstes poetisches Kriterium hätte gelten müssen. Nur das ernstere Studium und die größere Verbreitung eines nationellen Kunstwerkes, welches aber keinem Gedichte in der Welt an Range nachsteht, derNibelungen, erfreut bei Betrachtung dieses Zeitraums den Nachdenkenden.

Wilh. Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst (1809 oder 1810 in erster Ausgabe erschienen), setzten der shakspearischen Sache die Krone auf. Wilh. Schlegel geht die Theater aller Völker durch, um im 3ten Theile seines Werkes zu zeigen, wie Shakspeare weit über alles hinausragt, wie alle Nationen (höchstens die Griechen, vor denen noch immer einige philologische Ehrfurcht zurückgeblieben zu seyn scheint, und [35] die katholischen Spanier ausgenommen) auf Irrwegen gewesen sind, indem sie nicht aufshakspearischen gingen. Dabei schreibt Wilh. Schlegel einen glatten Styl, er hat als ein echter geborener Übersetzer, das Talent, ein von ihm besprochenes Kunstwerk mit allen seinen äußeren Eigenheiten, selbst verschönert wiederzuspiegeln, ja ich will manche seiner lobpreisenden Relationen mit mehr Genuß wieder lesen als ich das gelobte Werk, sey es auch ein shakspearisches, noch einmal lesen würde, – aber strebt Wilh. Schlegel über das Zurückspiegeln der äußeren Erscheinung hinaus, will er urtheilen, das Herz des Kunstwerkes erfassen, die Vorzüge und die Schwächen zeigen, so fehlt es ihm mit einem Worte an Kritik. Das zu beweisen, berufe ich mich nur auf sein Urtheil über den Lear, welches Schauspiel er zweifelsohne im vollsten Werthe anerkennen will. Wilh. Schlegel findet im Lear kaum eine anders Tendenz, als die Darstellung des Mitleidens. Wo bleibt bei dieser Bezeichnung, die fast jeder Tragödie zukommt, das Characteristische des shakspearischen Schauspiels, in welchem eine Welt von Zorn, Grausen, Entsetzen, Haß, Liebe, Rache und Selbstaufopferung vereinigt ist?

Den Ansichten Wilh. Schlegels huldigte in ihrem Werke über Deutschland eine geistreiche Französin, die Staël-Holstein, – wie hätte da noch der deutsche Dichterhaufen zweifeln oder widerstehen können?

Nächst Schlegel (und vielleicht eben so viel oder gar noch mehr als dieser) wirkte, besonders seit dem Erscheinen des Phantasus (1812), L. Tieck auf das Wachsthum der Bewunderung des Shakspeare ein. L. Tieck, einer der bedeutendsten Romantiker Deutschlands, bedürfte einer zu großen Verehrung Shakspeares, die ihn nur in seiner Eigenthümlichkeit hindern kann, durchaus nicht. Seine früheren Novellen, gewiß so sehr zu schätzen als die in den letzten Jahren von ihm erschienenen, zeigen recht deutlich, wie selbstständig Tieck auch ohne Shakspeare dasteht. 1 Aber L. Tieck, stets mit Liebe zur dramatischen Kunst hingeneigt, seinem Genie nach mehr zur erzählenden [36] Dichtkunst hingewiesen, fand wohl im Shakspeare den Mann, in dessen Namen und Geiste er auch bei eigner theatralischer Unwirksamkeit, selbstkräftig auf dem dramatischen Felde schaffen konnte. L. Tieck hat den Shakspeare mit einem gelehrten Fleiße studirt, er hat ihn sich zu eigen gemacht, – aber wie bei Tieck alles Schöpfungskraft ist, während Wilh. Schlegel nur rückzuspiegeln vermag, so ist der Shakspeare, den Tieck uns gibt, nicht mehr Shakspeare selbst, sondern es ist der Tiecksche; Tiecks Kritik ist nicht bloß Zergliederung und Beurtheilung, sondern sie ist selbstständige Poesie, veranlaßt durch die Betrachtung Shakspeares; sie verhält sich zu diesem fast wie eine geniale Naturphilosophie zur Natur selbst. Z.B. die Ansicht von dem Character der Lady Macbeth, von der durchbrechenden Weichheit desselben, welche, wie ich gleichfalls erst jetzt beim Revidiren dieses Aufsatzes vernehme (Journale lese ich wenig) Tieck der Mad. Stich mitgetheilt haben soll, zeugt von tiefster Menschenkenntnis und dichterischer Lebens-Durchschauung: denn selten wird Jemand so erstarrt wie die Lady Macbeth im Bösen werden können, wenn er nicht vorher weich und äußerst reitzbar gewesen ist. Aber sollte Shakspeare hier so weit zurückgedacht haben? Vielleicht. Jedoch im Drama selbst besteht unbedingt die große Seite der Lady Macbeth darin, daß sie durch Kraft ihres Willens überall, sowohl gegen Macbeth als gegen sich selbst (wie ihre Monologen ausweisen), jedes weiche Gefühl niederdrückt und nur ihren furchtbaren Zweck fest im Auge behält. In der schrecklichsten Scene des Stückes, bei der Ermordung Duncans, höhnt sie ihren zagenden Gemahl sogar aus. Fast grenzt das alles bei einem Weibe an Unnatur, und Lady Macbeth würde uns ein Räthsel bleiben, wenn Shakspeare selbst nicht den Schlüssel gäbe und unser [37] moralisches Gefühl befriedigte: die, welche wachend weder von Weiblichkeit, Schrecken oder Gewissensbissen sich besiegen läßt, wird schlafend im Nachtwandel davon emporgetrieben und überwältigt. Hier möchte ich der Mad. Stich zurufen: hier allein, sonst nirgends im Stücke, gilt es alle zurückgehaltenen Empfindungen hervorstürmen zu lassen, hier gilt es, nicht wie gewöhnlich geschieht, bloß zu erschüttern oder gar nur Verwunderung zu erregen, sondern auch zu Thränen zu rühren. Je starrer früher die Lady Macbeth war, um so gewaltiger wird der Naturruf, welcher in dieser Scene sich frei macht, den Hörer bewegen. –

Übrigens ist Tiecks Ausdauer bei dem Erforschen des Shakspeares eben so sehr an einem selbstschaffenden Dichter zu bewundern als es natürlich ist, daß bei so langer Betrachtung eines geliebten Gegenstandes derselbe dem Betrachtenden immer interessanter wird.

