[115] Mein höchster Wunsch

Ließ' ein hartes Mädchen mich
Auch ein Jahr und länger schmachten,
Ohn' auf meine Pein zu achten,
Dennoch würde sicherlich
Sie mich endlich wieder lieben,
Oder – Stolz und Kälte trieben
Weg von ihr, und heilten mich.
Aber ach! Natur! nach dir
Brennet Tag und Nacht vergebens
Zwanzig Jahre meines Lebens
Sehnsucht schon im Herzen mir.
Läg' ich Armer nicht an Ketten;
Himmel! meine Füße hätten
Längst sich wund gesucht nach dir!
[116]
Dennoch, wenn's auch länger währt,
Will ich gern geduldig schmachten.
Ach! dein kleinstes Werk betrachten,
Ist allein des Kummers werth,
Daß von deinen Meisterstücken,
Die im Traum' mich oft entzücken,
Dein Verlaßner nichts erfährt.
Unbemerkt und unbekannt,
Brod in einer Jägertasche,
Milch in dieser Kürbisflasche,
Diesen Stab in meiner Hand,
Wollt' ich, gleich dem schönsten Weisen, 1
Froh die halbe Welt durchreisen,
Bis ich fände, was er fand.
Würde mir wohl so gemach
Dieses Herz im Busen schlagen,
Folgte gleich ein Küchenwagen,
Und des Landes Gold mir nach?
[117]
Aber auch der Spott der Ritter,
Das Geheul verarmter Mütter,
Und der Bauren leises Ach!
Zwar es würde dann vor mir
Sich kein Spiel am Thore rühren,
Keine Wache präsentiren,
Und kein Horn die Neubegier
Der geschminkten bleichen Docken
Haus für Haus ans Fenster locken,
Um zu schaun das Wunderthier.
Zwar der Gastwirth schösse nie
Auf mich zu, gleich einem Blitze,
Unterm Arm' die Sammetmütze,
Und das Haupt gebückt aufs Knie,
Um den Schlag an meinem Wagen
Aufzureißen, und zu fragen:
»Gnädger Herr! befehlen Sie?«
Weder ein Heyduck noch Mohr
Fragte je nach meinem Namen;
[118]
Durch Lorgnetten sähn die Damen
Nicht nach meiner Log' empor;
Niemand bäte mich zum Schmause,
Und vor meines Wirthes Hause
Führen keine Kutschen vor.
Die Gelehrten – o wie gern
Wollt' ich, um ihr Herz zu werben,
Wenigen nur Zeit verderben;
Denn die Weisheit dieser Herrn
Ist fast immer eitles Prahlen,
Leeres Klappern mit den Schaalen!
Denn wer sucht und schmeckt den Kern?
Traurig würd' ich, o Natur!
Meinen Stab nur weiter setzen,
War' ich deiner Schwester Schätzen
Irgendwo schon auf der Spur,
Und mir fehlt' es dann an Golde!
Denn die Kunst nicht, du, o Holde!
Zeigst umsonst die deinen nur.
[119]
Laß mich deine Schilderein
Nur beschauen, und vor allen
Erdefreuden, nach Gefallen,
Deiner guten Menschen freun!
Dann mag zu Florenz die schöne
Venus Anadyomene
Meinethalb verschlossen seyn!

Fußnoten

1 Homer.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Mein höchster Wunsch. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DEB8-2