Johann Christoph Gottsched
Gedichte
Arnold und Olga Cleemann zugeeignet

[469] Vorrede zur ersten Ausgabe

Geneigter Leser!

Deine Einbildung, womit du diese Vorrede zu lesen anfängst, wird dir gewiß fehl schlagen. Ich muß dir solches gleich bey dem Eingange entdecken, damit dein Verdruß nicht gar zu heftig werde, wenn du dasjenige hier nicht gefunden, was du doch nothwendig anzutreffen vermeynet hast. Du foderst vermuthlich von mir, als ein Recht, welches dir ohne Ausnahme zuständig ist, ich solle dich mit demüthigen Worten um Verzeihung bitten, daß ich mich gewaget, ein Buch voll Verse ans Licht zu stellen; weil doch alle Buchläden, nach deiner Meynung, davon voll sind. Ich habe dir solches auch erstlich nicht versagen wollen, da ich nachdachte, was ich auf den ersten Blättern dieses Vorberichts sagen könnte. In dieser Absicht sammlete ich mir die besten Redensarten, mit denen man sich bey der gelehrten Welt zu entschuldigen pflegt, daß man ihre Bücherverzeichnisse mit dem Titel, Gedichte, verstärket. Allein, ich konnte mich noch nicht überreden, daß die Dichtkunst unter allen andern Künsten und Wissenschaften die geringste seyn sollte. Ich [469] sah alle Messen so viel andere Bücher von allerhand Art ungescheut hervor treten, die sich nicht mit einer so übel angebrachten Demuth und Schamhaftigkeit in unsere Büchersäle einschmeichelten. Ich fand die Stellen, wo sie sich eindrangen, schon so wohl besetzt, daß man ihrer mit dem größten Fuge entübrigt seyn konnte; und sie hatten nichts an sich, welches ihnen einen Vorzug vor denen bereits vorhandenen Stücken hätte geben können. Nichts destoweniger durften sie sich doch mit einem gewissen Trotze für unentbehrlich, höchstnützlich und nöthig anpreisen: und man glaubte sogar ihrer Versicherung. Dieses machte mich stutzig; und ich wußte nicht, was für ein feindseliges Gestirn allein die Herausgeber poetischer Werke verfolgen sollte; daß sie sich meistentheils einer liebkosenden Begleiterinn bedienen müßten, wenn sie einen Zutritt erlangen wollten. Es lag mir beständig im Sinne, daß die erste, und noch rohe Welt den Dichtern häufig nachgelaufen; daß sie dieselben mit Verehrung aufgenommen und mit Vergnügen angehöret; und daß sie einen poetischen Ausdruck für die Sprache der Götter gehalten hatte. Itzt aber sollte man ihnen, bey der weit gesittetern Welt, erst eine Empfehlung mitgeben müssen; man sollte die Freunde der Musen gleichsam in der Sprache der Bettler reden hören. [470] Das war zu viel! Ein so unanständiges Verfahren kam mir als ein heimlicher Verweis vor, daß unsere Zeiten unempfindlich und unachtsam wären; und daß man ihnen erst durch Bitten etwas beliebt machen müßte, was sich doch sonst durch seinen eigenen Werth, und durch seine eigene Schönheit beliebt machen können. Diese Niederträchtigkeit schien mir der majestätischen Hoheit der Dichtkunst gänzlich zuwider zu seyn, und ich glaubte, daß nur die kleinsten Geister dazu fähig wären. So gleich verbannete ich alle die schönen Blümchen, womit ich meine Vorrede auszuzieren, und dich, wegen dieser gesammleten Gedichte, um Vergebung zu bitten entschlossen war. Ich wollte lieber deine Hoffnung zu Schanden werden lassen, als dich, dieß Buch, und mich beschimpfen.

Außerdem darfst du nicht glauben, es sey diese Vorrede dazu bestimmt, daß sie dir den Werth und die Schönheit derer Gedichte kenntlich machen und anpreisen soll, die ich itzt herauszugeben die Ehre habe. Verdienen sie einige Hochachtung: so werden sie sich solche schon selbst zuwege bringen. Es würde mir leid seyn, wenn sie einen Theil derselben meiner Kühnheit sollten zu danken haben, womit ich sie hervor treten ließe. Du wirst es zwar gewohnt seyn, daß die Vorreden der Herausgeber fremder Werke von deren Vortrefflichkeit, Nutzbarkeit, Wichtigkeit und Vorzügen, vor vielen andern Schriften ihrer Art, viele Worte machen. Allein, ich habe mich jederzeit gewundert, daß sie sich nicht gescheut, in ihrer eigenen Sache ein Zeugniß abzulegen. Es ist mir immer verdächtig vorgekommen, wenn man seine Leser durch Anzeigung vieler guten Eigenschaften eines Werks zum Voraus einzunehmen gesuchet hat. Lies und beurtheile es selbst, ohne meine Vorschrift. Ich traue dir schon so viel Verstand und Einsicht zu, daß du wirst unterscheiden können, ob diese Gedichte von der gemeinen Art sind, deren du vielleicht [471] genug gelesen hast; oder ob sie zu einer höhern Gattung gehören, die bey uns eben noch nicht gar zu bekannt ist. Mich dünkt, ich würde dir und dem Herrn Verfasser derselben viel Unrecht thun, wenn ich etwas entscheiden wollte.

