An Jungfer L.A.V. Kulmus

1733 den 31 Jenner.


So willst du mir hinfort noch seltner schreiben?
Victoria! mein Leben, Herz und Licht!
Soll mir dein Kiel die Antwort schuldig bleiben?
[403]
Ach! strafe mich doch so empfindlich nicht!
Was hab ich denn versehen und verbrochen?
Verdammst du mich, ohn alle Missethat?
Ach ja! mir ist mein Urtheil schon gesprochen,
Bevor man mir einmal die Schuld genennet hat.
Ja, ja! so ists. Ich soll gemartert werden,
Dein eigner Kiel verkündigt mir die Pein.
Fühlt nicht mein Herz schon Kummer und Beschwerden,
Daß ich von dir so weit getrennt muß seyn?
Doch nicht genug! Ein Weg von achtzig Meilen
Läßt meinen Trieb noch gar zu stark und neu:
Drum will man gar, daß auch kein Blatt voll Zeilen
Von deiner schönen Hand sein neuer Zunder sey.
O schönste Hand! mein Labsal und Vergnügen!
Wie froh macht mich ein süßer Brief von dir!
Kaum seh ich ihn, so laß ich alles liegen,
Und küß ihn oft mit lüsterner Begier.
Ich bebe recht vor sehnlichem Verlangen,
Sein Siegel geht mir stets zu langsam los:
Und wenn ich ihn zu lesen angefangen,
Dann sitz ich, wie mich dünkt, dem Glücke selbst im Schooß.
Da steht kein Wort, das nach der Einfalt schmecket,
Die Männern wohl sehr oft ein Schandfleck ist:
Da wird dein Geist mir mehr und mehr entdecket,
Daran du doch ganz unvergleichlich bist.
Ein kluger Scherz, ein ernsthaft edles Wesen,
Würzt überall dein witzerfülltes Wort:
Und wann ichs denn wohl zehnmal durchgelesen,
Dann leg ich erst das Blatt, und doch mit Mühe, fort.
[404]
Was denkst du nun, bey diesen stillen Freuden?
Sprich, Engelskind! misgönnst du mir die Lust?
Erkühnt man sich, dieß Glücke zu beneiden,
Das einzige, davon ich noch gewußt?
O! sinne nach, ob meiner zarten Liebe
Die Probe nicht zu hart und grausam sey?
Und mache doch die Neigung deiner Triebe,
Wie deinen muntern Kiel, von diesem Zwange frey.
Jedoch umsonst! Du schreibst es mir im Scherzen,
Du ehrst den Zwang, als eine theure Pflicht:
Wohlan! so reiß dein Bild noch aus dem Herzen!
Denn, wie es scheint, auch das gönnt man mir nicht.
Ach! merkst du nicht die List bey diesen Ränken?
Wenn mir dein Kiel nur erstlich seltner schreibt:
So weis man schon, daß auch im Angedenken,
Allmählich mir bey dir kein Plätzchen übrig bleibt.
Wie man die Glut von stark entbrannten Flammen
Nicht mit Gewalt auf einmal dämpfen kann;
Die Hitze drängt sich destomehr zusammen,
Und facht sich nur um desto schärfer an:
Doch, will man nicht das wilde Feuer hegen,
So sucht man ihm die Nahrung zu entziehn;
Da wird die Brunst sich von sich selbst schon legen,
Und leichten Funken gleich in dünner Luft entfliehn.
Erwäge dieß, o englische Louise!
Und denk einmal auf deine letzte Schrift!
Wie? wenn ich dich auf dein Versprechen wiese,
Womit dein Schluß itzt schlecht zusammen trifft.
Ist das die Huld, die du mir zugeschworen?
Ist das die Treu, die du mir zugesagt?
[405]
Denn hat dein Wort so bald die Kraft verlohren:
So hast du mich dadurch aufs heftigste geplagt.
So schweige dann, und laß mich gar verschmachten;
Und mache mich zum Opfer deiner Pflicht:
Doch willst du mich der Antwort unwerth achten;
So schweig ich doch von meiner Sehnsucht nicht.
