Einladung nach Berlin

Der iunge Zefir weicht,
Da er sein Ziel erreicht;
Er folget der Natur,
Und weicht von unsrer Flur.
Sein sanfter freier Hauch
Verläßt den Rosenstrauch,
Den er sonst nicht verließ,
Wann er des Morgens blies,
Von dem er, wann er kam,
Den Ambra mit sich nahm,
Und dann im Abendflug
Zu meiner Laube trug.
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Nun stirbt das frische Gras
Vom kalten Boreas,
Der stürmisch drüber fährt
Der Wiesen Schmukk verheert,
Und feindlich, wie ein Tod,
Den Blumenbeeten droht.
Er hat schon Florens Tracht
Zum Teil zu nicht gemacht.
Ihr buntes Sommerkleid
Vermißt den Unterscheid.
Das schön gefärbte Kraut
Wird blaß und gelb geschaut.
Freund, folge meinem Rath,
Und suche nun die Stadt,
Die, wenn der Sommer schließt,
In Zimmern ihn genießt.
Da sieht man beim Kamin
Manch Donnerwölkchen ziehn!
Da zeigt des Künstlers Hand
Uns Floren an der Wand;
Und was, auf ihrer Jagd,
Dianen froh gemacht:
Zu dieser Frölichkeit
Sind Zimmer eingeweiht.
Du sprichst: Wo find ich dort,
Den angenehmen Ort,
Den frohen Aufenthalt,
Den kleinen stillen Wald,
Wo ich der Städte Pracht
So oft vergnügt belacht,
Wenn mir der Vögel Schaar
Statt Virtuosen war,
Wo ich die Schäferinn,
Der ich ergeben bin,
Mit Blumen schön geziert,
Zum Tanze aufgeführt?
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Den schönsten Blumenkranz,
Den muntern Schäfertanz,
Solst du, gedoppelt schön,
Im Opernsaale sehn.
Da sieht man unserm Pan
Das Groß und Schöne an,
Das Schöne so ihn ziert,
Wenn er den Reihen führt;
Und daß sein Heldenmuth
Sich so zum Schäferhuth,
Als zu dem Helme schikkt,
Wenn ihn der Feind erblikkt.
Du weist wie schön es klingt
Wenn Salimbeni singt,
Und hast dich oft gefühlt,
Wenn Benda mit gespielt.
Wie froh war Herz und Ohr
Wenn Graun sein ganzes Chor
Zum Streite aufgeführt?
Wie wurdest du gerührt?
Bald lachtest du für Lust,
Bald seufzte deine Brust.
Der Töne Gram und Scherz
Drang wechselsweis ans Herz.
Dein Feld ist wüst und leer,
Dein Wald erklingt nicht mehr,
Das Volk in deiner See
Springt nicht mehr in die Höh.
Bereite deine Brust,
Zu mancher neuen Lust.
Wie schön Molteni singt,
Wie künstlich Lani springt,
Wie witzig ... dalt
Wie treflich Pesne malt,
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Wie Schmidt in Kupfer sticht,
Lehrt dich dein Landgut nicht.
Freund, ist zur Winterzeit
Des Landes Einsamkeit,
Dem prächtigen Berlin
Noch irgend vorzuziehn?
Ich weiß, du sagest nein.
So triff denn öfters ein.
Dein brauner rascher Gaul
Ist unter dir nicht faul.
Doch komm auch oft gepaart,
Auf einer Schlittenfahrt,
Und nimm, so fährst du warm
Dein Schätzgen in den Arm.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Gleim, Johann Wilhelm Ludwig. Einladung nach Berlin. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D8B8-0