Dieß überhebt mich auch der Mühe, desselben Lobredner allhier zu werden. Ich darf mich nicht befleißen, durch einen künstlichen Ausdruck zu versichern: daß unter seinen vielen Verdiensten seine große Poesie die kleinste ist. Er hat sich schon selbst der gelehrten Welt bekannt genug gemacht, und bedarf meiner unzeitigen Empfehlung nicht. Es erfreuet mich nur, daß ich itzt die Anmerkung des scharfsinnigen Kopfes so glücklich zu Schanden machen kann, welcher uns die Mittel, in der gelehrten Welt berühmt zu werden, gezeiget hat. Denn da er glaubet, daß derjenige, der eines andern Schriften bekannt machet, nicht umhin kann, viel Vortheilhaftes von deren Urheber zu sagen: so sieht er hier, daß er in seinen Muthmaßungen für diesesmal stark geirret hat.

Zwar darf ich mich eben nicht so groß damit ma chen, daß ich von seiner Vorschrift in diesem Stücke abgewichen bin. Vieleicht bin ich ihr in einem andern desto genauer gefolget. Man wird solches ohne Zweifel bald errathen, und ich darf wohl kein Geheimniß daraus machen. Ich könnte zwar leicht unterschiedene wahrscheinliche Ursachen anführen, wenn man mich fragte, warum ich mir angelegen seyn lassen, die Gedichte eines berühmten Poeten unter uns zu sammlen und herauszugeben. Man würde sichs schon gefallen lassen, daß ich bey der Mode geblieben, die in diesem Jahrhunderte unter unsern Dichtern im Gebrauche gewesen: da die wenigsten ihre eigenen Früchte der Welt haben zeigen wollen; da allezeit ein Fremder hat kommen, und sie wider Willen aus ihrer Verwahrung hervorziehen müssen; da die Dichter zuweilen selbst die einzigen gewesen, die ihre Werke zum Drucke befördert, und sich dennoch in der Vorrede angestellt haben, als wenn solche von einem andern, mit großer Furcht vor des Verfassers [472] Bescheidenheit, zusammen gelesen worden. Allein ich würde damit nicht die wahre Ursache entdecken, und mich dazu eines großen Verbrechens schuldig machen. Ich würde eine Verleumdung gegen einen Mann begehen, den ich mit vieler Ergebenheit verehre. Denn es ist mit Wissen und Willen des Herrn Professor Gottscheds geschehen, daß ich seine Gedichte unter die Presse gegeben habe. Er hat es mir auf mein Ansuchen erlaubt; und es ist nicht schwer, zu erkennen, daß ich ihn wegen einiger Stücke, sonderlich derer in fremden Namen, müsse zu Rathe gezogen haben. Er selbst würde es sich nicht für unanständig gehalten, oder sich aus einer überflüßigen und verstellten Bescheidenheit geweigert haben, sie dem Drucke zu überlassen. Noch weniger ist es ihm zu schwer, oder zuwider, einige Bogen in Ordnung zu bringen, und den Druck derselben zu besorgen: und so viel Muße, als dazu gehöret, würde sich auch schon gefunden haben. Warum habe ich denn nun aber dieses alles übernommen? Die richtigste Antwort wäre wohl: weil ich unterschiedene Gedichte in Händen hatte, die der Herr Verfasser selbst nicht mehr besaß; und ich weit stärker glaubte, als er, daß vielen mit deren Herausgabe ein Gefallen geschehen würde. Doch man möchte das nicht für zulänglich halten; und da kömmt es mir sauer an, noch offenherziger darauf zu antworten, und etwas so freymüthig zu bekennen, welches andere meines gleichen sorgfältig zu bemänteln suchen. Was ist aber zu thun? Man hat bereits aus der Schule geschwatzt: und ich weis, alle meine Leser werden darauf verfallen, daß ich gesucht habe, mich durch die Ausgabe dieser Gedichte berühmt zu machen.

Es ist wahr, mich hat ein kleiner Ehrgeiz dazu verleitet: und ich habe gleichwohl das gute Vertrauen, daß mir meine Absicht nicht zu Wasser werden wird. Ich könnte mir solches [473] gewiß versprechen, wenn ich nur einen alten Griechen oder Lateiner von neuem herausgäbe. Denn ich kenne große Männer, die einen hohen Ruhm unter den Gelehrten dadurch erlangt haben, ungeachtet sie weiter nichts gethan, als was ich itzt thue. Allein so muß ich noch hoffen, ob es mir gelingen wird: weil es zur Zeit eben nicht scheint, daß man auch deutschen Büchern dergleichen Kraft und Vorrecht einräumen wolle. Jedoch, da man schon anfängt, denenjenigen die gesuchte Ehre nicht zu versagen, die uns die alten geschriebenen Stücke unserer Vorfahren sammlen: so kann ich mir wenigstens mit der süßen Vermuthung schmeicheln, sie werde mir auch zu Theile werden. Denn das Alter wird doch wohl keinen Unterschied unter einer gleichen Bemühung machen. Das würde sonst parteyisch gehandelt seyn; wozu aber die Republik der Gelehrten nicht fähig ist.