Bey später Nacht will ich dich träumend plagen,
Im Wachen selbst dir stets vor Augen stehn;
Und dich, mein Licht! ohn Unterlaß befragen:
O Grausame! soll ich ohn alle Schuld vergehn?

(Die Oberpfalz.)


Gehab dich also wohl. Du rauhes Pfälzerland!
Dein Felsenreicher Grund ist mir nunmehr bekannt:
Bekannt, doch auch verhaßt. Von deinen harten Steinen
Komm ich, Gott Lob! dießmal annoch mit ganzen Beinen.
Du, hohler Wege Schlund; du, steiler Berge Graus,
Du, dicker Wälder Wust, du, kalter Winde Straus,
Der du beständig scheinst, dem Sommer Trotz zu biethen,
Der Himmel wird vor euch mich künftig wohl behüten.
Beglücktes Vaterland! das mich zur Welt gebahr,
Gepriesne Meißnerflur! wo ich längst Bürger war,
[406]
Ihr kennt die Plagen nicht, die uns allhier betreffen,
Wenn Berg und Thäler uns auf langen Reisen äffen.
Bald steig ich Himmel an, wie, wider die Natur
Elias von der Welt mit Feuerrossen fuhr;
Bald aber senk ich mich, wie Phaeton, hinwieder,
Doch ohne mein Vergehn, in tiefe Gründe nieder.
So weit mein Auge trägt, erblick ich Stein und Wald,
Ein wüstes, rauhes Land, der Faunen Aufenthalt;
Wo kein gesittet Volk in schönen Städten hauset,
Wo, statt der Musen, Pan auf heischern Röhren brauset.
Apollo wich mit Fleiß aus dieser frechen Flur,
Warum? sie wies ihm nicht die Schönheit der Natur.
Sie ist der Schreibart gleich, die von den Alpen stammet,
Rauh, höckricht, hart und steif; wie er sie stets verdammet.
Was ist der Boden hier? Ein unfruchtbarer Thon,
Der Gras und Kräuter haßt. Das Unkraut flieht ihn schon!
Ein schlechter Distelbusch und scharfe Dornenhecken,
Ja, Schleeen wollen kaum den öden Grund bedecken.
Der arme Landmann pflügt des Landes mildern Theil;
Allein die Pflugschaar fühlts, und stümpfet sich in Eil.
Man sieht den Acker kaum vor umgestürzten Steinen,
Als sollte noch einmal Deukalion erscheinen.
[407]
O käm er doch nur bald! und Pyrrha noch dazu,
Und brächte jeden Stein aus der zu langen Ruh,
Und würf ihn hinter sich, der Menschen Zahl zu mehren:
So würde doch dieß Land von neuen Bürgern hören.
Doch leider! ist dieß Paar ins Fabelreich versenkt;
Der Himmel hat es nicht der neuern Zeit geschenkt.
Die Oberpfalz bleibt leer. In ihren magern Fluren,
Ist fast nichts seltsamers, als der Bewohner Spuren.
Kein Hirsch, kein feiges Reh, durchstreicht das freye Feld,
Kein Vogel nistet hier, dem jemand Netze stellt.
Die Säue wühlen nur, und wenig hagern Ziegen
Thun dürre Heiden kaum mit karger Kost ein Gnügen.
Ein lumpicht Bettelvolk füllt alle Straßen an,
Vor dem ein Reisender sich kaum noch retten kan;
Wenn dieß Zigeunerpack mit Weib und Kindern lärmet,
Und wilden Hummeln gleich um Pferd und Kutsche schwärmet.
Ists Faulheit, die dieß Volk zum Bettelstabe treibt?
Ists Unart, die so gern beym Müßiggange bleibt?
Wo nicht, so ist es doch ein Schimpf der Policeyen,
Die solch Gesindel nicht durch ihr Verboth zerstreuen.
Ein Zucht- und Arbeithaus vertreibt die Krankheit leicht,
Die mancher Obrigkeit so gar unheilbar deucht.
Die ganze Staaten schimpft, und Fremden, die da reisen,
Nur Elend, Angst und Noth des Landes pflegt zu weisen.
Behauptet, wie ihr wollt, ihr Weisen neuer Zeit,
Dieß sey die beste Welt, nach schärfster Möglichkeit.
