[116] An Herrn Hof- und Justizrath Benemannen, über den Verlust seines einzigen Sohnes

1733.


Du weinst, betrübter Benemann?
O dörft ich das von dir nicht sagen!
Ja, ja dein Herz ist wund geschlagen
Daß es den Schmerz nicht bergen kann.
Du weinst? o jammervolle Pflicht!
Du herbes Opfer zarter Liebe!
Wir sehn die Macht der Vatertriebe,
Doch ihre ganze Größe nicht.
Du weinst, und die gerechten Zähren
Kann dir die Weisheit selbst nicht wehren.
Dein Sohn erblaßt, dein Sohn fällt hin!
Der hoffnungsvolle muntre Knabe,
Von dessen unverhofftem Grabe
Ich auch entfernt gerühret bin.
O! muß dein einziger Ascan,
Der Spiegel deiner Eigenschaften,
An dem so viele Gaben haften,
So zeitig auf die Todtenbahn?
So ists! Er stirbt, und wirft die Glieder
Zu früh in kühlen Moder nieder.
Ich seh allhier, so wie micht dünkt,
Wie deiner Gattinn seltnes Wesen,
An Geist und Körper auserlesen,
Vor Kummer fast in Ohnmacht sinkt.
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Ich seh der heitern Stirne Pracht
In finstern Trauerflor verhüllet;
Den Blitz, der sonst ihr Auge füllet,
Verlöscht der Thränenwolken Nacht:
Ihr angenehmer Mund im Sprechen
Kann sich der Seufzer nicht entbrechen.
Ich hör ihn schon ganz bitterlich,
Mit halbgebrochnen Worten, klagen:
Ach! warum hab ich dich getragen!
Ach liebster Sohn! wie beugst du mich!
Ist denn dieß unverhoffte Leid
Der Lohn der zärtsten Mutterliebe?
Ist das die Frucht der edlen Triebe,
Darauf ich mich bey dir gefreut?
Umsonst! die Hoffnung ist verlohren!
Ach! hätt ich lieber nie gebohren.
Du selber, hochgeschätzter Mann!
Du selbst kannst mit gesetztem Herzen
Den harten Schlag nicht gleich verschmerzen,
Wie jeder leicht begreifen kann.
Du sahst die wohlgerathne Frucht
In deines Ehstands Garten blühen;
Und dein recht väterlich Bemühen
Gieng bloß auf eine weise Zucht:
Wozu so wenig Väter Gaben,
Verstand, Geduld und Eifer haben.
Wie wußtest du das zarte Reis
Mit klüglichsanfter Hand zu beugen,
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Die oftmals auch den wilden Zweigen
Den rechten Wuchs zu geben weis.
Wie hemmtest du den eitlen Trieb,
Der auch die besten Seelen reget;
Doch, da er leicht zu wurzeln pfleget,
In deinem Sohne kraftlos blieb:
Wie Gärtner sonst mit scharfen Blicken
Das Unkraut schon im Keim ersticken.
Jedoch es keimte hier nicht viel;
Sein Geist war edel und erhaben,
Und jede Neigung dieses Knaben
Umschränkte kein gemeines Ziel.
Die Hand der bildenden Natur
Verschwendet selten die Geschenke;
Jedoch, wenn ich zurücke denke,
Was man von deinem Sohn erfuhr:
So konnt ein jeder leicht ermessen,
Sie hätt ihr Sparsamseyn vergessen.
Wie schleunig wuchs in seiner Brust
Der angebohrne Zug zum Wissen?
Was andre mühsam lernen müssen
Begriff sein muntrer Witz zur Lust.
Das unvergängliche Latein,
Darinn es ihm so bald gelungen,
Die Anmuth der Pariserzungen,
Schien ihm natürlich leicht zu seyn:
Ja, was vermocht er in Geschichten
Nicht gleichsam spielend auszurichten?
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Wo bleibt sein offnes Angesicht,
Mit den bescheidenfreyen Minen;
Daraus der edle Geist erschienen,
Von dem die Stirn, als Herold, spricht?
Wo bleibt der hellen Augen Paar,
Die Rosenblüthe voller Wangen,
Daran ein ungekünstelt Prangen
Der schönen Mutter Abriß war?
Das alles ist in wenig Stunden
Geschwächt, verwelket und verschwunden.
Gebeugter Vater! fasse dich,
Und denk an deiner Großmuth Stärke:
Erwäge deines Geistes Werke;
Was gilts, er selber fasset sich!
Du kennst ja längst den Lauf der Welt,
Natur und Ordnung aller Dinge:
Was ist so groß, was so geringe,
Das nicht zuletzt vergeht und fällt?
Hier ist dirs leicht, auf unsre Sachen,
Und auf dich selbst den Schluß zu machen.
Erhebe Sinnen und Gemüth,
Bis in des Himmels blaue Ferne;
Wo, wie du weist, in jedem Sterne,
Ein ganzer Sonnenkörper glüht.
Dreht jeder nicht um seine Glut
Ein Heer von Welten in die Runde?
Belebt sie nicht zu jeder Stunde
Der warmen Stralen Silberfluth?
Und gleichwohl hat man wahrgenommen,
Daß mancher Lichtquell schon verglommen.
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Des Pöbels Schrecken, ein Komet,
Mit seinem ungeheuren Schwanze,
Was ist er, in dem trüben Glanze?
Ein Erdball, der zu Grunde geht!
O! gehn hier ganze Welten ein,
Wenn Frost und Hitze sie verheeret;
Und werden Sonnen auch verzehret:
Wie kann ihr Bürger ewig seyn?
Wie kann der Mensch, der Wurm auf Erden,
Dem Untergang entrissen werden?