Ist L. Tiecks Kritik etwas Originelles, Großartiges und ausgestattet mit Kenntnissen vieler Art, so ist es zu erwarten, 1) daß sie von Vielen nicht verstanden und mißkannt wird, 2) daß also, je nachdem das Individuum beschaffen ist, der eine sie tadelt, der andre sie lobt, weil beide sie nicht verstehen, 3) daß bei Tiecks literarischem Ruhme eine ganze Schule von Ästhetikern ihm nachspricht, und weder weiß, was noch wie lächerlich sie redet.

Denn, um die übrigen heutigen Shakspearo-Manisten einiger kurzer Sätze zu würdigen, so bewundern sie den Shakspeare ohngefähr aus folgenden Gründen: 1) weil sie fühlen, selbst nichts werth zu seyn, und daher den Shakspeare wie einen Zwölfpfünder betrachten, mit dem sie angreifen und sich vertheidigen können, 2) weil die Bewunderung des Shakspeare, nachdem seit 70 Jahren in Wort und Schrift das Möglichste für sie gethan ist, außerordentlich leicht geworden, – man braucht dabei nur alte Floskeln nachzuleiern, – 3) weil, was noch mehr sagen will, wegen dieser Leichtigkeit die Shakspearo-Manie Mode geworden, – 4) weil die unbedingte Bewunderung des Shakspeare ein mehrfach assecurirtes Geschäft ist, indem die Mode und große Meister für sie sprechen, also der bewundernde Laffe immer seinen Hinterhalt behält, – 5) weil es einem kleinen Mann ein gewisses Selbstgefühl gibt, einem großen sein Lob ertheilen zu können, in specie wenn er dabei geringschätzende Seitenblicke [38] auf angeblich mindergroße Geister als der Gepriesene ist, (z.B. vom Shakspeare auf Schiller) werfen kann: der kleine Mann mag nun selbst das kurzlebigste Trauerspiel geschrieben haben, – was kümmert ihn das? Er, der mit einem Decisiv-Spruche den Shakspeare zum Himmel hebt, muß doch eigentlich auf einem höheren oder festeren Standpuncte als dieser stehen, er ist gleichsam ein Napoleon, der zwar nur in einfacher grüner Kleidung mit Obristen-Epaulets vor die Fronte reitet, aber einem General den Orden der Ehrenlegion ertheilt, und den Glanz, welcher von dieser Beehrung des Untergebenen zurückfällt, selbst einsaugt, – 6) weil der Deutsche eine dumpfe Ehrfurcht vor dem hat, was er nicht begreift, (er traut jedem Menschen soviel gesunden Verstand zu, daß er nicht glaubt, er habe etwas Unbegreifliches gesagt), – 7) weil der gemeine Haufen »sonderbar« und »interessant« für gleichbedeutend hält, – 8) weil der Deutsche genug kleinstädtisch denkt, um nur das hochzuschätzen, was in Zeit oder Raum weit her ist, wie denn schon im Sprichwort »er ist nicht weit her« dieser Grundsatz zur Stereotype versteinerte, obwohl, wenn auch die Ankunft aus weit entfernten Zeiten und Ländern eine ziemlich zähe Constitution beweisen mag, schon die »Kreuzer«, welche auf den Urgewässern der indischen Literatur umherstreifen und von dort Glaubensartikel einschwärzen wollen, darthun sollten, daß zwischen dem »weit her seyn« und dem »erbarmenswerth seyn« oft keine Grenze zu finden ist.

– – Wir kommen zur zweiten anfangs aufgestellten Hauptfrage: verdient Shakspeare solche Bewunderung, wie ihm nach heuriger fashion zu Theil wird?

Manches zur Beantwortung dieser Frage, ist schon vorgekommen, hier also nur das Folgende.

Niemand wird dem Shakspeare wahrhaftiger huldigen als ich es thue. Sein umfassendes Genie, welches überall, wohin es den Blick wirft, sey es auf die Erde, in den Himmel oder in die Hölle, Leben in die Wüsten schafft, – seine Schöpfungskraft, welche ihm manche Charactere mit einer Selbstständigkeit auszustatten vergönnt, nach welcher man fast an ein inneres wirkliches Leben derselben glauben sollte, und wenigstens, wenn man sie aus dem Rahmen des Schauspiels nähme und in das Leben treten ließe, nicht (wie bei den meisten heutigen Tragödien) befürchten dürfte, nur Marionetten zu produciren,[39] – seine vielseitige und geniale Phantasie, – sein tiefer Blick in das Leben und in die Weltgeschichte, – die göttliche Ruhe (welche Friedrich Schlegel wohl mit seiner »göttlichen Faulheit« verwechselt), mit der er oft auf dem vom Archimedes ersehnten Puncte außer der Welt zu stehen und sie zu bewegen scheint, – der Humor, die Ironie, mit welchen er selbst durch Thränen lächelt, – alles dieses und noch viel mehr erkenne ich mit Erstaunen im Shakspeare an und hoffe es einst in einer besonderen Schrift, die ich um die Mode zu ehren gleich dem Franz Horn »Erläuterungen zum Shakspeare« nennen werde, mit Beweisen niederzulegen.

Hier aber thut es leider noth von Shakspeares Schattenseite zu reden, indem die Shakspearo-Mani sten lieber blind seyn als diese sehen wollen.

Grade mit dem ersten Vorzuge, den der Haufen der Shakspeare-Vergötterer an seinem Idole zu entdecken glaubt, deckt der Haufen nur seine Unwissenheit auf, – ich meine mit dem Lobe der dem Shakspeare fast sprichwörtlich zugeschriebenen Originalität. Unter dieser Originalität verstehen die Herren vor allem anderen die Form, das heißt, die Theaterverwandlungen, die Art des Dialoges, die Manier einzelner Ausdrücke und der Characterschilderungen, den willkührlichen oder willkührlich scheinenden Gang der Handlung pp. Dieses alles ist jedoch nicht shakspearisch, sondern alt englisch. Weit vor dem Shakspeare, von dem alten Schauspiele »Gorboduc« an, war alles das, selbst das Aufsuchen und Auffinden solcher Gedanken, welche wir jetzt echt shakspearisch heißen, auf der englischen Bühne zur Mode geworden. Ben Johnson, Francis Beaumont und Fletcher, Thomas Heywood, Christoph Marlow und viele Andere zogen mit ihren eben so genialen Dramen (man erinnere sich an die Tragödien Faust, Sejan, Catilina pp, an die Lustspiele every man in his humour, the knight of the burning pastle pp) vor und mit den shakspearischen Schauspielen über das Theater, und deshalb konnte Shakspeare zu jener Zeit, wo so viele geistesähnliche Nebenbuhler ihn umstanden, nicht den Beifall erhalten, welcher ihm jetzt, da die Nebenbuhler aus Unwissenheit vergessen sind, allein zu Theil wird. Mancher deutsche Kritiker wird ein Stück von Fletcher und Beaumont, wenn man ihm den Namen der Verfasser verhehlt, von einem shakspearischen nicht zu unterscheiden wissen. Shakspeare schuf [40] weder eine Schule, noch eine neue Schauspiel-Art, er fand vielmehr eine Schule vor, war Mitglied derselben, und zwar, was seine einzige wahre Originalität ist, das größte Mitglied dieser Schule.

