[176] Die Kelle 1

Nur frisch, ihr Herrn und Damen! Gleich
Sind wir an unsrer Höhle.
Seht da! – Nicht wahr, es fährt auch Euch
Ein Schauer durch die Seele?
Wohlan! Nehmt Platz! Warum ihr das
Empfindet, sollt ihr hören.
Erst aber lasset uns ein Glas,
Aufs Wohl der Todten, leeren.
[177]
Nun! Sitzt ihr alle? – Hört denn an!
Nicht lang vor Luthers Tode,
Bewohnt' ein wackrer Edelmann,
Herr Veit von Wülferode,
Das Haus, woher wir kommen. Doch
Lag freilich Muskateller,
Nicht solcher Bleichert, damals noch
In dieses Hauses Keller.
[178]
Zwei Kinder hatte Veit. Sein Fritz,
Verlobt mit Fräulein Goltze,
Zu Bischofsrod', des Vaters Sitz',
Gleich hinter diesem Holze,
Kam oft auf dieser Stelle hier
Mit seiner Braut zusammen. –
Doch noch ein Glas! Mir fängt es schier
Im Gaumen an zu strammen.
[179]
Nun! Eine Tochter hatt' auch Veit,
Die jung zu einer Muhme
Nach Querfurt kam, wo Adelheid,
(So hieß sie,) um die Blume
Der Unschuld, sich, im Augenblick'
Des Taumels, ließ bethören.
Sie floh, doch Furcht hielt sie zurück,
Zum Vater heim zu kehren.
[180]
Aus Appenrode 2 kam von ihr
Zum Bruder Fritz ein Bote:
Sie harre bei der Kelle hier,
Sein mit dem Morgenrothe.
Fritz mit des Tages Anbruch fort,
Und seht: (den Platz umzäunte
Die Nachwelt,) bei der Eiche dort
Saß Adelheid und weinte.
Ob Neugier gleich und Ungeduld
Im Bruder Fritz sie baten,
So schwieg sie dennoch; ihre Schuld
Ließ sie ihn selbst errathen.
Sie sank für Scham in seinen Arm,
Und floß in Thränen über,
Und schluchzte nur: Erbarm', erbarm'
Auch itzt dich mein, o Lieber!
»Gib dich zufrieden, gutes Herz!
Ich liebe dich noch immer.
[181]
Nur häufe Schmerzen nicht auf Schmerz,
Und stille dein Gewimmer.
Hier hast du meine rechte Hand,
Dein Fritz wird treulich sorgen
Für dich und deiner Liebe Pfand,
Und alles bleibt verborgen.«
Gertrud von Goltze ging oft früh
In dieses Holz spatzieren;
Das Unglück mußt' auch heute sie
Nah an die Kelle führen.
Hier hört sie eine Stimm' und spitzt
Das Ohr, schleicht durch die Hecken
Sich immer näher hin, und itzt –
Denkt selbst Euch Trudchens Schrecken!
»Für sie und ihrer Liebe Pfand
Will Fritz getreulich sorgen?
Bin ich bei Sinnen, bei Verstand?
Ist's Nacht und Traum? Ist's Morgen?
Halt! stehn sie auf? – Sie gehen fort! –
[182]
Was thu' ich? Folg ich ihnen?
Kann solch ein Scheusal noch ein Wort,
Noch einen Blick verdienen?« –
Fritz und die Schwester waren grad
An jenem Schlund', den oben
Ihr in der Höhle Kuppel saht,
Als durchs Gebüsch gestoben
Das Fräulein kam. »Ist das die Braut?«
Fragt höhnisch sie und bitter,
Indem sie auf die Schwester schaut,
Und lächelnd sprach der Ritter:
»Ei, ei! das Horchen thut nicht gut!
Wenn ich mich nun beklagte?« –
Sie aber stieß mit voller Wuth
Ihm vor die Brust, und sagte:
Fort Bösewicht! bist du noch kühl
Dabei, daß dein ich spotte? –
Fritz wich zurück, und glitscht' und fiel
Hinab in diese Grotte.
[183]
Mein Bruder! Ach! mein Bruder! schrie
Das Fräulein Adelheide,
Und sank erblassend in die Knie,
Erdrückt von so viel Leide.
»Was? Er dein Bruder? Nun, so flieg'
Dem Teufel nach zur Hölle!«
Sprach Gertrud. Adelheide schwieg,
Todt war sie auf der Stelle.
Gertrude floh durch Busch und Dorn;
Gewinsel aus der Höhle
Erreicht sie hier; weg war ihr Zorn,
Voll Mitleid ihre Seele.
Als sie herab zur Grotte sprang,
Lag Fritz von Wülferode
Zerschmettert auf der Erd', und rang
Zähnknirschend mit dem Tode.
»Fritz! Fritz! Was machst du? Kennst du mich
Nicht mehr? Ich bin ja Trude!
Sieh! ich bin nicht mehr bös' auf dich!
[184]
Was ist das? – Schwimmst in Blute?« –
Sie faßt ihn bei der Hand, doch schier
Fiel schwer wie Blei sie nieder;
Fritz schlug die Augen auf, sah stier
Sie an, und schloß sie wieder.
Aus seiner Tasche hing von Flor
Ein Tuch, das sie ihm stickte;
Sie zog's und ach! den Brief hervor,
Den Adelheid ihm schickte.
Das Fräulein las, sank hin und lag,
Die Händ' auf Fritz gefaltet;
Als sie erwacht' am Nachmittag',
War Fritz bereits erkaltet.
Gertrude, fühllos, dumpf und krank
Am Leib' und an der Seele,
Saß ohne Speis' und ohne Trank
Drei Tag' in dieser Höhle.
Ihr Vater und sein Hofgesind'
Durchstöbert' alle Sträuche,
[185]
Und fand zuletzt das schöne Kind
Im Schlaf' auf Fritzens Leiche.
Sie blieb am Leben, doch betrog
Die Hoffnung manche Freier
Um ihre Hand; das Fräulein zog
Ins Kloster, nahm den Schleier,
Und saß, wenn alles schlief, und wacht'
Und weint' auf ihrer Zelle,
Und starb. – Oft hör' ich itzt bei Nacht
Sie trauren in der Kelle.
Das Horchen thut, sprach Fritz, nicht gut!
Doch Eifersucht noch minder!
Drum, bitt' ich, seyd auf Eurer Huth,
Ihr guten, schönen Kinder.
Denn vorgethan, und nachbedacht,
Wie wir zu oft vergessen,
Hat manchen in groß Leid gebracht. –
Doch kommt zum Abendessen!