Vieleicht sähe ich meine Begierde sogleich gestillt, wenn ich nur noch in diesem Vorberichte etwas Wichtiges ausgeführt, oder das ganze Werk mit einigen Abhandlungen begleitet hätte. Es ist allerdings ein Versehen von mir, daß ich es so stark gemacht habe, daß mir kein Raum für meine Arbeit übrig geblieben ist. An meinem guten Willen hat es nicht gelegen, dir, geneigter Leser! meine Gelehrsamkeit zu zeigen. Ich stund in Bereitschaft, einigen philosophischen Fein den der Dichtkunst zu widersprechen, welche ein Großes wider sie gewonnen zu haben vermeynen, wenn sie anführen: daß Plato die Poeten aus seiner Republik verbannet hat. Ich wollte ihnen beweisen, daß dieser tiefsinnige Weltweise [474] im geringsten kein solcher Dichterfeind gewesen, ist, als sie vorgegeben. Denn zu geschweigen, daß er selbst Verse gemacht, und die poetischen Schriften sehr fleißig, gelesen [475] und wohl anzuwenden gewußt hat: so finde ich, daß sein Verboth nichts mehr enthält, als daß er gesucht, diese Art der Nachahmung auf eben solchen Fuß zu setzen, als die Musik und das Tanzen. Beyde Künste richtete er so ein, daß er alles weichliche und wollüstige Wesen davon wegschaffte. So wollte ers auch mit der Poesie haben. Das Erhabenste darinnen, und was die größten Schönheiten annehmen kann, ließ er zu, und verordnete, daß man, den Göttern und Helden zu Ehren, Lieder singen sollte. Er wollte auch, daß man, zur Unterweisung der Menschen, Fabeln gebrauchen möchte; und bediente sich selbst, an vielen Orten seiner Schriften, derselbigen sehr klüglich. Hieraus konnte ich leicht ausmachen, ob derjenige ein Feind der Poesie sey, der das Wesen und den Grund derselben hochhält, und nur das Unnütze und Schädliche davon absondern will.

In dieser Abhandlung hätte ich Anlaß nehmen können, eine geschickte Ausschweifung zu machen, und mich mit einigen Spöttern der edlen Poesie einzulassen, die, wenn man ihnen saget: ein Poet sey ein geschickter Nachahmer aller [476] natürlichen Dinge, durch eine tactmäßig abgemessene, oder sonst wohl eingerichtete Rede; diesen Begriff für listig ausschreyen, und in dem ersten Theile desselben einen Affen finden, den andern aber durch ein schönes Scilicet erläutern wollen, ohne den Grund davon anzugeben. Was hätte ich nicht von ihrer breiten Einsicht in die Dichtkunst, wie sie ihre eingebildete Kenntniß davon zu nennen belieben, sagen können? Wie vielmal hätte sich nicht der Ausruf: Wie gelehrt klingt das! wieder anbringen lassen? Wie freudig würde ich nicht geworden seyn, wenn ich ihnen Aristotels Erklärung vorgehalten, die schon eben das saget? Und wie viele Leute würde ich mir nicht dabey zugleich verbindlich gemacht haben? Maler, Bildhauer, Musikverständige, Tänzer u.a. hätte ich zugleich von dem Vorwurfe, daß sie Affen wären, retten müssen; weil ihre Künste eben so wohl Nachahmungen der Natur, wiewohl von einer andern Art, sind, als die Poesie.

Hätte ich mir aber auch in den Sinn kommen lassen, daß dieses alles nicht nach dem Geschmacke der meisten Leser seyn möchte: so konnte ich ihnen auf eine andere Art darthun, daß ich in dem, was zur Dichtkunst gehöret, kein Fremdling seyn müßte. Ich hatte längst eine Abhandlung von der Beschaffenheit der verblümten Redensarten, wenn sie gut seyn sollen, fertig, und sie zu einer solchen Sammlung bestimmt: die man nun aber wohl bey einer andern Gelegenheit erst wird zu sehen bekommen können. Die hergebrachte Gewohnheit in unsern Vorreden vor Poesien, erlaubte mir schon, [477] etwas zum Lobe, zur Vertheidigung, zur Verbesserung, oder zur Aufnahme der Dichtkunst beyzubringen; gesetzt, daß es auch nicht viel besonders gewesen wäre.