Weiter wird die einst durch Voltaire so verrufene shakspearische »Composition« der Schauspiele jetzt zum Himmel erhoben. Zu einiger Erläuterung will ich gleich nachher einige von Schlegel übersetzte Stücke (weil sie am bekanntesten sind) betrachten, und kurz, wie der Raum dieser Blätter es nur erlaubt, dabei verweilen.

Daß Shakspeares componirendes Talent ausgezeichnet ist, läugnet Niemand, daß es aber besser seyn soll als das vieler anderen Schriftsteller, läugne ich offen. Vor allem rühmt man dieserhalb seine historischen Stücke. Es ist wahr, daß alle seine Vorzüge in ihnen strahlen, und daß da, wo er eigenthümlich ist, kaum Goethe (z.B. im Egmont), noch weniger Schiller mit ihm wetteifern können. Aber vom Poeten verlange ich, sobald er Historie dramatisch darstellt, auch eine dramatische, concentrische und dabei die Idee der Geschichte wiedergebende Behandlung. Hiernach strebte Schiller, und der gesunde deutsche Sinn leitete ihn; keines seiner historischen Schauspiele ist ohne dramatischen Mittelpunct und ohne eine concentrische Idee. Sey nun Shakspeare objectiver als Schiller, so sind doch seine historischen Dramen (und fast nur die aus der englischen Geschichte genommenen, denn die übrigen stehen noch niedriger) weiter nichts als poetisch verzierte Chroniken. Kein Mittelpunct, keine Katastrophe, kein poetisches Endziel läßt sich in der Mehrzahl derselben erkennen. Hätte Shakspeare deutsche Geschichte in dieser Manier behandelt, so würden mir die Chroniken eines Tschudi und Turnmayer (Aventinus) stets lieber seyn als seine Schauspiele, denn ich finde dort wenigstens reine und keine geschminkte Natur.

Einige Stücke anzusehen, beginne ich weder mit dem besten noch dem schlechtesten, mit Julius Cäsar. Einzig ist die Art, mit welcher die Kritiker den Fehler dieses Stückes (die doppelte Handlung) erst eingestanden und hinterdrein zu retten gesucht haben: nicht Cäsar, sondern Brutus soll der Held darin seyn (der indeß wieder an Cassius einen das Interesse schwächenden Nebenmann hätte!). Schon der Titel des Stückes (und Shakspeare wählt die Titel nie ohne Ursache, [41] wie man am Wintermährchen, Sommernachtstraum pp sehen kann) hätte den Leuten Bedenken einflößen sollen. Und dann, – ist Julius Cäsar nicht die Seele des Ganzen? soll er nicht noch nach seinem Tode als erscheinender Geist (welche Erscheinung im Drama betrübt und dürftig, im Plutarch ergreifend ist) fortwirken? Interessirt er nicht schon deshalb mehr als Brutus, Cassius und Consorten, weil alle diese Leute sich gegen ihn verschwören? Zieht nicht jeden empfindenden Menschen der Punct am meisten an, wider den die meiste Thätigkeit gerichtet ist? Und verliert sich nach Cäsars Tode nicht alles dieß, indem plötzlich zwei untergeordnete Individuen, Brutus und Cassius, uns von nun an mit ihren Schicksalen allein anziehen sollen?

Schlimmer ist fast noch die Behandlung, welche Shakspeare, der oft so große Menschenkenner, dem Character des Cäsar hat angedeihen lassen. Julius Cäsar, in der Geschichte der einfachste, scharfsinnigste, liebenswürdigste aller Menschen, ist im Shakspeare zu einem Phrasen machenden Rennomisten geworden. Nur die Beziehungen, welche alle übrigen Personen des Dramas auf ihn nehmen, retten ihn in etwas als dramatische Hauptperson, machen aber just dadurch diese Personen noch unfähiger, nach seinem Tode seine Rolle fortsetzen zu wollen.

Hierbei betrachte man die Art, wie Shakspeare dasVolk behandelt. Volksscenen gehören zu seiner Hauptstärke, jedoch nur Scenen des englischen Volkes. Gegen die Franzosen z.B. trägt er einen Nationalhaß, der dem Effecte seiner Dramen aus den französisch-englischen Kriegen sogar schadet, indem er seine Engländer mit Gegnern kämpfen läßt, deren Besiegung sie nicht ehren kann. Und die Römer! Im Julius Cäsar konnte Shakspeare sie als »Narren« behandeln, denn zu der Zeit waren sie schon längst als Römer untergegangen, – er hat aber, obgleich hier nur Volksscenen die Möglichkeit erklären konnten, daß je ein Mensch wie der shakspearische Cäsar die Welt beherrschte, sich mit einer flachen Berührung derselben begnügt. Dagegen erscheinen im Coriolan die Römer als wahrer »elender, kindischer Pöbel«, mit Fleiß und Liebe dazu ausstaffirt. Nie scheint Shakspeare begriffen zu haben, was zur Zeit Coriolans der Kampf der Patricier und Plebejer sagen wollte, wie dieser [42] Kampf aus der äußersten Nothwendigkeit, aus dem innersten Leben sich entwickelte. Eine Lecture Niebuhrs wird das shakspearische Drama in dieser Hinsicht dem Leser unerträglich machen, und ich bemerke nur beiläufig, daß aus dem Coriolan und mehreren anderen Stücken mir hervorzugehen scheint, daß Shakspeare einen fast aristokratischen Sinn gehegt habe.