[408]
Bevor ihr dieses lehrt, (so dacht ich oft mit Flehen)
Müßt ihr ein armes Land voll Berg und Bettler sehen.
Kommt, seht nur erst allhier die wilden Klippen stehn,
Und Felsen mit der Stirn bis in die Wolken gehn.
Kommt, seht nur hin und her, die schlecht bewohnten Thäler,
So sprecht ihr Zweifelsfrey: Die Welt ist voller Fehler!
Wiewohl! so dacht ich nur aus Wahn und Ungeduld;
Dich, Schöpffer der Natur! betrifft hier keine Schuld!
Dem Weltbau mangelt nichts an Schönheit im Verbinden,
Ist in den Theilen gleich was fehlerhafts zu finden.
Der steilen Berge Reih, die Deutschlands Mitte trennt,
Und Vogtland, Frankenland und Oberpfalz durchrennt,
Ist unser Wasserschatz, daraus die Bäche rinnen,
Wodurch so mancher Strom sein Wesen muß gewinnen.
So sah ich, wo zuerst der Pleißenstrom entspringt;
Ich sah der Elster Brunn, die Meißens Flur durchschlingt;
Ich sah der Mulden Strom in seinen ersten Quellen,
Die Nordwärts ihren Lauf gewohnt sind fortzustellen.
Ich sah den Egerfluß zum Eibstrom Ostwärts gehn,
Und so, wie Saal und Mayn am Fichtelberg entstehn:
Hier quillt die Pegnitz auch, und Südwärts eilt die Naabe
Zum großen Donaustrom, als ihrem nassen Grabe.
Wo bleibt noch ausser dem, der kleinern Flüsse Zahl,
Die jeder Berg erzeugt, womit fast jedes Thal
Hier angeschwängert wird, die sich vom Nebel nähren,
Und von des Thaues Naß, den Stein und Fels nicht zehren.
Doch fällt ein Regenguß, so schwillt die kleine Fluth,
[409]
Reißt Sand und Steine mit, der nahen Berge Brut;
Und treibt den feuchten Zoll nach Ländern, Dörfern, Städten,
Die täglich um des Stroms erwünschten Zufluß bethen.
So bleibt die Vorsicht auch bey scheinbarn Mängeln groß:
Ein Weiser spricht sie stets von allen Fehlern los.
Nur Thoren tadeln gern, was ihrer Einsicht weichet,
Wohl dem, der forschend einst des Schöpfers Spur erreichet!
Die Wüsten fördern selbst der höchsten Weisheit Ziel,
Sie bleibt an Wundern reich, und treibt ihr altes Spiel,
Wenn sie beschäftigt ist, auch in verborgnen Wegen,
Den Sterblichen zum Nutz, ihr Absehn darzulegen.
Und wie? wohin verschickt ein hochgebirgigt Land
Durch manchen Wolkenguß und Schneegang Erd und Sand?
Die Bäche zehren stets an den erweichten Hügeln,
Bis nackte Felsen sich in ihren Fluthen spiegeln.
Wo bleibt nun der Verlust, der niemals sich ersetzt?
Er geht in Strömen fort, bis ihren Raub zuletzt
Die weite See empfängt, die ihn an Ufer schwemmet,
Manch neues Eyland macht, und seichte Küsten dämmet.
O könnt ich die Gestalt des ganzen Erdballs sehn,
Bevor so mancher Riß in seinen Grund geschehn!
Eh manche Wasserfluth den Boden durchgewühlet,
Eh Regen, Fluß und Bach die Felder ausgespület.
Ihr Mondenbürger wißts, viel besser, wie mich deucht,
Wie unsrer Wohnung Bild sich sonst bey euch gezeigt.
Ihr sehts, wie nach und nach in Meeren, Strömen, Ländern,
Gestalt und Gränzen sich auf unsrer Kugel ändern.
[410]
Wo Sodom vormals stund, steht itzt der todte See.
Im Mittelmeere stieg manch Eyland in die Höh.
Trinakrien ward einst von Wälschland abgerissen,
Und von Britannien will man ein gleiches wissen.