Du siehst leicht ein, geneigter Leser! daß ich dergestalt wohl einige Bogen anfüllen, und wenn das Buch hätte stärker werden sollen, als es itzo ist, mehr, als die Hälfte, zu meiner eigenen Arbeit widmen können. Man versicherte mich aber, ich würde mehrern Dank bey dir verdienen, wenn ich die Blätter lieber mit meines Dichters Arbeit anfüllete. Es wäre ein anderes, wenn man nur einige überbliebene Stücke in Händen hätte, und daraus doch gern ein vollständiges Werk machen wollte; oder ein kleines Duodezbändchen in zweene große Quartanten zu verwandeln suchte. Da müßte man freylich seine Zuflucht zu seinem eigenen Vorrathe nehmen, und alles herbey ziehen, was sich nur einigermaßen dazu schickte. Zuschriften, Vorreden, gelehrte Abhandlungen, Zeugnisse der Gelehrten, Anmerkungen, Verzeichnisse, Register, Lebensbeschreibungen, Kupfer, weitläuftige Erklärungen derselben u.d.g. könnten hierbey unvergleichliche Dienste leisten. Doch möchte es im Deutschen kaum angehen, wenn man so einen Schröder, Ducker, Oudendorp, und welcher für viele andere gilt, einen Burmann abgeben wollte. Ueberdem wären solche Ausgaben nur für die so genannten Autores classicos bestimmt. Und ob ich gleich einwenden könnte, daß mein Autor unter den Deutschen dergleichen werden würde: so wäre es doch unverschämt, ein Buch durch so viele fremde Zusätze zu vertheuern, die ohnedieß wenige lesen möchten.

Man kann leicht denken, daß ich durch diese Vorstellungen in einige Furcht gesetzt worden. Ich hatte keine so harte Stirne, dem ungeachtet meinen Vorsatz auszuführen. Wie geneigt ich auch erst war, mich bey dieser vortheilhaften [478] Gelegenheit auf eine ausnehmende Art zu zeigen: so fühlte ich nunmehr ein so zärtliches Gewissen, daß ichs nicht wagen konnte, meine Arbeit unter dem Namen und Ansehen eines andern, der allein die Käufer anlockte, mit unter die Leute zu bringen. Gewiß, ein großes Versehen von einem Menschen, der berühmt werden will! Wird es aber nicht bey mir itzt noch größer? Denn ich bin nicht einmal mehr in dem Stande, die Sorgfalt anzuzeigen, die ich auf die Sauberkeit, Schönheit und Pracht des Druckes und Papiers, und auf andere dabey angebrachte Zierrathen gewendet habe; woraus ich mir vordem ein großes Verdienst zu machen gedachte. Es wird bloß auf eines jeden Großmuth ankommen, ob er sie einsehen und mir deswegen einigen Dank wissen will. Ich würde hier gleich meinen Vorbericht schließen, wenn ich nur das Wesentliche desselben weglassen dürfte, und nicht nothwendig etwas von der Einrichtung und Eigenschaft dieser Sammlung sagen müßte. Dieses nöthiget mich, daß ich noch ein Paar Blätter für mich behalten muß, weswegen ich aber leicht Verzeihung zu erlangen glaube.

Ueberhaupt muß ich erinnern, daß dieses nicht des Herrn Professors Gedichte alle miteinander sind, die er jemals verfertiget hat. Er hat noch unterschiedene davon in Händen, und andere sind hier und dar zerstreut zu finden. Man hielt es nicht für rathsam, den ganzen Band über zwey Alphabethe anwachsen zu lassen. Dieses war Ursache, daß auch von dem Vorrathe, den ich besaß, eins und das andere, sonderlich aber viele Oden, wegbleiben mußten. Man wird nicht muthmaßen, daß ich solche für schlechter gehalten habe, als die, welche ich wirklich herausgebe. Nein, es betraf größtentheils die neuern und in fremden Namen gemachten Stücke: wiewohl [479] auch einige ältere weggeblieben sind, die ich gern mit eingerückt hätte, wenn sie mir nicht zu spät wären bekannt geworden. Doch können sie einmal mit der Zeit eine Nachlese, oder den andern Theil ausmachen.

Hiernächst hat man sich auch eine Regel gemacht, keins von denen Stücken mit einzuverleiben, die schon in den Schriften der deutschen Gesellschaft, oder in der kritischen Dichtkunst ihren Platz gefunden. Es war zu vermuthen, daß die Liebhaber der gottschedischen Muse diese Bücher allbereits besitzen würden. Was wäre ihnen nun damit gedient gewesen, wenn sie einerley Sache zweymal bekämen? Ob sich aber dieses nicht dennoch auf eine andere Art zutragen könne, daran will ich eben nicht zweifeln. Sie können wohl Sammlungen besitzen, in denen schon einige von gegenwärtigen Gedichten befindlich sind. Wie man aber diesen Sammlern kein Recht über eines andern Eigenthum gegeben: so wird man sichs auch nicht verdrießen lassen, wenn man dasjenige hier ebenfalls antrifft, warum man vieleicht jene ganze Sammlung ehemals gekaufet hat. Doch darf niemand besorgen, daß er hier nur lauter Gedichte bekomme, die bereits einzeln gedruckt worden. Ein einziger Anblick wird ihm so gleich das Gegentheil zeigen. Der vertraute Umgang, dessen ich von dem Herrn Verfasser gewürdiget werde, hat mich in den Stand gesetzt, daß ich viele Stücke mit einrücken können, die mir sonst wohl nicht zu Gesichte gekommen wären. Darunter rechne ich vornehmlich diejenigen, welche er seiner weisen Kulmus zu Ehren aufgesetzt hat, und die ich mir besonders [480] von ihm ausgebethen habe. Ich wollte nur wünschen, daß ich einige Antworten von ihrer gelehrten Feder zugleich hätte beysetzen können: ich weis, man würde mir doppelt verbunden dafür seyn, und auch aus diesen Proben einigermaßen erkennen, daß die Liebe wohl nicht zu viel von ihr gerühmet habe. Unter den Oden findet sich am 81 Blatte eine einzige, die nicht ganz ausgearbeitet worden. Sie gerieth mir ungefähr in die Hände; und weil ich Ursache zu zweifeln hatte, daß sie jemals ganz fertig werden dürfte: so trug ich kein Bedenken, den schon ziemlich starken Anfang, weil er mir gefiel, hieselbst mit aufzubewahren. Haben doch andere selbst ihre unvollkommenen Oden der Welt mitgetheilet; warum sollte ich es denn nicht thun dürfen?