Die aus der englischen Geschichte genommenen Schauspiele, in denen Shakspeare mehr auf eigenem Boden steht, leiden dennoch alle (König Richard II vielleicht ausgenommen) an Fehlern, welche kein Recensent Schillern verziehen hätte. Ich meine nicht allein äußere Fehler (zu denen ich die Anachronismen rechne, welche man endlich einmal recht tüchtig tadeln sollte, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil das Bessere besser ist), sondern vorzüglich innere.

Im König Johann grenzt die Sprache an den Bombast eines Crebillon. Freilich hat Shakspeare das geahnt, indem er den Bastard, (einen seiner herrlichsten Charactere) als ironischen Gegensatz auftreten läßt. Doch solcher Bombast wie in den Gesprächen König Johanns (der auf dem Todesbette noch die schwülstigsten Ausdrücke gebraucht), des Königs Philipp, selbst in den Schmerzensäußerungen der Constanze sich vorfindet, ist zu sehr Unnatur, als daß selbst Ironie seine unangenehme Wirkung mäßigen oder entschuldigen könnte.

König Heinrich IV hat gar keinen Mittelpunct, der erste Theil sogar keinen befriedigenden Schluß. Die Falstaffs-Scenen sind eine Episode, welche bei dem Lesen und noch mehr auf der Bühne die Haupthandlung unterdrückt, und nicht einmal in inniger Verbindung mit derselben steht. Dabei will man jedoch weder den Falstaff'schen Humor, noch den tief, sehr tief angelegten Character des Königs, bei welchem keine Phrase ohne Bedeutung ist, noch die Gestalten des Prinzen Heinrich und des Heißsporns Percy verkennen.

Wo, außer in einzelnen Scenen, im König Heinrich V das Dramatische stecken soll, wird selbst Schlegel nicht aufzusuchen wagen. Die an sich schönen Prologe verbessern diesen Mangel nicht. Die Handlung zerfällt in 2 Theile, nämlich in die Verschwörung gegen den König und in den französischen Krieg. Nur die Darstellung der Einzelheiten erregt Interesse.

[43] König Heinrich VI, ein Jugendstück, ist angefüllt mit den großartigsten Scenen. An falschem Pathos (Helden und Kinder sterben mit lateinischen Brocken im Munde), an Mängeln der Composition fehlt es auch nicht. Kein einziger der drei Theile des Stückes hat ein Ende, und wenn endlich, nachdem einige hundert Personen gemordet seyn mögen, alles im Trauerspiele Richard III auf ein Ziel, auf einen Character hinausläuft, so ist es hier auch nur dieser Character, welcher excellirt. Denn wie sind König Richards Umgebungen? Die Margaretha mit ihrem nie ermüdenden Jammergeschwätz, die Anna, welche, man weiß nicht wie, sich auf einmal von Richards Liebeserklärungen umstricken läßt, die Königin Elisabeth, die es eben so macht, sind wahrhafte Marionetten-Figuren. Marionettenmäßig sind die Klagen der Weiber vor dem Tower: »auch ich hatte einen Edward, einen Richard« pp und so Vieles andere. – Dabei übersehe man bei Shakspeares historischen Stücken, bei denen ich jetzt zugleich mit Schlegels Übersetzung abbreche, ja nicht, daß auch der Ruf, er halte sich treu an die geschichtlichen Begebenheiten, ein falscher ist, denn oft versetzt er Schlachten (z.B. die bei Shrewsbury) um Jahre vor- oder rückwärts.

In einem anderen Genre versirt Hamlet. Der Prinz Hamlet selbst ist eine wahre Fundgrube der genialsten Gedanken, zu welchen jedoch der triviale


»es gibt noch andere Dinge zwischen Erd' und Himmel
als eure Schulweisheit sich träumen läßt, Horatio«

nur darum so oft von dem großen Haufen gezählt wird, weil er wegen seiner Trivialität auch dem einfältigsten Gehirn sich anpaßt. Die übrigen Personen sind wahre Nullen, so sehr, daß man die Höflinge Güldenstern, Rosenkranz und Osrik nicht einmal von einander unterscheiden kann. Wilh. Schlegel vertheidigt dieß zwar, aber die Andeutung des feinen Unterschiedes, der sich auch in der gebildetsten Menschenclasse an den Individuen bemerklich macht, hätte ich grade beim Shakspeare erwartet. Auch der König ist nur ein Phrasenmacher, denn einen Narren wie den Polonius, der, wie es scheint, eine Art alt gewordenen Hamlets seyn soll, ernsthaft anzuhören und sogar als Minister zu behalten, zeigt Beschränktheit an, wie wir sie selbst heut zu Tage selten in den – – – schen Cabinetten finden. Nichts besser, sondern äußerst grob ist die Erfindung, zu welcher sich der König [44] endlich emporschwingt, um den Hamlet umzubringen. Den Prinzen in eventum mit einem Trunke, der sofort tödtet, vor den Augen der Königin, des ganzen Hofes vergiften zu wollen, macht den hinterlistigen, besonnenen und feigen König zu einem albernen Waghalse. Selbst der Geist, vor dessen Erscheinung in der That das Grauen hergeht, vernichtet durch seine breiten Expositionen, mit abgedroschener Moral untermischt, jeden Eindruck, den man gefaßt hatte. Steckt hier eine shakspearische Ironie (wie ich fürchte), so kann ich sie doch nicht verzeihen, weil sie den Effect stört. Vortrefflich ist der Gegensatz Hamlets zum Laertes: jener voll Tiefe, dieser voll Hohlheit und Bombastes (in der tiefsten Trauer erinnert er sich an siebenfach gesalzne Thränen.) Sicher nicht ohne Anspielung läßt Shakspeare den Laertes eine Sehnsucht nach Frankreich empfinden. Auch Fortinbras gibt gegen den Hamlet einen guten Contrast ab, er mußte aber in der Ferne bleiben, weil sein näheres Eintreten ihn entweder zum Haupthelden gemacht oder doch den Hamlet in Schatten gestellt hätte.

Schon aus diesen Characteren ergibt sich, wie das dramatische Verhältniß des Stückes im Ganzen seyn muß. Alles ruht im Hamlet, das Reden ist die Hauptsache, die Handlung ungelenk und schleppend. Ophelias Wahnsinn, Laertes' Empörung, Hamlets Reise nach England, seine zufällige Errettung pp. pp. fallen wie aus den Wolken, und soll hier abermals eine shakspearische Feinheit (welcher Ausdruck so oft als Substitut eines shakspearischen Fehlers gebraucht wird) stecken, daß nämlich, wie Wilh. Schlegel meint, trotz aller Hebel welche Erde und Himmel zur Bestrafung der Frevler in Bewegung setzen, diese Bestrafung nicht durch das erwählte Werkzeug, den Prinzen Hamlet zu Stande gefördert wird, sondern nur zufällig eintritt, – so hätte uns der Dichter sowohl die Wiederholung solcher Zufälle sparen sollen, als man ohnedem bei Hamlets Character a priori weiß, daß nicht er, sondern der Zufall das Spiel entscheiden werde.