Fußnoten

1 Die Kelle, (ich weiß nicht, woher sie den seltsamen, unpoetischen Namen hat,) ist eine große unterirdische Grotte, eine Stunde von Ellrich. Herr von Rohr hat sie in seinen Merkwürdigkeiten des Unterharzes beschrieben, aber ohne Gefühl für Schönheiten der Natur. Es mag hier genug seyn, nur dieses davon zu sagen, daß die Höhle in einem kleinen Eichen- und Buchenwalde liegt, womit eine Strecke von Bergen besetzt ist, die, nach der Mittags-Seite, aus hohen, weißen, sehr schroffen Felsenwänden bestehen, von deren Spitze man eine sehr schöne Landschaft übersieht. Im Bauch dieser Felsenberge, ist die Kelle; man erblickt sie nicht eher, als bis man dem Eingange gegenüber steht. Allein um in die Höhle zu kommen, muß man einen steilen Weg von etwa 100 Schritten hinab gehen. Das Portal der Höhle ist ohngefähr 50 Fuß hoch, beinah eben so breit, oben mit herabhangenden Bäumen und Gesträuchen bekränzt, das Ganze eine steile Felsenwand von alabasterartigem Kalkstein, in einen halben Zirkel ausgehöhlt, und oben etwas gewölbt. Durch diese hohe weite Oeffnung, sieht man von der Höhe in die Grotte selbst hinein. Ein schauerlicher Anblick! Durch das Portal, und durch eine zirkelförmige Oeffnung in der Kuppel der Grotte, von etwa 6 Fuß im Durchmesser, fällt ein mäßiges Licht hinein; die Strahlen brechen sich auf der Fläche des Wassers, womit der Boden größtentheils bedeckt ist; nach und nach unterscheidet man die verschiedenen Gruppen, und sieht im Hintergrunde einen gewölbten Felsen, der völlig der Beschreibung alter Dichter, von dem Eingange zur Hölle, entspricht. Die Gewölbe der Baumanshöhle, und andere solcher unterirdischen Grotten in Deutschland, sind inwendig größer und schöner; aber was den Anblick von außen betrifft, erreicht keine die Schönheit derKelle. Reisende, die Italien gesehen haben, versichern, daß auch keine der wälschen Höhlen, einen so romantischen Eingang habe. Da immer mehr Kalksteine herabfallen, so wird endlich einmal das ganze große Gewölbe mit den darüber stehenden Bäumen zusammen stürzen. Die Oeffnung, welche schon in der Kuppel entstanden ist, hat man umzäunt, damit das Vieh, welches hier weidet, nicht durchfalle. Die Höhle liegt kaum einen Büchsenschuß von Wülferode. Dieß war sonst ein Dorf, ist aber itzt ein bloßes Landhaus, das der Verf. im Sommer bewohnte. (S. die XIV. Epist. im II. Bande.) Freunde, die ihn hier besuchten, pflegte er gewöhnlich nach der Höhle zu führen, und unter den Buchen, dem Eingange der Grotte gegenüber, einen Nachtmittag mit ihnen zuzubringen; denn bei dem schwülsten Wetter ist es hier kühl, in der Grotte selbst aber läuft man große Gefahr, sich heftig zu erkälten. Bischofrode ist ein adeliches Gut, gleich hinter dem Kellholze, das dem Herrn BaronSpiegel zum Diesenberge, gehört, und Appenrode ein Dorf, eine halbe Stunde von Wülferode. Das Kellholz mit seiner Höhle, liegt zwischen diesen drei Orten in der Mitte. So viel war nöthig, wenn fremde Leser die Balade im Zusammenhange verstehen sollten.

2 Ein Dorf nicht weit von der Höhle.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lyrische Gedichte. Zweites Buch. Die Kelle. Die Kelle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E228-C