Die Eintheilung des ganzen Buchs ist, so viel sichs hat thun lassen, nach denen in dem andern Theile der kritischen Dichtkunst befindlichen Capiteln gemacht; wiewohl nicht unter jeden Titel eine gleiche Anzahl Gedichte hat gebracht werden können. Oden hatte ich am meisten, und daher faßte ich den Anschlag, sie in drey Bücher einzutheilen, die fast gleich stark sind. In den beyden ersten findet man lauter jambische, jedoch mit dem Unterschiede, daß in dem ersten Buche allein solche vorkommen, die auf hohe Häupter und vornehme von Adel gemacht sind, wohin ich auch das Lob des weiblichen Regiments und die Jubelode gezogen habe. In dem dritten Buche hergegen kommen allein die von trochäischem Sylbenmaße vor, sie mögen auf fürstliche oder bürgerliche Personen gedichtet seyn. Die Ordnung, wie die [481] Gedichte in jeder Abtheilung eins auf das andere folgen, ist nach der Zeit eingerichtet, wenn sie verfertiget worden. Dieses hat zu einer angenehmen Abwechselung der unterschiedenen Materien Anlaß gegeben, da bald etwas trauriges, bald etwas freudiges, bald etwas hohes und ernsthaftes, bald etwas zärtliches und scherzhaftes vorkömmt, und denenjenigen den Ekel benimmt, die das Buch nach der Ordnung durchlesen wollen. Nun ist es dadurch zwar geschehen, daß ein Lobgedicht auf einen Fürsten, neben einem Glückwunsche an einen guten Freund seinen Platz erhalten. Es wird sich aber wohl niemand darüber ärgern, außer derjenige, der niemals gesehen hat, daß auch im Horaz, auf ein Lied an einen guten Freund, oder gar an die Lyce, eins auf den Kaiser August folget. Und wie sieht es in den Briefen des Ovidius, und bey andern alten Dichtern aus? Gewiß, die großen Männer, die so vielen Fleiß auf sie und auf die Verbesserung ihrer Schriften gewandt haben, hätten nicht unterlassen, sie besser zu ordnen, wenn ihnen das andere anstößig zu seyn geschienen. Es hat aber die von mir erwählte Ordnung ihre besonderen Vortheile. Denn außerdem, daß man sieht, wie die Stärke des Dichters von Jahren zu Jahren zugenommen, oder seine Gedanken sich verändert haben: so kann auch das Folgende zuweilen eine Erläuterung des Vorhergehenden seyn, oder sich darauf beziehen; und eine Art von einer Lebensbeschreibung des Verfassers abgeben. Aus diesem Grunde verwundert sich der Herr des Maizeaux in dem Leben des Herrn Saint Evremond mit Recht, daß nicht schon vorlängst alle Gelehrten auf eine solche Ordnung, sonderlich in sinnreichen Werken, gefallen sind.

Wer sich einbildet, daß ich ihm zu allen Capiteln des besondern Theils der kritischen Dichtkunst Exempel liefere, [482] der wird sich hierinnen bald betrogen finden. Ich habe theils nicht zu allen etwas anführen können, theils auch nicht anführen wollen. Die Exempel von Trauer- und Lustspielen werden, nebst Aristotels Poetik, ein eigener Band werden, und vieleicht nicht lange mehr ausbleiben. Ein Heldengedicht hierinnen suchen wollen, würde, meinem Bedünken nach, wohl ein wenig zu viel seyn. Ich kann aber versichern, daß der Herr Prof. Gottsched ehemals auf ein solches Gedicht gesonnen hat, welches den Regeln desselben gemäß, wiewohl nicht eine eigentliche Epopee, werden sollte. Es würde dem Pulte des Boileau ähnlich geworden, jedoch von einer edlern Materie gewesen seyn. Den Anfang davon habe ich ehemals unter seinen Papieren gefunden: und er verräth durch sein äußerliches Ansehen, daß er schon vor langer Zeit müsse seyn aufgesetzt worden. Man wird mit mir wünschen, daß er solches zu Stande bringen möge. Allein da seine Geschäffte immer mehr und mehr zunehmen: so ist daran nicht einmal mehr zu gedenken. Damit man aber wissen möge, wovon es gehandelt, und wie es werden sollen: so will ich den Anfang hersetzen, und damit meine Vorrede ausschmücken.