Der Dichter scheint an der Handlung im HamletLangeweile gehabt zu haben. Wie zeitungsmäßig und wie steif bewegt sich alles, was nicht zur Reflection gehört. Man denke nur an den Theil der Exposition, welcher in Horatios Erzählung von dem Wettstreit des alten Hamlet und des alten [45] Fortinbras sich vorfindet. Überhaupt sind, wie ich bei dieser Gelegenheit wohl bemerken darf, Shakspeares Expositionen nicht so sehr, wie Schlegel es thut, zu loben. Freilich eröffnet Shakspeare oft (nicht immer!) seine Stücke mit phantastischen Scenen, z.B. mit der Schildwache und der Geistererscheinung im »Hamlet«, mit dem Vorbeischweben der Hexen im »Macbeth«, mit dem Untergange des Schiffes im »Sturme«, – aber hinter diesen Phantasiebildern pflegt die eigentliche Exposition nur um so sicherer daher zu hinken, wie das denn in allen genannten Stücken der Fall ist. Und wenn man aus langer Erfahrung weiß, wie wenig auf dem Theater gleich beim ersten Aufziehen des Vorhangs große Schläge auf den Zuschauer wirken, – wie dieser noch nicht genug gesammelt ist, um sie zu verstehen oder aufzunehmen, so wird man exempli gratia einräumen, daß der Untergang des Schiffes im »Sturm« wenig dient, der nachfolgenden Unterredung zwischen Prospero und Miranda, bei welcher die letztere einschläft (ist das vielleicht auch shakspearische Ironie?) die Langeweile zu benehmen. Die kunstloseste und trockenste Exposition befindet sich jedoch gleich zu Anfang des Cymbeline.

Kurz auf den Hamlet zurückzukommen, ist es merkwürdig, wie der Prinz zwar an der Wahrhaftigkeit des Geistes zweifelt, aber den nächsten Grund eines vernünftigen christlichen Zweifels nicht einsieht: der Geist fodert ihn zur Rache auf. Das thut kein guter Geist, und entweder hat Shakspeare sich hier versehen oder es steht mit seinem Geiste nicht richtig. Übrigens verkenne ich in der Anlage des Schauspieles nicht eine echt shakspearische Feinheit. Ich bin subjectiv überzeugt, daß es ein wirklicher Geist ist, der den Hamlet zur Rache aufruft; objectiv geht darüber dennoch keine Gewißheit aus dem Stücke hervor. Es könnte dieser Geistererscheinung auch ein Betrug, eine Cabale zu Grunde liegen, und grade dadurch daß selbst diese alles motivirende Geistererscheinung, dieses Kettenglied zwischen Himmel und Erde, im zweifelhaften Lichte schwebt, wird im Hamlet das Menschenschicksal zu einer »Sphinx«.

Der Raum gestattet mir nicht, die genannten shakspearischen Stücke specieller zu berühren, oder noch mehrere zu allegiren. Wie leicht, wenn man auch bloß bei den von Schlegel übersetzten Dramen stehen bleibt, ein begründeter Tadel wäre, [46] zeigt sich schon durch die Bemerkung, daß z.B. in Romeo und Julie die Amme eine gemeine widerliche Person, keinesweges eine zur Handlung nöthige ist, – daß im selben Stücke, ganz gegen die shakspearische Art die beiden Hauptpersonen keine Charactere, sondern nur verliebte junge Leute sind, – daß der Kaufmann von Venedig zum großen Theil nur aus Episoden zusammengeflickt ist, deren verknüpfendes Band man nicht sieht. Nur das Geständniß bitte ich mir zu erlauben: daß ich den Sommernachtstraum wirklich für ein vollendetes Meisterstück halte.

Shakspeares komische Kraft, seinen Witz und Humor betrachten und empfehlen die Leute gleichfalls als ein non plus ultra. Welch Geschrei erhob sich vor einigen Jahren als in Berlin die »twelfth night« (was ihr wollt) durchfiel. Die guten Berliner begriffen den Shakspeare nicht!

Der shakspearische Humor trägt ohne Zweifel etwas von der altenglischen Schule an sich, selbst der Einfluß des »Euphues« ist nicht zu läugnen. Selten jedoch hat einem Dichter eine so großartige Komik zu Gebote gestanden als dem Shakspeare: Falstaff und Percy, beide auf dem Schlachtfelde, der eine sich todt stellend, der andere todt, – darin liegt eine Weltanschauung, von der Longin sagen könnte, daß sie einerhabenes Lächeln erregte. Shakspeare begnügt sich in seinen Lustspielen nicht mit Einzelnheiten, einzelnen Schlagwörtern, einzelnen Witzen, er legt das ganze Stück, die Charactere selbst komisch an.

Aber die bloße komisch angelegte Characteristik und Composition können zur vollkommenen Wirkung eines Stückes allein nicht genügen: am lebhaften Dialog, voll von Geist, sprudelnden Einfällen und von Humor darf es ebenfalls nicht fehlen. Shakspeare hat auch hier, wie der Falstaff fast durchgängig beweis't, Großes geleistet. Aber, aber – wie oft stößt man in dieser Hinsicht in anderen shakspearischen Stücken auf ganze witz- und blumenleere Wüsten, statt aristophanischen Scherzes mit geschraubten Redensarten angefüllt. Dieß zu beweisen braucht man grade das als Ganzes vortrefflich angelegte »Was ihr wollt« an zuführen. Einen witzloseren Narren, der nur mit herbeigezogenen Vergleichungen aufwarten kann, kenne ich nicht, selbst Junker Tobias, trotz der herrlichen Situationen, die er zu veranlassen weiß, scheint unfähig sie mit dem gehörigen Scherze auszustaffiren.Bloße [47] Situationen ermüden endlich und das Berliner Publicum pochte das Stück mit Recht aus. – Übrigens verschmäht Shakspeare selbst ein Wiederholen der nämlichen Einfälle und Späße nicht. Leider sind es meistens die fadesten. Der abgedroschene Scherz des Hornschmucks der Ehemänner zieht fast durch alle shakspearischen Dramen.