Atlantis sank ins Meer, dieß macht uns Plato kund:
Und in der Schweiz verschlang so Stadt als Berg ein Schlund.
Auf hohen Alpen ist der Fische Rest vorhanden:
Und neue Berge sind in Wälschland schon entstanden.
Wer weis, was diesen Berg, der itzt ein Auge schreckt,
Den Fels, der ewig scheint, noch für ein Schicksal deckt?
Vieleicht wird hier, wo itzt die dicken Wolken stehen,
Dereinst ein schweres Schiff mit vollen Segeln gehen.
Hier ändert alles sich: nur in der kurzen Zeit,
Darinn ein Mensch hier wallt, scheints uns Beständigkeit:
So, wie die Motten auch, bevor sie sich verbrennen,
Uns Sterbliche vieleicht, aus Irrthum, ewig nennen.
Sagt, die ihr der Natur bestimmtes Schicksal wißt,
Wie lange währt es noch, bis alles eben ist?
Bis aller Berge Sand und Staub die See getrunken,
Und aller Felsen Klump im Boden ist versunken?
Wie flach, wie rund, wie schön, wird dann der Erdball seyn!
Wie wenig fragt alsdann der Mensch nach Fels und Stein!
Auch Gemsen werden dann auf keinen Klippen wohnen,
Und selbst der Jäger wird sie mit der Jagd verschonen.
Ein neues Paradies wird auf der Welt entstehn,
Und rings um ihren Ball in ebnen Fluren gehn.
Gesunde, reine Luft wird sie durchaus umgeben,
Und jeder wird so lang als jene Väter leben.
[411]
Wie vor der Sündfluth noch, als alles jünger war,
Die saftige Natur gesundre Kost gebahr:
So wird alsdann die Welt, wo nicht die Schlüsse trügen,
Viel kräftiger als itzt der Menschen Sinn vergnügen.
Komm, angenehme Zeit! bechleunige den Lauf!
Mach alle Länder glatt, heb alle Hügel auf!
Wie sich das Niederland in feuchten Fluren weidet,
Und unsrer Berge Graus kein einzigmal beneidet.
Auch du, o Vaterland! hegst Werker solcher Art,
Die dir der Vorsicht Gunst zum Theil schon aufgespart.
Sie wachsen jährlich zu! du wirst zum Schmuck der Erden,
Ehr, als manch andres Land, ein fettes Gosen werden.
Was seh ich von der Höh, wo mich der Wagen trägt?
Ists nicht der Donaustrom, der sich vor Augen legt?
Ist das nicht Regensburg, der Sitz des deutschen Reiches?
O ja! Seyd mir gegrüßt; ihr beyde habt nichts gleiches!
Der Deutschen Flüsse Haupt, und wahre Königinn
Eilt hier getheilt vorbey, und fleußt ganz stolz dahin,
Wo Kaiser Franz regiert, und wo die Lust der Zeiten,
Theresia sich wird ein ewig Lob bereiten.
O nimm mich, werther Fluß! und führe mich mit dir!
Und zeige mir die Stadt, der Deutschen Städte Zier.
Den großen Kaisersitz, wo seit drey hundert Jahren
Die Häupter Oesterreichs in vollem Glanze waren.
Ihr weichet auch Paris, und London, wenn sie will.
Jedoch, o Muse! schweig, von ihren Wundern still,
Bis du sie selbst erblickst. Blick auf die nahen Mauren,
Worinnen Freyheit, Recht, und Macht des Reiches dauren.
[412]
Der Deutschen Häupter Rath und Weisheit herrscht allda!
So, wie man sonst in Rom den Staat vereinigt sah.
Es sind Gesandten hier, bereit in allen Fällen,
Der Fürsten Ansehn, Macht und Rechte darzustellen.
Ihr hohen Thürme zwar, prangt nur durchs Alterthum:
Allein auch dieses schwächt nicht eurer Würde Ruhm.
Ist doch das Capitol, wie wir in Römern lesen,
Auch, als es hölzern war, das Haupt der Welt gewesen.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Gesänge. An Jungfer L.A.V. Kulmus [1]. An Jungfer L.A.V. Kulmus [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E3DF-8