Ich melde durch dieß Lied den harten Bücherkrieg,
Wo Thorheit und Vernunft um Oberhand und Sieg
Mit aller Macht gekämpft: nachdem in deutschen Landen
Der edelste Geschmack von neuem auferstanden;
Der den verlachten Wust der Barden abgeschafft,
Und toller Schriften Schwarm, mit unbesiegter Kraft,
Zu Schimpf u. Spott gemacht. Ihr Musen! helft mir singen,
Und dieser Zeiten Lob der späten Nachwelt bringen.
[483]
In Meißens Gränzen liegt die reich beströmte Stadt,
Wo Phöbus seinen Sitz seit grauen Jahren hat;
Wo Pallas und Mercur sich zeitig eingefunden,
Die Weisheit mit Verstand, die Pracht mit Lust verbunden.
Hier herrschte vor der Zeit der Dummheit Tyranney.
Die seufzende Vernunft war von der Barbarey
Der wilden Veneder zwar nicht durchaus ersticket,
Doch tausend Jahre lang gewaltsam unterdrücket.
So gar der große Karl, der durch sein muthig Schwert
Bis an die Elbe drang, der Sorben Sitz verheert,
Hat zwar zu seiner Zeit so manches Heer gefället,
Den Wust des Heydenthums in Sachsen abgestellet;
Doch durch der Zeiten Schuld den alten Unverstand,
So wie das grobe Volk, aus Meißen nicht verbannt.
Auch machten sich nach ihm die ungelehrten Pfaffen
Mit frommer Thorheit mehr, als Geist und Witz, zu schaffen;
Bis endlich allgemach des Glaubens Reinigkeit
In Wissenschaften auch die Finsterniß zerstreut,
Den Künsten Platz gemacht, und die Vernunft erwecket,
Dadurch man die Natur und Wahrheit itzt entdecket.
In Leipzig war jedoch der Musen erster Sitz,
Als noch Germanien Gelehrsamkeit und Witz
In Wälschland, Wien, Paris und Prag zu suchen pflegte;
Und Sachsenland noch nichts von freyen Künsten hegte.
Auch hier verklärte bald des Glaubens reines Licht
Des Unverstandes Nacht. Die Musen säumten nicht,
Aus Griechenland und Rom nach Norden hinzuziehen;
Man sah die Barbarey vor ihrer Ankunft fliehen.
Die rauhe Mundart nur verhinderte den Zweck;
Apollo kannte noch den ungebahnten Weg
[484]
Der wüsten Hügel nicht, die er beleuchten sollte:
Weil alles nur latein und griechisch dichten wollte.
Allmählich siegte doch der Musen steter Fleiß;
Sie lernten endlich Deutsch, und Opitz trug den Preis
Zu allererst davon: dem bald mit deutscher Zungen,
Auf Meißens Helikon, ein Flemming nachgesungen,
Dem Dach in Preußenland so glücklich nachgespielt,
Daß Odoacers Berg der Töne Kraft gefühlt;
Ja, wie man sagt und glaubt, der Pregel selbst indessen,
Den sonst gewohnten Lauf, vor reger Lust, vergessen.
Ihr Musen! sagt mir doch, warum es nicht geschehn,
Daß unser Vaterland mehr Frucht davon gesehn?
Daß Sprache, Witz und Geist in Schlesien und Sachsen,
Nach dieser Helden Zeit, nicht schleuniger gewachsen;
Daß fremder Wörter Wust die Reinigkeit verstellt;
Daß nur ein wälscher Dunst die Schreibart aufgeschwellt,
Und die Vernunft erstickt. Ach! was für Finsternissen
Hat unsre Dichtkunst sich doch unterwerfen müssen!
Zu der beglückten Zeit, als Friederich August,
Der deutschen Fürsten Preis, der Unterthanen Lust,
Und aller Künste Schutz, in Sachsenland regieret,
Hat auch die Sprache selbst ihr Wachsthum sehr gespüret.
Bald anfangs regte sich die muntre Philuris
An ihrem Pleißenstrom. Sie sah voll Kümmerniß
Den hohen Gipfel an, auf welchem sie vorzeiten
Den deutschen Witz gesehn. Des edlen Flemmings Seyten,
Die Flöten ihres Schochs erfüllten noch ihr Ohr:
Doch kam ihr solches kaum, noch wie im Traume, vor.
Wie eine Mutter klagt, wenn sich bey ihren Kindern
Die gute Zucht und Art allmählich scheint zu mindern;
Sie denkt mit reger Lust der angenehmen Zeit,
[485]
Da Blüth und Frühling ihr viel Früchte prophezeiht;
Und grämt sich innerlich, weil ein so süßes Hoffen,
Das ihre Brust genährt, nicht besser eingetroffen:
So kränkte sich allhier auch Philurenens Geist.
Ach! hieß es, harte Zeit! die billig eisern heißt!
Was quälet mich dein Joch, mit unerhörten Lasten?
Will denn die Barbarey von ihrer Wuth nicht rasten?
Sie hebt ja überall ihr unterdrücktes Haupt
Mit neuer Kraft empor. Wer hätte das geglaubt?
Wer hätte das gedacht? Sie war ja schon bestritten,
Sie mußte mich besiegt um Hals und Gnade bitten:
Und itzo trotzt sie mich? und itzo wird sie groß?
Ja reißt mir mit Gewalt die Kinder aus dem Schooß?
Auf, Söhne! die ein Trieb vom hohen Pindus reget,
Zeigt, zeiget hier einmal, daß euch mein Gram beweget,
Daß eurer Mutter Wort euch munter machen kann.
Vertheidigt meinen Ruhm, spannt alle Sinnen an,
Den Witz von rechter Art aus der Tyrannen Ketten,
Womit sie uns schon droht, zu rechter Zeit zu retten.
So seufzte Philuris, und ihrer Stimme Schall
Verdoppelte die Kraft durch einen Wiederhall,
Der durch die Thäler drang: und durch dieß starke Tönen
Erholte sich ein Paar von ihren besten Söhnen.
Es wachte Ziegler auf; ihm folgte Wenzel nach,
Für welche Philuris gleich Lorberzweige brach:
Auch Amthor kam dazu, der jüngste von den dreyen,
Doch stark und eifrig gnug, die Mutter zu erfreuen.
Kaum sah und hörte dieß die wüste Barbarey:
So machte gleich ihr Schlund ein lautes Feldgeschrey.
Wie sonst ein starker Schwarm neu ausgeheckter Bienen,
Wenn seine Fürstinn kaum in freyer Luft erschienen,
Aus seinem Stocke dringt, und dieser Führerinn
Zu folgen willig ist, doch selbst nicht weis, wohin;
[486]
Die jungen Flügel regt, und durch sein Summen lehret,
Wie hoch es den Befehl von seiner Fürstinn ehret:
So häufig drang auch hier das ungeheure Reich
Der Barbarey herzu. Nichts ist der Menge gleich,
Womit dieß rasche Volk, vor den erhöhten Bühnen,
Darauf sie selber stund, im Augenblick erschienen.
Ihr Kinder, hub sie an, etc.