Höchst ausgezeichnet ist Shakspeares dramatischer »Verstand«. Shakspeares alles überflügelnde Phantasie, sein Pathos, sein Humor, alles steht wenigstens in seinen späteren Stücken unter der strengsten Herrschaft eines berechnenden Verstandes. Selten verliert er sich daher in das Unbestimmte, Neblichte, aber ich fürchte, daß mancher Beobachter so deutlich als ich fühlt, wie oft bei den größten Scenen das tiefe Gefühl, der Hauch der Begeisterung fehlt, – wie das Meiste nur berechnete Kunst ist, freilich die gewaltigste, die sich denken läßt. Dieser Mangel am aufrichtigen Gefühl ist es, welcher dem Romeo noch am Grabe seiner Gattin ein Wortspiel zu machen erlaubt, welcher den Edgar im Lear während des verstellten Wahnsinns mit einer Art Wohlbehagen in die breitesten (wenig und gut wäre besser gewesen!) Aufzählungen der gemeinsten, eklichsten Dinge eingehen läßt. Ohne diesen Gefühls-Mangel wäre auch wohl Cordelia, deren Tod ein reiner Zufall ist und mir weder motivirt noch nothwendig erscheint, am Leben geblieben. Über Cordelias Tod denkt Wilh. Schlegel freilich anders, – warum? sieht man nicht.

Streben nach Bizarren ist dem Shakspeare nicht abzuläugnen. In etwas entschuldigt ihn auch hier die Manier seiner Schule. Grade das, was den resp. Vergötterern des Shakspeare stets vorn auf der Zunge liegt, die Originalität der Charactere, ist oft eine gesuchte Seltsamkeit der Charactere, und ermüdet durch ihre zu häufige Wiederkehr. Hat ein Dichter einmal den Entwurf zu einem sonderbaren Character gemacht (was bei einem erträglichen Poeten gewiß nicht zu den schwersten Kunststücken gehört) so ist nichts leichter als den Entwurf consequent durchzuführen, – weit, weit schwerer ist es, einen einfachen, aber darum allgemein menschlichen Character darzustellen und zwar mit Effect. Statt daß Shakspeare meistentheils in Extremen schwebt, selbst einem gewöhnlichen Character, sobald er damit Effect machen will, eine Zugabe von etwas Seltsamen gibt (dem Antonio im [48] Kaufmann von Venedig z.B. die melancholische Stimmung), haben Goethe und Schiller im Götz von Berlichingen, in der Iphigenia, im Tasso, in der natürlichen Tochter, im Wilhelm Tell pp die Charactere auch ohne diese Zugabe dem Menschen an das Herz zu legen gewußt.

Und hier ist es endlich einmal Zeit von den Aeußerlichkeiten der shakspearischen Werke zu reden, welche man jetzt, wo die Bewunderer schon so weit gediehen sind, daß sie Inconsequenzen des ShakspeareFeinheiten, offenbare Fehler desselben Ironie nennen, um so mehr in ihrem Werthe zeigen muß.

Der shakspearische Styl ist oft dem Gedanken angemessen, in der Prosa ist er gedrängt, aber oft etwas gesucht, im Verse ist er häufig holperig und dunkel, bisweilen zu breit, und noch mehr wegen gesuchter kurzer Wendungen affectirt. Sprachfehler wie in Romeo und Julie


»both our remedies
Within thy help and holy physick lies«

mangeln auch nicht.

Shakspeares Vers ist im Ganzen nicht der beste und besteht aus hinkender Prosa, aber die Kritiker, welche diesen Vers oft nur aus der Schlegelschen verschönernden Übersetzung kennen (v. das versüdlichte Trauerspiel Romeo und Julie), nennen das echt dramatisch.

Abwechslung zwischen Prosa und Vers ist im Drama an der gehörigen Stelle gewiß nicht zu tadeln, aber beim Shakspeare fällt diese Abwechslung oft herein wie die Thür in das Haus, z.B. gleich in der ersten Scene des Kaufmanns von Venedig in den Worten Bassanios über Graziano, in dem Wahnsinn des Lears pp, – doch die schlechtern Kritiker finden auch dieß a priori vortrefflich und die besseren sagen, daß die Fehler am undeutlichen Manuscript gelegen.

Im shakspearischen Scenenwechsel liegt oft wahrePoesie, die ich nicht missen möchte. Schon die Griechen (welche in dieser Rücksicht von den Franzosen ganz mißverkannt oder nichtgelesen sind) verstanden sich hierauf. In den Eumeniden des Aeschylus ist die Versetzung von Delphi nach Athen, Orestes' Flucht, die Furien hinterdrein, wahrhaft großartig. Eben so beim Shakspeare die Scenenverwandlungen im Lear, im Macbeth, und sogar im Kaufmann von Venedig, in dem ich die bunte Abwechslung der Coulissen, die wie Gondeln [49] vorüberschießen, nicht gern entbehrte, denn man erinnert sich dabei unwillkührlich an das meerdurchströmte, vielbewegte Venedig. Aber den Scenenwechsel soweit zu treiben wie in Antonius und Cleopatra, wo ohne Vorbereitung, Nothwendigkeit und Wirkung (nur diese drei Stücke rechtfertigen den Scenenwechsel) Alexandrien, Rom, Messina (und in diesen Städten wieder die verschiedenen Zimmer und Straßen), Schiffe, syrische Ebenen pp pp im selben Acte wiederholt den Schauplatz bilden, heißt mit der theatralischen Form spielen.

Wie mit dem Raum verfährt Shakspeare mit der Zeit. Auch da läßt sich die Nichtbeachtung der Zeit zu den größten poetischen Schönheiten benutzen, nur muß der Leser oder Zuschauer alsdann, gleich dem Liebenden, welchem nach Schiller


»keine Glocke schlägt«


auch nicht an den Verfluß der Zeit erinnert werden. So künstlerisch behandelt Shakspeare die Zeit im Macbeth, in dem (wie, glaub' ich, schon Wilh. Schlegel sagt) der Zeiger vom Zifferblatt der Uhr genommen ist und nur die Handlungen dahinrollen und wie ein Strom uns fortreißen. Aber Erscheinungen wie im Wintermährchen, wo in den ersten Acten das Kind geboren wird und im 4ten Aufzuge als erwachsenes Mädchen auftritt, sind um so strenger zu mißbilligen, als alle die Schönheiten, welche das Auftreten Perditas und Florizels begleiten, sich auch ohnedem hätten erreichen lassen, ja, es wünschenswerth gewesen wäre, die ersten Acte mitsammt der läppischen Eifersucht des Leontes und der Schwangerschaft der Hermione in den Hintergrund zu stellen. Im Othello sind die ersten beiden Acte gleichfalls außerwesentlich.