Betrachte ferner See und Land,
Und merke die verrückten Gränzen:
Itzt sieht man da die Schuppen glänzen,
Wo sonst ein fester Atlas stand.
Der Abgrund reibt oft Inseln auf,
Und speyet Felsen aus dem Rachen,
Die Städt und Dörfer öde machen:
Wie ändert sich der Ströme Lauf?
Auch Cedern sinken, samt den Eichen,
Von wiederholten Donnerstreichen.
Was hat des Menschen Witz erdacht,
Durch Kunst und Ehrgeiz ausgeführet,
So stark erbaut, so schön gezieret,
Dem nicht die Zeit den Garaus macht?
Auch Babels Mauren sind schon Staub;
Aegyptens eingestürzte Seulen
Sind die Behausung wilder Eulen;
Rom selber ward der Barbarn Raub.
Sein Rest ist kaum in hohlen Gründen,
Mit Schutt und Graus verscharrt zu finden.
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Wo ist der Auswurf der Natur,
Der Weltbezwinger tolle Menge,
Die triumphirend im Gedränge
Auf tausend warmen Leichen fuhr?
Wo sind die Geißeln aller Welt,
Des menschlichen Geschlechtes Plage,
Die Misgeburten ihrer Tage;
Die darinn bloß ihr Lob gestellt,
Als unersättliche Tyrannen,
Den Erdkreis in ihr Joch zu spannen?
Wo sind die Fürsten beßrer Art,
Die ihrer Völker Väter waren,
Und oft die Köpfe ganzer Schaaren
Durch ihr selbst eignes Blut gespart?
Wo sind die Helden alter Zeit,
Die für der Menschen Wohl gekämpfet,
Der Ungeheuer Wuth gedämpfet,
Und Friedenstempel eingeweiht;
An Feinden Sanftmuth ausgeübet,
Und ihre Bürger nie betrübet?
Ach dörft ich diese letzten doch
Nicht, jenen gleich, zum Beyspiel geben:
So würd auch Friedrich August leben,
So lebte Pohlens Vater noch!
Erwäg es, theurer Benemann!
Auch dieser Held hat sterben müssen,
Auch der ward uns zu früh entrissen,
Wie Sachsens Wehmuth zeigen kann:
Sprich selber, sind wohl tausend Leichen
Mit diesem Haupte zu vergleichen?
[122]
Ich weis, du leugnest solches nicht.
Wohlan! so widme deine Thränen
Des Landes allgemeinem Sehnen,
Und eines treuen Dieners Pflicht.
Wenn Rom den Marius verehrt,
Der, da des Sohnes Asche lodert.
Weil ihn die Pflicht aufs Rathhaus fodert,
Sich nicht in seinen Aemtern stört;
Und gleichsam das gemeine Wesen
Sogleich an Sohnes statt erlesen:
So sieh einmal, was deine Kraft,
In Dämpfung gleicher Trauerkerzen
Und Ueberwältigung der Schmerzen,
Für Beystand giebt, für Vortheil schafft!
Ganz Sachsen braucht ja deinen Geist;
Wann in Asträens hohem Rathe
Dein Mund, nebst andern, unserm Staate
Die Mittel sichrer Wohlfahrt weist.
Soll hier das Vaterland den Leichen,
Und deine Pflicht den Thränen weichen?
Bekümmerts dich vielleicht dabey,
Daß einst dein Namen sich verlieret;
Und daß der Ruhm, der ihn gezieret,
Auf keinem Erben ewig sey?
Ach! denke doch, was hilft es viel,
Daß einst die Welt die Sylben nennet,
Daran man lebend uns gekennet?
Was ist ihr Lob? Ein Gaukelspiel!
Was fühlen wir von dem Vergnügen,
Wenn wir dereinst im Staube liegen?
[123]
Dein Sohn war edel! Doch wer weis,
Vielleicht wär ihm sein Sohn misrathen?
Oft schwächen schnöder Enkel Thaten,
Der Ahnherrn wohlerworbnen Preis.
Die Welt ist unser, weil wir sind!
Genug, daß dieser Punkt der Erde
Nach uns auch andre tragen werde;
Gesetzt, daß unser Lob verschwindt.
Wir selber habens ja vergessen,
Wer diesen Platz vor uns besessen.
Und was? Dein würdigstes Gemahl
Ist dir viel mehr, als hundert Kinder;
Die macht dir allen Gram gelinder,
Durch Eigenschaften ohne Zahl.
Lebt diese nur, so fehlt es Dir,
Auch bey noch größerm Schmerz und Leiden,
Doch niemals an wahrhaften Freuden,
Denn die empfindest du bey ihr:
Nur mußt du selber ihr darneben
Ein Beyspiel wahrer Großmuth geben.
Der Frühling fängt mit lauer Hand
Die kahlen Fluren an zu schmücken.
Und Phöbus lacht mit holden Blicken
Auf Florens buntes Brautgewand.
Darum begieb dich auf dein Feld,
Daselbst, nach Art geübter Weisen,
Den Schöpfer der Natur zu preisen,
Den jedes Gras vor Augen stellt:
Da wirst du leicht, aus tausend Werken,
Die Weisheit seines Raths vermerken.
[124]
Alsdann ergreif dein Seytenspiel,
Das dir die Musen selbst gestimmet;
Und wenn dein Herz in Andacht glimmet:
So nimm dir Gottes Lob zum Ziel.
Entwirf uns, wie du kannst und pflegst,
Die wahre Hoheit weiser Geister,
Und zeige, daß du, als ein Meister,
Die Fälle dieses Lebens trägst.
So wirst du dich, bey deinen Thränen,
Nicht mehr nach meinen Liedern sehnen.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. An Herrn Hof- und Justizrath Benemannen. An Herrn Hof- und Justizrath Benemannen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E45F-F