Es wird dich nicht wenig Wunder nehmen, geliebter Leser! daß du hier den Titel, Schäfergedichte, nicht gewahr wirst. Wundere dich aber darüber nicht. Du weist, daß ein Dichter die Natur zum Vorbilde hat, und nur deren Schönheiten nachzuahmen suchet. Wo zeiget aber itzt die Natur das alte Schäferleben? Wo herrschet die Unschuld, die darinnen vorkommen soll? Wo ist die güldene Freyheit, dir reine Liebe und die tugendhafte Einfalt, die das Wesen derselben sind? Wie darf nun ein Dichter das wieder vorstellen, was er nirgends mehr erblicket? Gebet uns erst das alles wieder; dann wollen wir euch Schäferlieder genug singen: itzt verzeihet es uns nur, daß wir euch mit keinen Hirngeburten unterhalten, denen ihr doch nicht ähnlich seyn wollet. Denn obgleich der einbildungsreiche Geist eines Dichters sich in die alten Zeiten versetzen, und ihr einfältiges unschuldiges Leben auf eine natürliche Art schildern kann: so hält man doch solches nur für ein Spielwerk seiner Phantasie, welches bey vielen kaum noch einige Wahrscheinlichkeit behält. Es ist ein Glück, wenn man solche Abschilderungen aus dem goldenen Weltalter noch für etwas natürlicher ansieht, als die Erzählungen aus dem Reiche der Feyen: obgleich beyde sehr lehrreich seyn können.

Eine andere Bewandniß hat es mit den Sinn- und Scherzgedichten, daß die weggeblieben sind. Man meynte nicht, [487] daß dem Leser viel damit gedient seyn würde. So hat auch der Herr Verfasser selbst niemals etwas daraus gemacht, oder viele dergleichen sinnreiche und scharfsinnige Einfälle aufgeschrieben, die er bey unterschiedenen Gelegenheiten gehabt, und in ein Paar Reime eingekleidet hat. Es ist leicht zu vermuthen, daß derjenige, der sich in großen Dingen zeiget, auch in kleinen fortkommen kann. Damit man es aber auch glaube, so werde ich mir die Erlaubniß nehmen, ein Paar solcher Stückchen zum Beweise anzuführen.

Als er aus seinem Vaterlande gieng

1724.


Ich bin dein Ebenbild, mein Freund, Ovidius!
Weil ich so wohl, wie du, mein Land verlassen muß.
Wiewohl wir sind uns nicht in allem zu vergleichen:
Weil du die Flucht verdient, ich ohne Schuld muß weichen.

An den Herrn Prof. May, zu seinem Geburtstage

1726.


Es hatten noch vor kurzer Zeit
Minerva, Erato und Suada einen Streit,
Wer Mayens edlen Geist hinfort beherrschen sollte.
Minerva sprach: Dieß Haupt gehöret mir,
Sein scharfes Urtheil stralt aus jedem Wort herfür.
Doch als sie weiter sprechen wollte,
Fiel Suada ihr ins Wort:
Nein, rief sie, Mayens Witz und muntre Rednergaben
[488]
Muß ich zu meinem Antheil haben.
Auch diese fuhr noch weiter fort,
Als Erato sie plötzlich störte:
Wer, hieß es, raubet mir den schönen Dichterkiel,
Und Mayens reines Seytenspiel?
Der Streit ward so erhitzt, daß Phöbus selbst ihn hörte.
Drum rief er: Ist denn May euch allen so beliebt.
Und wollt ihr alle drey in seinem Geiste wohnen:
So hört den Ausspruch an, den euch Apollo giebt,
Und krönt ihn alle drey mit euren Lorberkronen.

