Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Versuch in Scherzhaften Liedern
Erster Teil

[3] An ***

Mein Engel!

Wenn Anakreon mir nicht vorgesungen, und wenn du mir nicht zugehöret hättest; So hätte ich niemals scherzhafte Lieder angestimmet. Du hörtest sie, du gabst ihnen Beifall, du lobtest den Dichter und seine Lieder. Einen so schönen Sieg haben niemals Petrarche erhalten! Ich darf dich nicht loben, aber ich versichere dir, wenn ich auch nichts, als dich, kleine Brunette, damit erobert hätte; Wenn ich gleich das Lob der Schönen und der Kunstrichter nicht damit erwerben kann; So werde ich doch niemals bereuen, daß ich mich unterstanden habe, die Uberreste des artigsten Geistes unter den Alten vor nachahmbar zu halten.

Du magst indessen meine Verwegenheit rechtfertigen, wenn sie von Kennern verachtet oder bewundert wird. Ich dürfte dis nicht von dir verlangen, wenn du nicht so bitter böse geworden wärest, als ich sagte: Die Urteile einer Geliebten müssen keinen Verfasser dreist machen. Ich konnte deinen Kuß nicht missen, sonst hätte ich damals noch eine halbe Stunde länger hierüber mit dir gezankt. Glaubst du nun, mein Engel, daß mich deine Urteile dreist gemacht haben? Sage [3] nein, wenn du willst, daß dir nicht eines von den Liedern an Doris allein bekannt seyn soll. Ich habe ietzo nur dieienigen drukken lassen, die du nicht vor heilig hält'st. Deine Schwestern mögen von der Sittenlehre derselben auf das Herz des Verfassers schliessen, wenn sie keinen Scherz verstehen; weiß ich doch, daß du ihn verstehst. Sage mir nur, wie ich die Scherze die du noch nicht beurteilet hast, nach deinem Geschmakke verbessern soll. Die Scherzrichter werden alsdenn erst damit zufrieden seyn.

Wie aber? Wenn sie sich unterstehen sollten, dein geheimes Lob, welches die Anzal der Lieder so groß gemacht hat, nicht zu bestättigen? Du magst dich vertheidigen, wenn du ein Mittel weißt. Mir wird kein[3] Tadel zuwider seyn, er wird mich nur behutsamer machen. Du wirst meine Wiederspenstigkeit, die du bisher eigensinnig genennt hast, bald anders nennen. Drei Urteile werden dich überzeugen, daß es nicht aus blossem Eigensinn geschehen sei, als ich vor einem Jahre den Drukk, den du veranstaltet hattest, verhinderte, ohngeachtet ich vorher wuste, daß dis Unternehmen dir zwei unzufriedene Minen, und mir zwei verdrießliche Blikke, ein Lied, und hundert gute Worte kosten würde.

Wie viel Minuten, die ich nicht vergnügt zugebracht habe, hast du schon auf deinem Gewissen? Du kamst gestern wieder eine halbe Stunde zu späte in die Gesellschaft. Die Frau von G ... hatte mich schon zweimal gefragt: Warum ich so oft nach der Uhr sähe; und das verzweifelte kleine schwarze Mädchen sahe es mir an den Augen an, daß du mir fehltest. Es war mir lieb, daß v.Z. zu spät kam. Er hätte in der That, noch einmal zu mir gesagt: Du siehst ia aus wie ein verliebter Seufzer.

Was wird deine Tante sagen, wenn Sie das Lied auf die schwarze Lerche zu lesen bekommen wird? Sie weiß nicht, daß du auch eine hast. Ich will dir mündlich sagen, was du vor einen Spas machen kannst.

Weißt du was mein Engel? Ich muß es dir nur gestehen: Die Lieder an Doris, oder die, worinn Doris was zu thun hat, gefallen mir nun, da sie gedrukkt sind. Hätt' ich doch die übrigen nur mit drukken lassen. Ach! wie böse würdest du kleines Ding nicht geworden seyn. Nein, ich werde es nicht eher thun, bis du wirst zu Stande gebracht haben, was ich dir vorschlagen werde.

Als die Frau Dacier die Scherze des scherzhaftesten Griechen, den Damen angenehm machen wollte, muste sie ihn in ihrer Muttersprache unterrichten. Wenn deine Schwestern die Lieder auf dich singen sollen, so must du sie in Reime übersetzen, wie ich die Wahl (pag. 25) übersetzt habe. Bringe morgen einen Versuch mit in die Oper, ich will dir Noten mit bringen, nach welchen du das übersetzte Lied singen und spielen kannst. Lebe wohl, kleine Brunette. Ich werde diese Nacht von dir, von einem Kusse, und von einer Sommerlaube träumen.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Gleim, Johann Wilhelm Ludwig. An ***. Mein Engel!. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D816-B