– Aus dem Bisherigen, welches sich aus allen shakspearischen Stücken noch weit mehr begründen ließe, ergibt sich das Resultat, welches der anfänglichen zweiten Hauptfrage zur Antwort dienen muß, von selbst. Specielle Wiederholung wäre Wort-Verschwendung. Shakspeare ist groß, sehr groß, aber nicht ohne Schule, Manier, und vielfaltige Fehler und Extremitäten.

Shakspeare verdient nicht das höchste bekannte Muster der Tragödie genannt zu werden. Man erinnere sich einmal der Eumeniden des Aeschylus, des Oedipus in Kolonos vom Sophokles. In den Eumeniden wird das Schrecklichste aufgeregt, was nur im Menschenleben erscheinen kann, die Furien [50] selbst, die Töchter der Nacht, treten blutlechzend in die Scene, immer zweifelhafter schwebt die Wage für den Orestes zwischen Himmel und Hölle, und endlich ziehen eben diese Töchter der Nacht versöhnt, seegnend, als »Wohlwollende« unter Geleit der Bürger, Jünglinge und Jungfrauen aus der Stadt. Den Leser ergreift die Empfindung als wäre ein Gewitter vorübergezogen und hätte nur Seegen hinterlassen. – Des Sophokles Oedipus in Kolonos macht den nämlichen Total-Effect, nur ist er mit noch sanfteren Tinten gemahlt, das Schreckliche steht schon in der Vergangenheit; wie die bleiche müde Nachmittagssonne noch einmal erröthet, die Welt mit Purpur überstrahlt und dann versinkt, geht der alte Held unter. Auch da ist vollkommene Versöhnung und Ruhe. Dabei findet sich in beiden Stücken (die Eumeniden hier und da ausgenommen) kaum ein Fehler in der Diction, und überdem nichts Außerwesentliches oder Groteskes.

So weit hat Shakspeare es nie in der Tragödie gebracht, er schließt jedesmal ohne Befriedigung (im Lear sogar durch Cordelias Tod mit einer schneidenden Dissonanz) und die höchste Beruhigung, welche er uns gibt, pflegt die zu seyn, daß nachdem die Bösewichter den Guten in Tod und Elend gestürzt haben, noch ein paar unbedeutende Charactere übrig bleiben, von denen man hoffen darf, daß sie besser handeln werden als die zu bestrafenden oder bereits getödteten Verbrecher.

Unsere Genies thäten gut, bei dem Trauerspiele eher an die Griechen als an den Shakspeare zu denken, womit ich keine Nachahmung anrathe.

Selbst eine ernstliche nähere Ansicht der französischen, freilich in mehrerer Hinsicht einseitigen Tragiker würde den Leuten nur nützen: sie finden da, was ihnen fehlt: Ernst, Strenge, Ordnung, theatralische und dramatische Kraft, Besonnenheit, raschen Gang der Handlung. Sie finden auch (was sie kaum glauben werden) eine Menge Charactere, wie sie Shakspeare nicht besser hat, unter vielen Corneilles Chimène, Medea pp, Racines Iphigenia, Athalie, Berenice, Phädra, Nero pp, Voltaires Mahomet, Tancred, Amenaide, Orosman, Nerestan, Lusignan, Zayre, Gusman, Alzire pp pp. Sind Kraftworte, schlagende tragische Ausbrüche einmal da (wie sie die Herren am Shakspeare so besonders schätzen), so trifft man sie in den französischen Dichtern in der Regel [51] schöner ausgedrückt und besser motivirt an: man höre nur das moi der Medea, Augusts soyons amis, Cinna, Agamemnons vous y serez ma fille pp. Blitzende Perlen sind es im dunklen Gewande der französischen Melpomene.

Wie in der Tragödie, finden wir auch im Lustspiele größere Meister als Shakspeare. Schon das ist fatal, daß der Character, welcher Shakspeares Ruhm als Komiker besonders begründet hat, der Falstaff, ziemlich willkührlich zwischen den Scenen eines historischen Dramas eingeschoben steht. Ich setze (und glaube, daß Mehrere, welche die französische komische Literatur kennen, es auch thun) den Moliere als komischen Dichter weit über den Shakspeare. Wenn in Molieres Stücken die größte Politur des Verses und des Styls (école des maris, Misantrope, Tartuffe pp), echt dramatischer Dialog, der feinste Conversationston, ein ununterbrochener Erguß von Laune, Witz und Schalkheit, eine hinreißende Schilderung der tiefangelegtesten Charactere (ich nenne nur den Tartuffe!), eine treffliche, gewandt und leicht sich dem Zuschauer einschmeichelnde Moral, die verschiedenartigsten Gestalten (Sosias, Climène, Alcest, Harpagon, Agnes in der Männerschule, die Scapins und Sganarells pp. pp.), dabei eine wohlberechnete Anlage des Ganzen sich vorfinden, so sehe ich nicht ein, warum man nicht dem, welchem sie gebührt, die Ehre geben und frei gestehen soll: Shakspeare hat im Komischen weder so viel Fehler vermieden noch so viel Gutes geleistet als Moliere.

Die dritte zu Anfange aufgestellte Frage heißt: wohin würde die zur »fashion« gewordene Bewunderung und Nachfolge Shakspeares das deutsche Theater führen?

Die Antwort ergibt sich schon aus dem Vorigen: blinde Bewunderung eines großen Mannes, der gleich allen großen Männern von einer Menge Fehler und Schwächen nicht frei ist, führt zur Nachbeterei; Nachbeterei stellt sich als etwas Unwürdiges dar und führt zu nichts Guten. Das Beste was sie zu Wege bringt, ist eine stereotype Manier, und die Manier hat stets das Eigene an sich, daß sie vorzüglich in weiterer Ausbildung der Fehler des Vorbildes sich gefällt, wie denn dieß schon auf hundert deutschen Comödienzetteln shakspearisirender Poeten zu sehen.