In der kritischen Dichtkunst war es eher nöthig, davon zu handeln, als hier Exempel anzuführen, weil es doch Leute giebt, die wer weis was für große Wunder darinnen suchen, und in Scherzgedichten und Quodlibeten ohne Regeln, alles in den Tag hinein schreiben, was ihnen ihre wilde Einbildung eingiebt.

Am meisten wird man sich wundern, daß der Titel,Satiren, nirgend in die Augen fällt. Ach! geliebter Leser! fürchtest du dich nicht, daß du dich nach solchen umsiehst? Das bloße Wort klingt uns ja schon so erschrecklich, daß man es kaum aussprechen hören kann. Weg, weg damit! Wenn ich mich gelüsten lassen, dergleichen herzusetzen: so könnte ich gar bald in den Verdacht gerathen, ich müßte selbst in einer solchen Strafsucht ein Vergnügen suchen. Aber das sey ferne! Meine eigene Balken lehren mich des andern Splitter mit Geduld ertragen.

Diesen Abgang aber hoffe ich durch ein Paar andere Abtheilungen ersetzt zu haben. Die erste ist von einer ganz neuen Art, und ihre Benennung noch zur Zeit bey keinem unserer Dichter zu finden, ungeachtet so wohl das Wort, als die Gattung von Gedichten, denen ich es beygelegt habe, alt und gewöhnlich sind. Ich werde also davon etwas sagen müssen. [489] Bald hinter den Oden steht der Titel, Gesänge. Mit diesem Namen habe ich diejenigen Verse belegt, die ihre ordentlichen Strophen haben, und aus längern Zeilen bestehen, als die gewöhnlichen Oden. Ihr inneres Wesen nahet sich denselben etwas; und man kann die Regeln ebenfalls bey ihnen anwenden, die von der Ode gegeben werden: jedoch müssen sie eine etwas mehr gemäßigte Schreibart beobachten, als jene. Wenn sie alle eine so kurze Zeile mit unterlaufen hätten, wie der dritte Geang: so würden sie eben das seyn, was bey dem Horaz die Epoden sind; als welche eben von der kurzen Zeile bey den langen diesen Namen bekommen haben. Wir können sie aber füglicher, wie die regulären Stanzen der Franzosen, bey uns ansehen; weil wir doch sonst keine Art haben, die man an deren statt gebrauchen kann. Sie haben auch eine große Gleichheit mit der Italiener achtzeiligten Reimen, (ottave rime) worinnen Tasso, Ariosto, Marino u.a. ihre langen Gedichte abgefaßt haben, und deren jedes Buch sie canto benennen. Dieses hat mich zuerst auf den Einfall geleitet, ihnen den Namen, Gesänge, zuzueignen: zumal ich keinen finden konnte, der sich besser für sie geschickt hätte; und sie sich auch zu keiner andern Gattung recht wollten ziehen lassen. Ich weis wohl, daß man die Namen, Gesänge, Lieder und Oden für gleichgültig hält: aber ich glaube doch auch, daß man einigen Unterschied darunter beobachten solle und könne; wie man denn schon den Namen, Gesang, nach italienischer und französischer Art, ganzen Büchern von langen Versen, z.E. in Heldengedichten, beyleget: wofür man wohl nicht füglich ein Lied, oder eine Ode sagen dürfte. Es fällt mir itzt zu weitläuftig, solches weiter auszuführen.

Die andere Abtheilung, die ich zur Vergeltung der weggebliebenen Titel gebe, ist der Uebersetzungen und Nachahmungen. [490] Was du darinnen finden wirst, will ich dir nicht erst vorerzählen. Nur von denen Stücken, die ohne Reime sind, kannst du merken, daß sie eben so viel Zeilen und Sylben haben, als ihre Originale. Sonst können von den Vortheilen solcher Uebersetzungen die kritischen Beyträge im andern Bande, am 152 Blatte, nachgelesen werden. Die beygefügten Nachahmungen sind in gewissem Verstande nichts anders, als freye Uebersetzungen, da man die Umstände mit solchen verändert, die sich auf unsere Zeit, unsere Sitten und unser Land schicken, sonst aber die Art und Weise der Einkleidung und die Gedanken des Originals beybehält.

Mehr habe ich itzt zu erinnern nicht nöthig. Sollten sich einige Druckfehler finden: so wollen wir französisch thun, und sie von beyden Seiten nicht anmerken. Uebrigens laß dir, geneigter Leser! mein Unternehmen gefallen, und behalte mir deine Gewogenheit vor: damit ich nicht abgeschreckt werde, dir mit der Zeit durch etwas eigenes zu dienen, und mich weiter vor dir sehen zu lassen.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Vorrede zur ersten Ausgabe. Vorrede zur ersten Ausgabe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E3D9-3