Nachahmung ist überall verwerflich, und schickt sich nur für gedankenlose Kinder und Affen. Der Deutsche fühlt [52] das, er läßt sich daher nicht gern Nachahmer schelten, und sucht fast immerdar die Nachahmung durch Übertreibung zu verstecken. Auch dieß ist bei dem Shakspeare geschehen.

Die Poesie hat tausend Formen und Arten, eine so schätzenswerth als die andere, jeder wahre Dichter ist zugleich ein Original-Dichter und es können in den Köpfen noch tausend dramatische Formen schlummern, welche die Kritiker gar nicht ahnen; den Shakspeare aber als Alles in Allem, wie es tagtäglich geschieht, als einzige wahre dramatische Natur darzustellen, heißt die besseren Köpfe vor jedem selbstständigen Schritte einschüchtern, das Unendliche in ein Wort, in eine Person »Shakspeare« bannen, ja, in anderer Art dasselbe werden zu wollen, was zu unserem Erschrecken die Franzosen geworden sind, versteinerte Mitglieder einer despotisch herrschenden dramatischen Schule. Despotie in der Kunst ist noch unerträglicher als im Leben.

Wir wollen kein englisches Theater, können auch keins haben, wir wollen noch weniger ein shakspearisches, wir wollen ein deutsches Schauspiel. Wir können und sollen alle übrigen guten Dramatiker (unter ihnen auch den Shakspeare) studiren, benutzen, aber wir müssen auf eigenen Füßen stehen bleiben, die Nahrung in eignes Blut verwandeln. Grade Shakspeare wimmelt von englischen Eigenheiten und Nationalvorurtheilen, grade das, was bei ihm fast überall fehlt, ist das, wonach das deutsche Volk sich am Meisten sehnt. Das deutsche Volk will möglichste Einfachheit und Klarheit in Wort, Form und Handlung, es will in der Tragödie eine ungestörte Begeisterung fühlen, es will treue und tiefe Empfindung finden, es will ein nationelles und zugleich echt dramatisches historisches Schauspiel, es will auf der Bühne dasIdeal erblicken, welches im Leben sich überall nur ahnen läßt, es will keine englische, es will deutsche Charactere, es will eine kräftige Sprache und einenguten Versbau, und in der Komik verlangt es nicht sonderbare Wendungen, oder Witze, welche außer der Form des Ausdruckes nichts Witziges an sich haben, sondern es verlangt gesunden Menschenverstand, jedesmal [53] blitzartig einschlagenden Witz, poetische und moralische Kraft. Ein Character, der bloß des Lebensgenusses wegen komisch und witzig ist, ist von der Grundlage der deutschen National-Komik, welche auch das Lustige unmittelbar auf Ideale bezieht und daher schon dessen Erscheinung als solche schätzt, so weit entfernt wie der Character Falstaffs von dem Eulenspiegels (welchen die Komiker schon längst besser hätten benutzen sollen als geschehen ist.)

Man gesteht es sich selten, aber wir wünschen im Grunde noch mehr: die neuere Zeit ist in Philosophie, Wissenschaft, Staatsleben (besonders seit der französischen Revolution) und an Erfahrungen aller Art viel weiter als das shakspearische Zeitalter gekommen, – wir wünschen und hoffen Dichter, welche es nicht bei der Nebenbuhlerei des Shakspeare beruhen lassen, sondern indem sie alle Fortschritte der Zeit in sich aufnehmen, ihn überbieten. Hat sich ein solches Talent noch immer nicht gezeigt, so beweis't das nicht, daß es nicht noch kommen kann, und in mehrerer Hinsicht hat Goethe's Erscheinung hier bereits unseren Wunsch erfüllt.

Mit Shakspeare, das heißt, durch Streben in dessen Manier, erwirbt sich kein Dichter Originalität; bei jetzigem Stande der Bühne wird er beinahe schon dadurch ein Original, daß er Shakspeares Fehler vermeidet. Müllners Schuld und zum großen Theil auch sein König Yngurd sind mir seit Schillers Tode wenn auch keine ganz befriedigende, doch wohl die erfreulichsten Erscheinungen am deutschen Theaterhimmel gewesen; offenbar herrscht in diesen beiden Stücken das Streben, romantische Schauspiele auf die einfachste, möglichst dramatische Weise zu liefern, und selbst gegen die Schicksals-Idee habe ich (mit Wieland) nichts zu erinnern, sobald das Schicksal unerforschlich, nicht blind dargestellt wird. Die Albaneserin ist eine so eigene Erscheinung, daß ein Urtheil über sie hier nicht hergehört; der überlegende und componirende Verstand liegt darin vielleicht zu offen am Tage (Shakspeare umschleiert seine Tendenzen weit dichter), und wäre zu wünschen, daß einige Shakspeare-Verehrer sich etwas davon aussuchten.

Die Engländer haben einen musikalischen Shakspeare, ich meine den Purcell. Nichtsdestominder haben wir Deutschen auch noch später als Purcell dieersten und originalsten [54] Heroen der Tonkunst unter uns aufstehen sehen, einen Händel, Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, – sollten wir in der dramatischen Kunst nicht dasselbe Glück haben können?

Ich schließe, und sollte eine offene literarische Fehde über meine Ansichten beginnen, so werde ich den Kampf nicht weigern.

Fußnoten

1 Während ich das Obige durchlese, kommt mir, der ich seit langer Zeit, wenig aesthetica ansehe, die Tiecksche Novelle »Dichterleben« zufällig in die Hände. In ihr hat die übergroße Verehrung des Shakspeares selbst auf die Handlung störend eingewirkt; man sieht überall zu offenbar den einzigen Zweck, den Shakspeare, dessen Persönlichkeit in der Novelle uns doch nicht vorzüglich anzieht, erheben zu wollen. Viele Reden, welche den Gang der Novelle hinhalten und schwerfällig machen, spielen auch um dieses Ziel und tragen außerdem etwas von der in den shakspearischen Stücken nicht selten vorkommenden Redseeligkeit an sich. Die Personen sprechen zwar immer geistreich, aber sie ermüden uns. – Wie hoch und herrlich steht dagegen die einige Jahre ältere Novelle da: die Verlobte. Solche Muster in das Publicum geschickt, und Tieck wird mit ihrer Größe, die keines Lobredners bedarf, mehr Gutes stiften und mehr Aufregung und Nacheiferung erwecken, als Belehrungen und Erläuterungen über Shakspeare es thun können.

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TextGrid Repository (2012). Grabbe, Christian Dietrich. Theoretische Schriften. Über die Shakspearo-Manie. Über die Shakspearo-Manie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E648-2